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Abteilung V

E-6932/2016

 

 

 

 

 

Urteil vom 1. Dezember 2016

Besetzung

 

Richter Daniel Willisegger (Vorsitz),

Richterin Muriel Beck Kadima, Richterin Gabriela Freihofer,

Gerichtsschreiber Pascal Waldvogel.

 

 

 

Parteien

 

A._______, geboren am (...),

Syrien,  

vertreten durch lic. iur. Michael Steiner, Rechtsanwalt,

Beschwerdeführerin,

 

 

 

gegen

 

 

Staatssekretariat für Migration (SEM),

Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

 

 

 

Gegenstand

 

Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung

(Dublin-Verfahren);

Verfügung des SEM vom 27. Oktober 2016 / N (...).

 

 

 


Sachverhalt:

A. 
Die Beschwerdeführerin suchte am 5. September 2016 in der Schweiz um Asyl nach. Die Vorinstanz befragte sie am 13. September 2016 summarisch und gewährte ihr das rechtliche Gehör zur Zuständigkeit von Deutschland zur Durchführung des Asyl- und Wegweisungsverfahrens. Dagegen brachte die Beschwerdeführerin vor, ihr Ehemann lebe in der Schweiz und sie wolle bei ihm bleiben.

B. 
Am 18. Oktober 2016 ersuchte die Vorinstanz die deutschen Behörden um Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 18 Abs. 1 Bst. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung), ABl. L 180/31 vom 29.6.2013 (Dublin-III-VO). Mit Schreiben vom 26. Oktober 2016 stimmten die deutschen Behörden der Wiederaufnahme zu.

C. 
Mit Verfügung vom 27. Oktober 2016 - eröffnet am 3. November 2016 - trat die Vorinstanz auf das Asylgesuch nicht ein und wies die Beschwerdeführerin aus der Schweiz nach Deutschland weg. Gleichzeitig forderte sie sie auf, die Schweiz spätestens am Tag nach Ablauf der Beschwerdefrist zu verlassen, und verpflichtete den zuständigen Kanton mit dem Vollzug der Wegweisung. Sodann händigte sie der Beschwerdeführerin die editionspflichtigen Akten gemäss Aktenverzeichnis aus und stellte fest, einer allfälligen Beschwerde gegen die Verfügung komme keine aufschiebende Wirkung zu.

D. 
Mit Eingabe vom 10. November 2016 reichte die Beschwerdeführerin beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde ein und beantragte, die angefochtene Verfügung der Vorinstanz sei aufzuheben und die Sache sei zur vollständigen und richtigen Abklärung und Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei die Verfügung aufzuheben und die Vorinstanz sei anzuweisen, auf ihr Asylgesuch einzutreten und das nationale Asyl- und Wegweisungsverfahren durchzuführen. Eventualiter sei die Vorinstanz anzuweisen, bei den deutschen Behörden eine Garantie betreffend die Zusicherung menschenwürdiger Behandlung sowie der Berücksichtigung der entsprechenden rechtlichen Grundlagen, insbesondere der EMRK einzuholen. In prozessualer Hinsicht sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen, ihr sei der Verbleib in der Schweiz bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Verfahrens zu bewilligen und der Vollzug der Wegweisung sei per sofort auszusetzen und die Migrationsbehörden des zuständigen Kantons seien anzuweisen, von sämtlichen Vollzugshandlungen abzusehen. Weiter sei ihr vollumfänglich Einsicht in die Akten des Asylverfahrens, insbesondere in die Akten A6/1, A18/3 und A21/2 zu gewähren, eventualiter sei ihr hierzu das rechtliche Gehör zu gewähren. Nach Gewährung der Akteneinsicht und eventualiter des rechtlichen Gehörs sei ihr eine angemessene Frist zur Einreichung einer Beschwerdeergänzung anzusetzen. Schliesslich sei auf die Erhebung eines Kostenvorschusses zu verzichten und sie sei von der Bezahlung der Verfahrenskosten zu befreien.

Sie reichte eine Hochzeitseinladung zu den Akten.

E. 
Die vorinstanzlichen Akten sind am 14. November 2016 beim Bundesverwaltungsgericht eingegangen.

F. 
Mit Eingabe vom 17. November 2016 reichte die Beschwerdeführerin eine Kopie eines Gesuchs um Familiennachzug sowie Fotos ihres Hochzeitsfestes zu den Akten und beantragte die Sistierung des Beschwerdeverfahrens bis zur rechtskräftigen Verfügung betreffend das Gesuch um Familiennachzug.

 

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1. 
Gemäss Art. 31 VGG ist das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung von Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG zuständig und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel - wie auch vorliegend - endgültig (vgl. Art. 83 Bst d Ziff. 1 BGG; Art. 105 AsylG [SR 142.31]). Die Beschwerdeführerin ist als Verfügungsadressatin zur Beschwerdeführung legitimiert (Art. 48 VwVG). Auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde (Art. 108 Abs. 2 AsylG und Art. 52 Abs. 1 VwVG) ist einzutreten.

2.   

2.1  Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht sowie die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).

2.2  Bei Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide, mit denen es das SEM ablehnt, das Asylgesuch auf seine Begründetheit hin zu überprüfen (Art. 31a Abs. 1-3 AsylG), ist die Beurteilungskompetenz der Beschwerdeinstanz grundsätzlich auf die Frage beschränkt, ob die Vorinstanz zu Recht auf das Asylgesuch nicht eingetreten ist (BVGE 2011/9 E. 5).

3. 
Die Beschwerdeführerin stellt einen Sistierungsantrag mit der Begründung, sie habe beim kantonalen Migrationsamt ein Gesuch um Familienzusammenführung eingereicht. Der Richter kann aus Gründen der Zweckmässigkeit das Verfahren aussetzen, insbesondere wenn das Urteil von der Entscheidung in einem anderen Rechtsstreit beeinflusst werden kann (Art. 4 VwVG i.V.m. Art. 6 BZP). Eine Sistierung des Zuständigkeitsverfahrens bis zum Ausgang des Verfahrens betreffend Familienzusammenführung widerspricht dem Zweck der Dublin-III-Verordnung, der darin besteht, die Zuständigkeit möglichst rasch zu bestimmen. Da es der Beschwerdeführerin ohne weiteres zumutbar ist, den Ausgang im zuständigen Staat abzuwarten, ist der Sistierungsantrag abzuweisen.

4.   

4.1  Die Beschwerdeführerin rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör sowie des Untersuchungsgrundsatzes.

4.2  Gemäss Art. 29 VwVG haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör. Das rechtliche Gehör dient einerseits der Sachaufklärung, anderseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheides dar, welcher in die Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Dazu gehört insbesondere das Recht des Betroffenen, sich vor Erlass eines solchen Entscheides zur Sache zu äussern, erhebliche Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst als Mitwirkungsrecht somit alle Befugnisse, die einer Partei einzuräumen sind, damit sie in einem Verfahren ihren Standpunkt wirksam zur Geltung bringen kann (vgl. BGE 135 II 286 E. 5.1, BVGE 2009/35 E. 6.4.1 mit Hinweisen).

Mit dem Gehörsanspruch korreliert die Pflicht der Behörden, die Vorbringen tatsächlich zu hören, ernsthaft zu prüfen und in ihrer Entscheidfindung angemessen zu berücksichtigen. Das gilt für alle form- und fristgerechten Äusserungen, Eingaben und Anträge, die zur Klärung der konkreten Streitfrage geeignet und erforderlich erscheinen. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass der Betroffene den Entscheid gegebenenfalls sachgerecht anfechten kann. Sie muss kurz die wesentlichen Überlegungen nennen, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sie ihren Entscheid stützt. Nicht erforderlich ist, dass sich die Begründung mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt (vgl. BGE 136 I 184 E. 2.2.1).

4.3  Die Beschwerdeführerin bringt zunächst vor, die Vorinstanz habe das rechtliche Gehör in Form des Akteneinsichtsrechts verletzt, da ihr die Aktenstücke A6/1, A18/3 und A21/2 nicht editiert worden seien.

Beim Aktenstück A6/1 (Bericht ID-Abklärung) handelt es sich offensichtlich um eine interne Akte. Die Akte A18/3 (Kontrollblatt) diente nur internen Zwecken, um den Empfang für die Aushändigung der ÖV-Tickets und des Passierscheins zu bestätigen. Diese wurde vom Beschwerdeführer zwar unterschrieben, ihm indessen nicht ausgehändigt. Damit hat dieses Blatt keinen Beweischarakter im vorliegenden Dublin-Verfahren. Dasselbe gilt für Akte A21/2 (DubliNET Proof of Delivery), welche eine automatisch, elektronisch ausgelöste Empfangsbestätigung einer Nachricht der Vorinstanz im elektronischen Dublin-Netzwerk enthält. Da diese nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, hat sie keinen Beweiswert.

Die Vorinstanz hat somit das rechtliche Gehör in Form des Akteneinsichtsrechts nicht verletzt. Auf Gewährung der Akteneinsicht im Beschwerdeverfahren in die erwähnten Aktenstücke ist aus den oben erwähnten Gründen zu verzichten. Die entsprechenden Anträge sind abzuweisen.

4.4  Die Beschwerdeführerin beantragt, ihr sei Gelegenheit zu geben, eine Beschwerdeergänzung einzureichen. Die gesetzlichen Voraussetzungen von Art. 53 VwVG zur ergänzenden Beschwerdeschrift (aussergewöhnlicher Umfang, besondere Schwierigkeiten der Beschwerdesache etc.) sind vorliegend offensichtlich nicht erfüllt, weshalb der Antrag abzuweisen ist.

4.5  Die Beschwerdeführerin bringt weiter vor, die Vorinstanz habe ihre persönliche Situation mit keinem Wort erwähnt. In Deutschland sei sie nur zur Durchfahrt gewesen. Sie rügt damit implizit eine Verletzung der Begründungspflicht.

Die Vorinstanz hat die wesentlichen Überlegungen, von denen sie sich hat leiten lassen, genannt. Die persönliche Situation der Beschwerdeführerin wurde in der angefochtenen Verfügung rechtsgenüglich berücksichtigt. Dass sie Deutschland nur zur Durchreise benutzt habe, ist erstens nicht rechtserheblich und zweitens unwahr, zumal aktenkundig ist, dass sie in Deutschland ein Asylgesuch gestellt hat. Darüber hinaus zeigt die vorliegende Beschwerde, dass eine sachgerechte Anfechtung möglich war. Eine Verletzung der Begründungspflicht liegt nicht vor.

4.6  Weiter habe die Vorinstanz nicht gewürdigt, dass sie ihren Ehemann geheiratet habe und diesem in der Schweiz Asyl gewährt worden sei.

Hierbei rügt die Beschwerdeführerin jedoch nicht wie vorgebracht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, sondern die Beweiswürdigung der Vorinstanz, was nachfolgend zu prüfen sein wird.

4.7  Die Beschwerdeführerin rügt zudem, die Vorinstanz habe die Pflicht zur vollständigen und richtigen Abklärung des rechtserheblichen Sachverhaltes verletzt. Sie hätte weitere Abklärungen hinsichtlich ihrer Gefährdung in Deutschland treffen müssen.

Die Vorinstanz hat die Beschwerdeführerin zur Person befragt und ihr das rechtliche Gehör zur Zuständigkeit von Deutschland zur Durchführung des Asyl- und Wegweisungsverfahrens gewährt. Die Beschwerdeführerin substantiiert weiter nicht, inwiefern der Sachverhalt von der Vorinstanz ungenügend festgestellt worden sei beziehungsweise inwiefern ihre Sicherheit in Deutschland nicht gewährleistet sei. Die Notwendigkeit weiterer Abklärungen ist auch nicht ersichtlich, genauso wenig wie eine Gefährdung der Sicherheit der Beschwerdeführerin in Deutschland. Der rechtserhebliche Sachverhalt wurde von der Vorinstanz vorliegend vollständig und richtig festgestellt.

4.8  Zusammenfassend liegt weder eine Verletzung des rechtlichen Gehörs noch des Untersuchungsgrundsatzes vor. Für eine Rückweisung der Sache an die Vorinstanz besteht nach dem Gesagten kein Anlass.
 

5.   

5.1  Gemäss Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG tritt das SEM auf ein Asylgesuch in der Regel nicht ein, wenn Asylsuchende in einen Drittstaat ausreisen können, welcher für die Durchführung des Asyl- und Wegweisungsverfahrens staatsvertraglich zuständig ist. Jeder Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin-III-VO). Im Fall eines sogenannten Aufnahmeverfahrens (engl.: take charge) sind die in Kapitel III (Art. 8-15 Dublin-III-VO) genannten Kriterien in der dort aufgeführten Rangfolge (Prinzip der Hierarchie der Zuständigkeitskriterien; vgl. Art. 7 Abs. 1 Dublin-III-VO) anzuwenden, und es ist von der Situation im Zeitpunkt, in dem der Antragsteller erstmals einen Antrag in einem Mitgliedstaat gestellt hat, auszugehen (Art. 7 Abs. 2 Dublin-III-VO; vgl. BVGE 2012/4 E. 3.2; Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, Wien 2014, K4 zu Art. 7). Im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens (engl.: take back) findet demgegenüber grundsätzlich keine (erneute) Zuständigkeitsprüfung nach Kapitel III statt (BVGE 2012/4 E. 3.2.1 m.w.H.).

5.2  Gemäss Art. 18 Abs. 1 Bst. b Dublin-III-VO ist der zuständige Mitgliedstaat verpflichtet, einen Antragsteller, der während  der Prüfung seines Antrages in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Massgabe der Art. 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen

5.3  Abweichend von Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO kann jeder Mitgliedstaat beschliessen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist (Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO; sog. Selbsteintrittsrecht).

6.   

6.1  Die Vorinstanz hält in der angefochtenen Verfügung fest, ein Abgleich der Fingerabdrücke mit der Zentraleinheit «Eurodac» habe ergeben, dass die Beschwerdeführerin am 10. August 2016 in Deutschland ein Asylgesuch eingereicht habe. Die deutschen Behörden hätten das Ersuchen der Schweiz um Übernahme der Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 18 Abs. 1 Bst. b Dublin-III-VO gutgeheissen. Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asyl- und Wegweisungsverfahrens liege somit bei Deutschland. Konkrete Anhaltspunkte, dass Deutschland seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht nachkomme, würden keine vorliegen. Im deutschen Asyl- und Aufnahmesystem würden keine systemischen Mängel vorliegen. Die Artikel 9 bis 11 der Dublin-III-VO seien im vorliegenden Wiederaufnahmeverfahren nicht anwendbar und die Voraussetzungen für Art. 8 EMRK würden offensichtlich nicht vorliegen. Für eine Anwendung der Souveränitätsklausel gebe es keine Gründe.

6.2  Die Beschwerdeführerin wendet dagegen ein, die Vorinstanz habe die Artikel 9 bis 11 der Dublin-III-VO zu Unrecht nicht angewendet. Ausserdem sei offensichtlich, dass sie und ihr Ehemann eine dauerhafte Beziehung führen würden. Zudem hätte die Vorinstanz von der Möglichkeit des Selbsteintritts aus humanitären Gründen Gebrauch machen sollen. Insgesamt seien die Voraussetzungen für einen Nichteintretensentscheid nicht erfüllt.

6.3  Ein Abgleich der Personendaten der Beschwerdeführerin mit der «Eurodac»-Datenbank ergab, dass sie am 10. August 2016 in Deutschland ein Asylgesuch gestellt hatte. Das vorliegend zu behandelnde Gesuch vom 5. September 2016 ist das zweite Asylgesuch der Beschwerdeführerin in einem Dublin-Mitgliedstaat. Es handelt sich somit um eine take back-Konstellation, bei der grundsätzlich keine erneute Zuständigkeitsprüfung nach Kapitel III der Dublin-III-VO stattfindet (vgl. BVGE 2012/4 E. 3.2.1 m.w.H.). Auf die entsprechenden Erwägungen in der Beschwerdeschrift zur Anwendung von Art. 9 Dublin-III-VO ist folglich nicht weiter einzugehen, zumal Art. 9 Dublin-III-VO von Art. 7 Abs. 3 Dublin-III-VO nicht erfasst wird. Die Vorinstanz stellte bei den deutschen Behörden zu Recht gestützt auf Art. 18 Abs. 1 Bst. b Dublin-III-VO ein Gesuch um Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin. Dieses wurde am 26. Oktober 2016 gutgeheissen. Die grundsätzliche Zuständigkeit Deutschlands für die Durchführung des Asylverfahrens ist damit gegeben. Anzeichen für systemische Mängel im Asyl- und Aufnahmeverfahren Deutschlands liegen keine vor, weshalb auch auf die Einholung von individuellen Garantien zu verzichten ist. Der diesbezügliche Antrag ist abzuweisen.

6.4  Gemäss ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts kann sich eine Person auf den Schutz des Familienlebens nach Art. 8 EMRK dann berufen, wenn sie sich auf eine Beziehung zu einer Person mit gefestigtem Aufenthaltsrecht in der Schweiz bezieht (vgl. statt vieler BGE 135 I 143, mit weiteren Hinweisen). Unter dem Aspekt von Art. 17 Dublin-III-VO ist Art. 8 EMRK zu berücksichtigen, soweit eine tatsächlich gelebte Beziehung besteht, wobei diesbezüglich als wesentliche Faktoren das gemeinsame Wohnen respektive der gemeinsame Haushalt, die finanzielle Verflochtenheit, die Länge und Stabilität der Beziehung sowie das Interesse und die Bindung der Partner aneinander zu beachten sind.

6.5  In Übereinstimmung mit den vorinstanzlichen Erwägungen gelangt das Bundesverwaltungsgericht zur Auffassung, dass bei der Beziehung der Beschwerdeführerin zu ihrem angeblichen Ehemann (B._______) nicht von einer dauerhaften Partnerschaft gesprochen werden kann. Gemäss den Angaben der Beschwerdeführerin habe sie ihren Ehemann am (...) geheiratet. An der standesamtlichen Trauung seien beide Ehegatten nicht anwesend gewesen. Dies habe ein Anwalt für sie erledigt. Im (...) hätten sie religiös geheiratet. Auch bei dieser Trauung seien sie beide nicht zugegen gewesen. Ihre Eltern hätten dies mit einem Imam erledigt. Die Trauung sei telefonisch durchgeführt worden. Sie habe ihren Ehemann online kennengelernt und sie hätten via Messenger-Dienste und auch telefonisch Kontakt gehabt. Im (...) sei er sie für eine Woche in der Türkei besuchen gekommen (SEM-Akten, A11/14 S. 3 ff.). Die Beschwerdeführerin und ihr angeblicher Ehemann haben somit noch nie zusammen gewohnt, führen keinen gemeinsamen Haushalt und sind finanziell nicht verflochten. Auch besteht die angebliche Bindung erst seit kurzem. Unter diesen Umständen kann offensichtlich nicht auf eine gefestigte Beziehung geschlossen werden. Somit kann offen gelassen werden, ob die Ehe zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem angeblichen Ehemann gültig geschlossen und amtlich registriert worden ist. Die Kriterien der Rechtsprechung für eine Berufung auf Art. 8 EMRK sind ohnehin nicht erfüllt. Nach dem Gesagten ist die Überstellung der Beschwerdeführerin nach Deutschland mit Art. 8 EMRK vereinbar und es besteht kein Grund für eine Anwendung der Ermessensklausel von Art. 17 Dublin-III-VO. Aus der eingereichten Hochzeitseinladung und den Fotos ihres Hochzeitsfestes kann die Beschwerdeführerin nichts zu ihren Gunsten ableiten.

6.6  Schliesslich ist festzuhalten, dass der Vorinstanz bei der Anwendung von Art. 29a Abs. 3 der Asylverordnung 1 vom 11. August 1999 (AsylV 1, SR 142.311) Ermessen zukommt (vgl. BVGE 2015/9 E. 7 f.) und den Akten keine Hinweise auf eine gesetzeswidrige Ermessensausübung (vgl. Art. 106 Abs. 1 Bst. a AsylG) durch die Vorinstanz zu entnehmen sind.

6.7  Die Vorinstanz ist somit zutreffend von der Zuständigkeit Deutschlands ausgegangen und in Anwendung Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG auf das Asylgesuch der Beschwerdeführerin zu Recht nicht eingetreten. Für einen Selbsteintritt der Schweiz besteht kein Anlass. Allfällige Vollzugshindernisse sind nicht mehr zu prüfen, da das Fehlen von Wegweisungsvollzugshindernissen bereits Voraussetzung des Nichteintretensentscheides gemäss Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG ist (BVGE 2010/45 E. 10).

7. 
Zusammenfassend verletzt die angefochtene Verfügung kein Bundesrecht und ist auch sonst nicht zu beanstanden (Art. 106 AsylG). Die Beschwerde ist abzuweisen.

Die Gesuche um Gewährung der aufschiebenden Wirkung und Vollzugsstopp sind mit dem vorliegenden Entscheid gegenstandslos geworden.

8.   

8.1  Die Beschwerdeführerin beantragt die Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung gemäss Art. 65 Abs. 1 VwVG. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass ihre Begehren als aussichtslos zu gelten haben. Damit ist eine der kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen nicht gegeben, weshalb dem Gesuch nicht stattzugeben ist.

8.2  Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG) und auf insgesamt Fr. 600.- festzusetzen (Art. 1-3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]).

Der Antrag auf Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses ist mit dem vorliegenden Entscheid gegenstandslos geworden.

(Dispositiv nächste Seite)


Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Verfahrenskosten von Fr. 600.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zu Gunsten der Gerichtskasse zu überweisen.

3. 
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführerin, das SEM und die zuständige kantonale Behörde.

 

Der vorsitzende Richter:

Der Gerichtsschreiber:

 

 

Daniel Willisegger

Pascal Waldvogel

 

 

Versand:

 

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