Urteilskopf

2007/6

Auszug aus dem Urteil der Abteilung II i.S. R. gegen Schweizerischer Trägerverein für Berufs- und höhere Fachprüfungen in Human Resources und Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT)
B-2202/2006 vom 25. Januar 2007


Regeste Deutsch

Berufsbildung. Beschwerdeverfahren betreffend Prüfungsleistungen. Streitgegenstand. Kognition des Bundesverwaltungsgerichts (BVGer). Grenzfallregelung im Bereich der Berufsbildung.
Art. 5 Abs. 2 und Art. 49 i.V.m. Art. 12 Bst. e VwVG. Art. 26 ff. BBG.
1. Bestätigung der Rechtsprechung, wonach Fachnoten als Begründungselemente in der Regel keiner selbstständigen Anfechtung zugänglich sind (E. 1.2 f.).
2. Das BVGer auferlegt sich Zurückhaltung bei der Überprüfung von Examensleistungen, insbesondere wenn ein Sachverständigengutachten eingeholt wurde (E. 3).
3. Sieht die von einer Prüfungskommission festgelegte Grenzfallregelung - wenn auch implizit - nur die Möglichkeit einer einmaligen Erhöhung einer Fachnote vor, ist es den Rechtsmittelinstanzen verwehrt, eine solche Regelung in Bezug auf andere Fachnoten ein weiteres Mal anzuwenden (E. 5.3).

Regeste en français

Formation professionnelle. Procédure de recours en matière de prestations d'examens. Objet du litige. Pouvoir d'examen du Tribunal administratif fédéral (TAF). Réglementation des cas limites en matière de formation professionnelle.
Art. 5 al. 2 et art. 49 en relation avec l'art. 12 let. e PA. Art. 26 ss LFPr.
1. Confirmation de la jurisprudence selon laquelle les notes de branche, en tant qu'éléments de la motivation, ne sont en principe pas séparément susceptibles de recours (consid. 1.2 s.).
2. Le TAF fait preuve de retenue en matière de contrôle de l'évaluation des épreuves d'examen, en particulier lorsqu'une expertise a été requise (consid. 3).
3. Si la réglementation des cas limites établie par une commission d'examens prévoit - même de manière implicite - uniquement la possibilité d'augmenter une seule note de branche, l'autorité de recours doit s'abstenir d'appliquer une telle réglementation une nouvelle fois à d'autres notes de branche (consid. 5.3).

Regesto in italiano

Formazione professionale. Procedura di ricorso in materia di prestazioni d'esame. Oggetto litigioso. Cognizione del Tribunale amministrativo federale (TAF). Regolamentazione dei casi limite nel settore della formazione professionale.
Art. 5 cpv. 2 e art. 49 in relazione con l'art. 12 lett. e PA. Art. 26 segg. LFPr.
1. Conferma della giurisprudenza secondo la quale le note delle singole materie d'esame, in quanto elementi della motivazione, non sono di regola impugnabili separatamente (consid. 1.2 seg.).
2. Il TAF si impone un certo riserbo nella valutazione delle prove fornite nell'ambito di un esame, in particolare quando è stata effettuata una perizia (consid. 3).
3. Se la regolamentazione dei casi limite stabilita da una commissione d'esame prevede - seppure implicitamente - la possibilità di aumentare una volta sola una nota di una materia, è vietato alle autorità di ricorso d'applicare una tale regolamentazione una seconda volta ad una nota di un'altra materia (consid. 5.3).

Sachverhalt

R. legte im Herbst 2004 die Berufsprüfung für Personalfachleute ab. Die zuständige Prüfungskommission teilte R. am 3. November 2004 das Nichtbestehen der Prüfung mit, da in den Fächern «Arbeitsrecht» und «Betriebspsychologie» je die Note 3, im mündlichen Wahlpflichtfach die Note 4.5 und in den übrigen Fächern die Note 4 sowie eine insgesamt ungenügende Schlussnote 3.8 erzielt worden waren. Diese Verfügung focht R. am 6. Dezember 2004 mit Beschwerde beim Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) an. Im Laufe des Beschwerdeverfahrens erhöhte die Prüfungskommission die Noten im Fach «Arbeitsrecht/AVG» auf 3.5 und im Fach «Betriebliches Sozialwesen, Sozialpartnerschaft, Sozialversicherungen» in Anwendung einer Grenzfallregelung hypothetisch auf 4.5, so dass sich die (immer noch ungenügende) Schlussnote 3.9 ergab. In der Folge wies das BBT am 12. Dezember 2005 die Beschwerde mit der Begründung ab, die Fächer «Personalentwicklung» und «Personaladministration» seien nicht offensichtlich unterbewertet worden. Die Prüfungskommission habe sämtliche gerügten Positionen sorgfältig überprüft und ihre Bewertung nachvollziehbar begründet. Gegen diesen Entscheid erhob R. am 27. Januar 2006 Verwaltungsbeschwerde bei der Rekurskommission EVD (REKO/EVD) und machte geltend, zumindest in zwei Fächern seien ihre Leistungen offensichtlich unterbewertet worden. Im Fach «Personalentwicklung» seien ihr zusätzliche drei Punkte zu gewähren, so dass sie den Grenzwert für die Erreichung der Note 4.5 (60 Punkte) überschreite. Auch im Fach «Personaladministration» habe sie drei zusätzliche Punkte zu Gute, weshalb sie den Grenzwert für die Erreichung der Note 4.5 (64 Punkte) überschritten habe. Zum Bestehen der Prüfung würden ihr auch ohne die geltend gemachten Korrekturen lediglich 2 bzw. 2.5 Punkte fehlen. Die fehlenden zwei von mehreren hundert erzielbaren Punkten rechtfertigten das Nichtbestehen der Prüfung nicht. Im Eventualfall sei von einer Grenzfallregelung auszugehen und das Bestehen der Prüfung festzustellen. Am 9. November 2006 beauftragte die REKO/EVD Herrn Dr. nat. oec. HSG B. als Gutachter in den Fächern «Personalentwicklung, Personalaus- und Weiterbildung, Lehrlingswesen» (schriftlich) und «Personaladministration, Gehaltswesen, Organisation» (schriftlich), ausgewählte Aufgaben neu zu bewerten. Am 28. November 2006 reichte dieser sein Gutachten ein mit der Feststellung, seine Beurteilung entspreche weitgehend jener der Examinatoren.
Das Bundesverwaltungsgericht (BVGer), welches dieses Verfahren übernahm, weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.


Aus den Erwägungen:

1. Ob die Prozessvoraussetzungen vorliegen und auf eine Beschwerde einzutreten ist, hat die entscheidende Instanz von Amts wegen und mit freier Kognition zu prüfen (vgl. BGE 130 II 65 E. 1; Fritz Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, Bern 1983, S. 73 mit Hinweisen).

1.1 Der Entscheid des BBT vom 12. Dezember 2005, mit welchem die Beschwerde gegen die Verweigerung der Erteilung des eidgenössischen Fachausweises «Personalfachfrau» abgewiesen wurde, stellt eine Verfügung nach Art. 5 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021) dar. Diese Verfügung war bisher bei der REKO/EVD angefochten, welche vor dem Inkrafttreten des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (VGG, SR 173.32) am 1. Januar 2007 (vgl. AS 2006 1069) zur Beurteilung der Streitsache sachlich und funktionell zuständig war (vgl. Art. 61 Abs. 1 Bst. c Ziff. 1 des Berufsbildungsgesetzes vom 13. Dezember 2002 [BBG, SR 412.10], aufgehoben gemäss Ziff. 35 des Anhangs zum VGG).
Das BVGer, das gemäss Art. 31 VGG als Beschwerdeinstanz Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG beurteilt, ist nach Art. 53 Abs. 2 VGG (i. V. m. Art. 33 Bst. d VGG) für die Behandlung der vorliegenden Streitsache zuständig, zumal keine Ausnahme nach Art. 32 VGG greift.
Die Beschwerdeführerin hat am Verfahren vor dem BBT teilgenommen und ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt. Sie hat zudem ein als schutzwürdig anzuerkennendes Interesse an deren Aufhebung oder Änderung, weshalb sie zur Beschwerde legitimiert ist (Art. 48 Abs. 1 VwVG). Eingabefrist und -form sind gewahrt (Art. 50 und 52 Abs. 1 VwVG), der Vertreter hat sich rechtsgenüglich ausgewiesen (Art. 11 VwVG), der Kostenvorschuss wurde fristgemäss bezahlt (Art. 63 Abs. 4 VwVG) und die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor (vgl. Art. 46 ff. VwVG).
Auf die Beschwerde ist daher einzutreten, soweit die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die Feststellung, die Beschwerdeführerin habe die eidgenössische Berufsprüfung für Personalfachleute bestanden, beantragt werden.

1.2 Die Beschwerdeführerin stellt zusätzlich den Antrag, die Prüfungskommission sei anzuweisen, die Note im Fach Personalentwicklung auf mindestens 4.5 und im Fach Personaladministration auf 4.5 zu korrigieren. Damit ficht sie einzelne Fachnoten an, indem sie ihre «Anträge» bezüglich der Anhebung diverser Punktzahlen und Noten als selbstständige Rechtsbegehren aufzufassen scheint.
Diese Sichtweise widerspricht grundsätzlich der herrschenden Auffassung. Die Lehre und Praxis gehen mehrheitlich davon aus, dass einzelne Fachnoten nur Begründungselemente darstellen, die letztlich zur Gesamtbeurteilung führen, weshalb auch nur das Prüfungsergebnis (d. h. die Nichterteilung eines Diploms) als Streitgegenstand aufzufassen ist. Da die einzelnen Prüfungsnoten kein Rechtsverhältnis regeln und infolgedessen für sich allein betrachtet auch keinen selbstständigen Streitgegenstand zu bilden vermögen, können sie nicht als Entscheid betrachtet werden; sie gehören grundsätzlich nicht zum Streitgegenstand und nehmen auch nicht an der formellen Rechtskraft teil (Entscheid der REKO/EVD 95/4K-037 E. 3.2.1, publiziert in Verwaltungspraxis der Bundesbehörden VPB 61.31, mit Verweis auf BGE 113 V 159 E. 1c, BGE 110 V 48 E. 3c). Daher wird die selbstständige Anfechtbarkeit von Einzelnoten grundsätzlich verneint (Martin Aubert, Bildungsrechtliche Leistungsbeurteilungen im Verwaltungsprozess, Diss. Bern 1997, S. 31 ff. und 73; Werner Schnyder, Rechtsfragen der beruflichen Weiterbildung in der Schweiz, Zürich 1999, Rz. 234; Entscheid der REKO/EVD 96/JC-002 E. 2.3, publiziert in VPB 61.37). Eine Anfechtung wird nur insofern als zulässig erachtet, als damit gleichzeitig eine Änderung im Dispositiv bewirkt werden kann (Entscheid der REKO/EVD 95/4K-037 E. 3.1.1 und E. 3.2.1, a. a. O., mit Verweis auf Gygi, a.a.O., S. 154). Ausnahmsweise können einzelne Noten dann einen selbstständigen Streitgegenstand bilden, wenn an ihre Höhe direkt bestimmte Rechtsfolgen geknüpft sind, beispielsweise die Möglichkeit, bestimmte zusätzliche Kurse oder Weiterbildungen zu absolvieren oder besondere Qualifikationen zu erwerben, oder wenn sich die Noten später als Erfahrungsnoten in weiteren Prüfungen auswirken (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2P.177/2002 vom 7. November 2002 E. 5.2.2; Aubert, a.a.O., S. 31 f. und 74 f. mit Hinweisen; Herbert Plotke, Schweizerisches Schulrecht, Bern/Stuttgart/Wien 2003, S. 713 f.; Schnyder, a.a.O., Rz. 236 und 292). Eine solche Konstellation ist hier nicht gegeben.
Wie noch zu zeigen ist (vgl. E. 4), würde eine Anhebung der Note im Fach «Personalentwicklung» oder im Fach «Personaladministration» auf die Note 4.5 der Beschwerdeführerin das Bestehen der Prüfung ermöglichen. Auf die Anträge, die Noten in diesen Fächern auf (mindestens) 4.5 zu erhöhen und die Prüfungskommission entsprechend anzuweisen, ist daher nicht im Sinne selbstständiger Rechtsbegehren einzutreten (vgl. Entscheid der REKO/EVD 95/4K-037 E. 3.2.1, a.a.O.). Vielmehr sind diese «Anträge» im Rahmen der materiellen Fallbeurteilung zu behandeln.

1.3 Nicht einzutreten ist ferner auf den Antrag der Beschwerdeführerin, es sei festzustellen, sie habe im Fach «Arbeitsrecht» die Note 3.5 und im Fach «Betriebliches Sozialwesen» die Note 4.5 erzielt. Auch diese Fachnoten stellen lediglich Begründungselemente dar und sind demzufolge einer selbstständigen Anfechtung nicht zugänglich (Entscheid der REKO/EVD 96/JC-002 E. 2.3, a.a.O.). Darüber hinaus ist auch kein schutzwürdiges Feststellungsinteresse im Sinne von Art. 25 VwVG anzuerkennen, dass die Beschwerdeführerin in den besagten beiden Fächern die von ihr gewünschten Noten erzielt habe (vgl. Entscheid der REKO/EVD 96/JC-002 E. 2.3, a.a.O.).

2. (Gesetzliche Grundlagen)

3. Nach Art. 49 VwVG (i.V.m. Art. 37 VGG) kann mit der Beschwerde ans BVGer die Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes sowie Unangemessenheit der angefochtenen Verfügung gerügt werden.
Bei der Überprüfung von Examensleistungen auferlegte sich seinerzeit die REKO/EVD entsprechend der Praxis des Bundesrates (VPB 62.62 E. 3, VPB 56.16 E. 2.1), des Bundesgerichts (BGE 121 I 225 E. 4b, BGE 118 Ia 488 E. 4c, BGE 106 Ia 1 E. 3c) sowie anderer verwaltungsunabhängiger Rekurskommissionen (VPB 66.62 E. 4) Zurückhaltung, indem sie in Fragen, die seitens der Verwaltungsjustizbehörden naturgemäss schwer überprüfbar sind, nicht ohne Not von der Beurteilung der erstinstanzlichenPrüfungsorgane und Experten abwich. Begründet wurde dies mit dem Argument, der Rechtsmittelbehörde seien zumeist nicht alle massgebenden Faktoren der Bewertung bekannt, weshalb es ihr in der Regel nicht möglich sei, sich ein zuverlässiges Bild über die Gesamtheit der Leistungen desBeschwerdeführers in der Prüfung und der Leistungen der übrigen Kandidaten zu machen. Überdies hätten Prüfungen häufig Spezialgebiete zum Gegenstand, in denen die Rechtsmittelbehörde über keine eigenen Fachkenntnisse verfügt. Eine freie Überprüfung der Examensbewertung würde zudem die Gefahr von Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten gegenüber anderen Kandidaten in sich bergen. Daher habe sich die Auffassung durchgesetzt, dass die Bewertung von schulischen Leistungen von der Rechtsmittelbehörde nicht frei, sondern nur mit Zurückhaltung zu überprüfen sei (vgl. BGE 118 Ia 488 E. 4c, BGE 106 Ia 1 E. 3c mit Verweis auf Max Imboden/René A. Rhinow, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Bd. I, 5. Aufl., Basel/Frankfurt am Main 1990, Nr. 66 B II a, d und B V a, Nr. 67 B III c).
In einem Beschwerdeverfahren nehmen die Examinatoren, deren Notenbewertung beanstandet wird, im Rahmen der Beschwerdeantwort der Prüfungskommission Stellung (vgl. Art. 57 Abs. 1 VwVG). In der Regel überprüfen sie bei dieser Gelegenheit ihre Bewertungen nochmals und geben bekannt, ob sie eine Korrektur als gerechtfertigt erachten oder nicht. Solange konkrete Hinweise auf Befangenheit fehlen und die Beurteilung nicht als fehlerhaft oder völlig unangemessen erscheint, war nach der Praxis der REKO/EVD auf die Meinung der Examinatoren abzustellen. Vorausgesetzt wurde aber, dass die Stellungnahme insofern vollständig war, als darin substanziierte Rügen des Beschwerdeführers beantwortet wurden, und dass die Auffassung der Examinatoren, insbesondere soweit sie von derjenigen des Beschwerdeführers abwich, nachvollziehbar und einleuchtend war (Entscheid der REKO/EVD 95/4K-014 E. 7.2, publiziert in VPB 61.32).
Es sind keine Gründe ersichtlich, von dieser Praxis abzuweichen. Insofern hat sich auch das BVGer bei der Überprüfung von Examensleistungen im oberwähnten Rahmen Zurückhaltung aufzuerlegen.
Eine solche Zurückhaltung rechtfertigt sich allerdings nur bei der Bewertung von Prüfungsleistungen. Ist dagegen die Auslegung und die Anwendung von Rechtsvorschriften streitig oder werden Verfahrensmängel im Prüfungsablauf gerügt, hat die angerufene Rechtsmittelbehörde die erhobenen Einwendungen mit freier Kognition zu prüfen, andernfalls sie eine formelle Rechtsverweigerung begeht (vgl. BGE 106 Ia 1 E. 3c; VPB 56.16 E. 2.2; René A. Rhinow/Beat Krähenmann, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, Basel 1990, Nr. 80 B I f).

4. (Würdigung des im Auftrag der REKO/EVD erstellten Gutachtens: Feststellung, dass die Beschwerdeführerin nach wie vor nicht die für ein Bestehen der Prüfung erforderlichen Punktzahlen erreicht).

5. Somit bleibt zu untersuchen, ob hier allenfalls ein Grenzfall vorliegt, der erlauben würde, die Punktzahl zu Gunsten der Beschwerdeführerin aufzurunden.

5.1 Das BBG sieht keine allgemein gültige Grenzfallregelung vor. Falls weder in den jeweiligen Prüfungsreglementen noch in den Wegleitungen eine Regelung für Grenzfälle getroffen wurde, darf die Prüfungskommission grundsätzlich selber Kriterien zur Behandlung von Grenzfällen aufstellen. Eine solche Regelung muss aber sachlich vertretbar sein und rechtsgleich für alle Prüfungskandidaten zur Anwendung kommen. Hatte eine Prüfungskommission keine Grenzfallregelung erlassen, so wandte die REKO/EVD praxisgemäss ihre eigene, subsidiäre Grenzfallregelung an (so jedenfalls im unveröffentlichten Entscheid der REKO/EVD vom 14. Dezember 2005 i. S. R., HB/2005-1 E. 9.1 mit Verweisen). Ob das BVGer die soeben erwähnte Praxis der REKO/EVD übernehmen wird, kann im vorliegenden Fall offen gelassen werden, da die Prüfungskommission selber Kriterien zur Behandlung von Grenzfällen aufgestellt hat.

5.2 Die Prüfungskommission beschloss am 28. Oktober 2004 nämlich folgende Grenzfallregelung:

«Fachnoten je Prüfungsfach

Fehlen dem Kandidaten 2 Punkte bis zur Note 4.0 gemäss Notenskala und führen damit zum Bestehen der Prüfung werden die 2 Punkte direkt erteilt.

Fehlen dem Kandidaten nach Beschwerde 2 Punkte bis zur nächst höheren Note und führt dies zum Bestehen der Prüfung werden die Punkte direkt erteilt.

Schlussnote 4.5 und höher

Eine Fachnote kann um höchstens eine halbe Note angehoben werden, sofern damit die reglementarischen Bedingungen für das Bestehen der Prüfung erfüllt sind.

Ausnahmen

Gemäss Art. 22 des Prüfungsreglements entscheidet die Prüfungskommission über das Bestehen der Prüfung. In diesem Sinne behält sich die Prüfungskommission vor, gegebenenfalls einen Fall individuell zu beurteilen.»

5.3 Nachdem die REKO/EVD seinerzeit der Beschwerdeführerin diese Grenzfallregelung zugesandt hatte, führte diese im Schreiben vom 18. Mai 2006 aus, nach dem vorinstanzlichen Entscheid fehlten ihr im Fach «Personalentwicklung» nur noch zwei Punkte bis zur Note 4.5. Diese Note müsse ihr in Anwendung der Grenzfallregelung zugestanden werden, womit sie die Prüfung bestanden habe.
Während die Prüfungskommission darauf verzichtete, hierzu Stellung zu nehmen, entgegnete das BBT am 6. Juni 2006, die Grenzfallregelung könne nur für ein Fach, das heisst nur bezüglich einer Note angewendet werden. Entweder hebe man die Note im Fach «Betriebliches Sozialwesen» an oder im Fach «Personalentwicklung», nicht aber beide. Im vorliegenden Fall habe die Prüfungskommission bereits die Note im Fach «Betriebliches Sozialwesen» auf Grund der Grenzfallregelung theoretisch angehoben, wobei auch diesfalls die Prüfung nach wie vor nicht bestanden würde.
Da die Beschwerdeführerin die aktuelle Schlussnote 3.9 aufweist und sich das Verfahren im Stadium des Beschwerdeverfahrens befindet, kommt nur Abs. 2 des ersten Teils der zitierten Grenzfallregelung («Fachnoten je Prüfungsfach») in Betracht. Diese Grenzfallregelung hat die Prüfungskommission - wie vom BBT ausgeführt - im Verlauf des Beschwerdeverfahrens vor dem BBT jedoch bereits angewendet: Im Fach «Betriebliches Sozialwesen» erreichte die Beschwerdeführerin 58.5 Punkte und damit die Note 4. Da ihr gemäss Notenskala für das betreffende Fach Nr. 251 nur 1.5 Punkte für die nächst höhere fehlten, hob die Prüfungskommission die Note von 4 auf 4.5 an.
Die hier massgebliche Grenzfallregelung sieht implizit nur die einmalige Erhöhung einer Fachnote vor. Diese auch vom BBT vertretene Ansicht wurde von der Prüfungskommission nicht bestritten. Es ist dem BVGer daher verwehrt, die Grenzfallregelung in Bezug auf eine weitere Fachnote anzuwenden, um auf diese Weise zum Bestehen der Prüfung beizutragen. Dass sich die Schlussnote der Beschwerdeführerin durch die vorerwähnte Anhebung der Note im Fach «Betriebliches Sozialwesen» nicht auf eine genügende Note, sondern lediglich auf 3.9 erhöhte und insofern damals die Voraussetzungen für die Anwendung der Grenzfallregelung nicht gegeben waren, vermag daran nichts zu ändern. (...)

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