Der Beschwerdeführer, ein ethnischer Araber mit letztem Wohnsitz in Bagdad,
verliess den Irak gemäss eigenen Angaben am 26. April 2005 und gelangte am 4. Mai 2005
in die Schweiz, wo er am gleichen Tag um Asyl nachsuchte.
Bei der Erstbefragung im Empfangs- und Verfahrenszentrum (EVZ) Kreuzlingen
vom 9. Mai 2005 und der Anhörung zu den Asylgründen vom 13. Mai 2005 führte
der Beschwerdeführer zur Begründung seines Gesuches aus, ein Nachbar und ein Verwandter, die
gegen die Amerikaner und ihre Alliierten gekämpft hätten, hätten ihn zur Zusammenarbeit
aufgefordert. Zirka 15 bis 20 Meter von seinem Haus entfernt habe sein Nachbar einen Einschnitt in eine
Sicherheitsmauer angebracht, durch den die US-Truppen von vielen Leuten angegriffen worden seien. Die
Amerikaner hätten wissen wollen, woher die Angreifer kämen und hätten auch mehrmals mit
ihm gesprochen. Im Januar 2005 seien drei Bewaffnete in sein Haus gekommen, zwei von ihnen seien aufs
Dach gegangen und bis am folgenden Morgen dort geblieben. Anfang Februar 2005 hätten zwei Amerikaner
das Haus durchsucht, auch diese seien aufs Dach gegangen und bis am nächsten Morgen dort geblieben.
Sein Nachbar habe ihm gesagt, die Leute dächten, er würde mit den Amerikanern zusammenarbeiten.
Er müsse aufpassen, sonst werde er eines Tages getötet. Am 15. April 2005 sei der Verwandte
zu ihm gekommen; dieser habe einige CDs bei sich gehabt, auf denen wahrscheinlich die Namen
und Adressen von Personen gespeichert gewesen seien. Einige Tage später sei dieser festgenommen
worden. Dies habe er am 20. April 2005 von der Mutter des Festgenommenen, die ihn beschuldigt habe,
diesen verraten zu haben, telefonisch erfahren. Da er sich gefürchtet habe, vom Nachbarn und dessen
Leuten getötet zu werden, habe er den Irak verlassen.
Mit Eingabe vom 12. Oktober 2005 reichte die Caritas Schweiz für die
beiden minderjährigen Kinder des Beschwerdeführers, die sich in Syrien aufhielten, gestützt
auf Art. 20 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 (AsylG, SR 142.31) ein Asylgesuch aus dem Ausland
und ein Gesuch um Erteilung einer Einreisebewilligung ein.
Das Bundesamt für Migration (BFM) bewilligte den beiden Kindern des Beschwerdeführers
mit Verfügung vom 11. November 2005 die Einreise in die Schweiz. Sie reisten am 5. Dezember
2005 in die Schweiz ein.
Die Tochter des Beschwerdeführers wurde am 18. August 2006 von der zuständigen
kantonalen Behörde befragt. Sie sagte aus, ihr sei weder im Irak noch in Damaskus (Syrien), wo sie
nach der Ausreise aus der Heimat bei Verwandten ihres Vaters gelebt habe, etwas zugestossen.
Das BFM führte am 19. Juni 2007 eine ergänzende Anhörung des
Beschwerdeführers durch. Eingangs der Befragung wies er darauf hin, er habe bei den ersten beiden
Befragungen Angst gehabt, die Wahrheit zu sagen. Die Befragerin bei der ersten Befragung habe gesagt,
er sei ein Freund der Terroristen. Er sei verwirrt gewesen und habe keine weiteren Angaben zu seinen
Asylgründen gemacht. Um seine berufliche Stellung halten zu können, sei er Mitglied der Baath-Partei
gewesen. Im Februar 2003 sei er in einer Fabrik tätig gewesen, in der Medaillen und Abzeichen
hergestellt worden seien. Damals sei der Fabrikdirektor gekommen und habe drei Mitglieder des Olympischen
Komitees zu ihm geführt. Diese hätten von ihm verlangt, Stillschweigen über das Treffen
zu wahren. Die Männer hätten Leute gesucht, die nach dem Einmarsch der Amerikaner
weiterhin für die Baath-Partei hätten arbeiten wollen. Sie hätten ihm gesagt, er sei von
einem Verwandten empfohlen worden. Er habe ein Papier unterzeichnen müssen, in dem er sich zur Zusammenarbeit
bereit erklärt habe. Mitte 2004 habe man begonnen, sich zu organisieren. Im Januar 2005 sei
er dann von drei Terroristen aufgesucht worden, die ihm Grüsse von seinem Nachbarn, einem Mitglied
des Geheimdienstes, ausgerichtet hätten. Sein Nachbar habe von ihm verlangt, dass
er vom Dach seines Hauses die Truppenverschiebungen der Amerikaner beobachte; er habe dies aber
nie getan. Im März 2005 sei sein Nachbar zu ihm gekommen und habe ihm gesagt, er müsse
nun mitmachen. Man wisse, dass die Amerikaner in seinem Haus gewesen seien und er für eine
Firma tätig sei, die im Auftrag der Amerikaner arbeite. Am 15. April 2005 sei sein Verwandter
zu ihm gekommen und habe versucht, ihm Papiere zur Unterschrift vorzulegen. Er habe sich geweigert,
etwas zu unterschreiben. Er habe seinem Verwandten am 17. April 2005 gesagt, er solle das
Haus verlassen, da er sich gefährdet fühle. Er habe gesagt, er wolle nicht mehr kontaktiert
werden, ansonsten er sich an die Amerikaner wenden werde. Am 20. April 2005 sei der Verwandte
festgenommen worden. Die Mutter desselben habe ihn am frühen Morgen kontaktiert und ihm gesagt,
man sei der Ansicht, dass er ihren Sohn an die Amerikaner verraten habe.
Mit Verfügung vom 28. Juni
2007 stellte das BFM fest, die Beschwerdeführenden erfüllten die Flüchtlingseigenschaft
nicht, und lehnte die Asylgesuche ab. Gleichzeitig wurde die Wegweisung angeordnet, deren Vollzug jedoch
zufolge Unzumutbarkeit zugunsten einer vorläufigen Aufnahme aufgeschoben wurde.
Mit Eingabe vom 19. Juli 2007
erhob der Beschwerdeführer beim Bundesverwaltungsgericht gegen diesen Entscheid für sich
und seine Kinder Beschwerde und beantragte, es seien die Ziffern 1, 2 und 3 der angefochtenen
Verfügung aufzuheben und es sei die Flüchtlingseigenschaft festzustellen
und ihnen Asyl zu gewähren.
Das Bundesverwaltungsgericht heisst die Beschwerde gut.
Aus den Erwägungen:
5.3
Hinsichtlich der Prüfung der asylrechtlichen Relevanz der Vorbringen ist vom folgenden,
rechtserheblichen Sachverhalt auszugehen: Der Beschwerdeführer war aufgrund seiner beruflichen
Tätigkeit gezwungen, sich der Baath-Partei anzuschliessen. Nach dem Sturz des Regimes von
Saddam Hussein arbeitete er bei verschiedenen Unternehmen, die teilweise auch mit den im
Irak anwesend gewesenen amerikanischen Truppen zusammenarbeiteten. Ein Nachbar und ein Verwandter
versuchten, ihn für die Zusammenarbeit mit Funktionären des ehemaligen Regimes
zu gewinnen. Er wies die Aufforderungen zur Zusammenarbeit unter Hinweis auf die Sicherheit
seiner Familie zurück. Der Verwandte des Beschwerdeführers, der sich im April 2005 zwei Tage
lang bei ihm aufgehalten hatte, wurde kurz danach von den amerikanischen Truppen festgenommen.
Da sich der Beschwerdeführer davor fürchtete, für dessen Festnahme verantwortlich gemacht
und « bestraft » zu werden, verliess er seine Heimat.
6.1
Die Flüchtlingseigenschaft gemäss Art. 3 AsylG erfüllt eine asylsuchende Person
nach Lehre und Rechtsprechung dann, wenn sie Nachteile von bestimmter Intensität erlitten hat beziehungsweise
mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit und in absehbarer Zukunft begründeterweise befürchten
muss, welche ihr gezielt und aufgrund bestimmter Verfolgungsmotive durch Organe des Heimatstaates
oder durch nichtstaatliche Akteure zugefügt worden sind beziehungsweise zugefügt
zu werden drohen (vgl. BVGE 2008/4 E. 5.2 S. 37). Aufgrund der Subsidiarität des flüchtlingsrechtlichen
Schutzes setzt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausserdem voraus, dass die betroffene
Person in ihrem Heimatland keinen adäquaten Schutz finden kann (vgl. BVGE 2008/12 E. 7.2.6.2
S. 174 f., BVGE 2008/4 E. 5.2 S. 37 f.). Ausgangspunkt für die Beurteilung
der Flüchtlingseigenschaft ist die Frage nach der im Zeitpunkt der Ausreise vorhandenen Verfolgung
oder begründeten Furcht vor einer solchen. Die Situation im Zeitpunkt des Asylentscheides ist jedoch
im Rahmen der Prüfung nach der Aktualität der Verfolgungsfurcht ebenfalls wesentlich.
Veränderungen der objektiven Situation im Heimatstaat zwischen Ausreise und Asylentscheid
sind deshalb zugunsten und zulasten der das Asylgesuch stellenden Person zu berücksichtigen
(vgl. BVGE 2008/34 E. 7.1 S. 507 f., BVGE 2008/12 E. 5.2 S. 154 f.; Walter
Stöckli,
Asyl, in: Peter Uebersax/Beat Rudin/Thomas Hugi Yar/Thomas Geiser [Hrsg.], Ausländerrecht,
2. Aufl., Basel 2009, Rz. 11.17 und 11.18).
6.2
Begründete Furcht vor Verfolgung liegt vor, wenn konkreter Anlass zur Annahme besteht, eine
Verfolgung hätte sich - aus der Sicht im Zeitpunkt der Ausreise - mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
und in absehbarer Zeit verwirklicht beziehungsweise werde sich - auch aus heutiger Sicht -
mit ebensolcher Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zukunft verwirklichen. Eine bloss entfernte Möglichkeit
künftiger Verfolgung genügt nicht; es müssen konkrete Indizien vorliegen, welche
den Eintritt der erwarteten - und aus einem der vom Gesetz aufgezählten Motive erfolgenden
- Benachteiligung als wahrscheinlich und dementsprechend die Furcht davor als realistisch
und nachvollziehbar erscheinen lassen (vgl. EMARK 2005 Nr. 21 E. 7 S. 193 f.,
EMARK 2004 Nr. 1 E. 6a S. 9).
6.3
Der Beschwerdeführer hatte bis zum Zeitpunkt seiner Ausreise weder durch die Behörden
seines Heimatlandes noch durch Privatpersonen ernsthafte Nachteile im Sinne des AsylG erlitten.
Aufgrund der Festnahme seines Verwandten durch die Amerikaner und des Umstandes, dass er von diesem
und dessen Gefolgsleuten des Verrats bezichtigt wurde, erscheint jedoch die für den Zeitpunkt
der Ausreise geltend gemachte Furcht des Beschwerdeführers vor Vergeltungsaktionen angesichts
der damaligen Lage im Irak als begründet. Die Annahme, dass die Angehörigen des Widerstandes
aufgrund des vermuteten Verrats gegenüber dem Beschwerdeführer auch im heutigen Zeitpunkt
noch Rachegedanken hegen dürften, führt - auch angesichts der Angaben seiner Ex-Ehefrau
- zum Schluss, dass eine asylrechtlich relevante ernsthafte und gezielte Verfolgungsgefahr
für den Beschwerdeführer nach wie vor besteht.
7.1
Gemäss der auf der so genannten Zurechenbarkeitstheorie (« accountability view »)
beruhenden früheren Praxis der schweizerischen Asylbehörden wurde eine Verfolgung
nur dann als flüchtlingsrechtlich relevant erachtet, wenn sie unmittelbar oder mittelbar dem
Staat zugerechnet werden konnte (vgl. EMARK 2004 Nr. 14 E. 6d S. 92, EMARK 2004 Nr. 3
E. 4d S. 24, EMARK 2002 Nr. 16 E. 5c/cc S. 133, EMARK 1996 Nr. 16 E. 4c/aa
S. 146). Im Gegensatz dazu hängt nach der heute geltenden Praxis, welche auf dem der so genannten
Schutztheorie (« protection view ») zugrunde liegenden Verständnis des
Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK, SR 0.142.30)
basiert, die Bejahung eines internationalen Schutzbedürfnisses nicht (mehr) davon ab,
wer Urheber der Verfolgung ist, sondern davon, ob im Heimatstaat adäquater Schutz vor Verfolgung
in Anspruch genommen werden kann (vgl. EMARK 2006 Nr. 18 E. 6.3.1 und E. 10.2.1). Damit
ist nicht nur unmittelbare oder mittelbare staatliche, sondern auch private (bzw. nichtstaatliche)
Verfolgung flüchtlingsrechtlich relevant, sofern im Heimatstaat kein adäquater
Schutz vor Verfolgung besteht (vgl. EMARK 2006 Nr. 18 E. 7.5-7.9 S. 193 ff.).
7.2
Der Schutz vor privater Verfolgung kann dabei sowohl durch den Staat selbst als auch durch einen
besonders qualifizierten Quasi-Staat gewährt werden, allenfalls auch durch internationale Organisationen.
Der Schutz vor privater Verfolgung auf tieferem institutionellem Niveau beispielsweise durch einen Clan,
durch eine (Gross-)Familie oder auf individuell-privater Basis genügt dagegen nicht (vgl. BVGE 2008/12
E. 7.2.6.2 S. 174 f., BVGE 2008/5 E. 4.1 S. 60, BVGE 2008/4 E. 5.2 S. 37 f.;
EMARK 2006 Nr. 18 E. 10.2.3 S. 202 f.).
7.3
Der Schutz vor privater Verfolgung ist als solcher ausreichend, wenn im Heimatstaat eine funktionierende
und effiziente Schutzinfrastruktur zur Verfügung steht, also in erster Linie polizeiliche
Aufgaben wahrnehmende Organe und ein Rechts- und Justizsystem, das eine effektive Strafverfolgung
ermöglicht. Ob das bestehende Schutzsystem als in diesem Sinne effizient erachtet werden kann, hängt
letztlich auch davon ab, dass der Schutz die von Verfolgung betroffene Person tatsächlich
erreicht (vgl. UNHCR, Internationaler Flüchtlingsschutz, Auslegung von Artikel 1 des
Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung von Flüchtlingen, April 2001, Ziff. 15).
So kann beispielsweise nicht von adäquatem staatlichem Schutz für die betroffenen Frauen
die Rede sein, wenn die praktische Umsetzung der in Äthiopien eingeführten Reformen zur Bekämpfung
des Phänomens der Entführung von jungen Frauen zwecks Heirat durch bestehende kulturelle Normen
und Traditionen in ländlichen Gegenden stark behindert wird (vgl. EMARK 2006 Nr. 32 E. 7.4.1
und E. 7.4.2 S. 348 ff.).
7.4
Ein subsidiäres internationales Schutzbedürfnis im Sinne der Schutztheorie kann sich
für die von Verfolgung betroffene Person demnach ergeben, weil im Heimatstaat keine Schutzinfrastruktur
besteht, die ihr Schutz bieten könnte (vgl. EMARK 2006 Nr. 18 E. 11.2 S. 204 f.),
oder weil der Staat ihr keinen Schutz gewährt, obwohl er dazu in der Lage wäre. Ein Schutzbedürfnis
besteht aber auch dann, wenn die bestehende Schutzinfrastruktur der von Verfolgung betroffenen
Person nicht zugänglich ist oder ihr deren Inanspruchnahme aus individuellen Gründen nicht
zuzumuten ist (vgl. BVGE 2008/12 E. 6.8 S. 168, BVGE 2008/5 E. 4.2 S. 60 f., BVGE
2008/4 E. 5.2 S. 37 f.; EMARK 2006 Nr. 18 E.10.3.1 und E. 10.3.2 S. 203).
Ob ein Schutzbedürfnis besteht, ist im Rahmen einer individuellen Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung
des länderspezifischen Kontextes zu beantworten, wobei es den Asylbehörden obliegt,
die Effektivität des Schutzes vor Verfolgung im Heimatstaat abzuklären und zu begründen
(vgl. BVGE 2008/5 E. 4.2 S. 60 f., BVGE 2008/4 E. 5.2 S. 37 f.; EMARK 2006
Nr. 32 E. 6.1 S. 340 f., EMARK 2006 Nr. 18 E. 10.3.2 S. 203).
7.5
Im Zentral- und Südirak existiert kein funktionierendes und effizientes Rechts- und
Justizsystem (vgl. BVGE 2008/12 E. 6.4-6.8 S. 164 ff.; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
D-430/2008 vom 23. Juni 2011 E. 5.3). Es ist deshalb davon auszugehen, dass weder die
irakischen Behörden noch die im Irak anwesend gewesenen internationalen Truppen in der Lage
sind (waren), dem Beschwerdeführer im Zentralirak hinreichenden Schutz vor der ihm drohenden Verfolgung
zu gewähren. Hingegen sind die Behörden in den drei nordirakischen Provinzen Dohuk, Erbil
und Suleimaniya in der Lage und willens, den Einwohnern ihrer Provinzen Schutz vor allfälliger
Verfolgung zu gewähren (vgl. BVGE 2008/4 E. 6.1-6.7 S. 40 ff.). Es stellt sich
somit die Frage, ob dem Beschwerdeführer in diesen Provinzen eine die Flüchtlingseigenschaft
ausschliessende innerstaatliche Flucht- beziehungsweise Schutzalternative (vgl. Stöckli,
a. a. O., Rz. 11.20) zur Verfügung steht.
8.1
Aus dem Grundsatz der Subsidiarität des internationalen Schutzes ergibt sich, dass
eine Person, die nur in einem Teil des Landes verfolgt wird und sich in eine andere, sichere Region
begeben kann, keinen internationalen Schutz benötigt. Wirken sich die Benachteiligungen nur
lokal, nicht aber im ganzen Staatsgebiet aus und ist der Heimatstaat in der Lage und willens, dem Betroffenen
in anderen Landesteilen wirksamen Schutz vor Verfolgung zu gewähren, so kann dem Asylsuchenden
das Vorliegen einer innerstaatlichen Flucht- beziehungsweise Schutzalternative entgegengehalten
werden. Eine solche Alternative versteht sich sowohl aus der Sicht der FK als auch auf der Grundlage
von Art. 3 AsylG als Schranke des materiellen Flüchtlingsbegriffs. Das Institut der innerstaatlichen
Flucht- beziehungsweise Schutzalternative beruht auf dem Wortlaut von Art. 1 A Ziff. 2
FK, wonach nicht Flüchtling sein kann, wer gegen eine in begründeter Weise befürchtete
Verfolgung den Schutz seines Heimatstaates in Anspruch nehmen kann (vgl. EMARK 2000 Nr. 2 E. 8
und 9c S. 20 ff., EMARK 2000 Nr. 15 E. 12a S. 127 und E. 14a S. 133).
Die Frage, ob eine Flucht- beziehungsweise Schutzalternative besteht, stellt
sich allerdings erst, wenn zuvor eine bestehende oder drohende Verfolgung aus einem flüchtlingsrechtlich
relevanten Motiv festgestellt worden ist; wer eine derartige Verfolgung nicht begründet befürchten
muss, erfüllt die Flüchtlingseigenschaft bereits aus diesem Grund nicht, und das Bestehen allfälliger
Flucht- beziehungsweise Schutzalternativen ist gar nicht zu prüfen (vgl. EMARK 2000 Nr. 15
E. 7b S. 113 f. und E. 14a S. 133). Falls indessen eine begründete Furcht
vor Verfolgung aus einem flüchtlingsrechtlich relevanten Motiv besteht, basiert das Institut der
innerstaatlichen Flucht- beziehungsweise Schutzalternative - der von Art. 1 A Ziff. 2
FK vorgegebenen Dogmatik folgend - nicht darauf, dass der Verfolger nur in lokalen oder regionalen
Dimensionen verfolgen kann, an anderen Orten des Staatsterritoriums hingegen machtlos und verfolgungsunfähig
ist, sondern sie basiert auf der Tatsache, dass der Heimatstaat zwar nicht am Ort der Verfolgung, hingegen
in anderen Gebieten seines Territoriums hinlänglichen Schutz vor Verfolgung beziehungsweise
vor dem Verfolger gewährt (vgl. EMARK 2000 Nr. 15 E. 7b S. 113 f., EMARK 1997
Nr. 12 E. 6b, EMARK 1997 Nr. 14 E. 6b S. 118).
8.2
Gemäss Praxis steht der von Verfolgung betroffenen Person eine innerstaatliche Fluchtalternative
dann zur Verfügung, wenn sie am Zufluchtsort nicht weiterhin oder erneut ernsthafte Nachteile
aufgrund unmittelbarer oder mittelbarer staatlicher Verfolgung aus flüchtlingsrechtlich
relevanten Motiven befürchten muss, und sie dort auch nicht Gefahr läuft, anderen, weniger
intensiven staatlichen Beeinträchtigungen oder Massnahmen ausgesetzt zu sein, die darauf abzielen,
sie aus flüchtlingsrechtlich relevanten Motiven in das Gebiet der ursprünglichen
Verfolgung zurückzudrängen (EMARK 1996 Nr. 1 E. 5c S. 6 f.).
Die Frage, ob ihr die Niederlassung am Zufluchtsort aufgrund ungünstiger Lebensbedingungen
zuzumuten ist, ist hingegen allein unter dem Aspekt der Wegweisungshindernisse gemäss Art. 14a
Abs. 4 des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der
Ausländer (ANAG, BS 1 121; heute: Art. 83 Abs. 4 des Ausländergesetzes vom 16. Dezember
2005 [AuG, SR 142.20]) zu prüfen (vgl. EMARK 2005 Nr. 17 E. 6.3 S. 155 und E. 8.3.2
S. 156, EMARK 2000 Nr. 15 E. 14b S. 135, EMARK 1996 Nr. 1 E. 5.d S. 7
ff.).
8.3
In der Literatur wird diese Praxis kritisiert und darauf hingewiesen, sie schränke
die Möglichkeiten der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gemäss der FK in einer
von dieser nicht vorgesehenen und damit völkerrechtswidrigen Art und Weise ein. Den von dieser Praxis
betroffenen Personen würden die von der Flüchtlingskonvention garantierten und
die mit der Asylgewährung verknüpften Rechte des AsylG vorenthalten, indem ihnen nur der Status
der vorläufigen Aufnahme gewährt werde. Ausserdem sei diese Praxis im internationalen
Vergleich ausgesprochen streng und sie bleibe, indem die Frage, ob es der betroffenen Person zuzumuten
sei, sich am Zufluchtsort niederzulassen, nicht unter dem Aspekt der Flüchtlingseigenschaft
geprüft werde, deutlich hinter den in der UNHCR-Richtlinie zum internationalen Schutz
Nr. 4, « Interne Flucht- oder Neuansiedlungsalternative » vom 23. Juli
2003 (nachfolgend: UNHCR-Richtlinien) und in Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April
2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen
oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen
Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Amtsblatt der Europäischen
Union L 304/12 vom 30.09.2004) empfohlenen Standards zurück (vgl. Francesco
Maiani, La définition de réfugié entre Genève, Bruxelles et Berne -
différences, tensions, ressemblances, in: Schweizer Asylrecht, EU-Standards und internationales
Flüchtlingsrecht, Eine Vergleichsstudie, 2009, S. 58 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe
SFH [Hrsg.], Handbuch zum Asyl- und Wegweisungsverfahren, Bern 2009, S. 189 ff.;
vgl. Stöckli, a. a. O., Rz. 11.20; Kathrin
Buchmann, Die Rechtsprechung der Schweizerischen Asylrekurskommission im Jahr 2005,
in: ASYL 2006/02 Ziff. 2.1.5 S. 13 f. und Ziff. 5. S. 21; Susanne
Bolz, Wie EU-kompatibel ist das Schweizer Asylrecht?, in: ASYL 2005/1, Ziff. 3 S. 9 f.;
Ruedi Illes, Asylverfahren und Flüchtlingsbegriff - Europäische
Harmonisierungsbestrebungen aus der Optik des Schweizer Asylrechts betrachtet, in: ASYL 2004/02,
Ziff. 5.4.4 S. 17).
8.4
Die damals zuständige ARK führte zur Begründung der erwähnten,
im Grundsatzurteil EMARK 1996 Nr. 1 präzisierten Praxis aus, bei der Beantwortung der Frage,
ob eine in einem Teilgebiet ihres Heimatstaates verfolgte Person landesintern um wirksamen
Schutz vor ebendieser Verfolgung nachsuchen könne, sei die Intention der staatlichen
Behörden am Zufluchtsort von entscheidender Bedeutung. Am Schutzwillen des Heimatstaates fehle
es nur, wenn diese die betroffene Person auch am Zufluchtsort unmittelbar selber verfolgen oder sie aus
Gründen gemäss Art. 3 AsylG darauf abzielen, sie wiederum in das Gebiet der ursprünglichen
Verfolgung zurückzudrängen. Von einer Verweigerung effizienten Schutzes könne hingegen
nicht gesprochen werden, wenn der Heimatstaat die Person weder unmittelbar noch mittelbar
asylrechtlich relevanten Behelligungen aussetzen wollte. Es fehle auch nicht an staatlichem Schutzwillen,
wenn die in einem Teilgebiet ihres Heimatstaates verfolgte Person am Zufluchtsort ungünstige Lebensbedingungen,
wie beispielsweise einen angespannten Arbeitsmarkt oder kulturelle oder religiöse Integrationserschwernisse,
vorfinde. Hier werde sie in derselben Weise betroffen wie andere Personen in vergleichbaren Lebensverhältnissen,
welche im Gegensatz zu ihr nicht in einem anderen Teil des Landes verfolgt worden seien. Unter
diese Personengruppen mit vergleichbaren Lebensverhältnissen würden einerseits Landsleute
fallen, die seit je am Zufluchtsort gelebt hätten, andererseits aber auch Gewaltflüchtlinge,
welche aufgrund eines Bürgerkrieges oder bürgerkriegsähnlicher Auseinandersetzungen
dorthin gezogen seien. Aus Gründen der Systematik der Asylgesetzgebung - wonach allgemein
ungünstige Lebensbedingungen flüchtlingsrechtlich irrelevant und lediglich unter
dem Aspekt der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzuges zu berücksichtigen seien - und der Rechtsgleichheit
verbiete sich daher eine ungleiche Behandlung dieser Personengruppen (vgl. EMARK 1996 Nr. 1 E. 5.d.cc
S. 9 ff.).
8.5.1
Im Gegensatz zur beschriebenen, noch auf der Zurechenbarkeitstheorie basierenden Praxis
ist gemäss der heute geltenden, auf der Schutztheorie beruhenden Praxis für die Beantwortung
der Frage, ob der in einem anderen Landesteil von Verfolgung betroffenen Person eine innerstaatliche
Flucht- beziehungsweise Schutzalternative zur Verfügung steht, nicht entscheidend, dass sie am Zufluchtsort
nicht weiterhin oder erneut staatlicher Verfolgung ausgesetzt ist. Ausschlaggebend ist vielmehr,
dass am Zufluchtsort adäquater Schutz vor Verfolgung in Anspruch genommen werden kann. Bei der Prüfung
der Frage, ob eine innerstaatliche Schutzalternative besteht, die das internationale Schutzbedürfnis
ausschliesst, ist zunächst zu klären, ob im Heimatstaat eine Schutzinfrastruktur
besteht und der Staat der von Verfolgung betroffenen Person auch Schutz zu gewähren gewillt ist.
Ist der Staat beispielsweise nicht in der Lage, der in einem Landesteil von privater Verfolgung betroffenen
Person zumindest in einem anderen Landesteil adäquaten Schutz zu gewähren, ist ein internationales
Schutzbedürfnis ohne weiteres gegeben und es besteht für sie keine innerstaatliche Alternative
zum internationalen Schutz (vgl. EMARK 2006 Nr. 32 E. 7.4.3.1 und E. 7.4.3.2
S. 350 f.).
8.5.2
Das der Schutztheorie zugrunde liegende Verständnis der FK ist indes nicht allein auf die
Frage fokussiert, ob im Heimatstaat eine funktionierende und effiziente Schutzinfrastruktur zur
Verfügung steht. Sie richtet das Augenmerk darüber hinaus auf die Frage, ob die von Verfolgung
betroffene Person die im Heimatstaat bestehende Schutzinfrastruktur auch tatsächlich
in Anspruch nehmen kann. Besteht eine Schutzinfrastruktur und ist der Staat gewillt, Schutz zu
gewähren, ist deshalb weiter zu prüfen, ob die bestehende Schutzinfrastruktur der von Verfolgung
betroffenen Person zugänglich und ihr deren Inanspruchnahme individuell zuzumuten ist (vgl.
EMARK 2006 Nr. 18 E. 10.3.1 und E. 10.3.2 S. 203). Nicht anders verhält es sich
bei der Prüfung der Frage, ob die von Verfolgung betroffene Person deshalb kein internationales
Schutzbedürfnis hat, weil ihr eine innerstaatliche Schutzalternative zur Verfügung steht. Das
Bestehen einer innerstaatlichen Alternative zum internationalen Schutz kann nur bejaht werden, wenn die
Schutzinfrastruktur am Zufluchtsort der im anderen Landesteil von Verfolgung betroffenen
Person zugänglich ist. Sie muss diese mithin, ohne sich in unzumutbare Gefahren begeben zu
müssen, auf legalem Weg erreichen und sich dort legal aufhalten können (vgl. BVGE 2008/4 E. 6.6.1
S. 47 f.; UNHCR-Richtlinie, a. a. O., Rz. 10-12). Um den am Zufluchtsort
erhältlichen Schutz längerfristig tatsächlich in Anspruch nehmen zu können,
muss es ihr darüber hinaus zuzumuten sein, sich dort niederzulassen und sich eine neue Existenz
aufzubauen. Der Zufluchtsort muss mithin eine realistische und nicht - wie noch unter der Zurechenbarkeitstheorie
(vgl. EMARK 1996 Nr. 1 E. 6 S. 11) - eine bloss hypothetische innerstaatliche (Flucht-
bzw. Schutz-)Alternative zum internationalen Schutz sein. Bei der Prüfung der Frage, ob es der betroffenen
Person zuzumuten ist, sich am Zufluchtsort niederzulassen, um tatsächlich Schutz vor Verfolgung
zu finden, können aber die Gegebenheiten vor Ort und die persönlichen Umstände, die es
ihr allenfalls verunmöglichen, den am alternativen Ort bestehenden Schutz in Anspruch zu nehmen,
nicht ausgeblendet werden. Es sind deshalb die allgemeinen Verhältnisse am Zufluchtsort und die
persönlichen Umstände der von Verfolgung betroffenen Person in Augenschein zu nehmen
(vgl. UNHCR-Richtlinie, a. a. O., Rz. 18-30) und es ist im Rahmen einer individuellen
Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung des länderspezifischen Kontextes
(vgl. BVGE 2008/4 E. 5.2 S. 37 f. und E. 6.6.1 S. 47 f.; EMARK 2006 Nr. 18
E. 10.3.2 S. 203) zu beurteilen, ob der betroffenen Person angesichts der sich für
sie am Zufluchtsort konkret abzeichnenden Lebenssituation realistischerweise zugemutet werden
kann, sich dort niederzulassen und sich eine neue Existenz aufzubauen.
8.5.3
Es versteht sich dabei von selbst, dass allfällige wirtschaftliche Schwierigkeiten, von welchen
die vor Ort ansässige Bevölkerung generell betroffen ist, wie beispielsweise Wohnungsnot
oder ein schwieriger Arbeitsmarkt, die für sich allein zu keiner konkreten Gefährdung
im Sinne von Art. 83 Abs. 4 AuG führen (vgl. EMARK 2005 Nr. 24 E. 10.1 S. 215,
EMARK 2003 Nr. 24 E. 5e S. 159), die Niederlassung und den Aufbau einer neuen Existenz
am Zufluchtsort nicht unzumutbar erschweren. Das Bestehen einer innerstaatlichen Schutzalternative
ist nicht schon deshalb zu verneinen, weil die betroffene Person aufgrund der Verhältnisse
am Zufluchtsort Einbussen in der Lebensqualität oder in den persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten
in Kauf nehmen muss. Andererseits kann der in einem Landesteil von Verfolgung betroffenen Person
das Bestehen einer innerstaatlichen Schutzalternative jedenfalls dann nicht entgegengehalten werden,
wenn ihr die Niederlassung und damit die Inanspruchnahme des Schutzes am Zufluchtsort bereits aus den
in Art. 83 Abs. 4 AuG erwähnten Gründen nicht zuzumuten wäre. Ist die Situation
am Zufluchtsort durch Krieg, Bürgerkrieg oder durch eine Situation allgemeiner Gewalt gekennzeichnet,
oder ist die betroffene Person am Zufluchtsort aus individuellen Gründen einer konkreten Gefahr
ausgesetzt, beispielsweise weil sie die absolut notwendige medizinische Versorgung
nicht erhalten könnte oder wegen der vorherrschenden Verhältnisse mit grosser
Wahrscheinlichkeit unwiederbringlich in völlige Armut gestossen würde, dem Hunger und
somit einer ernsthaften Verschlechterung ihres Gesundheitszustands, der Invalidität
oder sogar dem Tod ausgeliefert wäre (vgl. BVGE 2009/52 E. 10.1 S. 756 f., BVGE 2009/51
E. 5.5 S. 748), so besteht dort keine realistische innerstaatliche Alternative zum internationalen
Schutz.
8.6
Zusammenfassend ergibt sich, dass im Lichte der Schutztheorie die Annahme einer innerstaatlichen
Schutzalternative bedingt, dass am Zufluchtsort eine funktionierende und effiziente Schutzinfrastruktur
besteht und der Staat gewillt ist, der in einem anderen Landesteil von Verfolgung betroffenen Person
am Zufluchtsort Schutz zu gewähren. Die betroffene Person muss darüber hinaus den Zufluchtsort
ohne unzumutbare Gefahren auf legalem Weg erreichen und sich dort legal aufhalten können.
Schliesslich muss es ihr individuell zuzumuten sein, den am Zufluchtsort erhältlichen Schutz längerfristig
in Anspruch nehmen zu können. Dabei sind die allgemeinen Verhältnisse am Zufluchtsort und die
persönlichen Umstände der betroffenen Person zu beachten und es ist unter Berücksichtigung
des länderspezifischen Kontextes im Rahmen einer individuellen Einzelfallprüfung zu beurteilen,
ob ihr angesichts der sich konkret abzeichnenden Lebenssituation am Zufluchtsort realistischerweise
zugemutet werden kann, sich dort niederzulassen und sich eine neue Existenz aufzubauen.
8.7
Festzuhalten bleibt, dass an der in EMARK 1996 Nr. 1 unter der damals noch geltenden Zurechenbarkeitstheorie
begründeten Rechtsprechung, wonach die Frage, ob der in einem Landesteil von Verfolgung
betroffenen Person die Niederlassung am Zufluchtsort aufgrund ungünstiger Lebensbedingungen
zuzumuten ist, allein unter dem Aspekt von Art. 83 Abs. 4 AuG zu prüfen ist, in Anbetracht
der heute geltenden Praxis, welche auf dem der Schutztheorie zugrunde liegenden Verständnis
der FK beruht, nicht festzuhalten ist.
9.1
Hinsichtlich der Frage, ob dem Beschwerdeführer in den drei nordirakischen Provinzen Dohuk,
Erbil und Suleimaniya eine die Flüchtlingseigenschaft ausschliessende innerstaatliche Schutzalternative
zur Verfügung steht, gilt es zu beachten, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass im Norden
- trotz der besseren Sicherheitslage als im Zentral- und Südirak - jedermann Zuflucht
finden kann. Aus Furcht vor terroristischen Aktivitäten wird der Zugang von Nicht-Kurden in die
Nordprovinzen in Bezug auf Einreise und Niederlassung streng kontrolliert. Für die drei Provinzen
bestehen dabei je unterschiedliche Regelungen: Während die Einreise in die Provinz Suleimaniya
ohne Restriktionen möglich ist, bedarf es in Erbil einer Gewährsperson. Diese gibt
ihre Identität und Adresse an und informiert die kurdischen Behörden im Rahmen einer
Befragung über allfällige sicherheitsrelevante Umstände. Die Gewährsperson
kann eine natürliche oder juristische Person sein, sollte ihrerseits in der entsprechenden Provinz
registriert sein und über einen guten Leumund verfügen. In Dohuk schliesslich wird nur bei
alleinstehenden Männern eine Gewährsperson im beschriebenen Sinne verlangt. In allen drei Provinzen
- in Dohuk allerdings nur bei alleinstehenden Männern - braucht es für
eine definitive Niederlassung ebenfalls grundsätzlich eine Gewährsperson. Die Behörden
prüfen im Rahmen der Registrierung allfällige Sicherheitsrisiken, die von der intern
vertriebenen Person ausgehen, und den Grund der Vertreibung. Personen ohne Gewährsperson wird
die Niederlassung in der Regel verweigert. Insbesondere in Suleimaniya sind gewisse Berufsgruppen
allerdings von dieser Pflicht ausgenommen. In der Praxis wurde sodann auch auf eine Gewährsperson
verzichtet, wenn Abklärungen ergaben, dass die intern vertriebene Person kein Sicherheitsrisiko
darstellt und an ihrem Herkunftsort gefährdet war (vgl. BVGE 2008/4 E. 6.6.1 S. 47 f.).
9.2
Die Beschwerdeführenden sind arabischer Ethnie und haben - soweit den Akten zu entnehmen
ist - im Nordirak weder ein verwandtschaftliches noch ein anderweitiges Beziehungsnetz. Unter
dem Aspekt der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs gemäss Art. 83 Abs. 4 AuG ist gemäss
Rechtsprechung eine erfolgreiche Ansiedlung in den nordirakischen Provinzen Dohuk, Suleimaniya
und Erbil insbesondere für Nichtkurden und für Familien mit Kindern, die dort über kein
bestehendes soziales Netz verfügen, nicht möglich (vgl. BVGE 2008/5 E. 7.5 und insbes.
E. 7.5.8 S. 65 ff.). Selbst wenn die Beschwerdeführenden - was fraglich ist
- eine Einreise- beziehungsweise Niederlassungsbewilligung für den Nordirak erhalten
könnten, muss davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund der wirtschaftlichen
und sozialen Situation im Nordirak nicht in der Lage wäre, dort für sich und seine Familie
aus eigener Kraft eine Existenzgrundlage aufzubauen. Der Zustrom von irakischen Arabern in den Nordirak
löst bei der dort ansässigen kurdischen Bevölkerung gemischte Gefühle
aus und nährt die alten kurdisch-arabischen Spannungen. Araber werden zum Teil als mögliche
Agenten der irakischen aufständischen Gruppen oder als ehemalige Baathisten betrachtet, womit
für sie ein zusätzliches Gefährdungsrisiko besteht (vgl. BVGE 2008/4 E. 6.6.1
S. 47 f.). Es wäre mithin absehbar, dass der Beschwerdeführer sich faktisch gezwungen
sähe, über kurz oder lang in den Zentralirak beziehungsweise nach Bagdad zurückzukehren,
wo er vor der ihm drohenden Verfolgung keinen hinreichenden Schutz finden kann. Unter diesen Umständen
kann das Bestehen einer innerstaatlichen Schutzalternative für den Beschwerdeführer im
Nordirak nicht bejaht werden.