8              Gesundheit - Arbeit - Soziale Sicherheit
Santé - Travail - Sécurité sociale
Sanità - Lavoro - Sicurezza sociale

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Auszug aus dem Urteil der Abteilung III
i.S. Fondation AMB und 46 weitere Versicherer
gegen Regierungsrat des Kantons Zug
C 2098/2011 vom 26. März 2013

Krankenversicherung. Finanzierung der Akut und Übergangs­pflege. Grundsatzurteil.

Art. 25a Abs. 2, Art. 47 Abs. 1, Art. 49 Abs. 1, Art. 49a Abs. 1 und 2 und Art. 53 Abs. 1 KVG. Abs. 5 KVG-Übergangsbestimmungen zur Änderung vom 21. Dezember 2007 (Spitalfinanzierung). Art. 7b KLV.

1.      Entgegen dem unvollständigen Wortlaut von Art. 53 Abs. 1 KVG können auch Beschlüsse der Kantone gestützt auf Abs. 5 KVG-Übergangsbestimmungen zur Änderung vom 21. Dezember 2007 (Spitalfinanzierung) in Verbindung mit Art. 49a Abs. 2 KVG beim Bundesverwaltungsgericht angefochten werden (E. 1.2).

2.      Die Finanzierung der Akut und Übergangspflege richtet sich nach den Bestimmungen der Spitalfinanzierung; die KVG-Über­gangsbestimmungen zur Änderung vom 21. Dezember 2007 sind indessen nicht anwendbar. Der Kostenanteil der Kantone für die Vergütung der Akut und Übergangspflege ist deshalb auf min­destens 55 % festzulegen (E. 4).

Assurance-maladie. Financement des soins aigus et de transition. Arrêt de principe.

Art. 25a al. 2, art. 47 al. 1, art. 49 al. 1, art. 49a al. 1 et 2 et art. 53 al. 1 LAMal. Al. 5 dispositions transitoires de la LAMal concernant la modification du 21 décembre 2007 (financement hospitalier). Art. 7b OPAS.

1.      Contrairement à la teneur lacunaire de l'art. 53 al. 1 LAMal, les décisions prises par les cantons en vertu de l'al. 5 des dispositions transitoires de la LAMal concernant la modification du 21 dé­cembre 2007 (financement hospitalier) en lien avec l'art. 49a al. 2 LAMal peuvent également faire l'objet d'un recours au Tribunal administratif fédéral (consid. 1.2).

2.      Le financement des soins aigus et de transition relève des dis­positions sur le financement hospitalier; les dispositions transi­toires de la LAMal concernant la modification du 21 décembre 2007 ne sont toutefois pas applicables. Il convient dès lors de fixer la participation aux coûts des cantons pour la rémunération des soins aigus et de transition à 55 % au minimum (consid. 4).

Assicurazione malattie. Finanziamento delle cure acute e transitorie. Sentenza di principio.

Art. 25a cpv. 2, art. 47 cpv. 1, art. 49 cpv. 1, art. 49a cpv. 1 e 2 e art. 53 cpv. 1 LAMal. Cpv. 5 delle disposizioni transitorie LAMal relative alla modifica del 21 dicembre 2007 (finanziamento ospe­da­liero). Art. 7b OPre.

1.       Contrariamente a quanto previsto dal testo incompleto dell'art. 53 cpv. 1 LAMal, può essere interposto ricorso al Tribunale amministrativo federale anche contro le decisioni di governi cantonali adottate in virtù del cpv. 5 delle disposizioni transitorie relative alla modifica del 21 dicembre 2007 (finanz­ia­mento ospedaliero) in combinazione con l'art. 49a cpv. 2 LAMal (consid. 1.2).

2.       Il finanziamento delle cure acute e transitorie si fonda sulle disposizioni che disciplinano il finanziamento ospedaliero; le dis­posizioni transitorie della LAMal relative alla modifica del 21 di­cembre 2007 non sono invece applicabili. La partecipazione ai costi dei Cantoni per la remunerazione delle cure acute e transi­torie deve essere pertanto fissata almeno al 55 % (consid. 4).

 

Mit Beschluss vom 1. März 2011 setzte der Regierungsrat des Kantons Zug (nachfolgend: Vorinstanz oder Regierungsrat) den kantonalen Anteil an der Finanzierung der stationären Leistungen sowie der Leistungen der Akut und Übergangspflege für das Jahr 2012 auf 47 % fest.

Gegen den Beschluss vom 1. März 2011 erhoben diverse im Kanton Zug tätige Krankenversicherer (nachfolgend: Beschwerdeführerinnen) mit Eingabe vom 7. April 2011 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Die Beschwerdeführerinnen beantragten die Aufhebung des Regierungs­ratsbeschlusses vom 1. März 2011 und die Festsetzung des kantonalen Anteils an den Kosten der Leistungen der Akut und Übergangspflege für das Jahr 2012 auf 55 %.

Das Bundesverwaltungsgericht heisst die Beschwerde gut. Es hebt den angefochtenen Entscheid in Bezug auf die Festlegung des Kostenteilers für die Akut und Übergangspflege auf und setzt den Kostenanteil des Kantons für das Jahr 2012 auf 55 % fest.

Aus den Erwägungen:

 

1.1                Nach den allgemeinen intertemporalrechtlichen Regeln sind in verfahrensrechtlicher Hinsicht in der Regel diejenigen Rechtssätze mass­gebend, welche im Zeitpunkt der Beschwerdebeurteilung Geltung haben (BGE 130 V 1 E. 3.2), unter Vorbehalt der spezialgesetzlichen Über­gangsbestimmungen. Entsprechend beurteilt sich die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts vorliegend nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung (KVG, SR 832.10) in der durch Ziff. I des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung vom 21. Dezember 2007 (Spitalfinanzierung; AS 2008 2049 2057; BBl 2004 5551; in Kraft seit 1. Januar 2009) geltenden Fassung.

1.2                Gemäss Art. 53 Abs. 1 KVG in Verbindung mit Art. 90a Abs. 2 KVG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Be­schlüsse der Kantonsregierungen nach den Art. 39, 45, 46 Absatz 4, 47, 48 Absätze 1 3, 51, 54, 55 und 55a KVG.

Der Regierungsrat hat mit Beschluss vom 1. März 2011 den kantonalen Anteil der Vergütung von Leistungen der Akut und Übergangspflege festgelegt. Er stützte sich dabei auf Art. 25a Abs. 2 KVG in Verbindung mit Art. 49a Abs. 2 KVG und Abs. 5 KVG-Übergangsbestimmungen zur Änderung vom 21. Dezember 2007 (Spitalfinanzierung).

1.2.1           Dem Wortlaut des Art. 53 Abs. 1 KVG ist - wie die Beschwer­deführerinnen zu Recht festgestellt haben - nicht zu entnehmen, wie die Entscheide gemäss obgenannten Bestimmungen angefochten werden kön­nen. Insbesondere mit Blick darauf, dass gegen Tariffestsetzungsbe­schlüsse der Kantonsregierungen im Sinne von Art. 47 Abs. 1 KVG in Verbindung mit Art. 53 Abs. 1 KVG beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde erhoben werden kann, stellt sich die Frage, ob in Bezug auf die vorliegende Problemstellung, die im Gesetz zwar nicht geregelt ist, der vorgenannten Konstellation jedoch sehr nahekommt, ein qualifizier­tes Schweigen des Gesetzgebers oder eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes und somit eine (vom Richter auszufüllende) Gesetzeslücke zu sehen ist.

1.2.2           Ein qualifiziertes Schweigen liegt vor, wenn die Auslegung des Gesetzes ergibt, dass der Gesetzgeber eine Rechtsfrage nicht bewusst oder unbewusst offengelassen hat, sondern sie durch bewusstes Schwei­gen im negativen Sinn entscheiden wollte (vgl. BGE 115 II 97 E. 2b). Bereits aufgrund des aus dem Gesetzmässigkeitsprinzip fliessenden Er­fordernisses des Rechtssatzes, wonach die Staatstätigkeit nur aufgrund und nach Massgabe von generell abstrakten Rechtsnormen ausgeübt werden darf, die genügend bestimmt sind (Ulrich Häfelin/Georg Müller/Felix Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl., Zürich/Basel 2008, Rz. 381 ff.), darf im Verwaltungsrecht nur zurück­haltend von einem qualifizierten Schweigen ausgegangen werden. So­lange keine Anhaltspunkte für ein solches Schweigen vorliegen, ist beim Fehlen einer ausdrücklichen Regelung grundsätzlich davon auszugehen, dass der Gesetzgeber keine negative Entscheidung getroffen hat (René A. Rhinow/Beat Krähenmann, Schweizerische Verwaltungsrecht­sprechung, Ergänzungsband, Basel 1990, Nr. 23 S. 74 mit Hinweisen; siehe auch Roger Peter, Das [Verwaltungs ]Verfahren bei Zuständig­keitsstreitigkeiten im Leistungsrecht der obligatorischen Unfallversiche­rung, in: Schweizerische Zeitschrift für Sozialversicherung und berufliche Vorsorge 2/2000, S. 128, wonach ein qualifiziertes Schweigen nur anzu­nehmen sei, wenn konkrete Hinweise diesbezüglich vorliegen). So kann grundsätzlich insbesondere dann nicht von einem qualifizierten Schwei­gen des Gesetzes ausgegangen werden, wenn die Gesetzes­ma­te­rialien zu einer Frage nichts aussagen (Rhinow/Krähenmann, a.a.O., Nr. 23 S. 74).

In Übereinstimmung mit den Ausführungen der Beschwerdeführerinnen ist festzustellen, dass sich in den Materialien keine Hinweise zur Anfechtbarkeit der Festsetzung des Kostenteilers entnehmen lassen. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass über eine Anpassung des Art. 53 Abs. 1 KVG trotz der Gesetzesrevision (Bundesgesetz vom 13. Juni 2008 über die Neuordnung der Pflegefinanzierung, in Kraft seit 1. Januar 2011, AS 2009 3517 6847 Ziff. I, BBl 2005 2033]) nie diskutiert worden ist. Der Artikel hat sich demzufolge nicht verändert und entspricht somit immer noch der seit 1. Januar 2009 geltenden Fassung. Anhaltspunkte für ein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers liegen folglich keine vor, zumal es auch noch andere Bestimmungen gibt, deren Verletzung gemäss Botschaft und Praxis des Bundesrats nach Art. 53 Abs. 1 KVG gerügt werden kann (vgl. Art. 43 KVG Grundsatz [in der Botschaft noch Art. 39]), ohne dass dies in der gesetzlichen Grundlage explizit erwähnt wäre (vgl. Botschaft vom 6. November 1991 über die Revision der Krankenversicherung [BBl 1992 93, hier: 181]).

1.2.3           Dem Begriff nach besteht eine Lücke, wenn eine Rechtsfrage, die der Einzelfall aufgibt, gesetzlich nicht geregelt, das Gesetz also unvollständig ist (BGE 134 V 182 E. 4.1 und BGE 125 V 8 E. 3). Ge­mäss heutiger Auffassung der Methodenlehre handelt es sich bei einer Lücke um eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes, die von den rechtsanwendenden Organen behoben werden darf (Ulrich Häfelin/ Walter Haller/Helen Keller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 7. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2008, Rz. 139 ff.). Einigkeit besteht in der Literatur und Rechtsprechung darüber, dass die rechtsanwendende Be­hörde eine Lücke, die nicht bereits durch Gewohnheitsrecht geschlossen wurde, in freier Rechtsfindung schliessen kann. Sie hat dabei von den dem Erlass zugrunde liegenden Wertungen und Zielsetzungen auszu­gehen und nach der Regel zu entscheiden, die sie als Gesetzgeberin auf­stellen würde (vgl. Art. 1 Abs. 2 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs vom 10. Dezember 1907 [ZGB, SR 210]). Dieses Verfahren steht damit der teleologischen Auslegung, die der Ermittlung des Sinnes und des Zwecks einer Gesetzesbestimmung dient, sehr nahe. Um Sinn und Zweck zu ermitteln, muss nach den Interessen gefragt werden, die der Gesetzgeber zu berücksichtigen hatte. Oft wird bei der Lückenfüllung auch auf gesetzliche Regelungen ähnlicher Fragen zurückgegriffen (Häfelin/Haller/Keller, a.a.O., Rz. 147).

1.2.4           Nach Art. 49 Abs. 1 KVG (in der bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung) vereinbaren die Vertragsparteien für die Vergütung der stationären Behandlung einschliesslich Aufenthalt in einem Spital Pauschalen. Diese decken für Kantonseinwohner und einwohnerinnen bei öffentlichen oder öffentlich subventionierten Spitälern höchstens 50 % der anrechenbaren Kosten je Patient oder Patientin oder je Ver­sichertengruppe in der allgemeinen Abteilung (Deckungsquote). Die anrechenbaren Kosten werden bei Vertragsschluss ermittelt. Betriebs­kostenanteile aus Überkapazität, Investitionskosten sowie Kosten für Lehre und Forschung werden nicht angerechnet. Gemäss Praxis des Bundesrates, welche vom Bundesverwaltungsgericht fortgeführt wurde, gelten diese Tarifregeln auch dann, wenn eine Kantonsregierung im vertragslosen Zustand die Tarife festsetzt (...). Daher konnten Rügen in diesem Zusammenhang bei Tariffestsetzungen gemäss Art. 47 Abs. 1 KVG vorgebracht werden. Es ist kein Grund ersichtlich, warum es sich seit der Revision der Spitalfinanzierung und der Neuregelung der Tarifstruktur anders verhalten sollte, so zum Beispiel hinsichtlich der autoritativen Festlegung von leistungsbezogenen Pauschalen nach Art. 49 KVG und der Finanzierungsregelung nach Art. 49a KVG, auch wenn diese Fälle in Art. 53 Abs. 1 KVG nicht explizit erwähnt sind.

Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass entgegen dem (unvoll­ständigen) Wortlaut von Art. 53 Abs. 1 KVG im Sinne der Füllung einer Lücke unter Rückgriff auf die ratio legis auch Beschlüsse der Kantone gestützt auf Abs. 5 KVG-Übergangsbestimmungen zur Änderung vom 21. Dezember 2007 (Spitalfinanzierung) in Verbindung mit Art. 49a Abs. 2 KVG beim Bundesverwaltungsgericht angefochten werden kön­nen.

1.3                Zur Beschwerde berechtigt ist nach Art. 48 Abs. 1 des Verwal­tungsverfahrensgesetzes vom 20. Dezember 1968 (VwVG, SR 172.021), wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (Bst. a); durch die angefochtene Verfügung besonders berührt ist (Bst. b); und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat (Bst. c). Bei den Be­schwerdeführerinnen handelt es sich um Krankenversicherer, welche im Kanton Zug tätig sind. Sie sind durch den angefochtenen Beschluss ohne Zweifel besonders berührt und haben ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung. Sie sind daher zur Beschwerde legitimiert.

1.4                Da die Beschwerde im Übrigen frist und formgerecht (Art. 50 Abs. 1 und Art. 52 Abs. 1 VwVG) eingereicht und der einverlangte Kostenvorschuss innert Frist geleistet wurde, ist darauf einzutreten.

2.                    

2.1                Das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht richtet sich gemäss Art. 37 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (VGG, SR 173.32) und Art. 53 Abs. 2 Satz 1 KVG grundsätzlich nach dem VwVG, soweit das VGG oder das KVG keine abweichende Regelung enthalten.

2.2                Die Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG, SR 830.1) sind auf die Krankenversicherung anwendbar, soweit das KVG nicht ausdrücklich eine Abweichung vom ATSG vorsieht (vgl. Art. 1 Abs. 1 KVG). Sie finden keine Anwendung im Bereich Tarife, Preise und Globalbudget (Art. 43 55 KVG, vgl. Art. 1 Abs. 2 Bst. b KVG).

2.3                In materiellrechtlicher Hinsicht sind grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Sachverhalts Geltung haben (BGE 130 V 329 E. 2.3). Massge­bend sind somit namentlich die im Zeitpunkt des Regierungsratsbe­schlusses vom 1. März 2011 geltenden materiellen Bestimmungen des KVG und der Verordnung vom 27. Juni 1995 über die Krankenversiche­rung (KVV, SR 832.102).

3.                   Vorliegend ist strittig und vom Bundesverwaltungsgericht zu prüfen, ob der Regierungsrat den Anteil des Kantons an den Kosten der Leistungen der Akut und Übergangspflege für das Jahr 2012 zu Recht auf 47 % festgesetzt hat.

3.1                Gemäss Art. 25a Abs. 2 KVG (eingefügt durch Ziff. I 3 des Bundesgesetzes vom 13. Juni 2008 über die Neuordnung der Pflege­finanzierung, in Kraft seit 1. Januar 2011, AS 2009 3517 6847 Ziff. I, BBl 2005 2033) werden die Leistungen der Akut und Übergangspflege, welche sich im Anschluss an einen Spitalaufenthalt als notwendig erweisen und die im Spital ärztlich angeordnet werden, von der obliga­torischen Krankenpflegeversicherung und vom Wohnkanton des Versi­cherten während längstens zwei Wochen nach den Regeln der Spitalfinanzierung (Art. 49a [KVG] Abgeltung der stationären Leistun­gen) vergütet. Versicherer und Leistungserbringer vereinbaren Pauscha­len.

3.2                 

3.2.1           Gemäss Art. 49a Abs. 1 KVG werden die Vergütungen nach Art. 49 Abs. 1 KVG, mit welchem die Vergütung der stationären Be­handlungen (Tarifverträge mit Spitälern) geregelt wird, vom Kanton und den Versicherern anteilsmässig übernommen. Der Kanton setzt jeweils für das Kalenderjahr spätestens neun Monate vor dessen Beginn den für alle Kantonseinwohner geltenden kantonalen Anteil fest. Der kantonale Anteil beträgt mindestens 55 % (Art. 49a Abs. 2 KVG). Diese Bestim­mung wurde durch Ziff. I des Bundesgesetzes vom 21. Dezember 2007 (Spitalfinanzierung) eingefügt und ist seit dem 1. Januar 2009 in Kraft (AS 2008 2049, BBl 2004 5551); zudem wurden Übergangsbe­stim­mungen zu dieser Änderung erlassen.

3.2.2           Die Kantone setzen ihren Finanzierungsanteil nach Art. 49a Abs. 2 KVG spätestens per 1. Januar 2012 fest. Kantone, deren Durch­schnittsprämie für Erwachsene im Einführungszeitpunkt nach Abs. 1 die schweizerische Durchschnittsprämie für Erwachsene unterschreitet, kön­nen ihren Vergütungsanteil zwischen 45 % und 55 % festlegen. Bis zum 1. Januar 2017 darf die jährliche Anpassung des Finanzierungsanteils ab erstmaliger Festsetzung höchstens zwei Prozentpunkte betragen (Abs. 5 KVG-Übergangsbestimmungen zur Änderung vom 21. Dezember 2007 [Spitalfinanzierung]).

3.3                Gemäss Art. 7b der Verordnung des EDI vom 29. September 1995 über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (KLV, SR 832.112.31) übernehmen der Wohnkanton und die Versicherer die Kosten der Leistungen der Akut- und Übergangspflege anteilsmässig. Der Wohnkanton setzt jeweils für das Kalenderjahr spätestens neun Monate vor dessen Beginn den für alle Kantonseinwohner und einwohner­innen geltenden kantonalen Anteil fest. Der kantonale Anteil beträgt mindestens 55 %. Diese Bestimmung ist seit dem 1. Januar 2011 in Kraft (AS 2009 3527 6849 Ziff. I).

4.                    

4.1                Die Beschwerdeführerinnen beantragten die Aufhebung der angefochtenen Verfügung und die Festsetzung des Kostenanteils des Kantons auf 55 %. Sie machten geltend, bei der Akut und Übergangs­pflege handle es sich um eine neue Leistungsart, weshalb nicht vom Übergang von einer alten zu einer neuen Ordnung die Rede sein könne. Abs. 5 der Übergangsbestimmungen zur Spitalfinanzierung sei vorlie­gend demzufolge nicht anwendbar. Sie führten zudem aus, dass in den Übergangsbestimmungen zur Spitalfinanzierung mit der schrittweisen Anpassung des Kantonsanteils eine Ausnahmeregelung statuiert worden sei, die jedoch nicht auch für die Finanzierung der Akut und Übergangs­pflege gelte.

4.2                Die Vorinstanz beantragte die Abweisung der Beschwerde und machte geltend, dass Art. 25a Abs. 2 KVG auf Art. 49a KVG verweise und dieser die Anwendbarkeit der Regeln der Spitalfinanzierung vorsehe. Zu den Normen der Spitalfinanzierung sei eine Übergangsbestimmung erlassen worden, weshalb diese Bestandteil des Art. 49a KVG und somit anzuwenden sei; nicht zur Anwendung kämen etwa die Übergangsbe­stimmungen zur Pflegefinanzierung. Ferner führte die Vorinstanz aus, aus dem Umstand, dass im Parlament die Anwendbarkeit der Übergangs­bestimmung nicht thematisiert worden sei, könne nicht geschlossen werden, dass die Übergangsbestimmungen zur Spitalfinanzierung in Bezug auf die Vergütung der Leistungen der Akut und Übergangspflege nicht anzuwenden seien; vielmehr sei davon auszugehen, dass deren Anwendung als selbstverständlich betrachtet worden sei. Schliesslich sei auch das Argument der Beschwerdeführerinnen, dass die meisten Kantone ihren Anteil auf 55 % festgelegt hätten, kein stichhaltiges Argument dafür, dass eine Festsetzung auf 47 % gestützt auf die ge­nannten Bestimmungen im KVG nicht zulässig sein sollte, da ohnehin davon auszugehen sei, dass Art. 7b KLV nicht gesetzeskonform erlassen worden sei.

4.3                Aus den gesetzlichen Bestimmungen geht klar hervor, dass die Akut und Übergangspflege nach den Regeln der Spitalfinanzierung zu finanzieren ist. Somit ist in Bezug auf die Finanzierung grundsätzlich Art. 49a Abs. 2 KVG anzuwenden. Abs. 5 KVG-Übergangsbestim­mungen zur Änderung vom 21. Dezember 2007 (Spitalfinanzierung) äussert sich zudem zur Frage, welche Regeln während der Einführungs­phase gelten. Aus den parlamentarischen Debatten geht hervor, dass mit der Bandbreite von 45 bis 55 % für den Kantonsanteil sowie mit der vorgegebenen maximalen jährlichen Erhöhung von 2 % eine schritt­weise, auf die Situation im Kanton zugeschnittene Einführung ermöglicht und sowohl für die Kantone als auch für die Versicherten ein plötzlicher Kostenschub vermieden werden sollte. Da sich die Ausgangslage in den Kantonen sehr unterschiedlich präsentierte, erachtete der Gesetzgeber es als sachgerecht, die gesetzlichen Voraussetzungen für individuelle Lö­sungen bei der Einführung der neuen Bestimmungen zu schaffen.

Aus den parlamentarischen Debatten in Bezug auf das Bundesgesetz über die Neuordnung der Pflegefinanzierung ist ferner ersichtlich, dass eine klare Trennung zwischen dem Spitalaufenthalt sowie der Akut und Übergangspflege einerseits und der Langzeitpflege andererseits beab­sich­tigt war. Zur Begründung wurde angeführt, dass die Akut und Über­gangspflege, welche bisher im Rahmen eines Spitalaufenthaltes von den Spitälern erbracht wurde, durch die Einführung von Fallpauschalen vermehrt ausserhalb der Spitäler erbracht werden würde (vgl. Gebhard Eugster, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum KVG, Zürich/Basel/ Genf 2010, Art. 25a N. 4). Da sich die beiden Bereiche aber klar von der Langzeitpflege unterscheiden würden, rechtfertige sich auch in Zukunft, die Finanzierung dieser beiden Bereiche gemeinsam nach den Regeln der Spitalfinanzierung und die Langzeitpflege separat über die Pflege­finanzierung zu regeln. Deshalb ist davon auszugehen, dass eine Unter­scheidung zwischen der Finanzierung der Akut und Übergangspflege und der Langzeitpflege vom Gesetzgeber gewollt war. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen handelt es sich bei der Akut und Übergangspflege nicht um eine neue Leistungsart, sondern lediglich um eine neue Art der Finanzierung (vgl. Eugster, a.a.O., Art. 25a N. 6). Selbst wenn es sich dabei um eine neue Leistungsart handeln würde, könnten die Beschwerdeführerinnen daraus nichts ableiten, denn  ent­gegen ihrer Ansicht - Übergangsbestimmungen können grundsätzlich nicht nur beim Übergang von einer bestehenden zu einer neuen Rege­lung, sondern auch bei der Einführung von neuen Regeln zur Anwendung kommen. Es bleibt indes zu prüfen, ob die Übergangsbestimmungen zur Spitalfinanzierung vorliegend anzuwenden sind.

4.4                Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) äusserte sich sowohl in seinem Dokument zur KLV « Vorgesehene Änderungen per 1. August 2009 (andere Änderungen) und 1. Juli 2010 (Pflegefinanzierung) - Änderungen und Kommentar im Wortlaut » vom 10. Juni 2009 als auch in der Stellungnahme vom 18. Oktober 2012 dahingehend, dass die Übergangsbestimmungen zur Gesetzesänderung vom 21. Dezember 2007 (Spitalfinanzierung) auf das neue Finanzierungsregime der Akut und Übergangspflege nicht anwendbar seien. Zur Begründung führte das BAG im Wesentlichen aus, Art. 25a Abs. 2 KVG, der die Finanzierung der Akut und Übergangspflege regle, sei per 1. Januar 2011 in Kraft getreten, weshalb seit diesem Zeitpunkt eine Regelung für den Kosten­teiler vorhanden sein musste. Abs. 5 der Übergangsbestimmungen zur Spitalfinanzierung, auf welchen sich der Regierungsrat stütze, sehe jedoch eine Festlegung des Kostenteilers spätestens per 1. Januar 2012 vor. Bereits daraus ergebe sich, dass der Verweis in Art. 25a KVG ledig­lich die Anwendung des Art. 49a KVG und nicht auch der dazugehörigen Übergangsbestimmungen vorsehe, weil bei Ausschöpfung des darin statuierten zeitlichen Spielraums eine Regelungslücke für das Jahr 2011 entstehen würde. Ferner führte das BAG aus, dass Art. 7b KLV mit Blick auf diese Überlegungen gesetzeskonform erlassen worden und daher anzuwenden sei.

4.5                Aus den obgenannten Ausführungen geht hervor, dass die Antwort auf die vorliegend strittige Frage nicht ohne weitere Inter­pretation dem Gesetzeswortlaut entnommen werden kann. Es wird nach­folgend durch eine vertieftere Gesetzesauslegung zu ermitteln sein, welches die vom Gesetzgeber beabsichtigte Lösung war.

4.5.1           Für die Argumentation der Vorinstanz spricht, dass eine systematische Auslegung von Art. 25a Abs. 2 KVG, welcher auf die Anwendbarkeit von Art. 49a KVG verweist, den Schluss nahelegt, dass damit automatisch auch die zu diesem Artikel erlassene Übergangs­be­stimmung anwendbar sein muss. Bei dieser Auslegung wäre ferner die Frage beantwortet, wieso zu Art. 25a Abs. 2 KVG keine eigene Über­gangsbestimmung erlassen worden ist.

4.5.2           Für die Auffassung der Beschwerdeführerin sprechen dagegen die folgenden Argumente:

Bei einer entstehungszeitlichen Betrachtung der auslegungsbedürftigen Bestimmungen wird deutlich, dass Art. 49a Abs. 1 KVG und Abs. 5 KVG-Übergangsbestimmungen zur Änderung vom 21. Dezember 2007 (Spitalfinanzierung) am 21. Dezember 2007 erlassen und per 1. Januar 2009 in Kraft gesetzt worden sind. Die Umsetzung hatte bis spätestens zum 1. Januar 2012 zu erfolgen. Art. 25a Abs. 2 KVG datiert vom 13. Juni 2008 und Art. 7b KLV vom 24. Juni 2009; beide wurden per 1. Januar 2011 in Kraft gesetzt. Die Bestimmungen zur Akut und Über­gangspflege wurden somit zeitlich später erlassen als die Bestimmungen zur Spitalfinanzierung, die Inkraftsetzung erfolgte allerdings ein Jahr vor dem letztmöglichen Termin für die Umsetzung der Spitalfinanzierung. Dennoch wurde die Anwendbarkeit der Übergangsbestimmungen nir­gendwo erwähnt; dies spricht gegen die Anwendbarkeit der einschlägi­gen Übergangsbestimmung zu Art. 49a KVG, was die Finanzierung der Akut und Übergangspflege angeht.

Ferner ist zu beachten, dass bei Anwendung von Abs. 5 KVG-Über­gangsbestimmungen zur Änderung vom 21. Dezember 2007 (Spitalfinan­zierung) auf Art. 25a Abs. 2 KVG und Art. 7b KLV für das Jahr 2011 eine Regelungslücke bestünde, was nicht gewollt sein kann. Auch dies spricht vorliegend somit gegen die Anwendung von Abs. 5 KVG-Über­gangsbestimmungen zur Änderung vom 21. Dezember 2007 (Spitalfinan­zierung).

4.5.3           Aus dem Gesagten folgt, dass die Finanzierung der Akut und Übergangspflege gemäss Art. 25a Abs. 2 KVG in Verbindung mit Art. 49a Abs. 2 KVG zwar grundsätzlich den Regeln der Spitalfinan­zierung folgt. Der Passus « nach den Regeln der Spitalfinanzierung » bedeutet indes nicht, dass auch die Übergangsbestimmungen zur Spital­finanzierung gemeint sind, weil - wie das BAG richtig darlegte - bei der Anwendung dieser Übergangsbestimmungen für das Jahr 2011 eine Regelungslücke, was die Höhe der Kostenanteile betrifft, bestünde. Im Unterschied zur Spitalfinanzierung findet sich für die Finanzierung der Akut und Übergangspflege demnach weder eine eigene Übergangsrege­lung im Gesetz, noch wurden die Übergangsbestimmungen zur Spitalfi­nanzierung entsprechend ergänzt. Schliesslich muss auch mangels kon­kreter Hinweise in den Gesetzesmaterialien davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber für die Finanzierung der Akut und Übergangs­pflege keine Übergangsregelung zur Anwendung kommen lassen wollte.

Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass in Übereinstimmung mit den Ausführungen der Beschwerdeführerinnen davon auszugehen ist, dass die Gründe gegen die Anwendbarkeit der Übergangsbestimmungen überwiegen und diese somit nicht anwendbar sind. Daher ist gestützt auf Art. 25a Abs. 2 KVG in Verbindung mit Art. 49a Abs. 2 KVG und Art. 7b Abs. 1 KLV der Kostenanteil des Kantons für die Vergütung der Akut- und Übergangspflege auf mindestens 55 % festzulegen.

 

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