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Abteilung V

E-5983/2015

 

 

 

 

 

Urteil vom 15. November 2017

Besetzung

 

Richter David R. Wenger (Vorsitz),

Richterin Daniela Brüschweiler,

Richterin Regula Schenker Senn,

Richter François Badoud,

Richter Markus König;

Gerichtsschreiber Arthur Brunner.

 

 

 

Parteien

 

A._______, geboren am (...),

Somalia, 

vertreten durch Christian Wyss, Fürsprecher,

Beschwerdeführer,

 

 

 

gegen

 

 

Staatssekretariat für Migration (SEM;

zuvor Bundesamt für Migration, BFM),

Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

 

 

 

Gegenstand

 

Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft / Asylwiderruf;

Verfügung des SEM vom 25. August 2015 / N (...).

 

 

 


Sachverhalt:

A. 
Der Beschwerdeführer gelangte am 20. Januar 1999 in die Schweiz und stellte gleichentags ein Asylgesuch. Mit Verfügung vom 26. Juli 1999 stellte das damalige Bundesamt für Flüchtlinge (BFF, heute Staatssekretariat für Migration [SEM]) fest, der Beschwerdeführer erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht, wies sein Asylgesuch ab und verfügte die Wegweisung aus der Schweiz. Gleichzeitig schob es den Wegweisungsvollzug zugunsten einer vorläufigen Aufnahme auf.

B. 
Am 28. Januar 2000 heiratete der Beschwerdeführer in der Schweiz die somalische Staatsangehörige B._______, welcher das BFF mit Verfügung vom 15. Dezember 1993 Asyl gewährt hatte. Am 11. Januar 2001 wurde dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Verehelichung mit B._______ derivativ die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt und Asyl gewährt.

C. 
Anlässlich einer Ausreisepasskontrolle am Flughafen Zürich stellte die Kantonspolizei Zürich am 10. Mai 2015 fest, dass der Beschwerdeführer über Istanbul nach Mogadischu zu fliegen beabsichtigte. Anlässlich der Ausreisepasskontrolle machte der Beschwerdeführer geltend, er wolle in Mogadischu nur transitieren, um weiter nach Nairobi zu fliegen, konnte indes kein Anschlussticket von Mogadischu nach Nairobi vorweisen. Die Kantonspolizei Zürich teilte dem Staatssekretariat für Migration (SEM) diesen Sachverhalt am 12. Mai 2015 zur weiteren Bearbeitung mit.

D. 
Mit Schreiben vom 12. Juni 2015 gewährte das SEM dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör im Hinblick auf eine eventuelle Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und den damit verbundenen Asylwiderruf.

E. 
Mit Eingabe vom 20. August 2015 nahm der Beschwerdeführer durch seinen damaligen Rechtsvertreter innert erstreckter Frist Stellung und beantragte, auf die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und den Asylwiderruf zu verzichten. Er brachte sinngemäss vor, er habe zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt nach Mogadischu zu reisen. Im Zeitpunkt der Ausreisepasskontrolle sei er davon ausgegangen, im Besitze eines Flugtickets von Zürich via Istanbul nach Nairobi zu sein. Dass er fälschlicherweise ein Ticket nach Mogadischu gebucht habe, sei darauf zurückzuführen, dass er Mühe gehabt habe, sich mit der zuständigen Reiseberaterin im (...)  zu verständigen. Die Ausführungen im Grenzkontrollrapport, wonach der Beschwerdeführer in Mogadischu nur habe transitieren wollen, seien falsch. Der Beschwerdeführer sei anlässlich der Ausreisepasskontrolle immer noch der Auffassung gewesen, ein Ticket für Nairobi zu besitzen. Erst in Istanbul habe er realisiert, dass er fälschlicherweise einen Flug nach Mogadischu gebucht hatte. In der Folge habe er ein neues Flugticket von Istanbul nach Nairobi erworben, von wo er auch wieder in die Schweiz zurückgereist sei. Zur Stützung seiner Behauptung, nie in Mogadischu gewesen, sondern direkt nach Nairobi gelangt zu sein, brachte er seinen Reisepass mit einem Visum beziehungsweise Einreisestempel der kenianischen Immigrationsbehörden vom 12. Mai 2015 sowie eine Quittung für das Rückflugticket von Nairobi via Istanbul nach Zürich bei. Zudem reichte er zur Dokumentation der Verständigungsschwierigkeiten des Beschwerdeführers ein Schreiben der zuständigen Reiseberaterin des (...) vom 22. Juni 2015 zu den Akten.

F. 
Mit Verfügung vom 25. August 2015 - eröffnet am 26. August 2015 - aberkannte das Staatssekretariat für Migration (SEM) dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft und widerrief das ihm gewährte Asyl. Das SEM begründete seinen Entscheid im Wesentlichen damit, aufgrund der Aktenlage sei davon auszugehen, dass Mogadischu die Endstation der Reise des Beschwerdeführers gewesen sei und dieser somit in der Absicht gehandelt habe, sich erneut dem Schutz seines Heimatstaates zu unterstellen. Da keine Hinweise ersichtlich seien, dass Somalia ihm die Einreise verweigert hätte, sei anzunehmen, dass die Schutzgewährung durch den Heimatstaat auch tatsächlich erfolgt sei. Die Voraussetzungen für die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und den Widerruf des Asyls seien damit gegeben. Die Ausführungen in der Eingabe vom 20. August 2015 seien aus verschiedenen Gründen nicht glaubhaft und die eingereichten Beweismittel seien nicht geeignet, die Vermutung zu entkräften, dass der Beschwerdeführer in seinen Heimatstaat zurückgekehrt sei.

G. 
Mit Eingabe vom 2. September 2015 stellte der Beschwerdeführer - nunmehr vertreten durch den oben rubrizierten Rechtsvertreter - beim SEM ein Gesuch um Akteneinsicht. Mit Schreiben vom 10. September 2015 kam das SEM diesem Gesuch im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben nach.

H. 
Mit Eingabe vom 24. September 2015 erhob der Beschwerdeführer durch den oben rubrizierten Rechtsvertreter Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht und beantragte die Aufhebung der angefochtenen Verfügung. Eventualiter sei die Sache zur vertieften Abklärung des Sachverhalts an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Der Beschwerdeführer brachte in der Eingabe im Wesentlichen vor, er habe im Mai 2015 seine Frau in Kenia besuchen wollen und hierfür ein Flugticket gebucht. Aufgrund von Verständigungsschwierigkeiten mit der zuständigen Reiseberaterin des (...) habe er fälschlicherweise einen Flug von Zürich über Istanbul nach Mogadischu anstatt nach Nairobi gebucht. Er habe deshalb drei Tage vor seinem Abflug ein Anschlussticket von Mogadischu nach Nairobi gebucht und sich vor seinem Weiterflug von Mogadischu nach Nairobi am Morgen des 11. Mai 2015 insgesamt nur zwei bis drei Stunden im Flughafen von Mogadischu aufgehalten. Während dieses Aufenthalts habe er den internationalen Transit-Bereich des Flughafens nicht verlassen, weshalb sich auch keine Ein- oder Ausreisestempel der somalischen Behörden im Pass des Beschwerdeführers befänden. Der Flughafen von Mogadischu werde überdies von Blauhelmsoldaten der Vereinten Nationen (UNO) bewacht. Der somalische Staat habe keinen wesentlichen hoheitspolizeilichen Einfluss auf den internationalen Transitbereich. Aus den Akten ergebe sich nicht, dass der Beschwerdeführer sich unter den Schutz der heimatlichen Behörden habe stellen wollen beziehungsweise sich effektiv unter deren Schutz gestellt habe. Nach seinem kurzen Transitaufenthalt habe sich der Beschwerdeführer nicht mehr nach Somalia begeben, sondern bis zu seiner Rückreise in die Schweiz (von Nairobi via Istanbul nach Zürich) ausschliesslich in Kenia aufgehalten. Der Beschwerdeführer reichte zur Glaubhaftmachung dieses Sachverhalts neben den - soweit relevant - bereits erwähnten Akten unter anderem folgende Beweismittel ein:

-        einen Internetauszug über die Flugzeiten des Fluges TK686 (Istanbul-Mogadischu),

-        einen Onlineausdruck eines elektronischen Flugtickets Mogadischu-Nairobi vom 11. Mai 2015, sowie

-        Belege über Bankbezüge in Kenia im Juni 2015.

I. 
Mit Zwischenverfügung vom 29. September 2015 ordnete der zuständige Instruktionsrichter den Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses an und lud das SEM gleichzeitig ein, eine Vernehmlassung zur Beschwerde vom 24. September 2015 einzureichen.

J. 
Am 5. Oktober 2015 liess sich das SEM zur Beschwerde vom 24. September 2015 vernehmen. Es hielt im Wesentlichen fest, die Aussagen des Beschwerdeführers wiesen innere Widersprüche auf. So habe er in der Eingabe vom 20. August 2015 geäussert, anlässlich der Ausreisekontrolle am Flughafen Zürich nach wie vor nicht die Absicht gehabt zu haben, nach Mogadischu zu reisen. In der Beschwerdeschrift habe er hingegen verlauten lassen, er habe das Ticket von Mogadischu nach Nairobi bereits am 8. Mai 2015 gebucht. Es stelle sich im Übrigen die Frage, weshalb der Beschwerdeführer das Ticket von Mogadischu nach Nairobi den Grenzbeamten nicht habe vorweisen können, obwohl er es nach eigenen Angaben bereits vor seiner Ausreise aus der Schweiz erworben habe. Es sei nicht nur die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers insgesamt infrage zu stellen, sondern auch die Authentizität der eingereichten Buchungsbestätigung, zumal diese dem Beschwerdeführer erst am 18. September 2015 - also rund drei Monate nach dem Flugdatum und während der laufenden Beschwerdefrist - per E-Mail zugestellt worden sei.

K. 
Am 7. Oktober 2015 stellte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer die Vernehmlassung vom 5. Oktober 2015 zur Kenntnisnahme zu. Mit Eingabe vom 12. Oktober 2015 bemerkte der Beschwerdeführer zur Vernehmlassung, der Sohn des Beschwerdeführers habe für diesen am 8. Mai 2015 den Flug vom 11. Mai 2015 von Nairobi nach Mogadischu reserviert. Weil es sich um eine elektronische Reservation gehandelt habe, habe der Beschwerdeführer kein Papierdokument bei sich gehabt, das er bei der Ausreisepasskontrolle vom 10. Oktober 2015 hätte vorweisen können. Im Übrigen behaupte die Vorinstanz nicht, der Transit in der internationalen Zone des Flughafens Mogadischu sei als "Unterschutzstellung" im Sinne der Flüchtlingskonvention zu betrachten.

L. 
Mit Eingabe vom 7. April 2016 ersuchte der Beschwerdeführer um Gewährung der aufschiebenden Wirkung und beantragte, ihm für die Dauer des Verfahrens zum Besuch von Verwandten in den Niederlanden, in England und in Irland den eingezogenen Flüchtlingspass auszuhändigen. Zudem reichte der Rechtsvertreter eine Kostennote ein.

 

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1. 
Gemäss Art. 31 VGG ist das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung von Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG zuständig und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel - wie auch vorliegend - endgültig (Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG; Art. 105 AsylG [SR 142.31]). Der Beschwerdeführer ist als Verfügungsadressat zur Beschwerdeführung legitimiert (Art. 48 VwVG). Auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten (Art. 108 Abs. 1 AsylG und Art. 52 Abs. 1 VwVG.

2. 
Dieses Urteil ergeht in Anwendung von Art. 21 Abs. 2 und Art. 25 Abs. 2 VGG in Verbindung mit Art. 32 Abs. 2 und 3 des Geschäftsreglements vom 17. April 2008 für das Bundesverwaltungsgericht (VGR, SR 173.320.1) in Besetzung mit fünf Richterinnen beziehungsweise Richtern.

3. 
Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht (einschliesslich Missbrauch und Überschreiten des Ermessens) sowie die unrichtige und unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).

4.   

4.1  Gemäss Art. 63 Abs. 1 Bst. b AsylG wird die Flüchtlingseigenschaft aberkannt und das Asyl widerrufen, wenn Gründe nach Art. 1 C Ziff. 1 - 6 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK, SR 0.142.30) vorliegen. Art. 1 C FK beinhaltet die Beendigungsklauseln betreffend den Flüchtlingsstatus. Namentlich fällt eine Person nicht mehr unter die Bestimmungen der FK und endet ihr Flüchtlingsstatus, wenn sie sich freiwillig wieder unter den Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, gestellt hat (Art. 1 C Ziff. 1 FK).

4.2  Der Widerrufsgrund von Art. 63 Abs. 1 Bst. b AsylG war bereits im Asylgesetz vom 5. Oktober 1979 in der heutigen Form enthalten (vgl. dort Art. 41 Abs. 1 Bst. b). In der Botschaft zum Entwurf für das Asylgesetz vom 5. Oktober 1979 führte der Bundesrat zu dieser Vorschrift aus, dass "Reisen [...] in das Land, aus dem man fliehen musste, mit den Gründen, welche die Flucht veranlasst haben, unvereinbar sind" (BBl 1977 III, S. 145). Es handle sich hier um einen klaren, unmissverständlichen Grundsatz, der mit der FK kompatibel sei. Der bundesrätliche Entwurf wurde in der Folge ohne grössere Beratungen im Parlament angenommen (vgl. zur Beratung im Ständerat Amtliches Bulletin der Bundesversammlung [AB] 1978 II 81; zur Beratung im Nationalrat AB 1978 VII 1876). In der Praxis wurde die Bestimmung als Automatismus verstanden, indem bei Heimatreisen ohne Rücksicht auf die Beweggründe und Umstände im Einzelfall eine Unterschutzstellung angenommen wurde, welche zum Widerruf des Asyls führte. Das Bundesgericht schützte diese Praxis: Selbst wenn ein Flüchtling nur für kurze Zeit in sein Heimatland zurückkehre, könne er nicht mehr geltend machen, auf den Flüchtlingsstatus und das Asyl angewiesen zu sein; eine Ausnahme hiervon könne nur gemacht werden, wenn der Widerruf des Asyls die betroffene Person unverhältnismässig stark treffen würde (BGE 110 Ib 208 E. 6 S. 211 f.).

 

4.3  In einem 1996 ergangenen Entscheid lockerte die ehemalige Asylrekurskommission (ARK) die bis dato bestehende Praxis (EMARK 1996 Nr. 12). Wenn jemand sich zurück in den Verfolgerstaat begebe, stelle dies zwar ein starkes Indiz dar, dass die frühere Verfolgungssituation oder die Furcht vor Verfolgung nicht mehr bestehe. Es seien aber Fälle denkbar, in denen aus bestimmten Gründen das Risiko, wieder einer Verfolgungssituation ausgesetzt zu sein, auf sich genommen beziehungsweise bewusst zu vermeiden versucht werde. Es könne daher nicht daran festgehalten werden, dass eine Heimatreise praktisch ausnahmslos zum Widerruf des Asyls und zur Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft führen müsse.

Für den Widerruf des Asyls müsse der Flüchtling erstens freiwillig in Kontakt mit seinem Heimatland getreten sein, er müsse zweitens beabsichtigt haben, von seinem Heimatland Schutz in Anspruch zu nehmen, und drittens müsse ihm dieser Schutz auch tatsächlich gewährt worden sein (siehe EMARK 1996 Nr. 12 E. 4b und 7). Der Wortlaut des Urteils - insbesondere die Anknüpfung an eine potentielle zukünftige Verfolgungssituation - lässt erkennen, dass die Voraussetzungen für den Widerruf des Asyls nach einer teleologischen Auslegung zumindest auch am Schutzbedürfnis der betreffenden Person zu messen sind. Die Heimatreise einer Person, welche in ihrem Heimatland selbst einer asylrechtlich relevanten Verfolgung ausgesetzt war, führt demnach gerade deshalb nicht automatisch zum Asylwiderruf, weil aus der Heimatreise nicht zwingend der Wegfall des Schutzbedürfnisses abgeleitet werden kann.

 

4.4  Es stellt sich aufgrund der Anknüpfung an das Schutzbedürfnis die Frage, ob Personen wie der Beschwerdeführer, denen die Flüchtlingseigenschaft und der Asylstatus gestützt auf Art. 51 Abs. 1 AsylG derivativ zugesprochen worden sind, im Hinblick auf die Anwendung von Art. 1 C Ziff. 1 FK anders zu behandeln sind als Flüchtlinge, denen aufgrund selbst erlittener Verfolgung Asyl gewährt worden ist.

 

Das Institut des Familienasyls (Art. 51 Abs. 1 AsylG) verfolgt zwei Ziele: Einerseits trägt es dem Recht auf Familienleben Rechnung (Art. 8 EMRK), indem eine Familienzusammenführung ermöglicht wird. Anderseits - und in erster Linie - dient es aber dem Schutz von Familienmitgliedern eines Flüchtlings, weil sie im Sinne einer Reflexverfolgung selber ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sein könnten (vgl. Caroni/Grasdorf-Meyer/Ott/Scheiber, Migrationsrecht, 3. Aufl. 2014, S. 286 sowie Nguyen, Ziff. 5-11 zu Art. 51 AsylG, in: Amarelle/Nguyen [Hrsg.], Code annoté de droit des migrations, Vol. IV: Loi sur l`asile, Bern 2015). Aufgrund dieser Rechtsfiktion des Schutzbedürfnisses vor Reflexverfolgung von Familienangehörigen von Flüchtlingen unterscheidet die schweizerische Asylpraxis lediglich im Hinblick auf die Entstehung des Flüchtlingsstatus zwischen originärer und derivativer Flüchtlingseigenschaft, nicht jedoch in Bezug auf die Rechtsstellung (vgl. EMARK 2003/11 E. 8c).

Im Hinblick auf die Anwendung von Art. 1 C Ziff. 1 FK ist daher im Grundsatz kein Unterschied zwischen Personen mit originär erlangter Flüchtlingseigenschaft und solchen mit derivativ erlangter Flüchtlingseigenschaft zu machen. Auch die derivativ erlangte Flüchtlingseigenschaft kann nur unter den Voraussetzungen von Art. 1 C FK  aberkannt werden (vgl. auch Urteil des BVGer E-7826/2006 vom 8. September 2010 E. 5.1). Gleiches gilt mit Blick auf den Widerruf des Asyls (Art. 63 Abs. 1 Bst. b AsylG). Es müssen mithin für die Anwendung von Art. 1 C Ziff. 1 FK alle drei von der Rechtsprechung vorausgesetzten Kriterien erfüllt sein: Der Beschwerdeführer muss erstens freiwillig in Kontakt mit seinem Heimatland getreten sein, er muss zweitens beabsichtigt oder zumindest in Kauf genommen haben, von seinem Heimatland Schutz in Anspruch zu nehmen, und drittens muss ihm dieser Schutz auch tatsächlich gewährt worden sein (vgl. BVGE 2010/17 E. 5.1.1 m.w.H.). Lediglich im Rahmen der Prüfung der letztgenannten Frage der effektiven Schutzgewährung kann dem Umstand Rechnung getragen werden, dass eine Person den Flüchtlingsstatus und das Asyl nicht originär, sondern lediglich derivativ erworben und insofern keine persönliche Verfolgung durch ihren Heimatstaat erlitten hat.

 

5. 
Im Folgenden ist zu prüfen, wie der vorliegende Fall nach den eben dargelegten Kriterien zu beurteilen ist, wobei zunächst die bereits dargelegten Vorbringen des Beschwerdeführers (vgl. oben, Bst. E, H, K) im Hinblick auf den rechtserheblichen Sachverhalt zu würdigen sind.

 

5.1  In Frage zu stellen ist aufgrund des nach Mogadischu gebuchten Fluges schon die Behauptung des Beschwerdeführers, er habe gar nie nach Mogadischu fliegen wollen, sondern von Anfang an beabsichtigt, nach Nairobi zu gelangen. Die eingereichten Schreiben der Reiseberaterin von TUI und des Arztes des Beschwerdeführers vermögen das angebliche Missverständnis nicht glaubhaft zu machen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer selbst bei Verständigungsschwierigkeiten in der Lage war, sein Reiseziel mitzuteilen, zumal für diese Mitteilung keine Deutschkenntnisse erforderlich sind. Entsprechend ist ganz grundsätzlich davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer nach Mogadischu zu fliegen beabsichtigte.

Die Nachforschungen des Gerichts haben weiter ergeben, dass am 11. Mai 2015 zwar ein Flug der kenianischen Fluggesellschaft Fly SAX (IATA-Code B5) von Nairobi nach Mogadischu stattgefunden hat. Das Flugzeug ist gemäss den verfügbaren Daten um 11 Uhr in Mogadischu gelandet und danach um 11.45 Uhr weitergeflogen, allerdings nicht nach Nairobi, sondern nach Wajir im Nordosten Kenias. Dasselbe Flugzeug ist schliesslich um 13.30 Uhr von Wajir nach Nairobi weitergeflogen (vgl. die öffentlich zugänglichen Daten auf <www.flightstats.com>, zuletzt abgerufen am 9. Mai 2016). Einen Direktflug von FlySAX von Mogadischu nach Nairobi gab es nicht. Weder aus der Beschwerde noch aus dem eingereichten elektronischen Ticket ergeben sich Hinweise darauf, dass der Beschwerdeführer über Wajir nach Nairobi gelangt ist.

Weitere Zweifel entstehen, weil der Beschwerdeführer die eingereichte elektronische Buchungsbestätigung erst am 18. September 2015 per
E-Mail erhalten hat - von einem Reisebüro, das ausser einer Facebook-Webseite keine Internetpräsenz aufweist und auch telefonisch unter der angegebenen Nummer nicht erreichbar ist. Gegen die Tatsachendarstellung des Beschwerdeführers spricht weiter, dass der kenianische Einreisestempel im Pass des Beschwerdeführers nicht vom 11. Mai 2015, sondern vom 12. Mai 2015 datiert. Überdies reicht der Beschwerdeführer Bankauszüge lediglich für die Zeit nach dem 1. Juni 2015 ein. Seine Bezugsaktivitäten für die Zeit im Mai sind hingegen nicht dokumentiert.

Schliesslich ist für die Würdigung der Tatsachenbehauptungen des Beschwerdeführers zu berücksichtigen, dass er im Laufe des Verfahrens stark widersprüchliche Angaben gemacht hat. Zunächst behauptete er, in Mogadischu nur transitieren zu wollen (Ausreisepasskontrolle vom 10. Mai 2015). Dann behauptete er, gar nie nach Mogadischu geflogen zu sein, sondern einen Direktflug von Istanbul nach Nairobi genommen zu haben (Eingabe vom 20. August 2015). Auf Beschwerdeebene brachte er schliesslich wieder vor, die internationale Transitzone am Flughafen von Mogadischu nicht verlassen zu haben und direkt nach Nairobi weitergeflogen zu sein (Beschwerde vom 24. September 2015). Diese offenkundigen Widersprüche, welche auch auf Beschwerdeebene nicht nachvollziehbar erklärt werden, stellen die Glaubhaftigkeit der Aussagen des Beschwerdeführers ganz allgemein in Frage.

5.2  Bei dieser Aktenlage geht das Gericht davon aus, dass der Beschwerdeführer sich länger als behauptet, zumindest aber - die Echtheit des kenianischen Einreisestempels vom 12. Mai 2015 vorausgesetzt - einen Tag in Mogadischu beziehungsweise in seinem Heimatland Somalia aufgehalten hat. Durch die eingereichten Bankauszüge und Arztzeugnisse erstellt ist lediglich, dass der Beschwerdeführer sich ab dem 1. Juni 2015 in Nairobi aufgehalten hat. Insgesamt geht das Gericht deshalb wie die Vor-instanz von einer freiwilligen Heimatreise des Beschwerdeführers aus.

5.3  Bei der Prüfung der Frage, ob mit der freiwilligen Heimatreise auch eine Unterschutzstellung in Kauf genommen worden ist, muss unter anderem berücksichtigt werden, ob die Heimatreise heimlich oder offiziell erfolgt ist und ob dabei die Reisepapiere des Heimatstaates verwendet worden sind (vgl. EMARK 1996 Nr. 12 E. 8b).

Vorliegend ist der Beschwerdeführer unter Verwendung seiner Ausweispapiere und damit auch unter Bekanntgabe seines Namens nach Somalia gereist und hat sich dort zumindest einen Tag lang aufgehalten. Damit hat er sich wieder unter den Schutz seines Heimatstaates gestellt beziehungsweise eine Unterschutzstellung zumindest in Kauf genommen, zumal er davon ausgehen musste, dass er für den Transit am Flughafen Mogadischu eine Identitätskontrolle der heimatlichen Behörden würde durchlaufen müssen. Daran vermag auch das Argument des Beschwerdeführers nichts zu ändern, dass UN-Truppen die Sicherheit des Flughafens Mogadischu gewährleisten sollen, zumal er nicht behauptet, vor seiner Reise in irgendeiner Art und Weise abgeklärt zu haben, ob er am Flughafen Mogadischu mit den Heimatbehörden in Kontakt kommen würde.

5.4  Im vorliegenden Fall bestehen schliesslich keine Hinweise darauf, dass die somalischen Behörden dem Beschwerdeführer den von ihm in Kauf genommenen Schutz verweigert hätten. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass er lediglich derivativ als Flüchtling anerkannt worden ist und Asyl erhalten hat. In der Verfügung des damaligen BFF vom 26. Juli 1999 wird nachvollziehbar ausgeführt, dass die Vorbringen des Beschwerdeführers, er sei aufgrund des somalischen Bürgerkriegs gefährdet, nicht asylrelevant waren. Eine mit Blick auf den Asylwiderruf relevante Schutzbedürftigkeit könnte sich folglich lediglich aus der Verheiratung des Beschwerdeführers mit einer tatsächlich verfolgten somalischen Frau und einer damit verbundenen Reflexverfolgung ergeben. Der Beschwerdeführer hat allerdings weder eine aktuelle Verfolgungsgefahr dargetan noch ergibt sich eine solche aus den Akten. Durch seine freiwillige Heimatreise hat er mit anderen Worten zum Ausdruck gebracht, dass er in Somalia keine Verfolgungshandlungen (mehr) zu befürchten hat. Vor diesem Hintergrund führt die dokumentierte Heimatreise des Beschwerdeführers gestützt auf Art. 63 Abs. 1 Bst. b AsylG i.V.m. Art. 1 C Ziff. 1 FK ohne weiteres zur Aberkennung seiner Flüchtlingseigenschaft und zum Widerruf des Asyls. Aus den Akten ergeben sich nämlich keine Hinweise darauf, dass die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und der Widerruf des Asyls den Beschwerdeführer unverhältnismässig stark treffen würden, zumal er in der Schweiz über die Niederlassungsbewilligung verfügt und somit eine Wegweisung nicht zum Thema werden dürfte.

6. 
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung Bundesrecht nicht verletzt, den rechtserheblichen Sachverhalt richtig und vollständig feststellt und - soweit überprüfbar - angemessen ist (Art. 106 AsylG). Die Beschwerde ist demnach abzuweisen.

 

7. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten von Fr. 750.-
(Art. 1-3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]) dem Beschwerdeführer aufzuerlegen.

(Dispositiv nächste Seite)


Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Verfahrenskosten von Fr. 750.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zugunsten der Gerichtskasse zu überweisen. 

3. 
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die zuständige kantonale Behörde.

 

Der vorsitzende Richter:

Der Gerichtsschreiber:

 

 

David R. Wenger

Arthur Brunner

 

 

 

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