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Auszug aus dem Urteil der Abteilung III
i.S. Krankenversicherer A., B., C. und Klinik X.
gegen Regierungsrat des Kantons Glarus
C 4989/2012, C 5026/2012, C 5028/2012 vom 29. April 2013

Krankenversicherung. Neue Spitalfinanzierung. Genehmigung Tarif­vertrag. Zuständige Kantonsregierung, wenn Leistungserbringer im Standortkanton nicht in der Spitalliste figuriert. Grundsatzurteil.

Art. 46 Abs. 4, Art. 47 Abs. 1 und 2 KVG.

Haben sowohl der Standortkanton als auch ein oder mehrere weitere Kantone einem Spital einen Leistungsauftrag im Sinne von Art. 39 Abs. 1 Bst. c KVG erteilt, geht die Zuständigkeit des Standortkantons zur Tarifgenehmigung oder Tariffestsetzung derjenigen der übrigen Kantone vor. Figuriert das Spital hingegen nicht auf der Spitalliste des Standortkantons, sind diejenigen Kantone zuständig, welche dem ausserkantonalen Spital einen Leistungsauftrag erteilt haben (E. 2.5.3).

Assurance-maladie. Nouveau financement hospitalier. Approbation des conventions tarifaires. Gouvernement cantonal compétent lorsque le fournisseur de prestations ne figure pas sur la liste des hôpitaux du canton dans lequel il est établi. Arrêt de principe.

Art. 46 al. 4, art. 47 al. 1 et 2 LAMal.

Lorsqu'un mandat de prestations au sens de l'art. 39 al. 1 let. c LAMal est octroyé à un hôpital tant par le canton d'établis­sement que par un ou plusieurs autres cantons, la compétence du canton d'établissement pour approuver et fixer les tarifs prime celle des autres cantons. En revanche, si l'hôpital en question ne figure pas sur la liste des hôpitaux de son canton d'établissement, la compétence en matière tarifaire revient aux cantons qui lui ont octroyé un mandat de prestations (consid. 2.5.3).

Assicurazione malattie. Nuovo finanziamento ospedaliero. Approva­zione delle convenzioni tariffali. Governo cantonale competente se il fornitore di prestazioni non figura nell'elenco ospedaliero del Cantone di ubicazione. Sentenza di principio.

Art. 46 cpv. 4, art. 47 cpv. 1 e 2 LAMal.

Se oltre al Cantone di ubicazione anche uno o più altri Cantoni hanno attribuito ad un ospedale un mandato di prestazioni ai sensi dell'art. 39 cpv. 1 lett. c LAMal, la competenza del Cantone di ubicazione di approvare o stabilire la tariffa prevale sulla competenza degli altri Cantoni. Per contro, se l'ospedale in questione non figura nell'elenco ospedaliero del Cantone di ubicazione, la competenza in materie di tariffe appartiene ai Cantoni che hanno impartito un mandato di prestazioni a tale ospedale (consid. 2.5.3).

 

Aus den Erwägungen:

2.                    

2.1                Am 1. Januar 2009 ist die Revision des Bundesgesetzes vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung (KVG, SR 832.10) zur Spitalfinanzierung (Änderung vom 21. Dezember 2007, AS 2008 2049) in Kraft getreten. Per 1. Januar 2012 wurde der Systemwechsel bei der Spitalfinanzierung vollzogen (vgl. Übergangsbestimmungen zur Ände­rung vom 21. Dezember 2007 [Spitalfinanzierung]). Die angefochtenen Beschlüsse vom 21. August 2012 sind somit im Lichte der revidierten KVG-Bestimmungen zu beurteilen.

2.1.1           Spitäler sind nach Art. 39 Abs. 1 (i.V.m. Art. 35) KVG zur Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) zugelassen, wenn sie die Dienstleistungs- und Infrastrukturvor­aussetzungen gemäss Bst. a c erfüllen, der von einem oder mehreren Kantonen gemeinsam aufgestellten Planung für eine bedarfsgerechte Spitalversorgung entsprechen (Bst. d) und auf der nach Leistungsauf­trägen in Kategorien gegliederten Spitalliste des Kantons aufgeführt sind (Bst. e [zur Rechtsprechung betreffend Art. 39 Abs. 1 KVG vgl. insbes. BVGE 2010/15]).

2.1.2           In Art. 43 Abs. 1 KVG ist der Grundsatz verankert, wonach die (zugelassenen) Leistungserbringer ihre Rechnungen nach Tarifen oder Preisen erstellen. Nach Art. 43 Abs. 4 KVG werden Tarife und Preise in Verträgen zwischen Versicherern und Leistungserbringern (Tarifvertrag) vereinbart oder in den vom Gesetz bestimmten Fällen von der zu­ständigen Behörde festgesetzt. Dabei ist auf eine betriebswirtschaftliche Bemessung und eine sachgerechte Struktur der Tarife zu achten. Betreffend Tarifverträge mit Spitälern schreibt Art. 49 Abs. 1 KVG den Vertragsparteien vor, dass sie für die Vergütung der stationären Be­handlung einschliesslich Aufenthalt und Pflegeleistungen in einem Spital (oder einem Geburtshaus) Pauschalen zu vereinbaren haben, wobei (neu, seit Januar 2012) in der Regel Fallpauschalen festzulegen sind. Die Pauschalen müssen leistungsbezogen sein und auf gesamtschweizerisch einheitlichen Strukturen beruhen. Parteien eines Tarifvertrags sind einzelne oder mehrere Leistungserbringer oder deren Verbände einerseits sowie einzelne oder mehrere Versicherer oder deren Verbände anderseits (Art. 46 Abs. 1 KVG).

2.1.3           Die Leistungserbringer müssen sich nach Art. 44 Abs. 1 Satz 1 KVG an die vertraglich oder behördlich festgelegten Tarife und Preise halten und dürfen für Leistungen nach diesem Gesetz keine weiter­gehenden Vergütungen berechnen (Tarifschutz; vgl. auch Art. 49 Abs. 5 KVG).

2.1.4           Der Tarifvertrag bedarf der Genehmigung durch die zuständige Kantonsregierung oder, wenn er in der ganzen Schweiz gelten soll, durch den Bundesrat (Art. 46 Abs. 4 Satz 1 KVG). Dem Genehmigungs­entscheid kommt konstitutive Wirkung zu (vgl. Urteil des Bundesver­waltungsgerichts C 536/2009 vom 17. Dezember 2009 E. 6.5.3 mit Hinweisen; siehe auch Gebhard Eugster, Rechtsprechung des Bundes­gerichts zum KVG, Zürich/Basel/Genf 2010, Art. 46 N. 11, [nach­fol­gend: Eugster, Rechtsprechung]). Daher können vertraglich vereinbarte Tarife grundsätzlich erst nach deren Genehmigung durch die zuständige Kantonsregierung angewendet werden (Urteil des Bundesverwaltungs­gerichts C 195/2012 vom 24. September 2012 E. 5.3.2).

2.1.5           Kommt zwischen Leistungserbringern und Versicherern kein Tarifvertrag zustande, so setzt die Kantonsregierung nach Anhören der Beteiligten den Tarif fest (Art. 47 Abs. 1 KVG). Besteht für die am­bulante Behandlung der versicherten Person ausserhalb ihres Wohn- oder Arbeitsortes oder deren Umgebung oder für die stationäre Be­handlung einer versicherten Person ausserhalb ihres Wohnkantons kein Tarifver­trag, so setzt die Regierung des Kantons, in dem die ständige Einrichtung des Leistungserbringers liegt, den Tarif fest (Art. 47 Abs. 2 KVG). Können sich Leistungserbringer und Versicherer nicht auf die Erneue­rung eines Tarifvertrages einigen, so kann die Kantonsregierung den bestehenden Vertrag um ein Jahr verlängern. Kommt innerhalb dieser Frist kein Vertrag zustande, so setzt sie nach Anhören der Beteiligten den Tarif fest (Art. 47 Abs. 3 KVG). Art. 47 Abs. 2 KVG hat durch die KVG-Revision zur Spitalfinanzierung eine geringfügige - vorliegend nicht entscheidwesentliche - Änderung erfahren, Art. 47 Abs. 1 und 3 KVG blieben unverändert (vgl. E. 2.4.3).

2.2                Art. 46 Abs. 4 KVG bestimmt zwar, dass die zuständige Kantonsregierung einen Tarifvertrag (sofern dieser nicht in der ganzen Schweiz gelten soll) zu genehmigen hat; das KVG regelt aber die Frage, welche Kantonsregierung zuständig ist, nicht. Art. 47 Abs. 1 KVG spricht nur von der Kantonsregierung, die den Tarif festzusetzen hat, wenn zwischen Leistungserbringern und Versicherern kein Tarifvertrag zustande kommt. Nachfolgend ist zu prüfen, ob die in Art. 47 Abs. 2 KVG verankerte Zuständigkeitsregelung als allgemeiner Grundsatz für sämtliche Tariffestsetzungen und -genehmigungen zu gelten hat, mit der Folge, dass die Kantonsregierung des Standortkantons selbst dann zu­ständig wäre, wenn sie das betreffende Spital nicht in die Spitalliste auf­genommen hat.

2.3                Die Rechtsprechung hatte sich bisher kaum mit Art. 47 Abs. 2 KVG zu befassen. Die Bedeutung dieser Norm wurde daher nur ansatz­weise geklärt.

2.3.1           In BGE 134 V 269 (E. 2.5) und BGE 123 V 290 (E. 6.c/bb) wird Art. 47 Abs. 2 KVG lediglich am Rande erwähnt. Das Bundesgericht hatte sich bisher - soweit ersichtlich - noch nie mit der Tragweite dieser Bestimmung auseinanderzusetzen.

2.3.2           Das Bundesverwaltungsgericht hat in BVGE 2009/23 (E. 4.2.2) festgestellt, dass sich Art. 47 Abs. 2 KVG nur auf die ausserkantonale Behandlung aus medizinischen Gründen im Sinne von Art. 41 Abs. 3 KVG (in der bis Ende 2008 gültigen Fassung) und nicht auf die ausser­kantonale Wahlbehandlung im Sinne von Art. 41 Abs. 1 KVG (in der bis Ende 2008 gültigen Fassung) beziehen könne.

2.3.3           In Verwaltungspraxis der Bundesbehörden (VPB) 68.36 hatte der Bundesrat (als damals zuständige Rechtsprechungsbehörde) entschie­den, dass für Tariffestsetzungen der Standort und nicht die Trägerschaft des Spitals entscheidend sei, wenn die Zuständigkeit des Kantons zu beurteilen ist. Zur Begründung führte er aus, in Art. 47 Abs. 2 KVG sei das Territorialitätsprinzip klar verankert. Aus Art. 47 Abs. 1 in Ver­bin­dung mit Abs. 2 KVG ergebe sich daher, dass der Standortkanton für die Tariffestsetzung zuständig sei, und zwar sowohl für die inner­kantonalen als auch für die ausserkantonalen Patienten und Patientinnen. Würde auf den Sitz des Trägers abgestellt, hätte es ein Spitalbesitzer in der Hand, durch die Wahl des Gesellschaftssitzes frei zu wählen, welcher Regie­rung er sich in Bezug auf die autoritative Tariffestlegung unterstellen möchte (VPB 68.36 E. 5). Dieser Entscheid betraf ein Spital, das sowohl vom Standortkanton als auch von weiteren Kantonen einen Leistungs­auftrag erhalten hatte, mithin nicht die vorliegend zu beurteilende Frage, welche Kantonsregierung zuständig ist, wenn das Spital im Standort­kanton nicht auf der Spitalliste figuriert. Die Feststellung, das in Art. 47 Abs. 2 KVG verankerte Territorialitätsprinzip gelte auch für Tariffest­setzungen nach Abs. 1, wurde nicht weiter begründet und war nicht Ergebnis einer umfassenden Gesetzesauslegung.

2.4                Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts der Wortlaut der massgeblichen Norm. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Interpretationen möglich, so muss nach der wahren Tragweite der Bestimmung gesucht werden, wobei alle Auslegungselemente zu berücksichtigen sind (Methodenpluralismus). Dabei kommt es namentlich auf den Zweck der Regelung, die dem Text zugrunde liegenden Wertungen sowie auf den Sinnzusammenhang an, in dem die Norm steht. Die Entstehungsgeschichte ist zwar nicht unmittel­bar entscheidend, dient aber als Hilfsmittel, um den Sinn der Norm zu erkennen. Namentlich bei neueren Rechtssätzen kommt ihr eine beson­dere Bedeutung zu, weil veränderte Umstände oder ein gewandeltes Rechtsverständnis eine andere Lösung weniger nahelegen. Vom Wortlaut darf abgewichen werden, wenn triftige Gründe dafür bestehen, dass er nicht den wahren Sinn der Regelung wiedergibt. Sind mehrere Aus­le­gungen möglich, ist jene zu wählen, die der Verfassung am besten entspricht. Allerdings findet auch eine verfassungskonforme Auslegung ihre Grenzen im klaren Wortlaut und Sinn einer Gesetzesbestimmung (BGE 138 II 440 E. 13, BGE 138 IV 232 E. 3, je mit Hinweisen). Ob­wohl dem Wortlaut somit erhebliche Bedeutung zukommt, hat sich die Gesetzesauslegung vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Norm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten ver­standene und konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio legis (Urteil des Bundesgerichts 2C_708/2011 vom 5. Oktober 2012 E. 2.4).

2.4.1           Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) macht in seiner Stellung­nahme geltend, aufgrund des Wortlauts des Art. 47 KVG sei « offensicht­lich, dass der Absatz 2 eine Präzisierung der generellen Regelung des Absatzes 1 ist und dass der Absatz 2 in Verbindung mit Absatz 1 zu verstehen ist ». Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Art. 47 Abs. 1 KVG regelt nach seinem Wortlaut den Fall, dass zwischen den Tarif­parteien kein Tarifvertrag zustande kommt. Abs. 2 hingegen spricht namentlich den Sonderfall an, dass für die stationäre Behandlung einer versicherten Person ausserhalb ihres Wohnkantons kein Tarifvertrag besteht. Ob die in Art. 47 Abs. 2 KVG verankerte Zuständigkeitsregel generell für alle Tariffestsetzungen zu gelten hat, ist daher unter Beizug weiterer Auslegungsmethoden zu ermitteln.

2.4.2           In der Botschaft des Bundesrates vom 6. November 1991 über die Revision der Krankenversicherung (BBl 1992 I 93 ff. [nachfolgend: Botschaft KVG 1991]) wird dazu ausgeführt, es komme « der Kantons­regierung, als der im Regelfall für die Genehmigung von Tarifverträgen zuständigen Behörde (...), » zu, einen Tarif festzusetzen, wenn ein Tarif aus einem der folgenden Gründe fehle: 1.) Es kommt trotz Verhand­lungen und Abschlussversuchen kein Tarif zustande. 2.) Für « bestimmte Fälle - z.B. für die Beanspruchung auswärtiger oder ausserkantonaler Leistungserbringer (...) - [liegt] keine vertragliche Regelung » vor. 3.) Die Erneuerung eines gekündigten Tarifvertrages misslingt. Die Rege­lung sei insbesondere mit Blick auf den Tarifschutz erforderlich (Botschaft KVG 1991 S. 180 f.). Diese Erläuterungen des Bundesrates stützen die Ansicht der Vorinstanz und des BAG, wonach für die Tarif­genehmigung und die Tariffestsetzung grundsätzlich die gleiche Behörde zuständig sein soll. Zur Frage, welche Kantonsregierung zuständig ist, lässt sich der Botschaft jedoch nichts entnehmen.

2.4.3           Im Rahmen der KVG-Revision zur Spitalfinanzierung diskutier­te die sozialpolitische Kommission (SGK) des Ständerates die Frage, ob Art. 47 Abs. 1 KVG in dem Sinne zu ergänzen sei, dass die Kantonsre­gierung am Standort des Leistungserbringers als für die Tariffestsetzung zuständig bezeichnet werden sollte. Ein entsprechender Antrag wurde in der SGK jedoch abgelehnt (...). Bei den parlamen­tarischen Beratungen gab es keine Diskussionen zu Art. 47 Abs. 1 oder Abs. 2 KVG. Es wurde lediglich der Begriff « teilstationäre » Be­handlung in Art. 47 Abs. 2 KVG gestrichen (vgl. Amtliches Bulletin der Bundesversammlung (AB) 2006 S 57, AB 2007 N 446; vgl. auch Botschaft des Bundesrates vom 15. September 2004 betreffend die Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung [Spital­finanzierung], BBl 2004 5551 S. 5577 [nachfolgend: Botschaft KVG-Revision]).

2.4.4           In der Literatur wird insbesondere auf die Bedeutung des Art. 47 Abs. 2 KVG für den Tarifschutz hingewiesen (vgl. Gebhard Eugster, in: Ulrich Meyer [Hrsg.], SBVR Soziale Sicherheit, 2. Aufl., Basel/Genf/ München 2007, S. 692 Rz. 872 [nachfolgend: Eugster, SBVR]; Alfred Maurer, Das neue Krankenversicherungsrecht, Basel/Frankfurt am Main 1996, S. 86). Art. 47 Abs. 2 KVG bildet die Grundlage, um all­fällige Tariflücken zu schliessen, das heisst, wenn für eine KVG-pflichtige Leistung kein Tarif vereinbart oder festgesetzt wurde (vgl. Eugster, SBVR, S. 692 Rz. 874; Maurer, a.a.O., S. 86).

2.4.5           Nach der Systematik des KVG kann grundsätzlich keine Tariflücke bestehen, wenn ein Spital von einem oder mehreren Kantonen in die Spitalliste aufgenommen worden ist. Dann sind die Tarifparteien verpflichtet, gesetzeskonforme Tarife auszuhandeln und genehmigen zu lassen beziehungsweise einen Antrag auf hoheitliche Festsetzung einzu­reichen, wenn sie sich nicht auf einen Tarif einigen können. Dem Kanton, welcher die entsprechenden Leistungsaufträge erteilt hat, obliegt es sodann, darüber zu wachen, dass die zur Durchsetzung des Tarifschutzes erforderlichen Tarife festgelegt werden (vgl. Rechtsprechung zur Kranken- und Unfallversicherung [RKUV] 2/2006 KV 359 E. 2.2; siehe auch BGE 131 V 133 E. 9.2 und 9.3 mit Hinweisen).

Ein Anwendungsfall von Art. 47 Abs. 2 KVG liegt nach Maurer (a.a.O., S. 86) dann vor, wenn ein Tarifvertrag ausdrücklich nur den inner­kan­tonalen Tarif regelt - wobei sich diese Aussage auf die Rechtslage vor Inkrafttreten der KVG-Revision zur Spitalfinanzierung bezieht. Wie später noch darzulegen sein wird (E. 2.5.2), sieht das revidierte KVG nämlich keine nach inner- und ausserkantonalen Versicherten differen­zierenden Tarife mehr vor. Eine Tariflücke könnte nach neuem Recht dann bestehen, wenn eine versicherte Person aus medizinischen Gründen in einem Spital behandelt werden muss, welches auf keiner Spitalliste figuriert beziehungsweise das grundsätzlich nicht zum Erbringen von OKP-Leistungen befugt ist und deshalb auch kein Tarif festzulegen war.

2.4.6           In systematischer Hinsicht ist weiter zu berücksichtigen, dass dem KVG die Konzeption zugrunde liegt, dass Tarifverträge die Regel und Festsetzungen die Ausnahme bilden (vgl. insbes. Art. 43 Abs. 4 KVG und Art. 47 Abs. 1 KVG; siehe auch Eugster, Rechtsprechung, Art. 47 N. 2; Botschaft KVG 1991 S. 180). Es erscheint daher wenig wahr­scheinlich, dass der Gesetzgeber in einer - lediglich Spezialfälle betreffenden - Bestimmung zu Tariffestsetzungen eine allgemeine Zuständigkeitsregel für sämtliche Tarifgenehmigungs- und Tariffest­setzungsverfahren verankern wollte.

2.5                Die Kantone haben für ihre Wohnbevölkerung eine hinreichende Spitalversorgung zu gewährleisten (vgl. Art. 39 KVG i.V.m. Art. 58a ff. der Verordnung vom 27. Juni 1995 über die Krankenversicherung [KVV, SR 832.102]). Auf ihrer Spitalliste führen sie die inner- und ausser­kantonalen Einrichtungen auf, die notwendig sind, um das aufgrund der Versorgungsplanung (Art. 58b KVV) ermittelte Angebot sicherzustellen (Art. 58e Abs. 1 KVV). Bei der Auswahl der Spitäler haben die Kantone namentlich die Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungserbringung zu berücksichtigen (Art. 39 Abs. 2ter KVG i.V.m. Art. 58b Abs. 4 KVV).

2.5.1           Die Rechtsprechung, wonach der Kanton, welcher die ent­sprechenden Leistungsaufträge erteilt hat, auch darüber zu wachen hat, dass die erforderlichen Tarifverträge tatsächlich abgeschlossen und ihm zur Genehmigung vorgelegt werden, und er im vertragslosen Zustand gestützt auf Art. 47 Abs. 1 KVG einen Tarif festzusetzen hat (vgl. RKUV 2/2006 KV 359 E. 2.2), erscheint nach Inkrafttreten der KVG-Revision zur Spitalfinanzierung weiterhin sachgerecht und ist fortzuführen. Hätte der Gesetzgeber die Zuständigkeit zur Sicherung des für die Gesund­heitsversorgung notwendigen Angebots abweichend von derjenigen zur Sicherstellung eines für die Abrechnung der OKP-Leistungen erforder­lichen Tarifs (als Voraussetzung für die Durchsetzung des Tarifschutzes) regeln wollen, hätte er dies im KVG ausdrücklich verankert, zumal auch die Mitfinanzierung der Leistungen dem Wohnkanton der versicherten Person obliegt (vgl. Art. 49a Abs. 1 3 KVG). Weiter ist auf die Botschaft zur KVG-Revision hinzuweisen, wonach die Kantone zwar nicht Tarif­parteien im eigentlichen Sinne seien, sie im Rahmen der Spitalplanung und ihrer Zuständigkeit zur Tariffestsetzung im vertragslosen Zustand jedoch nach wie vor Einfluss auf das Kostenvolumen hätten, welches sie übernehmen müssten (Botschaft KVG-Revision S. 5569).

2.5.2           Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Kantone für alle ausser­kantonalen Spitäler, welche sie in ihre Spitalliste aufgenommen haben, einen Tarif genehmigen oder festsetzen müssen.

2.5.2.1     Mit der KVG-Revision zur Spitalfinanzierung wurde der Systemwechsel von einer Objektfinanzierung zur Leistungsfinanzierung vollzogen. Mit dem Übergang zu leistungsbezogenen Pauschalen - mit welchen auch die Investitionskosten abgegolten werden - ist die unter­schiedliche Tarifierung für innerkantonale und ausserkantonale Ver­sicherte weggefallen (vgl. Botschaft KVG-Revision S. 5569). Die in der Regel höheren Tarife für ausserkantonale Versicherte waren früher des­halb gerechtfertigt, weil gemäss aArt. 49 Abs. 1 KVG (in der bis Ende Dezember 2011 anwendbaren Fassung) die Pauschalen für Kantonsein­wohner und -einwohnerinnen bei öffentlichen oder öffentlich subven­tio­nierten Spitälern höchstens 50 Prozent der anrechenbaren Kosten (wobei namentlich die Investitionskosten nicht dazugehörten) deckten, ein Leistungserbringer bei ausserkantonalen Patientinnen und Patienten je­doch eine Vollkostendeckung verlangen konnte (vgl. BGE 134 V 269 E. 2.5 mit Hinweisen). Diese Rechtfertigung ist mit dem neuen Spitalfi­nanzierungssystem weggefallen. Laut Botschaft soll die neue Leistungs­finanzierung auch der Errichtung von Schranken zwischen den Kanto-nen entgegenwirken, weil es unerheblich sei, ob mit dem für eine Leistung vereinbarten « Preis » eine innerhalb oder eine ausserhalb des Kantons erbrachte Leistung entschädigt werde (Botschaft KVG-Revision S. 5569 f.).

2.5.2.2     Diese Meinung wurde von der SGK des Ständerates ausdrück­lich und in den parlamentarischen Beratungen implizite unterstützt. Der im Standortkanton beziehungsweise vom Standortkanton festgelegte Tarif sollte auch für ausserkantonale Behandlungen massgebend sein (...). Davon dürften auch die Räte ausgegangen sein (vgl. bspw. AB 2007 N 1773, Votum Kommissionssprecherin Ruth Humbel Näf).

2.5.3           Aus dem Gesagten erhellt: Haben sowohl der Standortkanton als auch ein oder mehrere weitere Kantone einem Spital einen Leistungs­auf­trag im Sinne von Art. 39 Abs. 1 Bst. c KVG erteilt, geht die Zuständig­keit des Standortkantons zur Tarifgenehmigung oder festsetzung der­jenigen der übrigen Kantone vor. Figuriert das Spital hingegen nicht auf der Spitalliste des Standortkantons, sind diejenigen Kantone zuständig, welche dem ausserkantonalen Spital einen Leistungsauftrag erteilt haben.

2.5.4           Bei dieser Zuständigkeitsordnung ist es zwar möglich, dass verschiedene Kantone einen Tarifvertrag unterschiedlich beurteilen oder unterschiedliche Tarife für den gleichen Leistungserbringer festsetzen. Soweit die betroffenen Kantone ein solches Ergebnis vermeiden wollen, steht es ihnen indessen frei, ein koordiniertes Vorgehen zu wählen. Im Übrigen sieht das KVG nicht vor, dass für eine Klinik nur ein einziger Tarif festgelegt werden darf. Dies wird bereits aus Art. 46 Abs. 1 KVG deutlich, wonach ein Spital auch mit einzelnen Versicherern einen Tarif­vertrag abschliessen kann.

Zudem könnte die von der Vorinstanz und dem BAG favorisierte Zu­ständigkeit des Standortkantons dazu führen, dass eine Kantonsregierung im Rahmen ihrer Spitalplanung die Wirtschaftlichkeit des betreffenden Spitals - abweichend von anderen Kantonen - als ungenügend beurteilt hat und bei der Tarifgenehmigung erneut über die Wirtschaftlichkeit be­finden muss. Auch aus diesem Blickwinkel erscheint es sachgerecht, wenn diejenige Behörde für die Tarifgenehmigung zuständig ist, welche die Wirtschaftlichkeit (und Qualität) des betreffenden Spitals bei der Spitalplanung positiv beurteilt hat.

2.6                Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Vorinstanz vor­lie­gend ihre Zuständigkeit zu Unrecht verneint hat.


 

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