Sachverhalt:
A.
A.a Der
Beschwerdeführer ersuchte die Schweiz am 14. April 2022 um Gewährung vorübergehenden
Schutzes.
A.b Am
24. Mai 2022 fand die Kurzbefragung statt. Dabei gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er
sei ukrainischer Staatsangehöriger und besitze einen ukrainischen Reise- und Inlandpass. Er sei
in B._______ aufgewachsen. Mit Beginn der Kämpfe im Jahr 2014 habe er sich nach Russland begeben,
weil er dort Verwandte habe. Zunächst habe er sich in C._______ niedergelassen und sei danach nach
D._______ umgezogen. Er habe (...) erlangt. Er habe sich damals nicht in den Westen der Ukraine begeben,
weil er dort keine Verwandten habe und es wirtschaftlich besser gewesen sei.
Er habe immer wieder seine Eltern und seine beiden Grossmütter in B._______ besucht. Im Jahr
2016 seien seine Eltern nach E._______ gezogen, wo auch er sich habe registrieren lassen. Von Oktober
bis Ende November habe er sich in E._______ bei den Eltern aufgehalten. Im Frühling sei er jeweils
mit seinem Vater zu den Grossmüttern nach B._______ gegangen, um dort die Grundstücke zu bearbeiten.
Ebenfalls im Jahr 2016 habe er einen russischen Reise- und Inlandpass erhalten.
Dies weil damals
im Donbass Krieg geherrscht habe. In Russland sei er nicht mehr registriert. Am 18. Februar 2022
sei er zu seiner Grossmutter nach B._______ gereist und habe für einen Monat nicht ausreisen können.
Auch habe er nicht mehr den Wunsch gehabt, nach Russland zu gehen. Er sei dennoch nach D._______ zurückgekehrt,
habe seine Wohnung geräumt und sei am 6. oder 7. April 2022 via F._______ nach G._______ ausgereist.
Er habe Russland verlassen, da er nicht mit der russischen Regierung einverstanden sei und über
keine Meinungsfreiheit verfüge. Am 24. Februar 2022 habe er einen Chat auf «Telegram»
erstellt. Deswegen habe er Ende März 2022 (...) bis (...) Mal anonyme Anrufe erhalten.
A.c Der
Beschwerdeführer reichte je einen ukrainischen und einen russischen Reise- und Inlandpass zu den
Akten.
B.
Mit Verfügung vom 7. Juni 2022 lehnte das SEM das Gesuch um vorübergehenden Schutz
ab, verfügte die Wegweisung aus der Schweiz und ordnete den Vollzug der Wegweisung an.
C.
Mit
Eingabe vom 5. Juli 2022 reichte der Beschwerdeführer gegen diesen Entscheid beim Bundesverwaltungsgericht
Beschwerde ein. Er beantragte, die vorinstanzliche Verfügung sei aufzuheben und ihm sei der Schutzstatus S
zu gewähren; eventualiter sei die Angelegenheit zur Neubeurteilung und vertieften Abklärung
an die Vorinstanz zurückzuweisen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht beantragte er, es sei ihm zufolge
Mittellosigkeit die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und auf die Erhebung eines Kostenvorschusses
zu verzichten.
Als Beweismittel reichte er zahlreiche Screenshots von Nachrichten im «Telegram»-Kanal
und «Telegram»-Chat sowie verschiedene Reiseunterlagen ein.
D.
Am
6. Juli 2022 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht den Eingang der Beschwerde.
E.
Mit
Zwischenverfügung vom 7. Juli 2022 teilte der Instruktionsrichter dem Beschwerdeführer
mit, dass er den Abschluss des Verfahrens in der Schweiz abwarten dürfe. Im Weiteren wurde das Gesuch
um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung gutgeheissen und auf die Erhebung eines Kostenvorschusses
verzichtet. Schliesslich wurde das SEM eingeladen, eine Vernehmlassung einzureichen.
F.
In
seiner Vernehmlassung vom 15. Juli 2022 hielt das SEM an seinem Standpunkt fest.
G.
Mit Eingabe vom 8. August 2022 machte der Beschwerdeführer fristgerecht von seinem Replikrecht
Gebrauch. Gleichzeitig reichte er eine Liste von in Russland wegen regierungskritischer Äusserungen
angeklagter Personen zu den Akten.
H.
Mit
weiterer Eingabe vom 18. Oktober 2022 wies der Beschwerdeführer auf die Teilmobilmachung in
Russland hin und hielt im Übrigen an den bisherigen Vorbringen fest.
Das
Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss
Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5
VwVG. Das SEM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des
Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt
nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden
Beschwerde und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel - so auch vorliegend - endgültig
(Art. 105 AsylG [SR 142.31]; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG).
1.2 Das
Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37
VGG und Art. 6 AsylG).
1.3 Die
Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht worden. Der Beschwerdeführer hat am Verfahren
vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und
hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Er ist daher
zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 72 i.V.m. Art. 105 und Art. 108 Abs. 6
AsylG; Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 Abs. 1 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2.
Die
Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen richten sich im Asylbereich
nach Art. 106 Abs. 1 AsylG, im Bereich des Ausländerrechts nach Art. 49 VwVG (vgl.
BVGE 2014/26 E. 5).
3.
3.1 Gestützt
auf Art. 4 AsylG kann die Schweiz Schutzbedürftigen für die Dauer einer schweren allgemeinen
Gefährdung, insbesondere während eines Krieges oder Bürgerkrieges sowie in Situationen
allgemeiner Gewalt, vorübergehenden Schutz gewähren. Der Bundesrat entscheidet, ob und nach
welchen Kriterien Gruppen von Schutzbedürftigen vorübergehender Schutz gewährt wird (Art. 66
Abs. 1 AsylG).
3.2 Am
11. März 2022 hat der Bundesrat gestützt auf Art. 66 Abs. 1 AsylG eine Allgemeinverfügung
zur Gewährung des vorübergehenden Schutzes im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine
(nachstehend: Allgemeinverfügung) erlassen (BBI 2022 586). Gemäss Ziff. I der Allgemeinverfügung
wird folgenden Personenkategorien vorübergehender Schutz in der Schweiz gewährt:
a) schutzsuchenden
ukrainischen Staatsbürgerinnen und -bürgern und ihren Familienangehörigen (Partnerinnen
und Partner, minderjährige Kinder und andere enge Verwandte, welche zum Zeitpunkt der Flucht ganz
oder teilweise unterstützt wurden), welche vor dem 24. Februar 2022 in der Ukraine wohnhaft
waren;
b) schutzsuchenden
Personen anderer Nationalität und Staatenlosen gemäss Definition in Buchstabe a, welche vor
dem 24. Februar 2022 einen internationalen oder nationalen Schutzstatus in der Ukraine hatten;
c) Schutzsuchenden anderer
Nationalität und Staatenlosen sowie ihren Familienangehörigen gemäss Definition in Buchstabe a,
welche mit einer gültigen Kurzaufenthalts- oder Aufenthaltsbewilligung belegen können, dass
sie über eine gültige Aufenthaltsberechtigung in der Ukraine verfügen und nicht in Sicherheit
und dauerhaft in ihre Heimatländer zurückkehren können.
4.
4.1 Das
SEM führte zur Begründung der Gesuchsablehnung im Wesentlichen aus, seine Abklärungen
hätten ergeben, dass der Beschwerdeführer nicht zu der vom Bundesrat definierten Gruppe der
schutzberechtigen Personen gehöre, weil er am 24. Februar 2022 als russischer Doppelbürger
in Russland wohnhaft gewesen sei, in Sicherheit und dauerhaft nach Russland zurückkehren könne.
Er habe vorgebracht, in B._______ aufgewachsen und mit Beginn der Kämpfe im Jahr 2014 nach Russland
ausgewandert zu sein. Er sei nicht mehr in Russland registriert gewesen, habe dort jedoch Verwandte und
die letzten Jahre meistens dort gelebt und gearbeitet. Zudem habe er vorgebracht, er sei bis Ende März
2022 physisch in D._______ wohnhaft gewesen. Dementsprechend habe er seinen Wohnsitz und seinen Lebensmittelpunkt
am 24. Februar 2022 in Russland gehabt. Überdies besitze er auch die ukrainische Staatsbürgerschaft
und sei gemäss seinen Angaben in B._______ registriert gewesen. Trotz dieser Umstände werde
angenommen, dass er seinen festen Wohnsitz vor der Einreise in die Schweiz in Russland gehabt habe, zumal
er vorbringe, die registrierte Adresse in B._______ habe schon lange nicht mehr seiner Adresse respektive
dem Wohnort seiner Eltern entsprochen. Deshalb sei das Gesuch um Gewährung des vorübergehenden
Schutzes abzuweisen. Gegenstand des vorliegenden Gesuchs sei die Prüfung, ob der Beschwerdeführer
die Voraussetzungen für die vorübergehende Schutzgewährung in der Schweiz erfülle.
Er habe geltend gemacht, dass er aufgrund seines «Telegram»-Kanals anonyme Anrufe erhalten
habe und sich bei einer Rückkehr nach Russland vor einer Freiheitsstrafe fürchte. Er sei zwar
nie verhaftet worden, habe aber das Bedürfnis, bei einer Rückkehr nach Russland seine Meinung
frei zu äussern, was dort jedoch nicht möglich sei. Da das Gesuch um vorübergehender Schutz
abgelehnt worden sei, werde nicht weiter auf die diesbezüglichen Vorbringen eingegangen. Wegen der
Ablehnung des Gesuchs sei er zur Ausreise aus der Schweiz verpflichtet. Hinsichtlich des Vollzugs der
Wegweisung würden sich aus den Akten keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass ihm im Falle einer
Rückkehr in seinen Heimatstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine durch Art. 3 EMRK verbotene
Strafe oder Behandlung drohe. Weder die in seinem Heimatstaat herrschende politische Situation noch andere
Gründe würden gegen die Zumutbarkeit der Rückführung in den Heimatstaat sprechen.
Er habe vorgebracht, dass er Verwandte in Russland habe, die letzten acht Jahre dort gelebt habe und
einer Arbeit in (...) nachgegangen sei. Er besässe einen (...)abschluss in Bereich (...)
aus dem Jahr (...). Solange er in Russland gewesen sei und dort gearbeitet habe, sei es ihm gut gegangen.
Mit seinem Lohn in Russland sei es ihm auch möglich gewesen, seine Eltern in der Ukraine zu unterstützen.
Es sei ihm daher auch zuzumuten, sich wieder in Russland zu registrieren, einer Arbeit nachzugehen und
sein wirtschaftliches Fortkommen zu sichern. Ausserdem sei der Vollzug der Wegweisung technisch möglich
und praktisch durchführbar.
4.2 In
der Beschwerdeschrift wird geltend gemacht, der Beschwerdeführer erfülle die Voraussetzungen
von Bst. a der Allgemeinverfügung. Die Vor-instanz habe ohne nachvollziehbare Begründung
von einer Prüfung, ob er die Voraussetzungen von Bst. c erfülle, abgesehen. Diese Begründung
verletze den Anspruch auf rechtliches Gehör. Zudem sei sie materiell falsch, da er auch die
Voraussetzungen
von Bst. c erfülle. Das Eventualbegehren wird mit dem Vorwurf, die Vorinstanz
habe wichtige
Tatsachen, insbesondere im Zusammenhang mit dem «Telegram»-Chat, welche zur Schutzgewährung
des Beschwerdeführers führten, nicht näher abgeklärt. Zudem sei bei der Begründung
die Berücksichtigung fallspezifischer Aspekte missachtet worden und die Vorinstanz habe ihr Ermessen
in unzulässiger Weise unterschritten und insbesondere weder abgeklärt, ob der Beschwerdeführer
vor dem 24. Februar 2022 tatsächlich Wohnsitz in Russland gehabt habe, noch ob er tatsächlich
dorthin zurückkehren könnte oder ob er nicht einer Gefahr an Leib und Leben ausgesetzt wäre.
4.3 In
seiner Vernehmlassung vom 15. Juli 2022 führte das SEM im Wesentlichen aus, bei den Vorbringen
in der Beschwerde, namentlich im Zusammenhang mit dem «Telegram»-Chat, und den diesbezüglich
eingereichten Beweismitteln handle es sich nicht um offensichtliche Asylgründe, welche die Schlussfolgerung
zuliessen, der Beschwerdeführer könne nicht mehr in Sicherheit und dauerhaft nach Russland
zurückreisen. Im Übrigen sei nach wie vor davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer
zum Zeitpunkt des Kriegs in Russland wohnhaft gewesen sei, und eine sichere und dauerhafte Rückkehr
nach Russland möglich sei.
4.4 In
seiner Replik vom 8. August 2020 führte der Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf die
Verneinung von offensichtlichen Asylgründen in der Vernehmlassung aus, es gehe, wie bereits in der
Beschwerde dargelegt, nicht um die Frage, ob er die Flüchtlingseigenschaft erfülle und ihm
deshalb Asyl zu gewähren wäre, sondern darum, ob er die Voraussetzungen der Allgemeinverfügung
erfülle und deshalb als Schutzbedürftiger vorübergehenden Schutz erhalten sollte. Diese
Ungenauigkeit, welche wohl unter anderem beziehungsweise im Zusammenhang mit den «Telegram»-Chat-Nachrichten
für die Beurteilung der erforderlichen Gefährdungslage entscheidend sei, sei unentschuldbar
und verletze das rechtliche Gehör, insbesondere die Begründungspflicht. Schliesslich würde
auch aus der Vernehmlassung nicht klar ersichtlich, auf welche Bestimmung sich die angefochtene Verfügung
stütze, namentlich auf Bst. a oder auf Bst. c. Auch dies stelle eine Verletzung des rechtlichen
Gehörs dar. Mit der Berufung auf Asylgründe stifte die Vorinstanz noch mehr Verwirrung.
4.5 In
der Eingabe vom 18. Oktober 2022 wies der Beschwerdeführer auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
D-2722/2022 vom 10. August 2022 hin. Darin werde festgehalten, dass die Vorinstanz trotz «des
überaus restriktiven Umgangs mit politischen Dissidenten in Russland sowie der engen Beziehungen
des Beschwerdeführers zur Ukraine und seinen Aussagen in der Kurzbefragung» mit derselben Begründung
wie vorliegend, nämlich der Ausländer «gehöre nicht zur definierten Personengruppe,
weil er in Sicherheit und dauerhaft nach Russland zurückkehren könne», ihre Begründungspflicht
verletzt habe. Genauso verhalte es sich betreffend ihn: Er sei ukrainischen Staatsangehöriger, dessen
engste Beziehungen weiterhin in der Ukraine lägen, und habe in seiner Kurzbefragung politische Gründe
geltend gemacht. Dies sei vom SEM in der Begründung in keiner Weise berücksichtigt worden.
5.
5.1 Vorliegend
ist unbestritten und hinreichend dokumentiert, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen ukrainisch-russischen
Doppelbürger handelt.
5.2 Vorab
ist deshalb zu prüfen, ob der Beschwerdeführer zu der Personengruppe gemäss Bst. a der
bundesrätlichen Allgemeinverfügung vom 11. März 2022 gehört oder ob die Vorinstanz
in der angefochtenen Verfügung zu Recht davon ausgegangen ist, er sei vor dem 24. Februar 2022
in Russland und nicht in der Ukraine wohnhaft gewesen.
Aus den Akten - insbesondere aus den auf konkrete Nachfrage bestätigten Angaben des Beschwerdeführers
anlässlich der Kurzbefragung - ergibt sich, dass dieser seinen Wohnsitz seit 2014 bis zu seiner
Ausreise im März 2022 in Russland hatte (vgl. SEM-act. [...]-3/7, F3 ff.). An dieser
Einschätzung vermögen die Ausführungen in der Beschwerde nichts zu ändern, wonach
seine Eltern und seine Grossmütter, zu denen er enge Beziehungen pflege, in der Ukraine leben würden,
er in B._______ registriert gewesen sei, im Oktober und November 2021 bei seinen Eltern in E._______
gelebt habe und danach einen Monat in H._______ gewesen sei, wo er Freunde besucht habe, und sich somit
in den Monaten vor Kriegsausbruch zu längeren Zeitspannen in der Ukraine aufgehalten habe als in
Russland (vgl. Beschwerde S. 8). Dasselbe gilt bezüglich seines Vorbringens, für ihn sei
bei Ausbruch des Kriegs sofort klar gewesen, dass er nicht mehr in Russland habe leben wollen. Diese
Absicht habe sich dann auch darin manifestiert, dass er am 26. Februar 2022 einen «Telegram»-Chat
erstellt habe, um sich mit anderen Ukrainerinnen und Ukrainern austauschen zu können, welche Möglichkeiten
es gebe, das Land zu verlassen (vgl. a.a.O., S. 9 und Beschwerdebeilagen 4 und 5 [Screenshots
von Nachrichten im «Telegram»-Kanal vom 26. und 28. Februar 2022]). Daraus lässt
sich ableiten, dass der Beschwerdeführer auch nach seiner Übersiedlung nach Russland im Jahr
2014 offenbar weiterhin einen engen Bezug zur Ukraine hatte und insbesondere seine familiären Beziehungen
in der Ukraine regelmässig pflegte. Ferner mag es zutreffen, dass er sich als Folge des russischen
Angriffskriegs in der Ukraine überlegte, Russland zu verlassen. Diese Umstände sind indessen
nicht geeignet, ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit seiner Angaben anlässlich der Kurzbefragung
aufkommen zu lassen. Bei dieser Sachlage ist die Feststellung des SEM in der angefochtenen Verfügung,
wonach sich der Wohnsitz des Beschwerdeführers vor dem 24. Februar 2022 in Russland und nicht
in der Ukraine befunden habe, nicht zu beanstanden.
5.3 Da
der Beschwerdeführer neben der ukrainischen Staatsangehörigkeit auch über das Bürgerrecht
Russlands verfügt, stellt sich vorliegend die weitere Frage, ob er allenfalls zur Personengruppe
gemäss Bst. c der Allgemeinverfügung gehören könnte. Diese Bestimmung richtet sich
jedoch gemäss ihrem Wortlaut nicht an Drittstaatsangehörige, die zusätzlich
über die ukrainische Staatsangehörigkeit verfügen, sondern an solche, deren Aufenthaltsberechtigung
in der Ukraine auf einer «Kurzaufenthalts- oder Aufenthaltsbewilligung» beruht. Ukrainische
Staatsangehörige bedürfen selbstredend keiner solchen Bewilligung. Eine teleologische
Auslegung
der in Bstn. a - c definierten Personengruppen führt zum gleichen
Ergebnis.
Der Schutzstatus S wurde eingeführt, um jenen Schutzsuchenden, welche die Ukraine aufgrund
des russischen
Angriffskriegs verlassen mussten, in der Schweiz vorübergehenden Schutz zu gewähren
(vgl. etwa
Medienmitteilung des Bundesrates vom 11. März 2022). Dies trifft wie bereits erwähnt
(vgl.
oben E. 5.2) auf den Beschwerdeführer gerade nicht zu, der seinen letzten Wohnsitz zum Zeitpunkt
des Kriegsausbruchs in Russland hatte. Inwiefern sich aus dem Abstellen auf die Flucht aus der Ukraine
als Voraussetzung für die Gewährung vorübergehenden Schutzes bei allen drei Personengruppen
eine Schlechterstellung von Doppelbürger/-innen ergeben könnte, wie in der Beschwerde geltend
gemacht wird (vgl. Beschwerde, S. 10), ist nicht ersichtlich. Ebenso wenig vermag er aus dem von
ihm zitierten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts D-2722/2022 vom 10. August 2022 etwas zu seinen Gunsten
abzuleiten, als dieses einen russischen Staatsangehörigen mit letztem Wohnsitz in der Ukraine betraf.
5.4 Da
der Beschwerdeführer schliesslich in der Ukraine unbestrittenermassen keinen Schutzstatus im Sinne
von Bst. b der Allgemeinverfügung hatte, hat das SEM im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass er
zu keiner der drei durch den Bundesrat definierten Personengruppen gehört.
5.5
5.5.1 Soweit
der Beschwerdeführer eine Verletzung der Begründungspflicht rügt, ist festzuhalten, dass
das SEM tatsächlich nicht ausdrücklich deklariert, welche der drei Tatbestandsvarianten es
geprüft hat. Aus der Begründung der angefochtenen Verfügung ergibt sich jedoch zweifelsfrei,
dass das SEM das Gesuch des Beschwerdeführers sowohl nach Bst. a als auch nach Bst. c geprüft
hat. In Bezug auf die erste Personengruppe hat das SEM festgestellt, dass der ukrainische Beschwerdeführer
seinen Wohnsitz im massgeblichen Zeitpunkt nicht in der Ukraine hatte. Betreffend die dritte Personengruppe
gelangte das SEM sodann zum Ergebnis, der Beschwerdeführer könne «in Sicherheit und dauerhaft»
nach Russland zurückkehren. Dass dies auch der rechtlich vertretene Beschwerdeführer so verstanden
hat und er deshalb ohne Weiteres in der Lage war, die Verfügung des SEM sachgerecht anzufechten,
geht aus der Begründung seiner Beschwerde hervor (vgl. Beschwerde, S. 7 ff.: «i. Schutzgewährung
gestützt auf lit. a», Beschwerde, S. 9 ff.: «ii. Schutzgewährung
gestützt auf lit. c»). Die Begründungspflicht wurde demnach nicht verletzt.
5.5.2 Weiter
fällt auch die beantragte Rückweisung zur ergänzenden Feststellung des rechtserheblichen
Sachverhalts - soweit das Verfahren um Gewährung vorübergehenden Schutzes betreffend
- ausser Betracht. In Bezug auf den letzten Wohnsitz des Beschwerdeführers gibt das Protokoll
der Kurzbefragung hinreichend Aufschluss. Auch aus den Ausführungen in der Beschwerde ergibt sich
kein Bedarf für zusätzliche Abklärungen.
Allfällige ergänzende Abklärungen mit Blick auf eine mögliche Gefährdung
des Beschwerdeführers in Russland erübrigen sich - wiederum soweit das Verfahren um Gewährung
vorübergehenden Schutzes betreffend - ebenfalls. Der Beschwerdeführer kann aufgrund seiner
ukrainischen Staatsangehörigkeit wie gezeigt (vgl. oben E. 5.3) nicht unter die Personengruppe
von Bst. c fallen. Somit stellt sich die Frage gar nicht, ob er «in Sicherheit und dauerhaft»
nach Russland zurückkehren kann. Eine persönliche Gefährdung des Beschwerdeführers
wäre vielmehr in einem ordentlichen Asylverfahren zu prüfen (vgl. unten E. 6.2).
5.6 Nach
dem Gesagten kommt das Gericht zum Schluss, dass das SEM das Gesuch des Beschwerdeführers um vorübergehenden
Schutz zu Recht abgelehnt hat.
6.
6.1 Beabsichtigt
das SEM, den vorübergehenden Schutz zu verweigern, so setzt es das Verfahren über die Anerkennung
als Flüchtling oder das Wegweisungsverfahren unverzüglich fort (Art. 69 Abs. 4 AsylG), wobei
eine Anhörung zu den Asylgründen nach Art. 29 AsylG durchzuführen wäre, falls um
Schutz im Sinne von Art. 18 AsylG ersucht wird (vgl. Urteil des BVGer E-2877/2022 vom 6. Juli 2022).
Als Asylgesuch gilt gemäss Art. 18 AsylG jede Äusserung mit der eine Person zu erkennen gibt,
dass sie die Schweiz um Schutz vor Verfolgung ersucht. Diesbezüglich gilt ein weiter Verfolgungsbegriff,
der über die ernsthaften Nachteile nach Art. 3 AsylG hinausreicht (vgl. BVGE 2013/10 E. 7.4.1 m.w.H.).
6.2 Der
Beschwerdeführer brachte in der Kurzbefragung und auf Beschwerdeebene vor, er sei mit der Politik
Russlands nicht einverstanden und habe deshalb am 26. Februar 2022 einen «Telegram»-Kanal und
kurz darauf einen «Telegram»-Chat erstellt. Dort habe er sich mit anderen Ukrainer/-innen in
Russland ausgetauscht und regierungskritisch geäussert. Deswegen habe er ab dem 21. März
2022 mehrere anonyme Anrufe erhalten. Er habe sich davor gefürchtet, in Russland als politischer
Dissident verfolgt zu werden. Die anonymen Anrufe hätten seine Ausreise aus Russland beschleunigt.
In der Eingabe vom 18. Oktober 2022 macht er zusätzlich geltend, sich aufgrund der Teilmobilmachung
in Russland nun auch vor einer Einziehung ins russische Militär zu fürchten. Diese Vorbringen
fallen klarerweise unter den weiten Verfolgungsbegriff, weshalb das Schutzersuchen des Beschwerdeführers
als Asylgesuch im Sinne von Art. 18 AsylG zu qualifizieren ist.
Daran ändern die Ausführungen des Beschwerdeführers in der Replik nichts, wonach sich
die Frage, ob er die Flüchtlingseigenschaft erfülle, vorliegend gar nicht stelle. Die rechtliche
Qualifikation der Parteivorbringen obliegt dem Bundesverwaltungsgericht und erfolgt von Amtes wegen (vgl.
Urteil des BVGer B-1183/2020 vom 4. Februar 2022 E. 7.3 m.w.H.). Demgegenüber steht es dem Beschwerdeführer
frei, ob er auf eine Prüfung seines Gesuchs im Rahmen eines Asylverfahrens verzichten will. Dabei
kann aus seinen Ausführungen in der Replik jedoch nicht leichthin geschlossen werden, er habe tatsächlich
auf die Durchführung eines solchen Verfahrens verzichten wollen, zumal seine diesbezüglichen
Äusserungen in direktem Zusammenhang mit der Prüfung der Voraussetzungen von Bst. c der Allgemeinverfügung
vom 11. März 2022 standen.
6.3 Nach
dem Gesagten hat das SEM Bundesrecht verletzt, soweit es in der angefochtenen Verfügung die Wegweisung
des Beschwerdeführers aus der Schweiz und dem Schengen-Raum angeordnet hat (Dispositivziffern 2-4).
7.
Die
Beschwerde ist somit gutzuheissen, soweit die Aufhebung der angefochtenen Verfügung und die Rückweisung
der Sache an die Vorinstanz beantragt wird. Die Dispositivziffern 2 - 4 der Verfügung
vom 7. Juni 2022 sind aufzuheben, und die Sache ist gestützt auf Art. 61 Abs. 1 VwVG zur Fortsetzung
als ordentliches Asylverfahren im Sinne der Erwägungen an das SEM zurückzuweisen. Hierfür
sind ihm die Akten zu überweisen. Im Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen.
8.
8.1 Bei
diesem Ausgang des Verfahrens (hälftiges Obsiegen) wären die um die Hälfte reduzierten
Verfahrenskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen. Nachdem jedoch das in der Beschwerde gestellte
Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege (Art. 65 Abs. 1 VwVG) mit Zwischenverfügung
vom 7. Juli 2022 gutgeheissen worden ist, und keine Veränderung der finanziellen Verhältnisse
des Beschwerdeführers eingetreten ist, sind vorliegend keine Verfahrenskosten zu erheben.
8.2 Dem
Beschwerdeführer ist in Anwendung von Art. 64 VwVG und Art. 7 Abs. 1 des Reglements
vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht
(VGKE, SR 173.320.2) eine reduzierte Entschädigung für die ihm notwendigerweise erwachsenen
Parteikosten auszurichten. Es wurde keine Kostennote eingereicht, weshalb
die notwendigen Parteikosten aufgrund der Akten zu bestimmen sind (Art. 14 Abs. 2 in fine VGKE).
Angesichts des hälftigen Obsiegens ist die vom SEM auszurichtende Parteientschädigung gestützt
auf die in Betracht zu ziehenden Bemessungsfaktoren (Art. 9-13 VGKE) auf pauschal Fr. 800.-
festzusetzen.
(Dispositiv nächste Seite)