Bundesverwaltungsgericht
Tribunal administratif fédéral
Tribunale amministrativo federale
Tribunal administrativ federal

Abteilung IV
D-5407/2006
law/bah
{T 0/2}

Urteil vom 30. November 2009

Besetzung
Richter Walter Lang (Vorsitz),
Richter Blaise Pagan, Richter Daniel Schmid,
Gerichtsschreiber Christoph Basler.

Parteien
A._______, geboren (...),
Iran,
vertreten durch lic. iur. Urs Ebnöther, Rechtsanwalt, Advokatur Kanonengasse, (...),
Beschwerdeführer,

gegen

Bundesamt für Migration (BFM), vormals Bundesamt für Flüchtlinge (BFF),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.

Gegenstand
Feststellung der Flüchtlingseigenschaft und Wegweisung;
Verfügung des BFM vom 8. Mai 2006 / N (...).

Sachverhalt:

A.
A.a Das Bundesamt stellte mit Verfügung vom 15. November 2004 fest, der Beschwerdeführer erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht, und lehnte sein erstes Asylgesuch vom 9. August 2004 ab. Gleichzeitig verfügte es die Wegweisung aus der Schweiz und ordnete den Vollzug der Wegweisung an.
A.b Eine gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde vom 15. Dezember 2004 wies die damals zuständige Schweizerische Asylrekurskommission (ARK) mit Urteil vom 26. Juli 2005 vollumfänglich ab.

B.
B.a Mit Eingabe an das BFM vom 18. Januar 2006 liess der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter ein zweites Asylgesuch stellen und beantragen, es sei seine Flüchtlingseigenschaft, jedenfalls seien die Unzulässigkeit und die Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs festzustellen und er sei in der Schweiz vorläufig aufzunehmen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht liess er zudem beantragen, es seien der Vollzug der Wegweisung und entsprechende Vorbereitungshandlungen zu sistieren, bis über das Eintreten auf das Gesuch entschieden sei.
B.b Das BFM überwies die Eingabe vom 18. Januar 2006 am 26. Januar 2006 an die ARK, da es zur Auffassung gelangte, die geltend gemachten, nach Erlass des Urteils der ARK ausgeübten exilpolitischen Aktivitäten würden nicht auf einer eigentlichen nachträglichen Veränderung der Sachlage beruhen, sondern eine Gegenargumentation gegen die im Urteil der ARK festgehaltenen Überlegungen und Schlussfolgerungen darstellen. Bei der Eingabe handle es sich somit um ein Revisionsgesuch, zu dessen Behandlung die ARK zuständig sei.
B.c Die ARK gelangte demgegenüber zum Schluss, bei der Eingabe handle es sich nicht um ein Revisionsgesuch. Sie schrieb daher die Angelegenheit mit Beschluss vom 1. Februar 2006 als erledigt von der Geschäftskontrolle ab und überwies die Eingabe zur gut scheinenden Behandlung an das BFM.

C.
Das BFM stellte mit Verfügung vom 8. Mai 2006 - eröffnet am 10. Mai 2006 - fest, der Beschwerdeführer erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht, und lehnte das zweite Asylgesuch ab. Gleichzeitig verfügte es die Wegweisung aus der Schweiz und ordnete den Vollzug der Wegweisung an.

D.
Mit Eingabe vom 9. Juni 2006 liess der Beschwerdeführer durch seinen Vertreter gegen diese Verfügung bei der ARK Beschwerde erheben und beantragen, die Verfügung sei vollumfänglich aufzuheben, und die Sache sei an die Vorinstanz zur Neubeurteilung zurückzuweisen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht liess er beantragen, es sei die unentgeltliche Rechtspflege gemäss Art. 65 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021) zu gewähren und auf die Erhebung eines Kostenvorschusses zu verzichten.

E.
Der Instruktionsrichter der ARK hiess das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege mit Zwischenverfügung vom 21. Juni 2006 gut und verzichtete auf die Erhebung eines Kostenvorschusses. Die Akten überwies er dem BFM zur Vernehmlassung.

F.
F.a Das BFM beantragte in seiner Vernehmlassung vom 19. Juli 2006 die Abweisung der Beschwerde.
F.b Die Vernehmlassung wurde dem Beschwerdeführer am 21. Juli 2006 von der ARK zur Kenntnis gebracht.

G.
Am 9. August 2006 übermittelte der Beschwerdeführer der ARK zahlreiche Beweismittel zu seinen exilpolitischen Aktivitäten und einen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) vom 4. April 2006 (vgl. S. 4 der Eingabe).

H.
Der Beschwerdeführer reichte am 2. März 2007 beim Bundesverwaltungsgericht, das am 1. Januar 2007 die am 31. Dezember 2006 bei der ARK hängig gewesenen Verfahren übernommen hatte, weitere Beweismittel zu seinen exilpolitischen Aktivitäten ein (vgl. S. 4 der Eingabe). Am 12. Oktober 2007 stellte er dem Bundesverwaltungsgericht Internetauszüge mit Fotografien und Kopien von Flugblättern zu. Mit Schreiben vom 21. Mai 2008 übermittelte er weitere Beweismittel (vgl. S. 2 des Schreibens). Am 21. Januar 2009 gab er zusätzliche Dokumente zu exilpolitischen Aktivitäten zu den Akten. Mit Eingabe vom 27. August 2009 reichte er zahlreiche Beweismittel ein. Er beantragte, die Akten seien der Vorinstanz zu einer zweiten Vernehmlassung zuzustellen.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das BFM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde; es entscheidet auf dem Gebiet des Asyls endgültig (Art. 105 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 [AsylG, SR 142.31]; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]).

1.2 Das Bundesverwaltungsgericht hat am 1. Januar 2007 die Beurteilung der bei der ARK am 31. Dezember 2006 hängig gewesenen Rechtsmittel übernommen. Das neue Verfahrensrecht ist anwendbar (vgl. Art. 53 Abs. 2 VGG).

1.3 Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Er ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG und Art. 48 Abs. 1, Art. 50 und Art. 52 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.
Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).

3.
3.1 Das Bundesamt führte in der angefochtenen Verfügung aus, die ARK habe in letzter Zeit eine Praxis eingeführt, wonach bei Vorbringen subjektiver Nachfluchtgründe aufgrund ihrer Begründetheit und Dokumentation die Möglichkeit, in Anwendung von Art. 32 Abs. 2 Bst. e AsylG einen Nichteintretensentscheid zu treffen, von vornherein ausser Betracht falle. Einschlägigen Urteilen sei zudem zu entnehmen, dass vor dem Entscheid über das Begehren um Feststellung der Flüchtlingseigenschaft im Rahmen eines "ordentlichen" erneuten Asylverfahrens eine Anhörung gemäss den Art. 29 und 30 AsylG durchzuführen sei. Dem sei entgegenzuhalten, dass gemäss Art. 29 AsylG die kantonale oder die Bundesbehörde die Asylsuchenden innerhalb von 20 Arbeitstagen nach dem Zuweisungsentscheid zu den Asylgründen anzuhören habe. Diese Bestimmung beziehe sich aber auf das ordentliche (erste) Asylverfahren, wo aufgrund der unendlichen Palette möglicher Asylgründe eine ausführliche Befragung für die Sachverhaltsabklärung unabdingbar sei. Beim Erlass dieser Bestimmung habe der Gesetzgeber unzweifelhaft nicht an die besondere Konstellation gedacht, in der eine Person, deren Vorfluchtgründe rechtskräftig beurteilt worden seien, - ohne zwischenzeitlich in die Heimat zurückgekehrt zu sein - ein erneutes Gesuch um Feststellung der Flüchtlingseigenschaft einreiche, bei dem sie gezielt nur subjektive Nachfluchtgründe geltend mache. In einem solchen Fall erscheine es wenig sinnvoll, das ganze Prozedere eines ordentlichen Asylverfahrens durchzuführen. Hinzu komme, dass vorliegend der Sachverhalt einschliesslich der Rolle, die der Beschwerdeführer bei den detailliert belegten Aktivitäten inne gehabt habe, klar auf der Hand liege, sodass sich aus diesem Grund eine persönliche Anhörung erübrige. Des Weiteren gelangte das Bundesamt zum Schluss, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner exilpolitischen Aktivitäten in der Schweiz bei einer Rückkehr in den Iran nicht mit flüchtlingsrechtlich relevanter Verfolgung zu rechnen habe und deshalb die Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle.

3.2 In der Beschwerde wird geltend gemacht, die Durchführung einer Anhörung erscheine geboten, um die genaue Tragweite der Aktivitäten, die politische Überzeugung, die Motivation oder aber den Exponierungsgrad eines Gesuchstellers abzuklären. Allein gestützt auf die Akten erscheine eine solche Einschätzung schwierig bis unmöglich. Zudem dürfe es nicht dem Ermessen des Bundesamtes überlassen werden, ob die exilpolitischen Aktivitäten detailliert genug mit Dokumenten geltend gemacht worden seien, oder ob es mangels Substanziierung einer Anhörung bedürfe. Demgegenüber erscheine es in der Tat wenig zweckmässig, das übrige Prozedere eines ordentlichen Asylverfahrens durchzuführen. Diesbezüglich sei keine Gesetzesbestimmung und kein rechtlicher Grundsatz ersichtlich, der diese Massnahmen bei einem zweiten Asylverfahren gebiete. Betreffend die Verletzung des rechtlichen Gehörs sei auf die Erwägungen in einem Urteil der ARK vom 29. Mai 2006 zu verweisen, in dem der Argumentation des BFM widersprochen worden sei. Gemäss den Ausführungen in diesem Urteil sei die Frage, ob der Sachverhalt klar sei oder nicht, bezüglich der Anwendung von Art. 29 AsylG unbeachtlich. Der Anspruch auf rechtliches Gehör bestehe unabhängig davon. Aus Art. 38 ff. AsylG gehe implizit hervor, dass bei materiell zu entscheidenden Asylgesuchen eine durchgeführte Anhörung Voraussetzung für eine Beurteilung der Sache sei. Gemäss den Ausführungen im genannten Urteil sei die gesetzliche Regelung eindeutig; auch im Fall eines zweiten Asylgesuchs, das sich ausschliesslich auf subjektive Nachfluchtgründe stütze, habe eine Anhörung gemäss Art. 29 und 30 AsylG stattzufinden. Das Bundesamt hätte vorliegend im Rahmen des zweiten Asylverfahrens eine Anhörung durchführen müssen. Da es ungerechtfertigterweise darauf verzichtet habe, sei der Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt worden. Eine Verletzung dieses Anspruchs führe grundsätzlich zur Aufhebung des fehlerhaften Entscheides. Der Verfahrensmangel könne nicht geheilt werden, da er in der Ausübung seiner Rechte massiv beeinträchtigt worden sei und eine Instanz verlieren würde. Die vorinstanzliche Verfügung sei deshalb aufzuheben und die Sache zur Wiederaufnahme des ordentlichen Verfahrens an das Bundesamt zurückzuweisen. Im Sinne einer Ergänzung des rechtserheblichen Sachverhalts würden Beweismittel zu weiteren exilpolitischen Aktivitäten des Beschwerdeführers zu den Akten gereicht.

4.
4.1 Gemäss Art. 32 Abs. 2 Bst. e AsylG wird auf Asylgesuche nicht eingetreten, wenn Asylsuchende in der Schweiz bereits ein Asylverfahren erfolglos durchlaufen haben oder während des hängigen Asylverfahrens in den Heimat- oder Herkunftsstaat zurückgekehrt sind, ausser es gebe Hinweise, dass in der Zwischenzeit Ereignisse eingetreten sind, die geeignet sind, die Flüchtlingseigenschaft zu begründen, oder die für die Gewährung vorübergehenden Schutzes relevant sind.

4.2 Der Prüfung, ob Ereignisse eingetreten sind, die geeignet sind, die Flüchtlingseigenschaft zu begründen, ist der Flüchtlingsbegriff gemäss Art. 3 AsylG zugrunde zu legen. Bedeutsam sind in dieser Hinsicht deshalb nur Hinweise auf Ereignisse, die sich zur Begründung der Flüchtlingseigenschaft eignen. Auf das Asylgesuch ist daher nicht einzutreten, wenn eines der Elemente des Flüchtlingsbegriffs gemäss Art. 3 AsylG offensichtlich nicht erfüllt ist (Entscheide des Schweizerischen Bundesverwaltungsgerichts [BVGE] 2008/57 E. 3.3 S. 780, Entscheidungen der Schweizerischen Asylrekurskommission [EMARK] 2005 Nr. 2 E. 4.5 S. 18). Dabei ist ein gegenüber der Glaubhaftmachung reduzierter Beweismassstab anzusetzen; auf das Asylgesuch ist einzutreten, wenn sich Hinweise auf ernsthafte Nachteile im Sinne von Art. 3 AsylG ergeben, die nicht zum Vornherein haltlos sind (BVGE 2008/57 E. 3.2 S. 780, EMARK 2005 Nr. 2 E. 4.3 S. 17).

5.
5.1 Das rechtliche Gehör, welches in Art. 29 Abs. 2 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV, SR 101) verankert und durch Bestimmungen in Spezialgesetzen konkretisiert wird, dient einerseits der Aufklärung des Sachverhalts, andererseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht der Parteien dar (vgl. Bernhard Waldmann/Jürg Bickel, in: Waldmann/Weissenberger [Hrsg.], Praxiskommentar VwVG, Zürich 2009, Art. 29 N 22 f.; Patrick Sutter, in: Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren (VwVG), Auer/Müller/Schindler [Hrsg.], Zürich 2008, Art. 29 N 8; Pierre Moor, Droit administratif, Bd. II, 2. Aufl., Bern 2002, S. 275; je mit weiteren Hinweisen).
5.1.1 Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird für das Asylverfahren in Art. 29 und 30 AsylG näher konkretisiert. Eine mündliche Anhörung entsprechend den Vorschriften in Art. 29 und 30 AsylG ist im ordentlichen Asylverfahren sowie vor Nichteintretensentscheiden in den in Art. 36 Abs. 1 Bstn. a-c AsylG erwähnten Fällen durchzuführen. Demgegenüber wird vor Nichteintretensentscheiden nach den Art. 32, 34 Abs. 2 Bst. d und 35 AsylG der asylsuchenden Person das rechtliche Gehör gewährt.
5.1.2 Gemäss Art. 36 Abs. 1 Bst. b AsylG findet in Fällen nach Art. 32 Abs. 2 Bst. e AsylG eine Anhörung zu den Asylgründen im Sinne von Art. 29 und 30 AsylG nur statt, wenn die asylsuchende Person aus ihrem Heimat- oder Herkunftsstaat in die Schweiz zurückgekehrt ist. Ist die asylsuchende Person, nachdem sie in der Schweiz bereits ein Asylverfahren erfolglos durchlaufen hat, in der Schweiz verblieben, und ergeben sich aufgrund ihres neuen Asylgesuchs keine Hinweise auf in der Zwischenzeit eingetretene Ereignisse, die geeignet sind, die Flüchtlingseigenschaft zu begründen, ist ihr gemäss Art. 36 Abs. 2 AsylG vor Erlass eines auf Art. 32 Abs. 2 Bst. e AsylG gestützten Nichteintretensentscheids das rechtliche Gehör zu gewähren.
5.1.3 Art. 36 Abs. 2 AsylG regelt nicht, in welcher Form und in welchem Umfang der asylsuchenden Person das rechtliche Gehör zu gewähren ist. Gestützt auf Art. 6 AsylG ist diesbezüglich auf Art. 29 ff. VwVG zurückzugreifen, welche den verfassungsmässigen Anspruch auf rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren näher konkretisieren.

Gemäss Art. 29 VwVG haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör. Art. 30 Abs. 1 VwVG besagt, dass die Behörde die Parteien anhört, bevor sie verfügt. Das Recht auf vorgängige Anhörung ist Teilgehalt des rechtlichen Gehörs und wird - als dessen Kernelement - auch als "rechtliches Gehör im engeren Sinn" bezeichnet (WALDMANN/BICKEL, a.a.O. Art. 30 N 3). Der Anspruch auf vorgängige Anhörung beinhaltet auch, dass die Behörde sich beim Erlass ihrer Verfügung nicht auf Tatsachen abstützen darf, zu denen sich die von der Verfügung betroffene Person nicht vorgängig äussern und diesbezüglich Beweis führen konnte; er besteht also primär in Bezug auf die Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts (WALDMANN/BICKEL, a.a.O. Art. 30 N 18). Dagegen vermittelt das rechtliche Gehör im engeren Sinn keinen Anspruch auf eine vorgängige Anhörung zu Fragen der Rechtsanwendung: Die Behörde ist nicht verpflichtet, der von der Verfügung betroffenen Person mitzuteilen, wie sie den Sachverhalt zu würdigen beabsichtigt und ihr diesbezüglich die Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht lediglich, wenn die Behörde eine rechtliche Würdigung vornehmen will, mit der die betroffene Person nicht rechnen konnte und musste (sog. überraschende Rechtsanwendung, bspw. im Rahmen einer beabsichtigten Praxisänderung [WALDMANN/BICKEL, a.a.O. Art. 30 N 19 ff.; SUTTER, a.a.O. Art. 30 N 1 f.; MOOR, a.a.O. S. 281 f.]).
5.1.4 Wird ein Verwaltungsverfahren nicht von Amtes wegen, sondern auf Gesuch hin eingeleitet, ist es grundsätzlich nicht notwendig, der gesuchstellenden Person vor Erlass der Verfügung explizit das rechtliche Gehör zu gewähren, da nach Treu und Glauben erwartet werden darf, dass sie mit der Gesuchseinreichung die ihr wesentlich erscheinenden Elemente aufzeigt und der Sachverhalt somit rechtsgenüglich festgestellt werden kann. Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird somit - auch mit Blick auf die Verfahrensökonomie - in der Regel von der gesuchstellenden Person mit der Gesuchseinreichung wahrgenommen (WALDMANN/BICKEL, a.a.O. Art. 29 N 42 und Art. 30 N 32; SUTTER, a.a.O. Art. 30 N 7).
5.1.5 Dies gilt grundsätzlich auch für den Fall, dass eine Person, welche in der Schweiz erfolglos ein Asylverfahren durchlaufen hat, ein weiteres Asylgesuch einreicht. Eine mündliche Anhörung im Sinne von Art. 29 und 30 AsylG ist gemäss Art. 36 Abs. 1 AsylG unter diesen Umständen einzig für den Fall vorgesehen, dass die asylsuchende Person aus ihrem Heimat- oder Herkunftsstaat in die Schweiz zurückgekehrt ist. Ist die asylsuchende Person jedoch in der Schweiz verblieben und wird das weitere Asylgesuch mit exilpolitischen Aktivitäten begründet, darf erwartet werden, dass sie in ihrem Gesuch alle notwendigen und verfügbaren diesbezüglichen Informationen vorbringt; dies auch vor dem Hintergrund, dass der Fokus ein im Vergleich zu allgemeinen Asylgründen eingeschränkter ist und die Vorbringen in der Regel nachgewiesen werden können (WALTER STÖCKLI, Asyl, in: Uebersax/Rudin/Hugi Yar/Geiser [Hrsg.], Ausländerrecht, 2. Aufl., Basel 2009, Rz. 11.148 und Fn. 221).
5.1.6 Soweit das BFM nach Treu und Glauben davon ausgehen darf, aufgrund des von einer Person, welche nach erfolglosem Durchlaufen eines Asylverfahrens in der Schweiz verblieben ist, neu eingereichten Asylgesuchs sei der Sachverhalt vollständig erstellt, kann es von einer zusätzlichen Gewährung des rechtlichen Gehörs absehen, da in diesem Fall der diesbezügliche Anspruch von der gesuchstellenden Person in der Regel bereits mit der Gesuchseinreichung wahrgenommen worden ist (vgl. EMARK 1998 Nr. 1 E. 6c.bb S. 13). Stellt das BFM jedoch Lücken oder Unklarheiten im Sachverhalt oder das Fehlen von Beweismitteln fest, ist es verpflichtet, diese mittels konkretem Nachfragen beziehungsweise Einfordern der Beweismittel zu schliessen. Dies kann in der Regel auf schriftlichem Weg geschehen, eine mündliche Anhörung ist jedoch nicht ausgeschlossen. Letztere braucht den Anforderungen der Art. 29 und 30 AsylG nicht zu genügen, da es sich nicht um eine formelle Anhörung im Rahmen eines ordentlichen Verfahrens handelt, sondern um den in Art. 29 VwVG statuierten Anspruch auf rechtliches Gehör.

6.
6.1 Ergeben sich aufgrund des Gesuchs Hinweise auf in der Zwischenzeit eingetretene Ereignisse, die geeignet sind, die Flüchtlingseigenschaft zu begründen (oder die für die Gewährung vorübergehenden Schutzes relevant sind), fällt die Möglichkeit, in Anwendung von Art. 32 Abs. 2 Bst. e AsylG einen Nichteintretensentscheid zu treffen, ausser Betracht. Allein der Umstand, dass in einem weiteren, insbesondere schriftlich eingereichten Asylgesuch das exilpolitische Engagement der asylsuchenden Person umfassend dargelegt und allenfalls mit Beweismitteln dokumentiert wird, bedeutet indessen nicht, dass auf das Asylgesuch im Sinne eines Automatismus einzutreten ist. Vielmehr ist im Hinblick auf die Frage, ob das ordentliche Verfahren durchzuführen oder ein Nichteintretensentscheid gemäss Art. 32 Abs. 2 Bst. e AsylG zu fällen ist, unter Berücksichtigung des länderspezifischen und personenbezogenen Kontextes im konkreten Fall zu prüfen, ob sich aufgrund der geltend gemachten exilpolitischen Tätigkeiten Hinweise ergeben, die geeignet sind, die Flüchtlingseigenschaft zu begründen. Ergeben sich solche Hinweise, muss das BFM auf das zweite Asylgesuch eintreten und im Rahmen des ordentlichen Asylverfahrens eine förmliche Anhörung zu den Asylgründen nach Art. 29 und 30 AsylG durchführen (EMARK 2006 Nr. 20 E. 3.1 S. 214 f.).

7.
7.1 Im vorliegenden Fall ist das BFM auf das weitere, mit dem Vorliegen subjektiver Nachfluchtgründe begründete Asylgesuch eingetreten. Es ist damit implizit davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für einen Nichteintretensentscheid gemäss Art. 32 Abs. 2 Bst. e AsylG nicht erfüllt sind. Unter diesen Umständen kann zwar auf eine erneute Befragung des Gesuchstellers zu den Personalien und zum Reiseweg (vgl. Art. 26 Abs. 2 AsylG) sowie die Bestimmung eines Zuweisungskantons (vgl. Art. 27 Abs. 2 AsylG) verzichtet werden, da die Wiederholung dieser Verfahrensschritte verfahrensökonomisch unsinnig wäre. Im Übrigen sind jedoch die allgemeinen, das ordentliche Asylverfahren betreffenden Vorschriften zu beachten. Insbesondere kann auf die Durchführung einer Anhörung gemäss den Art. 29 und 30 AsylG nicht verzichtet werden. Bei der in einem weiteren ordentlichen Asylverfahren durchzuführenden Anhörung handelt es sich nicht um die Wiederholung eines bereits in einem vorangegangenen Verfahren durchgeführten Verfahrensschritts, ist doch der Gesuchsteller hauptsächlich über zu bis zu diesem Zeitpunkt nicht geprüfte Gründe, die zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft führen könnten, zu befragen.

7.2 Nach dem Gesagten ist festzuhalten, dass das BFM das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers verletzt hat, in dem es sein Asylgesuch im ordentlichen Verfahren behandelt hat, ohne eine Anhörung zu den Asylgründen nach Art. 29 und 30 AsylG durchzuführen.

7.3 Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist formeller Natur. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs führt deshalb grundsätzlich - das heisst ungeachtet der materiellen Auswirkungen - zur Aufhebung des daraufhin ergangenen Entscheides (vgl. BVGE 2008/47 E. 3.3.4 S. 676 f., BVGE 2008/14 E. 4.1 S. 185, BVGE 2007/30 E. 8.2 S. 371 m.w.H., BVGE 2007/27 E. 10.1 S. 332). Die Heilung von Gehörsverletzungen ist aus prozessökonomischen Gründen auf Beschwerdeebene nur möglich, sofern das Versäumte nachgeholt wird, der Beschwerdeführer dazu Stellung nehmen kann und der Beschwerdeinstanz im streitigen Fall die freie Überprüfungsbefugnis in Bezug auf Tatbestand und Rechtsanwendung zukommt, sowie die festgestellte Verletzung nicht schwerwiegender Natur ist und die fehlende Entscheidreife durch die Beschwerdeinstanz mit vertretbarem Aufwand hergestellt werden kann (vgl. BVGE 2008/47 E. 3.3.4 S. 676 f.). Dies ist vorliegend nicht der Fall.

7.4 Zusammenfassend ergibt sich, dass das BFM das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers und damit Bundesrecht verletzt hat. Da eine Heilung der Verletzung des rechtlichen Gehörs auf Beschwerdeebene nicht in Betracht fällt, ist die Beschwerde gutzuheissen, die angefochtene Verfügung aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das BFM wird dabei die vom Beschwerdeführer im Rahmen des Beschwerdeverfahrens geltend gemachten weiteren exilpolitischen Aktivitäten zu berücksichtigen haben.

8.
8.1 Beim vorliegenden Ausgang des Beschwerdeverfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 63 Abs. 1 und 2 VwVG).

8.2 Dem obsiegenden Beschwerdeführer ist in Anwendung von Art. 64 Abs. 1 VwVG und Art. 7 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE, SR 173.320.2) zulasten der Vorinstanz eine Parteientschädigung für die ihm erwachsenen notwendigen und verhältnismässig hohen Kosten zuzusprechen. Eine Kostennote wurde nicht zu den Akten gereicht. Der notwendige Vertretungsaufwand lässt sich indes aufgrund der Aktenlage zuverlässig abschätzen, weshalb auf die Einholung einer Kostennote zu verzichten ist (vgl. Art. 14 Abs. 2 in fine VGKE). Unter Berücksichtigung der massgebenden Berechnungsfaktoren (Art. 9-11 und 13 VGKE) ist die Parteientschädigung auf Fr. 1'000.-- (inkl. Auslagen und Mehrwertsteuer) festzusetzen und das BFM anzuweisen, dem Beschwerdeführer diesen Betrag als Parteientschädigung auszurichten.

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2.
Die Verfügung des Bundesamtes vom 8. Mai 2006 wird aufgehoben und die Sache wird im Sinne der Erwägungen zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

3.
Es werden keine Verfahrenskosten auferlegt.

4.
Das BFM hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1'000.-- auszurichten.

5.
Dieses Urteil geht an:
den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers (Einschreiben)
das BFM, Abteilung Aufenthalt, mit den Akten Ref.-Nr. N (...) (per Kurier; in Kopie)
die kantonale Behörde (in Kopie)

Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:

Walter Lang Christoph Basler

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