Abteilung I
A-7385/2006{T 0/2}
Urteil vom 6. Juli 2007
Mitwirkung:
Richter
Markus Metz (Vorsitz); Richter Pascal Mollard; Richter André Moser. Gerichtsschreiber Johannes Schöpf.
X._______,
...
Beschwerdeführer, vertreten durch ...
gegen
Eidgenössisches
Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), Generalsekretariat VBS, (Schadenzentrum),
Maulbeerstrasse 9, 3003 Bern,
Vorinstanz
betreffend
Haftpflicht des Bundes (Ereignis
vom 30. Juli 2002).
Sachverhalt:
A. X._______ (geboren 1988) hielt sich am 30. Juli 2002
um ca. 2230 Uhr mit seinen Eltern und anderen Gästen im Restaurant ... in ... auf. Er und andere
Kinder spielten auf dem Kinderspielplatz vor dem Restaurant, auf dem sich auch eine Rutschbahn befindet.
Eine Klasse einer Unteroffiziersschule (UOS) führte an demselben Tag ebenfalls in diesem Restaurant
einen Klassenabend durch.
B. Einige der UOS-Schüler benützten die Rutschbahn, um in allen
möglichen Lagen hinunterzurutschen. Damit sich das Fahrtempo vergrösserte, setzten sie Hilfsmittel,
wie zum Beispiel Getränkeharrassen, ein, was zur Folge hatte, dass die betreffenden UOS-Schüler
vor Erreichen des Endes der Rutschbahn in hohem Bogen aus der Rutschbahn katapultiert wurden. Einige
Kinder schauten diesem übermütigen Treiben der Soldaten zu. Auch der Aspirant Y._______ flog
samt dem von ihm benutzten Harrass in der letzten Kurve aus der Rutschbahn. Jener Harrass krachte in
die Zuschauermenge, in der sich auch X._______ befand und traf ihn im Gesicht. X._______ verlor dadurch
den Frontzahn 21, der ihm chirurgisch wieder eingesetzt werden konnte. Allerdings prognostizierte der
behandelnde Zahnarzt, dass der Zahn später extrahiert und durch ein Implantat ersetzt werden müsse.
Er erlitt ausserdem Verletzungen an der Mundschleimhaut und im Bereich der rechten Oberlippe. Später
klagte X._______ ausserdem über ein Geräusch im rechten Ohr.
C. Nach entsprechenden Abklärungen
teilte das Generalsekretariat (GS) des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz
und Sport (VBS) den Eltern von X._______ am 19. Dezember 2002 mit, die Schweizerische Eidgenossenschaft
könne für den entstandenen Schaden keine Haftung übernehmen. Am 25. März 2006 verzichtete
das Schadenzentrum VBS auf die Einrede der Verjährung, soweit diese nicht schon eingetreten war,
bis zum 10. Januar 2007. Da die Eltern von X._______ mit der Ablehnung der Haftung nicht einverstanden
waren, erliess das VBS am 24. November 2006 eine Verfügung, worin festgestellt wurde, dass gegenüber
X._______ keine Haftpflicht des Bundes bestehe und seine Forderung vollumfänglich abgewiesen werde;
Verfahrenskosten wurden nicht erhoben.
D. Mit Eingabe vom 23. Dezember 2006 erhebt X._______ (Beschwerdeführer)
gegen die Verfügung des VBS vom 24. November 2006 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht und stellt
folgendes Rechtsbegehren:
"1. Der Entscheid der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Eidgenössisches
Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (Schadenzentrum) vom 24. November
2006 sei aufzuheben;
2. Es sei festzustellen, dass für die durch das Ereignis vom 30. Juli
2002 beim Beschwerdeführer bereits eingetretenen und noch eintretenden Schäden die Schweizerische
Eidgenossenschaft haftet;
3. Es sei dem Beschwerdeführer für das angehobene Beschwerdeverfahren
das Recht zur unentgeltlichen Rechtspflege unter Beiordnung des Unterzeichnenden als amtlicher Anwalt
zu gewähren;
- unter Kosten- und Entschädigungsfolge."
Zur Begründung brachte
er insbesondere vor, das VBS habe bis zum 10. Januar 2007 auf die Erhebung der Verjährungseinrede
verzichtet; mit dieser Eingabe sei die Verjährung rechtsgültig unterbrochen worden. Der Sachverhalt
sei durch das VBS nicht korrekt und vollständig abgeklärt worden. Es sei davon auszugehen,
dass die angehenden Kader der Schweizer Armee die Gaststätte unter einem klaren Kommando und unter
der Befehlsgewalt von Stabsadjudant Z._______ und somit im Rahmen einer befohlenen Dienstleistung aufgesucht
hätten. Abzuklären sei auch, ob der Klassenabend den Abschluss einer Übung der Aspiranten
gebildet habe. Es habe sich um eine befohlene Dienstleistung unter der Verantwortung eines für diesen
Anlass eingeteilten Vorgesetzten gehandelt; die Teilnahme an diesem Klassenabend sei für die Aspiranten
nicht freiwillig gewesen. Die Haftung des Bunds bestehe ohne Rücksicht auf das Verschulden für
den Schaden, den Angehörige der Armee oder die Truppe durch eine besonders gefährliche militärische
Tätigkeit oder in Ausübung einer anderen dienstlichen Tätigkeit Dritten widerrechtlich
zufügten. Das unfallbegründende Ereignis sei Teil einer dienstlichen Tätigkeit gewesen
und damit sei die Haftung des Bundes gegeben. Die Ereignisse an jenem Abend und somit auch die Rutschbahnfahrt
des Aspiranten Y._______ sei als Teil eines Gesamtgeschehens zu interpretieren, an der eine Mehrheit
von Armeeangehörigen unter einer gemeinsamen Leitung hierarchisch gegliedert teilgenommen hätten.
Der Klassenabend sei in einem funktionellen Zusammenhang mit dem Ausbildungszweck der Unteroffiziersschule
gestanden, nämlich der Schulung der Sozialkompetenz der Aspiranten und zu deren Verpflegung. Die
Unteroffziersausbildung umfasse viele gemeinsame Tätigkeiten, welche das Leben der Truppe erst
ermöglichten und die in einem weiteren Sinn militärisch seien. Dazu zählten auch das gemeinsame
leben, essen und schlafen. Weil der Klassenabend - und das Rutschbahnfahren als dessen vom zuständigen
Vorgesetzten offenbar tolerierten Nebenerscheinung - damit im Rahmen der Armee stattgefunden habe, sei
das unfallbegründende Ereignis Teil einer dienstlichen Tätigkeit gewesen.
E. Mit Schreiben
vom 12. Februar 2007 teilten die Wincare Versicherungen dem Bundesverwaltungsgericht mit, dass diese
Versicherung die gesetzlichen Leistungen zu Gunsten des Versicherten X._______ erbracht habe. Zur Abklärung
allfälliger Regressansprüche werde nach Abschluss des Verfahrens um eine Zusendung des Urteils
des Bundesverwaltungsgerichts ersucht.
F. In seiner Vernehmlassung vom 14. März 2007 beantragte
das VBS die kostenfällige Abweisung der Beschwerde. Zur Begründung führte die Verwaltung
aus, bei der schädigenden Tätigkeit habe es sich nicht um eine dienstliche, sondern um eine
private Tätigkeit gehandelt, für die der Schadenverursacher selbst einzustehen habe. Bei der
Rutschbahnanlage und den verwendeten Getränkeharrassen habe es sich um keine militärischen
Objekte gehandelt, diese seien für den militärischen Betrieb nicht geeignet bzw. nicht vorgesehen.
Der Bund hafte nur für den durch den Militärbetrieb verursachten Schaden. Die Benützung
einer Rutschbahn in irgendeiner Form habe nichts mit dem Militärbetrieb zu tun; es bestünden
auch keine stichhaltigen Gründe dafür, den betreffenden Aspiranten von der (privaten) Haftpflicht
bzw. seiner persönlichen Verantwortung zu entbinden, da er sich aus eigenen Stücken und in
vollem Bewusstsein über die Risiken seines Tuns in die unfallverursachende Situation begeben habe.
Die Benützung der Rutschbahn nach dem gemeinsamen Nachtessen der Aspiranten habe nichts mehr mit
einer dienstlichen Anordnung im Sinne eines "geselligen Zusammenseins" zu tun. Aspirant Y._______
habe anlässlich des Klassenabends eine von der Befolgung des militärischen Befehls unabhängige
Absicht verfolgt, nämlich das Rutschbahnfahren mit unstatthaften Hilfsmitteln zum persönlichen
Lustgewinn unter Inkaufnahme der damit verbundenen Risiken. Dies sei als private Tätigkeit anzusehen
und vom Verursacher selbst bzw. seiner Privathaftpflichtversicherung zu übernehmen. Auch eine sich
möglicherweise in Gang gesetzte Gruppendynamik entbinde den Schadensverursacher in keiner Weise
von seiner persönlichen Verantwortung.
G. In der Replik vom 14. Mai 2007 hielt der Beschwerdeführer
an den bisher gestellten Anträgen fest und führte aus, es sei offenbar der Tagesbefehl der
UOS nicht erhoben worden. Vom Schulkommando der zuständigen UOS sei auch kein Bericht über
die befohlenen Tätigkeiten an jenem Tag eingeholt worden; auch der offenbar zuständige Klassenchef
Stabsadjudant Z._______ habe keine Stellungnahme abgegeben. Der Umstand, dass die Aspiranten zum Zeitvertrieb
über die Rutschbahn rutschten, könne nicht als einzelne Tätigkeit ausgeklammert werden,
da diese Personen den Abend unter der Befehlsgewalt ihres Vorgesetzten verbracht hätten. Obwohl
Stabsadjudant Z._______ an diesem Abend für den geordneten Dienstbetrieb zuständig gewesen
sei, habe er die fragliche Tätigkeit während dieses Klassenabends nicht unterbunden. Eine derartige
Veranstaltung müsse als geführte und befohlene dienstliche Tätigkeit bezeichnet werden,
die Befolgung des militärischen Befehls habe darin bestanden, zusammen den Klassenabend zu verbringen.
Die Aspiranten hätten der Obhut und der Befehlsgewalt eines militärischen Vorgesetzten unterstanden
und dieser hätte die Verpflichtung gehabt, das Rutschbahnfahren zu unterbinden. Dieser Umstand sei
als Verletzung der Aufsichtspflicht zu bezeichnen.
H. Über Aufforderung durch das Bundesverwaltungsgericht
reichte der Vertreter des Beschwerdeführers am 5. Juni 2007 das ausgefüllte Formular "Gesuch
um unentgeltliche Rechtspflege" ein. Der Beschwerdeführer erzielt im Rahmen seiner Lehrlingsausbildung
als Koch ein monatliches Einkommen von Fr. 1'068.-- (gemäss Lohnabrechnung April 2007), der Anteil
13. Monatslohn beträgt Fr. 89.--, sodass er monatliche Einkünfte von Fr. 1'157.-- aufweist.
Der bei seinen Eltern wohnhafte Beschwerdeführer bezahlt an Krankenkassenprämien monatlich
Fr. 264.-- und an Haftpflichtversicherungsprämien monatlich Fr. 7.--. Die Kosten für den Arbeitsweg
mit dem Roller werden vom Beschwerdeführer mit monatlich Fr. 189.-- beziffert. Für auswärtige
Verpflegung wendet er monatlich Fr. 210.-- auf (21 Mahlzeiten à Fr. 10.--). An Steuern sind von
ihm monatlich Fr. 7.-- zu entrichten. Die weiteren sonstigen Auslagen werden vom Beschwerdeführer
- ohne näheren Nachweis - pauschal mit Fr. 500.-- beziffert, sodass sich die Gesamtauslagen pro
Monat auf Fr. 1'177.-- belaufen. Der Beschwerdeführer verfügt über zwei Jugendsparkonten
bei einer Raiffeisenbank mit einem Kontostand von Fr. 4'000.-- bzw. Fr. 369.05 (per 20. Mai 2007). Sein
Bargeldbestand beläuft sich auf Fr. 100.--.
I. Das VBS hielt in der Duplik vom 25. Juni 2007
ebenfalls an den bisher gestellten Anträgen fest. Da das Rutschbahnfahren auf einem Kinderspielplatz
als Bestandteil eines militärischen Tagesprogramms zum Vornherein ausgeschlossen werden könne,
habe die Verwaltung auf die Einholung des Tagesbefehls bzw. eines Berichtes über die befohlenen
Tätigkeiten der UOS bewusst verzichtet. Ein geselliger Klassenabend solle einen Kontrapunkt zur
strengen Ausbildung darstellen, dies entspreche einer zeitgemässen militärischen Führungskultur,
wobei bei einem derartigen Anlass eine Lockerung der Zügel ohne weiteres angebracht gewesen sei.
Auch ein in einer Arbeitspause befindlicher Armeeangehöriger stehe weiterhin unter der Befehlsgewalt
seines Vorgesetzten und trotzdem komme die Bundeshaftung dort gerade nicht zur Anwendung, sofern die
schädigende Handlung nicht durch die dienstliche Anordnung gerechtfertigt sei.
Am 2. Juli 2007
übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Vertreter des Beschwerdeführers die Duplik des
VBS vom 25. Juni 2007 zur Kenntnisnahme.
Auf die weiteren Begründungen der Eingaben wird -
soweit entscheidwesentlich - im Rahmen der nachstehenden Erwägungen eingegangen.
Das
Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1. Das GS VBS (Schadenzentrum VBS) ist
nach Art. 142 Abs. 3
des Bundesgesetzes vom 3. Februar 1995 über die Armee und die Militärverwaltung
(Militärgesetz, MG,
SR 510.10) zuständig für die erstinstanzliche Beurteilung streitiger
vermögensrechtlicher Ansprüche gegen den Bund aus diesem Gesetz. Der Entscheid dieser Behörde
kann mit Beschwerde an die Rekurskommission des Eidgenössischen Departements für Verteidigung,
Bevölkerungsschutz und Sport weitergezogen werden (Art. 142 Abs. 4
MG). Dieser Art. 142 Abs. 4
MG
wurde im Lauf der Einsetzung des Bundesverwaltungsgerichts auf den 1. Januar 2007 nicht geändert,
was auf ein gesetzgeberisches Versehen zurückgeführt werden muss. Diese Rekurskommission ist
offensichtlich auf den 31. Dezember 2006 hin aufgehoben worden. Die Rechtsmittelbelehrung des GS VBS
in der angefochtenen Verfügung nennt denn auch das Bundesverwaltungsgericht als Beschwerdeinstanz.
Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich aus Art. 31
des Bundesgesetzes vom 17.
Juni 2005 über das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgerichtsgesetz, VGG,
SR 173.32).
1.2.
Eine Ausnahme nach Art. 32
VGG liegt nicht vor und die Legitimationsvoraussetzungen nach Art. 48
des
Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG,
SR 172.021) sind erfüllt.
1.3.
Der Beschwerdeführer beantragt, es sei die Haftung der Schweizerischen Eidgenossenschaft für
seinen bestehenden und künftigen Schaden festzustellen. Im Hinblick auf den bisherigen und vermutlich
künftigen (Folgeschäden) Schadenverlauf hat der Beschwerdeführer heute ein schutzwürdiges
Interesse daran, die Haftung der Schweizerischen Eidgenossenschaft feststellen zu lassen (Ulrich Häfelin/Georg
Müller/Felix Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2006, Rz. 895,
mit Hinweisen).
1.4. Auf die Beschwerde ist deshalb einzutreten.
1.5. Was die durch den Beschwerdeführer
gerügte unvollständige oder unkorrekte Sachverhaltsdarstellung der Vorinstanz betrifft, gehen
das Bundesverwaltungsgericht wie der Beschwerdeführer davon aus, dass sich die Angehörigen
der betreffenden Klasse der UOS am Abend des 30. Juli 2002 nicht im Ausgang oder im Urlaub befunden haben
(die Frage wurde im angefochtenen Entscheid offengelassen). Dies geht insbesondere aus dem Umstand hervor,
dass die Klasse durch einen höheren Unteroffizier der Schule geführt wurde.
2. Nach Art.
143 Abs. 1
MG verjährt der Schadenersatzanspruch gegenüber dem Bund ein Jahr, nachdem der Geschädigte
Kenntnis erhalten hat, auf alle Fälle fünf Jahre nach dem Tag der schädigenden Handlung.
Werden Ansprüche aus einem strafbaren Verhalten hergeleitet, für welches das Strafrecht eine
längere Verjährung vorsieht, so gilt diese auch für sie (Art. 143 Abs. 3
MG). Der den
Schaden verursachende Aspirant unterstand dem Militärstrafrecht (Art. 3 Abs. 1 Ziffer 1 des Militärstrafgesetzes
vom 13. Juni 1927 [MstG,
SR 321.0]). Sein Verhalten bedeutete im objektiven Tatbestand ohne jeden Zweifel
zumindest eine einfache Körperverletzung nach Art. 122
MStG, für die die Strafverfolgung in
sieben Jahren verjährt (Art. 55 Abs. 1 Bst. c MstG). Der Anspruch des Beschwerdeführers ist
demnach nicht verjährt.
3. Nach Art. 1 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 14. März 1958 über
die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitlieder und Beamten (Verantwortlichkeitsgesetz,
SR 170.32) sind die Angehörigen der Armee mit Bezug auf ihre militärische Stellung und ihre
dienstlichen Pflichten vom Geltungsbereich des Verantwortlichkeitsgesetzes ausgenommen. Der Bund haftet
nach Art. 135 Abs. 1
MG ohne Rücksicht auf das Verschulden für den Schaden, den Angehörige
der Armee Dritten durch eine besonders gefährliche militärische Tätigkeit oder in Ausübung
einer anderen dienstlichen Tätigkeit widerrechtlich zufügen.
3.1. Als besonders gefährliche
militärische Tätigkeit wird beispielsweise der Waffengebrauch (Botschaft des Bundesrates,
BBl
1993 IV 1 ff., 110) oder der Gebrauch von Sprengstoff oder schwerem Gerät (Heinrich Honsell, Schweizerisches
Haftpflichtrecht, 4. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2005, S. 209) betrachtet. Dazu gehören alle
Übungen der Truppe im scharfen Schuss, aber auch der bewaffnete Wachtdienst.
3.2. Eine andere
dienstliche Tätigkeit ist die durch den militärischen Betrieb oder Auftrag gebotene Tätigkeit
(BBl, a.a.O. 111). Unter die dienstliche Verrichtung fällt die reglementarisch vorgeschriebene,
allgemein oder gesondert befohlene oder zur Bewältigung des erhaltenen Auftrags aus den Bedürfnissen
der augenblicklichen Lage sich ergebende, allenfalls mit Hilfe zur Verfügung gestellter oder erlaubter
und tauglicher Mittel durchgeführte militärische Betätigung (BGE
78 II 419 E. 3, BGE
79
II 147 E. 3; vgl. auch Entscheid der Rekurskommission des Eidgenössischen Militärdepartements
vom 24. Mai 1996, veröffentlicht in Verwaltungspraxis der Bundesbehörden [VPB] 61.85 E. 4.2).
Dienstlich ist jede Tätigkeit, die aufgrund eines Aufgebots erfolgt und durch den militärischen
Betrieb oder einen Auftrag geboten ist (Honsell, a.a.O., S. 209; Jost Gross, Schweizerisches Staatshaftungsrecht,
Bern 2001, S. 48). Zu den dienstlichen Verrichtungen gehören auch das gemeinsame Leben, Essen und
Schlafen der Truppe im Rahmen der Armee (Karl Oftinger/Emil W. Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht,
Zweiter Band: Besonderer Teil, 4. Auflage, Zürich 1991, § 32 Rz. 218). Dabei ist zu beachten,
dass der Angehörige der Armee bei seinen dienstlichen Verrichtungen nicht aus freiem Willen handelt,
sondern der Zwang des Dienstbefehls es ist, der ihn, abseits der gewohnten Lebensverhältnisse, in
eine Lage bringen kann, der er sich nicht gewachsen zeigt (BGE
78 II 419 E. 2c). Die Haftung des Bundes
ist Ausgleich dafür, dass der Angehörige der Armee dem Zwang der Dienstordnung unterstellt
ist und ganz oder teilweise unabhängig von seinem eigenen Willen handeln muss (Entscheid der Rekurskommmission
der Eidgenössischen Militärverwaltung vom 2. September 1977, veröffentlicht in VPB 43.71
E. 2).
3.3. Wenn eine Handlungsweise klar ausserhalb des durch den Dienstbetrieb Gebotenen oder
auch nur zu Erwartenden liegt, haftet der Bund nicht (Entscheide der Rekurskommission der Eidgenössischen
Militärverwaltung vom 2. September 1977, veröffentlicht in VPB 43.71 E. II/2, bzw. vom 25.
Januar 1978, veröffentlicht in VPB 43.72 E. II). Für einen Schaden, den ein Angehöriger
der Armee im Ausgang oder Urlaub verursacht, haftet er persönlich (BBl, a.a.O. 111; Oftinger/Stark,
a.a.O., Rz. 220). Die private Tätigkeit wird von der Haftung des Bundes ausgenommen, und zwar immer
auch dann, wenn sie bei Gelegenheit einer militärischen Tätigkeit erfolgt (Oftinger/Stark,
a.a.O., Rz. 217, mit dem Hinweis auf die gleiche Bedeutung in Art. 55 des Bundesgesetzes vom 30. März
1911 betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht
[OR,
SR 220]). Verrichtungen, die weder durch Reglemente noch durch Befehle geregelt sind und sich auch
nicht aus dem erteilten Auftrag auf Grund der Lage im konkreten Fall ergeben, sind nicht dienstlich;
sie stehen nicht in einem funktionellen Zusammenhang mit dem Militärbetrieb (Oftinger/Stark, a.a.O.,
Rz. 219). Schädigungen, die nur dadurch mit dem militärischen Betrieb zusammenhängen,
dass sie bei Gelegenheit der Ausübung militärischer Funktionen erfolgen, beruhen ebenfalls
nicht auf dienstlichen Verrichtungen (Oftinger/Stark, a.a.O., Rz. 221).
4. Im vorliegenden Fall
hat eine Klasse Aspiranten einer UOS unter der Leitung eines höheren Unteroffiziers einen Klassenabend
in einem Restaurant durchgeführt. Insofern handelte es sich zweifellos um die Teilnahme an einer
dienstlichen Tätigkeit des Verbandes und jedes einzelnen Angehörigen dieser Klasse. Die Angehörigen
der Armee befanden sich am 30. Juli 2002 weder im Ausgang noch im Urlaub. Für die durch die Aspiranten
zum privaten Zeitvertreib ausgeführten Rutschpartien unter Verwendung von Hilfsmitteln zur unkontrollierten
Beschleunigung der Fahrt war aber keine militärische Rechtfertigung vorhanden. Diese Tätigkeit
war anlässlich des Klassenabends nicht befohlen. Ein blosses Tolerieren - wenn ein solches überhaupt
erwiesen wäre - durch den die Klasse führenden höheren Unteroffizier genügt nicht
dazu, um dies als dienstliche Tätigkeit zu bezeichnen. Es handelte sich um eine private Tätigkeit
der betreffenden Angehörigen der Armee, selbst wenn diese bei Gelegenheit der dienstlich-militärischen
Tätigkeit des Klassenabends erfolgte.
Der Beschwerdeführer meint zu Unrecht, allein die
Tatsache, dass es sich beim fraglichen Klassenabend um eine dienstliche Tätigkeit gehandelt hat,
mache auch die Rutschpartie des betreffenden Aspiranten zur dienstlichen Tätigkeit. Nicht jede Tätigkeit
eines Angehörigen der Armee im grösseren Rahmen des Dienstes ist auch funktionell eine dienstliche
Tätigkeit. Die Rutschpartie war weder durch Reglemente noch durch einen Befehl geregelt und ergab
sich auch nicht aus einem Auftrag auf Grund der militärischen Lage im konkreten Fall. Der den Schaden
verursachende Angehörige der Armee hat bei seinen dienstlichen Verrichtungen im Rahmen des Klassenabends
bezüglich der Rutschpartien, die ohne jede militärische Notwendigkeit und aus reinem Zeitvertreib
unternommen worden waren, aus freiem Willen gehandelt. Die Tätigkeit des fraglichen Aspiranten stellte
deshalb keine dienstliche Tätigkeit im Sinn des Art. 135 Abs. 1 Bst. b
MG dar. Das Tatbestandselement
der dienstlichen Verrichtung liegt daher nicht vor, weshalb den Bund keine Haftung für das Ereignis
vom 30. Juli 2002 trifft. Die Beschwerde ist deshalb abzuweisen.
5. Auf Grund seiner erwiesenen
Mittellosigkeit wird dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Rechtspflege im vollen Umfang zuerkannt
und ... zu seinem Vertreter bestellt. Für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht werden
daher keine Kosten erhoben. Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wird gestützt auf Art.
10
und 14 Abs. 2
des Reglements vom 11. Dezember 2006 über die Kosten und Entschädigungen vor
dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE,
SR 173.320.2) eine Entschädigung von Fr. 2'500.-- (inklusive
Auslagen und Mehrwertsteuer) zu Lasten der Gerichtskasse zugesprochen.
Demnach erkennt das
Bundesverwaltungsgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Dem Beschwerdeführer wird
die unentgeltliche Rechtspflege im vollen Umfang zuerkannt und ... zu seinem Vertreter bestimmt.
3.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
4. Dem Vertreter des Beschwerdeführers wird zu Lasten
der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'500.-- (inklusive Auslagen und Mehrwertsteuer) zugesprochen.
5.
Dieses Urteil wird eröffnet:
- dem Beschwerdeführer (Gerichtsurkunde)
- der Vorinstanz
(Gerichtsurkunde)
- der Unfallversicherung ... (Einschreiben)
Der vorsitzende Richter:
Der Gerichtsschreiber:
Markus Metz Johannes Schöpf
Rechtsmittelbelehrung
Urteile
des Bundesverwaltungsgerichts auf dem Gebiet der Staatshaftung können innert 30 Tagen seit Eröffnung
beim Schweizerischen Bundesgericht in Lausanne angefochten werden, sofern der Streitwert mindestens Fr.
30'000.-- beträgt oder wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt. Die
Rechtsschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe
der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten. Sie muss spätestens am letzten Tag der Frist
beim Bundesgericht eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer schweizerischen
diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben werden (Art. 42, 48, 54, 85 Abs. 1 Bst.
a und Abs. 2 sowie Art. 100
des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht [Bundesgerichtsgesetz,
BGG,
SR 173.110]).
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