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Abteilung IV

D-4049/2022

 

 

 

 

 

Urteil vom 12. Oktober 2022

Besetzung

 

Einzelrichterin Jeannine Scherrer-Bänziger,

mit Zustimmung von Richterin Muriel Beck Kadima;

Gerichtsschreiberin Anna Dürmüller Leibundgut.

 

 

 

Parteien

 

1. A._______, geboren am (...),

Usbekistan,

2. B._______, geboren am (...),

Usbekistan,

3. C._______, geboren am (...),

Ukraine,

Beschwerdeführende,

 

 

 

gegen

 

 

Staatssekretariat für Migration (SEM),

Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

 

 

 

Gegenstand

 

Verweigerung vorübergehender Schutz;

Verfügung des SEM vom 17. August 2022 / N (...).

 

 

 


Sachverhalt:

A.   

A.a  Die Beschwerdeführenden ersuchten das SEM am 11. Juli 2022 um Gewährung des vorübergehenden Schutzes.

A.b  Am 20. Juli 2022 erfolgten die Kurzbefragungen der Beschwerdeführenden 1 und 2 durch das SEM.

Dabei führten die Beschwerdeführenden aus, sie hätten seit dem Jahr (...) in der Ukraine gelebt, wo die Beschwerdeführerin 1 über eine permanente Aufenthaltsbewilligung verfüge. Der Beschwerdeführer 2 habe sich zwar regelmässig bei den ukrainischen Behörden gemeldet, aber nie eine Aufenthaltsbewilligung beantragt. Der Beschwerdeführer 3 sei in der Ukraine geboren und ukrainischer Staatsbürger. In Usbekistan hätten sie keine Probleme mit Behörden oder privaten Personen/Organisationen. Als in der Ukraine der Krieg ausgebrochen sei, seien die Beschwerdeführenden 2 und 3 zunächst nach Usbekistan gegangen. Der Sohn habe jedoch Mühe mit den dort herrschenden klimatischen Bedingungen. Er sei die Sommerhitze nicht gewohnt, und aufgrund der trockenen Luft habe er an Nasenbluten gelitten. Er sei deswegen ein paar Mal im Krankenhaus gewesen. Eine Rückkehr nach Usbekistan könnten sie sich daher nicht vorstellen. Zudem sei Usbekistan für den Sohn ein fremdes Land; seine Heimat sei die Ukraine. Während seines Aufenthalts in Usbekistan von (...) 2022 habe er die Schule besucht und sei dort gemobbt worden. Er habe sich in Usbekistan unwohl gefühlt. Die Beschwerdeführenden verwiesen ausserdem auf die schwierige Arbeitsmarktsituation in Usbekistan.

A.c  Die Beschwerdeführenden reichten ihre Reisepässe sowie die Geburtsurkunde des Sohnes zu den Akten.

B. 
Mit Verfügung vom 17. August 2022 - eröffnet am 18. August 2022 - lehnte das SEM die Gesuche um Gewährung vorübergehenden Schutzes ab, verfügte die Wegweisung der Beschwerdeführenden aus der Schweiz und aus dem Schengen-Raum und ordnete den Vollzug der Wegweisung an.

C. 
Die Beschwerdeführenden fochten diese Verfügung mit Beschwerde vom 14. September 2022 beim Bundesverwaltungsgericht an. Sie beantragten, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben, und die Sache sei an das SEM zurückzuweisen. Es sei ihnen der Schutzstatus S zu gewähren. Eventuell seien sie wegen Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs vorläufig aufzunehmen. Ferner sei festzustellen, dass die Wegweisung aus dem gesamten Schengen-Raum unzulässig sei. In prozessualer Hinsicht ersuchten sie um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung (inklusive Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses) sowie um unentgeltliche Verbeiständung.

Der Beschwerde lag eine Kopie der angefochtenen Verfügung bei.

D. 
Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte mit Schreiben vom 15. September 2022 den Eingang der Beschwerde.

 

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.   

1.1  Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel - und so auch vorliegend - endgültig über Beschwerden gegen Verfügungen (Art. 5 VwVG) des SEM (Art. 72 i.V.m. Art. 105 AsylG [SR 142.31]; Art. 31-33 VGG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG).

1.2  Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).

1.3  Die Beschwerdeführenden sind als Verfügungsadressaten zur Beschwerdeführung legitimiert (Art. 48 Abs. 1 VwVG). Die Beschwerde ist frist- und formgereicht eingereicht worden (Art. 72 i.V.m. Art. 108 Abs. 6 AsylG; Art. 52 Abs. 1 VwVG).

1.4  Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2. 
Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen richten sich, soweit die Verweigerung vorübergehenden Schutzes betreffend, nach Art. 106 Abs. 1 AsylG (vgl. Art. 72 AsylG), im Bereich des Ausländerrechts nach Art. 49 VwVG (vgl. BVGE 2014/26 E. 5).


3.   

3.1  Über offensichtlich unbegründete Beschwerden wird in einzelrichterlicher Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters beziehungsweise einer zweiten Richterin entschieden (Art. 72 i.V.m. Art. 111 Bst. e AsylG). Wie nachstehend aufgezeigt, handelt es sich um eine solche, weshalb das Urteil nur summarisch zu begründen ist (Art. 72 i.V.m. Art. 111a Abs. 2 AsylG).

3.2  Gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG (i.V.m. Art. 72 AsylG) wurde auf die Durchführung eines Schriftenwechsels verzichtet.

4.   

4.1  Das SEM führte zur Begründung seines Entscheids aus, die Beschwerdeführenden gehörten nicht zu der vom Bundesrat definierten Gruppe der schutzberechtigten Personen, da die Beschwerdeführenden 1 und 2 usbekische Staatsangehörige seien. Es bestünden keine konkreten Hinweise darauf, dass sie nicht in Sicherheit und dauerhaft nach Usbekistan zurückkehren könnten, zumal die Beschwerdeführenden 1 und 2 dort aufgewachsen seien und über dort wohnhafte Familienangehörige verfügten. Der Umstand, dass der Sohn ukrainischer Staatsangehöriger sei, vermöge an dieser Einschätzung nichts zu ändern. Der Vollzug der Wegweisung sei durchführbar. Betreffend die Frage der Zumutbarkeit verwies das SEM insbesondere auf das familiäre Beziehungsnetz der Beschwerdeführenden in Usbekistan sowie die Arbeitserfahrungen der Beschwerdeführenden 1 und 2. Es führte weiter aus, die gesundheitlichen Probleme des Sohnes seien leicht behandelbar, und die Eltern könnten ihm durchaus auch in Usbekistan günstige Lebensumstände verschaffen.

4.2  In der Beschwerde wird entgegnet, der Beschwerdeführer 3 besitze die ukrainische Staatsangehörigkeit. Das SEM habe diesen - erheblichen - Umstand in seinem Entscheid weder erwähnt noch gewürdigt. Somit liege ein formeller Fehler vor, weshalb die angefochtene Verfügung aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen sei. Eventuell sei festzustellen, dass die Beschwerdeführenden allesamt der in Bst. a der Allgemeinverfügung des Bundesrates vom 11. März 2022 zur Gewährung vorübergehenden Schutzes im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine (vgl. BBl 2022 586) definierten Personengruppe angehörten, da der Sohn ukrainischer Staatsangehöriger und als Minderjähriger auf seine Eltern angewiesen sei. Sodann seien auch die Voraussetzungen von Bst. b der Allgemeinverfügung erfüllt, da die Beschwerdeführenden 1 und 2 in der Ukraine aufenthaltsberechtigt gewesen seien. Bei der Beurteilung der Frage, ob sie in Sicherheit und dauerhaft nach Usbekistan zurückkehren könnten, sei zu berücksichtigen, dass der Sohn in der Ukraine geboren und aufgewachsen sei und keinen Bezug zu Usbekistan habe. Die Beschwerdeführenden 1 und 2 hätten ihrerseits die letzten (...) Jahre in der Ukraine gelebt; dieses Land sei auch ihre Heimat. Zudem schade das Klima in Usbekistan dem Sohn; er sei dort immer krank. In Usbekistan sei es ausserdem schwierig, eine Arbeit zu finden, und die dort wohnhaften Familienangehörigen seien nicht in der Lage, sie zu unterstützen. Falls der Schutzstatus verweigert werde, sei aufgrund der dargelegten Umstände zumindest die vorläufige Aufnahme wegen Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs zu gewähren. Das SEM habe schliesslich zu Unrecht und ohne entsprechende Kompetenz die Wegweisung aus dem Schengen-Raum verfügt. Die Beschwerdeführenden müssten die Möglichkeit haben, in einem anderen Staat innerhalb des Schengen-Raums um Gewährung vorübergehenden Schutzes zu ersuchen.

5.   

5.1  Die Beschwerdeführenden rügen, das SEM habe in seinem Entscheid nicht erwähnt und gewürdigt, dass der Beschwerdeführer 3 ukrainischer Staatsbürger sei. Aufgrund dieses formellen Fehlers sei eine Rückweisung der Sache an die Vorinstanz angezeigt.

5.2  Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführenden hat das SEM in der angefochtenen Verfügung die ukrainische Staatsangehörigkeit des Sohnes erwähnt und - wenn auch nur kurz - ausgeführt, dieser Umstand ändere nichts an der Tatsache, dass die Beschwerdeführenden in Sicherheit und dauerhaft nach Usbekistan - dem Heimatland der Beschwerdeführenden 1 und 2 - zurückkehren könnten (vgl. Ziff. II. 2. Bst. c der
vorinstanzlichen Verfügung). Zwar hat das SEM nicht näher begründet, weshalb die Beschwerdeführenden (auch) nicht unter Bst. a der Allgemeinverfügung vom 11. März 2022 fallen; jedoch kann darin keine Verletzung der Begründungspflicht erblickt werden, da die vorliegende Konstellation (der schutzsuchende ukrainische Staatsangehörige ist ein Kind, bei den Familienangehörigen handelt es sich um seine Eltern) offensichtlich nicht von Bst. a der Allgemeinverfügung erfasst wird (vgl. dazu die nachfolgenden Ausführungen unter E. 7.1). Ebenso wenig liegt ein Fall von Bst b der Allgemeinverfügung vor, was vom SEM folgerichtig ebenfalls nicht näher geprüft und begründet wurde. Insgesamt hat das SEM daher in nachvollziehbarer Weise dargelegt, weshalb die Beschwerdeführenden seines Erachtens nicht unter die Gruppe der schutzberechtigten Personen fallen, und es war den Beschwerdeführenden offensichtlich auch ohne weiteres möglich, den Entscheid sachgerecht anzufechten. Demnach kann keine Verletzung der Prüfungs- und Begründungspflicht respektive des Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl. Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 29 VwVG, Art. 35 Abs. 1 VwVG) festgestellt werden. Die formelle Rüge erweist sich damit als unbegründet, weshalb der Kassationsantrag abzuweisen ist.

6.   

6.1  Gestützt auf Art. 4 AsylG kann die Schweiz Schutzbedürftigen für die Dauer einer schweren allgemeinen Gefährdung, insbesondere während eines Kriegs oder Bürgerkriegs sowie in Situationen allgemeiner Gewalt,
vorübergehenden Schutz gewähren. Der Bundesrat entscheidet, ob und nach welchen Kriterien Gruppen von Schutzbedürftigen vorübergehender Schutz gewährt wird (Art. 66 Abs. 1 AsylG).

6.2  Am 11. März 2022 hat der Bundesrat gestützt auf Art. 66 Abs. 1 AsylG eine Allgemeinverfügung zur Gewährung vorübergehenden Schutzes im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine erlassen (vgl. BBl 2022 586) und in Ziff. 1 dieses Erlasses drei schutzberechtigte Personengruppen definiert:

a.      schutzsuchende ukrainische Staatsbürgerinnen und -bürger und ihre Familienangehörige (Partnerinnen und Partner, minderjährige Kinder und andere enge Verwandte, welche zum Zeitpunkt der Flucht ganz oder teilweise unterstützt wurden), welche vor dem 24. Februar 2022 in der Ukraine wohnhaft waren;

b.      schutzsuchende Personen anderer Nationalität und Staatenlose sowie ihre Familienangehörige gemäss Definition in Buchstabe a, welche vor dem 24. Februar 2022 einen internationalen oder nationalen Schutzstatus in der Ukraine hatten;

c.       Schutzsuchende anderer Nationalität und Staatenlose sowie ihre Familienangehörige gemäss Definition in Buchstabe a, welche mit einer gültigen Kurzaufenthalts- oder Aufenthaltsbewilligung belegen können, dass sie über eine gültige Aufenthaltsberechtigung in der Ukraine verfügen und nicht in Sicherheit und dauerhaft in ihre Heimatländer zurückkehren können.

7.   

7.1  Die Beschwerdeführenden sind der Meinung, sie gehörten der schutzberechtigten Personengruppe gemäss Bst. a der Allgemeinverfügung an, da der Beschwerdeführer 3 ukrainischer Staatsangehöriger sei. Diese Auffassung ist indes offensichtlich unzutreffend. Im vorliegenden Fall ist der schutzsuchende ukrainische Staatsangehörige ein Minderjähriger, und bei den Familienangehörigen handelt es sich um seine Eltern. Diese Konstellation wird von Bst. a der Allgemeinverfügung nicht erfasst, da als Familienangehörige ausdrücklich nur Partnerinnen und Partner sowie minderjährige Kinder von ukrainischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern genannt werden (ebenso im Übrigen bereits in Art. 71 Abs. 1 AsylG [Gewährung vorübergehenden Schutzes an Familien] sowie auch in Art. 51 Abs. 1 AsylG [Familienasyl]. Darüber hinaus können gemäss Bst. a der Allgemeinverfügung andere enge Verwandte, welche zum Zeitpunkt der Flucht ganz oder teilweise unterstützt wurden, in den Schutz einbezogen werden. Die Beschwerdeführenden 1 und 2 sind weder Partner noch Kinder des Beschwerdeführers 3, noch wurden sie von ihm unterstützt (vielmehr erfolgte die Unterstützung in umgekehrter Richtung). Die Familie fällt damit ungeachtet der ukrainischen Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers 3 nicht unter Bst. a der Allgemeinverfügung vom 11. März 2022.

7.2  Soweit die Beschwerdeführenden geltend machen, sie könnten nicht in Sicherheit und dauerhaft nach Usbekistan zurückkehren (vgl. Bst. c der Allgemeinverfügung vom 11. März 2022), ist Folgendes festzustellen: Die Beschwerdeführenden 1 und 2 sind usbekische Staatsangehörige. Der Beschwerdeführer 3 besitzt zwar zurzeit lediglich einen ukrainischen Pass, ist aber als leibliches Kind usbekischer Eltern im Zeitpunkt seiner Geburt automatisch (auch) usbekischer Staatsangehöriger geworden (vgl. Art. 14 des usbekischen Bürgerrechtsgesetzes vom 28. Februar 2020; https://lex.uz/docs/4824096), und die Beschwerdeführenden können bei den usbekischen Behörden jederzeit die Ausstellung entsprechender Identitätspapiere beantragen. Eine dauerhafte Rückkehr nach Usbekistan ist demnach für die ganze Familie ohne weiteres als möglich zu erachten. Da die Beschwerdeführenden in Usbekistan den Akten zufolge weder eine individuelle Verfolgung noch eine Gefährdung aufgrund der dort herrschenden allgemeinen Sicherheitslage zu befürchten haben, ist auch das Kriterium der Rückkehr in Sicherheit zu bejahen.

7.3  Demnach hat das SEM die Gesuche um Gewährung vorübergehenden Schutzes zu Recht abgewiesen.


8.   

8.1  Lehnt das SEM ein Gesuch um Gewährung vorübergehenden Schutzes ab, so verfügt es in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz und ordnet den Vollzug an (Art. 69 Abs. 4 AsylG).

8.2  Die Beschwerdeführenden verfügen insbesondere weder über eine ausländerrechtliche Aufenthaltsbewilligung noch über einen Anspruch auf Erteilung einer solchen. Die Wegweisung wurde demnach zu Recht angeordnet (vgl. BVGE 2013/37 E. 4.4; 2009/50 E. 9, je m.w.H.).

8.3  Soweit die Beschwerdeführenden rügen, das SEM habe zu Unrecht und ohne entsprechende Kompetenz die Wegweisung aus dem Schengen-Raum verfügt, ist auf die Richtlinie 2008/115/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Rückführungsrichtlinie) zu verweisen. Die Rückführungsrichtlinie stellt eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands dar. Mit Bundesbeschluss vom 18. Juni 2010 (AS 2010 5925) wurde der Notenaustausch vom 30. Januar 2009 zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft genehmigt und wurden die entsprechenden Gesetzesänderungen (u.a. des AsylG) geregelt. Die Rückführungsrichtlinie verpflichtet die Schengen-Staaten (und somit auch die Schweiz) dazu, in Wegweisungsverfügungen die betroffenen Personen zum Verlassen des Schengen-Raums sowie zur Weiterreise in das Herkunftsland oder in ein weiteres Land ausserhalb des Schengen-Raums, das die Person aufnimmt, aufzufordern (vgl. Ziff. 9.2 der Botschaft vom 26. August 2020 [BBl 2020 7105] sowie Art. 3 Ziff. 3 der Rückführungsrichtlinie). Das SEM hat die Beschwerdeführenden daher zu Recht aus der Schweiz sowie dem Schengen-Raum weggewiesen. Ergänzend ist anzufügen, dass aufgrund einer Empfehlung der zuständigen EU-Behörde im Rahmen einer Schengen-Evaluierung vom März 2018 mit der Änderung des Asylgesetzes vom 1. Oktober 2021 (in Kraft seit dem 1. September 2022) eine entsprechende Präzisierung im Sinne der vorgenannten Verpflichtung erfolgte (vgl. AS 2022 459; BBl 2020 7105). Im Übrigen ist der Einwand der Beschwerdeführenden, wonach eine Wegweisung aus dem gesamten Schengenraum es verunmögliche, in einem anderen Schengenstaat erneut um Schutz zu suchen, auch deshalb unbehelflich, weil es sich bei der Wegweisung nicht um eine Fernhalte- sondern lediglich um eine Entfernungsmassnahme handelt.


9.   

9.1  Ist der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig, nicht zumutbar oder nicht möglich, so regelt das SEM das Anwesenheitsverhältnis nach den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme (Art. 69 Abs. 4 AsylG; Art. 83 Abs. 1 AIG [SR 142.20]).

In Bezug auf die Geltendmachung von Wegweisungshindernissen gilt gemäss ständiger Praxis des Bundesverwaltungsgerichts der gleiche Beweisstandard wie bei der Flüchtlingseigenschaft, das heisst, sie sind zu beweisen, wenn der strikte Beweis möglich ist, und andernfalls wenigstens glaubhaft zu machen (vgl. BVGE 2011/24 E. 10.2 m.w.H.).

9.2  Der Vollzug ist nicht zulässig, wenn völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz einer Weiterreise der Ausländerin oder des Ausländers in den Heimat-, Herkunfts- oder einen Drittstaat entgegenstehen (Art. 83 Abs. 3 AIG).

9.2.1  So darf keine Person in irgendeiner Form zur Ausreise in ein Land gezwungen werden, in dem ihr Leib, ihr Leben oder ihre Freiheit aus einem Grund nach Art. 3 Abs. 1 AsylG gefährdet ist oder in dem sie Gefahr läuft, zur Ausreise in ein solches Land gezwungen zu werden (Art. 5 Abs. 1 AsylG; vgl. ebenso Art. 33 Abs. 1 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge [FK, SR 0.142.30]). Gemäss Art. 25 Abs. 3 BV, Art. 3 des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (FoK, SR 0.105) und der Praxis zu Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

9.2.2  Das flüchtlingsrechtliche Refoulement-Verbot schützt nur Personen, welche die Flüchtlingseigenschaft erfüllen. Die Beschwerdeführenden haben in der Schweiz kein Asylgesuch gestellt, und den Akten sind keine Hinweise auf eine Verletzung des flüchtlingsrechtlichen Refoulement-Verbots zu entnehmen. Der Grundsatz der Nichtrückschiebung (vgl. Art. 5 AsylG) findet daher im vorliegenden Verfahren keine Anwendung.

9.2.3  Sodann ergeben sich weder aus den Aussagen der Beschwerdeführenden noch aus den Akten Anhaltspunkte dafür, dass sie für den Fall einer Ausschaffung nach Usbekistan dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (d.h. im Sinne eines «real risk»; vgl. dazu EGMR [Grosse Kammer], Saadi gegen Italien, Urteil vom 28. Februar 2008, Beschwerde Nr. 37201/06, §§ 124 - 127, m.w.H.) einer nach Art. 3 EMRK oder Art. 1 FoK verbotenen Strafe oder Behandlung ausgesetzt wären. Die allgemeine Menschenrechtssituation in Usbekistan lässt den Wegweisungsvollzug im heutigen Zeitpunkt ebenfalls nicht als unzulässig erscheinen.

9.2.4  Nach dem Gesagten ist der Vollzug der Wegweisung zulässig.

9.3  Gemäss Art. 83 Abs. 4 AIG kann der Vollzug für Ausländerinnen und Ausländer unzumutbar sein, wenn sie im Heimat- oder Herkunftsstaat aufgrund von Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt und medizinischer Notlage konkret gefährdet sind. Wird eine konkrete Gefährdung festgestellt, ist - unter Vorbehalt von Art. 83 Abs. 7 AIG - die vorläufige Aufnahme zu gewähren.

9.3.1  In Usbekistan herrscht zurzeit weder ein kriegsähnlicher Zustand noch eine Situation allgemeiner Gewalt. Der Vollzug der Wegweisung dorthin ist daher als generell zumutbar zu erachten.

9.3.2  Der Vollzug der Wegweisung erweist sich auch in individueller Hinsicht als zumutbar. Zwar leben die Beschwerdeführenden schon seit dem Jahr (...) (bzw. der Beschwerdeführer 3 seit seiner Geburt im Jahr [...]) in der Ukraine, jedoch verfügen sie in Usbekistan (Region D._______) über mehrere Familienangehörige, welche sie über die Jahre immer wieder besucht haben. Im Frühjahr 2022 lebten die Beschwerdeführenden 2 und 3 sogar einige Monate lang in Usbekistan (vgl. A7 F17 und F28). Es ist ferner davon auszugehen, dass ihre Verwandten die Beschwerdeführenden auch zukünftig unterstützen werden, sollten diese darauf angewiesen sei. Den Beschwerdeführenden 1 und 2 ist es indes aufgrund ihrer Ausbildung und bisherigen Arbeitserfahrung ohne weiteres zuzumuten, ihren Lebensunterhalt im Heimatland zu bestreiten. Soweit auf die klimatisch bedingten Gesundheitsprobleme des Beschwerdeführers 3 in Usbekistan verwiesen wird (Probleme mit der Sommerhitze, Nasenbluten infolge trockener Luft) ist festzustellen, dass diese nicht schwerwiegend sind und infolge Gewöhnung mit der Zeit abnehmen dürften. Eine allenfalls benötigte Behandlung ist zudem auch in Usbekistan gewährleistet. Der Vollzug der Wegweisung aus der Schweiz nach Usbekistan ist sodann auch unter dem Aspekt des Kindeswohls als zumutbar zu erachten, da sich der zehnjährige Beschwerdeführer 3 erst seit rund drei Monaten in der Schweiz aufhält, zusammen mit seinen Eltern nach Usbekistan ausreisen kann, dort ein familiäres und ihm bereits bekanntes Umfeld vorfinden wird und aufgrund seines Alters davon auszugehen ist, dass er sich dort nach einer Eingewöhnungszeit mit Hilfe seiner Eltern gut einleben wird, zumal er mit der dortigen Sprache und Kultur bereits vertraut ist.

9.4  Die Beschwerdeführenden 1 und 2 sind im Besitz von gültigen usbekischen Reisepässen. Der Beschwerdeführer 3 hat wie erwähnt (vgl. dazu vorstehend E. 7.2) Anspruch auf Ausstellung von usbekischen Identitäts- und Reisepapieren. Demnach ist der Vollzug der Wegweisung ohne weiteres auch als möglich zu erachten (Art. 83 Abs. 2 AIG), zumal es den Beschwerdeführenden obliegt, sich gegebenenfalls bei der zuständigen Vertretung von Usbekistan die notwendigen Einreisedokumente zu beschaffen (vgl. Art. 8 Abs. 4 AsylG; BVGE 2008/34 E. 12).

9.5  Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Vorinstanz den Wegweisungsvollzug zu Recht als zulässig, zumutbar und möglich bezeichnet hat. Eine Anordnung der vorläufigen Aufnahme fällt damit ausser Betracht (Art. 83 Abs. 1-4 AIG).

10. 
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung Bundesrecht nicht verletzt und auch sonst nicht zu beanstanden ist (Art. 106 Abs. 1 AsylG). Die Beschwerde ist abzuweisen.

11.   

11.1  Angesichts des vorliegenden, direkten Entscheids in der Sache erweist sich der Antrag, es sei auf die Erhebung eines Kostenvorschusses zu verzichten, als gegenstandslos.

11.2  Die Gesuche um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung (Art. 65 Abs. 1 VwVG) und amtliche Verbeiständung (Art. 102m Abs. 1 Bst. d AsylG) sind ungeachtet der geltend gemachten prozessualen Bedürftigkeit abzuweisen, da sich die Beschwerdebegehren entsprechend den vorstehenden Erwägungen von Vornherein als aussichtslos erwiesen haben.

11.3  Demzufolge sind die Verfahrenskosten in der Höhe von Fr. 750.- den Beschwerdeführenden aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG; Art. 1-3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]).

 

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gesuche um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und amtliche Verbeiständung werden abgewiesen.

3. 
Die Verfahrenskosten von Fr. 750.- werden den Beschwerdeführenden auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zugunsten der Gerichtskasse zu überweisen.

4. 
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführenden, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.

 

Die Einzelrichterin:

Die Gerichtsschreiberin:

 

 

Jeannine Scherrer-Bänziger

Anna Dürmüller Leibundgut

 

 

Versand:

 

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