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Abteilung IV

D-6508/2019

law/fes

 

 

 

 

 

Urteil vom 18. Dezember 2019

Besetzung

 

Einzelrichter Walter Lang,

mit Zustimmung von Richter Yanick Felley;

Gerichtsschreiberin Sarah Ferreyra.

 

 

 

Parteien

 

A._______, geboren am (...),

Äthiopien, 

vertreten durch MLaw Joana Mösch, HEKS Rechtsschutz

Beschwerdeführerin,

 

 

 

gegen

 

 

Staatssekretariat für Migration (SEM),

Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

 

 

 

Gegenstand

 

Asyl und Wegweisung;
Verfügung des SEM vom 28. November 2019 / N (...).

 

 

 


Sachverhalt:

A. 
Die Beschwerdeführerin, gemäss eigenen Angaben eine äthiopische Staatsangehörige aus B._______ (Region C._______), verliess ihren Heimatstaat mit ihrem Onkel und einem sudanesischen Schlepper im Auto Richtung Sudan, wo sie sich einen Monat beim Schlepper aufhielt. Von dort reiste sie mit dem Schlepper auf dem Luftweg in ein ihr unbekanntes Land, wo sie sich einen Tag im Haus eines anderen Sudanesen aufhielt. Von dort reiste sie mit dem Zug am 16. September 2019 in die Schweiz ein, wo sie gleichentags um Asyl nachsuchte.

B. 
Am 15. Oktober 2019 wurde die minderjährige Beschwerdeführerin in Anwesenheit ihrer zugewiesenen Rechtsvertreterin, welche gleichzeitig ihre Vertrauensperson ist, im Bundesasylzentrum D._______ zu ihrer Person und dem Reiseweg und summarisch zu ihren Ausreisegründen befragt. Am 19. November 2019 fand die Anhörung zu den Asylgründen wieder im Beisein ihrer Rechtsvertreterin und in einer Frauenrunde nach Art. 29 AsylG (SR 142.31) statt.

Zur Begründung ihres Asylgesuches machte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen geltend, ihre Grossmutter, bei der sie aufgewachsen sei, habe ihr mitgeteilt, dass ein älterer, mächtiger Herr sie (die Beschwerdeführerin) heiraten wolle. Sie sei aber damit nicht einverstanden gewesen. Daraufhin habe der Herr sie mit einer Waffe bedroht und ihr gesagt, wenn sie ihn nicht heirate, werde er sie umbringen. Ihr Onkel und ihre Grossmutter hätten auch Angst vor ihm gehabt. Ihre Grossmutter habe sich selbst retten wollen und sei deshalb mit der Heirat einverstanden gewesen. Man habe alles für die Hochzeit vorbereitet. Als sie gesehen habe, dass Frauen für die Hochzeit Teig kneten, habe sie ihrem Onkel mitgeteilt, dass sie sich umbringen würde, damit sie diesen Herrn nicht heiraten müsse. Ihr Onkel habe realisiert, dass sie dies ernst meine, weshalb er einen Schlepper organisiert habe. Ihr Onkel sei mit ihr und dem Schlepper in den Sudan mitgekommen. Ihr Onkel habe ihr im Sudan erklärt, dass sie einen Monat dortbleiben müsse und nicht nach Hause zurückkehren dürfe. Sie sei im Haus des Schleppers eingesperrt worden und habe Angst gehabt. Mit dem Schlepper sei sie dann mit dem Bus zum Flughafen gefahren und von dort in ein ihr unbekanntes Land geflogen. Dort seien sie von einem anderen Sudanesen empfangen und mit einem Taxi zu ihm nach Hause gefahren worden, wo sie den Sonntag verbracht hätten. Sie hätten dort übernachtet und seien dann in der Nacht mit einem Zug in die Schweiz gefahren.

C. 
Mit Schreiben vom 21. November 2019 teilte die Rechtsvertreterin dem SEM mit, dass im Rahmen der Anhörung deutlich geworden sei, dass die Beschwerdeführerin kaum über ihre Asylgründe habe sprechen können und dass es sich um eine vulnerable Person handle, für die sich das beschleunigte Verfahren nicht eigne. Es werde vorliegend eine Traumatisierung dringend vermutet. Anlässlich der Anhörung, aber auch schon im Vorbereitungsgespräch mit ihr, habe die Beschwerdeführerin mehrmals den gefassten Suizidwunsch erwähnt. Da die Beschwerdeführerin äusserst labil wirke, beantrage sie ein psychiatrisches Gutachten zur Abklärung, ob eine posttraumatische Belastungsstörung vorliege. Ausserdem beantrage sie, die Beschwerdeführerin dem erweiterten Verfahren zuzuweisen. Die Vulnerabilität sei offensichtlich gegeben. Es handle sich um eine unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA), wobei vorliegend zusätzlich von einer Traumatisierung ausgegangen werde. Diesem Umstand könne in einem getakteten Verfahren nicht entsprechend Rechnung getragen werden.

D. 
Die Vorinstanz gab der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin am 22. November 2019 Gelegenheit, zum Entscheidentwurf Stellung zu nehmen.

E. 
Die Rechtsvertreterin reichte am 26. November 2019 eine entsprechende Stellungnahme ein, worin sie ausführte, aus welchen Gründen sie mit dem Entscheidentwurf nicht einverstanden sei.

F. 
Mit gleichentags eröffneter Verfügung vom 28. November 2019 stellte das SEM fest, die Beschwerdeführerin erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht, und lehnte deren Asylgesuch vom 16. September 2019 ab. Gleichzeitig verfügte es die Wegweisung der Beschwerdeführerin aus der Schweiz und ordnete den Vollzug der Wegweisung an.

G. 
Am 2. Dezember 2019 wurde eine Gefährdungsmeldung bei der kantonalen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde KESB E._______ eingereicht.

H. 
Mit Eingabe vom 9. Dezember 2019 (Datum Poststempel) erhob die Beschwerdeführerin durch ihre Rechtsvertreterin beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde und beantragte, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht liess sie zudem beantragen, es sei ihr die unentgeltliche Prozessführung zu gewähren und von der Erhebung eines Kostenvorschusses abzusehen.

 

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.   

1.1  Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das SEM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel - und so auch vorliegend -endgültig (Art. 105 AsylG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG).

1.2  Die Beschwerdeführerin hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Sie daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG und Art. 48 Abs. 1 VwVG). Auf die frist- und formgerecht (Art. 108 Abs. 1 AsylG; Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG und Art. 52 Abs. 1 VwVG) eingereichte Beschwerde ist einzutreten.

2. 
Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen richten sich im Asylbereich nach Art. 106 Abs. 1 AsylG.

3.   

3.1  Die vorliegende Beschwerde erweist sich aufgrund nachfolgender Erwägungen als offensichtlich begründet, weshalb das Bundesverwaltungsgericht in einzelrichterlicher Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters (Art. 111 Bst. e AsylG) entscheidet.

3.2  Gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG wurde auf die Durchführung eines Schriftenwechsels verzichtet.

4.   

4.1  Das SEM begründet seinen ablehnenden Asylentscheid im Wesentlichen damit, dass die Beschwerdeführerin sämtlichen Fragen zu ihrer Herkunft, zu ihren Familienverhältnissen und zu ihren Lebensumständen ausweiche. Ihre Angaben zu ihrer Identität würden sich letztlich auf die Angabe ihres Namens und ihres Geburtsdatums beschränken. Als sie anlässlich der Anhörung mit diesem Umstand konfrontiert und gebeten worden sei, ihre Identität offen zu legen, habe sie erwidert: «Ich bin einfach ein Mädchen, das A._______ heisst und keine Familie hat.». Ihre substanzlosen und teils auch widersprüchlichen und daher als unglaubhaft zu beurteilenden biographischen Angaben liessen letztlich nur den Schluss zu, dass sie ihre wahre Identität zu verschleiern versuche. Gleichermassen substanzlos und schliesslich auch realitätsfremd wie ihre biographischen Angaben würden sich ihre Aussagen zu ihrer Asylbegründung präsentieren. Sie sei ausserstande, die von ihr geschilderte Bedrohungssituation in einen zeitlichen Kontext zu setzen. Sodann würden sich ihre Angaben zu besagtem Herrn, mit dem man sie habe verheiraten wollen, auf die wenigen Hinweise, dass es sich dabei um einen dunklen, kleinen, dicken 50-jährigen Herrn handle, der viel Macht und eine Pistole besitze, beschränken. Schliesslich werfe auch die Schilderung ihrer Flucht aus dem Haus Fragen auf. In Gesamtwürdigung ihrer Aussagen und unter Berücksichtigung ihres jugendlichen Alters stelle das SEM fest, dass ihr weder ihre biographischen Angaben noch ihre Ausführungen zu ihrer Asylbegründung geglaubt werden könnten. Ihre Aussagen liessen keinerlei vernünftigen Rückschluss darauf zu, wer sie sei und was sie dazu bewogen habe, in der Schweiz ein Asylgesuch einzureichen. In der Stellungnahme mache die Rechtsvertretung darauf aufmerksam, dass die Erstbefragung in einem Männerteam und nicht, wie beantragt, in einem Frauenteam stattgefunden habe, es somit zu einem Handwechsel gekommen sei. Weiter sei die Fachspezialistin zugleich Protokollführerin gewesen. Die Dolmetscherin sowie die Rechtsvertreterin hätten mehrfach darauf hinweisen müssen, dass Bemerkungen fürs Protokoll wie «GS weint», vermerkt würden. Auch seien viele Fragen, die bereits anlässlich der Erstbefragung gestellt worden seien, erneut gestellt worden. Es sei auch zu wenig berücksichtigt worden, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um ein Kind handle, welches sich anlässlich der Anhörung nicht wohlgefühlt habe. Aufgrund der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin über ihre familiären Verhältnisse keine Auskunft habe geben können, dürfe im Hinblick auf das Kindeswohl nicht auf ein «Ausweichen» beziehungsweise auf eine Verletzung der Mitwirkungspflicht geschlossen werden. Schliesslich mache die Rechtsvertretung geltend, es hätten Abklärungen vor Ort getätigt werden müssen, bevor eine Wegweisung als zumutbar erachtet werden könne. Daher sei die Beschwerdeführerin dem erweiterten Verfahren zuzuweisen und es sei ein psychiatrisches Gutachten zu veranlassen, um abzuklären, ob eine posttraumatische Belastungsstörung vorliege. Betreffend diese Stellungnahme müsse festgehalten werden, dass, obwohl die Erstbefragung nicht in einem Frauenteam stattgefunden habe, die Anhörung zu den Asylgründen dann aber in einem reinen Frauenteam stattgefunden habe. Folglich hätte sie spätestens zu diesem Zeitpunkt die Gelegenheit gehabt, allfällige Aussagen, die sie in einem gemischten Team nicht habe äussern wollen, ansprechen. Des Weiteren müsse diesbezüglich angemerkt werden, dass ihre Rechtsvertreterin festgehalten habe, sie habe sich beim männlichen Fachspezialisten wohler gefühlt als bei der weiblichen Fachspezialistin. Dem Protokoll könne auch kein Hinweis entnommen werden, dass - obwohl die Fachspezialistin sowohl die Fragen gestellt als auch Protokoll geführt habe - dieser die nötige Sorgfalt gefehlt habe beziehungsweise sie nicht in der Lage gewesen sei, ihr Verhalten zu beobachten und Zeichen nonverbaler Kommunikation zu beobachten. Dem Einwand ihrer Rechtsvertreterin, viele Fragen seien mehrfach gestellt worden, müsse entgegengehalten werden, dass der Sachverhalt nur vollständig erstellt werden könne, wenn ausreichend Fragen gestellt würden, falls eine gesuchstellende Person nicht von sich aus detailliert erzähle. Des Weiteren werde nicht bestritten, dass sie minderjährig sei. Bei ihr handle es sich jedoch um eine Jugendliche und nicht um ein kleines Kind, in wenigen Tage werde sie (...) Jahre alt. Von einer Jugendlichen dürfe erwartet werden, dass sie sich an ihre Familie, ihren Wohnort, ihre Schulbildung erinnern könne, dass sie in der Lage sei, zu erzählen, woher sie komme, mit wem sie gelebt habe, wer ihre Freunde gewesen seien. Bei solchen Fragen handle es sich nicht um komplexe Fragen, selbst ein Kind - umso mehr eine Jugendliche - dürfe in der Lage sein, solche zu beantworten. Deswegen komme das SEM nicht umhin, den Schluss zu ziehen, dass sie ihre wahre Identität zu verschleiern versuche und damit ihre Mitwirkungspflicht verletze. Ihre Vorbringen würden den Anforderungen an die Glaubhaftigkeit gemäss Art. 7 AsylG nicht standhalten, weshalb deren Asylrelevanz nicht geprüft werden müsse. Es sei nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht Aufgabe der Asylbehörden, nach allfälligen Wegweisungsvollzugshindernissen zu forschen, wenn asylsuchende Personen, wie es vorliegend der Fall sei, ihre Identität verschleiern würden. Der Vollzug der Wegweisung erweise sich somit als zulässig. Nach konstanter Praxis sei der Vollzug der Wegweisung nach Äthiopien in alle Regionen grundsätzlich zumutbar. Ihre substanzlosen, widersprüchlichen und realitätsfremden und damit als unglaubhaft zu beurteilenden biographischen Angaben würden eine vernünftige Prüfung der Zumutbarkeit des Vollzugs ihrer Wegweisung verunmöglichen. Gleichzeitig würden sie den Schluss nahelegen, dass sie - als minderjährige Person - ihre Identität, ihre heimatliche Situation und ihre persönlichen Lebensumstände bewusst zu verschleiern versuche, um den Vollzug einer möglichen Wegweisung in ihren Heimatstaat zu erschweren oder gar zu verunmöglichen. Es sei daher der Umkehrschluss zu ziehen, dass sie in ihrem Heimatstaat über ein intaktes familiäres Beziehungsnetz und damit auch über eine gesicherte Wohnsituation verfüge. Folglich sei auch davon auszugehen, dass sie nach ihrer Rückkehr von einer Familie aufgenommen werde, auf deren Schutz und Unterstützung sie zählen könne. Darüber hinaus sei mit Blick auf das Kindswohl ihre Rückkehr in das ihr vertraute Umfeld anzustreben. Sie habe in der Schweiz keine Verwandten oder Bezugspersonen; da sie sich erst seit kurzer Zeit in der Schweiz aufhalte, dürfe die hiesige Integration als äusserst gering bezeichnet werden. Somit würden sich bei ihrerseits bestätigtem gutem Gesundheitszustand aus den Akten keine individuellen Gründe ergeben, die gegen die Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzuges sprechen.

4.2  In der Beschwerde wird geltend gemacht, anlässlich der Anhörung seien bis zur Frage 81 lediglich die bereits anlässlich der Erstbefragung gestellten Fragen wiederholt worden. Es sei dabei deutlich geworden, dass die Beschwerdeführerin kaum über das Erlebte habe sprechen können. Auffällig sei gewesen, dass die Beschwerdeführerin - bei Fragen zu ihren familiären Verhältnissen - durchgehend habe weinen müssen und auch in den Pausen mit der Rechtsvertreterin kaum zu beruhigen gewesen sei, weshalb eine Traumatisierung vermutet werden müsse. Die Rechtsvertreterin habe deswegen mit Schreiben vom 21. November 2019 eine medizinische Abklärung respektive die Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens sowie die Zuweisung ins erweiterte Verfahren beantragt, da es sich offensichtlich um eine vulnerable Person handle und weitergehende Abklärungen notwendig erschienen seien, um das Aussageverhalten der Beschwerdeführerin einordnen zu können. Zu beiden Anträgen habe die Rechtsvertreterin bis zum Datum der Beschwerdeeinreichung keine Rückmeldung erhalten. Nach der Anhörung vom 19. November 2019 habe sich der psychische Zustand der Beschwerdeführerin stark verschlechtert. Offenbar sei zeitweise in der Unterkunft für die Beschwerdeführerin in den Nächten ein Spezialsetting notwendig gewesen. Davon habe die Rechtsvertreterin nicht durch die Vorinstanz, sondern von der Beschwerdeführerin selber erfahren. Auf Nachfrage hin sei es zu einem Austausch zwischen den Betreuungspersonen der Jugendlichen und der Rechtsvertreterin gekommen, wobei sich herausgestellt habe, dass die Vorinstanz von diesen Vorfällen und dem schlechten Zustand der Beschwerdeführerin Kenntnis gehabt habe. Der Rapport der Betreuungsperson sei bei der Vorinstanz zu edieren. Herr G._______ von der KESB E._______ habe der Rechtsvertreterin mit Telefonat vom 5. Dezember 2019 mitgeteilt, dass die Beschwerdeführerin der (...) zugewiesen werde. Es werde demnach ein psychiatrisches Gutachten erstellt, welches die Rechtsvertreterin dem Bundesverwaltungsgericht nachreichen werde. Bezugnehmend auf das Protokoll der Anhörung werde festgehalten, dass die zuständige Sachbearbeiterin zugleich Protokollführerin und Befragerin gewesen sei. Der Umstand, dass die Sachbearbeiterin zeitgleich das Protokoll geschrieben habe, habe bewirkt, dass diese kaum Gelegenheit gehabt habe, Blickkontakt zur Beschwerdeführerin aufzunehmen und deren Aussageverhalten, Mimik sowie deren Zustand zu beobachten, weshalb sowohl die Rechtsvertreterin als auch die Dolmetscherin mehrfach auf Bemerkungen fürs Protokoll hätten hinweisen müssen. Dabei hätte die befragende Person, um eine kindsgerechte Befragung durchführen zu können, stets das Verhalten der UMA beobachten sollen, um auch alle Zeichen nonverbaler Kommunikation (Gesten, Schweigen) ins Protokoll einfliessen zu lassen. Folglich sei bereits das Setting in beiden Anhörungen nicht kindsgerecht gestaltet gewesen. Hinsichtlich der Unvoreingenommenheit der befragenden Person habe sich das Bundesverwaltungsgericht dahingehend geäussert, dass diese eine freundliche Zuhörerin sein und neutral bleiben müsse, wobei der Blickkontakt ebenfalls von grosser Bedeutung sei. Vorliegend habe die Sachbearbeiterin anlässlich der Anhörung mit Zwischenbemerkungen wie «Es sei offensichtlich, dass du ein waches Mädchen bist, das meine Fragen gut versteht. Es ist daher kaum nachvollziehbar, dass du so wenig über dich zu berichten weisst.» klargemacht, dass sie der Beschwerdeführerin nicht unvoreingenommen gegenübergestanden sei. In diesem Zusammenhang werde auf verzweifelte Aussagen der Beschwerdeführerin hingewiesen wie «Ich weiss von nichts - ich schwöre!» oder «Ich bin einfach ein Mädchen, das A._______ heisst und keine Familie hat (GS weint)», die deutlich aufzeigen würden, dass die Beschwerdeführerin sich nicht ernstgenommen gefühlt habe. Hinzu komme, dass es - insbesondere, wenn Minderjährige über gewisse Ereignisse nicht sprechen könnten -, angezeigt sei, das Thema zu wechseln und später darauf zurückzukommen. Die Gefühle der Minderjährigen (insbesondere Schuld-, Scham- oder Angstgefühle) sowie die Möglichkeit, das gewisse Gewaltvorfälle nicht erwähnt beziehungsweise geleugnet würden, müsse berücksichtigt werden (vgl. BVGE 2014/30 E. 2.3.3.2). Dem sei nicht Rechnung getragen worden. Es sei offenkundig, dass der Sachverhalt im getakteten Verfahren - insbesondere hinsichtlich des medizinischen Sachverhalts - nicht vollständig habe erstellt werden können. Entgegen der Meinung der Vorinstanz gebe es genügend Anhaltspunkte, dass es der Beschwerdeführerin gesundheitlich nicht gut gehe. Auch könne nicht allein aufgrund der Aussage einer Minderjährigen, es gehe ihr gut und sie hätte keine gesundheitlichen Probleme, davon ausgegangen werden, dass keine weiteren medizinischen Abklärungen hätten getroffen werden müssen. Dass die Beschwerdeführerin psychisch angeschlagen sei, sei der Vorinstanz bekannt. Die Beschwerdeführerin sei in den Strukturen für UMA untergebracht, wo ihr eine sozialpädagogische Fachperson zugeteilt sei. Diese wiederum stehe in engem Kontakt zur Vorinstanz und gebe vermutlich Berichte über die physische und psychische Gesundheit der Betreuten ab. Diese Rapporte seien der Rechtsvertreterin, die auch Vertrauensperson der UMA sei, nicht zugänglich und es erfolge keine aktive Information seitens der Vorinstanz. Damit habe die Rechtsvertreterin die Rolle als Vertrauensperson auch nicht wirksam wahrnehmen können. Es sei folglich festzuhalten, dass die Vorinstanz den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe, indem die Befragung nicht kindsgerecht durchgeführt worden sei. Bezüglich der familiären Verhältnisse stellt sich die Vorinstanz auf den Standpunkt, die Beschwerdeführerin sei den Fragen stets ausgewichen, womit sie ihre Mitwirkungspflicht verletzt habe. Dass die Vorinstanz bei blossem Nichtwissen auf Ausweichen schliesse, erscheine mit Blick auf das Kindeswohl besonders stossend. Nebst dem, dass diverse Fragen zu der nicht vorhandenen Familie anlässlich der Anhörung wiederholt gestellt worden seien, habe die Sachbearbeiterin die Beschwerdeführerin mit weiterführenden und nicht altersentsprechenden Fragen konfrontiert, die sie offensichtlich überfordert hätten - beispielsweise, weshalb sie nicht wüsste, wer ihre Eltern seien, oder weshalb sie nicht wisse, wo sie geboren sei. Derartige Fragen habe die Beschwerdeführerin stets mit «ich weiss es nicht» beantwortet. Zutreffend sei, dass eine erwachsene Gesuchstellerin dieses Unwissen hätte substantiieren können wie «Ich war damals noch zu klein, um mich daran erinnern zu können.» Von einer Minderjährigen könne diese Form von Selbstreflexion schlicht nicht erwartet werden. Es werde auch nicht berücksichtigt, dass die Beschwerdeführerin isoliert aufgewachsen sei, über fast keine Schulbildung verfüge und in einem Haushalt gelebt habe, in dem sie kein gesundes Selbstvertrauen habe entwickeln können. Es sei somit nicht angebracht, auf die Eloquenz und den Entwicklungsstand einer hiesigen (...)-Jährigen zu schliessen. Es werde seitens der Rechtsvertretung nicht bestritten, dass die Beschwerdeführerin bei beiden Befragungen wortkarg gewesen sei, weshalb ein psychiatrisches Gutachten beantragt worden sei. Ausführungen im hier angefochtenen Entscheid zu besagten widersprüchlichen Aussagen seien jedoch nirgends zu finden und insofern haltlos. Die Vorinstanz habe ferner keinerlei Nachforschungen angeordnet, um den Sachverhalt und die Identität der Beschwerdeführerin zu klären. Jedenfalls seien keine solchen Abklärungen durch die Schweizer Vertretung in Äthiopien aus den Akten ersichtlich. Die Vorinstanz gebe die Verantwortung vollumfänglich an die Minderjährige ab und mache eine Verletzung der Mitwirkungspflicht geltend. Es liege somit eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes vor. Nach geltender Praxis des Bundesverwaltungsgerichts sei die Vorinstanz von Amtes wegen verpflichtet, spezifische Abklärungen der persönlichen Situation unter dem Blickwinkel des Kindeswohls vorzunehmen, widrigenfalls der Sachverhalt diesbezüglich als nicht korrekt und vollständig festgestellt gelte. Die Vorinstanz müsse konkrete Informationen über eine angemessene Aufnahme durch die Familien einholen. Das SEM müsse den UMA zum telefonischen Kontakt mit den Eltern sowie zu deren sozioökonomischen Situation befragen. Allenfalls seien weitere Abklärungen vorzunehmen hinsichtlich der effektiven Möglichkeit, bei der Rückkehr in adäquater Weise untergebracht und betreut zu werden. Diese konkreten Abklärungen inklusive der allfälligen Übernahmezusicherungen einer geeigneten Institution müssten vor Erlass einer wegweisenden Verfügung vorgenommen beziehungsweise eingeholt werden, damit sie einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich seien. Vorliegend habe die Vorinstanz die Familiensituation nicht geklärt und es unterlassen, irgendwelche Abklärungen vorzunehmen. Der Vollständigkeit halber sei festzuhalten, dass selbst wenn man den Ausführungen der Vorinstanz folge und eine Verletzung der Mitwirkungspflicht annehme, die Vorinstanz bei der unbegleiteten minderjährigen Beschwerdeführerin die obengenannten Abklärungen bezüglich der Frage des Vorhandenseins eines sozialen Netzes hätte tätigen müssen (vgl. BVGer-Urteil E-1279/2014 vom 7. September 2015 E. 5.3.2). Aufgrund der mangelhaften Anhörung sowie fehlender Abklärungen habe die Vorinstanz den rechtserheblichen Sachverhalt nicht korrekt und unvollständig erhoben. Dabei verletze die Vorinstanz den Untersuchungsgrundsatz und damit den Anspruch auf rechtliches Gehör. Deshalb sei die angefochtene Verfügung wie beantragt aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung zurückzuweisen.


5.   

5.1   

5.1.1  Das erstinstanzliche Asylverfahren hat im Fall unbegleiteter Minderjähriger - wie der Beschwerdeführerin - gewissen Anforderungen zu genügen, um der speziellen Situation von Minderjährigen im Verfahren gerecht zu werden. Gemäss Art. 17 Abs. 2bis AsylG werden Asylgesuche von unbegleiteten Minderjährigen prioritär behandelt und im Bundesasylzentrum nimmt die zugewiesene Rechtsvertretung als Vertrauensperson die Interessen der UMA wahr (vgl. Art. 17 Abs. 3 Bst. a AsylG und BVGE 2011/23 E. 5.3.1). Die Vertrauensperson muss über Kenntnisse des Asylrechts, des Rechts betreffend das Dublin-Verfahren und der Kinderrechte sowie über Erfahrung im Umgang mit Minderjährigen verfügen und begleitet und unterstützt die unbegleitete minderjährige Person im Asyl- oder im Dublin-Verfahren und erfüllt folgende Aufgaben: Beratung vor und während den Befragungen; Unterstützung bei der Nennung und Beschaffung von Beweismitteln; Beistand insbesondere im Verkehr mit Behörden sowie mit Einrichtungen des Gesundheitswesens (Art. 7 Abs. 3 AsylV 1). Sodann haben Personen, die minderjährige asylsuchende Personen anhören, den besonderen Aspekten der Minderjährigkeit Rechnung zu tragen (Art. 7 Abs. 5 AsylV 1; vgl. hierzu BVGE 2014/30 E. 2.3).

5.1.2  Der Zweck der Massnahmen nach Art. 17 Abs. 3 AsylG und Art. 7 AsylV 1 liegt insofern auf der Hand, als minderjährige Personen, die aus ihrer geografischen, sprachlichen, kulturellen und sozialen Umgebung herausgerissen worden sind, sich deshalb in einer schwierigen Situation befinden und gerade wegen ihres jugendlichen Alters besonders verletzlich und meist mit ihrer Lage überfordert sind. Deshalb sollen sie während des Asylverfahrens durch eine Person ihres Vertrauens unterstützt werden, indem altersbedingte Erfahrungsdefizite ausgeglichen und die unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden auf den Stand einer durchschnittlichen erwachsenen asylsuchenden Person gebracht werden (vgl. Urteil des BVGer E-55256/2017 vom 9. Mai 2018 E. 6.2.1; D-2363/2016 vom 29. Mai 2017 E. 3.2; Entscheidungen und Mitteilungen der Schweizerischen Asylrekurskommission [EMARK] 2003 Nr. 1 E. 3).

5.2  Insofern in der Beschwerde geltend gemacht wird, es habe keine kindsgerechte Anhörung stattgefunden, ist vorab festzustellen, dass die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Anhörung (...)-jährig gewesen ist und das SEM ohne vorgängige Abklärung von der Urteilsfähigkeit der Beschwerdeführerin ausgegangen ist. Im Asylverfahren wird in der Regel ab dem 14. Altersjahr von der Urteilsfähigkeit der Gesuchstellenden ausgegangen. Entscheidend für die Beurteilung der Urteilsfähigkeit ist jedoch, ob die betroffene minderjährige Person in der Lage ist, bezüglich der in einem Asylverfahren erforderlichen Mitwirkung vernunftgemäss zu handeln, insbesondere die Verfolgungssituation nachvollziehbar zu schildern (vgl. Joana Maria Mösch, Multidisziplinäres Verfahren unbegleiteter minderjähriger Asylsuchender, in Jusletter vom 15. August 2016, Ziff. 1.1 S. 7). Vorliegend wird die Urteilsfähigkeit der minderjährigen Beschwerdeführerin nicht in Frage gestellt. Das SEM stellte aber fest, dass die Minderjährigkeit offenkundig sei und die Beschwerdeführerin kindlich wirke. Insofern wäre es wichtig gewesen, diesem Umstand anlässlich der Anhörung gebührend Rechnung zu tragen, indem sich die Befragerin voll und ganz der Beschwerdeführerin zugewandt hätte, ohne zusätzlich das Protokoll zu führen. Zumindest ist mit der Unterstützung der Rechtsvertreterin und der Dolmetscherin die nonverbale Kommunikation im Protokoll festgehalten worden und es hat eine entsprechende Einleitung stattgefunden. Obwohl die Beschwerdeführerin sichtlich Mühe hatte, über ihre familiären Verhältnisse zu sprechen (vgl. Akte 1051233-13/15 [nachfolgend A13] F76 f.), stellte die Befragerin anfangs durchgehend Fragen zu diesem Thema. Dabei hätte die Befragerin merken müssen, dass die Beschwerdeführerin ständig Tränen in den Augen hatte oder weinte (vgl. A13 F18, F39, F41, F43, F56, F77, und entsprechend reagieren müssen, beispielsweise dahingehend, sich nach ihrem Befinden beziehungsweise dem Grund für das Weinen zu erkundigen, ihr ein Glas Wasser oder eine Pause anzubieten. Der erste Teil der Anhörung erweckt nach Durchsicht des Protokolls nicht den Eindruck, die Beschwerdeführerin sei aufgrund der Befragungssituation in der Lage gewesen, sich frei zu äussern. Zudem wurde wiederholt nach Zeitpunkten und Zeitspannen gefragt, obwohl die Beschwerdeführerin bereits ausgesagt hatte, dass sie es nicht wisse. Sie sei in einem grossen Stress gewesen (vgl. A13 F31, F35, F67-F72, F108, F109). Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Anhörung zwar nicht wie bei einem Erwachsenen durchgeführt worden ist und dem Aspekt der Minderjährigkeit der Beschwerdeführerin teilweise Rechnung getragen wurde, allerdings nicht hinreichend. Vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, die Beschwerdeführerin sei anlässlich der Anhörung in der Lage gewesen, ihre Gründe für das Asylgesuch genügend klar und vollständig darzulegen.

5.3  Schliesslich wurde das SEM drei Tage nach der Anhörung von der Rechtsvertreterin mit Schreiben vom 21. November 2019 darauf hingewiesen, dass Abklärungen zum Gesundheitszustand angebracht wären und die Beschwerdeführerin dem erweiterten Verfahren zuzuweisen sei. Die Beschwerdeführerin gab zwar anlässlich der Erstbefragung und der Anhörung an, es gehe ihr gesundheitlich gut. Allerdings ist bei minderjährigen Personen zu berücksichtigen, dass psychische Beschwerden anders als die körperlichen Beschwerden für diese nicht leicht zu artikulieren sind. Angesichts dessen, dass die Beschwerdeführerin anlässlich der Anhörung immer wieder weinen musste und die befragende Sachbearbeiterin es unterlassen hatte, sie nach dem Grund und nochmals nach dem Befinden zu fragen, darf aus ihrer Aussage, gesund zu sein, nicht voreilig der Schluss gezogen werden, sie habe keine gesundheitlichen Beschwerden und deshalb auf jegliche Abklärungen ihres Gesundheitszustandes zu verzichten. In der Beschwerde wird darauf hingewiesen, die KESB habe nach Einleitung einer eventuellen Kindswohlgefährdung eine Abklärung des psychischen Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin veranlasst. Aufgrund der Mitteilungen der Vertrauensperson an das SEM und den Umständen anlässlich der Anhörung hätte für das SEM hinreichend Anlass bestanden, den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin weiter abzuklären.

5.4  In der Beschwerde wird ein Rapport einer Betreuungsperson erwähnt, wonach die Beschwerdeführerin in der Unterkunft während der Nacht ein Spezialsetting benötigt habe. Ein solcher liegt den vorinstanzlichen Akten nicht bei. Sollte ein solcher oder gar mehrere tatsächlich existieren, ist das SEM anzuweisen, diese zu den Akten zu nehmen, ansonsten es seine Aktenführungspflicht verletzen würde.

5.5   

5.5.1  Ferner wird in der Beschwerde gerügt, das SEM habe die Untersuchungspflicht verletzt, indem es keine spezifischen Abklärungen betreffend den Wegweisungsvollzug vorgenommen habe. Das SEM führte betreffend die Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs aus, die Beschwerdeführerin habe ihre Identität, ihre heimatliche Situation und ihre persönlichen Lebensumstände bewusst zu verschleiern versucht und damit die Mitwirkungspflicht verletzt. Es würden deshalb weder die in der tatsächlichen Herkunftsregion innerhalb Äthiopiens herrschende politische Situation noch andere Gründe gegen die Zumutbarkeit der Rückführung der Beschwerdeführerin dorthin sprechen.

5.5.2  Sofern eine minderjährige Person noch sehr jung und nicht in der Lage ist, ihre Gründe für das Asylgesuch genügend klar und vollständig darzulegen, kann ihr grundsätzlich keine Verletzung der Mitwirkungspflicht vorgehalten werden (vgl. EMARK 1999 Nr. 2 E. 6d [in Bezug auf eine [...] Jahre alte Person). Wie bereits festgestellt, konnte die Beschwerdeführerin anlässlich der Anhörung ihre familiären Umstände aufgrund ihrer psychischen Verfassung wie auch ihre Asylgründe nicht klar ausdrücken (vgl. E. 5.2).

5.5.3  Das SEM ist im Zusammenhang mit der Anordnung des Wegweisungsvollzugs von unbegleiteten Minderjährigen von Amtes wegen verpflichtet, spezifische Abklärungen der persönlichen Situation unter dem Blickwinkel des Kindeswohls vorzunehmen, widrigenfalls der Sachverhalt nicht als korrekt und vollständig festgestellt gilt. Die zuständige Behörde hat gemäss Art. 69 Abs. 4 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (Ausländer- und Integrationsgesetz, AIG [SR 142.20]) vor einer Ausschaffung von unbegleiteten minderjährigen Personen zudem sicherzustellen, dass diese im Rückkehrstaat einem Familienmitglied, einem Vormund oder einer Aufnahmeeinrichtung übergeben werden, welche den Schutz des Kindes gewährleisten. Diese konkreten Abklärungen inklusive der allfälligen Übernahmezusicherungen einer geeigneten äthiopischen Institution sind vor Erlass einer wegweisenden Verfügung des SEM vorzunehmen respektive einzuholen, damit sie einer gerichtlichen Überprüfung offenstehen (vgl. BVGE 2015/30 E. 7.3). Das SEM durfte sich im vorliegenden Fall aufgrund der Minderjährigkeit der Beschwerdeführerin nicht darauf beschränken, auf eine Verletzung der Mitwirkungspflicht zu verweisen und die im Gesetz vorgesehenen spezifischen Abklärungen dem vollziehenden Kanton zu überlassen. Vielmehr hat das SEM die Pflicht, von Amtes wegen konkreter abzuklären, ob die Beschwerdeführerin in Äthiopien in ein familiäres Umfeld zurückgeführt und wem sie dort anvertraut werden kann, beziehungsweise ob sie - wo dies nicht möglich ist oder dem Wohl des Kindes nicht entspricht - anderweitig untergebracht werden kann. In diesem Zusammenhang wäre ein blosser allfälliger Hinweis auf eine Empfangnahme und Weitervermittlung durch die Schweizer Vertretung vor Ort respektive in Äthiopien zu gegebenem Zeitpunkt im Lichte oben erwähnter Anforderungen als ungenügend zu erachten. Die Beschwerdeführerin gab sodann ihren Namen, ihren Vornamen, das Geburtsdatum und ihren Wohnort übereinstimmen bekannt, weshalb es dem SEM möglich gewesen wäre, anhand dieser Angaben Abklärungen zu treffen. Das SEM ist den Anforderungen zur umfassenden Würdigung sämtlicher für das Kindeswohl relevanten Kriterien mithin nicht gerecht geworden und es hat nicht geklärt, in wessen Obhut die Beschwerdeführerin beim angeordneten Wegweisungsvollzug in Äthiopien übergeben werden und wie diese Empfangnahme im Heimatland konkret vonstattengehen soll.

5.6  Zusammenfassend ist festzustellen, dass im vorliegenden Fall zusätzliche Abklärungen (gesundheitlicher Zustand der Beschwerdeführerin; erneute Anhörung, welche den besonderen Aspekten der Minderjährigkeit der Beschwerdeführerin Rechnung trägt; spezifische Feststellung der persönlichen Situation hinsichtlich Durchführbarkeit des Wegweisungsvollzugs) notwendig sind, und die Vorinstanz den Sachverhalt unvollständig erstellt, mithin Bundesrecht verletzt hat.

6. 
Gemäss Art. 61 Abs. 1 VwVG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in der Sache selbst oder weist diese ausnahmsweise mit verbindlichen Weisungen an die Vorinstanz zurück. Im vorliegenden Fall ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, zumal die Erstellung des Sachverhalts weiterer Abklärungen bedarf und die oben genannten weiteren Untersuchungsmassnahmen den Rahmen des Beschwerdeverfahrens sprengen würden. Dies rechtfertigt sich umso mehr, als vorliegend aufgrund einer mangelhaften Triage erstinstanzlich ein beschleunigtes Verfahren durchgeführt wurde, was offensichtlich nicht sachgerecht ist. Der Beschwerdeführerin bleibt auf diese Weise zudem der Instanzenzug erhalten, was umso wichtiger ist, als im Asylverfahren das Bundesverwaltungsgericht letztinstanzlich entscheidet (vgl. dazu BVGE 2009/53 E. 7.3, 2008/47 E. 3.3.4, 2008/14 E. 4.1).

7. 
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen, die vorinstanzliche Verfügung vom 28. November 2019 aufzuheben und die Sache zur vollständigen und richtigen Sachverhaltsermittlung und Neubeurteilung an das SEM zurückzuweisen.

8. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 63 Abs. 1 und 2 VwVG). Die Gesuche um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und um Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses werden damit gegenstandslos.

 

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2. 
Die vorinstanzliche Verfügung vom 28. November 2019 wird aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen zur vollständige und richtigen Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalts sowie zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

3. 
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.

4. 
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführerin, das SEM und die zuständige kantonale Behörde.

 

Der Einzelrichter:

Die Gerichtsschreiberin:

 

 

Walter Lang

Sarah Ferreyra

 

 

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