Bundesverwaltungsgericht
Tribunal administratif fédéral
Tribunale amministrativo
federale
Tribunal administrativ federal
Abteilung IV
D-5407/2006law/bah
{T
0/2}
Urteil vom 30. November 2009
Besetzung
Richter Walter Lang (Vorsitz),
Richter
Blaise Pagan, Richter Daniel Schmid,
Gerichtsschreiber Christoph Basler.
Parteien
A._______,
geboren (...),
Iran,
vertreten durch lic. iur. Urs Ebnöther, Rechtsanwalt, Advokatur Kanonengasse,
(...),
Beschwerdeführer,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM), vormals
Bundesamt für Flüchtlinge (BFF),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Gegenstand
Feststellung
der Flüchtlingseigenschaft und Wegweisung;
Verfügung des BFM vom 8. Mai 2006 / N (...).
Sachverhalt:
A.
A.a
Das Bundesamt stellte mit Verfügung vom 15. November 2004 fest, der Beschwerdeführer erfülle
die Flüchtlingseigenschaft nicht, und lehnte sein erstes Asylgesuch vom 9. August 2004 ab. Gleichzeitig
verfügte es die Wegweisung aus der Schweiz und ordnete den Vollzug der Wegweisung an.
A.b Eine
gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde vom 15. Dezember 2004 wies die damals zuständige
Schweizerische Asylrekurskommission (ARK) mit Urteil vom 26. Juli 2005 vollumfänglich ab.
B.
B.a
Mit Eingabe an das BFM vom 18. Januar 2006 liess der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter
ein zweites Asylgesuch stellen und beantragen, es sei seine Flüchtlingseigenschaft, jedenfalls seien
die Unzulässigkeit und die Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs festzustellen und er sei in der
Schweiz vorläufig aufzunehmen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht liess er zudem beantragen, es seien
der Vollzug der Wegweisung und entsprechende Vorbereitungshandlungen zu sistieren, bis über das
Eintreten auf das Gesuch entschieden sei.
B.b Das BFM überwies die Eingabe vom 18. Januar 2006
am 26. Januar 2006 an die ARK, da es zur Auffassung gelangte, die geltend gemachten, nach Erlass des
Urteils der ARK ausgeübten exilpolitischen Aktivitäten würden nicht auf einer eigentlichen
nachträglichen Veränderung der Sachlage beruhen, sondern eine Gegenargumentation gegen die
im Urteil der ARK festgehaltenen Überlegungen und Schlussfolgerungen darstellen. Bei der Eingabe
handle es sich somit um ein Revisionsgesuch, zu dessen Behandlung die ARK zuständig sei.
B.c
Die ARK gelangte demgegenüber zum Schluss, bei der Eingabe handle es sich nicht um ein Revisionsgesuch.
Sie schrieb daher die Angelegenheit mit Beschluss vom 1. Februar 2006 als erledigt von der Geschäftskontrolle
ab und überwies die Eingabe zur gut scheinenden Behandlung an das BFM.
C.
Das BFM
stellte mit Verfügung vom 8. Mai 2006 - eröffnet am 10. Mai 2006 - fest, der Beschwerdeführer
erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht, und lehnte das zweite Asylgesuch ab. Gleichzeitig
verfügte es die Wegweisung aus der Schweiz und ordnete den Vollzug der Wegweisung an.
D.
Mit
Eingabe vom 9. Juni 2006 liess der Beschwerdeführer durch seinen Vertreter gegen diese Verfügung
bei der ARK Beschwerde erheben und beantragen, die Verfügung sei vollumfänglich aufzuheben,
und die Sache sei an die Vorinstanz zur Neubeurteilung zurückzuweisen. In verfahrensrechtlicher
Hinsicht liess er beantragen, es sei die unentgeltliche Rechtspflege gemäss Art. 65 Abs. 1
des Bundesgesetzes
vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG,
SR 172.021) zu gewähren und auf
die Erhebung eines Kostenvorschusses zu verzichten.
E.
Der Instruktionsrichter der ARK
hiess das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege mit Zwischenverfügung vom 21.
Juni 2006 gut und verzichtete auf die Erhebung eines Kostenvorschusses. Die Akten überwies er dem
BFM zur Vernehmlassung.
F.
F.a Das BFM beantragte in seiner Vernehmlassung vom 19. Juli
2006 die Abweisung der Beschwerde.
F.b Die Vernehmlassung wurde dem Beschwerdeführer am 21.
Juli 2006 von der ARK zur Kenntnis gebracht.
G.
Am 9. August 2006 übermittelte der
Beschwerdeführer der ARK zahlreiche Beweismittel zu seinen exilpolitischen Aktivitäten und
einen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) vom 4. April 2006 (vgl. S. 4 der Eingabe).
H.
Der
Beschwerdeführer reichte am 2. März 2007 beim Bundesverwaltungsgericht, das am 1. Januar 2007
die am 31. Dezember 2006 bei der ARK hängig gewesenen Verfahren übernommen hatte, weitere Beweismittel
zu seinen exilpolitischen Aktivitäten ein (vgl. S. 4 der Eingabe). Am 12. Oktober 2007 stellte er
dem Bundesverwaltungsgericht Internetauszüge mit Fotografien und Kopien von Flugblättern zu.
Mit Schreiben vom 21. Mai 2008 übermittelte er weitere Beweismittel (vgl. S. 2 des Schreibens).
Am 21. Januar 2009 gab er zusätzliche Dokumente zu exilpolitischen Aktivitäten zu den Akten.
Mit Eingabe vom 27. August 2009 reichte er zahlreiche Beweismittel ein. Er beantragte, die Akten seien
der Vorinstanz zu einer zweiten Vernehmlassung zuzustellen.
Das Bundesverwaltungsgericht zieht
in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 31
des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17.
Juni 2005 (VGG,
SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen
nach Art. 5
VwVG. Das BFM gehört zu den Behörden nach Art. 33
VGG und ist daher eine Vorinstanz
des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32
VGG liegt
nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden
Beschwerde; es entscheidet auf dem Gebiet des Asyls endgültig (Art. 105
des Asylgesetzes vom 26.
Juni 1998 [AsylG,
SR 142.31]; Art. 83 Bst. d Ziff. 1
des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG,
SR 173.110]).
1.2 Das Bundesverwaltungsgericht hat am 1. Januar 2007 die Beurteilung der bei
der ARK am 31. Dezember 2006 hängig gewesenen Rechtsmittel übernommen. Das neue Verfahrensrecht
ist anwendbar (vgl. Art. 53 Abs. 2
VGG).
1.3 Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht.
Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein
schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Er ist daher zur Einreichung
der Beschwerde legitimiert (Art. 105
AsylG i.V.m. Art. 37
VGG und Art. 48 Abs. 1
, Art. 50
und Art. 52
VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2.
Mit Beschwerde kann die Verletzung von
Bundesrecht, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts
und die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 106 Abs. 1
AsylG).
3.
3.1 Das Bundesamt
führte in der angefochtenen Verfügung aus, die ARK habe in letzter Zeit eine Praxis eingeführt,
wonach bei Vorbringen subjektiver Nachfluchtgründe aufgrund ihrer Begründetheit und Dokumentation
die Möglichkeit, in Anwendung von Art. 32 Abs. 2 Bst. e
AsylG einen Nichteintretensentscheid zu
treffen, von vornherein ausser Betracht falle. Einschlägigen Urteilen sei zudem zu entnehmen, dass
vor dem Entscheid über das Begehren um Feststellung der Flüchtlingseigenschaft im Rahmen eines
"ordentlichen" erneuten Asylverfahrens eine Anhörung gemäss den Art. 29
und 30
AsylG
durchzuführen sei. Dem sei entgegenzuhalten, dass gemäss Art. 29
AsylG die kantonale oder die
Bundesbehörde die Asylsuchenden innerhalb von 20 Arbeitstagen nach dem Zuweisungsentscheid zu den
Asylgründen anzuhören habe. Diese Bestimmung beziehe sich aber auf das ordentliche (erste)
Asylverfahren, wo aufgrund der unendlichen Palette möglicher Asylgründe eine ausführliche
Befragung für die Sachverhaltsabklärung unabdingbar sei. Beim Erlass dieser Bestimmung habe
der Gesetzgeber unzweifelhaft nicht an die besondere Konstellation gedacht, in der eine Person, deren
Vorfluchtgründe rechtskräftig beurteilt worden seien, - ohne zwischenzeitlich in die Heimat
zurückgekehrt zu sein - ein erneutes Gesuch um Feststellung der Flüchtlingseigenschaft einreiche,
bei dem sie gezielt nur subjektive Nachfluchtgründe geltend mache. In einem solchen Fall erscheine
es wenig sinnvoll, das ganze Prozedere eines ordentlichen Asylverfahrens durchzuführen. Hinzu komme,
dass vorliegend der Sachverhalt einschliesslich der Rolle, die der Beschwerdeführer bei den detailliert
belegten Aktivitäten inne gehabt habe, klar auf der Hand liege, sodass sich aus diesem Grund eine
persönliche Anhörung erübrige. Des Weiteren gelangte das Bundesamt zum Schluss, dass der
Beschwerdeführer aufgrund seiner exilpolitischen Aktivitäten in der Schweiz bei einer Rückkehr
in den Iran nicht mit flüchtlingsrechtlich relevanter Verfolgung zu rechnen habe und deshalb die
Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle.
3.2 In der Beschwerde wird geltend gemacht,
die Durchführung einer Anhörung erscheine geboten, um die genaue Tragweite der Aktivitäten,
die politische Überzeugung, die Motivation oder aber den Exponierungsgrad eines Gesuchstellers abzuklären.
Allein gestützt auf die Akten erscheine eine solche Einschätzung schwierig bis unmöglich.
Zudem dürfe es nicht dem Ermessen des Bundesamtes überlassen werden, ob die exilpolitischen
Aktivitäten detailliert genug mit Dokumenten geltend gemacht worden seien, oder ob es mangels Substanziierung
einer Anhörung bedürfe. Demgegenüber erscheine es in der Tat wenig zweckmässig, das
übrige Prozedere eines ordentlichen Asylverfahrens durchzuführen. Diesbezüglich sei keine
Gesetzesbestimmung und kein rechtlicher Grundsatz ersichtlich, der diese Massnahmen bei einem zweiten
Asylverfahren gebiete. Betreffend die Verletzung des rechtlichen Gehörs sei auf die Erwägungen
in einem Urteil der ARK vom 29. Mai 2006 zu verweisen, in dem der Argumentation des BFM widersprochen
worden sei. Gemäss den Ausführungen in diesem Urteil sei die Frage, ob der Sachverhalt klar
sei oder nicht, bezüglich der Anwendung von Art. 29
AsylG unbeachtlich. Der Anspruch auf rechtliches
Gehör bestehe unabhängig davon. Aus Art. 38 ff
. AsylG gehe implizit hervor, dass bei materiell
zu entscheidenden Asylgesuchen eine durchgeführte Anhörung Voraussetzung für eine Beurteilung
der Sache sei. Gemäss den Ausführungen im genannten Urteil sei die gesetzliche Regelung eindeutig;
auch im Fall eines zweiten Asylgesuchs, das sich ausschliesslich auf subjektive Nachfluchtgründe
stütze, habe eine Anhörung gemäss Art. 29
und 30
AsylG stattzufinden. Das Bundesamt hätte
vorliegend im Rahmen des zweiten Asylverfahrens eine Anhörung durchführen müssen. Da es
ungerechtfertigterweise darauf verzichtet habe, sei der Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches
Gehör verletzt worden. Eine Verletzung dieses Anspruchs führe grundsätzlich zur Aufhebung
des fehlerhaften Entscheides. Der Verfahrensmangel könne nicht geheilt werden, da er in der Ausübung
seiner Rechte massiv beeinträchtigt worden sei und eine Instanz verlieren würde. Die vorinstanzliche
Verfügung sei deshalb aufzuheben und die Sache zur Wiederaufnahme des ordentlichen Verfahrens an
das Bundesamt zurückzuweisen. Im Sinne einer Ergänzung des rechtserheblichen Sachverhalts würden
Beweismittel zu weiteren exilpolitischen Aktivitäten des Beschwerdeführers zu den Akten gereicht.
4.
4.1
Gemäss Art. 32 Abs. 2 Bst. e
AsylG wird auf Asylgesuche nicht eingetreten, wenn Asylsuchende in
der Schweiz bereits ein Asylverfahren erfolglos durchlaufen haben oder während des hängigen
Asylverfahrens in den Heimat- oder Herkunftsstaat zurückgekehrt sind, ausser es gebe Hinweise, dass
in der Zwischenzeit Ereignisse eingetreten sind, die geeignet sind, die Flüchtlingseigenschaft zu
begründen, oder die für die Gewährung vorübergehenden Schutzes relevant sind.
4.2
Der Prüfung, ob Ereignisse eingetreten sind, die geeignet sind, die Flüchtlingseigenschaft
zu begründen, ist der Flüchtlingsbegriff gemäss Art. 3
AsylG zugrunde zu legen. Bedeutsam
sind in dieser Hinsicht deshalb nur Hinweise auf Ereignisse, die sich zur Begründung der Flüchtlingseigenschaft
eignen. Auf das Asylgesuch ist daher nicht einzutreten, wenn eines der Elemente des Flüchtlingsbegriffs
gemäss Art. 3
AsylG offensichtlich nicht erfüllt ist (Entscheide des Schweizerischen Bundesverwaltungsgerichts
[BVGE] 2008/57 E. 3.3 S. 780, Entscheidungen der Schweizerischen Asylrekurskommission [
EMARK] 2005 Nr.
2 E. 4.5 S. 18). Dabei ist ein gegenüber der Glaubhaftmachung reduzierter Beweismassstab anzusetzen;
auf das Asylgesuch ist einzutreten, wenn sich Hinweise auf ernsthafte Nachteile im Sinne von Art. 3
AsylG
ergeben, die nicht zum Vornherein haltlos sind (
BVGE 2008/57 E. 3.2 S. 780,
EMARK 2005 Nr. 2 E. 4.3 S.
17).
5.
5.1 Das rechtliche Gehör, welches in Art. 29 Abs. 2
der Bundesverfassung
der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV,
SR 101) verankert und durch Bestimmungen
in Spezialgesetzen konkretisiert wird, dient einerseits der Aufklärung des Sachverhalts, andererseits
stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht der Parteien dar (vgl. Bernhard Waldmann/Jürg
Bickel, in: Waldmann/Weissenberger [Hrsg.], Praxiskommentar VwVG, Zürich 2009, Art. 29 N 22 f.;
Patrick Sutter, in: Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren (VwVG), Auer/Müller/Schindler
[Hrsg.], Zürich 2008, Art. 29 N 8; Pierre Moor, Droit administratif, Bd. II, 2. Aufl., Bern 2002,
S. 275; je mit weiteren Hinweisen).
5.1.1 Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird für
das Asylverfahren in Art. 29
und 30
AsylG näher konkretisiert. Eine mündliche Anhörung
entsprechend den Vorschriften in Art. 29
und 30
AsylG ist im ordentlichen Asylverfahren sowie vor Nichteintretensentscheiden
in den in Art. 36 Abs. 1
Bstn. a-c AsylG erwähnten Fällen durchzuführen. Demgegenüber
wird vor Nichteintretensentscheiden nach den Art. 32
, 34 Abs. 2
Bst. d und 35 AsylG der asylsuchenden
Person das rechtliche Gehör gewährt.
5.1.2 Gemäss Art. 36 Abs. 1 Bst. b
AsylG findet
in Fällen nach Art. 32 Abs. 2 Bst. e
AsylG eine Anhörung zu den Asylgründen im Sinne von
Art. 29
und 30
AsylG nur statt, wenn die asylsuchende Person aus ihrem Heimat- oder Herkunftsstaat in
die Schweiz zurückgekehrt ist. Ist die asylsuchende Person, nachdem sie in der Schweiz bereits ein
Asylverfahren erfolglos durchlaufen hat, in der Schweiz verblieben, und ergeben sich aufgrund ihres neuen
Asylgesuchs keine Hinweise auf in der Zwischenzeit eingetretene Ereignisse, die geeignet sind, die Flüchtlingseigenschaft
zu begründen, ist ihr gemäss Art. 36 Abs. 2
AsylG vor Erlass eines auf Art. 32 Abs. 2 Bst.
e
AsylG gestützten Nichteintretensentscheids das rechtliche Gehör zu gewähren.
5.1.3
Art. 36 Abs. 2
AsylG regelt nicht, in welcher Form und in welchem Umfang der asylsuchenden Person das
rechtliche Gehör zu gewähren ist. Gestützt auf Art. 6
AsylG ist diesbezüglich auf
Art. 29 ff
. VwVG zurückzugreifen, welche den verfassungsmässigen Anspruch auf rechtliches Gehör
im Verwaltungsverfahren näher konkretisieren.
Gemäss Art. 29
VwVG haben die Parteien
Anspruch auf rechtliches Gehör. Art. 30 Abs. 1
VwVG besagt, dass die Behörde die Parteien anhört,
bevor sie verfügt. Das Recht auf vorgängige Anhörung ist Teilgehalt des rechtlichen Gehörs
und wird - als dessen Kernelement - auch als "rechtliches Gehör im engeren Sinn" bezeichnet
(WALDMANN/BICKEL, a.a.O. Art. 30 N 3). Der Anspruch auf vorgängige Anhörung beinhaltet auch,
dass die Behörde sich beim Erlass ihrer Verfügung nicht auf Tatsachen abstützen darf,
zu denen sich die von der Verfügung betroffene Person nicht vorgängig äussern und diesbezüglich
Beweis führen konnte; er besteht also primär in Bezug auf die Feststellung des rechtserheblichen
Sachverhalts (WALDMANN/BICKEL, a.a.O. Art. 30 N 18). Dagegen vermittelt das rechtliche Gehör im
engeren Sinn keinen Anspruch auf eine vorgängige Anhörung zu Fragen der Rechtsanwendung: Die
Behörde ist nicht verpflichtet, der von der Verfügung betroffenen Person mitzuteilen, wie sie
den Sachverhalt zu würdigen beabsichtigt und ihr diesbezüglich die Gelegenheit zur Stellungnahme
einzuräumen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht lediglich, wenn die Behörde eine rechtliche
Würdigung vornehmen will, mit der die betroffene Person nicht rechnen konnte und musste (sog. überraschende
Rechtsanwendung, bspw. im Rahmen einer beabsichtigten Praxisänderung [WALDMANN/BICKEL, a.a.O. Art.
30 N 19 ff.; SUTTER, a.a.O. Art. 30 N 1 f.; MOOR, a.a.O. S. 281 f.]).
5.1.4 Wird ein Verwaltungsverfahren
nicht von Amtes wegen, sondern auf Gesuch hin eingeleitet, ist es grundsätzlich nicht notwendig,
der gesuchstellenden Person vor Erlass der Verfügung explizit das rechtliche Gehör zu gewähren,
da nach Treu und Glauben erwartet werden darf, dass sie mit der Gesuchseinreichung die ihr wesentlich
erscheinenden Elemente aufzeigt und der Sachverhalt somit rechtsgenüglich festgestellt werden kann.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird somit - auch mit Blick auf die Verfahrensökonomie -
in der Regel von der gesuchstellenden Person mit der Gesuchseinreichung wahrgenommen (WALDMANN/BICKEL,
a.a.O. Art. 29 N 42 und Art. 30 N 32; SUTTER, a.a.O. Art. 30 N 7).
5.1.5 Dies gilt grundsätzlich
auch für den Fall, dass eine Person, welche in der Schweiz erfolglos ein Asylverfahren durchlaufen
hat, ein weiteres Asylgesuch einreicht. Eine mündliche Anhörung im Sinne von Art. 29
und 30
AsylG ist gemäss Art. 36 Abs. 1
AsylG unter diesen Umständen einzig für den Fall vorgesehen,
dass die asylsuchende Person aus ihrem Heimat- oder Herkunftsstaat in die Schweiz zurückgekehrt
ist. Ist die asylsuchende Person jedoch in der Schweiz verblieben und wird das weitere Asylgesuch mit
exilpolitischen Aktivitäten begründet, darf erwartet werden, dass sie in ihrem Gesuch alle
notwendigen und verfügbaren diesbezüglichen Informationen vorbringt; dies auch vor dem Hintergrund,
dass der Fokus ein im Vergleich zu allgemeinen Asylgründen eingeschränkter ist und die Vorbringen
in der Regel nachgewiesen werden können (WALTER STÖCKLI, Asyl, in: Uebersax/Rudin/Hugi Yar/Geiser
[Hrsg.], Ausländerrecht, 2. Aufl., Basel 2009, Rz. 11.148 und Fn. 221).
5.1.6 Soweit das BFM
nach Treu und Glauben davon ausgehen darf, aufgrund des von einer Person, welche nach erfolglosem Durchlaufen
eines Asylverfahrens in der Schweiz verblieben ist, neu eingereichten Asylgesuchs sei der Sachverhalt
vollständig erstellt, kann es von einer zusätzlichen Gewährung des rechtlichen Gehörs
absehen, da in diesem Fall der diesbezügliche Anspruch von der gesuchstellenden Person in der Regel
bereits mit der Gesuchseinreichung wahrgenommen worden ist (vgl.
EMARK 1998 Nr. 1 E. 6c.bb S. 13). Stellt
das BFM jedoch Lücken oder Unklarheiten im Sachverhalt oder das Fehlen von Beweismitteln fest, ist
es verpflichtet, diese mittels konkretem Nachfragen beziehungsweise Einfordern der Beweismittel zu schliessen.
Dies kann in der Regel auf schriftlichem Weg geschehen, eine mündliche Anhörung ist jedoch
nicht ausgeschlossen. Letztere braucht den Anforderungen der Art. 29
und 30
AsylG nicht zu genügen,
da es sich nicht um eine formelle Anhörung im Rahmen eines ordentlichen Verfahrens handelt, sondern
um den in Art. 29
VwVG statuierten Anspruch auf rechtliches Gehör.
6.
6.1 Ergeben
sich aufgrund des Gesuchs Hinweise auf in der Zwischenzeit eingetretene Ereignisse, die geeignet sind,
die Flüchtlingseigenschaft zu begründen (oder die für die Gewährung vorübergehenden
Schutzes relevant sind), fällt die Möglichkeit, in Anwendung von Art. 32 Abs. 2 Bst. e
AsylG
einen Nichteintretensentscheid zu treffen, ausser Betracht. Allein der Umstand, dass in einem weiteren,
insbesondere schriftlich eingereichten Asylgesuch das exilpolitische Engagement der asylsuchenden Person
umfassend dargelegt und allenfalls mit Beweismitteln dokumentiert wird, bedeutet indessen nicht, dass
auf das Asylgesuch im Sinne eines Automatismus einzutreten ist. Vielmehr ist im Hinblick auf die Frage,
ob das ordentliche Verfahren durchzuführen oder ein Nichteintretensentscheid gemäss Art. 32
Abs. 2 Bst. e
AsylG zu fällen ist, unter Berücksichtigung des länderspezifischen und personenbezogenen
Kontextes im konkreten Fall zu prüfen, ob sich aufgrund der geltend gemachten exilpolitischen Tätigkeiten
Hinweise ergeben, die geeignet sind, die Flüchtlingseigenschaft zu begründen. Ergeben sich
solche Hinweise, muss das BFM auf das zweite Asylgesuch eintreten und im Rahmen des ordentlichen Asylverfahrens
eine förmliche Anhörung zu den Asylgründen nach Art. 29
und 30
AsylG durchführen
(
EMARK 2006 Nr. 20 E. 3.1 S. 214 f.).
7.
7.1 Im vorliegenden Fall ist das BFM auf das
weitere, mit dem Vorliegen subjektiver Nachfluchtgründe begründete Asylgesuch eingetreten.
Es ist damit implizit davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für einen Nichteintretensentscheid
gemäss Art. 32 Abs. 2 Bst. e
AsylG nicht erfüllt sind. Unter diesen Umständen kann zwar
auf eine erneute Befragung des Gesuchstellers zu den Personalien und zum Reiseweg (vgl. Art. 26 Abs.
2
AsylG) sowie die Bestimmung eines Zuweisungskantons (vgl. Art. 27 Abs. 2
AsylG) verzichtet werden,
da die Wiederholung dieser Verfahrensschritte verfahrensökonomisch unsinnig wäre. Im Übrigen
sind jedoch die allgemeinen, das ordentliche Asylverfahren betreffenden Vorschriften zu beachten. Insbesondere
kann auf die Durchführung einer Anhörung gemäss den Art. 29
und 30
AsylG nicht verzichtet
werden. Bei der in einem weiteren ordentlichen Asylverfahren durchzuführenden Anhörung handelt
es sich nicht um die Wiederholung eines bereits in einem vorangegangenen Verfahren durchgeführten
Verfahrensschritts, ist doch der Gesuchsteller hauptsächlich über zu bis zu diesem Zeitpunkt
nicht geprüfte Gründe, die zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft führen könnten,
zu befragen.
7.2 Nach dem Gesagten ist festzuhalten, dass das BFM das rechtliche Gehör
des Beschwerdeführers verletzt hat, in dem es sein Asylgesuch im ordentlichen Verfahren behandelt
hat, ohne eine Anhörung zu den Asylgründen nach Art. 29
und 30
AsylG durchzuführen.
7.3
Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist formeller Natur. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs
führt deshalb grundsätzlich - das heisst ungeachtet der materiellen Auswirkungen - zur Aufhebung
des daraufhin ergangenen Entscheides (vgl.
BVGE 2008/47 E. 3.3.4 S. 676 f.,
BVGE 2008/14 E. 4.1 S. 185,
BVGE 2007/30 E. 8.2 S. 371 m.w.H.,
BVGE 2007/27 E. 10.1 S. 332). Die Heilung von Gehörsverletzungen
ist aus prozessökonomischen Gründen auf Beschwerdeebene nur möglich, sofern das Versäumte
nachgeholt wird, der Beschwerdeführer dazu Stellung nehmen kann und der Beschwerdeinstanz im streitigen
Fall die freie Überprüfungsbefugnis in Bezug auf Tatbestand und Rechtsanwendung zukommt, sowie
die festgestellte Verletzung nicht schwerwiegender Natur ist und die fehlende Entscheidreife durch die
Beschwerdeinstanz mit vertretbarem Aufwand hergestellt werden kann (vgl.
BVGE 2008/47 E. 3.3.4 S. 676
f.). Dies ist vorliegend nicht der Fall.
7.4 Zusammenfassend ergibt sich, dass das BFM das
rechtliche Gehör des Beschwerdeführers und damit Bundesrecht verletzt hat. Da eine Heilung
der Verletzung des rechtlichen Gehörs auf Beschwerdeebene nicht in Betracht fällt, ist die
Beschwerde gutzuheissen, die angefochtene Verfügung aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung
an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das BFM wird dabei die vom Beschwerdeführer im Rahmen des
Beschwerdeverfahrens geltend gemachten weiteren exilpolitischen Aktivitäten zu berücksichtigen
haben.
8.
8.1 Beim vorliegenden Ausgang des Beschwerdeverfahrens sind keine Kosten zu
erheben (Art. 63 Abs. 1
und 2
VwVG).
8.2 Dem obsiegenden Beschwerdeführer ist in Anwendung
von Art. 64 Abs. 1
VwVG und Art. 7
des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen
vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE,
SR 173.320.2) zulasten der Vorinstanz eine Parteientschädigung
für die ihm erwachsenen notwendigen und verhältnismässig hohen Kosten zuzusprechen. Eine
Kostennote wurde nicht zu den Akten gereicht. Der notwendige Vertretungsaufwand lässt sich indes
aufgrund der Aktenlage zuverlässig abschätzen, weshalb auf die Einholung einer Kostennote zu
verzichten ist (vgl. Art. 14 Abs. 2
in fine VGKE). Unter Berücksichtigung der massgebenden Berechnungsfaktoren
(Art. 9
-11
und 13
VGKE) ist die Parteientschädigung auf Fr. 1'000.-- (inkl. Auslagen und Mehrwertsteuer)
festzusetzen und das BFM anzuweisen, dem Beschwerdeführer diesen Betrag als Parteientschädigung
auszurichten.
(Dispositiv nächste Seite)
Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die
Beschwerde wird gutgeheissen.
2.
Die Verfügung des Bundesamtes vom 8. Mai 2006 wird
aufgehoben und die Sache wird im Sinne der Erwägungen zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
3.
Es
werden keine Verfahrenskosten auferlegt.
4.
Das BFM hat dem Beschwerdeführer für
das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1'000.-- auszurichten.
5.
Dieses
Urteil geht an:
den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers (Einschreiben)
das BFM, Abteilung
Aufenthalt, mit den Akten Ref.-Nr. N (...) (per Kurier; in Kopie)
die kantonale Behörde (in
Kopie)
Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:
Walter Lang
Christoph Basler
Versand: