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Abteilung V

E-1339/2010

 

 

 


Sachverhalt:

A.
Der ethnische Tadschicke A._______ stammt gemäss eigenen Angaben aus Ghazni (Afghanistan) und wurde während des Bürgerkrieges als Soldat der Regierungstruppen im Jahr 1990 durch eine Personenmine derart schwer verletzt, dass ihm beide Beine amputiert werden mussten. Nach seiner Heirat im Jahr 1992 sei er mit der Unterstützung seiner Schwiegermutter Inhaber eines Kioskes in Ghazni geworden und habe so den Lebensunterhalt der Familie bestreiten können. Im Jahr 2004 sei er von den Soldaten des aktuellen Präsidenten Hamid Karzai geschlagen und erniedrigt worden. Man habe ihm vorgeworfen, in seinem Geschäft alkoholische Getränke und unmoralische Kassetten und CD's verkauft zu haben; schliesslich habe er seinen Kiosk schliessen müssen. Daraufhin habe er am (...) 2004 Afghanistan verlassen und reichte am 30. November 2004 ein Asylgesuch in der Schweiz ein.

Mit Verfügung vom 3. Mai 2006 stellte das BFM fest, der Beschwerdeführer erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht. Das Asylgesuch wurde abgewiesen und die Wegweisung aus der Schweiz angeordnet, deren Vollzug wurde indes wegen Unzumutbarkeit zugunsten einer vorläufigen Aufnahme aufgeschoben. Auf eine gegen diese Verfügung eingereichte Beschwerde trat die damalige Schweizerische Asylrekurskommission (ARK) mit Urteil vom 3. Juli 2006 nicht ein, da der Kostenvorschuss nicht innert Frist geleistet wurde. Die Verfügung des BFM erwuchs somit in Rechtskraft.

Ein Gesuch des Beschwerdeführers vom 3. Januar 2007 um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung wurde mit Verfügung vom 5. Februar 2007 vom zuständigen Kanton F.________ abgewiesen, da die ununterbrochene Aufenthaltsdauer von mindestens fünf Jahren noch nicht erreicht worden sei.

B.
Der Beschwerdeführer stellte am 7. Oktober 2009 bei der zuständigen kantonalen Behörde ein Gesuch um Familiennachzug und Einbezug in die vorläufige Aufnahme für seine Ehefrau B._______ (geboren am [...]) sowie für seine Kinder C._______ (geboren am [...]), D._______ (geboren am [...]) und E._______ (geboren am [...]).

Mit Schreiben vom 15. Dezember 2009 wurde dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör gewährt, da das BFM erwog, das Gesuch um Familiennachzug mit der Begründung abzulehnen, die Voraussetzungen von Art. 85 Abs. 7 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG, SR 142.20) seien nicht erfüllt, da der Beschwerdeführer über keine bedarfsgerechte Wohnung verfüge und vollumfänglich von der öffentlichen Fürsorge unterstützt werde. Der Beschwerdeführer äusserte sich am 22. Januar 2010 dahingehend, dass er sehr gerne einer regelmässigen Tätigkeit nachgehen würde, doch sei dies infolge seiner Behinderung nicht möglich. Ein Schreiben des Schweizerischen Roten Kreuzes F._______ vom 10. August 2009 wies darauf hin, dass der Beschwerdeführer derzeit keine IV-Rente beziehe; eine entsprechende Berechtigung entstehe erst nach zehn Jahren Anwesenheit in der Schweiz. Erst dann könne er ohne Sozialhilfe auskommen und in einem Beschäftigungsprogramm arbeiten. Die familiäre Unterstützung, die er mittels des Familiennachzuges erfahren würde, habe jedoch einen unersetzlich hohen Stellenwert, der kaum in Worte zu fassen sei.

C.
Mit Verfügung vom 29. Januar 2010 - eröffnet am 2. Februar 2010 - lehnte das BFM das Gesuch um Familiennachzug und Einbezug in die vorläufige Aufnahme mit der Begründung ab, der Beschwerdeführer verfüge weder über eine bedarfsgerechte Wohnung noch sei er imstande, in der Schweiz eine Familie finanziell zu unterhalten. Es sei dem BFM indes bewusst, dass es dem Beschwerdeführer durch seine gesundheitlichen Schwierigkeiten nicht möglich sei, die Voraussetzungen für den Familiennachzug zu erfüllen. Indessen gelte es zu erwähnen, dass weder Art. 85 Abs. 7 AuG noch Art. 74 der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE, SR 142.201) den Behörden einen diesbezüglichen Ermessensspielraum einräume. So könne die persönliche Situation des Beschwerdeführers nicht berücksichtigt werden.

D.
Mit Eingabe vom 4. März 2010 (Poststempel) wurde gegen die Verfügung des BFM vom 29. Januar 2010 beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde erhoben. Dabei wurde beantragt, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben und die Vorinstanz sei anzuweisen, sämtliche Familienmitglieder in die vorläufige Aufnahme mit einzubeziehen. In prozessrechtlicher Hinsicht sei gestützt auf Art. 65 Abs. 1 und 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 20. Dezember 1968 (VwVG, SR 172.021) die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren; gestützt auf Art. 64 Abs. 1 VwVG sei zudem eine Parteientschädigung auszurichten.

Es sei vorliegend unbestritten, so der Beschwerdeführer, dass die Voraussetzungen von Art. 85 Abs. 7 AuG nicht erfüllt seien, da der Beschwerdeführer aus gesundheitlichen Gründen zu 100% arbeitsunfähig und daher nicht in der Lage sei, sein Einkommen zu bestreiten. Neben der physischen Behinderung leide der Beschwerdeführer auch an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Da diese Beeinträchtigungen schon im Zeitpunkt der Einreise in die Schweiz bestanden hätten, sei er nicht berechtigt, eine IV-Rente zu beziehen. So bleibe er auf die Sozialhilfe angewiesen und werde aus eigener Kraft daran nichts ändern können.

Ungeachtet von Art. 85 Abs. 7 AuG bestehe jedoch gestützt auf Art. 8 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, SR 0.101) ein Anspruch auf Familiennachzug, da - trotz der an sich als Provisorium konzipierten vorläufigen Aufnahme - der Beschwerdeführer aufgrund seiner persönlichen Situation über ein gefestigtes Aufenthaltsrecht verfüge, weil die Unzumutbarkeit seines Wegweisungsvollzugs lange andauern werde. Wie sich aus den beigelegten ärztlichen Berichten ergebe, sei der Beschwerdeführer einerseits aufgrund seiner physischen und psychischen Beeinträchtigung auf regelmässige Kontrollen sowie auf eine andauernde Behandlung angewiesen, die in Afghanistan nicht zur Verfügung stehe. Ferner habe er in Afghanistan keine Existenzgrundlage. Die Familie lebe von familiären Unterstützungen und sei inzwischen aus Sicherheitsgründen in Kabul wohnhaft. Die Möglichkeit eines Familiennachzugs würde zu einer Verbesserung seiner Beschwerdesymptomatik führen.

Aus all diesen Gründen sei von einem längeren Aufenthalt, insofern von einem gefestigten Aufenthaltsrecht, auszugehen (vgl. dazu BGE 126 II 335 E. 2.b.cc und Urteil des Bundesgerichts 2C_551/2008 E. 4.2). Der Beschwerdeführer führe eine - soweit möglich - intakte und gelebte Beziehung zu seiner Familie, da er sie so gut als möglich unterstütze und so oft als möglich anrufe.

Schliesslich sei darauf hinzuweisen, dass der Erhalt einer Härtefallbewilligung im Kanton F._______ nach der gängigen Praxis als unwahrscheinlich einzustufen sei. Auch wenn - wider Erwarten - ihm diese gewährt werden würde, seien in Art. 44 AuG die gleichen für den Beschwerdeführer unüberwindbaren Hürden wie in Art. 85 Art. 7 AuG umschrieben.

Der Beschwerde lag eine ärztliche Stellungnahme vom 25. Februar 2010 des Ambulatoriums für Folter- und Kriegsopfer des Universitätsspitals F._______ bei, das eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine mittelgradige depressive Episode diagnostizierte.

E.
Mit Verfügung vom 11. März 2010 hiess das Bundesverwaltungsgericht das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im Sinne von Art. 65 Abs. 1 und 2 VwVG gut und verzichtete auf die Erhebung eines Kostenvorschusses. Als amtliche Rechtsanwältin wurde die vom Beschwerdeführer bereits mandatierte Rechtsvertreterin eingesetzt.

F.
In seiner Vernehmlassung vom 22. März 2010 hielt das BFM fest, dass die Beschwerdeschrift keine neuen erheblichen Tatsachen oder Beweismittel, die eine Änderung des Entscheides rechtfertigen würden, enthalte. Es werde indes bemerkt, dass der Beschwerdeführer als vorläufig Aufgenommener nicht über eine ordnungsgemässe Aufenthaltsbewilligung verfüge; somit könne er sich nicht auf Art. 8 EMRK berufen.

G.
Mit Verfügung vom 29. März 2010 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesverwaltungsgericht eingeladen, eine Replik und entsprechende Beweismittel einzureichen. Die dazu eingeräumte Frist lief ohne weitere Eingaben ab.

H.
Am 28. März 2011 wurde ein orthopädisch-psychiatrisches Gutachten des Medizinischen Gutachterzentrums G._______ vom 20. Dezember 2010 zu den Akten gereicht, das von der IV-Stelle F._______ in Auftrag gegeben wurde. Dabei wurde aus orthopädischer Sicht dem Beschwerdeführer eine Arbeitsfähigkeit von 80% zugemutet, die indes seinem Leiden angepasst sein solle (z.B. abwechslungsweises Stehen oder Sitzen, kein Tragen schwerer Lasten etc.). Aus psychiatrischer Sicht wurde eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine mittelgradige depressive Episode diagnostiziert. Es könne von einer 50%igen Arbeitsfähigkeit bei vollem Stundenpensum ausgegangen werden. Eine Verbesserung seines psychischen Zustandsbildes könne allerdings erst mit einer Veränderung seiner sozialen Situation (Familiennachzug) erwartet werden.

I.
Am 19. März 2012 wurde das Bundesverwaltungsgericht über das derzeit laufende IV-Verfahren des Beschwerdeführers unterrichtet. Dabei wurde ein Vorbescheid der IV-Stelle F._______ vom 23. Dezember 2011 zu den Akten gereicht, gegen welchen kein Einwand erhoben worden sei.

Der Beschwerdeführer schloss aus diesem Vorbescheid, dass trotz der vorgesehenen IV-Rente eine Sozialhilfe kaum ausgeschlossen werden könne, da seine Arbeitsfähigkeit grossen Einschränkungen unterworfen sei. So müsse eine mögliche Tätigkeit gemäss dem Gutachten vom 20. Dezember 2010 bei vollem Stundenpensum ausgeübt werden, d.h. er müsste seine Leistung von 50% innerhalb eines 100%-Pensums ausüben. Zudem müsste die Arbeit entsprechend den Empfehlungen des Gutachtens adaptiert sein. Eine solche Tätigkeit sei offenkundig auf dem freien Arbeitsmarkt kaum zu finden. Hinzu komme, dass Ergänzungsleistungen - eine Möglichkeit, die Sozialhilfe ablösen zu können - erst nach zehn Jahren Aufenthalt in der Schweiz bezogen werden können, was derzeit nicht erfüllt werde.

J.
Mit Verfügung vom 25. April 2012 wurde dem Beschwerdeführer vom Bundesverwaltungsgericht die Gelegenheit eingeräumt, eine Stellungnahme seiner Ehefrau und seiner drei Kinder einzureichen.

Mit Eingabe vom 11. Juli 2012 wurden die originalen Berichte (sowie deren Übersetzungen) fristgerecht eingereicht. Dabei erklärten die in Kabul wohnhaften Familienmitglieder im Wesentlichen, dass sie in ständiger Todesangst vor Selbstmordattentaten - insbesondere die Ehefrau um ihre Kinder - und in Unsicherheit leben würden, was zu einer Depression der Ehefrau geführt habe. Aus Arbeits- und entsprechendem Geldmangel würden sie bei ihrer Mutter und Grossmutter leben, welche indes ihre Familie nicht willkommen heisse. Auch Nachbarn würden sich fragen, weshalb der Ehemann, d.h. der Beschwerdeführer, seine Familie verlassen habe.

Darüber hinaus wurde eine Kopie der Verfügung der IV-Stelle F._______ vom 27. Juni 2012 beigelegt, die dem Beschwerdeführer eine monatliche Rentenleistung von Fr. 225.- bescheinigt.

K.
Am 5. November 2012 wurden mit Hinweis auf die Situation des Beschwerdeführers, wonach er wegen seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung nicht in der Lage sei, zu arbeiten, ein Zeugnis der Handwerkstatt der Asylorganisation (...) vom 29. März 2012 sowie die Bestätigung einer Beratung vom 2. November 2012, die Pro Infirmis F._______ mit dem Beschwerdeführer hinsichtlich seiner Arbeitssuche durchgeführt hatte, zu den Akten gereicht.

L.
Mit Eingabe vom 8. April 2013 informierte der Beschwerdeführer das Bundesverwaltungsgericht, dass er derzeit an einem befristeten Projekt mitarbeite. Dabei handle es sich um ein gemeinnütziges Projekt namens "Züri rollt" der (...), zu dessen Mitarbeit er eingeladen worden sei.

M.
Am 10. April 2013 wies die Rechtsvertreterin in einem Schreiben auf das Urteil des Bundesgerichts 2C_639/2012 vom 13. Februar 2013 hin, das festhalte, dass sich nach langjähriger Anwesenheit auch eine vorläufig aufgenommene Person auf Art. 8 EMRK berufen könne.

 

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.  

1.1 Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das BFM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet auf dem Gebiet der vorläufigen Aufnahme endgültig (Art. 83 Bst. c Ziff. 3 des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]; vgl. auch Thomas Häberli, Bundesgerichtsgesetz, Niggli/Uebersax/Wiprächti-ger [Hrsg.], 2. Aufl., Basel 2011, Art. 83 Rz. 97).

1.2 Das Verfahren richtet sich nach den allgemeinen Bestimmungen der Bundesrechtspflege (Art. 112 AuG).

1.3 In der Verfügung vom 29. Januar 2010 des BFM fehlt die jüngste Tochter E._______, geboren am (...) (statt dessen wurde die Ehefrau B._______, geboren am [...], zweimal erwähnt). Das Bundesverwaltungsgericht geht von einem offensichtlichen Versehen der Vorinstanz, mithin von der Teilnahme am vorinstanzlichen Verfahren der jüngsten Tochter, aus.

1.4 Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht (Art. 37 VGG, Art. 50 und Art. 52 VwVG). Die Beschwerdeführenden haben am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, sind durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und haben ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Sie sind daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 37 VGG und Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.

1.5 Die Beschwerdeführerin B._______ und ihre Kinder sind in der Vertretungsvollmacht, welche dem Bundesverwaltungsgericht mit Einreichung der Beschwerde zu den Akten gereicht wurde, nicht aufgeführt. Aufgrund der Eingabe der Beschwerdeführerin und ihrer Kinder vom 11. Juli 2012 kann implizit davon ausgegangen werden, dass sie von der amtlich bestellten Rechtsanwältin vertreten werden wollen. Eine dementsprechende Stellvertretervollmacht liegt folglich vor (vgl. zum Ganzen BVGE 2011/39).

1.6 Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 49 VwVG).

2.
Die Eingaben vom 11. Juli 2012 der Beschwerdeführerin und ihrer Kinder aus Kabul werden im Folgenden als Stellungnahmen über ihr Leben in der afghanischen Hauptstadt und nicht als eigene Asylgesuche aus dem Ausland (Art. 20 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 [AsylG, SR 142.31]; gemäss den Übergangsbestimmungen der Änderungen des AsylG vom 28. September 2012 im konkreten Fall noch in der bisherigen Fassung gültig) gewertet, da keine individuelle Verfolgung geltend gemacht wird. Festzustellen ist aufgrund der Briefe der Beschwerdeführerin und der beiden älteren Kinder allerdings, dass hinsichtlich des Wunsches, Afghanistan verlassen und mit dem Ehemann bzw. Vater in der Schweiz zusammenleben zu können, eine klare Willensäusserung von allen dreien - die jüngste Tochter hat aufgrund ihres Alters von damals acht Jahren keine Stellung genommen - vorliegt.

 

3.1 Gemäss Art. 85 Abs. 7 AuG können Ehegatten und ledige Kinder unter 18 Jahren von vorläufig aufgenommenen Personen und vorläufig aufgenommenen Flüchtlingen frühestens drei Jahre nach Anordnung der vorläufigen Aufnahme nachgezogen und in diese eingeschlossen werden, wenn sie mit diesen zusammenwohnen (Bst. a), eine bedarfsgerechte Wohnung vorhanden (Bst. b) und die Familie nicht auf Sozialhilfe angewiesen ist (Bst. c). Diese materiellen Bedingungen sind kumulativ zu erfüllen. Wie sich bereits aus dem Wortlaut der Bestimmung ergibt, besteht kein Rechtsanspruch auf Einbezug in die vorläufige Aufnahme; eine solche liegt im Ermessen der zuständigen Behörden.

3.2 Das auf Art. 85 Abs. 7 AuG gestützte Gesuch um Einbezug in die vorläufige Aufnahme muss innerhalb von fünf Jahren eingereicht werden. Das Gesuch für den Nachzug von Kindern über zwölf Jahren muss innerhalb von zwölf Monaten nach diesem Zeitpunkt eingereicht werden (Art. 74 Abs. 3 VZAE). Ein nachträglicher Familiennachzug kann nur bewilligt werden, wenn wichtige familiäre Gründe geltend gemacht werden (Art. 74 Abs. 4 VZAE). Die Minderjährigkeit der Kinder, um deren Einbezug ersucht wird, muss zum Zeitpunkt der Gesuchstellung vorliegen (vgl. BGE 136 II 497 E. 3.4 und BGE 129 II 11 E. 2).

Das Gesuch um Einbezug in die vorläufige Aufnahme wurde am 7. Oktober 2009 bei der zuständigen kantonalen Migrationsbehörde gestellt. Zu diesem Zeitpunkt waren alle drei Kinder des Beschwerdeführers minderjährig. Ferner sind seit seiner vorläufigen Aufnahme vom 3. Mai 2006 und der Gesuchseinreichung über drei Jahre vergangen. Auch die weiteren zeitlichen Bedingungen von Art. 74 VZAE sind vorliegend erfüllt. Um den Einbezug der Kinder konnte mithin unter Berufung auf Art. 85 Abs. 7 AuG ersucht werden.

4.  

4.1 Der Beschwerdeführer führte in seiner Rechtsmitteleingabe aus, dass die Voraussetzungen von Art. 85 Abs. 7 AuG unbestrittenermassen nicht alle erfüllt seien. Indes bestehe ein Anspruch auf Familiennachzug gemäss Art. 8 EMRK, da vorliegend von einem gefestigten Aufenthaltsrecht ausgegangen werden könne.

4.2 Das BFM argumentierte hingegen in seiner Vernehmlassung vom 22. März 2010, dass der Beschwerdeführer als vorläufig Aufgenommener in der Schweiz über keine ordnungsgemässe Aufenthaltsbewilligung verfüge; somit könne er sich nicht auf Art. 8 EMRK berufen. Zudem bedeute dieses Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nicht, dass die Familienzusammenführung zwingend im Ausland wahrgenommen werden müsse, zumal der Beschwerdeführer sein Heimatland und seine Familie freiwillig verlassen habe.

4.3 Im Folgenden wird zunächst die vorgebrachte Verletzung von Art. 8 EMRK geprüft. Dieser garantiert das hier im Vordergrund stehende Recht auf Achtung des Familienlebens. Unter gewissen Umständen lässt sich daraus ein Anspruch auf Erteilung einer Anwesenheitsbewilligung ableiten, da ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 8 Ziff. 1 EMRK vorliegen kann, wenn einer ausländischen Person, deren Familienangehörige hier weilen, die Anwesenheit in der Schweiz untersagt und damit das Familienleben - d.h. die Beziehungen in der sogenannten Kernfamilie (vgl. Entscheidungen und Mitteilungen der Schweizerischen Asylrekurskommission [EMARK] 1998 Nr. 31 E. 8c.bb m.w.H.; Peter Uebersax, Die EMRK und das Migrationsrecht aus der Sicht der Schweiz, in: EMRK und die Schweiz, Ehrenzeller/Breitenmoser [Hrsg.], St. Gallen 2010, S. 219) - vereitelt wird.

Auch dem Recht auf Achtung des Privatlebens kann in ausländerrechtlichen Fällen grundsätzlich eine selbständige Auffangfunktion zukommen, wenn es um eine besonders intensive private Beziehung geht, aber eine Familienbande nicht oder nicht mehr besteht (vgl. BGE 130 II 281 E. 3.2.1 m.w.H.).

4.3.1 Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Rechts auf Achtung des Familienlebens ist das Bestehen einer Familie, worunter zunächst die sogenannte Kernfamilie - d.h. ein verheiratetes Paar mit oder ohne minderjährigen Kindern - zu verstehen ist. Die Beziehung muss tatsächlich gelebt werden und intakt sein (vgl. Uebersax, a.a.O., S. 219).

Der Beschwerdeführer sei mit seiner Ehefrau seit dem Jahr 1992 verheiratet und sie haben drei gemeinsame Kinder. Etwa fünf Monate nach der Hochzeit habe er einen Kiosk in Ghazni eröffnet und der Familie ein Einkommen ermöglicht (A1 S. 2, A7 S. 4). Gemäss den Eingaben vom 4. März 2010 und vom 11. Juli 2012 würden die Ehefrau und die Kinder seit dem Jahr 2009 in Kabul leben und seien ohne die finanzielle Hilfe des Beschwerdeführers nicht überlebensfähig. Aus dem Gesagten und den weiteren Akten ist zu folgern, dass die Beziehungen zwischen den Eheleuten und den Kindern so gut als möglich gelebt werden und intakt sind.

4.3.2 Art. 8 EMRK kann verletzt sein, wenn einem Ausländer, dessen Familienangehörige in der Schweiz weilen, die Anwesenheit in der Schweiz untersagt wird. Vorausgesetzt wird nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung, dass der hier weilende Familienangehörige selber über ein gefestigtes Anwesenheitsrecht verfügt, was der Fall ist, wenn er das Schweizer Bürgerrecht besitzt, ihm die Niederlassungsbewilligung gewährt wurde oder er über eine Aufenthaltsbewilligung verfügt, die ihrerseits auf einem gefestigten Rechtsanspruch beruht (vgl. statt vieler BGE 135 I 143 E. 1.3.1). Daraus folgt grundsätzlich, dass der vorläufig aufgenommene Ausländer über kein gefestigtes Aufenthaltsrecht verfügt.

Allerdings hat das Bundesgericht erkannt, dass sich in Ausnahmesituationen auch Personen auf den Schutz von Art. 8 EMRK berufen können, die über kein (gefestigtes) Aufenthaltsrecht verfügen, deren Anwesenheit aber faktisch als Realität hingenommen wird, bzw. aus objektiven Gründen hingenommen werden muss (in BGE 126 II 335 E. 2.b.cc und 3.b offen gelassen; bejaht im Urteil des Bundesgerichts 2C_639/2012 vom 13. Februar 2013 E. 1.2 unter Verweis auf Peter Bolzli, Migrationsrecht [Kommentar], Spescha/Thür/Zünd/Bolzli [Hrsg.], 3. Aufl., Zürich 2012, Art. 85 AuG Rz. 13). Nach der Rechtsprechung bedarf es hierzu besonders intensiver, über die normale Integration hinausgehender privater Bindungen gesellschaftlicher oder beruflicher Natur (vgl. BGE 130 II 281 E. 3.2.1 - bezogen auf den Schutz des Privatlebens).

Bejaht wurde ein faktisches bzw. dauerhaftes Aufenthaltsrecht hinsichtlich einer schwer kranken, schon lange hier wohnhaften Frau aus der Demokratischen Republik Kongo, die über eine humanitäre Aufenthaltsbewilligung verfügte (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2C_551/2008 vom 17. November 2008 E. 4). Ebenfalls bejaht wurde der Selbsteintritt auf ein Asylgesuch einer Frau, deren Gatte sich aus medizinischen Gründen seit über 14 Jahren in der Schweiz als vorläufig aufgenommene Person aufhielt (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts E-5173/2010 vom 15. Januar 2013 E. 7.4.3 in Anwendung von Art. 3 Abs. 2 der Verordnung [EG] Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines Drittlandes in einem Mitgliedstaat gestellt hat [Dublin-II-Verordnung] i.V.m. Art. 8 EMRK). Auch qualifizierte das Bundesgericht den Aufenthalt einer Familie in der Schweiz - der Vater besass eine Aufenthaltsbewilligung und die Mutter war vorläufig aufgenommen, weshalb das Familienleben nur in der Schweiz ausgeübt werden könne - als genügend stabil, so dass der illegal erfolgte Familiennachzug der Tochter gestützt auf die Aufenthaltsbewilligung des Vaters, die er im Jahr 2007 erhalten hatte, genehmigt werden konnte (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2C_639/2012 vom 13. Februar 2013 E. 1.2.2 und 4.6).

Verneint wurde das faktische Anwesenheitsrecht hingegen in Verbindung mit dem Anspruch auf Achtung des Privatlebens trotz eines Aufenthalts von 16 Jahren (Aufenthaltsbewilligung) in einem Fall, in welchem die eheliche Beziehung erst von kurzer Dauer und kinderlos war; dabei wurde v.a. eine mögliche Rückkehr in das gemeinsame Heimatland der Eheleute nicht mehr als unzumutbar erachtet (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2A.2/2005 vom 4. Mai 2005 E. 2.4.2). Eine Anwesenheit in Form einer vorläufigen Aufnahme seit dem Jahr 2004 bzw. 2008 wurde als nicht derart gefestigt angesehen, als dass daraus ein faktischer Anspruch auf Erteilung einer Anwesenheitsbewilligung einzuräumen wäre (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts D-6493/2010 vom 21. September 2012 E. 5.4).

Als vorläufig aufgenommene Person verfügt der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall nicht über ein gefestigtes Anwesenheitsrecht. Auch bezogen auf den Schutz des Privatlebens nach Art. 8 EMRK kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer über besonders intensive private Bindungen gesellschaftlicher oder beruflicher Natur verfügt, welche dazu führen könnten, dass ihm das Aufenthaltsrecht faktisch zugesprochen würde.

4.3.3 Bei einer Zuerkennung eines gefestigten Aufenthaltsrechts wäre ferner zu prüfen, ob die staatliche Massnahme das familiäre Zusammenleben verhindert. Kein Eingriff liegt demnach vor, wenn kein massgeblicher Angehöriger über eine Anwesenheitsberechtigung in der Schweiz verfügt oder wenn alle zusammen das Land zu verlassen haben, bzw. den Familienangehörigen zugemutet werden kann, ihr gemeinsames Leben im Ausland zu führen (vgl. BGE 135 I 153 E. 2.1 m.w.H.; vgl. hierzu auch Urteil des Bundesgerichts 2C_639/2012 vom 13. Februar 2013 E. 4.4). Im vorliegenden Fall kann diese Frage indes offen bleiben.

4.3.4 Folglich kann aus Art. 8 EMRK nichts zugunsten des Beschwerdeführers abgeleitet werden.

5.  

5.1 Nach Art. 14 EMRK ist der Genuss der in dieser Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten "ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten". Es ist im vorliegenden Fall angebracht, zusätzlich zu Art. 8 EMRK eine mögliche Verletzung vom Diskriminierungsverbot nach Art. 14 EMRK zu überprüfen. Das Diskriminierungsverbot der EMRK hat keine eigenständige Bedeutung. Seine Anwendung setzt voraus, dass der in Frage stehende Sachverhalt in den Anwendungsbereich einer Vorschrift der EMRK fällt. Nicht notwendig ist indes, dass diese Vorschrift verletzt ist (vgl. Christoph Grabenwarter/Katharina Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, Ein Studienbuch, 5. Aufl., München/Basel/Wien 2012, § 26 Rz. 3 m.w.H.; Jens Meyer-Ladewig, EMRK Europäische Menschenrechtskonvention, Handkommentar, 3. Aufl., Baden-Baden 2011, Art. 14 Rz. 5 ff.). Im vorliegenden Fall ist die gerügte Massnahme, die Abweisung des Gesuchs um Familiennachzug, mit der Ausübung eines garantierten Rechts der EMRK - das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK (vgl. dazu EGMR, Hode und Abdi gegen Vereinigtes Königreich, Urteil vom 8. November 2012, Nr. 22341/09, § 43) - verbunden, da davon ausgegangen werden kann, dass enge persönliche Bindungen zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ehefrau sowie den Kindern bestehen, bzw. soweit als möglich gelebt werden (vgl. E. 4.3.1).

5.2 Die personenbezogenen Merkmale von Art. 14 EMRK, sind nicht in abschliessender Weise aufgezählt, was sich aus den Formulierungen "insbesondere" und "eines sonstigen Status" der Norm ergibt. Jede Differenzierung, die der Staat an ausdrücklich genannte und nicht genannte persönliche Eigenschaften knüpft, bedarf der Rechtfertigung (vgl. Grabenwarter/Pabel, a.a.O., § 26 Rz. 7).

5.3 Eine verbotene Diskriminierung liegt vor, wenn Personen in vergleichbarer oder rechtserheblich ähnlicher Lage unterschiedlich behandelt werden, d.h. die unterschiedliche Behandlung von Personen ist dann eine Diskriminierung, wenn ihr eine sachliche und vernünftige Rechtfertigung fehlt (d.h. mit der Massnahme wird kein legitimes Ziel verfolgt) oder zwischen den eingesetzten Mitteln und dem angestrebten Ziel kein angemessenes Verhältnis besteht ("Such a difference of treatment is discriminatory if it has no objective and reasonable justification; in other words, if it does not pursue a legitimate aim or if there is not a reasonable relationship of proportionality between the means employed and the aim sought to be realized"; vgl. EGMR, Hode und Abdi gegen Vereinigtes Königreich, a.a.O., § 45 m.w.H.).

5.3.1 In seiner Verfügung vom 29. Januar 2010 erwog das BFM, dass der Beschwerdeführer die Voraussetzungen von Art. 85 Abs. 7 AuG nicht erfülle. Dass es ihm durch seine gesundheitlichen Schwierigkeiten nicht möglich sei, diese Voraussetzungen zu erfüllen, sei unbestritten; indes räume Art. 85 Abs. 7 AuG den Behörden keinen Ermessensspielraum in Bezug auf die Anforderungen an einen Familiennachzug ein. Folglich könne die persönliche Situation des Beschwerdeführers nicht berücksichtigt werden.

5.3.2 Nachfolgend gilt in einem ersten Schritt abzuklären, ob der Beschwerdeführer und seine Familie durch die vorinstanzliche Verfügung - also die Verweigerung des Familiennachzugs - im Vergleich zu einer anderen Personengruppe in vergleichbarer oder rechtserheblich ähnlicher Lage anders behandelt werden. Im Mittelpunkt wird dabei eine mittelbare Diskriminierung stehen, da es zu untersuchen gilt, ob diskriminierende Auswirkungen einer neutral formulierten Regelung - vorliegend Art. 85 Abs. 7 AuG - bestehen (vgl. Grabenwarter/Pabel, a.a.O., § 26 Rz. 6 m.w.H.; Kira Heyden/Antje von Ungern-Sternberg, Ein Diskriminierungsverbot ist kein Fördergebot - Wider die neue Rechtsprechung des EGMR zu Art. 14 EMRK, Europäische Grundrechte-Zeitschrift [EuGRZ] 2009 S. 81 ff., S. 81 f. und S. 83 f.). Eine Diskriminierungsabsicht wird dabei nicht vorausgesetzt.

5.3.2.1 Im Vergleich zu vorläufig aufgenommenen Personen mit voller Arbeitsfähigkeit liegt beim Beschwerdeführer eine Behinderung vor, die ihm die Erfüllung der Bedingung von Art. 85 Abs. 7 Bst. c AuG erschweren, wenn nicht gar verunmöglichen dürfte. Er bezieht eine IV-Rente von Fr. 225.- und ist sozialhilfeabhängig. Zwar wurde er zu 50% arbeitsfähig erklärt, doch müsste er gemäss dem medizinischen Gutachten vom 20. Dezember 2010 eine bezahlte Arbeit erstens innerhalb eines 100%igen Pensums ausüben, welche zweitens in der medizinisch empfohlenen Form adaptiert sein müsste. Von Oktober 2010 bis März 2012 bewältigte er ein Arbeitspensum von 50%; doch war dies nur im Rahmen eines Integrationsprogrammes möglich, das nach Ablauf des befristeten Einsatzes beendet wurde. Derzeit wird er von Pro Infirmis, einer Organisation für behinderte Menschen, hinsichtlich seiner Arbeitssuche beraten und kann gemäss Eingabe vom 8. April 2013 zu 50% an einem gemeinnützigen - aber bis Ende Oktober 2013 befristeten - Projekt der (...) mitarbeiten. Faktisch kann in diesem speziellen Fall davon ausgegangen werden, dass sich das Finden einer entsprechenden Tätigkeit auf dem freien Arbeitsmarkt als sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich, herausstellen wird.

Der Beschwerdeführer könnte zwar nach einer Karenzfrist von zehn Jahren ununterbrochenem Aufenthalt in der Schweiz (Art. 5 Abs. 1 des Bundesgesetzes über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung [ELG, SR 831.30]) Ergänzungsleistungen beziehen, welche nicht zur Sozialhilfe zu zählen sind. Doch ist dies erst in ungefähr zwei Jahren möglich und wäre dann mit den Fristen des Familiennachzugs gemäss Art. 74 VZAE nicht mehr vereinbar.

Das Gericht geht davon aus, dass der Beschwerdeführer eine arbeitswillige Person ist, indes infolge seiner Behinderung wohl nie in der Lage sein wird, finanziell unabhängig zu sein.

5.3.2.2 Eine teleologische Auslegung der Voraussetzungen von Art. 85 Abs. 7 AuG ergibt, dass damit der Möglichkeit des Familiennachzugs ökonomische Grenzen gesetzt wurden, d.h. es gilt zu vermeiden, die öffentlichen Finanzen des Aufnahmestaates über Gebühr zu belasten (vgl. BGE 135 II 265 E. 3.3). Der Familiennachzug darf, laut dem Bundesrat, nicht zum Bezug von Sozialhilfe führen. Das voraussichtliche Einkommen der nachzuziehenden Familienmitglieder ist im Einzelfall indes zu berücksichtigen, wenn diesen eine Stelle zugesichert wurde (vgl. Botschaft zum Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer [AuG] vom 8. März 2002 [BBl 2002 3709, 3793]). Aus den Materialien geht der Tenor hervor, dass sämtliche nachgezogenen Familienmitglieder nach der Einreise nicht von der öffentlichen Fürsorge abhängig sein dürfen, sondern dass die finanziellen Mittel für die wirtschaftliche Selbständigkeit (und damit letztlich auch für die Integration) der Familie genügen. In den Materialien lässt sich kein Hinweis finden, dass eine Abweichung von dieser Regelung beabsichtigt wurde. Im Gegenteil sollen gemäss einer eingereichten parlamentarischen Initiative (Geschäfts-Nr. 08.428) dem Familiennachzug gar weitere Grenzen gesetzt werden. Der Initiative wurde zwar am 24. Oktober 2008 durch die nationalrätliche Staatspolitische Kommission (unter Zustimmung der ständerätlichen Schwesterkommission am 15. Januar 2009) Folge geleistet, doch hat die zuständige Kommission des Nationalrates bisher noch keinen Erlassentwurf vorbereitet.

5.3.2.3 Aus dem Gesagten ergibt sich, dass vorläufig aufgenommene Personen ohne Ausnahme von der Sozialhilfe unabhängig sein müssen, wenn sie ihre Familie nachziehen wollen. Es wird folglich von der vorläufig aufgenommenen Person ein Arbeitswille verlangt, der für seine Entfaltung auch die entsprechende Fähigkeit verlangt. Diese strikte Regelung hat indes die faktische Folge, dass Personen, die arbeitswillig, indes aufgrund ihrer Gebrechen nicht (oder nur in einem geschützten Rahmen) arbeitsfähig sind, ungleich gegenüber Personen behandelt werden, die arbeitswillig und arbeitsfähig sind.

5.3.3 In einem zweiten Schritt gilt es zu prüfen, ob die ungleiche Behandlung sachlich gerechtfertigt und vernünftig ist, bzw. ob die Massnahme ein legitimes Ziel verfolgt oder ob eine vernünftige Verhältnismässigkeit zwischen dem eingesetzten Mittel und dem angestrebten Ziel besteht. Es wird demgemäss geprüft, ob die Massnahme des BFM dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit entspricht.

5.3.3.1 Art. 14 EMRK enthält keine Aufzählung legitimer Ziele, die eine festgestellte Ungleichbehandlung rechtfertigen. Der Staat hat daher einen weiteren Ermessensspielraum als bei den Bestimmungen von Art. 8 bis Art. 11 EMRK, bei welchen die Schrankenregelung normiert ist (vgl. Grabenwarter/Pabel, a.a.O., § 26 Rz. 11). Die legitimen Ziele, die die Abweisung des Gesuchs um Familiennachzug verfolgt, sind ökonomische Interessen des Staates (vgl. E. 5.3.2.2). Durch die Schranke, nicht von der Sozialhilfe abhängig zu sein, soll folglich der finanzielle Haushalt der Schweiz nicht übermässig belastet werden.

5.3.3.2 Das private Interesse des Beschwerdeführers sowie Sinn und Zweck des Familiennachzugs liegt in der Ermöglichung der Auslebung eines Familienlebens in der Schweiz (vgl. Botschaft zum Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer [AuG] vom 8. März 2002, BBl 2002 3709, 3751).

5.3.3.3 Die Verweigerung des Familiennachzugs ist nach Ansicht des Gerichts die geeignete und in der Regel auch erforderliche Massnahme, wenn keine mildere Massnahme erkennbar ist (vgl. dazu Grabenwarter/Pabel, a.a.O., § 18 Rz. 15). Hinsichtlich der Frage der Verhältnismässigkeit im engeren Sinn sind jedoch zusätzlich die öffentlichen den privaten Interessen (vgl. E. 5.3.3.1 f.) gegenüberzustellen und abzuwägen (vgl. Grabenwarter/Pabel, a.a.O., § 18 Rz. 16 und § 26 Rz. 12). Das Gericht kommt im vorliegenden speziellen Fall zum Schluss, dass die Ablehnung des Gesuchs um Familiennachzug nicht angemessen ist. Zwar ist der Beschwerdeführer von der Sozialhilfe abhängig und wird dies in absehbarer Zeit auch bleiben, doch hat er alles in seiner Kraft Liegende getan, um dieser finanziellen Abhängigkeit zu entgehen oder sie wenigstens zu mindern. Sein privates Interesse, seine Familie zusammenzuführen und dieses Familienleben ausleben zu können, ist als hoch zu werten (vgl. dazu auch EGMR, Udeh gegen Schweiz, Urteil vom 16. April 2013, Nr. 12020/09, § 52 ff.), da - wie im Gutachten vom 28. März 2011 betont wurde - auch zu erwarten ist, dass mit der Veränderung seiner sozialen Situation sich auch sein psychischer Zustand verbessern wird.

5.3.4 Es ist zu betonen, dass es sich vorliegend um eine besondere Konstellation handelt. Die allgemeine Massnahme von Art. 85 Abs. 7 AuG würde sich in unverhältnismässiger Weise nachteilig auf den Beschwerdeführer auswirken, weswegen die Ablehnung des Gesuchs um Familiennachzug durch das BFM als faktische (bzw. mittelbare) Diskriminierung zu betrachten ist.

6.
Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung Bundesrecht verletzt (Art. 49 Bst. a VwVG). Der Begriff Bundesrecht muss weit verstanden werden und erfasst auch Normen des Völkerrechts, soweit diese direkt anwendbar sind (vgl. Benjamin Schindler, Auer/Müller/Schindler [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren [VwVG], Zürich 2008, Art. 49 Rz. 24). Art. 14 i.V.m. Art. 8 EMRK sind direkt anwendbar. Die Beschwerde ist demnach gutzuheissen. Die angefochtene Verfügung ist aufzuheben und das Gesuch um Familiennachzug und Einbezug in die vorläufige Aufnahme gutzuheissen.

7.  

7.1 Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Verfahrenskosten aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 und 2 VwVG).

7.2 Dem Beschwerdeführer ist gestützt auf Art. 64 VwVG zu Lasten der Vorinstanz eine angemessene Parteientschädigung zuzusprechen. Die Rechtsvertreterin reichte mit Eingabe vom 16. Juli 2012 ihre Kostennote zu den Akten, gemäss welcher ein Aufwand von insgesamt 8 Stunden und 35 Minuten zu einem Stundenansatz von Fr. 200.- und Auslagen in der Höhe von insgesamt Fr. 207.- geltend gemacht wird. Das Gericht erachtet den in Rechnung gestellten Aufwand für das Beschwerdeverfahren als angemessen. Hinzu kommen die Eingaben vom 5. November 2012 sowie vom 8. und 10. April 2013, deren Aufwand pauschal mit Fr. 300.- entschädigt wird. Demnach ist das zu entrichtende Honorar der amtlichen Vertretung unter Berücksichtigung der Bemessungsgrundsätze nach Art. 7 ff. des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE, SR 173.320.2) in der Höhe von Fr. 2'396.50 (inkl. Auslagen und Mehrwertsteuer zu 7,6 % bis zum 31. Dezember 2010 sowie 8 % ab dem 1. Januar 2011) festzulegen.

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