Urteilskopf
2009/3
Auszug aus dem Urteil der Abteilung V i. S. A. gegen Bundesamt für Migration E-3246/2006
vom 8. Januar 2009
Regeste Deutsch
Asylwiderruf. Echte und unechte Rückwirkung.
Voraussetzungen für die ausnahmsweise Zulässigkeit der echten Rückwirkung. Art. 41
aAsylG. Art. 63 Abs. 2 und Art. 121 Abs. 1 AsylG. 1. Unterschiedliche Regelung der Voraussetzungen
des Asylwiderrufs nach altem Recht (aAsylG vom 5. Oktober 1979 in der Fassung vom 22. Juni 1990) und
nach aktuell geltendem AsylG. Begehung einer besonders verwerflichen strafbaren Handlung als einer der
neuen Widerrufsgründe (E. 3.1). 2. Unter einer Rückwirkung versteht man die Anwendung
neuen Rechts auf Sachverhalte, die sich noch unter altem Recht zugetragen haben, wobei zwischen echter
und unechter Rückwirkung unterschieden wird. Die echte Rückwirkung liegt vor, wenn neues Recht
auf einen Sachverhalt angewendet wird, der sich abschliessend vor Inkrafttreten dieses Rechts verwirklicht
hat. Die unechte Rückwirkung bezeichnet dagegen das Anknüpfen neuer Rechtsnormen an einen in
der Vergangenheit eingetretenen, jedoch in die Gegenwart fortdauernden Sachverhalt (E. 3.2). 3.
Eine echte belastende Rückwirkung kann dann zulässig sein, wenn sie in einem Gesetz eindeutig
vorgesehen oder nach dem Sinn des Erlasses eindeutig gewollt ist, durch triftige Gründe (öffentliches
Interesse) geboten ist, in zeitlicher Hinsicht mässig bleibt und keine stossenden Rechtsungleichheiten
schafft (E. 3.3 und 3.4). 4. Ein Asylwiderruf wegen einer vor Inkrafttreten des neuen AsylG begangenen
besonders verwerflichen strafbaren Handlung ist mangels einschlägiger übergangsrechtlicher
Bestimmungen unzulässig (E. 3). 5. 6.
Regeste en français
Révocation de l'asile. Rétroactivité
proprement dite et improprement dite. Conditions pour admettre exceptionnellement une rétroactivité
proprement dite. Art. 41 aLAsi. Art. 63 al. 2 et art. 121 al. 1 LAsi. 1. Conditions différentes
de révocation de l'asile selon l'ancien droit (aLAsi du 5 octobre 1979 dans la version du 22 juin
1990) et selon la LAsi en vigueur. Commission d'un acte délictueux particulièrement répréhensible
(nouveau motif de révocation) (consid. 3.1). 2. Par rétroactivité, il faut entendre
l'application du nouveau droit à des faits intervenus pendant la validité de l'ancien droit;
il est distingué entre la rétroactivité proprement dite et la rétroactivité
improprement dite. Il y a rétroactivité proprement dite lorsque le nouveau droit est appliqué
à une situation de fait ayant pris fin avant son entrée en vigueur. La rétroactivité
impropre rattache en revanche les nouvelles normes à une situation de fait intervenue dans le passé,
mais qui perdure dans le présent (consid. 3.2). 3. La rétroactivité proprement dite
en défaveur de l'intéressé peut être admise si elle est expressément prévue
dans une loi ou manifestement voulue eu égard au sens de la norme, qu'elle est justifiée par
des motifs pertinents (intérêt public), qu'elle est d'une portée temporelle raisonnable
et ne provoque pas d'inégalités choquantes (consid. 3.3 et 3.4). 4. Faute de disposition
transitoire en ce sens, la révocation de l'asile en raison d'un acte délictueux particulièrement
répréhensible commis avant l'entrée en vigueur de la nouvelle LAsi est interdite (consid.
3).
Regesto in italiano
Revoca dell'asilo. Retroattività propriamente
detta ed impropriamente detta. Condizioni di ammissibilità in via eccezionale della retroattività
propriamente detta. Art. 41 vLAsi. Art. 63 cpv. 2 e art. 121 cpv. 1 LAsi. 1. Differente regolamentazione
delle condizioni di revoca dell'asilo secondo il vecchio diritto (vLAsi del 5 ottobre 1979 nella versione
del 22 giugno 1990) e secondo la LAsi in vigore. La commissione di reati particolarmente riprensibili
quale uno dei nuovi motivi di revoca dell'asilo (consid. 3.1). 2. La nozione di retroattività
indica l'applicazione del nuovo diritto a dei fatti che si sono svolti sotto il diritto previgente. In
tale ambito si distingue tra la retroattività propriamente detta ed impropriamente detta. Trattasi
di retroattività propriamente detta quando il nuovo diritto è applicato a dei fatti che si
sono svolti e conclusi prima dell'entrata in vigore di tale diritto. La retroattività impropriamente
detta invece implica l'applicazione di nuove norme giuridiche ad una fattispecie che si è verificata
nel passato, ma che persiste nel presente (consid. 3.2). 3. La retroattività propriamente detta,
a svantaggio dell'interessato, può essere ammessa se essa è espressamente prevista dalla legge,
o se risulta chiaramente deducibile dal senso della stessa, se è giustificata da motivi obiettivamente
fondati (interesse pubblico), se è di durata limitata nel tempo e se non causa disparità di
trattamento (consid. 3.3 e 3.4). 4. La revoca dell'asilo a causa di un reato particolarmente riprensibile
commesso prima dell'entrata in vigore della nuova LAsi è inammissibile senza una disposizione transitoria
in tal senso (consid. 3).
Sachverhalt
Mit Verfügung vom 19. Dezember 1996 hiess das damalige Bundesamt für Flüchtlinge (BFF;
seit 1. Januar 2005: Bundesamt für Migration) das Asylgesuch des Beschwerdeführers vom 3. August
1995 gut. Der Beschwerdeführer wurde als Flüchtling anerkannt und es wurde ihm in der Schweiz
Asyl gewährt. Im Januar 1998 wurde der Beschwerdeführer in Frankreich verhaftet und verbüsste
dort eine mehrjährige Haftstrafe wegen Erpressung und Bedrohung im Zusammenhang mit dem Vorwurf
terroristischer Aktivitäten der PKK. Das BFF stimmte im Juni 2000 einem Rückübernahmeersuchen
der französischen Behörden zu. Der Beschwerdeführer wurde daraufhin den schweizerischen
Behörden übergeben. Mit Schreiben vom 12. Juni 2003 wurde dem Beschwerdeführer vom
BFF eröffnet, dass man beabsichtige, aufgrund seiner Verurteilung in Frankreich sein Asyl gemäss
Art. 63 Abs. 2 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 (AsylG, SR 142.31) zu widerrufen. Gleichzeitig wurde
ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme geboten. Mit Schreiben vom 19. Juni 2003 reichte der
Beschwerdeführer mittels seines Rechtsvertreters eine entsprechende Stellungnahme ein, worin er
im Wesentlichen festhielt, dass er seine Straftaten in Frankreich zu einem Zeitpunkt verübt habe,
wo das schweizerische Asylrecht noch keine Bestimmung im Sinne des heutigen Art. 63 Abs. 2 AsylG gekannt
habe. Es handle sich somit um eine unzulässige Rückwirkung. Zudem erscheine der Asylwiderruf
angesichts des Zeitablaufs als unverhältnismässige Massnahme. Mit Schreiben vom 30. September
2003 hielt das BFF fest, dass der Beschwerdeführer am 30. März 2000 letztinstanzlich verurteilt
worden sei, was nach Inkrafttreten von Art. 63 Abs. 2 AsylG gewesen sei. Mit Verfügung vom
29. Januar 2004 wurde das Asyl des Beschwerdeführers vom BFF widerrufen. Das BFF begründete
seinen Entscheid im Wesentlichen damit, dass sich der Beschwerdeführer in Frankreich einer besonders
verwerflichen Straftat im Sinne von Art. 63 Abs. 2 AsylG schuldig gemacht habe. Bezüglich der Rückwirkung
sei festzuhalten, dass Art. 63 Abs. 2 AsylG zur Schliessung einer Gesetzeslücke eingeführt
worden sei und sich die Übergangsbestimmungen von Art. 121 AsylG nicht auf das Widerrufsverfahren
beziehen würden. Der Asylwiderruf sei zudem verhältnismässig, zumal die Straftaten nach
dem abstrakten Verjährungsbegriff zum heutigen Zeitpunkt nicht verjährt seien. Mit Eingabe
vom 5. März 2004 reichte der Beschwerdeführer über seinen Rechtsvertreter Beschwerde bei
der damals zuständigen Schweizerischen Asylrekurskommission (ARK) ein. In seiner Vernehmlassung
vom 24. März 2004 hielt das BFF an seinem bisherigen Standpunkt fest und beantragte die Abweisung
der Beschwerde. Mit Schreiben vom 14. April 2004 reichte der Beschwerdeführer seine Replik
zur vorinstanzlichen Vernehmlassung ein. Das Bundesverwaltungsgericht heisst die Beschwerde gut
und hebt die angefochtene Verfügung auf. Das dem Beschwerdeführer gewährte Asyl bleibt
in Kraft.
Aus den Erwägungen:
3. Der Beschwerdeführer rügte, dass sich das BFF in seiner Verfügung vom 29.
Januar 2004 auf das seit dem 1. Oktober 1999 in Kraft getretene neue Asylgesetz gestützt habe, welches
für das vorliegende Verfahren betreffend Asylwiderruf jedoch nicht massgebend sei. Somit handle
es sich um eine unzulässige Rückwirkung.
3.1 Es gilt somit vorab zu klären, inwiefern massgebende Unterschiede zwischen dem alten
und dem neuen Asylgesetz bezüglich des Asylwiderrufs bestehen. Im aAsylG - AsylG vom 5. Oktober
1979 in der Fassung vom 22. Juni 1990 (AS 1980 1718), welches am 1. Oktober 1999 durch das revidierte
Asylgesetz abgelöst wurde (vgl. Art. 120 Bst. a AsylG) - war ein Asylwiderruf lediglich möglich,
sofern die betroffene Person das Asyl erschlichen hatte oder aus Gründen nach Art. 1 Bst. C Ziff.
1-6 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK, SR 0.142.30)
(vgl. Art. 41 aAsylG). Gemäss dem heutigen Asylgesetz - am 1. Oktober 1999 in Kraft getreten
- kann das Bundesamt das Asyl zusätzlich widerrufen, sofern die betroffene Person die innere oder
äussere Sicherheit der Schweiz verletzt, gefährdet oder besonders verwerfliche strafbare Handlungen
begangen hat (vgl. Art. 63 Abs. 2 AsylG). Mit dieser neu aufgenommenen Bestimmung sollte ausdrücklich
eine Lücke geschlossen werden, wie der Bundesrat in der Botschaft zur Asylgesetzrevision festhält
(vgl. Botschaft zur Totalrevision des Asylgesetzes sowie zur Änderung des Bundesgesetzes über
Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 4. Dezember 1995, BBl 1996 II 76 f.). Der vom
BFF angeordnete Asylwiderruf stützt sich exakt auf den Tatbestand von Art. 63 Abs. 2 AsylG, welcher
im alten Asylgesetz noch nicht existierte.
3.2 Es ist daher in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die Anwendung des neuen Rechtes
eine unzulässige Rückwirkung darstellt. Unter einer Rückwirkung versteht man die
Anwendung neuen Rechts auf Sachverhalte, die sich noch unter altem Recht zugetragen haben, wobei zwischen
echter und unechter Rückwirkung unterschieden wird. Die echte Rückwirkung liegt vor, wenn
neues Recht auf einen Sachverhalt angewendet wird, der sich abschliessend vor Inkrafttreten dieses Rechts
verwirklicht hat. Die echte Rückwirkung läuft darauf hinaus, einen Sachverhalt hinterher neuen
Regeln zu unterstellen. Es ist vom Grundsatz auszugehen, dass die echte Rückwirkung unzulässig
ist. Niemandem sollen Verpflichtungen auferlegt werden, die sich aus Normen ergeben, welche ihm zum Zeitpunkt,
als sich der Sachverhalt verwirklichte, nicht bekannt sein konnten, mit denen er also nicht rechnen konnte
oder musste. Die echte Rückwirkung widerspricht dem Grundsatz der Rechtssicherheit, der sich aus
dem in Art. 5 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV, SR 101)
verankerten Rechtsstaatsprinzip ergibt. Die echte belastende Rückwirkung ist daher einzig unter
engen und kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen ausnahmsweise zulässig (vgl. Fritz Gygi,
Verwaltungsrecht, Bern 1986, S. 111; Ulrich Häfelin/Georg Müller/Felix Uhlmann, Allgemeines
Verwaltungsrecht, 5. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2006, Rz. 330; Pierre Tschannen/Ulrich Zimmerli, Allgemeines
Verwaltungsrecht, 2. Aufl., Bern 2005, § 24 Rz. 22-26). Die unechte Rückwirkung meint
dagegen das Anknüpfen neuer Rechtsnormen an einen in der Vergangenheit eingetretenen, jedoch in
die Gegenwart fortdauernden Sachverhalt. Die Anliegen der Rechtssicherheit werden weit weniger berührt
als bei der echten Rückwirkung. Dementsprechend ist sie grundsätzlich zulässig (vgl. Tschannen/Zimmerli,
a. a. O., § 24 Rz. 29). Im vorliegenden Fall ist der Anknüpfungspunkt - der schliesslich
zum Asylwiderruf geführt hat - die vom Beschwerdeführer im Jahre 1998 begangene Straftat in
Frankreich. Nicht zu überzeugen vermag die vom BFF in seinem Schreiben vom 30. September 2003 vertretene
Ansicht, massgebender Anknüpfungspunkt sei das Datum der letztinstanzlichen Verurteilung in Frankreich
vom 30. März 2000. Die vorliegend interessierende Gesetzesbestimmung von Art. 63 Abs. 2 AsylG nimmt
mit dem Tatbestandsmerkmal, dass eine « besonders verwerfliche strafbare Handlung begangen »
worden sei, deutlich auf den Zeitpunkt der Begehung der verpönten Straftat Bezug; hingegen kann
nicht massgebend sein, ob ein Strafverfahren länger oder kürzer gedauert habe (vgl. ebenso
in einer mit dem vorliegenden Verfahren vergleichbaren Konstellation, auf die der Beschwerdeführer
in seiner Eingabe vom 14. April 2004 hinweist, nicht publiziertes Urteil der ARK vom 13. November 2006
i. S. C.D., N [...], E. 4.4 S. 16 ff.). Somit hat sich der hier zur Diskussion stehende Sachverhalt abschliessend
vor Inkrafttreten des neu revidierten Asylgesetzes im Jahre 1999 zugetragen. Die Anwendung des neuen
Asylgesetzes und der damit verbundene Asylwiderruf wirkt sich zudem negativ auf die bisher privilegierte
Rechtstellung des Beschwerdeführers aus. Es liegt deshalb ein Fall der echten belastenden Rückwirkung
vor.
3.3 Es gilt nun zu prüfen, ob allfällige Übergangsbestimmungen die Anwendung
der neuen Gesetzesbestimmungen auf zurückliegende Verfahren zulassen. Die entsprechenden Übergangsbestimmungen
des am 1. Oktober 1999 in Kraft getretenen Asylgesetzes sind in Art. 121 AsylG geregelt. Nebst vorliegend
nicht einschlägigen Übergangsbestimmungen (Art. 121 Abs. 2-5 AsylG) findet sich Art. 121 Abs.
1 AsylG, welcher besagt, dass das neue Recht für die im Zeitpunkt des Inkrafttretens noch hängigen
Verfahren gelte. Das Asylverfahren des Beschwerdeführers wurde jedoch mit Verfügung des BFF
vom 19. Dezember 1996 - Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylgewährung in der Schweiz
- abgeschlossen. Wie in der Beschwerdeschrift vom 5. März 2004 richtigerweise festgehalten wurde,
befand sich der Beschwerdeführer daher zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Asylgesetzes in
keinem hängigen Asylverfahren mehr, womit eine Anwendung von Art. 121 AsylG ausgeschlossen ist.
Ebensowenig war zum damaligen Zeitpunkt ein Asylwiderrufsverfahren hängig. Die vom BFF vertretene
Ansicht, wonach Art. 121 AsylG nur auf Asyl-, und nicht auf Widerrufsverfahren anwendbar sei, entbehrt
einer Verankerung in den gesetzlichen Bestimmungen und vermag nicht zu überzeugen. Vielmehr hat
der Gesetzgeber mit der am 1. Oktober 1999 in Kraft getretenen Gesetzesrevision zwar einen neuen Asylwiderrufsgrund
statuiert und damit eine in der bisherigen Gesetzgebung festgestellte Lücke geschlossen (vgl. E.
3.1), gleichzeitig indessen keine übergangsrechtlichen, auf eine allfällige Rückwirkung
bezogene Anordnungen getroffen; weder aus den ausdrücklichen Übergangsbestimmungen in Art.
121 AsylG noch aus den Materialien zur Gesetzesrevision ist ein entsprechender Wille des Gesetzgebers
ersichtlich (vgl. auch hierzu das bereits zitierte unveröffentlichte Urteil der ARK vom 13. November
2006 i. S. C.D., N [...], E. 5.2 S. 20 ff.).
3.4 Daraus ergibt sich, dass die restriktiven Voraussetzungen, welche eine echte Rückwirkung
ausnahmsweise als zulässig erscheinen lassen, nicht erfüllt sind. Gemäss herrschender
Lehre und Rechtsprechung kann eine echte belastende Rückwirkung dann zulässig sein, wenn sie
in einem Gesetz eindeutig vorgesehen oder nach dem Sinn des Erlasses eindeutig gewollt ist, durch triftige
Gründe (öffentliches Interesse) geboten ist, in zeitlicher Hinsicht mässig bleibt und
keine stossenden Rechtsungleichheiten schafft (vgl., mit Hinweisen auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung,
Häfelin/Müller/Uhlmann, a. a. O., Rz. 331; Tschannen/Zimmerli, a. a. O., § 24 Rz. 27;
zur Rechtsprechung der ARK vgl. Entscheidungen und Mitteilungen der ARK EMARK
2000 Nr. 8, EMARK 2005
Nr. 15). Die erwähnten Voraussetzungen sind jedoch in diesem Fall nicht kumulativ erfüllt.
Wie oben festgehalten, fehlt es an einer gesetzlichen Übergangsbestimmung, die eine Rückwirkung
vorsähe, und ein entsprechender Wille des Gesetzgebers geht auch aus den Materialien nicht hervor.
Sodann ist kein eindeutiges öffentliches Interesse am nachträglich angeordneten Asylwiderruf
erkennbar. Wie in der Beschwerdeschrift vorgetragen, hat der angeordnete Asylwiderruf hier eine zusätzliche,
rein pönale Funktion. Der Beschwerdeführer würde auch nach dem Asylwiderruf weiterhin
als Flüchtling gelten und in der Schweiz vorläufig aufgenommen bleiben, womit einem allfälligen
öffentlichen Interesse - dass Straftäter von der Schweiz ferngehalten werden - jedenfalls nicht
Rechnung getragen würde. Der angeordnete Asylwiderruf basierend auf Art. 63 Abs. 2 AsylG stellt
daher im vorliegenden Fall eine unzulässige Rückwirkung dar.
4. Bei einer (rückwirkenden) Anwendung von Art. 63 Abs. 2 AsylG, wie sie das BFF im vorliegenden
Verfahren bejaht und vorgenommen hat, wären sodann die Fragen zu prüfen gewesen, ob die begangene
strafbare Handlung als « besonders verwerflich » eingestuft werden müsse und ob ein Asylwiderruf
sich als verhältnismässig darstelle. Auf diese Prüfung kann vorliegend verzichtet werden,
nachdem nach dem oben Gesagten eine Anwendung von Art. 63 Abs. 2 AsylG schon aufgrund des Verbots der
Rückwirkung ausgeschlossen ist. Immerhin sei aber festgehalten, dass sich für eine Prüfung
sowohl der besonderen Verwerflichkeit der begangenen Tat als auch der Verhältnismässigkeit
eines Asylwiderrufs der Sachverhalt im vorliegenden Verfahren als nicht genügend erstellt präsentieren
würde, liegen doch aus dem gegen den Beschwerdeführer in Frankreich geführten Strafverfahren
keinerlei Akten, nicht einmal die Urteilsschrift, vor, die indessen - entgegen der vom BFF in seiner
Vernehmlassung vertretenen Auffassung, der Beizug dieser Strafakten erübrige sich - zur Beurteilung
unabdingbar gewesen wären.
5. Die Beschwerde vom 5. März 2004 ist demnach gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid
des BFF vom 29. Januar 2004 ist aufzuheben und dem Beschwerdeführer ist weiterhin Asyl in der Schweiz
zu gewähren.
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Wichtiger Hinweis: Die Liste der vorgeschlagenen Entscheide wird automatisch, ohne jegliche intellektuelle Bearbeitung, generiert. |
beschwerdeführer
rückwirkung
sachverhalt
asylgesetz
frankreich
inkrafttreten
schweiz
verfahren
strafbare handlung
unechte rückwirkung
norm
öffentliches interesse
gesetz
entscheid
verhältnismässigkeit
bundesamt für migration
flüchtling
widerruf
übergangsrecht
beschwerdeschrift |
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