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Abteilung V

E-4858/2014

 

 

 

 

 

Urteil vom 25. August 2016

Besetzung

 

Richterin Regula Schenker Senn (Vorsitz),

Richter Daniele Cattaneo, Richterin Gabriela Freihofer,  

Gerichtsschreiberin Simona Risi.

 

 

 

Parteien

 

A._______, geboren am (...)

(Beschwerdeführerin 1),

B._______, geboren am (...)

(Beschwerdeführer 2),

C._______, geboren am (...)

(Beschwerdeführerin 3),

D._______, geboren am (...)

(Beschwerdeführer 4),

X._______ [Nationalität], 

alle vertreten durch Dipl.-Jur. Tilla Jacomet,

HEKS Rechtsberatungsstelle für Asylsuchende SG/AI/AR,

Beschwerdeführende,

 

 

 

gegen

 

 

Staatssekretariat für Migration (SEM)

(zuvor Bundesamt für Migration, BFM),

Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

 

 

 

Gegenstand

 

Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylwiderruf;

Verfügung des BFM vom 4. August 2014 / N (...).

 


Sachverhalt:

A.  

A.a Am 25. November 2002 suchte der Ehemann der Beschwerdeführerin 1 (Vater der Beschwerdeführenden 2-4), E._______, Staatsangehöriger Y._______s, in der Schweiz um Asyl nach.

A.b Die Beschwerdeführerin 1, Staatsangehörige von X._______, gelangte am 30. November 2003 mit den Beschwerdeführenden 2 und 3 in die Schweiz und stellte am 8. Dezember 2003 ein Gesuch um Gewährung von Asyl.

A.c Mit Verfügung vom 22. Dezember 2004 lehnte das vormalige Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) das Asylgesuch von E._______ gestützt auf aArt. 52 Abs. 1 AsylG (SR 142.31) (Aufnahme in einem Drittstaat) ab und ordnete dessen Wegweisung aus der Schweiz nach X._______ und den Vollzug an.

Ebenfalls mit Verfügung vom 22. Dezember 2004 stellte das BFF fest, die Beschwerdeführenden 1-3 würden die Flüchtlingseigenschaft nicht erfüllen, lehnte die Asylgesuche ab und ordnete die Wegweisung aus der Schweiz nach X._______ sowie den Vollzug an.

Die dagegen erhobenen Beschwerden hiess die vormalige Schweizerische Asylrekurskommission (ARK; heute Bundesverwaltungsgericht) mit separaten Urteilen vom 18. Juli 2006 gut, hob die angefochtenen Verfügungen auf und wies die Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurück.

A.d Mit Verfügung vom 7. August 2008 stellte das damalige BFM gestützt auf Art. 3 AsylG die Flüchtlingseigenschaft von E._______ fest und gewährte diesem Asyl. Die Beschwerdeführenden sowie zwei weitere Kinder der Beschwerdeführerin 1 und ihres Ehemannes wurden gestützt auf Art. 51 Abs. 1 AsylG ebenfalls als Flüchtlinge anerkannt und erhielten Asyl.

B.
Im Dezember 2009 reiste die Beschwerdeführerin 1 nach X._______, um ihren Vater zu besuchen. Im Juli 2013 verbrachten die Beschwerdeführenden mit E._______ eine Woche Ferien in X._______.

C.
Mit Schreiben vom 3. Juli 2014 teilte das BFM den Beschwerdeführenden mit, es gehe davon aus, dass sie sich mit ihren Reisen unter den Schutz ihres Heimatstaats gestellt hätten. In diesem Zusammenhang gewährte es ihnen das rechtliche Gehör zu einem allfälligen Asylwiderruf.

D.
Die Beschwerdeführenden brachten mit Stellungnahme vom 25. Juli 2014 vor, sie hätten im Asylverfahren keine Gründe geltend gemacht, die eine Asylgewährung gemäss Art. 3 Abs. 1 und 2 AsylG gerechtfertigt hätten. Sie seien in X._______ nie verfolgt gewesen. Die Asylgewährung sei gestützt auf Art. 51 Abs. 1 AsylG erfolgt, weil ihr Ehemann beziehungsweise Vater in seinem Heimatstaat Y._______ Verfolgung gemäss Art. 3 AsylG zu befürchten habe. Die Reise nach X._______ vermöge daher den Widerruf des Familienasyls nicht zu begründen.

E.
Mit Verfügung vom 4. August 2014 erkannte die Vorinstanz den Beschwerdeführenden die Flüchtlingseigenschaft gestützt auf Art. 63 Abs. 1 Bst. b AsylG i.V.m. Art. 1 Bst. C Ziff. 1 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK, SR 0.142.30) ab und widerrief den Asylstatus.

F.
Dagegen erhoben die Beschwerdeführenden mit Eingabe vom 4. September 2014 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht und beantragten, die vorinstanzliche Verfügung sei aufzuheben und auf die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie den Widerruf des Asyls sei zu verzichten, eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das BFM zurückzuweisen.

In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersuchten sie um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege gemäss Art. 65 Abs. 1 VwVG und 110a Abs. 1 Bst. b AsylG.

G.
Mit Zwischenverfügung vom 28. Oktober 2014 hiess das Bundesverwaltungsgericht die Gesuche um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Rechtsverbeiständung gut und ordnete den Beschwerdeführenden die rubrizierte Rechtsvertreterin als amtliche Rechtsbeiständin zu. Zudem lud es die Vorinstanz zu Einreichung einer Vernehmlassung ein.

H.
Das BFM liess sich am 11. November 2014 vernehmen.

I.
Am 18. November 2014 reichten die Beschwerdeführenden eine Replik ein.

 

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.  

1.1 Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das SEM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel - und auch vorliegend - endgültig (Art. 105 AsylG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG).

1.2 Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).

1.3 Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht. Die Beschwer­de­­führenden haben am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, sind durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und haben ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung; sie sind daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 und 108 Abs. 1 AsylG; Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 Abs. 1 VwVG). Auf diese ist einzutreten.

2.
Mit der vorliegenden Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht (einschliesslich Missbrauch und Überschreiten des Ermessens) sowie die unrichtige und unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).

 

 

3.  

3.1 Gemäss Art. 63 Abs. 1 Bst. b AsylG wird die Flüchtlingseigenschaft aberkannt oder das Asyl widerrufen, wenn Gründe nach Art. 1 Bst. C Ziff. 1-6 FK vorliegen.

3.2 Art. 1 Bst. C FK umschreibt, unter welchen Voraussetzungen sich eine Person nicht mehr auf die Bestimmungen der FK berufen kann. Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn sie sich freiwillig wieder unter den Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, gestellt hat (Ziff. 1). Lehre und Rechtsprechung setzen diesbezüglich voraus, dass drei Bedingungen kumulativ erfüllt sein müssen: Die Beschwerdeführenden müssen freiwillig in Kontakt mit ihrem Heimatstaat getreten sein - relevant sind in diesem Zusammenhang insbesondere die Gründe und die Häufigkeit des Kontakts -, sie müssen die Absicht gehabt haben, von ihrem Heimatland Schutz in Anspruch zu nehmen, und dieser muss ihnen tatsächlich gewährt worden sein (vgl. Entscheidungen und Mitteilungen der ARK [EMARK] 2002 Nr. 21 E. 6 S. 172).

4.  

4.1 Die Vorinstanz begründete die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und den Asylwiderruf damit, dass die Beschwerdeführenden freiwillig und mit der Absicht eines Heimatbesuches nach X._______ gereist seien und sich damit unter den Schutz ihres Heimatlandes gestellt hätten. Sie seien demnach nicht mehr auf den Schutz der schweizerischen Behörden angewiesen. Soweit sie in ihrer Stellungnahme zum beabsichtigten Asylwiderruf geltend machen würden, dass sie die Flüchtlingseigenschaft und den Asylstatus gemäss Art. 51 Abs. 1 AsylG derivativ erhalten hätten, sei zu entgegnen, dass das Asylgesetz in keiner Weise zwischen originärer und derivativer Flüchtlingseigenschaft unterscheide; es handle sich dabei um eine dogmatische Differenzierung der Praxis. Folglich würden sich bezüglich der Rechtsstellung der Flüchtlinge keine Unterscheidungen ergeben. Dies insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass eine Person, welche derivativ als Flüchtling aner­kan­nt worden sei, in Bezug auf eine Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht besser gestellt sein dürfe, als eine Person, welche die Flüchtlingseigenschaft originär erfülle. Dies wäre gemäss dem Urteil E-7826/2008 des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. September 2010 jedoch der Fall, wenn eine derivative Flüchtlingseigenschaft durch einen Kontakt mit den Behörden des Heimatlandes nicht nachträglich aberkannt werden könnte. Zusammenfassend seien die Bedingungen von Art. 1 Bst. C FK erfüllt, weshalb die Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführenden abzuerkennen und das Asyl zu widerrufen sei.

 

4.2 Diesen Ausführungen hielten die Beschwerdeführenden in der Beschwerde entgegen, die Vorinstanz habe den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt und die Voraussetzungen der Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und des Asylwiderrufs unrichtigerweise als erfüllt betrachtet.

4.2.1 Die Vorinstanz habe zwar die Voraussetzungen des Asylwiderrufs im Sinne von Art. 63 Abs. 1 Bst. b AsylG in Verbindung mit Art. 1 Bst. C Ziff. 1 FK dargelegt. Hinsichtlich der Subsumption habe sie sich hingegen damit begnügt, dass den Akten zu entnehmen sei, dass sie freiwillig und mit der Absicht eines Heimatbesuches nach X._______ gereist seien. Damit habe das SEM die Begründungspflicht verletzt. Sodann seien
die Beschwerdeführerin 1 einerseits und die Kinder (Beschwerdeführende 2-4) andererseits grundsätzlich eigenständig zu beurteilen. Mit der gemeinsamen Verfügung ohne getrennte Begründungen werde gegen die geltende Rechtspraxis verstossen.

Im Weiteren seien die Voraussetzungen des Asylwiderrufs nicht erfüllt.

Hinsichtlich der Beschwerdeführerin 1 sei einzuwenden, dass sie sich nicht freiwillig unter den Schutz ihres Heimatstaats begeben habe. So habe sie die erste Reise nach X._______ unternommen, um ihren kranken Vater zu besuchen, was ihr seitens der Flughafenpolizei in Absprache mit dem BFM erlaubt worden sei. Bei der zweiten Reise sei es darum gegangen, ihren kranken Ehemann zu begleiten, der sich nicht davon habe abhalten lassen, noch einmal das Meer zu sehen. Dieser sei aufgrund
der erlittenen Verfolgung in Y._______ sowie seiner seit Jahren fortschreitenden (...)-Erkrankung schwer angeschlagen und habe sich in den
Jahren (...) operativen Eingriffen unterziehen müssen. Unter diesen Umständen könne kaum davon ausgegangen werden, dass sie (Beschwerdeführerin 1) die Reisen nach X._______ freiwillig unternommen habe. Hinzu komme, dass sie sich subjektiv nicht unter den Schutz ihres Staates gestellt habe, da sie sich dort zu keinem Zeitpunkt verfolgt gefühlt und dies nie geltend gemacht habe. Ferner entspreche der Asylwiderruf nicht dem Sinn und Zweck von Art. 1 Bst. C FK. Diese Bestimmung sei darauf ausgelegt, dass ein Flüchtling den einmal benötigten Schutz der Flüchtlingskonvention nicht mehr brauche. Zwar habe die Vorinstanz richtigerweise ausgeführt, dass der Asylwiderruf nach Art. 63 Abs. 1 Bst. b AsylG in Verbindung mit Art. 1 Bst. C FK auch auf Personen anzuwenden sei, deren Flüchtlingseigenschaft derivativ festgestellt worden sei. Entscheidend im vorliegenden Fall sei jedoch, dass eine binationale Ehe vorliege. Diese Konstellation sei sowohl bei der Schaffung der Regelung selber als auch bei der erwähnten Rechtsprechung nicht berücksichtigt worden. Das Familienasyl sei ein Institut, welches zum einen die Einheit der Familie garantieren und andererseits die Familienangehörigen vor Reflexverfolgung schützen solle. In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Ehegatten verschiedene Staatsangehörigkeiten besitzen würden, betreffe dieser reflexive Schutz vorwiegend den Heimatstaat des verfolgten Ehegatten. Sie als (...) Ehefrau sei mit dem Einbezug in die Flüchtlingseigenschaft ihres Mannes vor Gefährdungen in Y._______ geschützt worden. Dieser Schutz sei ihr gewährt worden, obwohl sie sich (zuvor) in ihrem Heimatstaat X._______ aufgehalten habe. Ihr diesen Schutz nachträglich abzuerkennen, weil sie sich in ihr Heimatland begeben habe, in welchem sie zu keinem Zeitpunkt verfolgt gewesen sei, erscheine im Vergleich zur ursprünglichen Asylgewährung widersprüchlich und entspreche darüber hinaus keinesfalls dem Sinn und Zweck von Art. 1 Bst. C FK. Es sei nicht sachgerecht, beim Asylwiderruf auf ein anderes Land abzustellen als bei der Asylgewährung. Es müsse mithin genau ausgelegt werden, was der Sinn und Zweck von Art. 51 AsylG und der Widerrufsgründe sei und ob der Schutzzweck wirklich als aufgehoben gelten müsse. Zudem stelle es einen Verstoss gegen die Flüchtlingskonvention und das Gleichheitsgebot dar, dass ihr Ehemann trotz der Reise nach X._______ den Flüchtlingsstatus behalte, während ihn den Rest der Familie verliere. Sowohl sie als auch ihre Kinder könnten im Hinblick auf Y._______ nach wie vor Reflexverfolgung geltend machen und würden daher, trotz allfälliger Reisen nach X._______, die Flüchtlingseigenschaft weiterhin benötigen.

Betreffend die Beschwerdeführenden 2-4 sei sodann ebenfalls bereits fraglich, ob sie freiwillig nach X._______ gereist seien, hätten sie ihre Eltern doch auf der Reise begleiten müssen. Hinzu komme, dass es auch an der zweiten Voraussetzung von Art. 1 Bst. C FK fehle, wonach die betroffene Person in der Absicht gehandelt haben müsse, sich erneut dem Schutz des Heimatstaats zu unterstellen. Die Beschwerdeführenden 2-4 seien im Zeitpunkt der Reise im Jahre 2013 (...), (...) und (...) Jahre alt gewesen. Sie seien allesamt minderjährig und es fehle ihnen insbesondere im Hinblick auf den vorliegend relevanten Sachverhalt an der Urteilsfähigkeit. Daher könnten an ihre Handlungen, analog zum Zivilrecht, keine Rechtsfolgen geknüpft werden. In casu müsse berücksichtigt werden, dass sich die drei minderjährigen Kinder mit grösster Wahrscheinlichkeit ihres flüchtlingsrechtlichen Status nicht bewusst seien und umso weniger mit einer Absicht handeln könnten, die zur Aberkennung ihrer Flüchtlingseigenschaft führen könne. Es fehle demnach zumindest an einer Voraussetzung des Asylwiderrufs. Indem die Vorinstanz betreffend den Widerruf des Asyls der Kinder an den Asylstatus der Mutter anknüpfe, lasse sie zudem ausser Acht, dass der Vater (nach wie vor) über die Flüchtlingseigenschaft verfüge. Es sei unklar, wie das SEM begründen wolle, dass die Kinder den vom Vater abgeleiteten Status aufgrund eines allfälligen Verlusts des Status der Mutter verlieren würden.

4.3 Vernehmlassend hielt die Vorinstanz vollumfänglich an ihren Erwägungen fest. Ergänzend führte sie aus, es sei nicht ersichtlich, inwiefern ein Besuch der Beschwerdeführerin 2 mit ihrem Ehemann in X._______ unfreiwillig und unter erheblichem psychischen Druck erfolgt sein sollte, zumal der Grund für die Reise der Wunsch des Ehemannes, das Meer zu sehen, gewesen sein soll. Der Standpunkt der Beschwerdeführenden, wonach die Kinder ihren Willen gegen eine Reise in ihren Heimatstaat nicht hätten äussern können, ändere jedoch nichts an der Tatsache, dass sich diese als (...) Staatsangehörige unter den tatsächlichen Schutz ihres Heimatlandes begeben hätten. Eine geltend gemachte allfällige Reflexverfolgung im Hinblick auf Y._______ sei irrelevant, da die Kinder auf den Schutz ihres Heimatlandes abstellen könnten.

4.4 In ihrer Replik brachten die Beschwerdeführenden im Wesentlichen vor, die Vorinstanz habe zu ihren Ausführungen betreffend die Ungleichbehandlung der Familienangehörigen keine Stellung bezogen. Der Sinn und Zweck der Gewährung von Asyl habe sie betreffend offensichtlich primär in der Sicherstellung der Einheit der Familie gelegen, welche nach wie vor gegeben sei. Für die Kinder sei hinzuzufügen, dass sie zwar über einen Anspruch auf die (...) Staatsbürgerschaft [von X._______] verfügen würden, diesen bisher jedoch nicht geltend gemacht hätten. Für ihren Vater sei es wichtig, dass seine Kinder auch als ein Teil von sich und seiner Heimat gewertet würden und nicht nur als (...) Staatsangehörige [von X._______]. Überdies müsse er sich erneut zwei schweren Operationen unterziehen. Angesichts seiner kritischen gesundheitlichen Situation, der starken Familieneinheit und der äusserst engen Beziehung der Kinder zum Vater erscheine das Aufhebungsverfahren als gesetzeswidrig, widersprüchlich und aus menschlicher Sicht schwer tragbar.

 

5.  

Das Bundesverwaltungsgericht kommt nach eingehender Prüfung der Akten zum Schluss, dass die Vorinstanz den Beschwerdeführenden zu Unrecht die Flüchtlingseigenschaft aberkannt und den Asylstatus widerrufen hat.

 

5.1 Die Ausführungen der Vorinstanz zur Erfüllung der Voraussetzungen gemäss Art. 63 Abs. 1 Bst. b AsylG in Verbindung mit Art. 1 Bst. c Ziff. 1 FK sind zwar relativ knapp ausgefallen. Eine Verletzung der Begründungspflicht kann darin jedoch nicht erblickt werden, wird aus den Erwägungen im angefochtenen Entscheid doch deutlich, weshalb aus der Sicht des BFM die Flüchtlingseigenschaft aberkannt und das Asyl widerrufen wird. Den Beschwerdeführenden war eine sachgerechte Anfechtung denn auch ohne Weiteres möglich.

5.2 Die Beschwerdeführenden wenden richtigerweise ein, dass zwischen der Beschwerdeführerin 1 einerseits und den Beschwerdeführenden 2-4 andererseits zu differenzieren ist. Die Beschwerdeführenden 2 und 3 waren im Zeitpunkt der Asylgesuchstellung nicht ganz (...) beziehungsweise (...) [Jahre] alt und machten offensichtlich keine eigenen Asylgründe geltend; der Beschwerdeführer 4 war damals noch nicht geboren. Zudem ist nicht hinreichend erstellt, welche Staatsangehörigkeit respektive Staatsangehörigkeiten die Beschwerdeführenden 2-4 als eheliche Kinder einer Mutter mit (...) [Staatsangehörigkeit X._______] und eines Vaters mit (...) [Staatsangehörigkeit Y._______] besitzen beziehungsweise erlangen können. Schliesslich trafen sie die Entscheidung zur Reise nach X._______ nicht selbständig. Diesbezüglich erweist sich der Sachverhalt als unvollständig erstellt.

 

Die nachfolgenden Ausführungen (vgl. E. 5.3) beschränken sich daher zunächst auf die Beschwerdeführerin 1.

5.3  

5.3.1 Aus den Akten ergibt sich, dass die Vorinstanz der Beschwerdeführerin 1 und ihrem Ehemann mit Verfügungen vom 22. Dezember 2004 die Flüchtlingseigenschaft zunächst absprach, die Asylgesuche ablehnte und die Wegweisung nach X._______ anordnete. Begründet wurde dies damit, dass gemäss aArt. 52 Abs. 1 Bst. a AsylG Asylgesuche in der Regel abgelehnt würden, wenn sich die Asylsuchenden vor ihrer Einreise in die Schweiz einige Zeit in einem Drittstaat aufgehalten hätten und in diesen zurückkehren könnten. E._______ - der seinen Heimatstaat eigenen Angaben zufolge am 21. Dezember 2001 endgültig verliess und sich hernach während elf Monaten in X._______ aufhielt -, die Beschwerdeführerin 1 und die gemeinsamen Kinder seien in X._______ keiner staatlichen Verfolgung ausgesetzt gewesen seien. Der (...) Staat X._______ habe alles Mögliche unternommen, um sie vor angeblichen Übergriffen des iranischen Geheimdienstes zu schützen. E._______ habe aufgrund seiner Ehe mit der Beschwerdeführerin 1 Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung im Heimatstaat seiner Frau. Die Beschwerdeführerin 1 sei sodann nicht aus Furcht vor asylrechtlich relevanten Benachteiligungen, sondern aus dem Wunsch nach einem geregelten Familienleben heraus in die Schweiz gereist. Folglich stehe es der Familie offen, nach X._______ zurückzukehren.

Die Schweizerische Asylrekurskommission hob die Verfügungen mit
Urteilen vom 18. Juli 2006 mit der Begründung auf, den Beschwerdeführenden 1-3 und E._______ sei es aufgrund der unklaren Schutzfähigkeit und -willigkeit der (...) Behörden [von X._______] und insbesondere aufgrund des angeschlagenen Gesundheitszustands von E._______ insgesamt nicht zuzumuten, nach X._______ zurückzukehren. Die Vorinstanz stellte daraufhin am 7. August 2008 die Flüchtlingseigenschaft von E._______ gemäss Art. 3 Abs. 1 und 2 AsylG fest und gewährte ihm Asyl. Die Beschwerdeführerin 1 und die Kinder wurden gestützt auf Art. 51 Abs. 1 in die Flüchtlingseigenschaft und das Asyl ihres Ehemannes beziehungsweise Vaters einbezogen.

5.3.2 Art. 51 Abs. 1 AsylG sieht vor, dass Ehegatten von Flüchtlingen und ihre minderjährigen Kinder als Flüchtlinge anerkannt werden und Asyl erhalten, wenn keine besonderen Umstände dagegen sprechen. Solche sind gemäss BVGE 2012/32 etwa dann anzunehmen, wenn das Familienmitglied Bürger eines anderen Staates als der Flüchtling ist und die Familie in diesem Staat nicht gefährdet ist (vgl. dort E. 5.1). Die Frage, ob im Zeitpunkt des Einbezugs der Beschwerdeführerin 1 in die Flüchtlingseigenschaft und das Asyl von E._______ besondere Umstände im Sinne von Art. 51 Abs. 1 AsylG bestanden hätten, muss vorliegend jedoch offen gelassen werden. Die Vorinstanz ging beim Erlass der positiven Asylentscheide offensichtlich trotz der (...) Staatsangehörigkeit X._______ der Beschwerdeführerin 1 nicht davon aus, dass solche Umstände bestanden haben. Die Bestimmung von Art. 63 AsylG dient sodann ­- ausser wenn das Asyl oder die Flüchtlingseigenschaft erschlichen wurde (vgl. Abs. 1 Bst. a) - nicht dazu, den Entscheid über den Einbezug in die Flüchtlingseigenschaft und die Gewährung von Asyl nachträglich zu korrigieren. Diesbezüglich kann auf die zutreffenden Ausführungen zum Institut des Familienasyls in der Beschwerdeschrift verwiesen werden.

5.3.3 Durch das Bundesverwaltungsgericht ist daher einzig zu prüfen, ob die Voraussetzungen von Art. 63 Abs. 1 Bst. b AsylG in Verbindung mit Art. 1 Bst. C FK im vorliegenden Fall erfüllt sind.

Die ferienhalber erfolgte Reise der Beschwerdeführerin 1 im Juli 2013 nach X._______ ist unbestritten, weshalb sich die Prüfung eines Asylwiderrufs grundsätzlich anbietet. Die schematische Argumentation der Vorinstanz im angefochtenen Entscheid und in der Vernehmlassung, wonach sich die Beschwerdeführerin 1 durch die Reise unter den Schutz ihres Heimatstaats gestellt habe und deshalb die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr erfülle, erweist sich jedoch als nicht sachgerecht und lässt die Umstände des Einzelfalls unberücksichtigt. Wie auf Beschwerdeebene zutreffend eingewendet wird, machte die Beschwerdeführerin 1 im Asylverfahren keine Verfolgung durch die (...) Behörden [von X._______] geltend, sondern bezog sich vollumfänglich auf die Asylgründe von E._______, der seinerseits eine Verfolgung durch den (...) Staat Y._______ vorbrachte. Die Schutzgewährung durch die Schweiz erfolgte aufgrund der glaubhaft gemachten Verfolgung von E._______ durch Y._______. Dass die Asylrekurskommission in ihren Urteilen vom 18. Juli 2006 erwog, in Bezug auf X._______ könne aufgrund der konkreten aussergewöhnlichen Umstände nicht von einer zumutbaren Aufenthaltsalternative in einem Drittstaat ausgegangen werden, ändert nichts daran, dass für die Flüchtlingseigenschaft und den Asylstatus von E._______ - und daraus abgeleitet auch für die Beschwerdeführerin 1 - Y._______ den Anknüpfungspunkt bildete. Durch ihre Reise nach X._______ konnte sich die Beschwerdeführerin 1 damit von vorneherein nicht unter den (potenziellen) Schutz des Verfolgerstaats stellen. Zwar bezieht sich die Flüchtlingskonvention in Art. 1 Bst. C auf den Staat, dessen Staatsangehörigkeit eine Person besitzt und sieht vor, dass nicht mehr unter das Abkommen fällt, wer sich freiwillig wieder unter den Schutz dieses Staates stellt. Indes geht die Flüchtlingskonvention von der Ausgangslage aus, dass eine Person den Schutz des Heimatstaats nicht beanspruchen kann oder - weil der Heimatstaat als Verfolgerstaat auftritt - nicht beanspruchen will (vgl. Art. 1 Bst. A FK). Der Heimatstaat der Beschwerdeführerin 1
entsprach jedoch zu keiner Zeit dem Verfolgerstaat. Die Anknüpfung an X._______ zur Aberkennung der (durch die Verfolgung ihres Ehemannes Y._______ begründeten) Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführerin 1 erweist sich damit im vorliegenden Fall als unzulässig.

Die angefochtene Verfügung überzeugt auch betreffend das Argument der Gleichbehandlung von originären und derivativen Flüchtlingen nicht. Es trifft zu, dass Art. 63 AsylG auf originäre Flüchtlinge und auf Personen, die die Flüchtlingseigenschaft bloss derivativ erhalten haben, gleichermassen anwendbar ist. Dass hinsichtlich der Beschwerdeführerin 1 auf ihren Heimat- statt auf den Verfolgerstaat abgestellt wird, ist jedoch kein Ausdruck von Gleichbehandlung. Vielmehr bewirkt das Vorgehen des BFM eine stossende Ungleichbehandlung im Vergleich mit ihrem Ehemann, der ebenfalls nach X._______ reiste.

Zusammenfassend ist die Reise der Beschwerdeführerin 1 nach X._______ nicht geeignet, Gründe nach Art. 63 Abs. 1 AsylG zu schaffen, die die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und den Widerruf des Asyls rechtfertigen würden. Damit erübrigt sich die Prüfung, ob sie freiwillig mit ihrem Heimatland in Kontakt getreten ist, ob sie die Absicht hatte, von diesem Schutz in Anspruch zu nehmen und ob ihr dieser Schutz gewährt wurde.

5.4 Mit derselben Begründung ist die angefochtene Verfügung auch betreffend die Beschwerdeführenden 2-4 aufzuheben. Da die Voraussetzungen gemäss Art. 63 Abs. 1 AsylG durch die Reise der Kinder nach X._______ nicht erfüllt sind, erübrigt sich die Rückweisung der Sache zur vollständigen Sachverhaltserstellung (vgl. E. 5.2).

6.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen und die angefochtene Verfügung aufzuheben.

7.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 63 Abs. 1 und 2 VwVG).

8.
Den vertretenen Beschwerdeführenden ist angesichts ihres Obsiegens in Anwendung von Art. 64 VwVG und Art. 7 Abs. 1 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE, SR 173.320.2) eine Entschädigung für die ihnen notwendigerweise erwachsenen Parteikosten zuzusprechen. Mit der Beschwerde wurde eine Kostennote eingereicht, die einen Aufwand von 8.25 Stunden bei einem Stundenansatz von Fr. 200.- und pauschale Spesen von Fr. 20.- ausweist. Dieser Aufwand erscheint angemessen. Auf die Einholung einer aktualisierten Kostennote nach Einreichung der Replik kann verzichtet werden, da sich der dafür notwendige Vertretungsaufwand hinreichend zuverlässig abschätzen lässt. Insgesamt ist für das Beschwerdeverfahren von einem Aufwand von 9.25 Stunden auszugehen. Gestützt auf die in Betracht zu ziehenden Bemessungsfaktoren (Art. 9-13 VGKE) ist den Beschwerdeführenden zulasten der Vorinstanz eine Parteientschädigung von insgesamt Fr. 1'870.- (inkl. Auslagen) zuzusprechen.

 

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