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Abteilung V

E-3638/2022

 

 

 

 

 

Urteil vom 5. Dezember 2022

Besetzung

 

Richterin Roswitha Petry (Vorsitz),

Richterin Susanne Bolz-Reimann,

Richter Markus König;

Gerichtsschreiberin Regina Seraina Goll.

 

 

 

Parteien

 

A.______, geboren am (...),

(Beschwerdeführer),

B.______, geboren am (...),

(Beschwerdeführerin), und deren Kinder

C.______, geboren am (...),

D.______, geboren am (...),

alle Ukraine und Kanada,

(...),

Beschwerdeführende,

 

 

 

gegen

 

 

Staatssekretariat für Migration (SEM),

Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

 

 

 

Gegenstand

 

Verweigerung vorübergehender Schutz;

Verfügung des SEM vom 26. Juli 2022 / N (...).

 

 


Sachverhalt:

A. 
Die Beschwerdeführenden stellten am (...) April 2022 im Bundesasylzentrum E.______ Gesuche um Gewährung des vorübergehenden Schutzes. Am 23. Juni 2022 fanden ihre Kurzbefragungen statt.

B. 
Im Rahmen dieser Kurzbefragungen führten die Beschwerdeführenden zur Begründung ihrer Gesuche Folgendes aus:

Sie seien im Jahr 2012 nach Kanada gezogen und hätten bis im Jahr 2020 dort gelebt. Ungefähr im Jahr 2018 hätten sie die kanadische Staatsbürgerschaft erlangt. Die Kinder seien beide in Kanada geboren, hätten aber vermutlich auch die ukrainische Staatsbürgerschaft. Im Jahr 2020 seien sie in die Ukraine zurückgekehrt. Heute wäre es ihnen kaum möglich, nach Kanada zurückzukehren, da dort faktisch ein Impfzwang herrsche. Die Beschwerdeführerin sei ausgebildete (...) und wolle sich aus Überzeugung nicht gegen Covid-19 impfen lassen. Ausserdem würden auch persönliche Gründe gegen eine Rückkehr nach Kanada sprechen. Alle ihre Verwandten und viele gute Freunde lebten in der Ukraine. Überdies wolle sie ihren Kindern nicht zumuten, in einem Land zu leben, wo Marihuana legal sei. Der Beschwerdeführer fügt hinzu, er engagiere sich freiwillig für das F.______. Ihn würde bei der Gewährung des S-Status eine mögliche Festanstellung erwarten.

C. 
Mit Verfügung vom 26. Juli 2022 - eröffnet am 28. Juli 2022 - lehnte das SEM die Gesuche um Gewährung vorübergehenden Schutzes ab, verfügte die Wegweisung aus der Schweiz und ordnete den Vollzug der Wegweisung an.

D. 
Mit Eingabe an das Bundesverwaltungsgericht vom 4. August 2022 erho-ben die Beschwerdeführenden Beschwerde gegen diese Verfügung. Sie beantragten sinngemäss, der Entscheid der Vorinstanz sei aufzuheben und ihnen sei vorübergehender Schutz zu gewähren.

In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersuchten die Beschwerdeführenden um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege sowie um die Beiordnung eines Rechtsvertreters als amtlichen Rechtsbeistand.

E. 
Am 24. August 2022 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht den Eingang der Beschwerde.

 

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.   

1.1  Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das SEM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls - in der Regel und auch vorliegend - endgültig (Art. 72 i.V.m. 105 AsylG [SR 142.31]; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG).

1.2  Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).

1.3  Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht worden. Die Beschwerdeführenden haben am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, sind durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und haben ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Sie sind daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 72 i.V.m. Art. 108 Abs. 6 AsylG, Art. 48 Abs. 1 und Art. 52 Abs. 1 VwVG).

1.4  Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2. 
Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen richten sich, soweit die Verweigerung vorübergehenden Schutzes betreffend, nach Art. 106 Abs. 1 AsylG (i.V.m. Art. 72 AsylG), im Bereich des Ausländerrechts nach Art. 49 VwVG (vgl. BVGE 2014/26 E. 5).

3.   

Gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG (i.V.m. Art. 72) wurde auf die Durchführung eines Schriftenwechsels verzichtet.

 

4.   

4.1  Gestützt auf Art. 4 AsylG kann die Schweiz Schutzbedürftigen für die Dauer einer schweren allgemeinen Gefährdung, insbesondere während eines Kriegs oder Bürgerkriegs sowie in Situationen allgemeiner Gewalt, vorübergehenden Schutz gewähren. Der Bundesrat entscheidet, ob und nach welchen Kriterien Gruppen von Schutzbedürftigen vorübergehender Schutz gewährt wird (Art. 66 Abs. 1 AsylG).

4.2  Am 11. März 2022 hat der Bundesrat gestützt auf Art. 66 Abs. 1 AsylG eine Allgemeinverfügung zur Gewährung des vorübergehenden Schutzes im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine erlassen (BBI 2022 586). Gemäss Ziff. I dieses Erlasses gilt der Schutzstatus für folgende Personenkategorien:

a.      schutzsuchende ukrainische Staatsbürgerinnen und -bürger und ihre Familienangehörige (Partnerinnen und Partner, minderjährige Kinder und andere enge Verwandte, welche zum Zeitpunkt der Flucht ganz oder teilweise unterstützt wurden), welche vor dem 24. Februar 2022 in der Ukraine wohnhaft waren;

b.      schutzsuchende Personen anderer Nationalität und Staatenlose sowie ihre Familienangehörige gemäss Definition in Buchstabe a, welche vor dem 24. Februar 2022 einen internationalen oder nationalen Schutzstatus in der Ukraine hatten;

c.       Schutzsuchende anderer Nationalität und Staatenlose sowie ihre Familienangehörige gemäss Definition in Buchstabe a, welche mit einer gültigen Kurzaufenthalts- oder Aufenthaltsbewilligung belegen können, dass sie über eine gültige Aufenthaltsberechtigung in der Ukraine verfügen und nicht in Sicherheit und dauerhaft in ihre Heimatländer zurückkehren können.

5.   

5.1  Das SEM führte zur Begründung der angefochtenen Verfügung im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführenden gehörten nicht zu der vom Bundesrat definierten Gruppe schutzberechtigter Personen, da sie nebst der ukrainischen Staatsangehörigkeit auch über eine kanadische Staatsbürgerschaft verfügten und somit die Möglichkeit hätten, sich in Kanada niederzulassen. Die strikte Ablehnung der Covid-19-Impfung und das Fehlen von Verwandten und Freunden in Kanada vermöchten die Annahme einer sicheren Rückkehr nach Kanada nicht umzustossen. Bei den nationalen Massnahmen gegen die Verbreitung der Covid-19-Pandemie sowie den daraus folgenden Einschränkungen des Privatlebens handle es sich um rechtsstaatlich legitime Regelungen der Regierung, welche die gesamte kanadische Bevölkerung gleichermassen beträfen. Diese seien überdies inzwischen soweit gelockert worden, dass man sich auch ohne eine Impfung am sozialen Leben in Kanada beteiligen könne. Auch die Reisebestimmungen seien angepasst worden und Flüge könnten unter Einhaltung der geltenden Bestimmungen auch ohne eine Impfung angetreten werden. Das Engagement des Beschwerdeführers für die F.______ vermöge ebenfalls kein Aufenthaltsrecht in der Schweiz zu begründen, zeuge aber von Tüchtigkeit. Es sei daher davon auszugehen, dass er in Kanada bald eine Anstellung finde. Betreffend die Kritik am legalen Status von Marihuana in Kanada sei anzumerken, dass trotz der Legalisierung Einschränkungen und Regeln vorherrschten, die Minderjährige vor einem Substanzmissbrauch schützten.

5.2  In der Beschwerdeschrift machen die Beschwerdeführenden namentlich geltend, sie würden nicht über die finanziellen Mittel verfügen, um sich in Kanada ein Leben aufbauen zu können. Als Kanadier würden sie auch nicht von der Unterstützung profitieren, die den übrigen Schutzsuchenden aus der Ukraine zukäme. Sie hätten Kanada im Jahr 2020 verlassen, da der Beschwerdeführer keinen Zugang zu medizinischer Versorgung seines verletzten (...) gehabt habe. Ausserdem habe er hier in der Schweiz Aussicht auf eine Festanstellung und die Kinder würden hier zur Schule gehen, weshalb ein erneuter Umzug nicht zumutbar wäre. Sie würden im Übrigen die Voraussetzungen erfüllen, welche an schutzberechtigte Personen gestellt würden.

6.   

6.1  Der Bundesrat hält - wie dargelegt - in der Allgemeinverfügung vom 11. März 2022 fest, dass schutzsuchende ukrainische Staatsbürgerinnen und -bürger und ihre Familienangehörige, welche vor dem 24. Februar 2022 in der Ukraine wohnhaft waren, Anspruch auf Gewährung des vorübergehenden Schutzes haben (Ziff. I Bst. a). Ob dieser Kategorie nur die Personen ukrainischer Staatsangehörigkeit zuzuordnen sind, die keine weitere Staatsangehörigkeit besitzen, lässt sich dem Wortlaut der Bestimmung nicht entnehmen. Gemäss Praxis des SEM erhalten Staatsangehörige aus EU- und EFTA-Staaten sowie Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs, von Kanada, Neuseeland, Australien und den USA sowie deren Familienangehörige grundsätzlich keinen vorübergehenden Schutz in der Schweiz (vgl. betreffend binationale Paare die Medienmitteilung des SEM vom 2. Juni 2022 https://www.sem.admin.ch/sem/de/home/sem/medien/mm.msg-id-89100.html, abgerufen am 5. Dezember 2022). Das SEM geht davon aus, dass diese Personen in den genannten Staaten wirksamen Schutz erhalten und deshalb nicht auf den Schutz der Schweiz angewiesen sind. Es ist im Folgenden zu prüfen, ob diese Auslegung vor Bundesrecht standhält.

6.2  Für die Normen des Verwaltungsrechts gelten die üblichen Methoden der Gesetzesauslegung (Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2020, Rz. 177). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist ein Gesetz in erster Linie nach Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zu Grunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode auszulegen. Die Auslegung des Gesetzes ist zwar nicht entscheidend historisch zu orientieren, im Grundsatz aber dennoch auf die Regelungsabsicht des Gesetzgebers und die damit erkennbar getroffenen Wertentscheidungen auszurichten, die es mit Hilfe der herkömmlichen Auslegungselemente zu ermitteln gilt. Dabei geht das Bundesgericht pragmatisch vor und lehnt es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Prioritätsordnung zu unterstellen (BGE 140 II 509 E. 2.6 m.H.).

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts besteht eine Lücke im Gesetz, wenn sich eine Regelung als unvollständig erweist, weil sie jede Antwort auf die sich stellende Rechtsfrage schuldig bleibt oder eine Antwort gibt, die aber als sachlich unhaltbar angesehen werden muss. Hat der Gesetzgeber eine Rechtsfrage nicht übersehen, sondern stillschweigend -  im negativen Sinn - mitentschieden (qualifiziertes Schweigen), bleibt kein Raum für richterliche Lückenfüllung. Eine echte Gesetzeslücke liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts dann vor, wenn der Gesetzgeber etwas zu regeln unterlassen hat, was er hätte regeln sollen, und dem Gesetz diesbezüglich weder nach seinem Wortlaut noch nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt eine Vorschrift entnommen werden kann. Von einer unechten oder rechtspolitischen Lücke ist demgegenüber die Rede, wenn dem Gesetz zwar eine Antwort, aber keine befriedigende, zu entnehmen ist (vgl. zum Ganzen BGE 138 II 1 E. 4.2 m.H.). Aufgrund des Rechtsverweigerungsverbots sind die rechtsanwendenden Organe dazu verpflichtet, echte Lücken zu füllen (Häfelin/Müller/Uhlmann, a.a.O., Rz. 206 f.). Unechte zu korrigieren, ist ihnen nach traditioneller Auffassung grundsätzlich verwehrt, es sei denn, die Berufung auf den als massgeblich erachteten Wortsinn der Norm stelle einen Rechtsmissbrauch dar (vgl. BGE 141 V 481 E. 3.1 m.H.).

Von der Berichtigung unechter Lücken zu unterscheiden ist der zulässige Vorgang richterlicher Rechtsfindung, bei welchem ein vordergründig klarer, aber zu weit gefasster Wortlaut einer Norm auf den Anwendungsbereich reduziert wird, welcher der ratio legis entspricht. Dies wird als teleologische Reduktion bezeichnet (vgl. BGE 141 V 191 E. 3 m.H., 140 I 305 E. 6.2 m.H.; Urteil des BVGer F-512/2019 vom 9. September 2020 E. 7.1 m.H.; grundlegend BGE 121 III 219 E. 1d/aa).

6.3  Weder das Asylgesetz noch die Gesetzesmaterialien äussern sich ausdrücklich zur Rechtslage von Doppelbürgern oder binationalen Familien und Paaren bei der Gewährung vorübergehenden Schutzes. Zu beachten ist allerdings, dass dem Asylgesetz der Grundsatz der Subsidiarität asylrechtlichen Schutzes zugrunde liegt. Dieser trägt unter anderem dem Umstand Rechnung, dass Asylsuchende, die mehrere Staatsangehörigkeiten besitzen, nicht auf den Schutz eines Drittstaates angewiesen sind, sofern sie in einem der Staaten, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, Schutz vor Verfolgung finden können (vgl. Art. 1 A Ziff. 2 Abs. 2 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge [FK, SR 0.142.30]; BVGE 2010/41 E. 6.5.1 m.H. auf EMARK 2000/15 E. 12a; so auch schon Walter Kälin, Grundriss des Asylverfahrens, Basel 1990, Ziff. III 2b, S. 34 f. m.H.). Nichts anderes kann für die Gewährung vorübergehenden Schutzes gemäss Art. 4 AsylG gelten. Würden Doppelbürgerinnen und -bürger, welche sowohl die ukrainische als auch die Staatsangehörigkeit eines weiteren (verfolgungssicheren) Heimatstaates besitzen, in der Schweiz vorübergehenden Schutz erhalten, wären sie besser gestellt als Asylsuchende, welche die gleichen Staatsbürgerschaften besitzen und in der Schweiz um Schutz vor Verfolgung suchen: Letzteren würde der Schutz verweigert mit der Begründung, dass sie gegen die Verfolgung durch den einen ihrer Heimatstaaten den Schutz durch den anderen ihrer Heimatstaaten beanspruchen können (vgl. Art. 1 A Ziff. 2 Abs. 2 FK).

Eine solche Besserstellung von Schutzsuchenden im Sinne von Art. 4 AsylG wäre stossend und nicht im Sinne des Gesetzgebers. Der Wortlaut von Ziff. I Bst. a der Allgemeinverfügung ist folglich per teleologischer Reduktion so auszulegen, dass sie dem Sinn und Zweck des vorübergehenden Schutzes und auch dem im Asyl- und Flüchtlingsrecht geltenden Subsidiaritätsprinzip entspricht. Daraus folgt im Verfahren um vorübergehenden Schutz, dass eine Person ukrainischer Staatbürgerschaft, welche vor dem 24. Februar 2022 in der Ukraine wohnhaft war, grundsätzlich nicht auf den Schutz der Schweiz angewiesen und entsprechend auch nicht als schutzbedürftig im Sinne von Art. 4 AsyIG zu bezeichnen ist, wenn für sie eine valable Schutzalternative ausserhalb der Ukraine bejaht werden kann.

6.4  Vorliegend ist unbestritten, dass die Beschwerdeführenden neben der ukrainischen auch die kanadische Staatsbürgerschaft besitzen. Den anlässlich der Befragungen vom 23. Juni 2022 protokollierten Ausführungen ist zu entnehmen, dass einer dauerhaften Rückkehr in den (zweiten) Heimatstaat Kanada unter dem Aspekt der Sicherheit nichts entgegensteht. Die Beschwerdeschrift vermag diese Auffassung nicht in Frage zu stellen. Die Schwierigkeiten, welche sich aus der Weigerung ergeben, sich gegen das Covid-19-Virus zu impfen, sind vorliegend nicht relevant, zumal - wie das SEM richtig festhält - die Regelungen in Kanada die gesamte Bevölkerung in gleicher Weise betreffen und sie zudem gelockert wurden. Die Impfflicht sowie sämtliche Coronamassnahmen wurden per Ende September 2022 selbst für Einreisende aufgehoben (vgl. Das Coronavirus und die eTA Kanada, visumantrag.de/kanada/corona, abgerufen am 5. Dezember 2022). Auch die Möglichkeit, in Kanada legal Marihuana kaufen und konsumieren zu können, vermag an dieser Einschätzung nichts zu ändern.

6.5  Nach dem Gesagten ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführenden die Voraussetzungen für die Gewährung des vorübergehenden Schutzes nicht erfüllen, und das SEM das Gesuch zu Recht abgelehnt.

7.   

Die Ablehnung des Gesuchs um Gewährung des vorübergehenden Schutzes hat in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz zur Folge (Art. 69 Abs. 4 AsylG). Da den Beschwerdeführenden vorliegend keine Aufenthaltsbewilligung erteilt wurde und zudem kein Anspruch auf Erteilung einer solchen besteht (vgl. BVGE 2013/37 E. 4.4; 2009/50 E. 9, je m.w.H.), steht die verfügte Wegweisung im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen und wurde demnach von der Vorinstanz ebenfalls zu Recht angeordnet.

8.   

8.1  Ist der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig, nicht zumutbar oder nicht möglich, so regelt das SEM das Anwesenheitsverhältnis nach den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme (vgl. Art. 69 Abs. 4 AsylG; Art. 83 Abs. 1 AIG [SR 142.20]).

 

 

8.2   

8.2.1  Der Vollzug ist nicht zulässig, wenn völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz einer Weiterreise der Ausländerin oder des Ausländers in den Heimat-, Herkunfts- oder einen Drittstaat entgegenstehen (Art. 83 Abs. 3 AIG).

8.2.2  Die Beschwerdeführenden haben in der Schweiz kein Asylgesuch gestellt. Den Akten sind demnach keine Hinweise auf eine Verletzung des flüchtlingsrechtlichen Refoulement-Verbots zu entnehmen. Sodann ergeben sich weder aus den Aussagen der Beschwerdeführenden noch aus den Akten Anhaltspunkte dafür, dass sie für den Fall einer Ausschaffung in den Heimatstaat dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer nach Art. 3 EMRK oder Art. 1 FoK verbotenen Strafe oder Behandlung ausgesetzt wären. Gemäss Praxis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sowie jener des UN-Anti-Folterausschusses müssten die Beschwerdeführenden eine konkrete Gefahr ("real risk") nachweisen oder glaubhaft machen, dass ihnen im Fall einer Rückschiebung Folter oder unmenschliche Behandlung drohen würde (vgl. Urteil des EGMR Saadi gegen Italien 28. Februar 2008, Grosse Kammer 37201/06, §§ 124-127 m.w.H.).

8.2.3  Auch die allgemeine Menschenrechtssituation in Kanada lässt den Wegweisungsvollzug zum heutigen Zeitpunkt nicht als unzulässig erscheinen.

8.2.4  Nach dem Gesagten ist der Vollzug der Wegweisung sowohl im Sinne der asyl- als auch der völkerrechtlichen Bestimmungen zulässig.

8.3   

8.3.1  Gemäss Art. 83 Abs. 4 AIG kann der Vollzug für Ausländerinnen und Ausländer unzumutbar sein, wenn sie im Heimat- oder Herkunftsstaat aufgrund von Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt und medizinischer Notlage konkret gefährdet sind. Wird eine konkrete Gefährdung festgestellt, ist - unter Vorbehalt von Art. 83 Abs. 7 AIG - die vorläufige Aufnahme zu gewähren.

8.3.2  Das Gericht schliesst sich auch der Schlussfolgerung der Vorinstanz zur Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzuges an. Weder die in Kanada herrschende politische Situation noch andere Gründe vermögen gegen die Zumutbarkeit der Rückführung der Beschwerdeführenden in den Heimatstaat Kanada sprechen. Die Beschwerdeführenden haben acht Jahre ihres Lebens dort verbracht und die Kinder sind dort geboren. Es ist - wie das SEM ebenfalls zu Recht darlegt - davon auszugehen, dass die Beschwerdeführenden in Kanada über ein gewisses Beziehungsnetz verfügen, das sie bei der Reintegration unterstützen kann. Ausserdem hält der Beschwerdeführer selbst fest, dass in Kanada viele Ukrainer leben würden (vgl. Befragungsprotokoll F7, SEM-Akte 1177587-6/4). Die Beschwerdeführerin ist ausgebildete (...) und der Beschwerdeführer ist (...). Beiden sollte es somit möglich sein, sich in Kanada auch in beruflicher Hinsicht wieder einzugliedern und für ein wirtschaftliches Auskommen der Familie zu sorgen. Den Kindern ist es überdies möglich, in Kanada die Schule zu besuchen. Die medizinische Versorgungslage in Kanada kann als sehr gut bezeichnet werden und der Zugang zu medizinischen Leistungen ist gewährleistet. Die medizinische Versorgung ist überdies für alle kanadischen Staatsangehörigen kostenlos (vgl. The Commonwealth Fund, International Health Care System Profiles - Canada, www.commonwealthfund.org/international-health-policy-center/countries/canada, zuletzt abgerufen am 5. Dezember 2022).

Nach dem Gesagten erweist sich der Vollzug der Wegweisung auch als zumutbar.

8.4  Schliesslich obliegt es den Beschwerdeführenden, sich bei der zuständigen Vertretung des Heimatstaates die für eine Rückkehr notwendigen Reisedokumente zu beschaffen (vgl. Art 72 i.V.m. Art. 8 Abs. 4 AsylG und dazu auch BVGE 2008/34 E. 12), weshalb der Vollzug der Wegweisung auch als möglich zu bezeichnen ist (Art. 83 Abs. 2 AIG).

8.5  Zusammenfassend hat die Vorinstanz den Wegweisungsvollzug zu Recht als zulässig, zumutbar und möglich bezeichnet. Eine Anordnung der vorläufigen Aufnahme fällt somit ausser Betracht (Art. 83 Abs. 1-4 AIG).

9. 
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung Bundesrecht nicht verletzt, den rechtserheblichen Sachverhalt richtig sowie vollständig feststellt (Art. 72 i.V.m. Art. 106 Abs. 1 AsylG) und - soweit diesbezüglich überprüfbar - angemessen ist. Die Beschwerde ist abzuweisen.

 

 

10.   

10.1  Die Gesuche um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und amtlichen Rechtsverbeiständung sind unbesehen der finanziellen Verhältnisse der Beschwerdeführenden abzuweisen, da die Beschwerde - gemäss den vorstehenden Erwägungen - als aussichtslos zu bezeichnen ist und es daher an einer gesetzlichen Grundlage zu deren Gewährung fehlt.

10.2  Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten von Fr. 750.- (Art. 1-3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]) den Beschwerdeführenden aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG).

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gesuche um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege sowie amtlichen Verbeiständung werden abgewiesen.

3. 
Die Verfahrenskosten von Fr. 750.- werden den Beschwerdeführenden auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zugunsten der Gerichtskasse zu überweisen.

4. 
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführenden, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.

 

Die vorsitzende Richterin:

Die Gerichtsschreiberin:

 

 

Roswitha Petry

Regina Seraina Goll

 

 

Versand:

 

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