Auszug aus dem Urteil der Abteilung II i.S. R. gegen Schweizerischer Trägerverein für Berufs-
und höhere Fachprüfungen in Human Resources und Bundesamt für Berufsbildung und Technologie
(BBT)
B-2202/2006 vom 25. Januar 2007
Aus den Erwägungen:
1. Ob die Prozessvoraussetzungen vorliegen und auf eine Beschwerde einzutreten ist, hat die
entscheidende Instanz von Amts wegen und mit freier Kognition zu prüfen (vgl. BGE
130 II 65 E. 1; Fritz Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, Bern 1983, S. 73 mit Hinweisen).
1.1 Der Entscheid des BBT vom 12. Dezember 2005, mit welchem die Beschwerde gegen die Verweigerung
der Erteilung des eidgenössischen Fachausweises «Personalfachfrau» abgewiesen wurde, stellt
eine Verfügung nach Art. 5 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren
(VwVG, SR 172.021) dar. Diese Verfügung war bisher bei der REKO/EVD angefochten, welche vor dem
Inkrafttreten des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (VGG, SR 173.32) am 1. Januar 2007 (vgl.
AS 2006 1069) zur Beurteilung der Streitsache sachlich und funktionell zuständig war (vgl. Art.
61 Abs. 1 Bst. c Ziff. 1 des Berufsbildungsgesetzes vom 13. Dezember 2002 [BBG, SR 412.10], aufgehoben
gemäss Ziff. 35 des Anhangs zum VGG).
Das BVGer, das gemäss Art. 31 VGG als Beschwerdeinstanz
Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG beurteilt, ist nach Art. 53 Abs. 2 VGG (i. V. m.
Art. 33 Bst. d VGG) für die Behandlung der vorliegenden Streitsache zuständig, zumal keine
Ausnahme nach Art. 32 VGG greift.
Die Beschwerdeführerin hat am Verfahren vor dem BBT teilgenommen
und ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt. Sie hat zudem ein als schutzwürdig
anzuerkennendes Interesse an deren Aufhebung oder Änderung, weshalb sie zur Beschwerde legitimiert
ist (Art. 48 Abs. 1 VwVG). Eingabefrist und -form sind gewahrt (Art. 50 und 52 Abs. 1 VwVG), der Vertreter
hat sich rechtsgenüglich ausgewiesen (Art. 11 VwVG), der Kostenvorschuss wurde fristgemäss
bezahlt (Art. 63 Abs. 4 VwVG) und die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor (vgl. Art. 46
ff. VwVG).
Auf die Beschwerde ist daher einzutreten, soweit die Aufhebung des angefochtenen Entscheids
und die Feststellung, die Beschwerdeführerin habe die eidgenössische Berufsprüfung für
Personalfachleute bestanden, beantragt werden.
1.2 Die Beschwerdeführerin stellt zusätzlich den Antrag, die Prüfungskommission
sei anzuweisen, die Note im Fach Personalentwicklung auf mindestens 4.5 und im Fach Personaladministration
auf 4.5 zu korrigieren. Damit ficht sie einzelne Fachnoten an, indem sie ihre «Anträge»
bezüglich der Anhebung diverser Punktzahlen und Noten als selbstständige Rechtsbegehren aufzufassen
scheint.
Diese Sichtweise widerspricht grundsätzlich der herrschenden Auffassung. Die Lehre
und Praxis gehen mehrheitlich davon aus, dass einzelne Fachnoten nur Begründungselemente darstellen,
die letztlich zur Gesamtbeurteilung führen, weshalb auch nur das Prüfungsergebnis (d. h. die
Nichterteilung eines Diploms) als Streitgegenstand aufzufassen ist. Da die einzelnen Prüfungsnoten
kein Rechtsverhältnis regeln und infolgedessen für sich allein betrachtet auch keinen selbstständigen
Streitgegenstand zu bilden vermögen, können sie nicht als Entscheid betrachtet werden; sie
gehören grundsätzlich nicht zum Streitgegenstand und nehmen auch nicht an der formellen Rechtskraft
teil (Entscheid der REKO/EVD 95/4K-037 E. 3.2.1, publiziert in Verwaltungspraxis der Bundesbehörden
VPB 61.31, mit Verweis auf
BGE 113 V 159 E. 1c,
BGE 110 V 48 E. 3c). Daher
wird die selbstständige Anfechtbarkeit von Einzelnoten grundsätzlich verneint (Martin Aubert,
Bildungsrechtliche Leistungsbeurteilungen im Verwaltungsprozess, Diss. Bern 1997, S. 31 ff. und 73; Werner
Schnyder, Rechtsfragen der beruflichen Weiterbildung in der Schweiz, Zürich 1999, Rz. 234; Entscheid
der REKO/EVD 96/JC-002 E. 2.3, publiziert in VPB
61.37). Eine Anfechtung wird nur insofern als zulässig erachtet, als damit gleichzeitig eine
Änderung im Dispositiv bewirkt werden kann (Entscheid der REKO/EVD 95/4K-037 E. 3.1.1 und E. 3.2.1,
a. a. O., mit Verweis auf Gygi, a.a.O., S. 154). Ausnahmsweise können einzelne Noten dann einen
selbstständigen Streitgegenstand bilden, wenn an ihre Höhe direkt bestimmte Rechtsfolgen geknüpft
sind, beispielsweise die Möglichkeit, bestimmte zusätzliche Kurse oder Weiterbildungen zu absolvieren
oder besondere Qualifikationen zu erwerben, oder wenn sich die Noten später als Erfahrungsnoten
in weiteren Prüfungen auswirken (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2P.177/2002 vom 7. November 2002
E. 5.2.2; Aubert, a.a.O., S. 31 f. und 74 f. mit Hinweisen; Herbert Plotke, Schweizerisches Schulrecht,
Bern/Stuttgart/Wien 2003, S. 713 f.; Schnyder, a.a.O., Rz. 236 und 292). Eine solche Konstellation ist
hier nicht gegeben.
Wie noch zu zeigen ist (vgl. E. 4), würde eine Anhebung der Note im Fach
«Personalentwicklung» oder im Fach «Personaladministration» auf die Note 4.5 der
Beschwerdeführerin das Bestehen der Prüfung ermöglichen. Auf die Anträge, die Noten
in diesen Fächern auf (mindestens) 4.5 zu erhöhen und die Prüfungskommission entsprechend
anzuweisen, ist daher nicht im Sinne selbstständiger Rechtsbegehren einzutreten (vgl. Entscheid
der REKO/EVD 95/4K-037 E. 3.2.1, a.a.O.). Vielmehr sind diese «Anträge» im Rahmen der
materiellen Fallbeurteilung zu behandeln.
1.3 Nicht einzutreten ist ferner auf den Antrag der Beschwerdeführerin, es sei festzustellen,
sie habe im Fach «Arbeitsrecht» die Note 3.5 und im Fach «Betriebliches Sozialwesen»
die Note 4.5 erzielt. Auch diese Fachnoten stellen lediglich Begründungselemente dar und sind demzufolge
einer selbstständigen Anfechtung nicht zugänglich (Entscheid der REKO/EVD 96/JC-002 E. 2.3,
a.a.O.). Darüber hinaus ist auch kein schutzwürdiges Feststellungsinteresse im Sinne von Art.
25 VwVG anzuerkennen, dass die Beschwerdeführerin in den besagten beiden Fächern die von ihr
gewünschten Noten erzielt habe (vgl. Entscheid der REKO/EVD 96/JC-002 E. 2.3, a.a.O.).
2. (Gesetzliche Grundlagen)
3. Nach Art. 49 VwVG (i.V.m. Art. 37 VGG) kann mit der Beschwerde ans BVGer die Verletzung
von Bundesrecht, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, unrichtige oder unvollständige
Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes sowie Unangemessenheit der angefochtenen Verfügung
gerügt werden.
Bei der Überprüfung von Examensleistungen auferlegte sich seinerzeit
die REKO/EVD entsprechend der Praxis des Bundesrates (VPB
62.62 E. 3, VPB 56.16
E. 2.1), des Bundesgerichts (BGE
121 I 225 E. 4b, BGE
118 Ia 488 E. 4c, BGE
106 Ia 1 E. 3c) sowie anderer verwaltungsunabhängiger Rekurskommissionen (VPB
66.62 E. 4) Zurückhaltung, indem sie in Fragen, die seitens der Verwaltungsjustizbehörden
naturgemäss schwer überprüfbar sind, nicht ohne Not von der Beurteilung der erstinstanzlichenPrüfungsorgane
und Experten abwich. Begründet wurde dies mit dem Argument, der Rechtsmittelbehörde seien zumeist
nicht alle massgebenden Faktoren der Bewertung bekannt, weshalb es ihr in der Regel nicht möglich
sei, sich ein zuverlässiges Bild über die Gesamtheit der Leistungen desBeschwerdeführers
in der Prüfung und der Leistungen der übrigen Kandidaten zu machen. Überdies hätten
Prüfungen häufig Spezialgebiete zum Gegenstand, in denen die Rechtsmittelbehörde über
keine eigenen Fachkenntnisse verfügt. Eine freie Überprüfung der Examensbewertung würde
zudem die Gefahr von Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten gegenüber anderen Kandidaten in sich bergen.
Daher habe sich die Auffassung durchgesetzt, dass die Bewertung von schulischen Leistungen von der Rechtsmittelbehörde
nicht frei, sondern nur mit Zurückhaltung zu überprüfen sei (vgl. BGE
118 Ia 488 E. 4c, BGE
106 Ia 1 E. 3c mit Verweis auf Max Imboden/René A. Rhinow, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung,
Bd. I, 5. Aufl., Basel/Frankfurt am Main 1990, Nr. 66 B II a, d und B V a, Nr. 67 B III c).
In einem
Beschwerdeverfahren nehmen die Examinatoren, deren Notenbewertung beanstandet wird, im Rahmen der Beschwerdeantwort
der Prüfungskommission Stellung (vgl. Art. 57 Abs. 1 VwVG). In der Regel überprüfen sie
bei dieser Gelegenheit ihre Bewertungen nochmals und geben bekannt, ob sie eine Korrektur als gerechtfertigt
erachten oder nicht. Solange konkrete Hinweise auf Befangenheit fehlen und die Beurteilung nicht als
fehlerhaft oder völlig unangemessen erscheint, war nach der Praxis der REKO/EVD auf die Meinung
der Examinatoren abzustellen. Vorausgesetzt wurde aber, dass die Stellungnahme insofern vollständig
war, als darin substanziierte Rügen des Beschwerdeführers beantwortet wurden, und dass die
Auffassung der Examinatoren, insbesondere soweit sie von derjenigen des Beschwerdeführers abwich,
nachvollziehbar und einleuchtend war (Entscheid der REKO/EVD 95/4K-014 E. 7.2, publiziert in VPB
61.32).
Es sind keine Gründe ersichtlich, von dieser Praxis abzuweichen. Insofern hat sich
auch das BVGer bei der Überprüfung von Examensleistungen im oberwähnten Rahmen Zurückhaltung
aufzuerlegen.
Eine solche Zurückhaltung rechtfertigt sich allerdings nur bei der Bewertung
von Prüfungsleistungen. Ist dagegen die Auslegung und die Anwendung von Rechtsvorschriften streitig
oder werden Verfahrensmängel im Prüfungsablauf gerügt, hat die angerufene Rechtsmittelbehörde
die erhobenen Einwendungen mit freier Kognition zu prüfen, andernfalls sie eine formelle Rechtsverweigerung
begeht (vgl. BGE 106 Ia 1
E. 3c; VPB 56.16 E. 2.2;
René A. Rhinow/Beat Krähenmann, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband,
Basel 1990, Nr. 80 B I f).
4. (Würdigung des im Auftrag der REKO/EVD erstellten Gutachtens: Feststellung, dass die
Beschwerdeführerin nach wie vor nicht die für ein Bestehen der Prüfung erforderlichen
Punktzahlen erreicht).
5. Somit bleibt zu untersuchen, ob hier allenfalls ein Grenzfall vorliegt, der erlauben würde,
die Punktzahl zu Gunsten der Beschwerdeführerin aufzurunden.
5.1 Das BBG sieht keine allgemein gültige Grenzfallregelung vor. Falls weder in den jeweiligen
Prüfungsreglementen noch in den Wegleitungen eine Regelung für Grenzfälle getroffen wurde,
darf die Prüfungskommission grundsätzlich selber Kriterien zur Behandlung von Grenzfällen
aufstellen. Eine solche Regelung muss aber sachlich vertretbar sein und rechtsgleich für alle Prüfungskandidaten
zur Anwendung kommen. Hatte eine Prüfungskommission keine Grenzfallregelung erlassen, so wandte
die REKO/EVD praxisgemäss ihre eigene, subsidiäre Grenzfallregelung an (so jedenfalls im unveröffentlichten
Entscheid der REKO/EVD vom 14. Dezember 2005 i. S. R., HB/2005-1 E. 9.1 mit Verweisen). Ob das BVGer
die soeben erwähnte Praxis der REKO/EVD übernehmen wird, kann im vorliegenden Fall offen gelassen
werden, da die Prüfungskommission selber Kriterien zur Behandlung von Grenzfällen aufgestellt
hat.
5.2 Die Prüfungskommission beschloss am 28. Oktober 2004 nämlich folgende Grenzfallregelung:
«Fachnoten je Prüfungsfach
Fehlen dem Kandidaten 2 Punkte bis zur Note 4.0 gemäss Notenskala und führen
damit zum Bestehen der Prüfung werden die 2 Punkte direkt erteilt.
Fehlen dem Kandidaten nach Beschwerde 2 Punkte bis zur nächst höheren Note
und führt dies zum Bestehen der Prüfung werden die Punkte direkt erteilt.
Schlussnote 4.5 und höher
Eine Fachnote kann um höchstens eine halbe Note angehoben werden, sofern damit
die reglementarischen Bedingungen für das Bestehen der Prüfung erfüllt sind.
Ausnahmen
Gemäss Art. 22 des Prüfungsreglements entscheidet die Prüfungskommission
über das Bestehen der Prüfung. In diesem Sinne behält sich die Prüfungskommission
vor, gegebenenfalls einen Fall individuell zu beurteilen.»
5.3 Nachdem die REKO/EVD seinerzeit der Beschwerdeführerin diese Grenzfallregelung zugesandt
hatte, führte diese im Schreiben vom 18. Mai 2006 aus, nach dem vorinstanzlichen Entscheid fehlten
ihr im Fach «Personalentwicklung» nur noch zwei Punkte bis zur Note 4.5. Diese Note müsse
ihr in Anwendung der Grenzfallregelung zugestanden werden, womit sie die Prüfung bestanden habe.
Während
die Prüfungskommission darauf verzichtete, hierzu Stellung zu nehmen, entgegnete das BBT am 6. Juni
2006, die Grenzfallregelung könne nur für ein Fach, das heisst nur bezüglich einer Note
angewendet werden. Entweder hebe man die Note im Fach «Betriebliches Sozialwesen» an oder im
Fach «Personalentwicklung», nicht aber beide. Im vorliegenden Fall habe die Prüfungskommission
bereits die Note im Fach «Betriebliches Sozialwesen» auf Grund der Grenzfallregelung theoretisch
angehoben, wobei auch diesfalls die Prüfung nach wie vor nicht bestanden würde.
Da die
Beschwerdeführerin die aktuelle Schlussnote 3.9 aufweist und sich das Verfahren im Stadium des Beschwerdeverfahrens
befindet, kommt nur Abs. 2 des ersten Teils der zitierten Grenzfallregelung («Fachnoten je Prüfungsfach»)
in Betracht. Diese Grenzfallregelung hat die Prüfungskommission - wie vom BBT ausgeführt -
im Verlauf des Beschwerdeverfahrens vor dem BBT jedoch bereits angewendet: Im Fach «Betriebliches
Sozialwesen» erreichte die Beschwerdeführerin 58.5 Punkte und damit die Note 4. Da ihr gemäss
Notenskala für das betreffende Fach Nr. 251 nur 1.5 Punkte für die nächst höhere
fehlten, hob die Prüfungskommission die Note von 4 auf 4.5 an.
Die hier massgebliche Grenzfallregelung
sieht implizit nur die einmalige Erhöhung einer Fachnote vor. Diese auch vom BBT vertretene Ansicht
wurde von der Prüfungskommission nicht bestritten. Es ist dem BVGer daher verwehrt, die Grenzfallregelung
in Bezug auf eine weitere Fachnote anzuwenden, um auf diese Weise zum Bestehen der Prüfung beizutragen.
Dass sich die Schlussnote der Beschwerdeführerin durch die vorerwähnte Anhebung der Note im
Fach «Betriebliches Sozialwesen» nicht auf eine genügende Note, sondern lediglich auf
3.9 erhöhte und insofern damals die Voraussetzungen für die Anwendung der Grenzfallregelung
nicht gegeben waren, vermag daran nichts zu ändern. (...)