Abteilung IV
D-4408/2007
spn/wer

{T 0/2}

Urteil vom 19. September 2007

Mitwirkung: Richterin Spälti Giannakitsas, Richter Gysi, Richterin Hirsig-Vouilloz
Gerichtsschreiber Weber

X._______, geboren _______, Irak,
vertreten durch Peter Frei, Rechtsanwalt, _______,

Beschwerdeführerin

gegen

Bundesamt für Migration (BFM), Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz

betreffend

Verfügung vom 29. Mai 2007 i.S. Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylwiderruf / N _______
Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest:

A. Die Beschwerdeführerin verliess ihren Heimatstaat nach eigenen Angaben am 5. September 1998 und gelangte zusammen mit ihrer Familie am 28. September 1998 von der Türkei und ihr unbekannten Ländern her kommend in die Schweiz, wo sie am 29. September 1998 um Asyl nachsuchte. Am 2. Oktober 1998 fand im Empfangszentrum _______ die summarische Befragung statt. Am 18. November 1998 führte die kantonale Behörde eine Anhörung durch.
B. Anlässlich der Befragungen machte die Beschwerdeführerin - eine Kurdin aus _______ - im Wesentlichen geltend, wegen der Probleme ihres Mannes beziehungsweise ihrer Familie den Irak verlassen zu haben. Ihr Mann respektive dessen Vater habe für eine amerikanische Organisation mit seiner Baufirma ein Wasserbauprojekt durchgeführt. Dabei sei es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Dorfbewohnern, welche eine Wasserquelle nicht hätten preisgeben wollen, gekommen. Am 5. November 1997 sei ein Attentat auf das Auto der Familie der Beschwerdeführerin verübt worden. Eine Anzeige bei der zuständigen KDP-Behörde sei unbeachtet geblieben, da die mutmasslichen Attentäter aus dem besagten Dorf gute Beziehungen zu dieser Partei unterhalten hätten. Aus Angst vor weiteren Anschlägen sei die Familie nach _______ zu Verwandten geflohen. Nachdem auch dort ein Attentat auf sie verübt worden sei, hätten sie sich zur Ausreise entschlossen.
C. Mit Entscheid vom 31. Juli 2001 anerkannte die Vorinstanz die Beschwerdeführerin und ihre ebenfalls in die Schweiz geflohenen Angehörigen als Flüchtlinge im Sinne von Art. 3 Abs. 1 und 2 beziehungsweise Art. 51 Abs. 1 des damals in Kraft stehenden Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 (AsylG, SR 142.31) und gewährte ihnen Asyl.
D. Mit Schreiben vom 10. April 2007 teilte das Bundesamt der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann mit, es beabsichtige, ihnen gestützt auf Art. 63 Abs. 1 Bst. b AsylG die Flüchtlingseigenschaft abzuerkennen und das Asyl zu widerrufen. Zur Begründung wurde angeführt, gemäss Aktenlage beziehungsweise der abgelaufenen Reisepässe für Flüchtlinge müsse davon ausgegangen werden, dass sie sich zumindest einmal und mutmasslich sogar wiederholt im Irak aufgehalten hätten. Hinsichtlich des Ehemannes der Beschwerdeführerin bestünden weitere Anhaltspunkte für regelmässige dortige Aufenthalte. Damit hätten sie sich freiwillig wieder unter den Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie besässen, gestellt.
E. Im Rahmen der eingeräumten Frist zur Stellungnahme zeigte der Vertreter der Beschwerdeführerin und ihres Gatten mit Eingabe vom 18. April 2007 seine Mandatsübernahme an. Gleichzeitig ersuchte er um Fristerstreckung. Ferner beantragte er die Offenlegung der entscheidwesentlichen Akten. Dies betreffe zum einen alle Erkenntnisse, aufgrund derer die Vorinstanz auf eine Rückkehr der Mandanten in den Irak schliesse. Zum anderen seien Kopien der Reisedokumente der Mandanten offenzulegen.
F. Mit Zwischenverfügung vom 30. April 2007 entsprach das BFM dem Fristerstreckungsgesuch. Das Gesuch um Einsicht in Verfahrensakten wurde abgelehnt. Die Vorinstanz begründete ihren diesebezüglichen Entscheid damit, dass die Instruktion im aktuellen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen sei, und verwies auf Art. 27 Abs. 1 Bst. c des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren vom 20. Dezember 1968 (VwVG, SR 172.021). Nach Abschluss des Untersuchungsverfahren werde das Akteneinsichtsgesuch behandelt. Im Weiteren bezeichnete die Vorinstanz ihren Entscheid als Zwischenverfügung, welche gemäss Art. 107 Abs. 1 AsylG mit dem Endentscheid anfechtbar sei.
G. In der Stellungnahme vom 7. Mai 2007 erneuerte der Vertreter der Beschwerdeführerin sein Ersuchen um Offenlegung der Erkenntnisse, aufgrund derer die Vorinstanz auf eine Rückkehr seiner Mandanten in den Irak schliesse, sowie um Einsicht in weitere Verfahrensakten des Ehemannes der Beschwerdeführerin. Die Verweigerung der Offenlegung dieser Unterlagen widerspreche nicht der bisherigen Praxis des Bundesamtes in Widerrufsverfahren und wäre begründungspflichtig gewesen. Zudem könne der Hinweis auf eine noch laufende Untersuchung nicht nachvollzogen werden, da dieser von der Vorinstanz nicht konkretisiert werde. Schliesslich verwies der Vertreter der Beschwerdeführerin hinsichtlich der rechtlichen Grundlagen zur Offenlegung auf die Bestimmungen des Datenschutzgesetzes.
H. Mit Eingabe vom 14. Mai 2007 stellte der Vertreter der Beschwerdeführerin fest, dass seine Eingabe vom 7. Mai 2007 seitens der Vorinstanz unbeantwortet geblieben sei, und ersuchte um Erstreckung der am 30. April 2007 gewährten Frist. Im Weiteren legte er dar, dass sein Mandant bestreite, sich seit der Einreise in die Schweiz je im Irak aufgehalten zu haben.
I. Mit Zwischenverfügung vom 25. Mai 2007 gewährte das Bundesamt dem Vertreter der Beschwerdeführerin Akteneinsicht. Gleichzeitig hielt das Bundesamt fest, dass mit der Akteneinsicht keine Frist zur Stellungnahme verbunden sei, weil nach Abschluss der amtlichen Untersuchung grundsätzlich kein Anspruch auf Durchführung eines Schriftenwechsels bestehe. Verspätete Parteivorbringen, welche als ausschlaggebend erscheinen und vor dem Endentscheid eingehen würden, könnten indes im Rahmen von Art. 32 Abs. 2 VwVG Berücksichtigung finden. Mit Zwischenverfügung gleichen Datums gewährte das BFM dem Vertreter der Beschwerdeführerin ferner Einsicht in die Akten des Asylverfahrens ihres Gatten (Kopie des Aktenverzeichnis des Asylverfahrens und Kopien der Akten des Asylverfahrens gemäss Verzeichnis).
J. Mit Verfügung vom 29. Mai 2007 widerrief die Vorinstanz das der Beschwerdeführerin am 31. Juli 2001 gewährte Asyl und erkannte ihr die Flüchtlingseigenschaft ab. Sie stützte sich dabei auf Art. 63 Abs. 1 Bst. b AsylG i.V.m. Art. 1 C Ziff. 1 des internationalen Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK; SR 0.142.30). Zur Begründung wurde vorgebracht, dem Flüchtlingspass der Beschwerdeführerin sei zu entnehmen, dass sie sich mit den drei Kindern von der Türkei aus am 25. Juli 2004 nach Syrien begeben habe. Von dort aus sei sie am 26. Juli 2004 in den Irak weitergereist. Aufgrund der irakischen Stempel sei davon auszugehen, das sie sich bis zum 12. August 2004 dort aufgehalten habe. Ausserdem bestünden Hinweise in den Akten, dass sich der Ehemann der Beschwerdeführerin regelmässig in den Irak begebe. Aufgrund des Reisedokuments der Beschwerdeführerin stehe jedenfalls fest, dass sie sich entgegen ihren Angaben im erwähnten Zeitraum dort aufgehalten habe. Es sei davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin diese Reise ohne äusseren Zwang unternommen, sich in den Schutzbereich des Heimatstaates begeben und den Schutz auch erhalten habe. Hinsichtlich des Ehemannes der Beschwerdeführerin verzichtete die Vorinstanz in Anbetracht der Aktenlage auf den Asylwiderruf und die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft.
K. Mit Eingabe vom 28. Juni 2007 beantragte die Beschwerdeführerin durch ihre Vertretung beim Bundesverwaltungsgericht die Aufhebung der angefochtenen Verfügung. Von der Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und vom Asylwiderruf sei abzusehen. Es sei die unentgeltliche Prozessführung (Art. 65 Abs. 1 und 2 des des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren [VwVG; SR 172.021]) zu gewähren. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass bisher keine Stellungnahme zum Vorhalt des BFM, die Beschwerdeführerin sei in ihr Heimatland zurückgekehrt, habe erfolgen können. Dies sei auf die verweigerte Akteneinsicht der Vorinstanz zurückzuführen. Zum erwähnten Vorhalt sei nun festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin wegen ihrer Mutter, welche in _______ einen Herzinfarkt erlitten habe, allein nach Syrien gereist sei und die syrische Grenze in der Folge bei _______ Richtung Irak überschritten habe. Anschliessend habe sie sich zwischen der syrischen und irakischen Demarkationslinie in der freien Zone _______ aufgehalten. Dort habe sie sich mit ihrem Vater, nicht aber mit ihrer Mutter, welche wegen des akuten Herzleidens in _______ in Behandlung gestanden sei, getroffen. Der irakische Stempel im Reisedokument sei erfolgt, weil die syrischen Behörden ihr vorerst wegen dessen Fehlens die Wiedereinreise verweigert hätten, worauf sie zwecks Erlangung eines irakischen Ausreisestempels einen irakischen Beamten bestochen habe. Demnach habe sich die Beschwerdeführerin entgegen der vorinstanzlichen Sichtweise nie auf irakischem Hoheitsgebiet aufgehalten. Sie sei mithin weder freiwillig in den Irak zurückgekehrt noch in der Absicht, dort Schutz zu erlangen, und habe effektiven Schutz offensichtlich nicht erhalten, zumal sich die Frage stelle, ob der irakische Staat als solcher überhaupt schutzfähig sei. Die vorinstanzliche Argumentation verkenne im Übrigen die relevanten Kriterien der durch die Schweizerische Asylrekurskommission (ARK) diesbezüglich publizierten Rechtsprechung. Der Eingabe lag ein Arztzeugnis aus _______ - die Mutter der Beschwerdeführerin betreffend - vom 24. April 2007 bei. Die Nachreichung einer Bestätigung für die Bedürftigkeit wurde in Aussicht gestellt.
L. Mit Zwischenverfügung vom 3. Juli 2007 stellte das Bundesverwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Beschwerde fest. Die Beschwerdeführerin wurde aufgefordert, innert Frist den in Aussicht gestellten Beleg für ihre Bedürftigkeit nachzureichen. Auf die Erhebung eines Kostenvorschusses wurde verzichtet. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtsverbeiständung (Art. 65 Abs. 2 VwVG) wurde abgewiesen. Gleichentags reichte die Beschwerdeführerin die erwähnte Bestätigung für ihre Bedürftigkeit nach.
M. Mit Vernehmlassung vom 11. Juli 2007 hielt das Bundesamt an seiner Verfügung vollumfänglich fest und beantragte die Abweisung der Beschwerde. Im erstinstanzlichen Verfahren sei keine Gehörsverletzung erfolgt. Der wesentliche Inhalt der relevanten Akten sei im Rahmen des rechtlichen Gehörs während des Instruktionsverfahrens offen gelegt worden. Im Weiteren sei die Behauptung der Beschwerdeführerin, sich während drei Wochen lediglich in der erwähnten wüstenähnlichen Zone aufgehalten zu haben, kaum nachvollziehbar, habe sie doch angegeben, wegen ihrer in _______ schwer erkrankten Mutter hingereist zu sein. Ausserdem sei gemäss Erkenntnissen des Bundesamtes ein irakischer Stempel im Reisedokument für die Rückreise nach Syrien nicht erforderlich. Schliesslich wies das BFM darauf hin, dass ihm das auf Beschwerdeebene eingereichte Arztzeugnis im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens nicht übermittelt worden sei, weshalb eine diesbezügliche Stellungnahme entfalle.
N. Mit Replik vom 30. Juli 2007 hielt die Beschwerdeführerin an ihren bisherigen Vorbringen fest. Das BFM verkenne die Bedeutung des Akteneinsichtsrechts für die Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs. Ferner habe die Beschwerdeführerin in der besagten Zone lediglich deshalb ausharren müssen, weil ihr die amerikanischen Militärbehörden die Einreise in den Irak verweigert hätten. Es möge sodann zutreffen, dass für die Rückreise nach Syrien grundsätzlich kein irakischer Ausreisestempel erforderlich sei; in Anbetracht der grassierenden Korruption vor Ort sei indes mit entsprechenden Aufforderungen der Grenzbehörden gleichwohl zu rechnen. Schliesslich sei das eingereichte Arztzeugnis aus _______ der Vorinstanz zwecks Stellungnahme noch zu unterbreiten.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG, sofern keine Ausnahme nach Art. 32 vorliegt. Als Vorinstanzen gelten die in Art. 33 und 34 VGG genannten Behörden. Dazu gehören Verfügungen des BFM gestützt auf das AsylG; das Bundesverwaltungsgericht entscheidet in diesem Bereich endgültig (Art. 105 AsylG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]).
1.2 Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
2. Die Beschwerde ist form- und fristgerecht eingereicht; die Beschwerdeführerin ist legitimiert (Art. 6 AsylG i.V.m. Art. 48 und 50 ff. VwVG). Auf die Beschwerde ist mithin einzutreten.
3. Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe ihr nicht hinreichend Akteneinsicht gewährt und dadurch das rechtliche Gehör verletzt. Ausserdem gehe das BFM zu Unrecht davon aus, die Voraussetzungen der Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und des Asylwiderrufs seien vorliegend erfüllt.
4.
4.1 Gemäss Art. 63 Abs. 1 Bst. b AsylG wird die Flüchtlingseigenschaft aberkannt und das Asyl widerrufen, wenn Gründe nach Art. 1 C Ziff. 1 - 6 FK vorliegen. Art. 1 C FK beinhaltet die Beendigungsklauseln betreffend den Flüchtlingsstatus. Namentlich fällt eine Person unter anderem nicht mehr unter die Bestimmungen der FK und ihr Flüchtlingsstatus endet, wenn sie sich freiwillig wieder unter den Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, gestellt hat (Art. 1 C Ziff. 1 FK). Die Frage, ob bei der Beschwerdeführerin diese Voraussetzungen als erfüllt zu erachten sind, kann indes aufgrund nachfolgender Erwägungen offen gelassen werden.
4.2 Das Prinzip von Treu und Glauben, das gemäss Art. 5 Abs. 3 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV, SR 101) als allgemeiner Grundsatz rechtsstaatlichen Handelns gilt und dem darüber hinaus nach Art. 9 BV Grundrechtscharakter zukommt, gebietet ein loyales und vertrauenswürdiges Verhalten im Rechtsverkehr (vgl. Andreas Auer/Giorgio Malinver-ni/Michel Hottelier, Droit constitutionnel suisse, Bd. II, 2. Aufl., Bern 2006, N 1159 ff.; Yvo Hangartner, in: Ehrenzeller/Mastronardi/Schweizer/Vallender [Hrsg.], Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, Zürich u.a. 2002, N 39 zu Art. 5 BV; Ulrich Häfelin/Georg Müller/Felix Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl., Zürich 2006, N 622; Elisabeth Chiariello, Treu und Glauben als Grundrecht nach Art. 9 der schweizerischen Bundesverfassung, Bern 2004, S. 224 ff.; René Rhinow, Grundzüge des Schweizerischen Verfassungsrechts, Basel u.a. 2003, N 1788 ff. u. 2397 ff.). In Konkretisierung dieses allgemeinen Verhaltensgebots umfasst der Anspruch auf rechtliches Gehör, welcher auch im Asylverfahren Anwendung findet (vgl. Art. 6 AsylG), im weiten Sinn das Recht einer Person, in einem verwaltungsrechtlichen Verfahren mit seinen Begehren angehört zu werden, Akteneinsicht zu erhalten und zu den für den Entscheid wesentlichen Punkten (vorgängig) Stellung nehmen zu können (vgl. Art. 18 und Art. 26-33 VwVG). Gemäss dem in Art. 26 ff. VwVG geregelten Akteneinsichtsrecht ist den Parteien grundsätzlich Einsicht in sämtliche Aktenstücke zu gewähren, welche geeignet sind, in einem konkreten Verfahren als Beweismittel zu dienen (vgl. Entscheidungen und Mitteilungen der Schweizerischen Asylrekurskommission/EMARK 1994 Nr. 1 S. 8 E. 3a). Die Einsichtnahme darf verweigert werden, wenn wesentliche öffentliche Interessen des Bundes oder der Kantone, private Interessen oder das Interesse einer noch nicht abgeschlossenen amtlichen Untersuchung es erfordert (vgl. Art. 27 Abs. 1 VwVG). Nach Absatz 2 dieser Bestimmung darf sich die Verweigerung der Einsichtnahme nur auf Aktenstücke erstrecken, für die Geheimhaltungsgründe bestehen. Nach ständiger Rechtsprechung ist dabei in jedem Fall eine konkrete, sorgfältige und umfassende Abwägung der entgegenstehenden Interessen nach pflichtgemässem Ermessen vorzunehmen, wobei der Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten ist (vgl. etwa BGE 115 V 302; 113 Ia 4; EMARK 1994 Nr. 1 S. 12 f.). Wird einer Partei die Einsicht in ein Aktenstück verweigert, muss ihr die Behörde nach Art. 28 VwVG von seinem wesentlichen Inhalt mündlich oder schriftlich Kenntnis, sowie Gelegenheit geben, sich zu äussern und Gegenbeweismittel zu bezeichnen.
4.3 Das BFM hat es im Rahmen des rechtlichen Gehörs zum beabsichtigten Asylwiderruf und zur beabsichtigten Aufhebung der Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführerin mit Zwischenverfügung vom 30. April 2007 abgelehnt, dem Rechtsvertreter die am 18. April 2007 unter anderem beantragte Edition einer Kopie des Reiseausweises seiner Mandantin zu gewähren. Dazu ist vorab festzuhalten, dass dieses Dokument und namentlich die darin vorhandenen Stempelungen als klar entscheidwesentliche Akte zwingend dem Einsichtsrecht im oben erwähnten Sinne untersteht respektive unterstand. Nur bei Zusendung dieses Dokuments beziehungsweise einer gleichwertige Kopie wäre der Rechtsvertreter in der Lage gewesen, zu den Stempelungen detailliert Stellung zu nehmen und zu allfälligen Ungereimtheiten (Qualität der Stempel, datumsmässige Einordnung etc.) aus seiner Sicht Erklärungen anzubringen. Die vom BFM bereits mit Zwischenverfügung vom 10. April 2007 gemachten Angaben zu den Stempelungen müssen entsprechend als nicht rechtsgenüglich qualifiziert werden, zumal auch keine Geheimhaltungsinteressen als Rechtfertigung für diese Vorgehensweise ersichtlich sind. Zwar beruft sich die Vorinstanz in der am 30. April 2007 ergangenen Verfügung auf Art. 27 Abs. 1 Bst. c VwVG. Inwiefern das Interesse einer noch nicht abgeschlossenen amtlichen Untersuchung den Entscheid des BFM legitimieren würde, kann aber den vorliegenden Akten nicht entnommen werden. Selbst wenn ein solches Interesse im damaligen Zeitpunkt bestanden haben sollte, wäre das Bundesamt jedenfalls gehalten gewesen, nach Abschluss der geltend gemachten amtlichen Untersuchung das Dokument dem Vertreter der Beschwerdeführerin unter Ansetzung einer angemessen Frist zwecks Stellungnahme zu übermitteln, nachdem die Nicht-Offenlegung von Stempelungen im Rahmen von Verfahren, bei denen das BFM das Asyl zu widerrufen beabsichtigt, offensichtlich nicht den unter Ziff. 4.2. vorstehend aufgelisteten Kriterien entspricht. Im Ergebnis muss die Zwischenverfügung vom 30. April 2007, welche vom Bundesamt überdies als erst mit dem Endentscheid anfechtbar erklärt wurde, demnach als rechtswidrig bezeichnet werden. Anzufügen ist, dass die vom Bundesamt dem Rechtsvertreter am 25. Mai 2007 gewährte Akteneinsicht den erwähnten Mangel nicht zu beseitigen vermag. Abgesehen davon, dass aufgrund der Aktenlage nicht eruriert werden kann, ob dem Rechtsvertreter nachträglich Kopien der Stempelungen tatsächlich übermittelt wurden (da sich das BFM in der erwähnten Verfügung auf Geheimhaltungsinteressen beruft, dürfte dies nicht der Fall gewesen sein), ist festzuhalten, dass in besagter Verfügung keine Frist zur Stellungnahme eingeräumt wurde und der Endentscheid bereits am 29. Mai 2007 erging. Der Hinweis der Vorinstanz auf Art. 32 Abs. 2 VwVG (Berücksichtigung verspäteter Parteivorbringen, welche entscheidrelevant erscheinen) ist demzufolge als blosse Formalität zu qualifizieren, da in zeitlicher Hinsicht zwischen Verfügung und Endentscheid lediglich das Pfingstwochenende und mithin kein einziger Arbeitstag zur allfälligen Wahrung von zu bejahenden Gehörsansprüchen lag. Es bleibt somit zu prüfen, ob eine Heilung des Verfahrensmangels in Betracht kommt.
4.4 Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör führt grundsätzlich zur Aufhebung des angefochtenen Hoheitsakts ohne Rücksicht darauf, ob Letzterer bei korrekter Gewährung des rechtlichen Gehörs anders ausgefallen wäre, zumal eine solche Betrachtungsweise dem formellen Charakter des Gehörsanspruchs widerspräche (vgl. EMARK 1999 Nr. 20 S. 131; 1998 Nr. 34 S. 292). Gemäss Praxis des Bundesgerichts besteht indes die Möglichkeit, dass die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch die untere Instanz im Beschwerdeverfahren geheilt wird, wenn die Rekursinstanz mit gleicher Kognition entscheidet und den Betroffenen die gleichen Mitwirkungsrechte zustehen (vgl. BGE 116 Ia 95 f.; 110 Ia 82 E. d). Dabei können insbesondere prozessökonomische Überlegungen eine Rolle spielen. In der Lehre wird die uneingeschränkte Heilung einer Gehörsverletzung indes kritisiert, zumal den Betroffenen dadurch eine Instanz verloren geht und zur Verwirklichung des Anspruchs ein Rechtsmittel ergriffen werden muss. Auf eine Kassation des fehlerhaft zustande gekommenen Entscheids sollte deshalb nur dann verzichtet werden, wenn die Gehörsverletzung für die Betroffenen keinen schweren Nachteil bedeutet respektive sie nicht in schwerer Weise trifft. Selbst wenn eine Heilung nach den erwähnten Anforderungen möglich wäre, kann sich unter Umständen gleichwohl eine Kassation rechtfertigen. Sie kann beispielsweise dann in Betracht gezogen werden, wenn die Gehörsverletzung durch die Vorinstanz kein Versehen im Einzelfall darstellt, sondern Resultat gehäufter unsorgfältiger Verfahrensführung ist, kann es doch nicht Sinn der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sein, die Vorinstanz durch systematische Heilung erstinstanzlicher Verfahrensfehler von sorgfältiger Verfahrensführung zu entbinden und auf diese Weise zur Verschlechterung der Position von Betroffenen beizutragen. Eine Kassation rechtfertigt sich diesfalls, um die Vorinstanz auf diese Weise auf ihre verfahrensrechtlichen Pflichten aufmerksam zu machen (vgl. EMARK 1998 Nr. 34 S. 293).
4.5 Vorliegend erscheint eine Kassation gestützt auf die eben erwähnten Ausführungen als gerechtfertigt. Zum einen ist die Gehörsverletzung als gravierend zu qualifizieren. Zum anderen hat es das Bundesamt auch auf Vernehmlassungsebene abgelehnt, im erforderlichen Ausmass Akteneinsicht zu gewähren. Vielmehr lassen die dortigen Ausführungen darauf schliessen, dass sich die Vorinstanz keines Verfahrensfehlers bewusst ist und erneute Gehörsverletzungen in anderen Asylwiderrufsverfahren demnach nicht als ausgeschlossen erscheinen. Es droht mithin eine systematische Gehörsverletzung von Asylsuchenden in vergleichbaren Fallkonstellationen. Die angefochtene Verfügung ist deshalb aufzuheben und die Sache im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
5. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin in gravierender Weise verletzt hat. Eine Heilung erscheint vorliegend als ausgeschlossen. Die Sache ist im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zur vorgängigen Gewährung der erforderlichen Akteneinsicht zurückzuweisen. Bei dieser Sachlage kann davon abgesehen werden, auf die Beschwerdevorbringen detaillierter einzugehen.
6.
6.1 Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten aufzuerlegen (vgl. Art. 63 Abs. 1 und 2 VwVG).
6.2 Obsiegende Parteien haben Anspruch auf eine Parteientschädigung für die ihnen erwachsenen notwendigen Kosten (Art. 7 Abs. 1 des Reglements vom 11. Dezember 2006 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]). Seitens der Rechtsvertretung wurde keine Kostennote eingereicht. Auf die Nachforderung einer solchen kann indes verzichtet werden, da im vorliegenden Verfahren der Aufwand für die Beschwerdeführerin zuverlässig abgeschätzt werden kann und die von der Vorinstanz zu entrichtende Parteientschädigung von Amtes wegen und in Berücksichtigung der massgeblichen Bemessungsfaktoren auf Fr. 1'600.-- (inkl. allfällige Spesen und Mehrwertsteuer) festzusetzen ist.

(Dispositiv nächste Seite)
Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1. Die Beschwerde wird gutgeheissen.
2. Der angefochtene Entscheid wird aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.
3. Es werden keine Kosten erhoben.
4. Das BFM hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eine Parteientschädigungr in der Höhe von Fr. 1'600.-- zu entrichten.
5. Dieses Urteil geht an:
- die Beschwerdeführerin durch Vermittlung ihrer Vertretung (eingeschrieben)
- das Bundesamt, Abteilung Asylverfahren, mit den vorinstanzlichen Akten und dem Beschwerdedossier (Kopie zu den Akten; Ref.-Nr. N _______)
- _______

Die Richterin: Der Gerichtsschreiber:

Nina Spälti Giannakitsas Patrick Weber

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