Abteilung IV
D-4408/2007spn/wer
{T 0/2}
Urteil vom 19. September
2007
Mitwirkung: Richterin Spälti Giannakitsas, Richter Gysi, Richterin Hirsig-Vouilloz
Gerichtsschreiber
Weber
X._______, geboren _______, Irak,
vertreten durch Peter Frei, Rechtsanwalt, _______,
Beschwerdeführerin
gegen
Bundesamt
für Migration (BFM), Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz
betreffend
Verfügung
vom 29. Mai 2007 i.S. Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylwiderruf / N _______
Das
Bundesverwaltungsgericht stellt fest:
A. Die Beschwerdeführerin verliess ihren Heimatstaat
nach eigenen Angaben am 5. September 1998 und gelangte zusammen mit ihrer Familie am 28. September 1998
von der Türkei und ihr unbekannten Ländern her kommend in die Schweiz, wo sie am 29. September
1998 um Asyl nachsuchte. Am 2. Oktober 1998 fand im Empfangszentrum _______ die summarische Befragung
statt. Am 18. November 1998 führte die kantonale Behörde eine Anhörung durch.
B.
Anlässlich der Befragungen machte die Beschwerdeführerin - eine Kurdin aus _______ - im Wesentlichen
geltend, wegen der Probleme ihres Mannes beziehungsweise ihrer Familie den Irak verlassen zu haben. Ihr
Mann respektive dessen Vater habe für eine amerikanische Organisation mit seiner Baufirma ein Wasserbauprojekt
durchgeführt. Dabei sei es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Dorfbewohnern, welche eine Wasserquelle
nicht hätten preisgeben wollen, gekommen. Am 5. November 1997 sei ein Attentat auf das Auto der
Familie der Beschwerdeführerin verübt worden. Eine Anzeige bei der zuständigen KDP-Behörde
sei unbeachtet geblieben, da die mutmasslichen Attentäter aus dem besagten Dorf gute Beziehungen
zu dieser Partei unterhalten hätten. Aus Angst vor weiteren Anschlägen sei die Familie nach
_______ zu Verwandten geflohen. Nachdem auch dort ein Attentat auf sie verübt worden sei, hätten
sie sich zur Ausreise entschlossen.
C. Mit Entscheid vom 31. Juli 2001 anerkannte die Vorinstanz
die Beschwerdeführerin und ihre ebenfalls in die Schweiz geflohenen Angehörigen als Flüchtlinge
im Sinne von Art. 3 Abs. 1 und 2 beziehungsweise Art. 51 Abs. 1
des damals in Kraft stehenden Asylgesetzes
vom 26. Juni 1998 (
AsylG,
SR 142.31) und gewährte ihnen Asyl.
D. Mit Schreiben vom 10. April
2007 teilte das Bundesamt der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann mit, es beabsichtige, ihnen gestützt
auf Art. 63 Abs. 1 Bst. b
AsylG die Flüchtlingseigenschaft abzuerkennen und das Asyl zu widerrufen.
Zur Begründung wurde angeführt, gemäss Aktenlage beziehungsweise der abgelaufenen Reisepässe
für Flüchtlinge müsse davon ausgegangen werden, dass sie sich zumindest einmal und mutmasslich
sogar wiederholt im Irak aufgehalten hätten. Hinsichtlich des Ehemannes der Beschwerdeführerin
bestünden weitere Anhaltspunkte für regelmässige dortige Aufenthalte. Damit hätten
sie sich freiwillig wieder unter den Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie besässen,
gestellt.
E. Im Rahmen der eingeräumten Frist zur Stellungnahme zeigte der Vertreter der Beschwerdeführerin
und ihres Gatten mit Eingabe vom 18. April 2007 seine Mandatsübernahme an. Gleichzeitig ersuchte
er um Fristerstreckung. Ferner beantragte er die Offenlegung der entscheidwesentlichen Akten. Dies betreffe
zum einen alle Erkenntnisse, aufgrund derer die Vorinstanz auf eine Rückkehr der Mandanten in den
Irak schliesse. Zum anderen seien Kopien der Reisedokumente der Mandanten offenzulegen.
F. Mit Zwischenverfügung
vom 30. April 2007 entsprach das BFM dem Fristerstreckungsgesuch. Das Gesuch um Einsicht in Verfahrensakten
wurde abgelehnt. Die Vorinstanz begründete ihren diesebezüglichen Entscheid damit, dass die
Instruktion im aktuellen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen sei, und verwies auf Art. 27 Abs. 1 Bst.
c
des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren vom 20. Dezember 1968 (VwVG,
SR 172.021). Nach
Abschluss des Untersuchungsverfahren werde das Akteneinsichtsgesuch behandelt. Im Weiteren bezeichnete
die Vorinstanz ihren Entscheid als Zwischenverfügung, welche gemäss Art. 107 Abs. 1
AsylG mit
dem Endentscheid anfechtbar sei.
G. In der Stellungnahme vom 7. Mai 2007 erneuerte der Vertreter
der Beschwerdeführerin sein Ersuchen um Offenlegung der Erkenntnisse, aufgrund derer die Vorinstanz
auf eine Rückkehr seiner Mandanten in den Irak schliesse, sowie um Einsicht in weitere Verfahrensakten
des Ehemannes der Beschwerdeführerin. Die Verweigerung der Offenlegung dieser Unterlagen widerspreche
nicht der bisherigen Praxis des Bundesamtes in Widerrufsverfahren und wäre begründungspflichtig
gewesen. Zudem könne der Hinweis auf eine noch laufende Untersuchung nicht nachvollzogen werden,
da dieser von der Vorinstanz nicht konkretisiert werde. Schliesslich verwies der Vertreter der Beschwerdeführerin
hinsichtlich der rechtlichen Grundlagen zur Offenlegung auf die Bestimmungen des Datenschutzgesetzes.
H.
Mit Eingabe vom 14. Mai 2007 stellte der Vertreter der Beschwerdeführerin fest, dass seine Eingabe
vom 7. Mai 2007 seitens der Vorinstanz unbeantwortet geblieben sei, und ersuchte um Erstreckung der am
30. April 2007 gewährten Frist. Im Weiteren legte er dar, dass sein Mandant bestreite, sich seit
der Einreise in die Schweiz je im Irak aufgehalten zu haben.
I. Mit Zwischenverfügung vom 25.
Mai 2007 gewährte das Bundesamt dem Vertreter der Beschwerdeführerin Akteneinsicht. Gleichzeitig
hielt das Bundesamt fest, dass mit der Akteneinsicht keine Frist zur Stellungnahme verbunden sei, weil
nach Abschluss der amtlichen Untersuchung grundsätzlich kein Anspruch auf Durchführung eines
Schriftenwechsels bestehe. Verspätete Parteivorbringen, welche als ausschlaggebend erscheinen und
vor dem Endentscheid eingehen würden, könnten indes im Rahmen von Art. 32 Abs. 2
VwVG Berücksichtigung
finden. Mit Zwischenverfügung gleichen Datums gewährte das BFM dem Vertreter der Beschwerdeführerin
ferner Einsicht in die Akten des Asylverfahrens ihres Gatten (Kopie des Aktenverzeichnis des Asylverfahrens
und Kopien der Akten des Asylverfahrens gemäss Verzeichnis).
J. Mit Verfügung vom 29.
Mai 2007 widerrief die Vorinstanz das der Beschwerdeführerin am 31. Juli 2001 gewährte Asyl
und erkannte ihr die Flüchtlingseigenschaft ab. Sie stützte sich dabei auf Art. 63 Abs. 1 Bst.
b
AsylG i.V.m. Art. 1 C Ziff. 1 des internationalen Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung
der Flüchtlinge (FK;
SR 0.142.30). Zur Begründung wurde vorgebracht, dem Flüchtlingspass
der Beschwerdeführerin sei zu entnehmen, dass sie sich mit den drei Kindern von der Türkei
aus am 25. Juli 2004 nach Syrien begeben habe. Von dort aus sei sie am 26. Juli 2004 in den Irak weitergereist.
Aufgrund der irakischen Stempel sei davon auszugehen, das sie sich bis zum 12. August 2004 dort aufgehalten
habe. Ausserdem bestünden Hinweise in den Akten, dass sich der Ehemann der Beschwerdeführerin
regelmässig in den Irak begebe. Aufgrund des Reisedokuments der Beschwerdeführerin stehe jedenfalls
fest, dass sie sich entgegen ihren Angaben im erwähnten Zeitraum dort aufgehalten habe. Es sei davon
auszugehen, dass die Beschwerdeführerin diese Reise ohne äusseren Zwang unternommen, sich in
den Schutzbereich des Heimatstaates begeben und den Schutz auch erhalten habe. Hinsichtlich des Ehemannes
der Beschwerdeführerin verzichtete die Vorinstanz in Anbetracht der Aktenlage auf den Asylwiderruf
und die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft.
K. Mit Eingabe vom 28. Juni 2007 beantragte
die Beschwerdeführerin durch ihre Vertretung beim Bundesverwaltungsgericht die Aufhebung der angefochtenen
Verfügung. Von der Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und vom Asylwiderruf sei abzusehen.
Es sei die unentgeltliche Prozessführung (Art. 65 Abs. 1
und 2
des des Bundesgesetzes vom 20. Dezember
1968 über das Verwaltungsverfahren [
VwVG;
SR 172.021]) zu gewähren. Zur Begründung wurde
ausgeführt, dass bisher keine Stellungnahme zum Vorhalt des BFM, die Beschwerdeführerin sei
in ihr Heimatland zurückgekehrt, habe erfolgen können. Dies sei auf die verweigerte Akteneinsicht
der Vorinstanz zurückzuführen. Zum erwähnten Vorhalt sei nun festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin
wegen ihrer Mutter, welche in _______ einen Herzinfarkt erlitten habe, allein nach Syrien gereist sei
und die syrische Grenze in der Folge bei _______ Richtung Irak überschritten habe. Anschliessend
habe sie sich zwischen der syrischen und irakischen Demarkationslinie in der freien Zone _______ aufgehalten.
Dort habe sie sich mit ihrem Vater, nicht aber mit ihrer Mutter, welche wegen des akuten Herzleidens
in _______ in Behandlung gestanden sei, getroffen. Der irakische Stempel im Reisedokument sei erfolgt,
weil die syrischen Behörden ihr vorerst wegen dessen Fehlens die Wiedereinreise verweigert hätten,
worauf sie zwecks Erlangung eines irakischen Ausreisestempels einen irakischen Beamten bestochen habe.
Demnach habe sich die Beschwerdeführerin entgegen der vorinstanzlichen Sichtweise nie auf irakischem
Hoheitsgebiet aufgehalten. Sie sei mithin weder freiwillig in den Irak zurückgekehrt noch in der
Absicht, dort Schutz zu erlangen, und habe effektiven Schutz offensichtlich nicht erhalten, zumal sich
die Frage stelle, ob der irakische Staat als solcher überhaupt schutzfähig sei. Die vorinstanzliche
Argumentation verkenne im Übrigen die relevanten Kriterien der durch die Schweizerische Asylrekurskommission
(ARK) diesbezüglich publizierten Rechtsprechung. Der Eingabe lag ein Arztzeugnis aus _______ - die
Mutter der Beschwerdeführerin betreffend - vom 24. April 2007 bei. Die Nachreichung einer Bestätigung
für die Bedürftigkeit wurde in Aussicht gestellt.
L. Mit Zwischenverfügung vom 3.
Juli 2007 stellte das Bundesverwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Beschwerde fest. Die Beschwerdeführerin
wurde aufgefordert, innert Frist den in Aussicht gestellten Beleg für ihre Bedürftigkeit nachzureichen.
Auf die Erhebung eines Kostenvorschusses wurde verzichtet. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtsverbeiständung
(Art. 65 Abs. 2
VwVG) wurde abgewiesen. Gleichentags reichte die Beschwerdeführerin die erwähnte
Bestätigung für ihre Bedürftigkeit nach.
M. Mit Vernehmlassung vom 11. Juli 2007
hielt das Bundesamt an seiner Verfügung vollumfänglich fest und beantragte die Abweisung der
Beschwerde. Im erstinstanzlichen Verfahren sei keine Gehörsverletzung erfolgt. Der wesentliche Inhalt
der relevanten Akten sei im Rahmen des rechtlichen Gehörs während des Instruktionsverfahrens
offen gelegt worden. Im Weiteren sei die Behauptung der Beschwerdeführerin, sich während drei
Wochen lediglich in der erwähnten wüstenähnlichen Zone aufgehalten zu haben, kaum nachvollziehbar,
habe sie doch angegeben, wegen ihrer in _______ schwer erkrankten Mutter hingereist zu sein. Ausserdem
sei gemäss Erkenntnissen des Bundesamtes ein irakischer Stempel im Reisedokument für die Rückreise
nach Syrien nicht erforderlich. Schliesslich wies das BFM darauf hin, dass ihm das auf Beschwerdeebene
eingereichte Arztzeugnis im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens nicht übermittelt worden sei, weshalb
eine diesbezügliche Stellungnahme entfalle.
N. Mit Replik vom 30. Juli 2007 hielt die Beschwerdeführerin
an ihren bisherigen Vorbringen fest. Das BFM verkenne die Bedeutung des Akteneinsichtsrechts für
die Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs. Ferner habe die Beschwerdeführerin in der besagten
Zone lediglich deshalb ausharren müssen, weil ihr die amerikanischen Militärbehörden die
Einreise in den Irak verweigert hätten. Es möge sodann zutreffen, dass für die Rückreise
nach Syrien grundsätzlich kein irakischer Ausreisestempel erforderlich sei; in Anbetracht der grassierenden
Korruption vor Ort sei indes mit entsprechenden Aufforderungen der Grenzbehörden gleichwohl zu rechnen.
Schliesslich sei das eingereichte Arztzeugnis aus _______ der Vorinstanz zwecks Stellungnahme noch zu
unterbreiten.
Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1
Gemäss Art. 31
des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (VGG,
SR 173.32) beurteilt das
Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5
VwVG, sofern keine Ausnahme nach
Art. 32
vorliegt. Als Vorinstanzen gelten die in Art. 33
und 34
VGG genannten Behörden. Dazu gehören
Verfügungen des BFM gestützt auf das AsylG; das Bundesverwaltungsgericht entscheidet in diesem
Bereich endgültig (Art. 105
AsylG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1
des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni
2005 [BGG,
SR 173.110]).
1.2 Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige
oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und die Unangemessenheit gerügt
werden (Art. 106 Abs. 1
AsylG).
2. Die Beschwerde ist form- und fristgerecht eingereicht; die Beschwerdeführerin
ist legitimiert (Art. 6
AsylG i.V.m. Art. 48
und 50
ff.
VwVG). Auf die Beschwerde ist mithin einzutreten.
3.
Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe ihr nicht hinreichend Akteneinsicht gewährt
und dadurch das rechtliche Gehör verletzt. Ausserdem gehe das BFM zu Unrecht davon aus, die Voraussetzungen
der Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und des Asylwiderrufs seien vorliegend erfüllt.
4.
4.1
Gemäss Art. 63 Abs. 1 Bst. b
AsylG wird die Flüchtlingseigenschaft aberkannt und das Asyl widerrufen,
wenn Gründe nach Art. 1 C Ziff. 1 - 6 FK vorliegen. Art. 1 C FK beinhaltet die Beendigungsklauseln
betreffend den Flüchtlingsstatus. Namentlich fällt eine Person unter anderem nicht mehr unter
die Bestimmungen der FK und ihr Flüchtlingsstatus endet, wenn sie sich freiwillig wieder unter den
Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, gestellt hat (Art. 1 C Ziff. 1 FK). Die
Frage, ob bei der Beschwerdeführerin diese Voraussetzungen als erfüllt zu erachten sind, kann
indes aufgrund nachfolgender Erwägungen offen gelassen werden.
4.2 Das Prinzip von Treu und
Glauben, das gemäss Art. 5 Abs. 3
der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom
18. April 1999 (BV,
SR 101) als allgemeiner Grundsatz rechtsstaatlichen Handelns gilt und dem darüber
hinaus nach Art. 9
BV Grundrechtscharakter zukommt, gebietet ein loyales und vertrauenswürdiges
Verhalten im Rechtsverkehr (vgl. Andreas Auer/Giorgio Malinver-ni/Michel Hottelier, Droit constitutionnel
suisse, Bd. II, 2. Aufl., Bern 2006, N 1159 ff.; Yvo Hangartner, in: Ehrenzeller/Mastronardi/Schweizer/Vallender
[Hrsg.], Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, Zürich u.a. 2002, N 39 zu Art. 5
BV; Ulrich
Häfelin/Georg Müller/Felix Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl., Zürich 2006,
N 622; Elisabeth Chiariello, Treu und Glauben als Grundrecht nach Art. 9 der schweizerischen Bundesverfassung,
Bern 2004, S. 224 ff.; René Rhinow, Grundzüge des Schweizerischen Verfassungsrechts, Basel
u.a. 2003, N 1788 ff. u. 2397 ff.). In Konkretisierung dieses allgemeinen Verhaltensgebots umfasst der
Anspruch auf rechtliches Gehör, welcher auch im Asylverfahren Anwendung findet (vgl. Art. 6
AsylG),
im weiten Sinn das Recht einer Person, in einem verwaltungsrechtlichen Verfahren mit seinen Begehren
angehört zu werden, Akteneinsicht zu erhalten und zu den für den Entscheid wesentlichen Punkten
(vorgängig) Stellung nehmen zu können (vgl. Art. 18
und Art. 26
-33
VwVG). Gemäss dem in
Art. 26 ff
. VwVG geregelten Akteneinsichtsrecht ist den Parteien grundsätzlich Einsicht in sämtliche
Aktenstücke zu gewähren, welche geeignet sind, in einem konkreten Verfahren als Beweismittel
zu dienen (vgl. Entscheidungen und Mitteilungen der Schweizerischen Asylrekurskommission/
EMARK 1994 Nr.
1 S. 8 E. 3a). Die Einsichtnahme darf verweigert werden, wenn wesentliche öffentliche Interessen
des Bundes oder der Kantone, private Interessen oder das Interesse einer noch nicht abgeschlossenen amtlichen
Untersuchung es erfordert (vgl. Art. 27 Abs. 1
VwVG). Nach Absatz 2 dieser Bestimmung darf sich die Verweigerung
der Einsichtnahme nur auf Aktenstücke erstrecken, für die Geheimhaltungsgründe bestehen.
Nach ständiger Rechtsprechung ist dabei in jedem Fall eine konkrete, sorgfältige und umfassende
Abwägung der entgegenstehenden Interessen nach pflichtgemässem Ermessen vorzunehmen, wobei
der Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten ist (vgl. etwa BGE
115 V 302;
113 Ia 4;
EMARK 1994 Nr. 1 S. 12 f.). Wird einer Partei die Einsicht in ein Aktenstück verweigert, muss ihr
die Behörde nach Art. 28
VwVG von seinem wesentlichen Inhalt mündlich oder schriftlich Kenntnis,
sowie Gelegenheit geben, sich zu äussern und Gegenbeweismittel zu bezeichnen.
4.3 Das BFM hat
es im Rahmen des rechtlichen Gehörs zum beabsichtigten Asylwiderruf und zur beabsichtigten Aufhebung
der Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführerin mit Zwischenverfügung vom 30. April
2007 abgelehnt, dem Rechtsvertreter die am 18. April 2007 unter anderem beantragte Edition einer Kopie
des Reiseausweises seiner Mandantin zu gewähren. Dazu ist vorab festzuhalten, dass dieses Dokument
und namentlich die darin vorhandenen Stempelungen als klar entscheidwesentliche Akte zwingend dem Einsichtsrecht
im oben erwähnten Sinne untersteht respektive unterstand. Nur bei Zusendung dieses Dokuments beziehungsweise
einer gleichwertige Kopie wäre der Rechtsvertreter in der Lage gewesen, zu den Stempelungen detailliert
Stellung zu nehmen und zu allfälligen Ungereimtheiten (Qualität der Stempel, datumsmässige
Einordnung etc.) aus seiner Sicht Erklärungen anzubringen. Die vom BFM bereits mit Zwischenverfügung
vom 10. April 2007 gemachten Angaben zu den Stempelungen müssen entsprechend als nicht rechtsgenüglich
qualifiziert werden, zumal auch keine Geheimhaltungsinteressen als Rechtfertigung für diese Vorgehensweise
ersichtlich sind. Zwar beruft sich die Vorinstanz in der am 30. April 2007 ergangenen Verfügung
auf Art. 27 Abs. 1 Bst. c
VwVG. Inwiefern das Interesse einer noch nicht abgeschlossenen amtlichen Untersuchung
den Entscheid des BFM legitimieren würde, kann aber den vorliegenden Akten nicht entnommen werden.
Selbst wenn ein solches Interesse im damaligen Zeitpunkt bestanden haben sollte, wäre das Bundesamt
jedenfalls gehalten gewesen, nach Abschluss der geltend gemachten amtlichen Untersuchung das Dokument
dem Vertreter der Beschwerdeführerin unter Ansetzung einer angemessen Frist zwecks Stellungnahme
zu übermitteln, nachdem die Nicht-Offenlegung von Stempelungen im Rahmen von Verfahren, bei denen
das BFM das Asyl zu widerrufen beabsichtigt, offensichtlich nicht den unter Ziff. 4.2. vorstehend aufgelisteten
Kriterien entspricht. Im Ergebnis muss die Zwischenverfügung vom 30. April 2007, welche vom Bundesamt
überdies als erst mit dem Endentscheid anfechtbar erklärt wurde, demnach als rechtswidrig bezeichnet
werden. Anzufügen ist, dass die vom Bundesamt dem Rechtsvertreter am 25. Mai 2007 gewährte
Akteneinsicht den erwähnten Mangel nicht zu beseitigen vermag. Abgesehen davon, dass aufgrund der
Aktenlage nicht eruriert werden kann, ob dem Rechtsvertreter nachträglich Kopien der Stempelungen
tatsächlich übermittelt wurden (da sich das BFM in der erwähnten Verfügung auf Geheimhaltungsinteressen
beruft, dürfte dies nicht der Fall gewesen sein), ist festzuhalten, dass in besagter Verfügung
keine Frist zur Stellungnahme eingeräumt wurde und der Endentscheid bereits am 29. Mai 2007 erging.
Der Hinweis der Vorinstanz auf Art. 32 Abs. 2
VwVG (Berücksichtigung verspäteter Parteivorbringen,
welche entscheidrelevant erscheinen) ist demzufolge als blosse Formalität zu qualifizieren, da in
zeitlicher Hinsicht zwischen Verfügung und Endentscheid lediglich das Pfingstwochenende und mithin
kein einziger Arbeitstag zur allfälligen Wahrung von zu bejahenden Gehörsansprüchen lag.
Es bleibt somit zu prüfen, ob eine Heilung des Verfahrensmangels in Betracht kommt.
4.4 Eine
Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör führt grundsätzlich zur Aufhebung des angefochtenen
Hoheitsakts ohne Rücksicht darauf, ob Letzterer bei korrekter Gewährung des rechtlichen Gehörs
anders ausgefallen wäre, zumal eine solche Betrachtungsweise dem formellen Charakter des Gehörsanspruchs
widerspräche (vgl.
EMARK 1999 Nr. 20 S. 131; 1998 Nr. 34 S. 292). Gemäss Praxis des Bundesgerichts
besteht indes die Möglichkeit, dass die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch
die untere Instanz im Beschwerdeverfahren geheilt wird, wenn die Rekursinstanz mit gleicher Kognition
entscheidet und den Betroffenen die gleichen Mitwirkungsrechte zustehen (vgl. BGE
116 Ia 95 f.;
110 Ia
82 E. d). Dabei können insbesondere prozessökonomische Überlegungen eine Rolle spielen.
In der Lehre wird die uneingeschränkte Heilung einer Gehörsverletzung indes kritisiert, zumal
den Betroffenen dadurch eine Instanz verloren geht und zur Verwirklichung des Anspruchs ein Rechtsmittel
ergriffen werden muss. Auf eine Kassation des fehlerhaft zustande gekommenen Entscheids sollte deshalb
nur dann verzichtet werden, wenn die Gehörsverletzung für die Betroffenen keinen schweren Nachteil
bedeutet respektive sie nicht in schwerer Weise trifft. Selbst wenn eine Heilung nach den erwähnten
Anforderungen möglich wäre, kann sich unter Umständen gleichwohl eine Kassation rechtfertigen.
Sie kann beispielsweise dann in Betracht gezogen werden, wenn die Gehörsverletzung durch die Vorinstanz
kein Versehen im Einzelfall darstellt, sondern Resultat gehäufter unsorgfältiger Verfahrensführung
ist, kann es doch nicht Sinn der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sein, die Vorinstanz durch systematische
Heilung erstinstanzlicher Verfahrensfehler von sorgfältiger Verfahrensführung zu entbinden
und auf diese Weise zur Verschlechterung der Position von Betroffenen beizutragen. Eine Kassation rechtfertigt
sich diesfalls, um die Vorinstanz auf diese Weise auf ihre verfahrensrechtlichen Pflichten aufmerksam
zu machen (vgl.
EMARK 1998 Nr. 34 S. 293).
4.5 Vorliegend erscheint eine Kassation gestützt
auf die eben erwähnten Ausführungen als gerechtfertigt. Zum einen ist die Gehörsverletzung
als gravierend zu qualifizieren. Zum anderen hat es das Bundesamt auch auf Vernehmlassungsebene abgelehnt,
im erforderlichen Ausmass Akteneinsicht zu gewähren. Vielmehr lassen die dortigen Ausführungen
darauf schliessen, dass sich die Vorinstanz keines Verfahrensfehlers bewusst ist und erneute Gehörsverletzungen
in anderen Asylwiderrufsverfahren demnach nicht als ausgeschlossen erscheinen. Es droht mithin eine systematische
Gehörsverletzung von Asylsuchenden in vergleichbaren Fallkonstellationen. Die angefochtene Verfügung
ist deshalb aufzuheben und die Sache im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
5.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid das rechtliche Gehör
der Beschwerdeführerin in gravierender Weise verletzt hat. Eine Heilung erscheint vorliegend als
ausgeschlossen. Die Sache ist im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zur vorgängigen Gewährung
der erforderlichen Akteneinsicht zurückzuweisen. Bei dieser Sachlage kann davon abgesehen werden,
auf die Beschwerdevorbringen detaillierter einzugehen.
6.
6.1 Bei diesem Ausgang des Verfahrens
sind keine Kosten aufzuerlegen (vgl. Art. 63 Abs. 1
und 2
VwVG).
6.2 Obsiegende Parteien haben Anspruch
auf eine Parteientschädigung für die ihnen erwachsenen notwendigen Kosten (Art. 7 Abs. 1
des
Reglements vom 11. Dezember 2006 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht
[VGKE,
SR 173.320.2]). Seitens der Rechtsvertretung wurde keine Kostennote eingereicht. Auf die Nachforderung
einer solchen kann indes verzichtet werden, da im vorliegenden Verfahren der Aufwand für die Beschwerdeführerin
zuverlässig abgeschätzt werden kann und die von der Vorinstanz zu entrichtende Parteientschädigung
von Amtes wegen und in Berücksichtigung der massgeblichen Bemessungsfaktoren auf Fr. 1'600.-- (inkl.
allfällige Spesen und Mehrwertsteuer) festzusetzen ist.
(Dispositiv nächste Seite)
Demnach
erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen.
2. Der angefochtene
Entscheid wird aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückgewiesen.
3. Es werden keine Kosten erhoben.
4. Das BFM hat der Beschwerdeführerin
für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eine Parteientschädigungr in der Höhe
von Fr. 1'600.-- zu entrichten.
5. Dieses Urteil geht an:
- die Beschwerdeführerin durch
Vermittlung ihrer Vertretung (eingeschrieben)
- das Bundesamt, Abteilung Asylverfahren, mit den
vorinstanzlichen Akten und dem Beschwerdedossier (Kopie zu den Akten; Ref.-Nr. N _______)
- _______
Die
Richterin: Der Gerichtsschreiber:
Nina Spälti Giannakitsas Patrick Weber
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