Urteilskopf

2008/51

Auszug aus dem Urteil der Abteilung I i. S. X. GmbH gegen Eidgenössische Steuerverwaltung
A-1568/2006 vom 2. September 2008


Regeste Deutsch

Verrechnungssteuer. Anfechtbarkeit einer Vereinbarung zwischen der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) und Steuerpflichtigem (sog. « Ruling »).
Art. 42 Abs. 1 und 2 VStG. Art. 33b VwVG.
1. Gegenstand und Zulässigkeit von Vereinbarungen zwischen Steuerbehörde und Steuerpflichtigen (E. 2.3).
2. Rechtsnatur und prozessuale Wirkungen einer solchen Vereinbarung (E. 2.4). Unter der Annahme, eine solche sei als verwaltungsrechtlicher Vertrag zu qualifizieren, wäre die Vereinbarung inhaltlich verbindlich und die Anfechtung nur beschränkt (z. B. bei Geltendmachung von Willensmängeln) möglich. Wenn die ESTV jedoch trotz des Vergleichs noch einen Entscheid trifft, darf sie der Steuerpflichtigen, die dagegen Einsprache führt, nicht die Einsprachelegitimation absprechen (E. 2.4.2). Wäre bei einem « Ruling » demgegenüber von einer blossen Vereinbarung über verfahrensrechtliche Rechte und Pflichten auszugehen, die nur Grundlage für den Erlass einer Verfügung bildete, wäre die Anfechtung ohne Weiteres zulässig (siehe auch Art. 33b VwVG) (E. 2.4.3). Im vorliegenden Fall hat die ESTV zu Unrecht erkannt, der Steuerpflichtigen fehle angesichts der geschlossenen Vereinbarung das Rechtsschutzinteresse zur Einsprache (E. 2.2, 2.5).

Regeste en français

Impôt anticipé. Caractère attaquable d'un accord entre l'Administration fédérale des contributions (AFC) et un contribuable (« ruling »).
Art. 42 al. 1 et 2 LIA. Art. 33b PA.
1. Objet et licéité des accords entre autorités fiscales et contribuables (consid. 2.3).
2. Nature juridique et effets sur le plan de la procédure d'un tel accord (consid. 2.4). S'il devait être qualifié de contrat de droit administratif, cet accord serait contraignant dans sa teneur et les possibilités de le contester seraient limitées (par ex. pour vices du consentement). Quoi qu'il en soit, lorsque l'AFC rend au surplus une décision, nonobstant l'accord en question, elle ne peut pas nier la qualité pour recourir au contribuable qui forme réclamation contre cette décision (consid. 2.4.2). D'un autre côté, si l'on considérait un « ruling » comme un simple accord sur les droits et obligations de procédure, qui sert uniquement de base au prononcé d'une décision, il serait sans autre possible de le contester (voir aussi art. 33b PA) (consid. 2.4.3). Dans le présent cas, l'AFC a jugé à tort qu'en raison de l'accord conclu, il manquait au contribuable un intérêt digne de protection pour former réclamation (consid. 2.2, 2.5).

Regesto in italiano

Imposta preventiva. Impugnabilità di un accordo tra l'Amministrazione federale delle contribuzioni (AFC) e un contribuente (cosiddetto « ruling »).
Art. 42 cpv. 1 e 2 LIP. Art. 33b PA.
1. Oggetto e liceità di accordi tra autorità fiscali e contribuenti (consid. 2.3).
2. Natura giuridica ed effetti procedurali di un tale accordo (consid. 2.4). Se un tale accordo fosse qualificabile quale contratto di diritto amministrativo, il suo contenuto sarebbe vincolante e la sua impugnazione sarebbe possibile solo in modo limitato (p. es. in caso di vizio di volontà). Tuttavia, dal momento in cui, malgrado l'accordo, viene emanata anche una decisione, l'AFC non può negare la legittimazione ai contribuenti che impugnano detta decisione con reclamo (consid. 2.4.2). Se, d'altra parte, un « ruling » dovesse rappresentare un semplice accordo relativo a diritti ed obblighi procedurali, costituenti unicamente la base per l'emanazione di una decisione, la sua impugnazione sarebbe senz'altro ammissibile (vedasi anche art. 33b PA) (consid. 2.4.3). Nella fattispecie, tenuto conto dell'accordo concluso, l'AFC ha ritenuto erroneamente che al contribuente mancasse l'interesse degno di protezione per il reclamo (consid. 2.2, 2.5).

Sachverhalt

Im Anschluss an bei der Gesellschaft X. durchgeführten Buchprüfungen teilte die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) dieser mit, verschiedene Vorgänge würden als der Verrechnungssteuer unterliegende geldwerte Leistungen der X. qualifiziert. Diese steuerbaren Leistungen wurden mangels Beibringung von Unterlagen durch die X. von der ESTV zunächst ermessensweise ermittelt und in Rechnung gestellt. Ein förmlicher Entscheid erging nicht.
Schliesslich übermittelte die X. im Hinblick auf eine Abzahlungsvereinbarung mit der ESTV die « Eckdaten » betreffend die steuerbaren Leistungen. Daraufhin « bestätigte » die ESTV einen Abzahlungsplan. Zu diesem Abzahlungsplan erteilte der Vertreter der X. GmbH sein Einverständnis.
Nachdem die X. GmbH einen Teil der Forderung der ESTV überwiesen hatte, setzte Letztere den Restbetrag in Betreibung. Mit förmlichem Entscheid vom 7. November 2005 hielt die ESTV fest, nach Anrechnung der erfolgten Ratenzahlungen schulde die X. der ESTV den Verrechnungssteuerbetrag von Fr. (...), die Betreibungskosten sowie Zinsen. Weiter wurde der von der X. erhobene Rechtsvorschlag beseitigt.
Mit Einsprache vom 6. Dezember 2005 wurde beantragt, der Entscheid sei aufzuheben, es sei festzustellen, die von der ESTV geltend gemachte Forderung bestehe nicht zu Recht und die angehobene Betreibung sei einzustellen. Auf diese Einsprache trat die ESTV mit Einspracheentscheid vom 21. Februar 2006 nicht ein. Zur Begründung hielt die ESTV im Wesentlichen fest, vorliegend sei ein verwaltungsrechtlicher Vertrag zustande gekommen, wonach eine Steuer von total Fr. (...) zuzüglich Verzugszins geschuldet sei. Sollte ein Rückstand in der Ratenzahlung eintreten, würde der Restbetrag sofort fällig. Beruhe ein Entscheid auf einer rechtsgültig zustande gekommenen Vereinbarung, fehle eine formelle Beschwer zur Anfechtung des Entscheides, dies mit Ausnahme der Anfechtung wegen Willensmängeln. Solche lägen nicht vor und würden nicht geltend gemacht.
Gegen diesen Entscheid erhebt die X. (Beschwerdeführerin) am 22. März 2006 Beschwerde.
Das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) heisst die Beschwerde gut, soweit darauf eingetreten wird, hebt den Einspracheentscheid der ESTV auf und weist die Sache zur Fällung eines neuen Einspracheentscheids an die ESTV zurück.


Aus den Erwägungen:

2.

2.1 Nach Art. 42 Abs. 1 und 2 des Bundesgesetzes vom 13. Oktober 1965 über die Verrechnungssteuer (VStG, SR 642.21) können Verfügungen und Entscheide der ESTV innert 30 Tagen nach der Eröffnung mit Einsprache angefochten werden. Diese ist schriftlich bei der ESTV einzureichen, hat einen bestimmten Antrag zu enthalten und die zu seiner Begründung dienenden Tatsachen anzugeben. Weitere formelle Voraussetzungen zur Einspracheerhebung nennt das VStG nicht ausdrücklich. Als weitere Voraussetzung anerkannt ist indessen, dass die Einsprache erhebende Person hiezu legitimiert sein muss. Dies bedeutet, dass Einsprache nur erheben kann, wer partei- und prozessfähig sowie durch den angefochtenen Entscheid beschwert ist, also mit anderen Worten über ein Rechtsschutzinteresse verfügt (vgl. [bezogen auf die Beschwerde] Entscheid der Eidgenössischen Steuerrekurskommission [SRK] vom 10. Februar 2006, veröffentlicht in Verwaltungspraxis der Bundesbehörden 70.61 E. 1b mit Hinweisen; [bezogen auf die Einsprache bei den direkten Steuern] MARTIN ZWEIFEL/HUGO CASANOVA, Schweizerisches Steuerverfahrensrecht Direkte Steuern, Zürich/Basel/Genf 2008, § 20 N. 7).

2.2 Die ESTV hält in ihrem auf Nichteintreten lautenden Einspracheentscheid vom 21. Februar 2006 dafür, es habe der X. GmbH an einem Rechtsschutzinteresse und damit an der Legitimation zur Einspracheerhebung gefehlt. Beruhe nämlich ein Entscheid auf einer rechtsgültig zustande gekommenen Vereinbarung, so liege eine formelle Beschwer nur vor, wenn der Vergleich wegen Willensmängeln angefochten werde. Vorliegend sei mit der Abzahlungsvereinbarung vom 29. Oktober/27. November 2002 zulässigerweise eine solche Vereinbarung « über tatsächliche Unklarheiten und Unstimmigkeiten bei der Steuererhebung abgeschlossen » und « umstrittene Steuerfaktoren festgesetzt » worden. Da - zu Recht - keine Willensmängel geltend gemacht würden, sei dieser rechtsgültig zustande gekommene verwaltungsrechtliche Vertrag damit einzuhalten.

2.3

2.3.1 Die in der Praxis gemeinhin als Rulings bezeichneten Verständigungen zwischen Steuerpflichtigen und Steuerbehörden über bestimmte Elemente des steuerrechtlich relevanten Sachverhalts sind aus dem steuerrechtlichen Alltag nicht wegzudenken (vgl. Botschaft zum neuen MWSTG, BBl 2008 6995) und auch volkswirtschaftlich von nicht zu unterschätzender Bedeutung (vgl. etwa PETER EISENRING, Vorgängige Auskünfte von Steuerbehörden in der Schweiz, Archiv für Schweizerisches Abgaberecht [ASA] 68 S. 99; PETER NOBEL/ROBERT WALDBURGER, Der Unternehmensstandort Schweiz aus steuer- und aktienrechtlicher Sicht, in: Ernst A. Kramer/Peter Nobel/Robert Waldburger [Hrsg.], Festschrift für Peter Böckli, Zürich/Basel/Genf 2006, S. 51 f.). Die heutigen Steuergesetze enthalten bis anhin allerdings keine ausdrückliche Regelung derartiger Verständigungen. Ab dem 1. Januar 2007 findet sich indessen für die vom Bund erhobenen Steuern nunmehr erstmals eine solche Grundlage im allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes: Unter dem Marginale « Gütliche Einigung und Mediation » besteht in Art. 33b des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021), der auch auf Steuerverfahren anwendbar ist (Art. 2 Abs. 1 VwVG e contrario), im Sinne einer so genannten Kann-Vorschrift die Möglichkeit, sich über den Inhalt der Verfügung zu einigen. Die alsdann allenfalls erzielte Einigung wird durch die Behörde zum Inhalt ihrer Verfügung gemacht, es sei denn, deren Inhalt verstosse gegen Bundesrecht, beruhe auf einer unrichtigen oder unvollständigen Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts oder erweise sich als unangemessen (Art. 33b Abs. 4 i. V. m. Art. 49 VwVG; vgl. MICHAEL BEUSCH, Steuerrechtlicher Rechtsschutz durch das Bundesverwaltungsgericht, in: Michael Beusch/Institut für Schweizerisches und Internationales Steuerrecht [Hrsg.], Steuerrecht 2008 - Best of zsis, Zürich/Basel/Genf 2008, S. 196). Ein Anspruch auf Abschluss einer solchen Vereinbarung besteht indessen - zumindest nach noch geltendem Recht - nicht (vgl. demgegenüber Art. 68 E-MWSTG gemäss Entwurf A [BBl 2008 7167] sowie die Botschaft zum neuen MWSTG [BBl 2008 6995]).

2.3.2 Selbst ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage ist die Zulässigkeit von Verständigungen in einem gewissen Rahmen anerkannt. Sie können vorab über bestimmte Elemente des steuerrechtlich relevanten Sachverhalts erzielt werden, insbesondere wenn dieser durch eine amtliche Untersuchung nicht oder nur unter unverhältnismässig grossen Schwierigkeiten geklärt werden kann (BGE 119 Ib 431 E. 4a; Urteil des Bundesgerichts [BGer] vom 23. Juni 1994, veröffentlicht in ASA 63 S. 661 E. 5a; Entscheid der SRK vom 3. Februar 1998, veröffentlicht in Steuer Revue 1998 512 E. 2a). So können auch Bewertungsfragen Gegenstand von Verständigungen sein. Letztere können sich allerdings nach - freilich nicht unkritisiert gebliebener - bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht auf eigentliche Rechtsfragen beziehen, da Bestand und Umfang der Steuerschuld ausschliesslich durch das Gesetz festgelegt werden (Urteil des BGer 2A.52/2003 vom 23. Januar 2004, veröffentlicht in Steuerentscheid [StE] 2004 A 21.14 Nr. 15 E. 4.2 [zur direkten Bundessteuer]; zur Kritik vgl. etwa FELIX RICHNER/WALTER FREI/STEFAN KAUFMANN/HANS ULRICH MEUTER, Kommentar zum harmonisierten Zürcher Steuergesetz, 2. Aufl., Zürich 2006, Vorbemerkungen zu §§ 119-131 N 18; vgl. auch ERNST BLUMENSTEIN/PETER LOCHER, System des schweizerischen Steuerrechts, 6. Aufl., Zürich 2002, S. 320 mit Hinweisen). Umstritten ist bei alledem die Rechtsnatur der (verfahrensrechtlichen) Verständigung, insbesondere die Frage, ob es sich um einen eigentlichen verwaltungsrechtlichen Vertrag handle oder nicht (bejahend ULRICH CAVELTI, Gütliche Verständigung vor Instanzen der Verwaltungsrechtspflege, Archiv für Juristische Praxis 1995, S. 175 ff.; PETER RICKLI, Die Einigung zwischen Behörden und Privaten im Steuerrecht, Basel/Frankfurt am Main 1987, S. 103; [verneinend] BLUMENSTEIN/LOCHER, a. a. O., S. 320; AUGUST MÄCHLER, Vertrag und Verwaltungsrechtspflege, Zürich/Basel/Genf 2005, § 11 Rz. 80 f.). Diese Frage braucht vorliegend - wie nachstehend zu zeigen ist - indessen nicht beantwortet zu werden.

2.4

2.4.1 Die prozessualen Wirkungen zulässiger Verständigungen waren - soweit ersichtlich - noch nie Gegenstand ausdrücklicher höchstrichterlicher Klärung. Damit wurde insbesondere noch nie festgehalten, eine gültige Verständigung entfalte die gleichen Wirkungen wie ein rechtskräftiger formeller Entscheid. Dies anerkennen auch diejenigen Lehrmeinungen, welche - wie die ESTV - von einer gleichen Wirkung ausgehen (HANS-PETER HOCHREUTENER, La procédure de taxation dans le domaine des droits de timbre et de l'impôt anticipé, in: Ordre romand des experts fiscaux diplômés [Hrsg.], Les procédures en droit fiscal, 2. Aufl., Bern/Stuttgart/Wien 2005, S. 519; vgl. auch HANS-PETER HOCHREUTNER, in: Martin Zweifel/Peter Athanas/Maja Bauer-Balmelli [Hrsg.], Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht II/2, Bundesgesetz über die Verrechnungssteuer, Basel u. a. 2005, Rz. 30 zu Art. 42; HANS-PETER HOCHREUTENER, in: Martin Zweifel/Peter Athanas/Maja Bauer-Balmelli [Hrsg.], Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht II/3, Bundesgesetz über die Stempelabgaben, Basel u. a. 2005, Rz. 30 zu Art. 38; HANS-PETER HOCHREUTENER, in: Pascal Hinny/Xavier Oberson [Hrsg.], Kommentar Stempelabgaben, Zürich/Basel/Genf 2006 Rz. 81 zu Art. 38). Nachfolgend bleibt mithin zu prüfen, wie es sich damit verhält.

2.4.2 Geht man mit der ESTV davon aus, bei der Abzahlungsvereinbarung vom 29. Oktober/27. November 2002 handle es sich um einen verwaltungsrechtlichen Vertrag, so wäre dieser - unter Vorbehalt einer gesetzlichen Anfechtungsmöglichkeit und einer Aufhebung wegen Willensmängeln oder veränderter Verhältnisse - tatsächlich inhaltlich verbindlich (MÄCHLER, a. a. O., § 11 Rz. 83). Allerdings stünde dies der Erhebung eines Rechtsmittels von Vornherein nicht entgegen (MÄCHLER, a. a. O., § 11 Rz. 138); die Frage der Zulässigkeit sowie der Verbindlichkeit des Vereinbarten und die Tragweite des verfassungsrechtlich in Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV, SR 101) verankerten Grundsatzes von Treu und Glauben ist nämlich eine materielle Frage, und nicht eine solche nach der Zulässigkeit eines Rechtsmittels. Sodann hätte bei Annahme eines verwaltungsrechtlichen Vertrags die ESTV zwecks Beseitigung der auftretenden Leistungsstörungen (zur Erlangung eines Rechtsöffnungstitels) an sich den Klageweg beschreiten müssen (vgl. Art. 35 Bst. a des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [VGG, SR 173.32]; vgl. auch STEFAN VOGEL, Die « clausula rebus sic stantibus » als Mittel zur Anpassung und Aufhebung von verwaltungsrechtlichen Verträgen, Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht 2008, S. 308 f.). Da dieser indessen bis Ende 2006 versperrt war - Art. 116 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (BS 3 351 und seither erfolgte Änderungen) war nicht einschlägig - musste die ESTV zwar einen förmlichen Entscheid im Sinne von Art. 41 VStG erlassen. Damit verliess sie indessen den einvernehmlichen « vertraglichen Weg » und kehrte zurück zum hoheitlichen Verfügungshandeln. Daraufhin der heutigen Beschwerdeführerin die Einsprachelegitimation abzusprechen - wie dies die ESTV getan hat - würde gegen Treu und Glauben verstossen und entspräche auch nicht dem bei Verfügungen zu gewährenden Rechtsschutz (vgl. RICKLI, a. a. O., S. 137 f. sowie unten E. 2.4.3); vielmehr ist die Einsprache materiell zu behandeln.

2.4.3 Geht man dagegen davon aus, die Verständigung entfalte nicht ohne weiteres materiellrechtliche Wirkungen, sondern stelle - wie etwa der Veranlagungsvorschlag bei den direkten Steuern - als Vereinbarung über verfahrensrechtliche Rechte und Pflichten blosse Grundlage für den Erlass einer Verfügung dar, so bedeutet die Verständigung - nur, aber immerhin - Folgendes: Die Verwaltung entbindet den Rechtsunterworfenen von einer weiteren Mitwirkung bei der Klärung des Sachverhaltes und der Private verzichtet auf den Antrag der Abnahme zusätzlicher Beweise (MÄCHLER, a. a. O., § 11 Rz. 81). Unter diesen Umständen ist eine Anfechtung formell fraglos ohne weiteres zulässig und sind die sich stellenden Fragen (Zulässigkeit und Verbindlichkeit des Vereinbarten, Treu und Glauben) einmal mehr solche materieller Art (vgl. etwa auch Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, veröffentlicht in StE A 21.14 Nr. 14 E. 2a/bb; RICKLI, a. a. O., S. 137 f.). Dass dem so ist, zeigt sich auch an der Konzeption von Art. 33b VwVG und dem diesem inhaltlich entsprechenden Art. 50 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG, SR 830.1), dessen Abs. 2 ausdrücklich von einer « anfechtbaren Verfügung » spricht. Bezeichnenderweise und zu Recht ist denn auch in keinem der zum Thema der Verständigung ergangenen Urteile (vgl. oben E. 2.3.2) auch nur ansatzweise angetönt, es sei fraglich, ob auf die Rechtsmittel einzutreten gewesen wäre. Solches würde nämlich auch bedeuten, dass selbst bei einer Verständigung nicht zugänglichen Fragen die gerichtliche Kontrolle von Vornherein ausgeschlossen würde, was nicht zuletzt angesichts der Rechtsanwendung von Amtes wegen (Art. 62 Abs. 4 VwVG) schlechterdings nicht der Fall sein kann (vgl. Urteil des BGer 2A.52/2003 vom 23. Januar 2004, veröffentlicht in StE 2004 A 21.14 Nr. 15 E. 4.2).

2.5 Damit ist der auf Nichteintreten lautende Einspracheentscheid aufzuheben und die Streitsache ins Einspracheverfahren zurückzuweisen. Obwohl sich beide Parteien auch zu den nachfolgend erwähnten Fragen (teilweise) geäussert haben, bleibt es dem BVGer angesichts des eingeschränkten Streitgegenstandes verwehrt, sich dazu äussern, ob eine Verständigung überhaupt zulässig war, ob diese rechtsgültig zustande gekommen ist, bejahendenfalls welchen Inhalt sie aufweist (Tragweite der « Abzahlungsvereinbarung ») und inwieweit sich die Parteien diesen unter dem Aspekt von Art. 9 BV entgegenhalten lassen müssen. Hierüber wird die ESTV im zweiten Rechtsgang zu befinden haben.

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