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Auszug aus dem Urteil der Abteilung IV
i.S. A. und Kinder gegen Bundesamt für Migration
D 1991/2014 vom 7. Juli 2014

Altrechtliches Asylgesuch aus dem Ausland. Übernahme von Ein­rei­sekosten. Kognition. Ermessensfrage. Rechtliches Gehör. Heilung.

Art. 29 Abs. 2 BV. Art. 92 und Art. 106 Abs. 1 AsylG. aArt. 53 AsylV 2. Art. 30 Abs. 1 VwVG.

1.      Die Übernahme von Einreisekosten im Zusammenhang mit ei­nem altrechtlichen Auslandverfahren ist eine Ermessensfrage, die vom Bundesverwaltungsgericht nicht auf ihre Angemessen­heit hin überprüft werden kann (E. 5.1 5.8).

2.      Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in Ermes­sensbereichen kann nicht auf Beschwerdestufe geheilt werden (E. 5.3).

Demande d'asile déposée à l'étranger sous l'empire de l'ancien droit. Prise en charge des frais d'entrée en Suisse. Cognition. Pouvoir dis­crétionnaire. Droit d'être entendu. Réparation du vice formel.

Art. 29 al. 2 Cst. Art. 92 et art. 106 al. 1 LAsi. Anc. art. 53 OA 2. Art. 30 al. 1 PA.

1.      La décision portant sur la prise en charge des frais d'entrée, en cas de dépôt d'une demande d'asile à l'étranger sous l'empire de l'ancien droit, procède du pouvoir discrétionnaire de l'autorité qui l'a prise, et ne peut pas être portée devant le Tribunal administratif fédéral pour inopportunité (consid. 5.1 5.8).

2.      En présence d'une décision basée sur l'exercice du pouvoir dis­crétionnaire, la violation du droit d'être entendu ne peut pas être réparée au stade du recours (consid. 5.3).

Domanda d'asilo presentata all'estero secondo il diritto previgente. Assunzione delle spese d'entrata. Cognizione. Potere d'apprezzamen­to. Diritto di essere sentito. Sanatoria.

Art. 29 cpv. 2 Cost. Art. 92 e art. 106 cpv. 1 LAsi. vArt. 53 OAsi 2. Art. 30 cpv. 1 PA.

1.      L'assunzione delle spese d'entrata in relazione ad una domanda presentata dall'estero secondo il previgente diritto costituisce una questione inerente il potere d'apprezzamento la cui adeguatezza non può essere esaminata dal Tribunale amministrativo federale (consid. 5.1 5.8).

2.      Una violazione del diritto di essere sentito in merito a questioni che rientrano nella sfera del potere d'apprezzamento non può essere sanata in sede ricorsuale (consid. 5.3).

 

Die Beschwerdeführenden suchten am 7. September 2012 bei der Schweizerischen Botschaft in Khartum (Sudan) um Asyl sowie um eine Einreisebewilligung in die Schweiz nach.

Mit Verfügung des Bundesamts für Migration (BFM) vom 12. Februar 2014 wurde den Beschwerdeführenden die Einreise in die Schweiz zwecks Durchführung eines Asylverfahrens bewilligt.

Am 18. Februar 2014 ersuchten die Beschwerdeführenden mit Eingabe ihrer Rechtsvertreterin beim BFM um Übernahme der Einreisekosten.

Mit Verfügung vom 13. März 2014 (Eröffnung am 17. März 2014) lehnte das BFM dieses Gesuch ab.

Diese Verfügung fochten die Beschwerdeführenden mit Eingabe ihrer Rechtsvertreterin vom 11. April 2014 beim Bundesverwaltungsgericht an und beantragten die Aufhebung der angefochtenen Verfügung und die Übernahme der Einreisekosten. Eventualiter sei die angefochtene Ver­fügung aufzuheben und zur eingehenden Prüfung und erneuten Entschei­dung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Am 16. April 2014 reisten die Beschwerdeführenden per Flugzeug in die Schweiz ein.

Das Bundesverwaltungsgericht heisst die Beschwerde gut, soweit die Aufhebung der angefochtenen Verfügung beantragt wird. Es hebt die an­gefochtene Verfügung auf und weist die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück.

Aus den Erwägungen:

3.                   Art. 53 Bst. d der Asylverordnung 2 vom 11. August 1999 über Finanzierungsfragen (AsylV 2, SR 142.312) wurde per 1. Oktober 2013 geändert. Gemäss den Übergangsbestimmungen gilt bei vor dem 29. Sep­tember 2012 eingereichten Auslandgesuchen und somit auch im vor­lie­genden Fall jedoch noch die Fassung vom 1. Januar 2008 (vgl. Abs. 2 der Übergangsbestimmungen zur Änderung vom 4. September 2013 zur Asylverordnung 2, AS 2013 3065).

4.                    

4.1                Die Beschwerdeführenden begründeten ihr Kostenübernahme­gesuch damit, dass weder die Beschwerdeführerin A. (nachfolgend: Be­schwerdeführerin) noch ihre in der Schweiz wohnhafte Schwester F. (nachfolgend: Schwester), die von der Sozialhilfe abhängig sei, über ge­nügend finanzielle Mittel verfügen würden. Es gebe auch keine Verwand­ten, welche die Einreisekosten übernehmen könnten. Als Beweismittel wurde eine Fürsorgebestätigung vom 17. Februar 2014 betreffend die Schwester sowie der Kostenvoranschlag der Organisation für Migration (IOM) eingereicht.

4.2                Das BFM begründete seine Verfügung damit, dass die Einreise­kosten nur übernommen würden, wenn die einreisende Person über keine anderen Finanzierungsmöglichkeiten verfüge. Aus den Eingaben sowie den Akten gehe nicht hervor, inwiefern die Beschwerdeführerin, ihre Schwester sowie ihre anderen Familienangehörigen nicht in der Lage sein sollten, die Reisekosten zu übernehmen. Die tatsächliche finanzielle Situation der Beschwerdeführerin und ihrer Familienangehörigen werde nicht offengelegt und mit entsprechenden Belegen untermauert. Die pau­schale Behauptung, es seien keine finanziellen Mittel vorhanden, werde nicht belegt und sei daher auch nicht stichhaltig. Die Beschwerdeführerin verfüge über zahlreiche Familienangehörige, welche sich an den Kosten beteiligen könnten. Neben den Familienangehörigen in Eritrea würden sich eine verheiratete Schwester in Schweden, ein verheirateter Bruder in Italien, ein verheirateter Bruder in der Schweiz und ein weiterer Bruder in Äthiopien befinden. Der in G. (Eritrea) wohnhafte Vater sei laut den Angaben der Schwester der Beschwerdeführerin ein wohlhabender Ge­schäftsmann, der unter anderem mit Vieh handle. So habe er die Reise­kosten für die Schwester übernommen. Es könne somit davon ausge­gangen werden, dass in der Familie der Beschwerdeführenden finanzielle Mittel vorhanden seien.

4.3                Diesen Erwägungen wurde in der Beschwerdeschrift entgegnet, dass sich die Beschwerdeführenden unter prekären Umständen als re­gistrierte Flüchtlinge in Khartum aufhalten würden und akut gefährdet seien. Ihre Reise in die Schweiz dürfe sich daher nicht verzögern. Das BFM habe das Gesuch abgelehnt, ohne weitere Sachverhaltsabklärungen zu treffen und ohne den Beschwerdeführenden Gelegenheit zu bieten, sich zum geplanten ablehnenden Entscheid zu äussern. Es gehe in seiner Verfügung pauschal davon aus, die Familienangehörigen seien in der Lage, für die Einreisekosten aufzukommen. Dabei werde verkannt, dass die in der Schweiz wohnhaften zwei Geschwister der Beschwerdeführe­rin fürsorgeabhängig seien. Ein Bruder der Beschwerdeführerin (H.) lebe in Italien unter prekären Verhältnissen. Er werde vom italienischen Staat in keiner Weise unterstützt und lebe auf der Strasse. Dieser Umstand werde durch die Tatsache untermauert, dass er schon mehrere Male ver­sucht habe, in die Schweiz zu gelangen, im Rahmen des Dublin-Überein­kommens aber jeweils wieder nach Italien weggewiesen worden sei. Auch dieser könne sich daher nicht an den Einreisekosten beteiligen. Die in Schweden wohnhafte Schwester sei verheiratet und habe vier Kinder. Auch sie werde von der Sozialhilfe unterstützt. Ein weiterer Bruder be­finde sich derzeit in Äthiopien und habe ein Asylgesuch aus dem Ausland eingereicht, welches beim BFM immer noch hängig sei, diese beiden Geschwister hätten ebenfalls keine finanziellen Kapazitäten für eine Kostenbeteiligung. Der vom BFM erwähnte Vater der Beschwerdeführe­rin sei heute betagt und nicht mehr erwerbstätig. Die Ausreise der Schwester habe er nur finanzieren können, indem er damals das Fami­lienhaus verkauft habe. Es habe sich aber um eine einmalige Unterstüt­zung gehandelt, die im vorliegenden Fall nicht wiederholt werden könne. Das BFM wäre mittels Ergänzungsfragen verpflichtet gewesen, diesen Sachverhalt umfassend abzuklären, anstatt pauschal davon auszugehen, dass entsprechende Mittel vorhanden seien. Dadurch sei der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden. Der Kostenvoranschlag des IOM über Fr. 3 413. sei sehr hoch ausgefallen, weshalb nicht von einem kleinen Unterstützungsbeitrag der Angehörigen ausgegangen werden könne, welcher unter Umständen hätte erwartet werden können. Ohne Übernahme der Kosten seien die Beschwerdeführenden entweder ge­zwungen, im Sudan zu bleiben, oder aber die in der Schweiz lebenden Geschwister seien gehalten, sich mittels Aufnahme eines Darlehens bei einem Kreditinstitut zu verschulden. Sowohl die betreuende Gemeinde der Schwester als auch diejenige des Bruders hätten es bereits abgelehnt, ein Darlehen bei der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) zu beantra­gen, weil eine Rückzahlung nicht garantiert werden könne. Ein Verschul­den bei einem Kreditinstitut sei unzumutbar. Das BFM habe die Einreise­bewilligung erteilt und gehe daher von einer konkreten Gefährdung aus. Konsequenterweise müsse nun auch die Einreise effektiv ermöglicht wer­den, indem die Kosten übernommen würden, da die Einreisebewilligung anderenfalls ins Leere laufen würde. Dies würde insbesondere dem Kin­deswohl widersprechen, welches bei sämtlichen Massnahmen, welche Kinder beträfen, vorrangig zu berücksichtigen sei.

Als Beweismittel wurden die bereits eingereichte Fürsorgebestätigung betreffend F. und eine Fürsorgebestätigung (...) betreffend den Bruder I. ins Recht gelegt.

4.4                In der ergänzenden Eingabe vom 30. April 2014 wurde ausge­führt, die Beschwerdeführenden seien am 16. April 2014 legal in die Schweiz eingereist. Die Schwester habe sich bei der Gemeinde erfolglos um Unterstützung bemüht. Anschliessend sei sie an den Sozialdienst der Katholischen Kirchgemeinde J. gelangt, welcher bei der SFH ein Dar­lehensgesuch eingereicht hätte, das aber abgelehnt worden sei. Sie sei da­her gezwungen gewesen, bei einer Privatperson ein Darlehen in der Höhe von Fr. 1 300. aufzunehmen, mit der Verpflichtung, diesen Betrag nach erfolgter Einreise umgehend zurückzuerstatten. Die Drittperson sei kein Familienangehöriger, sondern lediglich ein Bekannter. Die Einreise sei mit USD 1 465. wesentlich günstiger ausgefallen als gemäss Voran­schlag der IOM. Gemäss Praxis des Bundesverwaltungsgerichts müsse auch in Fällen, in welchen die Kosten effektiv hätten aufgebracht werden können, in einer Einzelfallprüfung über die Übernahme der Kosten be­funden werden. Dabei sei zu berücksichtigen, wie die Mittel beschafft worden seien und in welcher Situation sich die einreisewillige Person im Heimat- respektive Herkunftsstaat befunden habe. Würden die Mittel von einem Kreditinstitut oder einer Privatperson vorgestreckt, um einer akut gefährdeten Person die Einreise zu ermöglichen, sei eine Kostenüber­nahme nicht von vornherein ausgeschlossen. Im vorliegenden Fall habe die Einreise aufgrund der bereits beschafften Reisedokumente nicht ver­zögert werden können und die Schwester sei daher gezwungen gewesen, sich trotz Mittellosigkeit zu verschulden.

Als Beweismittel lagen der Eingabe eine Fürsorgebestätigung betreffend die Schwester, Auszüge aus einem E-Mail-Verkehr zwischen der Kirch­gemeinde und der SFH, eine Darlehensbestätigung sowie die Reisedoku­mente und Flugtickets bei.

5.                    

5.1                Eingangs ist auf die formelle Rüge einer Verletzung des rechtli­chen Gehörs einzugehen. Das rechtliche Gehör, welches in Art. 29 Abs. 2 BV verankert und in den Art. 29 ff. VwVG für das Verwaltungsverfahren konkretisiert wird, dient einerseits der Aufklärung des Sachverhalts, an­dererseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht der Parteien dar. Gemäss Art. 30 Abs. 1 VwVG hört die Behörde die Parteien an, bevor sie verfügt. Der Anspruch auf vorgängige Anhörung beinhaltet insbesondere, dass die Behörde sich beim Erlass ihrer Verfügung nicht auf Tatsachen abstützen darf, zu denen sich die von der Verfügung be­troffene Person nicht vorgängig äussern und diesbezüglich Beweis führen konnte (vgl. BVGE 2013/23 E. 6.1 m.w.H.).

5.2                Das BFM stützt seine Verfügung unter anderem auf eine Aus­sage der Schwester der Beschwerdeführerin anlässlich der Anhörung im Verfahren (...). Die Beschwerdeführerin wurde jedoch vor Entscheidfäl­lung nie auf dieses, aus einem anderen Verfahren stammende Aktenstück hingewiesen und zu einer Stellungnahme aufgefordert. Dadurch verletzt die Vorinstanz den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör.

5.3                Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist formeller Natur. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs führt deshalb grundsätzlich, das heisst ungeachtet der materiellen Auswirkungen, zur Aufhebung des daraufhin ergangenen Entscheides (vgl. BVGE 2012/24 E. 3.4; 2009/53 E. 7.3; 2008/47 E. 3.3.4; 2008/14 E. 4.1; 2007/30 E. 8.2; 2007/27 E. 10.1). Die Heilung von Gehörsverletzungen aus prozessökonomischen Gründen ist auf Beschwerdeebene nur möglich, sofern das Versäumte nachgeholt wird, die Beschwerdeführenden dazu Stellung nehmen können, die fest­gestellte Verletzung nicht schwerwiegender Natur ist, die fehlende Ent­scheidreife durch die Beschwerdeinstanz mit vertretbarem Aufwand her­gestellt werden kann und der Beschwerdeinstanz im streitigen Fall die freie Überprüfungsbefugnis zukommt (vgl. BVGE 2012/24 E. 3.4; 2009/53 E. 7.3). Dieser Kognitionsumfang ist jedoch nicht abstrakt zu betrachten, sondern stets auf die konkrete Streitfrage zu beziehen. So bleibt eine Heilung auch bei grundsätzlich eingeschränkter Kognition möglich, sofern es sich bei den Streitpunkten ausschliesslich um (Rechts )Fragen handelt, welche vom Gericht frei überprüft werden können (vgl. Waldmann/Bickel, in: Praxiskommentar VwVG, 2009, Art. 29 N. 119).

5.4                Gemäss geltendem Recht prüft das Bundesverwaltungsgericht Verfügungen des BFM im Anwendungsbereich des AsylG nicht auf ihre Angemessenheit (Art. 106 Abs. 1 AsylG). Es ist somit der Frage nach­zugehen, ob und in welchem Umfang es sich beim Entscheid über die Übernahme von Einreisekosten um eine Ermessensfrage handelt, welche hinsichtlich der Ermessensausübung vom Bundesverwaltungsgericht nicht frei, sondern nur auf qualifizierte Fehler (d.h. Missbrauch und Überschreiten des Ermessens) geprüft werden kann.

5.5                Umschreibt eine Rechtsnorm die Tatbestandsvoraussetzungen oder Rechtsfolgen in offener Weise, spricht man von einem unbe­stimm­ten Rechtsbegriff. Genau wie bei Normen, welche ein Ermessen ein­räumen, handelt es sich bei unbestimmten Rechtsbegriffen um offene Formulierungen (vgl. Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Ver­waltungsrecht, 6. Aufl. 2010, Rz. 445 und 447). Während Ermessensbe­stimmungen der Verwaltung Handlungsspielräume verschaffen, bei deren sachgerechter Handhabung sie Opportunitätsgesichtspunkte berücksichti­gen kann, liegt es bei unbestimmten Rechtsbegriffen gerade nicht im Ermessen der Verwaltung zu bestimmen, wie diese Begriffe zu verstehen sind. Vielmehr erfolgt deren Konkretisierung mittels Auslegung und ist daher eine Rechtsfrage (vgl. Tschannen/Zimmerli/Müller, Allge­mei­nes Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2009, § 26 Rz. 28). Die Abgrenzung zwi­schen diesen beiden Rechtsfiguren ist vorliegend deshalb von Bedeutung, weil eine fehlerhafte Konkretisierung eines unbestimmten Rechtsbegriffs eine Rechtsverletzung (Art. 106 Abs. 1 Bst. a AsylG) darstellt und daher von der Kognitionsbeschränkung nicht betroffen ist.

5.6                Hinsichtlich der Frage der Abgrenzung zwischen unbestimmten Rechtsbegriffen und Ermessen gibt es drei Theorien. Der Ansatz der ein­zig richtigen Lösung geht davon aus, dass es bei unbestimmten Rechtsbe­griffen lediglich eine richtige Lösung gebe, während beim Ermessen zwi­schen mehreren gleichwertigen Lösungen gewählt werden könne (vgl. dazu die frühere Rechtsprechung des Bundesgerichts in BGE 95 I 33, S. 40). Diese Theorie gilt jedoch als überholt, zumal sie den Erkennt­nissen der Methodenlehre widerspricht, wonach auch die Auslegung eine schöpferische Komponente enthält, und das Bundesgericht den Behörden selbst bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe teilweise einen Beurteilungsspielraum zugesteht, den es unter der Prämisse der einzig richtigen Lösung gar nicht geben könnte (vgl. Häfelin/Müller/ Uhlmann, a.a.O., Rz. 450). Andere Autoren sehen die ausschlaggebende Unterscheidungsdeterminante darin, dass unbestimmte Rechtsbegriffe stets den Tatbestand beträfen, während sich das Ermessen auf die Rechts­folgeseite eines Rechtssatzes beziehe (vgl. Tschannen/Zimmerli/ Müller, a.a.O., § 26 Rz. 27). Eine neuere Auffassung plädiert für eine Unterscheidung anhand der Funktion der offenen Formulierung. Mass­geblich sei, ob nach Sinn und Zweck des Gesetzes die Anwendung der offenen Normierung von einem Gericht überprüft werden soll oder nicht. Es ist demnach zu fragen, ob das Gesetz die Befugnis zur Konkretisie­rung der offenen Rechtsnorm ausschliesslich der Verwaltungsbehörde überlassen will, da diese dazu fachlich besser geeignet erscheint als ein Gericht, oder ob es eine richterliche Überprüfung als sinnvoll erach-
tet (vgl. Häfelin/Müller/Uhlmann, a.a.O., Rz. 453; Kölz/Häner/ Bertschi, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bun­des, 3. Aufl. 2013, Rz. 1049).

5.7                Klammert man die überholte Theorie der einzig richtigen Lö­sung aus, so ergibt sich folgendes Bild: Gemäss Urteil des Bundesver­waltungsgerichts D 7792/2006 vom 26. Mai 2009 E. 3.1.5 räumt Art. 92 Abs. 1 AsylG dem BFM ein Rechtsfolgeermessen ein. Die Offenheit der Norm bezieht sich demgemäss auf die Rechtsfolgeseite und stellt in Anwendung des Abgrenzungskriteriums Tatbestand/Rechtsfolge eine Ermessensausübung dar. Zum gleichen Ergebnis gelangt man bei einer Betrachtung anhand der Eignung des Gerichts zur Überprüfung des Verwaltungsentscheides. Der Gesetzgeber hat in Art. 92 AsylG lediglich die grundsätzliche Möglichkeit einer Kostenübernahme sowie den potenziellen Kreis von Personen festgelegt, welche als Beitragsempfän­ger in Frage kommen. Die Frage der Voraussetzungen, an welche eine solche Kostenübernahme im Einzelnen geknüpft ist, hat er demge­gen­über nicht einlässlicher geregelt, sondern diesbezüglich in Art. 92 Abs. 4 AsylG dem Bundesrat die Rechtsetzungsbefugnis überlassen. Dem Bun­desrat als Verordnungsgeber wurde dabei ein grosser Gestaltungsspiel­raum zugestanden, ohne im Gesetz selbst diesbezügliche konkrete Vor­gaben zu machen. Dies lässt darauf schliessen, dass das Gesetz den Entscheid über die Übernahme der Einreisekosten ins sachgemässe Er­messen der Verwaltung stellen wollte, und die Offenheit der Norm daher keinen unbestimmten Rechtsbegriff darstellt. Diesen Gedanken greift die Verordnung denn auch in aArt. 53 AsylV 2 auf, indem wiederum in sehr offener Weise der Entscheid über die Kostenübernahme dem Ermessen des BFM überlassen wird (vgl. Bericht vom Oktober 2007 zur Änderung der Asylverordnungen 1, 2 und 3 sowie der Verordnung über den Vollzug der Weg- und Ausweisung von ausländischen Personen, S. 34). Auch dies lässt eine volle gerichtliche Überprüfung nicht sachgemäss erscheinen. Die zu behandelnde Materie betrifft ferner keinen Kernpunkt der von den Asylabteilungen des Bundesverwaltungsgerichts zu beurteilenden Rechtsmaterien (Asylgewährung, Wegweisung und Wegweisungs­voll­zug), sondern die Leistungsverwaltung, was wiederum dafür spricht, dass die konkrete Beurteilung eines Kostenübernahmegesuchs nach Sinn und Zweck des Gesetzes einen Ermessensentscheid darstellt.

5.8                Der Entscheid über die Übernahme der Einreisekosten stellt mit­hin einen Ermessensentscheid dar. In der in casu zu beurteilenden Frage kommt dem Gericht daher nur eine eingeschränkte Kognition zu. Eine Heilung auf Beschwerdestufe ist daher ausgeschlossen.

6.                   Die Beschwerde ist somit gutzuheissen, soweit die Aufhebung der angefochtenen Verfügung beantragt wird. Die vorinstanzliche Ver­fügung vom 13. März 2014 ist aufzuheben und die Sache in Anwendung von Art. 61 Abs. 1 in fine VwVG zur Neubeurteilung unter Achtung des Anspruchs auf rechtliches Gehör an das BFM zurückzuweisen.


 

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