Das
Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
I.
Prozessvoraussetzungen
1. Das Bundesverwaltungsgericht prüft
von Amtes wegen gemäss Art. 7
des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 20. Dezember 1968
(VwVG, SR
172.021) sowie mit freier Kognition, ob die Prozessvoraussetzungen erfüllt sind und
ob und in welchem Umfang auf eine Beschwerde einzutreten ist (vgl. die ständige Rechtsprechung seit
BVGE 2007/6 E. 1).
1)
Sachliche
Zuständigkeit
2. Das
Bundesverwaltungsgericht beurteilt gemäss Art. 31
des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005
(VGG, SR
173.32) Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5
VwVG, welche von einer der in Art. 33
VGG aufgeführten Institutionen erlassen wurden, soweit keine der in Art. 32
VGG aufgeführten
Ausnahmen gegeben ist.
3. Die
Vorinstanz ist aufgrund ihrer Ausgestaltung durch Art. 18
und 19
KG gemäss Art. 2 Abs. 3
und
Art. 57a
Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21. März 1997 (RVOG, SR
172.010)
in Verbindung mit Art. 7
und 8a
Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung des Bundesrats vom
25. November 1998 (RVOV, SR
172.010.01) als ausserparlamentarische Behördenkommission der dezentralen
Bundesverwaltung im Sinne von Art. 178
der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom
18. April 1999 (BV, SR
101) zu qualifizieren. Sie stellt somit eine eidgenössische Kommission
im Sinne von Art. 33 lit. f
VGG dar.
4. Als Verfügungen im Sinne von Art.
5
VwVG gelten Anordnungen von Behörden, welche gestützt auf öffentliches Recht des Bundes
entweder gegenüber dem Verfügungsadressaten dessen Rechte und Pflichten begründen, inhaltlich
bestimmen, ändern, aufheben oder feststellen oder ein entsprechendes Begehren des Verfügungsadressaten
abweisen oder darauf nicht eintreten.
5. Die Vorinstanz hat mit der angefochtenen
Verfügung gegenüber den Beschwerdeführerinnen festgestellt, dass ein bestimmtes wirtschaftliches
Verhalten als kartellrechtswidrig zu beurteilen sei und infolge dessen eine Sanktion ausgesprochen. Dadurch
wurden die geschäftlichen Handlungsmöglichkeiten der Beschwerdeführerinnen eingeschränkt
und es wurden ihnen entsprechende Rechte und Pflichten vorgegeben. Aufgrund der Sanktionierung wurden
sie zudem zur Erfüllung einer Leistung verpflichtet.
6. Eine Ausnahme gemäss Art. 32
VGG
liegt nicht vor.
7. Die sachliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts
zur Beurteilung der vorliegenden Beschwerde ist deshalb gegeben.
2)
Beschwerdefähigkeit
und Beschwerdelegitimation
8. Die Beschwerdefähigkeit setzt gemäss
Art. 6
VwVG voraus, dass die Partei-, Prozess- und Postulationsfähigkeit der Beschwerdeführer
gegeben ist. Parteifähigkeit setzt zivilrechtliche Rechtsfähigkeit, Prozess- und Postulationsfähigkeit
setzen die zivilrechtliche Handlungsfähigkeit voraus (vgl.
Häfelin Ulrich/Müller Georg/Uhlmann Felix,
Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 2010, zit. Verwaltungsrecht,
Rn. 1768 f.; Häner Isabelle, Die Beteiligten im
Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess: Unter besonderer Berücksichtigung des Verwaltungsverfahrens
und Verwaltungsprozesses im Bund, 2000, zit. Beteiligte, Rn. 469 ff.;
Häner Isabelle, in: Auer/Müller/Schindler [Hrsg.],
Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren [VwVG], 2008, zit. VwVG,
Art. 6 Rn. 1, Art. 48 Rn. 5; Kiener Regina/Rütsche Bernhard/Kuhn
Mathias, Öffentliches Verfahrensrecht, 2012, zit. Verfahrensrecht,
§ 4 Rn. 541 f., 551 f., 585 f.; Kölz
Alfred/Häner Isabelle/Bertschi Martin, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des
Bundes, 2013, zit. Verwaltunsverfahren, Rn. 444 f., 934 ff.; Marantelli Vera/Huber Said,
in: Waldmann/Weissenberger [Hrsg.], Praxiskommentar VwVG, 2. Aufl. 2016, zit. VwVG,
Art. 6 Rn. 12 ff.; Rhinow René/Koller Heinrich/Kiss Christina/Thurnherr
Daniela/Brühl-Moser Denise, Öffentliches Prozessrecht, 3. Aufl. 2014, zit. Prozessrecht,
Rn. 862 ff.; Schott Markus, Rechtsschutz, in: Biaggini/Häner/Saxer/Schott
[Hrsg.], Fachhandbuch Verwaltungsrecht, 2015, zit. FHB-VerwR,
Rn. 24.17 ff.; Tanquerel Thierry, Manuel de droit administratif,
2011, zit. droit administratif, Rn. 1487 ff.;
Thurnherr Daniela, Verfahrensgrundrechte und Verwaltungshandeln, Die verfassungsrechtlichen Mindestgarantien
prozeduraler Gerechtigkeit unter den Bedingungen der Diversität administrativer Handlungsmodalitäten,
2013, zit. Verfahrensgrundrechte, Rn. 368 Fn. 1182).
9. Die Beschwerdeführerinnen sind im Handelsregister
eingetragene Aktiengesellschaften und damit als juristische Personen des Privatrechts rechtsfähig
und über ihre Organe handlungsfähig.
10. Die Beschwerdelegitimation setzt gemäss
Art. 48
VwVG voraus, dass entweder (i) ein Beschwerdeführer am vorinstanzlichen Verfahren
teilgenommen hat bzw. ihm keine Möglichkeit zur Teilnahme eingeräumt wurde, er durch die angefochtene
Verfügung besonders berührt ist und er ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung
hat, oder (ii) dass ein Bundesgesetz dem Beschwerdeführer dieses Recht ausdrücklich einräumt
(vgl. Moser André/Beusch
Michael/Kneubühler Lorenz, Prozessieren vor dem Bundesverwaltungsgericht, 2. Aufl. 2013,
zit. Prozessieren, Rn. 2.60 f.).
11. Die Beschwerdeführerinnen haben als
Parteien am vorinstanzlichen Untersuchungsverfahren teilgenommen. Als Verfügungsadressaten, deren
Anträge im vorinstanzlichen Verfahren zumindest teilweise abgelehnt wurden, werden sie durch die
angefochtene Verfügung besonders berührt. Aufgrund des Inhalts der vorinstanzlichen Verfügung,
insbesondere der Untersagung eines bestimmten geschäftlichen Verhaltens und den hierfür ausgesprochenen
Sanktionen, ergibt sich ein wirtschaftlicher und ideeller Nachteil, weshalb den Beschwerdeführerinnen
ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung der Verfügung zukommt.
12. Die Beschwerdeführerinnen sind demnach
zur Erhebung der vorliegenden Beschwerde befähigt und berechtigt.
3)
Sonstige
Verfahrensvoraussetzungen
13. Die gemäss Art. 50
VwVG
zu beachtende Eingabefrist und die gemäss Art. 52
VwVG notwendige Form der Beschwerde
wurden gewahrt. Die Beschwerdeführerinnen machen im Rahmen ihrer Beschwerde verschiedene in Art. 49
VwVG
aufgeführte Rügen geltend. Der gemäss Art. 63 Abs. 4
VwVG erforderliche
Kostenvorschuss wurde fristgerecht einbezahlt.
14. Die sonstigen Verfahrensvoraussetzungen
sind somit gegeben.
15. Da alle Prozessvoraussetzungen vorliegen,
ist auf die Beschwerde einzutreten.
II.
Rechtliche
Grundlage der vorinstanzlichen Verfügung
16. Die Vorinstanz hat die Beschwerdeführerinnen
aufgrund des im vorliegenden Verfahren massgeblichen Sachverhalts wegen eines wettbewerbswidrigen Verhaltens
gemäss Art. 7
KG in Anwendung von Art. 49a Abs. 1
KG mit einem Sanktionsbetrag
belastet.
17. Gegenstand dieses Urteils ist nach Feststellung
des Anwendungsbereichs des Kartellgesetzes (vgl. Abschnitt III, E. 18
ff.) sowie der Rechtmässigkeit des vorinstanzlichen und gerichtlichen Verfahrens (vgl. Abschnitt IV,
E. 92
ff.) somit zunächst die Frage, ob das Verhalten der SIX-Gruppe auf den betroffenen Märkten
eine unzulässige Beschränkung des Wettbewerbs gemäss Art. 7
KG darstellt, weil
(i) die SIX-Gruppe auf dem relevanten Markt (vgl. Abschnitt V, E. 229
ff.) als marktbeherrschendes Unternehmen gemäss Art. 4 Abs. 2
KG zu qualifizieren ist (vgl. Abschnitt
VI, vgl. E. 398
ff.) und (ii) sie mit der Ablehnung einer Offenlegung der notwendigen Schnittstelleninformationen ihre
Stellung auf dem Markt missbraucht hat, indem sie andere Unternehmen bei der Aufnahme oder Ausübung
des Wettbewerbs behindert oder die Marktgegenseite benachteiligt hat (vgl. Abschnitt VII, E. 509
ff.). Überdies ist zu prüfen, ob (i) die ausgesprochene Sanktion rechtlich zulässig und
sachlich angemessen ist (vgl. Abschnitt VIII, E. 1426
ff.) und (ii) die Kostenentscheidung des vor-instanzlichen Verfahrens angesichts der rechtlichen Ergebnisse
sachlich vertretbar ist (vgl. Abschnitt IX, E. 1732
ff.).
III.
Geltungs- und Anwendungsbereich des Kartellgesetzes
18. Massgebend
für die Beurteilung der streitigen Angelegenheit ist das Kartellgesetz. Dessen Anwendung setzt voraus,
dass der persönliche und sachliche Anwendungsbereich sowie der räumliche und zeitliche Anwendungs-
und Geltungsbereich gegeben sind. Vorliegend bestehen sowohl zum persönlichen als auch zum sachlichen
Anwendungsbereich strittige Sachfragen, die einer Abklärung bedürfen.
1)
Persönlicher Anwendungsbereich
19. Die
angefochtene Verfügung qualifiziert die SIX-Gruppe als Unternehmen im Sinne von Art. 2 Abs. 1
bis
KG und damit als massgebliches Kartellrechtssubjekt. Diese Qualifizierung wird von den Beschwerdeführerinnen
bestritten.
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
20. Die Beschwerdeführerinnen machen geltend,
dass die Bestimmung des Konzerns anstelle von einzelnen Gruppengesellschaften als massgebliches Kartellrechtssubjekt
weder zwingend sei noch im vorliegenden Sachverhalt die notwendigen Voraussetzungen erfülle.
21. Bei
einem Konzernsachverhalt sei nicht zwingend der Konzern als massgebliches Kartellrechtssubjekt zu qualifizieren.
Vielmehr sei im Einzelfall auf einzelne Gruppengesellschaften abzustellen.
22. Etwas
anderes ergebe sich auch nicht aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Sachen Publigroupe.
Denn dieses besage nicht, dass rechtlich selbständige Konzerngesellschaften immer und unter allen
Umständen wirtschaftlich unselbständig seien und ergo nie Unternehmen im Sinne von Art. 2 Abs.
1
bis KG darstellen könnten. Dies sei
nur "in der Regel" so und auch nur dann, "sofern die Muttergesellschaft ihre Tochter
effektiv zu kontrollieren vermag und diese Möglichkeit auch tatsächlich ausübt, sodass
die Konzerngesellschaften nicht in der Lage sind, sich von der Muttergesellschaft unabhängig zu
verhalten". Daran habe auch das Urteil des Bundesgerichts in Sachen Publigroupe
nichts geändert.
23. Allein
diese Auffassung stehe in Einklang mit der herrschenden Lehre und Praxis in der Schweiz und im EU-Wettbewerbsrecht,
welche sowohl potenzielle als auch effektive Kontrolle verlangen und die wirtschaftliche Selbständigkeit
aufgrund der Würdigung der Umstände im Einzelfall bestimmen würden.
24. Ausgehend von dieser Ansicht sei auch die
Qualifizierung der Multipay und der Card Solutions als wirtschaftlich unselbständige Konzerngesellschaften
unzutreffend. Es sei vielmehr bemerkenswert, dass bezüglich der wirtschaftlichen Selbtändständigkeit
und der eigenständigen Verhaltensweise von Multipay und Card Solutions keinerlei Sachverhaltsermittlungen
erfolgt seien.
25. Die
Vorinstanz knüpfe bei ihrer Beurteilung allzu einseitig zunächst an die Beteiligungsverhältnisse
an. Letztere mögen in der Tat ein denkbarer Indikator für die Annahme einer potenziellen Kontrolle
sein, aber auch nicht mehr. Selbst eine 100%-ige Beteiligung vermöge rein gar nichts darüber
auszusagen, ob die Muttergesellschaft von ihrer grundsätzlich möglichen Kontrolle in praxi
auch effektiv-konkret Gebrauch gemacht habe. Es wäre daher zumindest notwendig gewesen, zu untersuchen,
ob die Muttergesellschaft jeweils in das Tagesgeschäft der indirekt gehaltenen Beteiligungsgesellschaften
habe eingreifen können und dies auch tatsächlich getan habe.
26. Dass die Multipay und die Card Solutions
einer effektiven Kontrolle durch ihre Muttergesellschaft unterstanden, wird von den Beschwerdeführerinnen
ausdrücklich zurückgewiesen und bestritten.
27. Die
wirtschaftliche Selbständigkeit der Multipay und der Card Solutions werde auch nicht durch die folgenden
Aspekte widerlegt, auf welche die angefochtene Verfügung abstelle.
28. Der Umstand, dass der CEO der Beschwerdeführerin
2 Einsitz in der Gruppenleitung der Beschwerdeführerin 1 habe, begründe zwischen den Geschäftsleitungen
beider Unternehmen keineswegs personelle Verflechtungen in einem Masse, welche die wirtschaftliche Selbstständigkeit
der Beschwerdeführerin 2 a priori ausschliessen würde.
29. Was die Firmenbezeichnung, die Internetauftritte
und den Geschäftsbericht 2009 anbelangt, könne deren Relevanz für die Begründung
einer effektiven Kontrolle der Beschwerdeführerin 1 im konkreten Fall nicht nachvollzogen werden.
Wenn ein ähnlicher Name, ein ähnlicher Internetauftritt und einige Organigramme bereits ausreichen
würden, um einer Konzerngesellschaft die wirtschaftliche Unabhängigkeit zu nehmen, so könnte
es wohl innerhalb eines Konzerns im Ergebnis überhaupt keine wirtschaftlich selbstständigen
Unternehmen mehr geben, und es müsste ohne Ausnahme zum Durchgriff auf die Konzernmutter kommen.
Dies aber würde grössten, nicht zuletzt grundrechtlichen Bedenken begegnen.
30. Sowohl bei der Multipay als auch der Card
Solutions habe es sich um wirtschaftliche unabhängige Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit
gehandelt, welche jederzeit auch Gegenstand von Anordnungen und Verfügungen der Behörden hätten
sein können. Es könne nicht sein, dass diesbezüglich der kartellrechtliche Sanktionssachverhalt
anders beurteilt würde.
31. Die Beschwerdeführerin 1 sei erst
durch die Gründung der SIX-Gruppe im Laufe des Jahres 2007 als deren Konzernobergesellschaft
eingesetzt worden, während vorher kein gesellschaftsrechtliches Verhältnis zur Telekurs-Gruppe
und deren Gruppengesellschaften Multipay und Card Solutions bestanden habe. Damit habe zum Zeitpunkt
des angeblich wettbewerbswidrigen Verhaltens von Multipay und Card Solutions kein Beherrschungsverhältnis
zu Gunsten der Beschwerdeführerin 1 vorgelegen, weshalb diese im Kartellverwaltungsverfahren nicht
hätte herangezogen werden dürfen. Die Umstrukturierung bilde kein hinreichender Grund für
die Heranziehung.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
32. Nach Ansicht der Vorinstanz geht das Kartellgesetz
von einem funktionalen Unternehmensbegriff aus. Dies führe bei Konzernen dazu, dass wirtschaftlich
unselbständige Unternehmen trotz ihrer rechtlichen Unabhängigkeit keine Unternehmen im Sinne
des Kartellgesetzes darstellten.
33. Die
Multipay und die Card Soutions seien hundertprozentige Tochtergesellschaften der Beschwerdeführerin
1 gewesen. Bei beiden Tochtergesellschaften werde im Handelsregister unter "Zweck" unter
anderem festgehalten: "Die Gesellschaft ist eine Tochtergesellschaft der SIX Group AG (Konzernmutter)
und übt ihre Geschäftstätigkeit im Konzerninteresse aus." Die Zugehörigkeit
der Tochtergesellschaften zur Muttergesellschaft ergebe sich auch aus deren Firmenbezeichnungen sowie
aus dem Internetauftritt aller Gesellschaften und dem Geschäftsbericht 2009 der SIX Group AG. Der
CEO von Multipay habe Einsitz in der Gruppenleitung der SIX Group AG. Aus diesen Umständen könne
geschlossen werden, dass die SIX Group AG die Beteiligungen an Multipay und Card Solutions nicht ausschliesslich
als Investition halte, sondern dass sie über die Ausübung von Aktionärsrechten hinaus
Einfluss auf die Tochtergesellschaften nehme.
34. Die personale Ausgestaltung entspreche
grundsätzlich der Rechtslage im EU-Wettbewerbsrecht. Nach der Rechtsprechung des EuGH hafte die
Muttergesellschaft für Kartellrechtsverstösse ihrer Tochtergesellschaft, wenn die Muttergesellschaft
in der Lage sei, einen entscheidenden Einfluss auf die Tochtergesellschaft auszuüben und diese Möglichkeit
auch ausgeübt habe. Dabei bestehe nach ständiger Rechtsprechung des EuGH eine widerlegbare
Vermutung, dass diese Voraussetzungen erfüllt seien, wenn die Tochtergesellschaft zu 100% im Eigentum
der Muttergesellschaft stünde. Des Weiteren genüge eine Einflussnahme der Muttergesellschaft
in strategischen Angelegenheiten. Es sei hingegen nicht erforderlich, dass der Einfluss auf den konkreten
Geschäftsbereich ausgeübt werde, in dem der Kartellrechtsverstoss stattgefunden habe. Diese
Praxis habe zur Folge, dass die Konzernmutter nur in extremen Ausnahmefällen nicht für Tochtergesellschaften
hafte, von denen sie Anteile halte.
(3)
Würdigung durch das Gericht
35. Das Kartellgesetz findet gemäss dessen
Art. 2 Abs. 1 auf "Unternehmen des privaten und des öffentlichen Rechts"
Anwendung. Als massgebliches Kartellrechtssubjekt wird somit ausdrücklich das "Unternehmen"
statuiert (vgl. Botschaft des Bundesrats vom 23.11.1994 zu einem Bundesgesetz über Kartelle und
andere Wettbewerbsbeschränkungen, BBl 1995 I 468, zit.
Botschaft KG 1995, 533; BGer, 11.4.2011, 2C_343/2010 u.a.,
Eidg. Volkswirtschaftsdepartement gg. Swisscom (Schweiz) AG, publ. in: BGE 137 II 199, zit. Terminierung
Mobilfunk; BGer, 29.6.2012, 2C_484/2010, Publigroupe SA u.a. gg. Weko, publ. in: BGE 139 I 72,
zit. Publigroupe, E. 3 [nicht publ.]; BGer, 28.6.2016, 2C_180/2014,
Colgate-Palmolive Europe Sàrl [vormals Gaba International AG] gg. Weko, publ. in: BGE 143 II 297,
zit. Gaba, E. 3.1; BGer, 24.10.2017, 2C_63/2016, Bayrische Motoren
Werke AG gg. Weko, zit. BMW, E. 3; BVGer, 25.6.2018, B-771/2012,
Aktiengesellschaft Cellere u.a. gg. Weko, zit. Cellere, E. 3.1;
BVGer, 25.6.2018, B-807/2012, Erne Holding AG u.a. gg. Weko, zit. Erne,
E. 3.1; BVGer, 25.6.2018, B-829/2012, Granella Holding AG u.a. gg. Weko, zit. Granella,
E. 3.1; BVGer, 16.9.2016; B-581/2012, Nikon AG gg. Weko, zit. Nikon,
E. 4.1.1; BVGer, 13.11.2015, B-3332/2012, Bayrische Motoren Werke AG gg. Weko, zit. BMW,
E. 2.1.1; BVGer, 14.9.2015, B-7633/2009, Swisscom AG u.a. gg. Weko, zit. ADSL
II, E. 26 ff.; BVGer, 27.4.2010, B-2977/2007, Publigroupe SA u.a. gg. Weko, zit. Publigroupe,
E. 4.1 ff.; BVGer, 24.2.2010, B-2050/2007, Swisscom (Schweiz) AG gg. Weko, publ. in: BVGE 2011/32,
zit. Terminierung Mobilfunk, E. 3.1).
(a)
Unternehmen
36. Das schweizerische Recht kennt weder eine
allgemeingültige Definition noch eine allgemeine inhaltliche Umschreibung des Begriffs "Unternehmen",
die für eine kartellrechtliche Beurteilung des persönlichen Anwendungsbereichs zu berücksichtigen
wäre bzw. herangezogen werden könnte. Vielmehr statuiert Art. 2 Abs. 1
bis KG
eine eigenständige Regelung zur Qualifizierung des Kartellrechtssubjekts, deren Inhalt und Anwendung
an Sinn und Zweck des Kartellrechts auszurichten sind (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 26 f.; Borer Jürg, Schweizerisches Kartellgesetz,
3. Aufl. 2011, zit. KG, Art. 2 Rn. 3 ff.; Candreia
Philipp, Konzerne als marktbeherrschende Unternehmen nach Art. 7
KG, 2007, zit. Konzerne,
Rn. 124 ff.; Lehne Jens, in: Amstutz/Reinert [Hrsg.],
Basler Kommentar, Kartellgesetz, 2010, zit. BSK-KG, Art. 2
Rn. 7). Danach gelten als Unternehmen "sämtliche Nachfrager oder Anbieter von Gütern
und Dienstleistungen im Wirtschaftsprozess, unabhängig von deren Rechts- oder Organisationsform".
Der funktionale Ansatz und die weite sprachliche Fassung der gesetzlichen Regelung machen deutlich, dass
dadurch alle denkbaren Organisationseinheiten erfasst werden sollen, deren wirtschaftliche Verhaltensweisen
zu einer Wettbewerbsbeschränkung führen könnten (vgl. Botschaft
KG 1995, 533; Borer,
KG, Art. 2 Rn. 3 ff.; von Büren
Roland/Marbach Eugen/Ducrey Patrik, Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, 3. Aufl.
2008, zit. WBR, Rn. 1244; Heizmann
Reto/Mayer Michael, in: Zäch u.a. [Hrsg.], Kartellgesetz, 2018, zit. Dike-KG,
Art. 2 Rn. 16; Krauskopf Patrick/Henkel Sophie, Art. 2 Abs.
1
bis KG: Gedanken zum neuen Unternehmensbegriff,
sic! 2006, 740; zit. Unternehmensbegriff, 743; David Lucas/Jacobs
Reto, Schweizerisches Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2012, zit. WBR,
Rn. 570; Martenet Vincent/Killias Pierre-Alain, in: Martenet/Bovet/Tercier
[Hrsg.], Commentaire Romand, Droit de la concurrence, 2. Aufl. 2013, zit. CR-Concurrence,
Art. 2 Rn. 22; Weber Rolf H./Volz Stephanie, Fachhandbuch
Wettbewerbsrecht, 2013, zit. FHB-WBR, Rn. 1.51; Zäch
Roger, Schweizerisches Kartellrecht, 2. Aufl. 2005, zit. Kartellrecht,
Rn. 254; Zurkinden Philipp/Trüeb Hans Rudolf,
Das neue Kartellgesetz, 2004, zit. KG, Art. 2
Rn. 1). Der vorbehaltlose
Verweis in Art. 2 Abs. 1
bis KG auf die
privat- oder öffentlich-rechtliche Rechtsnatur eines Unternehmens stellt zudem sicher, dass nicht
nur die wirtschaftlichen Verhaltensweisen von natürlichen oder juristischen Personen des Privatrechts,
sondern auch öffentlich-rechtliche und gemischtwirtschaftliche Verwaltungseinheiten dem Geltungsbereich
des Kartellrechts unterstellt sind (vgl. Borer, KG,
Art. 2 Rn. 4 f.; Heizmann/Mayer, Dike-KG,
Art. 2 Rn. 26; Lehne, BSK-KG,
Art. 2 Rn. 13; Martenet/Killias, CR-Concurrence,
Art. 2
Rn. 36 ff., 47; Rubin Bernhard/Courvoisier Matthias,
in: Baker & McKenzie [Hrsg.], Kartellgesetz, 2007, zit. SHK-KG,
Art. 2 Rn. 3 ff.; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 1.57). Als Unternehmen im Sinne des Kartellgesetzes sind daher alle wirtschaftlich selbständigen
Organisationseinheiten zu qualifizieren, die ungeachtet ihrer Rechts- und Organisationsform als Teilnehmer
am Wirtschaftsprozess auftreten (vgl. Heizmann/Mayer, Dike-KG,
Art. 2 Rn. 16; Lehne, BSK-KG,
Art. 2 Rn. 14 ff.; Martenet/Killias, CR-Concurrence,
Art. 2 Rn. 24, 28 f.; Rubin/Courvoisier, SHK-KG,
Art. 2 Rn. 5; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 1.58).
37. Zur
Beurteilung des Kartellrechtssubjekts stützt sich das Kartellgesetz demnach auf eine eigenständige
funktionale Betrachtungsweise ab, die weder an besondere formale Aspekte des Auftretens im Wirtschaftsverkehr
noch an bestehende, durch andere Rechtsvorschriften vorgegebene Rechts- oder Organisationsformen anknüpft.
Das Kartellgesetz hat somit eine eigenständige Subjektstruktur geschaffen, welche sich nicht an
den vorgegebenen Strukturen des Gesellschafts- oder Personenrechts orientiert, sondern bewusst über
diese hinausgeht (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 28; in
diesem Sinne auch Heinemann Andreas, Konzerne als Adressaten
des Kartellrechts, in: Hochreutener/Stoffel/Amstutz [Hrsg.], Wettbewerbsrecht: Jüngste Entwicklungen
in der Rechtsprechung, Konzernsachverhalte und Konzernbegriff aus kartellrechtlicher Sicht, 2015, 49,
zit. Konzernbegriff, 52; Heizmann/Mayer,
Dike-KG, Art. 2 Rn. 8; Straub
Ralf Michael, Der Konzern als Kartellrechtssubjekt, in: Grolimund/Koller/Loacker/Portmann [Hrsg.],
Festschrift für Anton K. Schnyder zum 65. Geburtstag, 2018, 1269 ff., zit. Konzern,
1270 f.).
38. Ungeachtet
einer grundsätzlichen inhaltlichen Ausrichtung auf das EU-Wettbewerbsrecht (vgl. E. 512)
unterscheidet sich das schweizerische Kartellgesetz aufgrund der Statuierung von Art. 2 Abs. 1
bis
KG und der damit verbundenen ausdrücklichen inhaltlichen Spezifizierung eines eigenständigen
Kartellrechtssubjekts durch den Gesetzgeber in diesem Punkt vom EU-Wettbewerbsrecht, das keine entsprechende
Statuierung durch Vorschrift oder Rechtsgrundsatz vorsieht. Dem gegenteiligen Einwand der Beschwerdeführerinnen
mit Verweis auf einzelne Entscheide des EU-Wettbewerbsrechts (vgl. E. 23)
kommt daher keine Bedeutung zu.
(b)
Konzerne
39. Ein
Konzern stellt einen besonderen Gesellschaftsverbund dar, der im weitesten Sinne auf einer Zusammenfassung
verschiedener, rechtlich selbständiger Organisationseinheiten zu einer eigenständigen wirtschaftlichen
Einheit unter einer übergeordneten Gruppenführung beruht.
40. Auch wenn der Konzern keine besondere gesetzliche
Ausgestaltung im Bereich des Gesellschafts- oder Personenrechts erfahren hat, wird die Zulässigkeit
einer entsprechenden Zusammenfassung von Praxis (vgl. BGE 130 III 213 E. 2.2.1; BGE 124 III 299 E. 6;
BGE 120 II 331 E. 5) und Literatur (vgl. Baudenbacher Carl,
in: Honsell/Vogt/Watter [Hrsg.], Basler Kommentar, Obligationenrecht II, 5. Aufl. 2016, zit. BSK-OR II,
Vor Art 620 Rn. 19; Böckli Peter, Aktienrecht, 4. Aufl.
2009, zit. Aktienrecht, § 11 Rn. 12; von Büren
Roland, in: von Büren/Meier-Hayoz [Hrsg.], Schweizerisches Privatrecht, Bd. VIII/6, Der Konzern,
2. Aufl. 2005, zit. Konzern, 71 f.; von
der Crone Hans Caspar, Aktienrecht, 2014, zit. Aktienrecht,
§ 15 Rn. 1 f.; Handschin Lukas, Der Konzern im geltenden
schweizerischen Privatrecht, 1994, zit. Konzern, 1;
Hayoz/Forstmoser, Schweizerisches Gesellschaftsrecht, 11.
Aufl. 2012, zit. Gesellschaftsrecht, § 24 Rn. 45; Schnyder Anton K.,
in: von Büren/Stoffel/Schnyder/ Westenberg [Hrsg.], Aktienrecht, 2000, zit. Aktienrecht,
Rn. 1227) anerkannt.
41. Eine grundlegende Ausgestaltung hat der
Konzern durch Vorschriften zur Rechnungslegung von Aktiengesellschaften in den Art. 963
f. OR erfahren.
Danach erfordert die Zusammenfassung von verschiedenen Gesellschaften zu einem Konzern als massgebliches
Element eine übergeordnete Gruppenführung, die sich auf ein Beherrschungsverhältnis zwischen
der Konzernobergesellschaft und den einzelnen Konzerngesellschaften abstützt. Dieses Beherrschungsverhältnis
kann aufgrund der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung alternativ auf verschiedenen Umständen
beruhen: (i) der Möglichkeit zur direkten oder indirekten Ausübung der Stimmenmehrheit im obersten
Organ der einzelnen Gruppengesellschaft; (ii) der Möglichkeit zur direkten oder indirekten Berufung
einer Mehrheit der Mitglieder des obersten Leitungs- oder Verwaltungsorgans der einzelnen Gruppengesellschaft;
(iii) der Möglichkeit, aufgrund der Statuten, der Stiftungsurkunde, eines Vertrags oder vergleichbarer
Instrumente einen beherrschenden Einfluss auf die einzelne Gruppengesellschaft auszuüben.
42. Eine solche übergeordnete Gruppenführung
führt dazu, dass die Konzernobergesellschaft in der Lage ist, aufgrund der ihr zukommenden Stellung
im Rahmen der organisatorischen Zusammenfassung durch ausdrückliche oder stillschweigende Anordnungen
oder sonstige direkte oder indirekte Handlungsmöglichkeiten in bestimmender Weise auf die Geschäftstätigkeit,
die Struktur oder die sonstigen Verhältnisse einer anderen Gruppengesellschaft einzuwirken.
43. Liegt eine der gesetzlich aufgeführten
Umstände eines Beherrschungsverhältnisses vor, ergibt sich daraus zwangsläufig die Kontrolle
der einzelnen Gruppengesellschaften.
44. Für die Einordnung einer bestimmten
Gesellschaft in einen Konzern stellt das Leitungsprinzip, d.h. die tatsächliche Ausübung einer
effektiven Kontrolle durch die Konzernobergesellschaft, entgegen einer bislang vertretenen Ansicht in
der gesellschaftsrechtlichen Literatur (vgl. Böckli,
Aktienrecht, § 9 Rn. 22 f.;
von Büren, Konzern, 82), jedenfalls für
eine kartellrechtliche Beurteilung keine notwendige Voraussetzung dar (a.A. Heizmann/Mayer,
Dike-KG, Art. 2 Rn. 31; Lehne,
BSK-KG, Art. 2 Rn. 29; Weber/Volz,
FHB-WBR, Rn. 1.60). Vielmehr ist entsprechend dem Kontrollprinzip,
welches teilweise auch bereits bislang für das Gesellschaftsrecht als massgeblich qualifiziert wurde
(vgl. Druey, Konzernrecht,
347 ff.; Handschin, Konzern,
43 f., 109; Schnyder, Aktienrecht,
Rn. 1231), die blosse Möglichkeit zu einer Kontrolle durch die Konzernobergesellschaft ausreichend
(vgl. David/Jacobs, WBR,
Rn. 577; Lang Christoph/Jenny Reto M., Keine Wettbewerbsabreden
im Konzern, Zum Konzernprivileg im schweizerischen Kartellrecht, sic! 2007, 299, zit. Konzernprivileg,
307 f.; Straub, Konzern,
1278). Denn in der Praxis verläuft die reale Konzernorganisation nicht notwendigerweise entlang
den juristischen Organisationsstrukturen. Zudem kann die Einflussnahme durch eine Konzernobergesellschaft
auf die Geschäftsführung einer einzelnen Gruppengesellschaft in vielfältiger Weise vorgenommen
werden, wobei diese Einflussnahme nicht in nachvollziehbarer, dokumentierter Form ausgeübt werden
muss. Daher ist eine Unterscheidung zwischen einer jederzeit möglichen und einer tatsächlich
erfolgten Einflussnahme letztlich ausgeschlossen. So führt bereits die faktische Herrschaftsmacht
zu Gunsten der Organmitglieder der beherrschenden Konzernobergesellschaft zwangsläufig zur Beachtung
von jeglichen ausdrücklichen oder impliziten Anweisungen, Anordnungen und Wünschen auf Seiten
der Organmitglieder der beherrschten Gruppengesellschaft. Dies wird auch von Vertretern des Leitungsprinzips
ausdrücklich anerkannt (vgl. Böckli, Aktienrecht,
§ 9 Rn. 261 f.; von Büren, Konzern, 83).
Daher lässt sich eine sachgerechte Abgrenzung im Hinblick auf das Vorliegen einer tatsächlichen
wirtschaftlichen Unabhängigkeit - die auch für die Anwendung des Konzernprivilegs Bedeutung
erlangt (vgl. E. 51)
- anhand des Leitungsprinzips in der kartellrechtlichen Praxis im Einzelfall gar nicht zweifelsfrei
vornehmen (vgl. Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts [Aktienrecht und Rechnungslegungsrecht
u.a.] vom 21.12.2007, BBl 2008 1589, zit. Botschaft OR 2007, 1724;
ausführlich Lang/Jenny, Konzernprivileg,
307 f.).
45. Im Übrigen wurde der Ansatz des Kontrollprinzips
vom Gesetzgeber nunmehr im Rechnungslegungsrecht durch Art. 963
OR auch formal ausdrücklich statuiert
(vgl. Botschaft OR 2007, 1724; von
der Crone Hans Caspar, Aktienrecht, § 15 Rn. 8; Handschin
Lukas, Rechnungslegung im Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2016, zit. Rechnungslegung,
Rn. 939; Neuhaus Markus R./Baur David, in: Honsell/Watter/Vogt
[Hrsg.], Basler Kommentar, Obligationenrecht II, 5. Aufl. 2016, zit. BSK-OR
II, Art. 963 Rn. 9, 14; Wandeler Markus/Suter Daniel,
Neue Rechnungslegung gemäss Botschaft zum Obligationenrecht, Der Schweizer Treuhänder, 2008,
115 f., Ziff. 5). Damit hat der Gesetzgeber die seit 1982 bestehende, aufgrund des Wortlauts des früheren
Art. 663e
OR ambivalente (vgl. Botschaft des Bundesrats über die Revision des Aktienrechts vom 23.2.1983,
BBl 1983 II 745, 817, wonach der Gesetzestext keine Festlegung vornehmen wollte) und daher umstrittene
Rechtslage klargestellt (vgl. Kubli Linda, Das kartellrechtliche
Sanktionssubjekt im Konzern, 2014, 217). Die Massgeblichkeit des Kontrollprinzips entspricht auch dem
bereits bislang bestehenden Verständnis zum Vorliegen eines Beherrschungsverhältnisses in den
internationalen Regelungswerken zum Rechnungslegungsrecht (vgl. Neuhaus/Baur,
BSK-OR II, Art. 963 Rn. 36).
46. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen,
dass das Kartellrecht auch bei der Beurteilung von Unternehmenszusammenschlüssen in Form eines Kontrollerwerbs
auf die blosse Möglichkeit zu einer Kontrolle von wirtschaftlichen Entitäten und nicht auf
eine effektive Ausübung dieser Kontrolle abstellt. Art. 4 Abs. 3
KG qualifiziert den Kontrollerwerb
d.h. jeden Vorgang, durch den ein oder mehrere Unternehmen unmittelbar oder mittelbar die Kontrolle über
ein oder mehrere bisher unabhängige Unternehmen oder Teile von solchen erlangen, als Unternehmenszusammenschluss.
Art. 1 VKU sieht hierfür vor, dass die notwendige Kontrolle lediglich die Möglichkeit der Ausübung
eines bestimmenden Einflusses auf ein anderes Unternehmen verlangt. Nach übereinstimmender Ansicht
ist es dabei unerheblich, ob (i) eine Absicht zur Ausübung der Kontrollmöglichkeit gegeben
ist, (ii) die Kontrollmöglichkeit tatsächlich ausgeübt wird, und (iii) die Ausübung
der tatsächlichen Kontrolle nachgewiesen werden kann (vgl. Botschaft
KG 1995, 550; Borer, KG,
Art. 4 Rn. 33; Reinert Mani, in: Amstutz/Reinert [Hrsg.],
Basler Kommentar, Kartellgesetz, 2010, zit. BSK-KG, Art. 4 Abs.
3 Rn. 125; Sinem Süslu, in: Zäch u.a. [Hrsg.],
Kartellgesetz, 2018, zit. Dike-KG, Art. 4 Abs. 3 Rn. 79 f.; Weber/Volz,
FHB-WBR, Rn. 2.842).
47. Massgebend für die Beurteilung, ob
eine Einordnung einer Gesellschaft in einen Konzern besteht, ist im Regelfall die ausdrückliche
Erklärung der Konzernobergesellschaft zur Ausübung einer übergeordneten Gruppenführung
bei anderen Gruppengesellschaften, die in der Vorlage einer Konzernrechnung gemäss Art. 963
OR eindeutig
zum Ausdruck kommt (Straub, Konzern,
1267 f.; a.A. Heizmann/Mayer, Dike-KG,
Art. 2 Rn. 32, aufgrund einer gesellschaftsrechtlichen Sichtweise; zu Fällen einer fehlenden Konsolidierung
vgl. Handschin, Rechnungslegung,
Rn. 939a ff.). Mit Vorlage einer Konzernrechnung erklärt die Konzernobergesellschaft, dass ein Beherrschungsverhältnis
zwischen ihr und den durch die Konzernrechnung konsolidierten Gruppengesellschaften besteht (vgl. Handschin,
Rechnungslegung, Rn. 976; Neuhaus/Baur,
BSK-OR II, Art. 963
Rn. 22). Durch das gemäss Art. 727 Abs.
1
OR vorgesehene Testat eines Revisors bei Vorliegen einer verpflichtenden Konzernrechnungslegung wird
das Bestehen eines Beherrschungsverhältnisses sogar durch einen unabhängigen Dritten bestätigt
(vgl. Maizar Karim/Watter
Rolf, in: Honsell/Vogt/Watter [Hrsg.], Basler Kommentar, Obligationenrecht II, 5. Aufl. 2016,
Art. 727 Rn. 29, 30; dies., in: Watter/Bertschinger [Hrsg.],
Basler Kommentar, Revisionsrecht, 2011, Vor Art. 727, 727a Rn. 27, 30). Im Regelfall besteht demnach
kein Grund, im Rahmen einer kartellrechtlichen Beurteilung von dieser, unter Umständen sogar geprüften
Erklärung der Konzernobergesellschaft abzuweichen (zu Ausnahmen der Konsolidierungspflicht vgl.
Handschin, Rechnungslegung,
Rn. 958 ff.).
48. Bei
Konzernverhältnissen stellt eine einzelne Gruppengesellschaft angesichts des Beherrschungsverhältnisses
durch die Konzernobergesellschaft demzufolge mangels wirtschaftlicher Selbständigkeit kein Unternehmen
im kartellrechtlichen Sinne dar. Dies gilt selbst dann, wenn das wettbewerbswidrige Verhalten in ihrem
Geschäftsbereich ausgeübt wurde. Allerdings wird auch die Konzernobergesellschaft, von der
die übergeordnete Gruppenführung ausgeht, nicht als massgebliches kartellrechtliches Unternehmenssubjekt
qualifiziert. Vielmehr bildet nach nahezu übereinstimmender Ansicht in Praxis und Literatur die
Gesamtheit aller zusammengefassten Gesellschaften und damit der Konzern als Ganzes das massgebliche Unternehmen
im Sinne des Kartellrechts (vgl. BGE 139 I 72, Publigroupe, E. 3
[nicht publ.]; BVGer, B-2977/2007, Publigroupe, E. 4.1 ff.;
BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 26 f.; BVGer, B-581/2012, Nikon,
E. 4.1.3; BVGer, B-3332/2012, BMW, E. 2.1.2; Weko,
6.10.2008, RPW 2008/4, 544, Tarifverträge Zusatzversicherung Kanton Luzern,
Krankenversicherer sowie öffentliche und öffentlich subventionierte Spitäler im
Kanton Luzern, Ziff. 26; Amstutz/Carron, BSK-KG,
Art. 7 Rn. 224; Borer, KG,
Art. 2 Rn. 11; von Büren, Konzern, 470;
David/Jacobs, WBR,
Rn. 577; Heinemann, Konzernbegriff,
52; Heizmann/Mayer, Dike-KG,
Art. 2 Rn. 31; Lang/Jenny, Konzernprivileg,
299; Lehne, BSK-KG,
Art. 2 Rn. 27; Martenet/Killias, CR-Concurrence,
Art. 2 Rn. 30 f.; Roth Robert, in: Martenet/Bovet/Tercier
[Hrsg.], Droit de la concurrence, Commentaire Romand, 2. Aufl. 2013, zit. CR-Concurrence,
Rem. art. 49a-53 Rn. 36; Rubin/Courvoisier, SHK-KG,
Art. 3 Rn. 12; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 1.60; Zäch, Kartellrecht,
Rn. 256).
49. Dabei
stellen die einzelnen Gruppengesellschaften einschliesslich der Konzernobergesellschaft nur Repräsentanten
des Konzerns dar, weil sie angesichts der fehlenden allgemeinen Rechtsfähigkeit eines Konzerns nicht
rechtswirksam als dessen Stellvertreter im Rechtsverkehr auftreten können (vgl. BVGer, B-7633/2009,
ADSL II, E. 30).
50. Vor diesem Hintergrund sind die verschiedenen
Einwände der Beschwerdeführerinnen gegenüber einer Heranziehung der Beschwerdeführerinnen
als Repräsentanten des Konzerns durch die angefochtene Verfügung abzuweisen.
51. Entgegen
der Ansicht der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 21
f.) ist generell eine einheitliche Qualifizierung des Konzerns als massgebliches Kartellrechtssubjekt
vorzunehmen (vgl. Lang/Jenny, Konzernprivileg,
306 f.). Eine Differenzierung zwischen unterschiedlichen Gruppengesellschaften lässt sich wie dargelegt
unter Berücksichtigung der Anforderungen an die Rechtssicherheit regelmässig auch nicht durchführen.
Zudem lässt die für das Vorliegen eines Konzerns notwendige Feststellung eines Beherrschungsverhältnisses
zwischen Konzernobergesellschaft und einzelner Gruppengesellschaft keinen Raum für eine sich daran
anschliessende kartellrechtliche Differenzierung, weil mit der Feststellung eines Beherrschungsverhältnisses
durch die Konzernobergesellschaft umgekehrt automatisch die Feststellung der fehlenden wirtschaftlichen
Selbständigkeit einer Gruppengesellschaft zwingend einhergeht. Im Übrigen würde die Anerkennung
einer solchen Differenzierung dazu führen, dass auch das Konzernprivileg nicht mehr allen Gesellschaften
einer Unternehmensgruppe, sondern nur noch denjenigen Konzerngesellschaften, bei denen die Konzernobergesellschaft
in ausreichender Weise das Bestehen eines Beherrschungsverhältnisses nachweisen könnte, zukommen
würde. Dies hätte weitreichende Folgen auf die Beurteilung von jeglichen gruppeninternen Transaktionen,
die damit dem Grundsatz nach wettbewerbskonform ausgestaltet sein müssten und von dieser Anforderung
nur dann befreit wären, wenn ein Beherrschungsverhältnis in ausreichender Weise umgesetzt und
dokumentiert wäre. Da konzerninterne Transaktionen aus nachvollziehbaren Gründen über
das Konzernprivileg gerade von einer Anwendung der materiellen Kartellrechtsvorschriften ausgenommen
werden sollen, ist es umgekehrt ausgeschlossen, für den personalen Anwendungsbereich des Kartellgesetzes
spezifische Voraussetzungen an die interne Ausgestaltung des Konzernverhältnisses zu stellen.
52. Ob und inwieweit in besonderen Sachverhaltskonstellationen
eine andere Beurteilung gerechtfertigt werden kann, bedarf jedenfalls vorliegend keiner Abklärung,
weil der Sachverhalt keinerlei Anhaltspunkte dafür bietet, dass von einem atypischen Konzernverhältnis
auszugehen wäre. Die Beschwerdeführerinnen legen im Übrigen auch in keiner Weise dar,
unter welchen Umständen von einer Ausnahmesituation auszugehen sei und sie begründen auch nicht,
dass im vorliegenden Fall eine solche Ausnahmesituation gegeben sei. Insoweit handelt es sich bei diesen
Argumentationen der Beschwerdeführerinnen letztlich um unsubstantiierte Behauptungen.
53. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 22)
ist einer kartellrechtlichen Beurteilung von Konzernsachverhalten wie dargelegt auch nicht die Notwendigkeit
einer tatsächlich erfolgten effektiven Kontrolle einer Gruppengesellschaft durch die Konzernobergesellschaft
zu Grunde zu legen, weil bereits die Möglichkeit, einen massgeblichen Einfluss auf die Tätigkeit
einer Gruppengesellschaft ausüben zu können, für die Annahme eines Beherrschungsverhältnisses
ausreichend ist. Daher sind die Einwände der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 25
ff.) von vornherein unerheblich, (i) ob eine Untersuchung vorgenommen wurde, inwieweit die Konzernobergesellschaft
in das Tagesgeschäft von Multipay und Card Solutions tatsächlich eingebunden war, und (ii)
dass eine Feststellung der wirtschaftlichen Unabhängigkeit der Multipay und der Card Solutions weder
durch die personellen Verflechtungen der verschiedenen Gruppengesellschaften noch durch ähnliche
Firmenbezeichnungen, Internetauftritte und die Angabe des Geschäftszwecks ausgeschlossen sei.
54. Der Vollständigkeit halber ist aber
darauf hinzuweisen, dass auch bei Fehlen einer Konzernrechnung angesichts von konkreten Umständen
wie beim vorliegenden Sachverhalt (vgl. SV B.d
bis B.f)
aufgrund des vollständigen Besitzes der Anteile an den Gruppengesellschaften durch die Konzernobergesellschaft,
einer statutarischen Verankerung der Verpflichtung zur Verfolgung des Konzerninteresses im Gesellschaftszweck
der Gruppengesellschaften, der Einsitznahme von Organ- oder Geschäftsleitungsmitgliedern der Konzernobergesellschaft
in den Organen oder Geschäftsleitungen der Gruppengesellschaften sowie der Herstellung eines einheitlichen
gruppenweiten Geschäftsauftritts im Hinblick auf Firmierung und Aussendarstellung bei einem Fehlen
von belastbaren Nachweisen über die Sicherstellung einer unbeeinflussten Geschäftsführung
durch die Gruppengesellschaften ohne Weiteres von einer tatsächlichen Einflussnahme der Konzernobergesellschaft
auf die Gruppengesellschaften auszugehen ist.
55. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 23)
ist im vorliegenden Zusammenhang auch nicht auf die anders ausgestalteten Voraussetzungen einer Qualifizierung
von Konzernen im EU-Wettbewerbsrecht abzustellen, weil aufgrund von Art. 2 Abs. 1
bis KG
und Art. 963
OR eine konkrete gesetzliche Rechtslage für die kartellrechtliche Beurteilung von Konzernverhältnissen
besteht (vgl. E. 38).
(c)
Umstrukturierungen
56. Bei
Umstrukturierungen von Konzernen erfolgen strukturelle Veränderungen im Bestand der jeweiligen Gruppengesellschaften.
Derartige Veränderungen sind äusserst vielgestaltig. Im Vordergrund stehen dabei folgende Konstellationen:
(i) die Aufnahme neuer Gesellschaften und das Ausscheiden bestehender Gruppengesellschaften mittels Anteilserwerbs
und -verkaufs (Unternehmenskauf); (ii) die Übernahme einer Gruppengesellschaft durch interne oder
externe Gesellschaften (Absorption, Art. 3
ff. Bundesgesetz über Fusion, Abspaltung, Umwandlung
und Vermögensübertragung vom 3.10.2003 [Fusionsgesetz, FusG]) oder deren Kombination in einer
neuen Gesellschaft mittels Fusion (Verschmelzung, Art. 3
ff. FusG); (iii) die Abspaltung von Teilen einer
Gruppengesellschaft (Art. 29
ff. FusG); (iv) die Übertragung von Geschäftsbetrieben oder deren
Teile durch Vermögensübertragungen (Art. 69
ff. FusG). Bei der von einer strukturellen Veränderung
betroffenen Gruppengesellschaft kann es sich um die Konzernobergesellschaft (Muttergesellschaft, Topholding-Gesellschaft),
eine Zwischengesellschaft (Zwischenholding) oder eine einfache Gruppengesellschaft handeln. Eine Umstrukturierung
stellt aber auch die Verbindung oder Abtrennung von ganzen Unternehmensgruppen mittels Anteilserwerbs,
Fusion oder Anteilsverkaufs dar.
57. Bei der Umstrukturierung eines Konzerns
stellen sich dabei die Fragen, ob von der jeweiligen strukturellen Veränderung des Unternehmensverbunds
überhaupt ein Einfluss und gegebenenfalls welcher Einfluss auf die Beurteilung im Kartellverwaltungsverfahren
oder in einem darauf folgenden Rechtsmittelverfahren ausgeht. Diese Sachfragen betreffen im Einzelfall
nicht nur den Aspekt der personalen Anwendbarkeit des Kartellgesetzes, sondern auch den Aspekt der massgeblichen
Partei bzw. des massgeblichen Verfügungsadressaten (vgl. E. 125
ff.) sowie den Aspekt der Verantwortlichkeit des Konzerns für das wettbewerbswidrige Verhalten (vgl.
E. 1502
ff.). Trotz eines gewissen sachlichen Zusammenhangs bedürfen diese Aspekte allerdings keiner einheitlichen
Beantwortung (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 77).
58. Im Rahmen der personalen Anwendbarkeit
des Kartellgesetzes sind verschiedene grundlegende Aspekte für die kartellrechtliche Beurteilung
einer Umstrukturierung von Konzernen zu berücksichtigen (vgl. Lang/Jenny,
Konzernprivileg, 303 f., 307 f.; Straub,
Konzern, 1295 f.; Tagmann
Christoph/Zierlick Beat, in: Amstutz/Reinert [Hrsg.], Basler Kommentar, Kartellgesetz, 2010, zit.
BSK-KG, Art. 49a Rn. 100). Dabei sind diese Aspekte für die
Feststellung der personalen Anwendbarkeit des Kartellgesetzes abzugrenzen gegenüber den sachlichen
Voraussetzungen für das Vorliegen eines Unternehmenszusammenschlusses, die in Art. 4 Abs. 3
KG i.V.m.
Art. 2 VKU niedergelegt sind, denen wiederum eine eigenständige Bedeutung als Grundlage für
eine Überprüfung gemäss Art. 9
f. KG zukommt (vgl. Borer,
KG, Art. 4 Rn. 30 ff.; Reinert, BSK-KG,
Art. 4 Abs. 3 Rn. 4 ff.; Süslü, Dike-KG,
Art. 4 Abs 3 Rn. 9 ff.).
59. Zum Zweck einer Feststellung des personalen
Anwendungsbereichs lassen sich mehrere grundlegende Varianten von Transaktionen unterscheiden. Im Hinblick
auf die an der Umstrukturierung beteiligten Unternehmen sind interne und externe Transaktionen sowie
im Hinblick auf die Beibehaltung des Beherrschungsverhältnisses zwischen Konzernobergesellschaft
und fehlbarer Konzerngesellschaft strukturerhaltende und strukturauflösende Transaktionen zu unterscheiden.
60. Ausgangspunkt der entsprechenden Beurteilung
einer Umstrukturierung bildet der Grundsatz des flexiblen Mitgliederbestands einer Unternehmensgruppe.
Danach besteht das Kartellrechtssubjekt "Konzern" unabhängig von einem bestimmten Bestand
an Gruppengesellschaften und einem allfälligen Ausscheiden oder Eintreten einzelner Gruppengesellschaften
aus dem oder in den Konzern, wenn diese in keinem Zusammenhang zur Durchführung des wettbewerbswidrigen
Verhaltens stehen. Denn für die Feststellung einer selbständigen wirtschaftlichen Organisationseinheit
aufgrund eines besonderen Beherrschungsverhältnisses ist es unerheblich, welchen genauen Bestand
an einzelnen Gruppengesellschaften dieser Verbund aufweist. Soweit das Beherrschungsverhältnis zwischen
Konzernobergesellschaft und fehlbarer Konzerngesellschaft gewahrt bleibt, sind daher auch Bestandsänderungen
für die Beurteilung des persönlichen Anwendungsbereichs des Kartellgesetzes unbeachtlich. Das
Beherrschungsverhältnis bleibt bei Umstrukturierungen gewahrt, wenn es entweder (i) mangels struktureller
Veränderungen von Konzernobergesellschaft und fehlbarer Konzerngesellschaft unverändert weiterbesteht
oder (ii) zumindest in modifizierter Form fortbesteht, weil es trotz einer strukturellen Veränderung
von Konzernobergesellschaft oder Konzerngesellschaft durch die neu gebildeten Gruppengesellschaften fortgeführt
wird. So besteht das Beherrschungsverhältnis z.B. immer dann fort, wenn die Konzernobergesellschaft
im Rahmen einer Fusion durch eine andere Gesellschaft absorbiert oder mit einer anderen Gesellschaft
kombiniert wird, weil die neu eingesetzte oder neu geschaffene Konzernobergesellschaft das Beherrschungsverhältnis
gegenüber den anderen Gruppengesellschaften einschliesslich der fehlbaren Konzerngesellschaft fortführt.
Gleiches gilt umgekehrt etwa auch dann, wenn die fehlbare Konzerngesellschaft durch eine andere Gruppengesellschaft
absorbiert oder mit dieser kombiniert wird. Denn die beherrschende Stellung der Konzernobergesellschaft
besteht auch gegenüber der anderen Gruppengesellschaft und setzt sich daher fort. Massgebend für
die kartellrechtliche Beurteilung einer Umstrukturierung ist demzufolge grundsätzlich, ob von einem
Fortbestand der kartellrechtlichen Beurteilungslage auszugehen ist.
61. Interne Transaktionen sind Umstrukturierungen,
bei denen ausschliesslich Gruppengesellschaften des jeweiligen Konzerns beteiligt sind (daher stellen
sie grundsätzlich auch keinen Unternehmenszusammenschluss gemäss Art. 4 Abs. 3
KG dar, vgl.
BVGer, B-581/2012, Nikon, E. 4.1.3; Borer,
KG, Art. 4 Rn. 28; Reinert,
BSK-KG, Art. 4 Abs. 3 Rn. 57 ff.; Süslü,
Dike-KG, Art. 4 Abs. 3 Rn 32). Gemäss dem Grundsatz des flexiblen
Mitgliederbestands führen interne Transaktionen von vornherein nicht zu einer Veränderung des
Kartellrechtssubjekts "Konzern", weil die jeweilige Unternehmensgruppe keine beachtenswerte
Veränderung erfährt. Denn das Beherrschungsverhältnis zwischen Konzernobergesellschaft
und fehlbarer Konzerngesellschaft wird in jedem Fall fortgeführt, wenn auch gegebenenfalls in veränderter
struktureller Ausgestaltung. Diese Qualifizierung von derartigen Umstrukturierungen ist auch unter Berücksichtigung
von Sinn und Zweck der kartellrechtlichen Anwendungsvorschriften sachgerecht. Ansonsten bestünde
für einen Konzern die Möglichkeit, einer kartellrechtlichen Beurteilung für ein wettbewerbswidriges
Verhalten dadurch zu entgehen, indem etwa die fehlbare Konzerngesellschaft mittels einer gruppeninternen
Absorptionsfusion zum Verschwinden gebracht würde.
62. Strukturerhaltende
externe Transaktionen sind Umstrukturierungen, bei denen eine "Erweiterung der Unternehmensgruppe"
durch bislang externe Unternehmen oder eine andere Unternehmensgruppe erfolgt, die Konzernobergesellschaft
und die fehlbare Konzerngesellschaft nach Umsetzung der Umstrukturierung aber immer noch der gleichen
Unternehmensgruppe angehören. Dabei können die beiden Gesellschaften ihre Position in der Unternehmensgruppe
beibehalten, verändern oder infolge einer Absorption durch andere Gesellschaften oder einer Kombination
mit diesen verlieren. So kann z.B. eine bislang beherrschende Konzernobergesellschaft mit einer neu hinzutretenden
Gesellschaft kombiniert, von dieser absorbiert oder zu einer Zwischenholding herabgestuft werden. Strukturerhaltende
externe Transaktionen führen ebenfalls nicht zu einer Veränderung des Kartellrechtssubjekts
"Konzern", weil die jeweilige Unternehmensgruppe nach dem Grundsatz des flexiblen Mitgliederbestands
eines Konzerns keine beachtenswerte Veränderung erfährt. Dies ergibt sich ohne Weiteres, wenn
die Konzernobergesellschaft auch weiterhin die Position als beherrschende Gesellschaft beibehält.
Soweit die Konzernobergesellschaft von einer neu hinzutretenden Gesellschaft absorbiert oder mit einer
solchen kombiniert wird, tritt die neue Gesellschaft an die Position der bisherigen Konzernobergesellschaft,
von der sie auch die herrschende Stellung gegenüber den anderen Gruppengesellschaften übernimmt,
weshalb keine andere Einschätzung erforderlich wird. Auch die Qualifizierung derartiger Umstrukturierungen
entspricht wie dargelegt Sinn und Zweck der kartellrechtlichen Anwendungsvorschriften, um zu vermeiden,
dass sich ein Konzern im Rahmen einer Erweiterung der Unternehmensgruppe einer kartellrechtlichen Verantwortlichkeit
zu entziehen vermag.
63. Strukturauflösende externe Transaktionen
sind Umstrukturierungen, bei denen ein "Wechsel der Unternehmensgruppe" stattfindet, weil
die ursprüngliche Verbindung zwischen Konzernobergesellschaft und fehlbarer Konzerngesellschaft
aufgelöst wird. Der Wechsel der Unternehmensgruppe wird dabei dadurch bewerkstelligt, dass entweder
die Konzernobergesellschaft oder die fehlbare Konzerngesellschaft aus der Unternehmensgruppe ausscheidet,
weil sie von einem gruppenfremden Unternehmen absorbiert oder mit diesem kombiniert wird oder dieses
ihre Gesellschaftsanteile erwirbt. In diesen Fällen ist im Hinblick auf das wettbewerbswidrige Verhalten
notwendigerweise eine Unterscheidung anhand des Zeitpunkts der Wirksamkeit der Transaktion vorzunehmen,
weil eine gruppenübergreifende Zusammenfassung von verschiedenen Kartellrechtssubjekten auf der
Zeitachse nicht möglich ist. Denn allein durch die Verlagerung des Beherrschungsverhältnisses
zur fehlbaren Konzerngesellschaft von der Konzernobergesellschaft des einen Konzerns zur Konzernobergesellschaft
des anderen Konzerns ergibt sich keine wirtschaftliche Abhängigkeit dieser Obergesellschaften untereinander
und damit auch keine einheitliche Betrachtung. Demzufolge ist im Rahmen des personalen Anwendungsbereichs
für die Zeit bis zum Wechsel der Unternehmensgruppe derjenige Konzern heranzuziehen, dem die fehlbare
Konzerngesellschaft bislang angehörte. Ab dem Zeitpunkt des Wechsels der Unternehmensgruppe ist
derjenige Konzern heranzuziehen, in dessen Unternehmensverbund die fehlbare Konzerngesellschaft nunmehr
integriert ist. Auch diese Qualifizierung der entsprechenden Umstrukturierungen entspricht dem Sinn und
Zweck der kartellrechtlichen Anwendungsvorschriften. Ansonsten bestünde für einen Konzen die
Möglichkeit, einer kartellrechtlichen Beurteilung und der sich daraus ergebenden Verantwortlichkeit
für ein wettbewerbswidriges Verhalten einfach durch eine Veräusserung der Anteile an der fehlbaren
Konzerngesellschaft zu entgehen.
64. Strukturelle Veränderungen im Bestand
der Gruppengesellschaften führen demzufolge grundsätzlich nicht zu einer Änderung der
Qualifizierung eines Konzerns als Kartellrechtssubjekt. Bei strukturauflösenden externen Transaktionen
ergibt sich eine Zäsur auf den Zeitpunkt der Umstrukturierung, weshalb in diesen Fällen zwei
Konzerne als Kartellrechtssubjekte in das Kartellverwaltungsverfahren einzubeziehen sind.
65. Dieses Ergebnis entspricht auch praktischen
Bedürfnissen. Soweit eine Umstrukturierung während eines laufenden Kartellverwaltungsverfahrens
vorgenommen wird, muss die Untersuchung auf die neu strukturierten Entitäten ausgedehnt werden können,
ohne dass dies Auswirkungen auf den Anwendungsbereich des Kartellgesetzes mit der Folge einer Einstellung
des Untersuchungsverfahrens nach sich ziehen würde. Gleiches gilt für Umstrukturierungen, die
vor Eröffnung eines Kartellverwaltungsverfahrens vorgenommen wurden, weil allfällige Auswirkungen
der Transkaktion von den Wettbewerbsbehörden erst im Rahmen einer eingehenderen Untersuchung abgeklärt
werden können. Ob und allenfalls wie sich eine Umstrukturierung auf die materiell-rechtliche Beurteilung
des jeweiligen wirtschaftlichen Verhaltens auswirkt, ist im Verlauf der jeweiligen Untersuchung durch
die Wettbewerbsbehörden abzuklären.
(d)
Sachverhalt
66. Die SIX-Gruppe bildet nach unstrittiger
Ansicht einen Konzern, bei dem die Beschwerdeführerin 1 die Stellung der Konzernobergesellschaft
ausübt. Gleichfalls wird von den Beschwerdeführerinnen nicht bestritten, dass es sich bei der
Beschwerdeführerin 2 bzw. der Multipay und der Card Solutions um Konzerngesellschaften der SIX-Gruppe
handelt bzw. handelte, die von der Beschwerdeführerin 1 im Rahmen der Konzernrechnungslegung dem
Kreis der konsolidierten und damit beherrschten Gesellschaften zugerechnet wird bzw. wurde. Gleiches
gilt auch für die Telekurs-Gruppe und die Telekurs Holding AG bis zu deren Zusammenschluss mit anderen
Unternehmensgruppen zur SIX-Gruppe.
67. Die Gründung der SIX-Gruppe erfolgte
im Jahre 2007 durch den Zusammenschluss der Unternehmensgruppen SWX Group, SIS Swiss Financial Services
Group, der Telekurs-Gruppe und des Vereins SWX Swiss Exchange (vgl. SV B.b).
Die Beschwerdeführerin 1 wurde dabei als Konzernobergesellschaft der SIX-Gruppe installiert. Die
Multipay und die Card Solutions verblieben als Tochtergesellschaften der Telekurs Holding AG auch weiterhin
im Konzern. Letztere fungierte ab dem Zusammenschluss als Zwischenholding der Gruppensparte Telekurs,
der die Multipay und die Card Solutions angehörten.
68. Bei
dieser Ausgestaltung des Unternehmenszusammenschlusses handelt es sich um eine strukturerhaltende externe
Transaktion im vorbeschriebenen Sinne. Durch die Einbringung der Telekurs-Gruppe in die SIX-Gruppe hat
die Beschwerdeführerin 1 von der Telekurs Holding AG das Beherrschungsverhältnis zur Multipay
und der Card Solutions übernommen, das sich in Bezug auf die Beschwerdeführerin 2 nach dem
Zusammenschluss der Multipay und der Card Solutions fortsetzt. Für eine kartellrechtliche Beurteilung
ist demzufolge von einem Fortbestand des ursprünglichen Beherrschungsverhältnisses zwischen
der Telekurs Holding AG und deren Tochtergesellschaften auszugehen.
69. Entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 104)
war die Beschwerdeführerin 1 während des relevanten Zeitraums bereits im Handelsregister
eingetragen und als Obergesellschaft der SWX Group unter der damaligen Firma "SWX Holding AG"
am Markt tätig gewesen. Dabei hatte die Beschwerdeführerin 1 auch aktiv am Zusammenschluss
der verschiedenen Parteien zur SIX-Gruppe mitgewirkt, aus dem sie sogar als Konzenobergesellschaft hervorgegangen
ist (vgl. SV B.b).
70. Angesichts der Konsolidierung der Beschwerdeführerin
2 bzw. der Multipay und der Card Solutions in der Konzernrechnung der Six-Gruppe bzw. der Telekurs-Gruppe
ist bzw. war ein Beherrschungsverhältnis zu Gunsten der Beschwerdeführerin 1 bzw. der Telekurs
Holding AG gegeben. Es bestehen weder ersichtliche Gründe, die gegen die Massgeblichkeit dieses
Aspekts für die Beurteilung der Konzernverhältnisse sprechen würden, noch werden solche
von den Beschwerdeführerinnen vorgetragen.
71. Der Vollständigkeit halber ist darauf
hinzuweisen, dass angesichts der tatsächlich vorliegenden Verbindungen zwischen der Beschwerdeführerin
1 bzw. der Telekurs Holding AG als jeweilige Konzernobergesellschaft und der Beschwerdeführerin
2 bzw. der Multipay und der Card Solutions als Konzerngesellschaften in Gestalt des vollständigen
Anteilsbesitzes, der Ausrichtung des Gesellschaftszwecks der Konzerngesellschaften auf das Interesse
der Unternehmensgruppe (vgl. SV B.f),
der personellen Verflechtungen (vgl. SV B.e)
und der einheitliche Aussendarstellung der Konzerngesellschaften in Bezug auf die Unternehmensgruppe
durch entsprechende Firmierung und Internetauftritte der Konzerngesellschaften auch bei Fehlen einer
Konzernrechnung ohne Weiteres davon auszugehen wäre, dass ein Beherrschungsverhältnis zu Gunsten
der Konzernobergesellschaften im relevanten Zeitraum bestand. Demzufolge ist es von vornherein nicht
ausreichend, dass die Beschwerdeführerinnen für das Fehlen einer möglichen Kontrolle als
Ausnahmefall lediglich die Behauptung vortragen (vgl. E. 25
f.), wonach die genannten Umstände für die Annahme eines Beherrschungsverhältnisses nicht
ausreichen würden.
72. Im
Übrigen ist der Einwand der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 26 f.), wonach das Vorhandensein
einer tatsächlichen Kontrolle der Multipay und der Card Solutions durch ihre jeweilige Muttergesellschaft
ausdrücklich zurückgewiesen und bestritten wird, widersprüchlich angesichts der der jeweiligen
Konzernobergesellschaft gesetzlich zukommenden Verpflichtung zur notwendigen Konsolidierung von tatsächlich
beherrschten Gesellschaften im Rahmen einer ordnungsgemässen Rechnungslegung. Denn die Beschwerdeführerinnen
bestreiten dadurch die Richtigkeit und Rechtmässigkeit der jeweiligen jährlichen Konzernrechnungen,
mit denen die Multipay und Card Solutions ausdrücklich als beherrschte Gesellschaften qualifziert
wurden. Da die Beschwerdeführerinnen aber keinerlei Nachweise für diese Behauptung vorlegen,
ist davon auszugehen, dass das ausdrückliche Bestreiten dazu dient, den Verfahrensgegenstand und
die notwendige Überprüfung der Angelegenheit durch die Wettbewerbsbehörden und die Rechtsmittelgerichte
zu erschweren und zu verzögern.
(e)
Ergebnis
73. Der persönliche Anwendungsbereich
des Kartellgesetzes ist gegeben. Die SIX-Gruppe stellt als Konzern das massgebliche Kartellrechtssubjekt
dar.
2)
Sachlicher Anwendungsbereich
74. Die sachliche Anwendbarkeit des Kartellgesetzes
erfasst gemäss Art. 2 Abs. 1
KG alle Verhaltensweisen, die das Treffen von Wettbewerbsabreden,
die Ausübung von Marktmacht oder die Beteiligung an Unternehmenszusammenschlüssen zum Gegenstand
haben, soweit gemäss Art. 3
KG kein Anwendungsvorbehalt zu Gunsten bestimmter sonstiger Rechtsvorschriften
besteht.
75. Das vorliegende Kartellverfahren und die
angefochtene Verfügung beziehen sich auf die Verweigerung einer Herausgabe von Schnittstellen und
die sich daraus ergebenden Implikationen auf den Absatz von verschiedenen Produkten in Form von Akzeptanzdienstleistungen,
Zahlungskartenterminals und Währungsumrechnungsdienstleistungen eines Unternehmens mit einer besonderen
Marktstellung und damit auf eine unzulässige Ausübung von Marktmacht im Sinne von Art. 2 Abs.
1
KG (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 34).
a)
Anwendungsausschlüsse
76. Die Anwendung des Kartellgesetzes wird
weder gemäss Art. 3 Abs. 1
KG durch eine Anwendung von Vorschriften, die eine staatliche Markt-
oder Preisordnung begründen oder die einzelnen Unternehmen zur Erfüllung öffentlicher
Aufgaben mit besonderen Rechten ausstatten, noch gemäss Art. 3 Abs. 3
KG aufgrund einer Vereinbarung
zwischen Wettbewerbsbehörde und Preisüberwacher über die vorrangige Durchführung
eines Verfahrens nach dem Preisüberwachungsgesetz ausgeschlossen.
b)
Immaterialgüterrechtsvorbehalt gemäss Art. 3 Abs.
2
KG
77. Vorliegend ist zwischen den Parteien allerdings
streitig, ob die Anwendung des Vorbehalts in Art. 3 Abs. 2
KG zu Gunsten einer Ausübung von Immaterialgüterrechten
(nachfolgend: Immaterialgüterrechtsvorbehalt) auf die Verweigerung der Beschwerdeführerinnen
zur Offenlegung von Schnittstelleninformationen zur Kommunikation zwischen Akzeptanz-Plattformen und
Zahlungskartenterminals zum Tragen kommt.
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
78. Nach Ansicht der Beschwerdeführerinnen
schliesst der Immaterialgüterrechtsvorbehalt eine kartellrechtliche Prüfung des vorliegenden
Sachverhalts aus, weil die Verweigerung einer Herausgabe von Informationen über die DCC-Schnittstelle
ausschliesslich auf einer berechtigten Wahrung von Immaterialgüterrechten durch die Beschwerdeführerinnen
an dieser DCC-Schnittstelle beruhe.
79. Im Übrigen halten die Beschwerdeführerinnen
die Geltendmachung einer geltungserhaltenden Reduktion durch die Vorinstanz im Rahmen einer Interpretation
von Art. 3 Abs. 2
KG für sachwidrig.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
80. Zur Begründung einer Ablehnung des
Immaterialgüterrechtsvorbehalts stützt sich die Vorinstanz unter Verweis auf die vorherrschende
Ansicht in der Literatur auf eine geltungszeitliche und restriktive Interpretation von Art. 3 Abs. 2
KG. Dementsprechend könne der vorliegende Sachverhalt auf seine kartellrechtliche Zulässigkeit
überprüft werden.
(3)
Würdigung durch das Gericht
81. Der
in Art. 3 Abs. 2
KG statuierte Immaterialgüterrechtsvorbehalt sieht in Satz 1 einerseits vor, dass
Wettbewerbswirkungen, die sich ausschliesslich aus der Gesetzgebung über das geistige Eigentum ergeben,
nicht unter das Kartellgesetz fallen. Nach Satz 2 unterstehen andererseits Einfuhrbeschränkungen,
die sich auf Rechte des geistigen Eigentums stützen, ausdrücklich einer Beurteilung nach dem
Kartellgesetz. Satz 1 war bereits im Kartellgesetz 1995 enthalten, während Satz 2 mit der Revision
des Kartellgesetzes 2004 erst nachträglich eingefügt wurde.
82. Dem Wortlaut des Immaterialgüterrechtsvorbehalts
lässt sich nach übereinstimmender Auffassung keine eindeutige Abgrenzung von dessen Anwendung
entnehmen. Mangels einer höchstrichterlichen Rechtsprechung hierzu bedarf es einer Festlegung, welcher
Bedeutungsgehalt dem Immaterialgüterrechtsvorbehalt im vorliegenden Fall zukommt.
83. In
der Botschaft KG 1995 wird festgehalten, dass die sich
aus Rechten des geistigen Eigentums allfällig ergebenden Wettbewerbsbeschränkungen in der Form
von Monopolstellungen nur dann unter den Vorbehalt von Art. 3 Abs. 2
KG fallen, wenn sie sich ausschliesslich
aus dem materiellen Gehalt der angerufenen Rechte ergeben. Die Formulierung "ausschliesslich aus
der Gesetzgebung über das geistige Eigentum" in Art. 3 Abs. 2
KG bringe diese einschränkende
Interpretation des Vorbehalts deutlich zum Ausdruck (vgl. Botschaft KG 1995, 541).
Eine einschränkende Auslegung diene auch dem Missbrauchsschutz, weil verhindert werden soll, dass
Immaterialgüterrechte in Abweichung von ihrem eigentlichen Zweck zur Verfolgung von rein wettbewerbsbeschränkenden
Zielen eingesetzt würden (vgl. Botschaft KG 1995, 541).
84. Die theoretisch klar erscheinende Abgrenzung
zwischen einer legitimen Inanspruchnahme von Immaterialgüterrechten und einer unzulässigen
Wettbewerbsbeschränkung lässt sich in der Praxis allerdings nicht in dieser Schärfe nachvollziehen
(vgl. Botschaft KG 1995, 541 f.). Dies gilt für
alle Formen einer Unterscheidung zwischen dem Bestand und einer Ausübung von Immaterialgüterrechten
(vgl. Botschaft KG 1995, 542 Fn. 112). Zwar stellen
das blosse Schaffen, Festlegen, Programmieren oder Erfinden etc. von Geistigem Eigentum sowie seine Anmeldung,
Eintragung und Aufrechterhaltung in öffentlichen Registern in der Regel kein wettbewerbliches Verhalten
dar, weshalb der immaterialgüterrechtliche Bestandsschutz vom Kartellrecht prinzipiell nicht erfasst
zu werden braucht. Allerdings können auch im Rahmen des Bestandsschutzes ausnahmsweise wettbewerbswidrige
Aspekte verfolgt werden, z.B. wenn Immaterialgüterrechte missbräuchlich erworben oder verteidigt
werden (vgl. BGE 127 III 160, Securitas, E. 1a; BGer, 28.11.2018,
4A_234/2018, Wild Heerbrugg, E. 2.2.2). Daher ist der sachliche
Anwendungsbereich des Kartellgesetzes nicht nur auf jeden gewerblichen Gebrauch von Ausschliesslichkeitsrechten
und jede Form ihrer Geltendmachung, Verteidigung, Lizenzierung, Übertragung oder Verweigerung als
Rechtsausübung bzw. Verletzungsschutz beschränkt.
85. Anfänglich
bestand in der Literatur die Ansicht, dass zwischen Kartellrecht und Immaterialgüterrecht ein Zielkonflikt
bestehe (vgl. Heinemann Andreas, Demarkation von Immaterialgüter-
und Kartellrecht? - Eine kritische Analyse, in: Zäch [Hrsg.], Schweizerisches Kartellrecht
- an Wendepunkten?, 2009, zit. Demarkation, 44 ff.; Hilty
M. Reto, in: Amstutz/Reinert [Hrsg.], Basler Kommentar, Kartellgesetz, 2010, zit. BSK-KG,
Art. 3 Abs. 2 Rn. 1 ff.). Mittlerweile herrscht allerdings die Ansicht vor, dass zwischen
der Zielsetzung von Kartellrecht einerseits und Immaterialgüterrecht andererseits kein Konflikt
bestehe; vielmehr wird das Zusammenwirken der beiden Rechtsgebiete als komplementär bewertet (vgl.
Carcagni Romina/Treis Michael/Durrer Angela/Hanselmann Petra,
in: Baker & McKenzie [Hrsg.], Kartellrecht, 2007, zit. SHK-KG,
Art. 3 Rn. 14; Fiala Donatella, Das Verhältnis zwischen
Immaterialgüter- und Kartellrecht, 2006, zit. Verhältnis,
13 ff., 131 f.; Heinemann, Demarkation,
59; Hilty, BSK-KG,
Art. 3 Abs. 2 Rn. 15; Killias Pierre-Alain, in: Martenet/Bovet/Tercier
[Hrsg.], Commentaire Romand, Droit de la concurrence, 2. Aufl. 2013, zit. CR Concurrence,
Art. 3 Abs. 2 Rn. 7; Rauber Georg, Verhältnis des neuen
Rechts zum Immaterialgüterrecht, in: Stoffel/Zäch [Hrsg.], Kartellgesetzrevision 2003 -
Neuerungen und Folgen, 2004, zit. Verhältnis, 187 f.; Stirnimann
Franz X., Urheberkartellrecht, 2004, zit. Urheberkartellrecht,
14 f.; Weber Rolf H., in: Zäch u.a. [Hrsg.], Kartellgesetz,
2018, zit. Dike-KG, Art. 3 Abs. 2 Rn. 40 ff.). Wie das Kartellrecht
baue auch das Immaterialgüterrecht auf der Idee des funktionierenden, wirksamen und dynamischen
Wettbewerbs auf, womit die Zielsetzungen im Ergebnis dieselben seien (vgl. Fiala,
Verhältnis, 13 ff.;
Hilty, BSK-KG, Art. 3 Abs. 2 Rn. 15). Denn das
Ziel des Immaterialgüterrechts bilde die Förderung von Innovationswettbewerb durch die Gewährung
von immaterialgüterrechtlichem Schutz (vgl. Carcagni/Treis/Durrer/
Hanselmann, SHK-KG, Art. 3 Rn. 14;
Fiala, Verhältnis, 4; Rauber,
Verhältnis, 187). Des Weiteren wird in der Lehre vorgebracht,
dass bereits die verfassungsmässige und somit übergeordnete Zielsetzung von Art. 27
und Art.
96
BV, gegen volkswirtschaftlich oder sozial schädliche Auswirkungen von Kartellen und anderen Wettbewerbsbeschränkungen
vorzugehen, einer Ausklammerung gewisser Rechte vom Geltungsumfang des Kartellrechts entgegenstehe (vgl.
Hilty, BSK-KG, Art. 3
Abs. 2 Rn. 15; kritisch Fiala, Verhältnis,
13).
86. Vor
diesem Hintergrund wird in Praxis und Lehre heute überwiegend eine restriktive Interpretation von
Art. 3 Abs. 2
KG und in der Folge eine weite, im Ergebnis uneingeschränkte Anwendung des Kartellgesetzes
postuliert (vgl. Weko, 7.7.2008, RPW 2008/3, 392, Documed
AG, Publikation von Arzneimittelinformationen, zit. Documed, Ziff.
75 f., 78; Weko, 29.5.2006, RPW 2006/3, 435, Pharmion Schweiz
GmbH, Medikamentenpreis Thalidomid, Ziff. 26 f., 28; Weko,
22.4.2004, RPW 2005/1, 54, Swisscom Directories AG, Herstellung, Verwaltung und Herausgabe von regulierten
Verzeichnisdaten, Ziff. 231 f.; Fiala, Verhältnis,
130, 149 und 151; Gujer Fredy, Parallelimporte patentrechtlich
geschützter Güter - missbräuchliche Zustimmungsverweigerung des Schutzrechtsinhabers,
2005, zit. Parallelimporte, 83 ff.; Heinemann,
Demarkation, 44 ff.; Hilty,
BSK-KG, Art. 3 Abs. 2 Rn. 1 ff., 21 ff.; Keller
Bernhard Rafael, Kartellrechtliche Schranken für Lizenzverträge, 2004, zit. Schranken,
63 f.; Killias, CR Concurrence,
Art. 3 Abs. 2 Rn. 14; Rauber, Verhältnis,
196 f.; Weber Rolf H., Kartellrecht Einleitung, Geltungsbereich
und Verhältnis zu anderen Rechtsvorschriften, in: Schweizerisches Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht,
Bd. V/2, von Büren/David [Hrsg.], 2000, zit. SIWR-Kartellrecht,
50 f.). Denn mit der Nutzung von Schutzrechten seien stets auch Wettbewerbswirkungen verbunden, wobei
sich diese praktisch aber nie ausschliesslich aus der Gesetzgebung über das geistige Eigentum ergeben
würden (vgl. Hilty, BSK-KG,
Art. 3 Abs. 2
Rn. 30 ff.). Auch der Gedanke des Missbrauchsschutzes wird als Argument für
eine restriktive Interpretation von Art. 3 Abs. 2
KG angeführt (vgl. Heinemann,
Demarkation, 44 ff.; Hilty,
BSK-KG, Art. 3 Abs. 2 Rn. 1 ff.; Rauber,
Verhältnis, 196 f.; Weber,
SIWR-Kartellrecht, 50 f.). Die uneingeschränkte Anwendung
des Kartellgesetzes auf immaterialgüterrechtliche Sachverhalte wird in der Lehre schliesslich mittels
des Vorbringens untermauert, geistiges Eigentum sei mit Blick auf die kartellrechtliche Überprüfungsmöglichkeit
gleich zu behandeln wie sachliches Eigentum, welches einer materiellen Prüfung ohne Weiteres zugänglich
sei (vgl. Fiala, Verhältnis,
4 f.; Heinemann, Demarkation,
59). Nach diesem Verständnis sei Art. 3 Abs. 2
KG demzufolge nicht als Anwendungsvorbehalt zu verstehen.
Vielmehr gehe es darum, mittels Art. 3 Abs. 2
KG sicherzustellen, dass bei einer materiellen Prüfung
auch die Zielsetzungen des Immaterialgüterrechts nicht vernachlässigt würden (vgl. Carcagni/Treis/Durrer/Hanselmann,
SHK-KG, Art. 3 Rn. 16; Stirnimann,
Urheberkartellrecht, 47 ff.). Im Ergebnis führe dies dazu, dass die immaterialgüterrechtlichen
Sachverhaltsaspekte im Rahmen der materiellrechtlichen Frage nach der kartellrechtlichen Zulässigkeit
zu würdigen seien (vgl. Carcagni/Treis/Durrer/ Hanselmann,
SHK-KG, Art. 3 Rn. 15 f.; Heinemann,
Demarkation, 55 ff.; Hilty,
BSK-KG, Art. 3 Abs. 2 Rn. 22 f.; Stirnimann,
Urheberkartellrecht, 41 ff.; nach Weber Rolf H.,
Dike-KG, Art. 3 Rn. 53, ist die Frage der Anwendbarkeit aber strikt
von der Frage der materiell-rechtlichen Zulässigkeit zu unterscheiden).
87. Diese Einschätzung wird auch durch
die Evaluationsgruppe Kartellgesetz im Rahmen einer Evaluation des Kartellgesetzes gemäss Art. 59a
KG geteilt (vgl. Evaluationsgruppe KG, Studien zu Einzelbestimmungen
[Art. 3 Abs. 2
KG: Einfuhrbeschränkungen, geistiges Eigentum; Art. 5 Abs. 4
KG: vertikale Vereinbarungen],
Projektbericht P2, 2008, zit. Evaluationsgruppe KG, 7).
Danach statuiere Art. 3 Abs. 2
KG keinen Geltungs- oder Anwendungsvorbehalt für die Anwendung des
Kartellgesetzes, weil eine eindeutige Abgrenzung zwischen einer legitimen Ausübung von Immaterialgüterrechten
und unzulässigen Wettbewerbsbeschränkungen nicht vorgenommen werden könne. Mit der h.L.
wird daher gefordert, dass Art. 3 Abs. 2
KG restriktiv auszulegen sei. Ein Sachverhalt mit immaterialgüter-
und wettbewerbsrechtlichen Komponenten könne infolgedessen praktisch immer anhand des materiellen
Kartellrechts geprüft werden (vgl. Evaluationsgruppe
KG, 14 f.). Die Abgrenzung könne sich dann nur
aus der materiellen Beurteilung eines Sachverhalts gestützt auf Art. 5
oder 7 KG ergeben (vgl. Evaluationsgruppe
KG, 9).
88. Inhalt
und Tragweite des Immaterialgüterrechtsvorbehalts für den vorliegenden Sachverhalt sind demzufolge
unter Berücksichtigung der hierfür massgeblichen materiellen Aspekte zu bestimmen (vgl. E.
528
ff.).
3)
Räumlicher Geltungs- und Anwendungsbereich
89. Das Kartellgesetz beansprucht Geltung auf
dem Hoheitsgebiet der Schweiz und findet gemäss dem in Art. 2 Abs. 2
ausdrücklich
statuierten Auswirkungsprinzip auf alle Sachverhalte Anwendung, die sich in der Schweiz auswirken. Dies
gilt selbst dann, wenn sie im Ausland veranlasst wurden. Dieses als Anwendungsfall des völkerrechtlichen
Territorialitätsprinzips geltende Prinzip (vgl. Herdegen Matthias,
Internationales Wirtschaftsrecht, 10. Aufl. 2014, § 3 Rn. 61 f.; Müller
Jörg Paul/Wildhaber Luzius, Praxis des Völkerrechts, 3. Aufl. 2000, 379; Ziegler
Andreas R., Einführung in das Völkerrecht, 3. Aufl. 2015, Rn. 593 ff.) wurde
mit der Revision des Kartellgesetzes im Jahr 1995 gesetzlich normiert, war vorgängig aber bereits
anerkannt (vgl. Botschaft KG 1995, 535 Fn. 97). Dementsprechend
wird das Auswirkungsprinzip von der Rechtsprechung zur Bestimmung des räumlichen Geltungs- und Anwendungsbereichs
seit dem Jahr 1967 herangezogen (vgl. BGE 143 II 297, Gaba, E.
3; BGer, 24.4.2001, 2A.387/2000, Rhône Poulenc SA (France) und Merck & Co. Inc.
(USA), publ. in: BGE 127 III 219 E. 3a; BGE 93 II 192 E. 3; BVGer, 19.12.2013, B-506/2010, Gaba International
AG gg. Weko, zit. Gaba, E. 3.3.6 f.). Seine Anwendung
wird auch in der Literatur allgemein anerkannt (vgl. Borer,
KG, Art. 2 Rn. 20 ff.; Lehne,
BSK-KG, Art. 2 Rn. 41, 48 ff.;
Martenet/Killias, CR-Concurrence, Art. 2 Rn. 83 f.; Rubin/Courvoi-sier,
SHK-KG, Rn. 30 ff.; Zäch,
Kartellrecht, Rn. 267 ff.; Zurkinden/
Trüeb, KG, Art. 2 Rn. 9 ff.). Aufgrund
des weiten Anwendungsbereichs des Kartellgesetzes setzt dessen räumlicher Geltungs- und Anwendungsbereich
keine inhaltliche Aufgreifschwelle voraus (vgl. BGE 143 II 297, Gaba,
E. 3.2.3, 3.3; BVGer, B-506/2010, Gaba, E. 3.3.14.1; BVGer, B-7633/2009,
ADSL II, E. 19 ff.; BVGer, B-3332/2012, BMW,
E. 2.3.10).
90. Im vorliegenden Sachverhalt beziehen sich
sowohl das zu untersuchende Verhalten der Beschwerdeführerinnen als auch die sich daraus ergebenden
Folgen für deren Konkurrenten auf die Schweiz. Der räumliche Geltungs- und Anwendungsbereich
des Kartellgesetzes ist demzufolge gegeben, weil das zu beurteilende Verhalten der Beschwerdeführerinnen
in der Schweiz Auswirkungen nach sich zieht.
4)
Zeitlicher Geltungs- und Anwendungsbereich
91. Art. 49a
KG, der die Rechtsgrundlage einer
Sanktionierung der Beschwerdeführerinnen bildet, trat am 1. April 2004 in Kraft. Die Beschwerdeführerinnen
werden für ein Verhalten ab dem 5. Juli 2005 in Anspruch genommen. Der zeitliche Geltungs- und Anwendungsbereich
des Kartellgesetzes ist somit gegeben. Besondere Übergangsbestimmungen sind vorliegend nicht zu
berücksichtigen.
IV.
Rechtmässigkeit des vorinstanzlichen Verfahrens
92. Die
Beschwerdeführerinnen erheben verschiedene Rügen gegenüber der Rechtmässigkeit des
vorinstanzlichen Verfahrens. Dabei bildet die angefochtene Verfügung den Abschluss eines Kartellverfahrens
der Vorinstanz, welches aufgrund der Art. 18
ff. KG sowie der ergänzenden Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes
durchgeführt worden war. Das Beschwerdeverfahren wurde gemäss Art. 37
VGG nach den Bestimmungen
des Verwaltungsverfahrensgesetzes sowie den ergänzenden Regelungen der Art. 38
f. VGG vor diesem
Gericht durchgeführt.
1)
Rechtskonforme Verfügungsbehörde
93. Die Vorinstanz war die sachlich zuständige
und organisationsrechtlich berechtigte behördliche Organisationseinheit, um eine kartellrechtliche
Verfügung gemäss Art. 30
und 39
KG sowie Art. 6
und 34
VwVG einschliesslich von Sanktionen
gemäss Art. 49a
KG zu erlassen (vgl. BVerG, B-7633/2009, ADSL II,
E. 135 ff.).
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
94. Gestützt auf die Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte machen die Beschwerdeführerinnen geltend,
dass der Anspruch aus Art. 30
BV und Art. 6
EMRK auf Beurteilung durch ein unabhängiges
Gericht bei einer Sanktionierung aufgrund von Art. 49a
KG durch die Vorinstanz nicht erfüllt
werde, weil diese Anforderung mit Ausnahme von Bagatell- und Disziplinarfällen in jeder Instanz
erfüllt sein müsse, die Vorinstanz insbesondere wegen der fehlenden Trennung von Untersuchungs-
und Entscheidfunktion aber eine Verwaltungsbehörde und kein unabhängiges Gericht darstelle.
95. Diese Rüge war von den Beschwerdeführerinnen
zunächst erhoben worden, nach Erlass des Bundesgerichts in Sachen Publigroupe
zwischenzeitlich zurückgezogen und im September 2018 im Rahmen des Antrags auf Einstellung des Verfahrens
wegen eines Eintritts der Verjährung erneut geltend gemacht worden (vgl. SV K.o,
SV K.u).
Mit dem Argument der fehlenden rechtskonformen Zuständigkeit der Vorinstanz für die Verhängung
von strafrechtlichen bzw. strafrechtsähnlichen Sanktionen wird von ihnen der Eintritt der Verjährung
nach strafrechtlichen bzw. verwaltungsstrafrechtlichen Vorschriften begründet (vgl. E. 1662
ff.).
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
96. Die Vorinstanz stützt die angefochtene
Verfügung im Wesentlichen auf die Gründe ab, die im Rahmen der nachfolgenden Würdigung
durch das Gericht dargestellt werden.
(3)
Würdigung durch das Gericht
97. Der
Anspruch gemäss Art. 6
EMRK auf eine Verhandlung durch ein unabhängiges, unparteiisches
und auf Gesetz beruhendes Gericht bei strafrechtlichen Anklagen (nachfolgend: Gerichtsvorbehalt) hat
im Hinblick auf die Rechtskonformität der Verfügungsbehörde dieselbe Tragweite wie Art. 30 Abs. 1
Satz 1 BV,
wonach jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, Anspruch auf
ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht hat (vgl.
BGE 139 I 72, Publigroupe, E. 2.2.1; BGE 135 I 14
E. 2; BGE 133 I 1 E. 5.2). Demzufolge kann eine Beurteilung der Rechtskonformität
der Verfügungsbehörde allein an Art. 6
EMRK und der umfangreichen Praxis zu dieser
Bestimmung ausgerichtet werden.
98. Das
Bundesverwaltungsgericht hat angesichts des grundlegenden Urteils des Bundesgerichts in Sachen Publigroupe
(BGE 139 I 72 E. 4.4) in einem jüngeren Urteil (BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 135 ff.) unter Bezugnahme auf Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
(nachfolgend auch: EGMR; Hinweis: alle angeführten Entscheidungen des EGMR sind in der der Internetdatenbank
des Gerichts "Hudoc" veröffentlich und zugänglich unter www.hudoc.echr.coe.int)
zu Sanktionen im französischen und italienischen Kartellrecht (EGMR, 3.12.2002, 53892/00, Lilly
France gg. Frankreich, Ziff. 2 [S. 9]; EGMR, 27.9.2011, 43509/08, Menarini Diagnostics S.R.L.
gg. Italien, zit. Menarini, Ziff. 38 ff.) nochmals ausführlich
dargelegt, dass angesichts der umfassenden Kognitionbefugnis des Bundesverwaltungsgerichts auch unter
Berücksichtigung des strafrechtsähnlichen Charakters der Sanktionen gemäss Art. 49a
Abs. 1
KG die Wettbewerbskommission zum Erlass von Sanktionen gemäss Art. 49a Abs. 1
KG berechtigt
sei und hierdurch keine Verfahrensgarantien der Europäischen Menschenrechtskonvention oder der Bundesverfassung
beeinträchtigt würden (vgl. so bereits vorgängig BVGer, B-2050/2007,
Terminierung Mobilfunk, E. 5.4 ff.; zur Entwicklung vgl. Pauker
Fanny, Das Recht auf gerichtliche Beurteilung im Lauterkeits- und Kartellrecht - Der Einfluss
von Art. 6
EMRK auf das schweizerische Wettbewerbsrecht, in: Fahrländer/Heizmann [Hrsg.], Europäisierung
der Rechtsordnung, 2013, 643 ff., 684).
99. Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass
der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit seinem Entscheid in Sachen Menarini
selbst bestätigt hat, dass zum einen ein Kartellverwaltungsverfahren nicht zum Bereich des Kernstrafrechts
zu zählen ist (EGMR, 43509/08, Menarini, Ziff. 57 f.), und
dass zum anderen auch im Rahmen eines Kartellverwaltungsverfahrens hohe finanzielle Sanktionen ausgesprochen
werden können, soweit die Möglichkeit einer Überprüfung durch ein Gericht mit vollständiger
Entscheidungsgewalt gegeben ist (EGMR, 43509/08, Menarini, Ziff.
62 f.).
100. Hieran ist auch aufgrund der weiteren,
zwischenzeitlich vom Bundesgericht und vom Bundesverwaltungsgericht in Kartellsachen erlassenen Urteilen,
mit denen die Rechtmässigkeit einer entsprechenden Sanktion durch die Wetttbewerbskommission zumindest
implizit bestätigt wurde, ausdrücklich festzuhalten (vgl. BGE 143 II 297, Gaba,
E. 9.7; BGer, 2C_63/2016, BMW, E. 6).
101. Der gegenteilige Einwand der Beschwerdeführerinnen
ist daher unbeachtlich.
2)
Rechtmässige
Verfügungsadressaten
102. Zwischen den Parteien ist strittig, ob
neben der Beschwerdeführerin 2 auch die Beschwerdeführerin 1 als Adressatin der Verfügung
herangezogen werden kann.
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
103. Bei
der Beschwerdeführerin 2 sowie der früheren Multipay und Card Solutions handle es sich um unabhängige
Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit, welche jederzeit auch Adressaten von Anordnungen und
Verfügungen der Behörden sein könnten, was auch für kartellrechtliche Sanktionssachverhalte
gelten müsse. Daher seien allein sie kartellbussenrechtlich zu belangen.
104. Zudem
sei eine Einbeziehung der Beschwerdeführerin 1 als materielle Verfügungsadressatin in
das Verfahren nicht sachgerecht, weil diese im relevanten Zeitraum bis Ende 2006 noch gar nicht bestanden
habe. Die Beschwerdeführerin 1 und die SIX-Gruppe in ihrer heutigen Form seien erst im Jahr 2007
im Nachgang zum Zusammenschluss der SIX-Gruppe und somit nach Abschluss der zur Last gelegten Verhaltensweise
entstanden.
105. Darüber
hinaus sei die Beschwerdeführerin 1 erst nach Abschluss fast aller Untersuchungshandlungen per 8.
Juni 2010, d.h. 4 Jahre nach Eröffnung der Vorabklärung, in das Verfahren einbezogen worden.
Sämtliche Verfahrenshandlungen und Untersuchungsschritte vor diesem Zeitpunkt seien somit ohne direkte
Beteiligung der Beschwerdeführerin 1 erfolgt. Die Beschwerdeführerin 1 habe demzufolge
erst wenige Monate vor Erlass der Verfügung überhaupt erst die Möglichkeit erhalten, ihre
originären Partei- und Verteidigungsrechte wahrzunehmen.
106. Das
in der Verfügung zur Begründung herangezogene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Sachen
Publigroupe könne auf den vorliegenden Fall aus verschiedenen
Gründen nicht angewendet werden. Zum einen basiere es auf einer grundsätzlich unterschiedlichen
Sachverhaltskonstellation. In Sachen Publigroupe seien die gesamte
Untersuchung und sämtliche Verfahrenshandlungen unter Beteiligung der Muttergesellschaft durchgeführt
worden. Diese habe vollumfänglich am Verfahren teilnehmen und ihre verfahrensmässigen Rechte
wahrnehmen können. Bei den nachträglich beigezogen Beteiligten habe es sich demgegenüber
um Tochtergesellschaften der Muttergesellschaft gehandelt. Das Bundesverwaltungsgericht habe diesen Einbezug
nur für zulässig erachtet, weil den nachträglich hinzutretenden Parteien keine Verfahrenskosten
und keine Bussgelder auferlegt worden seien. Im Gegensatz zum vorliegenden Sachverhalt, bei dem eine
bisher unbeteiligte Partei als materielle Verfügungsadressatin aufgenommen und sanktioniert worden
sei, seien im Verfahren Publigroupe lediglich zusätzliche
formelle Verfügungsadressaten aufgenommen worden. Zudem weise der vorliegende Sachverhalt keinen
Unternehmensverkauf der handelnden Unternehmen auf.
107. Zum
anderen stelle das Urteil Publigroupe auch keine allgemeine Regel
zur Heranziehung der Konzernmuttergesellschaft als materielle Verfügungsadressatin auf, sondern
weise ausdrücklich darauf hin, dass aufgrund der konkreten Umstände des Verfahrens die Publigroupe
AG als Unternehmen und Verfügungsadressat im materiellen Sinne zu gelten habe. Die Bestimmung des
Verfahrensadressaten habe demzufolge verfahrensspezifisch zu erfolgen und müsse sämtliche Aspekte
des Einzelfalls in Betracht ziehen. Die Bestimmung des materiellen Verfügungsadressaten könne
somit nicht pauschal und allgemeingültig im Ergebnis stets auf die Konzernmutter hinauslaufen.
108. Ein
Wechsel innerhalb des Untersuchungsverfahrens auf die Beschwerdeführerin 1 sei als Parteiwechsel
im laufenden Verfahren zu qualifizieren. Ein derartiger Parteiwechsel sei nur dann zulässig, wenn
Rechte oder Pflichten frei übertragbar seien. Die antragstellende Behörde hätte demnach
zumindest prüfen müssen, ob ein entsprechender Parteiwechsel vorliegend zulässig sei.
109. Die
Einbeziehung der Beschwerdeführerin 1 verstosse insbesondere gegen das strafrechtliche Schuldprinzip,
weil dies zu einer unzulässigen Gleichsetzung von Mutter- und Tochtergesellschaften in Bezug auf
ihre (kartell-)strafrechtliche Verantwortlichkeit führe.
110. Folglich seien die Ausweitung der Untersuchung
und die angefochtene Verfügung mit Bezug auf die Beschwerdeführerin 1 rechtswidrig.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
111. Die Vorinstanz begründet die Heranziehung
der Beschwerdeführerin 1 unter Verweis auf den funktionalen Unternehmensbegriff des Kartellgesetzes.
112. Aus den Umständen Anteilsbesitz,
Zweckklausel, Firmenbezeichnung und Einsitznahme könne geschlossen werden (vgl. E. 33),
dass die SIX Group AG die Beteiligungen an Multipay und Card Solutions nicht ausschliesslich als Investition
halte, sondern dass sie über die Ausübung von Aktionärsrechten hinaus Einfluss auf die
Tochtergesellschaften nehme.
113. Aufgrund der vorgenannten Aspekte sei
die Beschwerdeführerin 1 als Verfügungsadressatin im materiellen Sinne zu qualifizieren. Die
beiden Tochtergesellschaften seien demgegenüber diejenigen juristischen Personen, deren Marktstellung
und Verhalten untersucht würden. Sie seien daher Verfügungsadressatinnen im formellen Sinne.
114. Diese Qualifizierung stelle eine direkte
Folge des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts in Sachen Publigroupe
dar, welches als Leitentscheid für die Frage anzusehen sei, wer bei Konzernverhältnissen in
kartellrechtlichen (Sanktions-)Verfahren als Verfügungsadressat im materiellen und formellen Sinne
zu gelten habe. Dabei habe das Gericht festgestellt, dass bei Konzernen die rechtlich selbständigen
Konzerngesellschaften mangels wirtschaftlicher Selbstständigkeit keine Unternehmen darstellten.
Daraus folge, dass diese Gesellschaften nicht mehr materielle Verfügungsadressatinnen sein könnten.
115. Ein Parteiwechsel liege nicht vor. Gemäss
Lehre liege kein Parteiwechsel vor, wenn die Identität der Partei gewahrt bleibe. Ausgehend vom
kartellrechtlichen Unternehmensbegriff sei die Identität der Partei im vorliegenden Fall gewahrt
worden. Die Beschwerdeführerin 1 sei mittels der ihr wirtschaftlich zurechenbaren Tochtergesellschaften
Multipay und Card Solutions von Beginn an am Verfahren beteiligt gewesen. Wenn von einem Parteiwechsel
auszugehen wäre, so wäre dieser jedenfalls zulässig gewesen. Ein Parteiwechsel sei immer
dann zulässig, wenn das materielle Recht einen Subjektwechsel nicht ausschliesse. Das Kartellgesetz
schliesse einen Parteiwechsel nicht aus. Unter Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
sei ein Parteiwechsel sogar angezeigt.
116. Mit der Einbindung der direkt beteiligten
Unternehmen in die SIX-Gruppe sei auch die Verantwortlichkeit für Kartellverstösse übergegangen.
Es sei daher nicht relevant, ob die Beschwerdeführerin 1 zum Zeitpunkt des kartellrechtswidrigen
Verhaltens schon bestanden habe.
117. Die Beschwerdeführerin 1 habe ihre
Verfahrensrechte vollumfänglich wahrgenommen. Die Ausdehnung der Untersuchung sei vor Versand des
Antrags zur Stellungnahme gemäss Art. 30 Abs. 2
KG erfolgt, weshalb die Beschwerdeführerin
1 namentlich das zentrale Recht zur Stellungnahme zum Antrag habe wahrnehmen können. Im Rahmen der
Stellungnahme seien die gleichen Rechtspositionen vertreten worden, die von den Tochtergesellschaften
im Verfahren bereits vorgebracht worden seien. Die Beschwerdeführerinnen hätten gleichgerichtete
Interessen. Dies ergebe sich schon daraus, dass sie vom gleichen Anwalt vertreten würden.
118. Im EU-Wettbewerbsrecht werde zudem eine
solidarische Haftung von Mutter- und Tochtergesellschaft anerkannt, weshalb der Europäischen Kommission
ein Wahlrecht hinsichtlich der Auswahl des oder der Adressaten einer Bussgeldverfügung zustehe.
(3)
Würdigung durch das Gericht
(a)
Ausgangslage
119. Weder
das Kartellgesetz noch das Verwaltungsverfahrensgesetz sehen eine Vorschrift vor, an wen eine kartellrechtliche
Verfügung als Adressat zu richten ist.
120. Das Verwaltungsverfahrensgesetz stellt
die Partei in den Mittelpunkt des Verfahrens und knüpft die zu regelnden Aspekte an den Parteibegriff
an. Parteien sind gemäss Art. 6
VwVG im erstinstanzlichen Verfahren diejenigen Personen,
deren Rechte und Pflichten berührt werden. Die Fähigkeit, als Partei am Verwaltungsverfahren
teilzunehmen, setzt demzufolge grundsätzlich Rechtsfähigkeit voraus, weil nur dann Rechte und
Pflichten durch eine Verfügung beeinflusst werden können. Nach übereinstimmender Auffassung
ist die Parteifähigkeit im Verwaltungsverfahren für privatrechtliche Organisationseinheiten
anhand der zivilrechtlichen Rechtsfähigkeit zu bestimmen (vgl. Häfelin/Müller/Uhlmann,
Verwaltungsrecht, Rn. 1768 f.;
Häner, Beteiligte, Rn. 444; Häner,
VwVG,
Art. 6 Rn. 48, Art. 48 Rn. 5; Kölz/Häner/Bertschi,
Verwaltungsverfahren, Rn. 444, 934 f.; Marantelli/Huber,
VwVG, Art. 6 Rn. 1; Rhinow/Koller/
Kiss/Thurnherr/Brühl-Moser, Prozessrecht, Rn. 862;
Schott, FHB-VerwR,
Rn. 24.17 f.; Tanquerel, droit
administratif, Rn. 1487 ff.; Thurnherr, Verfahrensgrundrechte,
Rn. 369 ff.). Im Hinblick auf privatrechtliche Organisationseinheiten können im erstinstanzlichen
Verfahren demnach grundsätzlich nur natürliche oder juristische Personen als Partei auftreten
bzw. herangezogen werden. Trotz fehlender Rechtspersönlichkeit wird die Parteifähigkeit aufgrund
der entsprechenden zivilrechtlichen Vorschriften auch der Kollektiv- und Kommanditgesellschaft (Art.
562
, 602
OR) sowie der Stockwerkseigentümergemeinschaft (Art. 712l Abs. 2
ZGB) zugesprochen
(vgl. Häner, VwVG,
Art. 48 Rn. 5; Kölz/Häner/Bertschi, Verwaltungsverfahren,
Rn. 444; Marantelli/Huber, VwVG,
Art. 6 Rn. 12). Sonstige, nicht rechtsfähige Rechtsgemeinschaften, wie insbesondere einfache Gesellschaften,
scheiden als Partei eines Verwaltungsverfahrens und demzufolge als Adressaten einer Verfügung von
vornherein aus. Bei solchen nicht rechtsfähigen Rechtsgemeinschaften ist eine Verfügung an
diejenigen natürlichen oder juristischen Personen zu richten, welche Mitglieder dieser Rechtsgemeinschaft
sind (vgl. BGE 132 I 256 E. 1.1; BVGer, 29.4.2009, A-1513/2006, X gg. Eidg. Steuerverwaltung, E.
3.4; Häner, VwVG,
Art. 48 Rn. 5; Kölz/ Häner/Bertschi, Verwaltungsverfahren,
Rn. 444, 935 f.). Für andere, rein wirtschaftliche Organisationseinheiten ist eine besondere gesetzliche
Regelung nicht vorhanden und deren Parteifähigkeit wird von der Rechtsprechung und der Literatur
soweit ersichtlich ebenfalls nicht anerkannt.
(b)
Konzern-Sachverhalte
121. Auch
wenn ein Konzern als Kartellrechtssubjekt im Rahmen des Kartellgesetzes zu qualifizieren ist (vgl. E. 48)
und er damit das massgebliche Verfahrenssubjekt bildet, stellt er demzufolge gemäss den allgemeinen
verwaltungsrechtlichen Grundsätzen im Hinblick auf eine Teilnahme am Verfahren als Partei sowie
den Erlass von kartellrechtlichen Verfügungen kein taugliches Rechtssubjekt dar, weil er selbst
nicht Träger von Rechten und Pflichten sein kann. Eine besondere gesetzliche Regelung, aus der sich
die Rechtsfähigkeit eines Konzerns für seine Stellung als Partei und als Adressat einer Verfügung
im Rahmen eines Kartellverfahrens ergibt, wird weder durch das Kartellgesetz noch durch das Verwaltungsverfahrensgesetz
statuiert. Bei Konzernsachverhalten fallen demzufolge das massgebliche Verfahrenssubjekt als Beurteilungsobjekt
und der Verfügungsadressat als Partei eines Kartellverfahrens zwangsläufig auseinander.
122. Das
Bundesverwaltungsgericht hat in einem jüngeren Entscheid (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 67 ff., m.w.H.) unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichts ausführlich
dargelegt, dass als Verfügungsadressaten einer kartellrechtlichen Verfügung von den Wettbewerbsbehörden
aus Gründen der Prozessökonomie einzelne Gruppengesellschaften als Repräsentanten des
Konzerns heranzuziehen sind. Hierbei kommt den Wettbewerbsbehörden ein pflichtgemäss auszuübender
Ermessensspielraum im Hinblick auf die Auswahl der massgeblichen Konzerngesellschaften zu. Regelmässig
ist es dabei sachgerecht, die Konzernobergesellschaft und die fehlbaren Gruppengesellschaften, die an
dem wettbewerbswidrigen Verhalten beteiligt waren, als Verfügungsadressaten heranzuziehen. An dieser
Einschätzung ist festzuhalten. Sie wird auch durch die zwischenzeitlich ergangenen Urteile des Bundesgerichts
und des Bundesverwaltungsgerichts zum Wettbewerbsrecht implizit bestätigt (vgl. BVGer, B-807/2012,
Erne, E. 11.4.1; auf die inländische Tochtergesellschaft
abstellend BVGer, B-581/2012, Nikon, E. 4.1.5, 8.2.6).
123. Entgegen dem Einwand der Beschwerdeführerinnen
werden aufgrund der Urteile des Bundesgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts in Sachen Publigroupe
weder eine regelmässige Heranziehung der Konzernobergesellschaft neben einer oder mehreren fehlbaren
Konzerngesellschaften (vgl. E. 107)
noch andere Sachverhaltskonstellationen der kartellverwaltungsrechtlichen Erfassung eines Konzerns (vgl.
E. 106)
noch die Verhängung von Verfahrenskosten oder Geldbussen gegenüber einer später einbezogenen
Gruppengesellschaft (vgl. E. 106)
ausgeschlossen, weil das Urteil des Bundesgerichts keinerlei entsprechende Ausführungen aufweist.
124. Der von den Beschwerdeführerinnen
vorgebrachte Einwand (vgl. E. 109),
wonach eine Heranziehung der Konzernobergesellschaft als Verfügungsadressat neben der fehlbaren
Konzerngesellschaft bereits aufgrund der Geltung des strafrechtlichen Schuldprinzips ausgeschlossen sei,
ist unzutreffend und führt daher nicht zu einer anderen Einschätzung. Denn die Frage, welches
Rechtssubjekt als Adressat einer kartellrechtlichen Verfügung herangezogen wird, ist von der Frage,
welchem Rechtssubjekt das Verschulden im Rahmen eines Konzerns bei einem wettbewerbswidrigen Verhalten
zuzuordnen ist, zu unterscheiden (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 77). Beide Aspekte betreffen inhaltlich unterschiedliche Sachfragen, die unabhängig
voneinander zu behandeln und zu beurteilen sind, auch wenn sie angesichts der Kartellrechtssubjektivität
des relevanten Objekts "Unternehmen" bei einer Heranziehung und Sanktionierung von Konzernobergesellschaft
und fehlbarer Konzerngesellschaft regelmässig zum gleichen Ergebnis führen. Dies ergibt sich
schon daraus, dass die Frage des massgeblichen Verfügungsadressaten bei Konzernsachverhalten auch
in allen Fällen, in denen ein nicht gemäss Art. 49a
KG zu sanktionierendes Wettbewerbsverhalten
zusätzlich oder ausschliesslich zu ahnden ist, einer Beantwortung bedarf und kein Grund ersichtlich
ist, dass die Frage in Abhängigkeit davon unterschiedlich beantwortet werden müsste, ob ein
gemäss Art. 49
KG sanktionierbares oder ein sonstiges, nicht sanktionierbares wettbewerbswidriges
Verhalten vorliegt. Die Feststellung der kartellrechtlichen Unzulässigkeit eines bestimmten Wettbewerbsverhaltens
bleibt daher über eine Sanktionierung hinaus Gegenstand der Verfügung der Wettbewerbsbehörde
als Abschluss des kartellrechtlichen Verwaltungsverfahrens und richtet sich gegen das Kartellrechtssubjekt
"Konzern", welches die jeweils herangezogenen Verfügungsadressaten repräsentiert.
Durch die konkrete Auswahl der Verfügungsadressaten wird im Übrigen auch keine unzulässige
Zurechnung eines Verhaltens zwischen den als Verfügungsadressaten herangezogenen Gruppengesellschaften
vorgegeben. Denn die Sanktionierung und die damit einhergehende Feststellung eines wettbewerbswidrigen
Verhaltens zu Lasten der jeweils herangezogenen Gruppengesellschaften erfolgen weder wegen deren Auswahl
als Verfügungsadressaten noch basieren sie auf einer Zurechnung des wettbewerbswidrigen Verhaltens
zwischen völlig unabhängigen Rechtssubjekten. Die Sanktionierung leitet sich vielmehr unmittelbar
aus der Zugehörigkeit dieser Gruppengesellschaften zum Konzern als massgeblichem Kartellrechtssubjekt
"Unternehmen" ab.
(c)
Umstrukturierungen
125. Veränderungen
der Konzernstruktur während eines wettbewerbswidrigen Verhaltens oder während eines Kartellverwaltungsverfahrens
führen wie dargestellt (vgl. E. 56
ff.) nicht zu einer Änderung des massgeblichen Kartellrechtssubjekts. Bei strukturauflösenden
externen Transaktionen sind allerdings zwei unterschiedliche Konzerne als Kartellrechtssubjekte zu berücksichtigen.
126. Da keine Änderung des massgeblichen
Kartellrechtssubjekts vorliegt, gelten die vorstehenden Ausführungen zur Bestimmung des jeweiligen
bzw. der jeweiligen Verfügungsadressaten demnach auch für Konzerne, bei denen während
des wettbewerbswidrigen Verhaltens oder während des Kartellverwaltungsverfahrens eine Umstrukturierung
vorgenommen wird. Danach kann die Wettbewerbsbehörde die als Verfügungsadressaten heranzuziehenden
Gruppengesellschaften nach pflichtgemässem Ermessen aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls
bestimmen.
127. Regelmässig sind daher sowohl die
Konzernobergesellschaft und die fehlbare Konzerngesellschaft als Verfügungsadressaten heranzuziehen,
soweit diese auch nach der Umstrukturierung als juristische Personen bestehen bleiben.
128. Wenn die Umstrukturierung zum Untergang
der Konzernobergesellschaft oder der fehlbaren Konzerngesellschaft führt, bedarf es einer formellen
Anpassung des Kartellverwaltungsverfahrens, weil ein entsprechendes Verfahren gegen eine nicht mehr existente
juristische Person nicht fortgeführt werden kann. Soweit die jeweilige Gesellschaft durch Fusion
in einer anderen Gesellschaft aufgeht, tritt diese aufgrund der dabei eintretenden Universalsukzession
aller Rechte und Pflichten gemäss Art. 22
FusG (vgl. Gelzer
Thomas, in: Vischer [Hrsg.], Zürcher Kommentar zum Fusionsgesetz, 2. Aufl. 2012, Art. 22
Rn. 10; Tschäni Rudolf/ Gaberthüel Tino/Erni Stephan,
in: Watter/Vogt/Tschäni/Daeniker [Hrsg.], Basler Kommentar, Fusionsgesetz, 2. Aufl. 2015, zit. BSK-FusG,
Art. 22 Rn. 7) an die Stelle der untergegangenen Gruppengesellschaft. In diesem Fall findet automatisch
ein zwingender Parteiwechsel statt (vgl. Kölz/Häner/Bertschi,
Verwaltungsverfahren, Rn. 933; Marantelli/Hu-ber,
VwVG, Art. 6 Rn. 48; Tschäni/Gaberthüel/Erni,
BSK-FusG, Art. 22 Rn. 16a). Soweit die Auflösung der
jeweiligen Gesellschaft mittels Liquidation erfolgt, wird das Kartellverwaltungsverfahren nach deren
Löschung im Handelsregister gegenüber dieser nicht mehr fortgeführt.
129. Falls die bisherige Konzernobergesellschaft
ihre Stellung im Rahmen einer Umstrukturierung an eine andere Gesellschaft abgibt, ist es aus den oben
angeführten Gründen (vgl. E. 122)
regelmässig sachgerecht, auch die neue Konzernobergesellschaft in das Kartellverwaltungsverfahren
einzubeziehen, um die Abwicklung des Kartellverwaltungsverfahrens sicherzustellen sowie die Durchsetzung
des Regelungsgehalts einer Verfügung, bei der ein wettbewerbswidriges Verhalten den Gegenstand bildet,
innerhalb des Konzerns zu gewährleisten. Dies gilt insbesondere dann, wenn der jeweilige Konzern
und dessen in das Verfahren einbezogene Gruppengesellschaften das Vorliegen eines wettbewerbswidrigen
Verhaltens bestreiten. Dieser grundlegende Aspekt verlangt auch dann Beachtung, falls sich die Umstrukturierung
mit der Beendigung des wettbewerbswidrigen Verhaltens zeitlich überschneidet oder sich erst an dieses
anschliesst. Zudem lässt sich von der Wettbewerbsbehörde zum Zeitpunkt, an dem die Einbeziehung
einer neuen Konzernobergesellschaft in das Kartellverwaltungsverfahren erfolgt, üblicherweise noch
gar nicht verbindlich abschätzen, ob das wettbewerbswidrige Verhalten bereits eingestellt worden
war oder weitergeführt wird. Soweit es sachdienlich erscheint, kann in Abstimmung mit den Parteien
die bisherige Konzernobergesellschaft aus dem weiteren Kartellverwaltungsverfahren ausscheiden, wobei
in diesem Falle ein gewillkürter Parteiwechsel gegeben ist.
130. Die Durchführung eines Parteiwechsels
zwischen Gruppengesellschaften desselben Konzerns im Rahmen eines Kartellverwaltungsverfahrens, wie z.B.
in den vorstehend bezeichneten Fällen, ist im Übrigen ohne Weiteres zulässig. Denn weder
die durch das Kartellrecht vermittelten Rechtspositionen im Wettbewerb zu Gunsten des Kartellrechtssubjekts
"Konzern" noch die Parteistellung einer Gruppengesellschaft in einem Kartellverwaltungsverfahren
als Repräsentant des Kartellrechtssubjekts "Konzern" vermitteln ein höchstpersönliches
Recht zu Gunsten einer einzelnen Gruppengesellschaft, welches nach herrschender Auffassung einen Parteiwechsel
ausschliessen würde (vgl. Häner, Beteiligte,
Rn. 370; Kölz/Häner/Bertschi, Verwaltungsverfahren,
Rn. 933; Marantelli/Huber, VwVG,
Art. 6 Rn. 50).
131. Daher ist der Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 108),
wonach die Wettbewerbsbehörde hätte prüfen müssen, ob ein unzulässiger Parteiwechsel
gegeben sei, unbeachtlich, ungeachtet dessen, ob vorliegend überhaupt ein Parteiwechsel stattgefunden
hat. Dass die Beschwerdeführerinnen diesen Einwand ohne Erläuterungen darüber vorbringen,
weshalb es sich bei kartellrechtlichen Rechtspositionen auch im Falle von Konzernen um höchstpersönliche
Rechte handeln soll, macht allerdings deutlich, dass sie damit lediglich die gerichtliche Bearbeitung
der vorliegenden Rechtssache zu erschweren versuchen.
(d)
Sachverhalt
132. Der Zusammenschluss der SIX-Gruppe ist
wie dargestellt als externe strukturerhaltende Transaktion zu qualifizieren (vgl. E. 68).
133. Die Vorinstanz hat die angefochtene Verfügung
an die Beschwerdeführerin 1 als Konzernobergesellschaft der SIX-Gruppe und an die Beschwerdeführerin
2 sowie die frühere Beschwerdeführerin 3 als Konzerngesellschaften, welche an dem relevanten
wirtschaftlichen Verhalten beteiligt waren, gerichtet. Es sind keine Gründe ersichtlich, die dafürsprechen
würden, dass diese Auswahl der Verfügungsadressaten vorliegend als sachlich unangemessen zu
qualifizieren wäre.
134. Dass die Wettbewerbskommission die Beschwerdeführerin
1 als Konzernobergesellschaft der neu geschaffenen SIX-Gruppe in das Kartellverwaltungsverfahren einbezogen
hat, ist vielmehr aus grundsätzlichen Überlegungen sachgerecht. Die Beschwerdeführerinnen
tragen denn auch keine Aspekte vor, aufgrund deren die Wettbewerbsbehörde im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung
auf eine Einbeziehung der Beschwerdeführerin 1 hätte verzichten müssen. Entgegen der Ansicht
der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 103)
ist hierfür allein ein Hinweis darauf, dass es sich bei der Beschwerdeführerin 2 bzw. der Multipay
und Card Solutions um selbständige juristische Personen handelt, nicht ausreichend.
135. In diesem Zusammenhang sind zwei Aspekte
hervorzuheben.
136. Die Überführung der Telekurs-Gruppe
in die SIX-Gruppe zog automatisch die Stellung der (neuen) SIX-Gruppe als massgebliches Kartellrechtssubjekt
nach sich, ohne dass es hierfür einer Handlung der SIX-Gruppe bzw. einer ihrer Gruppengesellschaften
oder einer Massnahme der Wettbewerbsbehörde bedurft hätte.
137. Die Eröffnung eines Kartellverwaltungsverfahrens
wegen eines wettbewerbswidrigen Vehaltens gemäss Art. 28
KG wird durch öffentliche Publikation
bekannt gegeben. Die Durchführung eines Kartellverwaltungsverfahrens gegenüber der betreffenden
natürlichen oder juristischen Person ist daher allen Wirtschaftsteilnehmern bekannt bzw. kann diesen
bekannt sein. Dies gilt insbesondere auch für alle Wirtschaftsteilnehmer, welche im Rahmen einer
Umstrukturierung eine solche juristische Person übernehmen oder in anderer Weise in ihre Unternehmensgruppe
integrieren. Im Übrigen kann eine entsprechende Feststellung auch bei einer Unternehmensprüfung
vorgenommen werden, die vorgängig zur Vereinbarung der jeweiligen Transaktion durchgeführt
wird. Die Beschwerdeführerin 1 hat somit bei Duchführung des Zusammenschlusses - der
zudem durch die Wettbewerbsbehörde zu prüfen war - gewusst, dass ein Kartellverwaltungsverfahren
gegen Multipay und damit gegen die Telekurs-Gruppe als Kartellrechtssubjekt eröffnet und durchgeführt
wurde. Demzufolge war ihr auch bekannt, dass die Überführung der Telekurs-Gruppe in die SIX-Gruppe
automatisch auch die Stellung der (neuen) SIX-Gruppe als massgebliches Kartellrechtssubjekt in dem Kartellverwaltungsverfahren
nach sich ziehen würde.
138. Auch aufgrund dieser Aspekte bestehen
keine Gründe, die gegen eine Einbeziehung der Beschwerdeführerin 1 als Konzernobergesellschaft
der SIX-Gruppe in das laufende Kartellverwaltungsverfahren sprechen.
139. Dieser Einschätzung einer ordnungsgemässen
Auswahl der Verfügungsadressaten durch die Wettbewerbsbehörde steht auch nicht entgegen, dass
die Einbeziehung der Beschwerdeführerin 1 in das Kartellverwaltungsverfahren nicht unmittelbar bei
Bildung der neuen SIX-Gruppe, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgte.
140. Das Ermessen der Wettbewerbsbehörde
zur Konkretisierung der in ein Kartellverwaltungsverfahren einzubeziehenden Gesellschaften eines Konzerns
umfasst nicht nur die Entscheidung über die Festlegung, welche Gesellschaft als Repräsentant
des Konzerns in das Kartellverwaltungsverfahren eingebunden wird, sondern auch die Entscheidung über
den Zeitpunkt der Einbeziehung.
141. Dieser Ermessensspielraum der Wettbewerbsbehörden
ist insbesondere im Falle von Umstrukturierungen von Bedeutung. Da die Abklärung der Wettbewerbskonformität
eines bestimmten wirtschaftlichen Verhaltens im Zentrum eines Kartellverwaltungsverfahrens steht, hat
sich die Wettbewerbsbehörde auch im Interesse aller (potenziell) beteiligten Marktteilnehmer vorrangig
mit diesem Aspekt zu beschäftigen, während die Beurteilung der Auswirkungen einer Umstrukturierung
- oder gegebenfalls sogar mehrerer Umstrukturierungen - im Laufe eines Kartellverwaltungsverfahrens
zurückgestellt werden kann.
142. Die spätere Einbeziehung einer Konzern(ober)gesellschaft
führt demnach nicht allein aufgrund der zeitlichen Komponente zu einem Verfahrensmangel. Dieses
Ergebnis ergibt sich sowohl aufgrund praktischer Aspekte als auch besonderer kartellverfahrensrechtlicher
Regelungen.
143. Soweit die Wettbewerbsbehörde erst
in einem späten Stadium des Kartellverfahrens aufgrund der durchgeführten Ermittlungen feststellt,
dass die Konzernobergesellschaft sogar unmittelbar in das wettbewerbswidrige Verhalten eingebunden war,
ist deren Einbeziehung in das Verfahren nicht nur zweckmässig im Hinblick auf die spätere Durchsetzung
des Regelungsgehalts einer kartellrechtlichen Verfügung, sondern im Hinblick auf die massgebliche
Verursachung des wettbewerbswidrigen Verhaltens sogar geboten. Gleiches gilt in entsprechender Weise
auch dann, wenn die Ermittlungen erst in einem späten Stadium eines Kartellverfahrens ergeben, dass
an einem bestimmten wettbewerbswidrigen Verhalten auch eine weitere Unternehmensgruppe beteiligt war,
die bislang nicht in das Kartellverwaltungsverfahren einbezogen war. Bei beiden Sachverhaltskonstellationen
ist für die ordnungsgemässe Einbeziehung einer Gesellschaft bzw. eines Unternehmens in ein
bereits bestehendes Verfahren nicht der Zeitpunkt dieser Einbeziehung, sondern allein massgebend, ob
die durch den Eintritt in die Parteistellung vermittelten Verfahrensrechte bis zum Abschluss des Kartellverwaltungsverfahrens
in sachgerechter Weise ausgeübt werden können.
144. Art. 30 Abs. 2
KG sieht vor, dass ein
beteiligtes Unternehmen eine Stellungnahme zum Antrag des Sekretariats und damit vor Erlass einer verfahrensbeendenden
Verfügung durch die Wettbewerbskommission abgeben kann. Demnach ist im Kartellverwaltungsverfahren
formal sichergestellt, dass ein Unternehmen eine eigene Darstellung zu den wesentlichen Aspekten der
Angelegenheit vor Abschluss des verwaltungsrechtlichen Verfahrens einbringen kann. Soweit ein Unternehmen
in seiner Stellungnahme dabei mit ausreichender Begründung darlegen kann, dass allfällig von
ihm - im Rahmen der ihm zustehenden Verfahrensrechte - beantragte Verfahrensmassnahmen, die
bislang nicht durchgeführt wurden, für die Abklärung der Angelegenheit von wesentlicher
Bedeutung sind, bestehen für die Wettbewerbskommission gemäss Art. 30 Abs. 2
KG immer noch
die Möglichkeit und die Verpflichtung, eine Anhörung vorzusehen und das Sekretariat mit zusätzlichen
Untersuchungsmassnahmen zu beauftragen.
145. Soweit ein Unternehmen von diesem Recht
zur Stellungnahme in sachgerechter Weise Gebrauch gemacht hat oder hätte machen können, ist
der Aspekt einer früheren oder späteren zeitlichen Einbeziehung in das Kartellverwaltungsverfahren
daher unerheblich.
146. Für die sachgerechte Ausübung
von Verfahrensrechten einer später in das Kartellverwaltungsverfahren einbezogenen Gruppengesellschaft
sind zudem mehrere wesentliche Aspekte zu beachten.
147. Eine Gruppengesellschaft wird als Repräsentant
des Kartellrechtssubjekts "Konzern" in das Kartellverwaltungsverfahren einbezogen und als
Verfügungsadressat herangezogen. Die Einbeziehung der Konzernobergesellschaft und einer Konzerngesellschaft
wie auch von zwei sonstigen Gruppengesellschaften führt daher zu einer "Doppelrepräsentanz"
des Konzerns im Kartellrechtsverfahren. Daraus folgt aber nicht, dass die einbezogenen Gesellschaften
wie zwei voneinander vollständig unabhängige Parteien zu behandeln sind. Denn ihre Parteistellung
und die Wahrnehmung ihrer Verfahrensrechte bestehen im Hinblick auf das Kartellrechtssubjekt "Konzern"
und nicht völlig losgelöst von diesem. Daher sind die jeweiligen Vorbringen der am Verfahren
beteiligten Gruppengesellschaften als gemeinsame Stellungnahme zur Angelegenheit zu bewerten. Der Inhalt
dieser gemeinsamen Stellungnahme kann von der Konzernobergesellschaft aufgrund der ihr zukommenden übergeordneten
Gruppenführung intern gegenüber den in das Kartellverwaltungsverfahren einbezogenen Gesellschaften
auch ohne Schwierigkeiten koordiniert und festgelegt werden. Dies spiegelt sich in der Praxis dadurch
wider, dass Gruppengesellschaften in Kartellverwaltungs- oder Rechtsmittelverfahren regelmässig
einheitliche Anträge und Vorbringen durch einheitliche Rechtsvertreter geltend machen.
148. Wenn eine weitere Gesellschaft einer Unternehmensgruppe
erst zu einem späteren Zeitpunkt in das Kartellverwaltungsverfahren einbezogen wird, so beginnt
demzufolge das Kartellrechtsverfahren für das Kartellrechtssubjekt "Konzern" nicht in
diesem Moment überhaupt erst oder nochmals neu zu laufen. Vielmehr tritt die neu einbezogene Gruppengesellschaft
in dem Stadium in das Kartellverfahren ein, in dem es sich zu diesem Zeitpunkt befindet, einschliesslich
der bisherigen Vorbringen der bereits seit Beginn des Verfahrens einbezogenen Gruppengesellschaft. Die
Geltendmachung von einzelnen Verfahrensrechten durch die neu einbezogene Gruppengesellschaft ist demzufolge
anhand des jeweiligen Stands des Verfahrens zu bewerten. Ein derart geltend gemachtes Verfahrensrecht
erlangt daher regelmässig nur dann Bedeutung, wenn es in der Sache zu einer anderen Beurteilung
der Angelegenheit führen kann. Infolgedessen bedarf z.B. eine blosse inhaltliche Wiederholung keiner
weiteren Behandlung.
149. Diese Einschätzung entspricht der
bisherigen Stellungnahme des Bundesgerichts für eine spätere Einbeziehung von verschiedenen
Gruppengesellschaften in ein Kartellverwaltungsverfahren. Dabei wird ausdrücklich festgehalten,
dass eine seit Beginn des Verfahrens einbezogene Gruppengesellschaft die Interessen aller später
einbezogenen Gruppengesellschaften wahrnehmen könne (vgl. BGE 139 I 72, Publigroupe,
E. 3.4 [nicht publ.]). Für die Prüfung der Ordnungsmässigkeit wird allein das Kriterium
angeführt, ob sich infolge der späteren Einbeziehung ein prozessualer Nachteil zu Lasten der
betreffenden Gesellschaften einstellt (vgl. BGE 139 I 72, Publigroupe,
E. 3.4 [nicht publ.]), was regelmässig nicht der Fall sein dürfte.
150. Vorliegend war die Beschwerdeführerin
2 seit Eröffnung des Kartellverwaltungsverfahrens (vgl. SV J)
als Beteiligte in das Verfahren einbezogen. Sie hatte daher jede Möglichkeit, die sich aus dieser
Parteistellung ergebenden Verfahrensrechte geltend zu machen. Von diesen Möglichkeiten hat die Beschwerdeführerin
2 auch Gebrauch gemacht. Die Einbeziehung der Beschwerdeführerin 1 in das Kartellverwaltungsverfahren
erfolgte fünf Monate vor Erlass der angefochtenen Verfügung durch die Wettbewerbskommission.
Die Beschwerdeführerinnen haben eine Stellungnahme zum Antrag des Sekretariats abgegeben. Angesichts
dieser Ausgangslage ist nicht davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin 1 in der Wahrnehmung
von Verfahrensrechten beeinträchtigt worden war.
151. Bezeichnenderweise werden von den Beschwerdeführerinnen
auch keinerlei konkreten Umstände dargelegt, warum sich eine derartige beachtenswerte Einschränkung
trotz der Möglichkeit zur Stellungnahme zum Antrag des Sekretariats und deren Wahrnehmung tatsächlich
eingestellt habe. Daher ist der Einwand der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 105),
wonach die spätere Einbeziehung der Beschwerdeführerin 1 dazu geführt habe, dass sie ihre
"originären" Verfahrensrechte erst verspätet habe ausüben können, in
der Sache unerheblich, weil ihr Vorbringen unabhängig vom zeitlichen Aspekt zu keiner anderen Beurteilung
der Angelegenheit führen konnte. Der Einwand führt demnach nur zu einer Erschwerung und Verzögerung
der Bearbeitung der Rechtsstreitigkeit durch das Bundesverwaltungsgericht.
(e)
Ergebnis
152. Die
Vorinstanz hat die angefochtene Verfügung gemäss Art. 30
und 39
KG sowie Art. 6
und 34
VwVG
rechtmässig an die Beschwerdeführerinnen als sachgerechte Verfügungsadressaten gerichtet,
auch wenn die SIX-Gruppe gemäss Art. 2 Abs. 1
bis
KG als massgebliches Unternehmen und damit als Kartellrechtssubjekt zu qualifizieren ist.
3)
Verstoss gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
153. Die Beschwerdeführerinnen machen
wegen verschiedener Aspekte eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend.
154. Das
Sekretariat habe mit dem sog. Fil Rouge ein Dokument angefertigt, welches zwar an die Wettbewerbskommission
weitergeleitet, den Beschwerdeführerinnen aber nicht zugänglich gemacht worden sei. Der Fil
Rouge enthalte eine Zusammenfassung des Antrags des Sekretariats, mit der das Sekretariat die aus seiner
Sicht wesentlichen Aspekte darstellen würde. Das Dokument sei dazu geeignet, die Entscheidung der
Mitglieder der Wettbewerbskommission zum Nachteil der Beschwerdeführerinnen zu beeinflussen, weil
die Gefahr bestehe, dass sich einzelne Mitglieder bei ihrer Entscheidung nur auf die in der Zusammenfassung
und nicht auf alle im Antrag dargestellten Aspekte, die im Untersuchungsverfahren ermittelt oder von
den Beschwerdeführerinnen vorgebracht worden seien, abstützen würden. Die Nichtoffenlegung
des Fil Rouge im Untersuchungsverfahren stelle demzufolge eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches
Gehör dar.
155. Der
Fil Rouge habe einen angepassten Antrag des Sekretariats mit neuen verfügungswesentlichen Aspekten
enthalten. Bei diesen handle es sich um die Relevanz der DCC-Funktion, die Entwicklung der Terminalverkäufe,
die Quantifizierung der angeblichen Ausschlusswirkung, die Zulässigkeit einer ex-post Betrachtungsweise
und eine geänderte Bussgeldberechnung durch die vom Sekretariat im Fil Rouge vorgenommene Reduktion
des Basisbetrags von 5% auf 4%. Die fehlende Möglichkeit zur Stellungnahme zu diesen Aspekten im
angepassten Antrag stelle demzufolge eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar.
156. Aufgrund
der Schwere der vorstehenden Verfahrensfehler sei eine Heilung im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ausgeschlossen.
Daher müsse die angefochtene Verfügung aufgehoben werden.
157. Zudem rügen die Beschwerdeführerinnen
die Missachtung von rechtserheblichen Beweisanträgen, die sie im Nachgang zur Anhörung vor
der Wettbewerbskommission gestellt hätten. Diese hätten Abklärungen bezüglich jener
Umstände, die die Vorinstanz den Beschwerdeführerinnen erst im Rahmen der Anhörung offengelegt
habe, betroffen. Mittels dieser Beweisanträge hätte sichergestellt werden sollen, dass die
Vor-instanz hinreichend abkläre, inwiefern die DCC-Funktion im Markt überhaupt von Relevanz
gewesen sei. Aufgrund der Tauglichkeit und Relevanz der gestellten Beweisanträge für den zu
untersuchenden Sachverhalt hätten entsprechende Beweiserhebungsmassnahmen verpflichtend eingeleitet
werden müssen. Die fehlende Durchführung stelle eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches
Gehör dar.
158. Darüber hinaus verweisen die Beschwerdeführerinnen
im Rahmen ihres Vorbringens zu den materiellen Tatbeständen wiederkehrend zusätzlich auf eine
Verletzung der Begründungspflicht durch die Vorinstanz und damit auf eine Verletzung des Anspruchs
auf rechtliches Gehör.
159. So würden sich die Ausführungen
der Vorinstanz zur Marktdefinition mit Bezug auf das Akzeptanzgeschäft auf einen nicht aussagekräftigen
Vergleich von Zahlungs-Abbruchquoten bei Onlinetransaktionen beschränken. Eine eigentliche Prüfung
des relevanten Markts und der Wettbewerbseinflüsse durch die verschiedenen alternativen Zahlungsmittel
würde aber unterlassen. Überdies würden die Ausführungen und Begründungen zur
Marktposition der Beschwerdeführerin 2 mit dem Jahr 2008 enden. Die angefochtene Verfügung
beinhalte keine Begründung, auf welcher Grundlage die Vorinstanz auch im Zeitraum nach 2008 eine
marktbeherrschende Stellung festgestellt habe. Zudem behaupte die angefochtene Verfügung pauschal,
dass ohne die DCC-Funktion eine gewisse Anzahl an Kunden ausgeschlossen worden sei, ohne dass in der
angefochtenen Verfügung auch nur ein Hinweis auf die relevanten Entscheidfaktoren der Händler
zu finden sei. Die Vorinstanz hätte darlegen müssen, inwiefern und für welche konkreten
Fälle diese Funktion von Relevanz gewesen sei. Die Vorinstanz gehe überdies davon aus, dass
aus dem Schreiben der Anzeigestellerin vom 5. Juli 2005 eine Verweigerung durch die Beschwerdeführerinnen
abgeleitet werden könne. Auch diesbezüglich fehle jedoch die Begründung, wie die Vorinstanz
zu diesem Ergebnis gelangt sei. Schliesslich finde sich bezüglich der behaupteten Missbräuchlichkeit
im Zusammenhang mit Art. 7 Abs. 2 Bst. e
KG nur eine rudimentäre Begründung, welche insbesondere
nicht auf sämtliche Tatbestandselemente eingehe.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
160. Demgegenüber macht die Vorinstanz
geltend, es bestehe grundsätzlich kein Anspruch auf Stellungnahme "zum angepassten Antrag".
Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung stelle der Verfügungsantrag einer lnstruktionsbehörde
ein rein verwaltungsinternes Dokument dar, in welches nicht Einsicht genommen werden könne. Art.
30 Abs. 2
KG statuiere eine Ausnahme hiervon, welche allerdings nicht dazu führe, dass die Beschwerdeführerinnen
berechtigt wären, alle verwaltungsinternen Dokumente einzusehen und zu diesen Stellung zu nehmen.
Die Beschwerdeführerinnen hätten sich vorgängig zum Erlass der Sanktionsverfügung
zu allen rechtserheblichen Punkten äussern können, womit ihr Anspruch auf rechtliches Gehör
gewahrt worden sei.
161. Beim Fil Rouge handle es sich um eine
verwaltungsinterne Kommunikation, welcher für die Behandlung des Falles kein Beweischarakter zukomme.
Die Analyse des materiellen Inhaltes des Fil Rouge bestätige, dass dieser nicht im Sinne eines neuen
Antrags zu verstehen sei. Wesentliche Änderungen gegenüber dem Antrag seien nicht auszumachen.
Betroffen seien zudem ausschliesslich Fragestellungen, welche den Beschwerdeführerinnen bekannt
gewesen oder durch diese aufgeworfen worden seien. Zu all diesen umstrittenen Fragen hätten sich
die Beschwerdeführerinnen mehrfach geäussert und ihre Äusserungen seien von der Vorinstanz
bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt worden. Es zeige sich, dass das rechtliche Gehör
nicht verletzt worden sei. Auch führe der Inhalt des Fil Rouge nicht dazu, dass das Bundesverwaltungsgericht
in materieller Hinsicht andere Fragestellungen und Rügen zu behandeln hätte als solche, die
bereits im Rahmen der Beschwerde aufgeworfen worden seien.
162. Schliesslich macht die Vorinstanz geltend,
dass selbst dann, wenn entgegen diesen Vorbringen doch von einer Verletzung des rechtlichen Gehörs
auszugehen wäre, diese mittlerweile durch das Bundesverwaltungsgericht geheilt worden sei, weil
der Fil Rouge den Beschwerdeführerinnen offengelegt worden sei und diese sich zu dessen Inhalt hätten
äussern können. Die Replik der Beschwerdeführerinnen zum Fil Rouge enthalte keinerlei
Argumente, welche diese in der Vernehmlassung vom 31. Oktober 2011 detailliert begründete Auffassung
widerlegen würden.
163. Hinsichtlich einer Annahme von rechtserheblichen
Beweisanträgen beruft sich die Vorinstanz auf ihr Auswahlermessen. In antizipierter Beweiswürdigung
beurteile sie, ob der rechtserhebliche Sachverhalt bereits hinreichend ermittelt worden sei. Sie dürfe
von weiteren Beweisvorkehren absehen, wenn sie aufgrund der bereits erhobenen Beweise ihre Überzeugung
gebildet habe und annehmen könne, dass diese durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert
würde. Die Behörde dürfe zudem bei der Ausübung ihres pflichtgemässen Ermessens
bei der Auswahl der Beweismittel auch prozessökonomische Interessen berücksichtigen.
164. Die Beschwerdeführerinnen hätten
sich erst während der Entscheidphase vor der Vorinstanz bemüssigt gesehen, Beweisanträge
zu stellen. Während der gesamten Untersuchungsphase hätten die Beschwerdeführerinnen keine
Beweisanträge gestellt. Für einige Anträge möge dies zwar dadurch erklärbar
sein, dass einige Informationen erst anlässlich des Hearings bekannt geworden seien. Andere Begehren,
wie etwa die Befragung von Händlern zur Eruierung der Überlegungen und Entscheidungsgrundlagen
beim Kauf von Zahlungskartenterminals, wären ohne Weiteres zu einem früheren Zeitpunkt möglich
gewesen. Eine solche Vorgehensweise könne gezielt zur Verzögerung des Verfahrens sowie bereits
strategisch im Hinblick auf die Erhebung formeller Rügen im Rechtsmittelverfahren eingesetzt werden.
Der Sachverhalt sei hinreichend ermittelt worden und die beantragten Beweismassnahmen hätten zu
keinem Erkenntnisgewinn geführt, weshalb die Vorinstanz von der Durchführung dieser Massnahmen
habe absehen dürfen.
165. Nicht nachvollziehbar sei schliesslich
der Vorwurf der Verletzung der Begründungspflicht bezüglich einer Verfügung, welche eine
detaillierte Begründung auf rund 160 Seiten umfasse. Die Begründung habe zu einer Beschwerdeschrift
von ihrerseits rund 160 Seiten geführt sowie zu einem ökonomischen Parteigutachten von rund
50 Seiten. Es könne daher nicht ernsthaft behauptet werden, die Beschwerdeführerinnen hätten
den Entscheid der Vorinstanz nicht sachgerecht anfechten können.
(3)
Würdigung durch das Gericht
166. Der
Anspruch auf rechtliches Gehör ist das verfassungsmässige Recht zur aktiven Teilnahme in einem
administrativen oder gerichtlichen Rechtsverfahren eines hiervon Betroffenen, welches in allgemeiner
Weise in Art. 29 Abs. 2
BV ausdrücklich statuiert und zumindest für Teilelemente darüber
hinaus auch zusätzlich aus Art. 6
EMRK abgeleitet wird. Es dient der Verwirklichung des übergeordneten
Grundsatzes eines fairen Verfahrens. Durch die Einbindung eines Betroffenen in ein Rechtsverfahren mit
der Möglichkeit, eigene Hinweise, Informationen und Argumentationen vorzubringen, wird sowohl die
Wahrscheinlichkeit der inhaltlichen Richtigkeit eines Entscheids als auch dessen mögliche Akzeptanz
auf Seiten der Beteiligten erhöht (vgl. BGE 140 I 99 E. 3.4; BGE 135 I 187 E. 2.2; BGE 127 I 6 E.
5b; BGE 127 I 54 E. 2b; BVGer, B-7633/2009, ADSL II, Rn. 197,
m.w.H).
(a)
Ausgangslage
167. Der Anspruch auf rechtliches Gehör
steht natürlichen und juristischen Personen zu sowie Dritten, welche von einem Rechtsverfahren unmittelbar
in ihren Rechten betroffen werden (vgl. BGE 137 I 120 E. 5.3; Müller
Jörg Paul/Schefer Markus, Grundrechte in der Schweiz, 4. Aufl. 2008, zit. Grundrechte,
848 f.; Rhinow/Koller/Kiss/Thurn-herr/Brühl-Moser,
Prozessrecht, Rn. 312). Dies gilt auch für nicht rechtsfähige
Rechtsgemeinschaften oder Mitglieder einfacher Wirtschaftsgemeinschaften als Subjekte eines Rechtsverfahrens
(vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL II, Rn. 198, m.w.H.).
168. Der Anspruch auf rechtliches Gehör
umfasst als Teilgarantien die ordnungsgemässe Durchführung der folgenden Aspekte im Hinblick
auf den Ablauf eines Rechtsverfahrens (vgl. BGE 135 II 286 E. 5.1; ausführlich BVGer, B-7633/2009,
ADSL II, Rn. 199, m.w.H.): (i) vorgängige Orientierung über
Gegenstand und Inhalt des Rechtsverfahrens sowie den Vorwurf gegenüber dem Betroffenen; (ii) Mitwirkung
bei der Feststellung des Sachverhalts, insbesondere der Stellung von eigenen Beweisanträgen; (iii)
persönliche Teilnahme am Verfahren einschliesslich der Möglichkeit zur Verbeiständigung;
(iv) Akteneinsicht; (v) Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme einschliesslich der Kenntnisnahme
und Berücksichtigung durch die verfahrensleitende Instanz; (vi) Eröffnung des Entscheids; (vii)
Begründung des Entscheids.
169. Der
Anspruch auf rechtliches Gehör ist grundsätzlich auf rechtserhebliche Sachfragen beschränkt.
Ausnahmsweise werden die Parteien auch zur rechtlichen Würdigung angehört, wenn sich die Rechtslage
geändert hat, ein ungewöhnlich grosser Ermessensspielraum besteht oder die Behörden sich
auf Rechtsnormen stützen, mit deren Anwendung die Parteien nicht rechnen mussten (vgl. BGer, 17.6.2003,
2A.520/2002, Entreprises Electriques Fribourgeoises [EEF] gg. Watt Suisse AG u.a., publ. in: BGE 129
II 497, zit. EEF, E. 2.2; BGer, 17.6.2003, 2A.492/2002, Elektra
Baselland Liestal [EBL] gg. Watt Suisse u.a., publ. in: RPW 2003/3, 695, zit. EBL,
E. 3.2.3; BGE 127 V 431 E. 2b; BVGer, B-7633/2009, ADSL II, Rn.
200).
170. Demtsprechend verlangt der Anspruch auf
rechtliches Gehör grundsätzlich nicht, dass eine verfahrensbeteiligte Partei die Gelegenheit
erhalten muss, sich zu jedem möglichen Ergebnis, das von der entscheidenden Behörde ins Auge
gefasst wird, zu äussern. Es genügt, dass sich die Parteien zu den Grundlagen des Entscheids,
insbesondere zum Sachverhalt sowie zu den anwendbaren Rechtsnormen, vorweg äussern und ihre Standpunkte
einbringen können (vgl. BGE 132 II 257 E. 4.2; BGE 132 II 485 E. 3.4; BGE 134 V 97 E. 2.8.2).
171. Beim
Anspruch auf rechtliches Gehör handelt es sich um ein selbständiges formelles Recht, dessen
Verletzung grundsätzlich zur Aufhebung des angefochtenen Hoheitsakts führt, unabhängig
davon, ob die Rechtsverletzung für den Ausgang des Verfahrens sachlich relevant ist (vgl. BGE 132
V 387 E. 5.1; BGE 129 V 73 E. 4.1). Nach ständiger Rechtsprechung kann durch die jeweilige Rechtsmittelinstanz
allerdings unter bestimmten Umständen eine Heilung der Rechtsverletzung erfolgen. Voraussetzung
hierfür ist die verfahrensrechtliche Konstellation, dass der Betroffene die Möglichkeit erhält,
sich vor der Rechtsmittelinstanz zu äussern, und dass die Rechtsmittelinstanz über die gleiche
Kognition in Rechts- und Sachverhaltsfragen verfügt wie die Vorinstanz, sodass die Gewährung
des rechtlichen Gehörs vollumfänglich nachgeholt werden kann. Eine Heilung wird dabei auch
im Falle schwerwiegender Rechtsverletzungen ausnahmsweise dann als zulässig erachtet, wenn die Rückweisung
bloss zu einem formalistischen Leerlauf führen und dies nicht im Interesse des Betroffenen liegen
würde (vgl. BGE 133 I 201 E. 2.2; BGE
127 V 431 E. 3d/aa; BVGer, B-7633/2009, ADSL II, Rn. 201, m.w.H).
Die Möglichkeit einer Heilung wurde auch für Verfahren mit einer ausserordentlich langen Verfahrensdauer
bestätigt, um dem Gebot der fristgemässen Beurteilung zu entsprechen (vgl. BGE 138 II 77 E.
4.3). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte lässt die Heilung eines Verstosses
gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs ebenfalls zu, soweit das jeweilige Gericht über
volle Kognition verfügt (vgl. EGMR, 1.3.2001, 29082/95, Dallos gg. Ungarn, Ziff. 52; EGMR, 8.10.2013,
29864/03, Mulosmani gg. Albanien, Ziff. 132 m.w.H.).
(b)
Fil Rouge
172. Das Recht auf Akteneinsicht als Teilgehalt
des Anspruchs auf rechtliches Gehör bezieht sich grundsätzlich auf sämtliche verfahrensbezogenen
Akten, die geeignet sind, die Grundlage des jeweiligen späteren Entscheids zu bilden (vgl. BGE 132
V 387 E. 3.1 und 3.2). Es stellt gewissermassen die Vorbedingung dafür dar, dass die übrigen
Mitwirkungsrechte, insbesondere das Recht, sich vor Erlass des Entscheids zur Sache zu äussern,
überhaupt adäquat wahrgenommen werden können (vgl. BGer, 16.12.2014, 8C_631/2014, E. 4.2.1.1;
BGE 132 II 485 E. 3.1). Daher ist das Akteneinsichtsrecht grundsätzlich auch dann zu gewähren,
wenn dessen Ausübung den Entscheid in der Sache nicht zu beeinflussen vermag (vgl. BGE 132 V 387
E. 3.2).
173. In einem Kartellverwaltungsverfahren richtet
sich das Akteneinsichtsrecht gemäss Art. 39
KG nach den Art. 26
ff. VwVG, weil das Kartellgesetz
keine abweichende Regelung vorsieht. Gemäss Art. 26 Abs. 1
VwVG hat daher jede Partei Anspruch darauf,
die Verfahrensunterlagen ihrer Sache am Sitz der verfügenden Behörde einzusehen. Dies umfasst
die Einsichtnahme in Eingaben von Parteien und Vernehmlassungen von Behörden, in alle als Beweismittel
dienenden Aktenstücke sowie die Niederschriften eröffneter Verfügungen.
174. Allerdings bleiben nach ständiger
Rechtsprechung sog. verwaltungsinterne Akten sowohl vom verfassungsmässigen Akteneinsichtsrecht
gemäss Art. 29 Abs. 2
BV als auch vom entsprechenden gesetzlichen Anspruch gemäss Art. 26
ff.
VwVG ausgeschlossen (vgl. BGE 129 II 497 E. 2.2; BGE 125 II 473 E. 4a; BGE 122 I 153 E. 6a; BGer, 10.10.2014,
1C_159/2014, E. 4.3, je m.w.H.). Als verwaltungsinterne Dokumente gelten Unterlagen, denen für
die Behandlung eines Falls kein Beweischarakter zukommt und die ausschliesslich der verwaltungsinternen
Meinungsbildung dienen, wie Entwürfe, Anträge, Notizen, Gesprächs- und Prüfungsprotokolle,
Mitberichte, Hilfsbelege usw. Mit dem Ausschluss des Einsichtsrechts in diese Akten soll verhindert werden,
dass die interne Meinungsbildung der Verwaltung vollständig vor der Öffentlichkeit ausgebreitet
und damit erschwert wird (vgl. BGer, 10.10.2014, 1C_159/2014, E. 4.3; BGE 129 II 497 E. 2.2; BGE
125 II 473 E. 4a; BGE 122 I 153 E. 6a; je m.w.H.).
175. Für die Abgrenzung von verwaltungsinternen
gegenüber extern einsehbaren Akten ist im Einzelfall die objektive Bedeutung der Unterlagen für
den verfügungswesentlichen Sachverhalt massgebend und nicht dessen formale Einstufung als internes
Dokument durch die Behörden (vgl. BGer, 10.10.2014, 1C_159/2014, E. 4.3; BGer, 03.03.2004,
1A.241/2003, E. 3.2; BGE 115 V 297 E. 2g/b). Keine verwaltungsinternen Akten sind daher zum Beispiel
behördenintern erstellte Berichte und Gutachten zu streitigen Sachverhaltsfragen (vgl. BGE 115 V
297 E. 2g/bb; BGer, 10.10.2014, 1C_159/2014, E. 4.4). Hingegen stellt der Verfügungsantrag einer
Instruktionsbehörde nach der bundesgerichtlichen Praxis in der Regel ein rein verwaltungsinternes
Dokument dar, das nicht dem rechtlichen Gehör der Parteien untersteht, sofern das Gesetz nicht ausdrücklich
eine anderslautende Sonderregelung aufweist (vgl. BGE 129 II 497 E. 2.2; BGE 117 Ia 90 E. 5b; BGE 113
Ia 286 E. 2d).
176. Der Fil Rouge wird nicht durch die Vorinstanz
selbst, sondern durch das Sekretariat erstellt. Dieses amtet in Kartellverwaltungsverfahren gemäss
Art. 23
ff. KG als Untersuchungsbehörde und die Wettbewerbskommission als Entscheidinstanz. Insbesondere
bereitet das Sekretariat gemäss Art. 23 Abs. 1
KG die Geschäfte der Wettbewerbskommission vor,
führt die Untersuchungen durch und stellt der Wettbewerbskommission einen Antrag. Das Sekretariat
hat dabei die Wettbewerbskommission in solcher Weise zu informieren, dass diese ihre Aufgaben ordnungsgemäss
wahrnehmen kann.
177. Der Fil Rouge stellt in inhaltlicher Hinsicht
eine Zusammenfassung des Antrags des Sekretariats zuhanden der Wettbewerbskommission dar. Er erwähnt
tabellarisch die involvierten Parteien, den Verfahrensverlauf, die geprüften Tatbestände, das
Dispositiv sowie die Fallverantwortlichen. Zudem enthält er insbesondere eine kurze Zusammenfassung
des Sachverhalts, Ausführungen zu technischen Aspekten sowie Erwägungen bzw. zu erörtende
Sachfragen im Hinblick auf die Entscheidfindung durch die Wettbewerbskommission.
178. Der Fil Rouge dient dazu, der Wettbewerbskommission
als Entscheidbehörde einen summarischen Überblick über die im Antrag dargelegten Untersuchungsergebnisse
zu verschaffen. Als Instrument der gesetzlich vorgesehenen, internen Vorbereitung der Kommissionsentscheidung
durch das Sekretariat dient er somit einer ersten Orientierung über die regelmässig komplexe
Kartellrechtsangelegenheit, um den Mitgliedern der Wettbewerbskommission den Zugang zum Antrag zu erleichtern.
Dem Fil Rouge kommt daher kein Beweischarakter zu, sondern er dient ausschliesslich der verwaltungsinternen
Meinungsbildung.
179. Der Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 154),
wonach der Fil Rouge geeignet sei, die Entscheidung der Mitglieder der Wettbewerbskommission zum Nachteil
einer Partei zu beeinflussen, weil die Gefahr bestünde, dass sich einzelne Mitglieder bei ihrer
Entscheidung nur auf die in der Zusammenfassung und nicht auf alle im Antrag dargestellten Aspekte abstützen
würden, ist unbeachtlich. Die vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfende sachliche Richtigkeit
einer kartellrechtlichen Verfügung der Wettbewerbskommission hängt nämlich nicht davon
ab, ob sich einzelne ihrer Mitglieder im Rahmen der Beschlussfassung gemäss Art. 21
KG auf den Antrag
und eigene vorgenommene Massnahmen der Wettbewerbskommission oder allenfalls lediglich auf den Inhalt
des Fil Rouge abgestützt haben. Zum einen liesse sich gar nicht überprüfen, auf welcher
Grundlage einzelne Mitglieder der Wettbewerbskommission ihre Entscheidung vorgenommen haben. Dies gilt
umso mehr, als den Mitgliedern der Wettbewerbskommission eine konkrete Arbeitsanweisung nicht vorgegeben
werden kann (vgl. REKO/WEF, 21.5.2001, RPW 2001/2, 412,
Schweizerischer Buchhändler- und Verlegerverband gg. Weko, zit. Buchpreisbindung
I, Ziff. 4.5). Zum anderen würde auch eine weitere Stellungnahme der Parteien zum Fil Rouge
nicht zu einem Ausschluss der Möglichkeit führen, dass ein einzelnes Mitglied der Wettbewerbskommission
seine Entscheidung dennoch nur auf der Zusammenfassung des Fil Rouge und nicht auf den gesamten Antrag
des Sekretariats abstützt. Daher geht dieser Einwand der Beschwerdeführerinnen von vornherein
ins Leere.
180. Zusammenfassend ist demnach entgegen der
im vorliegenden Verfahren ergangenen Zwischenverfügung (vgl. SV K.g)
festzuhalten, dass der Fil Rouge als behördeninternes Dokument zu qualifizieren ist, welches nicht
dem Akteneinsichtsrecht untersteht und den Beschwerdeführerinnen daher auch nicht zur Einsicht und
zur Stellungnahme unterbreitet werden muss (vgl. BVGer, Zwischenverfügung vom 17.4.2013 in Sachen
B-506/2010, Gaba International AG gg. Weko, SV T.c; BVGer, Zwischenverfügung vom 3.9.2013 in Sachen
B-364/2010, Pfizer AG gg. Weko, SV L.f).
(c)
Umfang des Rechts auf Stellungnahme zum Antrag
181. Im Hinblick auf die Durchführung
eines Kartellverwaltungsverfahrens statuiert Art. 30 Abs. 1
KG, dass der Entscheid der Wettbewerbskommission
auf einen Antrag des Sekretariats hin ergeht. Art. 30 Abs. 2
KG sieht vor, dass die am Verfahren Beteiligten
schriftlich zum Antrag des Sekretariats Stellung nehmen können.
182. Bei einer Anpassung des Verfügungsantrags
durch das Sekretariat nach erfolgter Stellungnahme durch die Parteien erlangen diese nach der Wettbewerbspraxis
einen Anspruch auf eine erneute Stellungnahme, wenn es sich bei der Anpassung um eine wesentliche Änderung
oder Ergänzung handelt (vgl. Reko/Wef, RPW 2001/2,
412, Buchpreisbindung I, E. 4.4; Reko/Wef,
27.9.2005, RPW 2005/4, 672, Ticketcorner AG u.a. gg. Weko u.a., zit. Ticketcorner,
E. 4.1; BVGer, B-807/2012, Erne, E. 5.2.3).
183. Als wesentliche Änderung oder Ergänzung
sind dabei massgebliche Abweichungen in der materiellrechtlichen Würdigung oder im Dispositiv zu
qualifizieren (vgl. Reko/Wef, RPW 2001/2, 412, Buchpreisbindung
I, E. 4.4; Reko/Wef, RPW 2005/4,
672, Ticketcorner, E. 4.1; BVGer, B-807/2012, Erne,
E. 5.2.3). Dabei soll für die Wesentlichkeit bereits ausreichen, dass die Änderungen einen
grossen Umfang angenommen haben, wodurch sich ein stark überarbeiteter Verfügungsentwurf ergibt
(vgl. Reko/Wef, 9.11.2006, RPW 2006/4, 722, Swisscom Mobile
gg. Weko, zit. Swisscom Mobile, 723, im Hinblick auf ein Fristerstreckungsgesuch).
184. Demgegenüber fehlt bei folgenden
Abweichungen die Wesentlichkeit der Änderung oder Ergänzung: (i) Ergänzungen des Dispositivs
hinsichtlich der Sanktionsmöglichkeiten bei Zuwiderhandlungen, der Kostenverteilung, der Rechtsmittelbelehrung
oder der Eröffnungsformel (vgl. Reko/Wef, RPW 2001/2,
412, Buchpreisbindung I, E. 4.4); (ii) Änderungen der Erwägungen
ohne Auswirkung auf die materielle Würdigung (vgl. Reko/Wef,
RPW 2005/4, 672, Ticketcorner, E. 4.1);
(iii) Anpassungen der Sanktionshöhe, die sich aus der Berichtigung von erkennbaren Rechenfehlern
einschliesslich von fehlerhaften Aufsummierungen ergeben (vgl. BVGer, B-807/2012, Erne,
E. 5.2.4).
185. Anpassungen des Verfügungsantrags,
die sich allein aus der Übernahme des Vorbringens eines betroffenen Unternehmens ergeben und die
nicht zu einer Verschlechterung der vorgesehenen Massnahmen führen oder sogar zu dessen Gunsten
ausfallen, sind ohnehin nicht als wesentliche Ergänzungen oder Änderungen zu qualifizieren,
weshalb sie ebenfalls keinen Anspruch auf eine zweite Stellungnahme auszulösen vermögen.
186. Im vorliegenden Sachverhalt ist keine
wesentliche Änderung oder Ergänzung des Verfügungsantrags festzustellen, weil die vom
Sekretariat angebrachten Anpassungen zum einen auf der Übernahme des Vorbringens der Beschwerdeführerinnen
beruhten und nicht zu einer anderen materiellen Würdigung führten sowie zum anderen angesichts
einer vorgesehenen Reduktion des Sanktionsbetrags sogar zu Gunsten der Beschwerdeführerinnen ausfielen,
soweit sie sich im Ergebnis niederschlugen.
187. Entgegen dem Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 155)
ergab sich demzufolge kein Anspruch auf Abgabe einer erneuten Stellungnahme zum angepassten Verfahrensantrag
des Sekretariats.
(d)
Sonstige Rügen
188. Im Hinblick auf die von den Beschwerdeführerinnen
erhobenen sonstigen Rügen wegen einer Verletzung des Gehörsanspruchs ist festzuhalten, dass
diese letztlich allesamt auf Unterschiede in den jeweiligen Rechtsauffassungen von Vorinstanz und Beschwerdeführerinnen
zurückzuführen sind. Zudem wurden die Sachpunkte, die eine Verletzung des rechtlichen Gehörs
begründen sollen, von den Beschwerdeführerinnen in abgewandelter Form auch als Fehler im Rahmen
der materiellen Würdigung des Sachverhalts geltend gemacht. Die Vorinstanz hatte alle im Rahmen
der Rügen vorgetragenen Sachpunkte abgeklärt und sich hierzu jeweils substantiell - wenn
auch nicht im Sinne der Beschwerdeführerinnen und nicht in dem von ihnen geforderten Umfang -
geäussert, soweit sie für die Rechtsauffassung der Vorinstanz Bedeutung aufweisen.
189. Die
Aspekte, die von den Beschwerdeführerinnen im Rahmen der erhobenen Rügen wegen einer Verletzung
des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch die Vorinstanz vorgebracht wurden, werden im Rahmen der
materiellen Behandlung der Angelegenheit durch das Bundesverwaltungsgericht als Beschwerdeinstanz geprüft,
soweit sie für die Entscheidung massgeblich sind.
(e)
Ergebnis
190. Ein
Rechtsfehler im Hinblick auf die Beachtung des Anspruchs der Beschwerdeführerinnen auf rechtliches
Gehör liegt demzufolge in casu nicht vor.
191. Im Übrigen kommt dem Bundesverwaltungsgericht
als Beschwerde-instanz in kartellrechtlichen Sanktionsverfahren eine vollständige Entscheidungsgewalt
mit umfassender Prüfungszuständigkeit zu, weshalb es über die gleiche Kognition in Rechts-
und Sachverhaltsfragen wie die Vor-instanz verfügt. Die Beschwerdeführerinnen konnten im Beschwerdeverfahren
denn auch sämtliche Aspekte einbringen, mit denen sie eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches
Gehör durch die Vorinstanz gerügt haben. Das Bundesverwaltungsgericht kann demzufolge
aufgrund
der massgeblichen Sach- und Rechtslage eine abschliessende Entscheidung treffen.
Diese ist angesichts der bisherigen Verfahrensdauer im Hinblick auf das Gebot der fristgemässen
Beurteilung sowie der von den Beschwerdeführerinnen ausdrücklich erhobenen Rüge einer
Verletzung dieses Verfahrensgrundsatzes ohne weiteren Aufschub vorzunehmen (vgl. E. 1644
ff.).
192. Ein allfällig bestehender Verfahrensmangel
des Kartellverwaltungsverfahrens wäre demnach entgegen dem Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 156)
durch die im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erfolgte Möglichkeit zur umfassenden Stellungnahme
entsprechend den vorstehend dargestellten Grundsätzen ohnehin geheilt worden.
193. Da der vorinstanzliche Vorwurf der Wettbewerbswidrigkeit
des fraglichen wirtschaftlichen Verhaltens durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigt wird und
die Beschwerdeführerinnen mit ihrer Beschwerde im Wesentlichen unterliegen, würde eine Rückweisung
überdies zu einem blossen formalistischen Leerlauf führen, selbst wenn von einer Verletzung
des Gehörsanspruchs durch die Vorinstanz auszugehen wäre.
4)
Verstoss gegen den Untersuchungsgrundsatz
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
194. Die Beschwerdeführerinnen machen
geltend, im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes dürfe sich die Vorinstanz nicht auf die Abklärung
belastender Umstände beschränken, sondern müsse auch die entlastenden Umstände von
sich aus eruieren. Dies gelte insbesondere auch für den Nachweis eines missbräuchlichen Verhaltens
gemäss Art. 7
KG, da es sich hierbei um eine strafrechtliche Anklage gemäss Art. 6
EMRK handle.
Entsprechend gelte auch die Unschuldsvermutung gemäss Art. 32 Abs. 1
BV und Art. 6 Abs. 2
EMRK.
Dies habe fundamentale Auswirkungen auf die Beweislastverteilung und Beweiswürdigung. Den Beschwerdeführerinnen
müsse die Erfüllung des Tatbestands "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
nachgewiesen" werden. Die Vorinstanz habe folglich den vollen Beweis zu erbringen. Dies ergebe
sich insbesondere auch aufgrund der direkten Sanktionen, die zur Folge hätten, dass ein Beweismass
ähnlich jenem im Strafrecht erforderlich sei. Das Erfordernis des Vollbeweises im Untersuchungsverfahren
betreffend direkte Sanktionen gemäss Art. 49a Abs. 1
KG werde denn auch von der Vorinstanz ausdrücklich
befürwortet. Die angefochtene Verfügung sei aber mit einem schwerwiegenden Mangel behaftet,
weil der Sachverhalt von der Vorinstanz nur unvollständig erhoben worden sei.
195. Im vorliegenden Verfahren habe die Vorinstanz
den notwendigen Vollbeweis, welcher die Wettbewerbsbehinderung ausreichend belegen würde, nicht
erbracht. Insbesondere seien die Grosskunden der Anzeigestellerin nicht befragt worden. Es wäre
von grundlegender Bedeutung gewesen, zu eruieren, ob und aus welchem Grund die von der Anzeigestellerin
behaupteten Grosskunden effektiv den Terminalverkäufer gewechselt hätten.
196. Die Vorinstanz gehe davon aus, dass bei
den Händlern, die über einen DCC-Vertrag verfügten, die Funktion aktiv genutzt und in
der relevanten Zeitperiode ein Zahlungskartenterminal gekauft hätten, eine Wettbewerbsbehinderung
nachgewiesen sei. Dies beruhe auf der blossen Vermutung, dass bei diesen Händlern sämtliche
weiteren Produkteigenschaften bezüglich Zahlungskartenterminals nicht von weiterer Relevanz gewesen
seien, sondern dass diese Händler ihre Entscheidung einzig auf die DCC-Funktion abstellt hätten.
Die Vorinstanz habe jedoch für keinen einzigen Händler geprüft, ob neben der DCC-Funktion
auch die weiteren Produkteigenschaften der Zahlungskartenterminals konkret von entscheidender Bedeutung
für die Kaufentscheidung gewesen seien. Dies zeige sich insbesondere bei den behaupteten "Grosskunden"
der Anzeigestellerin, welche entgegen der Vermutung der Vorinstanz ihren Kaufentscheid nicht auf der
Grundlage der DCC-Funktion getroffen hätten. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass auch weitere
Händler entsprechend diesen Grosskunden aufgrund anderer Entscheidungsgrundlagen ein Zahlungskartenterminal
der SCA bevorzugt hätten.
197. Die Anzeigestellerin habe mehrfach behauptet,
dass sie verschiedene Grosskunden aufgrund der fehlenden DCC-Funktion der Beschwerdeführerinnen
verloren habe. Die Vorinstanz übernehme diese Behauptung der Anzeigestellerin ohne jegliche Überprüfung
ihrer Korrektheit. Sie bestätige, dass die Anzeigestellerin "bei diesen Kunden durch Card
Solutions de facto verdrängt" worden sei. Zudem sei der "verlorene Anteil" an
Kunden "enorm" gewesen. Einen Beweis für diese behauptete Verdrängung bzw. den
verlorenen Anteil der Kunden sowie für die Kausalität der DCC-Funktion für die behauptete
Verdrängung erbringe die Vorinstanz jedoch nicht, und sie habe ausdrücklich auf eine entsprechende
Verifizierung der Behauptungen der Anzeigestellerin verzichtet. Die Beschwerdeführerinnen würden
zudem nicht die absoluten Verkaufszahlen der Anzeigestellerin im Jahr 2004 im Vergleich zu den Verkäufen
in der angeblich betroffenen Periode in den Jahren 2005 und 2006 kennen. Aufgrund der Angaben in der
angefochtenen Verfügung könne jedoch zumindest eruiert werden, dass die anderen Terminalverkäufer
insgesamt in den Jahren 2005 und 2006 im Vergleich zum Vorjahr 2004 signifikant hätten zulegen können.
Das Anklagefundament der Vorinstanz beruhe demnach auf einer nicht-verifizierten Behauptung ohne jegliche
Verifizierung. Diese Unterlassung stelle eine krasse Verletzung der Untersuchungsmaxime dar.
198. Die Vorinstanz behaupte des Weiteren,
dass auch bezüglich Händlern, die über gar keinen DCC-Vertrag verfügten, eine Wettbewerbsbehinderung
habe stattfinden können. Gemäss der Vorinstanz sei "von einer Behinderung auszugehen
[...] weil die DCC-Funktion geeignet war, ihren Kaufentscheid zu beeinflussen". Ob eine entsprechende
Beeinflussungsmöglichkeit überhaupt bestanden habe, sei jedoch von der Vor-instanz niemals
abgeklärt worden. Es fänden sich denn auch im Rahmen der Untersuchung keinerlei Hinweise auf
entsprechende Untersuchungshandlungen der Vorinstanz. Die angefochtene Verfügung gehe lediglich
von der Behauptung der Anzeigestellerin aus, dass diese Funktionalität eine derartige Wichtigkeit
hätte, obwohl Letztere in keinem einzigen Fall und insbesondere nicht im Allgemeinen nachgewiesen
worden sei. Die blosse Vermutung, dass eine einzelne von vielen Funktionen den Kaufentscheid "zu
beeinflussen" vermögen könnte, könne und dürfe demnach nicht eine ausreichende
Grundlage für eine strafrechtliche Verurteilung bilden. Die Vorinstanz hätte diesbezüglich
den entsprechenden Sachverhalt der ihr obliegenden Beweispflicht unterstellen müssen.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
199. Die Vorinstanz ist hinsichtlich aller
Sachpunkte, die Gegenstand einer Rüge des Untersuchungsgrundsatzes der Beschwerdeführerinnen
sind, der Ansicht, dass der ihrer Rechtsauffassung zu Grunde liegende Sachverhalt in ausreichender Weise
abgeklärt worden sei. Alle von den Beschwerdeführerinnen vorgetragenen Aspekte seien im Rahmen
der angefochtenen Verfügung abgehandelt worden. Des Weiteren habe die Vorinstanz auch dargelegt,
weshalb auf die Befragung einzelner Händler bzw. auf eine eigentliche Händlerbefragung verzichtet
worden sei.
(3)
Würdigung durch das Gericht
200. Sowohl
im Kartellverwaltungsverfahren als auch im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ist der
Sachverhalt gemäss Art. 12
VwVG i.V.m. Art. 39
KG bzw. Art. 37
VGG von Amtes wegen zu untersuchen
(vgl. BGer, 6.2.2007, 2A.430/2006, Schweizerischer Buchhändler- und Verlegerverband sowie Börsenverein
des dt. Buchhandels e.V. gg. Weko, zit. Buchpreisbindung II, E.
10.2; BVGer, B-807/2012, Erne, E. 6.3; BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 185; BVGer, B-506/2010, Gaba, E. 5; BVGer, B-2977/2007,
Publigroupe, E. 3 [S. 19]; REKO/WEF,
RPW 2006/3, 548, Buchpreisbindung II, E. 6.1 m.w.H.). Dieser Untersuchungsgrundsatz
verpflichtet sowohl die Behörde als auch die Beschwerdeinstanz, den Sachverhalt aus eigener Initiative
korrekt und vollständig abzuklären (vgl. BGE 138 V 218 E. 6; BGE 117 V 282 E. 4a; BVGE 2012/21
E. 5.1; Krauskopf Patrick/Emmenegger Katrin/Babey Fabio,
in: Waldmann/Weissenberger [Hrsg.], Praxiskommentar Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl. 2016, zit.
VwVG, Art. 12 Rn. 16; Moser/Beusch/Kneubühler,
Prozessieren, Rn. 3.119; Rhinow/Koller/
Kiss/Thurnherr/Brühl-Moser, Prozessrecht, Rn. 991
f., 994 f., 1660 f.; Schott, FHB-VerwR,
Rn. 24.38 f.; Tanquerel, droit
administratif, Rn. 1559). Hierfür sind alle rechtserheblichen Aspekte zu ermitteln, sämtliche
notwendigen Unterlagen zu beschaffen und die erforderlichen Beweise abzunehmen (vgl.
Kölz/Häner/Bertschi, Verwaltungsverfahren, Rn.
456, 1133; Krauskopf/Emmenegger/Babey, VwVG,
Art. 12 Rn. 20 f.; Moser/Beusch/Kneubühler, Prozessieren,
Rn. 3.119 f.). Als rechtserheblich gelten alle Tatsachen, welche den Ausgang des Entscheids beeinflussen
können (vgl. BGE 117 V 282 E. 4a; Krauskopf/Emmen-egger/Babey,
VwVG, Art. 12 Rn. 28; Moser/Beusch/Kneubühler,
Prozessieren, Rn. 3.120 f.).
201. Der
Untersuchungsgrundsatz gilt allerdings nicht uneingeschränkt. Das Ausmass der Untersuchung ist vielmehr
von vornherein auf solche Aspekte beschränkt, die zur Aufklärung des Sachverhalts notwendig
sind und deren Abklärung vernünftigerweise erwartet werden kann (vgl. BGE 112 Ib 65 E. 3; BVGer,
14.7.2010, B-3608/2009, A. gg. Landwirtschaftl. Rekurskommission Kanton X., E. 6.1; Krauskopf/Emmenegger/Babey,
VwVG, Art. 12 Rn. 28 f.; ähnlich Moser/Beusch/Kneubühler,
Prozessieren, Rn. 3.144). Einschränkungen einer amtlichen
Ermittlung können sich im Einzelfall zudem durch Mitwirkungspflichten der Parteien, die objektive
Beweislast, die Tauglichkeit von Beweismitteln und das treuwidrige Verhalten einer Partei ergeben (vgl.
Kölz/Häner/Bertschi, Verwaltungsverfahren,
Rn. 457 f., 1134 f.; Krauskopf/Emmenegger/Babey, VwVG,
Art. 12 Rn. 17; Moser/Beusch/Kneubühler, Prozessieren,
Rn. 1.49, 3.123c; Schott, FHB-VerwR,
Rn. 24.39; Tanquerel, droit
administratif, Rn. 1560 f.).
202. Die
Sachverhaltsuntersuchung bezieht sich auf Tatsachen und Erfahrungssätze. Die Rechtsanwendung, d.h.
die Beurteilung von recht-lichen Aspekten, untersteht demgegenüber von vornherein nicht dem Untersuchungsgrundsatz
(vgl. Krauskopf/Emmenegger/Babey, VwVG,
Art. 12 Rn. 17; Moser/Beusch/Kneubühler, Prozessieren,
Rn. 3.119b). Daher bedarf es einer inhaltlichen Abgrenzung zwischen Sach- und Rechtsfragen (vgl. BVGE
2009/35, Marktzugang schneller Bitstrom, E. 7.4). Soweit abweichende
Rechtsauffassungen zwischen den Kartellbehörden und den jeweiligen Parteien eines Kartellverwaltungsverfahrens
bestehen, die im Hinblick auf den unterstellten Sachverhalt einen unterschiedlichen Umfang an sachlicher
Abklärung erfordern, ergibt sich demzufolge nicht allein deshalb eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes,
weil die Kartellbehörden keine Abklärungen über Tatsachen oder Erfahrungssätze vorgenommen
haben, auf die eine Partei ihre abweichende Rechtsposition abstützt.
203. Im
vorliegenden Fall wurden alle aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts entscheidungserheblichen Sachverhaltselemente
in ausreichender Weise von der Vorinstanz abgeklärt und nachgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht
kann demzufolge aufgrund der massgeblichen Sach- und Rechtslage eine abschliessende Entscheidung treffen.
204. Da
das Bundesverwaltungsgericht als Beschwerdeinstanz direkt eine Entscheidung in der Sache vornimmt, bedürfen
die Rügen des Beschwerdeführers wegen einer Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes demnach
keiner gesonderten Abhandlung unter dem Gesichtspunkt eines formellen Rechtsfehlers der Vorinstanz.
205. Denn die von den Beschwerdeführerinnen
erhobenen Rügen wegen einer Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes sind letztlich allesamt auf
Unterschiede in den jeweiligen Rechtsauffassungen von Vorinstanz und Beschwerdeführerinnen zurückzuführen.
Die Vorinstanz hatte alle im Rahmen der Rügen vorgetragenen Sachpunkte abgeklärt und sich hierzu
jeweils substantiell - wenn auch nicht im Sinne der Beschwerdeführerinnen und nicht in dem
von ihnen gefordertem Umfang - geäussert, soweit sie für die Rechtsauffassung der Vorinstanz
Bedeutung aufweisen.
206. Das
Bundesverwaltungsgericht nimmt als Beschwerdeinstanz zu den einzelnen, durch die Beschwerdeführerinnen
gerügten Aspekten nachfolgend im Rahmen der materiellen Beurteilung Stellung, soweit sie für
die Entscheidung massgeblich sind. Dies gilt insbesondere auch in Bezug auf die massgeblichen Anforderungen
an das Beweismass (vgl. E. 1214
ff.).
207. Ein
Rechtsfehler im Hinblick auf die Anwendung des Untersuchungsgrundsatzes liegt demzufolge in casu unter
keinem Gesichtspunkt vor.
5)
Der Beweiswert von Parteigutachten
208. Zwischen den Parteien ist streitig, in
welcher Art und Weise das von den Beschwerdeführerinnen eingebrachte Gutachten der ESMT CA (nachfolgend:
Gutachten ESMT) im Rahmen der Entscheidung zu berücksichtigen ist.
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
209. Die
Beschwerdeführerinnen machen geltend, das Gutachten der ausgewiesenen Experten in diesem Bereich
sei vom Bundesverwaltungsgericht als Sachverständigengutachten zu berücksichtigen.
210. Demgegenüber sei die von der Vorinstanz
vorgebrachte Behauptung, dass ein Parteigutachten nicht die Qualität eines Beweismittels aufweise,
nicht korrekt. Expertisen, die von den Parteien bei einem von ihnen ausgewählten Sachverständigen
eingeholt und in das Verfahren als Beweismittel eingebracht würden, dürfe der Beweiswert nicht
schon deshalb abgesprochen werden, weil sie von einer Partei stammten. Insbesondere habe die Vorinstanz
trotz entsprechender Andeutungen in der Vernehmlassung keine Gründe vorgebracht, weshalb bezüglich
des Gutachtens ESMT Indizien gegen dessen Zuverlässigkeit bestünden.
211. Darüber
hinaus rügen die Beschwerdeführerinnen, die Vorinstanz unterlasse es, zu erklären, bezüglich
welcher wesentlicher Gesichtspunkte sie davon ausgehe, dass dem Gutachter eine allenfalls subjektive
Darstellung des Sachverhalts vermittelt worden sei. Im Zentrum des vorliegenden Verfahrens stehe unter
anderem die Frage der Wettbewerbsbeseitigung bzw. -behinderung. Diesbezüglich hätten sich die
Beschwerdeführerinnen gezwungen gesehen, Sachverhaltsermittlungen vorzunehmen, welche durch die
Vorinstanz verweigert worden seien. Grundlage des Gutachtens bildeten folglich der angefochtene Entscheid
und die von den Beschwerdeführerinnen bzw. im Gutachten offengelegten zusätzlich ermittelten
Sachverhaltselemente. Sofern die Vorinstanz die Korrektheit der entsprechenden Ergebnisse anzweifle,
so habe sie dies zu substantiieren. Nachdem sie es selbst unterlassen habe, die notwendigen Abklärungen
vorzunehmen oder zu prüfen, könne sie die nachprüfbaren zusätzlichen objektiven Abklärungen
für das Gutachten und die daraus von den Gutachtern gezogenen Schlussfolgerungen nicht pauschal
als subjektives Empfinden und damit als nicht rechtserheblich qualifizieren. Folglich könne die
Vorinstanz nicht in allgemeiner Weise das Resultat des Gutachtens ESMT anzweifeln.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
212. Demgegenüber bringt die Vorinstanz
vor, beim Gutachten ESMT handle es sich um ein Parteigutachten, weil es von den Beschwerdeführerinnen
in Auftrag gegeben worden sei. Das Gutachten habe zwar ebenfalls die Funktion eines Beweismittels, dessen
Beweiswert sei jedoch verglichen mit einem behördlich angeordneten Gutachten herabgesetzt.
213. Den
Grund hierfür bildeten verschiedene Umstände. Der Parteigutachter werde von einer am Ausgang
des Verfahrens interessierten Partei ausgewählt, instruiert und entschädigt. Er unterstehe
nicht den Anforderungen, welche ein behördlich bestellter Gutachter erfüllen müsse, und
die Möglichkeit der strafrechtlichen Haftbarkeit gemäss Art. 307
StGB scheide aus. Überdies
müsse davon ausgegangen werden, dass die Partei dem Parteigutachter in erster Linie die nach ihrem
eigenen subjektiven Empfinden wesentlichen Gesichtspunkte des streitigen Sachverhalts unterbreitet habe.
Zudem gelte es zu berücksichtigen, dass ein Privatgutachten nur dann eingereicht werde, wenn es
ein für den Auftraggeber günstiges Ergebnis aufweise.
214. Die Vorinstanz verweist zudem darauf,
dass sie sich mit den Ergebnissen und Würdigungen des Gutachtens keineswegs pauschal auseinandergesetzt,
sondern zu diesem sogar im Rahmen eines separaten Anhangs ausführlich Stellung genommen habe.
(3)
Würdigung durch das Gericht
215. Im Beschwerdeverfahren ist der Sachverhalt
aufgrund der Geltung des Untersuchungsgrundsatzes durch das Gericht von Amtes wegen festzustellen. Damit
stellt sich die Frage, in welcher Weise Privatgutachten, die von einem Beschwerdeführer in Auftrag
gegeben und in das vorinstanzliche Verfahren eingebracht wurden, im Rahmen eines gerichtlichen Entscheids
zu berücksichtigen sind. Vorliegend kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, inwiefern
eine Differenzierung zwischen Privatgutachten und Parteigutachten, zu denen die von einer Vorinstanz
im Rahmen des vorinstanzlichen Verfahrens in Auftrag gegebenen Sachverständigen zu zählen wären,
vorzunehmen ist.
216. Für die Sachverhaltsermittlung sieht
Art. 12
VwVG folgende Arten an Beweismitteln ausdrücklich vor: Urkunden, Auskünfte der Parteien,
Auskünfte oder Zeugnis von Drittpersonen, Augenschein sowie Gutachten von Sachverständigen.
217. Allerdings sollen nach heute vorherrschender
Auffassung auch andere als die in Art. 12
VwVG ausdrücklich aufgeführten Beweismittel für
die Sachverhaltsermittlung berücksichtigt werden können (vgl. BVGer, 19.5.2011, A-6640/2010,
E. 5.5.2; Auer Christoph,
in: Auer/Müller/ Schindler [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren,
2008, zit. VwVG, Art. 12 Rn. 18); Krauskopf/Emmenegger/
Babey, VwVG, Art. 12 Rn. 73; Kölz
Alfred/Häner Isabelle/Bertschi Martin, Verwaltungsverfahren,
Rn. 468; Moser/Beusch/Kneubühler, Prozessieren,
Rn. 3.124).
218. Für das Beweismittel des Sachverständigengutachtens
nach Art. 12 lit. e
VwVG finden aufgrund der gesetzlichen Verweisung in Art. 19
VwVG die Vorschriften
von Art. 57
ff. Bundeszivilprozessgesetz (BZP) sinngemäss Anwendung. Folglich gelten als Sachverständigengutachten
Berichte über die Sachverhaltsprüfung und -würdigung, die von Dritten im Rahmen eines
Verfahrens und aufgrund ihrer spezifischen Fachkenntnisse abgegeben wurden (vgl. BGE 132 II 269 E. 4.4.1;
BGer, 26.11.2001, 2A.315/2001, E. 2c/aa; Waldmann Bernhard,
in: Waldmann/ Weissenberger [Hrsg.], Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, zit.
VwVG, Art. 12
Rn. 147). Dabei bezieht sich die Regelung von Art. 57
ff. BZP lediglich auf
Gutachten, welche von Gerichten oder Verwaltungsbehörden bei externen Fachleuten eingeholt werden
(vgl. BGE 136 V 117 E.3.3.2.3; BGE 135 V 254 E. 3.4.1; BVGE 2013/9 E. 3.8.1). Somit sind Privatgutachten
von vornherein nicht als Sachverständigengutachten gemäss Art. 12 lit. e
VwVG zu qualifizieren.
219. Als Auskünfte der Parteien gemäss
Art. 12 lit. b
VwVG haben angesichts der Unzulässigkeit von Parteiverhören im Verwaltungsverfahren
Erklärungen der Parteien zu gelten, die sie im Rahmen von einfachen Nachfragen durch das Gericht
abgegeben haben. Da ein Parteigutachten keine Erklärungen zu Nachfragen des Gerichts darstellt,
ist es nicht als Auskunft von Parteien nach Art. 12 lit. b
VwVG zu qualifizieren.
220. Aufgrund der nicht abschliessenden Regelung
von Art. 12
VwVG kommt einem Privatgutachten somit der Charakter eines sonstigen Beweismittels zu.
221. Für die entscheidungserhebliche Würdigung
des Sachverhalts ist allerdings nicht (allein) die Art des Beweismittels, sondern der konkrete Beweiswert
der im Einzelfall vorhandenen Beweismittel massgebend. Dabei kommt den verschiedenen Arten an Beweismitteln
ein unterschiedlicher prinzipieller Beweiswert zu, der im Einzelfall zu verifizieren ist und sich aufgrund
der konkreten Umstände erhöhen oder verringern kann.
222. Urkunden als unabhängige Dokumente
kommt grundsätzlich eine sehr hohe Beweiskraft zu, sofern ihre Echtheit unstrittig ist. Dem Sachverständigengutachten
als unabhängige Drittmeinung ist grundsätzlich ein hoher Beweiswert beizumessen, soweit die
Darlegungen nicht erkennbare Mängel aufweisen. Der Beweiswert von Zeugenaussagen ergibt sich in
Abhängigkeit von der festgestellten sachlichen und personalen Unabhängigkeit des Zeugen von
den Parteien; bei unabhängigen Zeugen ist der Beweis unter Berücksichtigung von Wahrnehmungsschwierigkeiten
grundsätzlich hoch. Demgegenüber ist der Beweiswert von Auskünften einer Partei angesichts
der bestehenden Interessenlage grundsätzlich eingeschränkt.
223. Zum Stellenwert eines Parteigutachtens
- unter Einschluss von Privatgutachten - hat die bundesgerichtliche Rechtsprechung bislang
in unterschiedlicher Weise Stellung genommen.
224. Einerseits dürfe einem Parteigutachten
der Beweiswert nicht schon deshalb abgesprochen werden, weil das Gutachten von einer Partei stamme (vgl.
BGE 137 II 266 E. 3.2; BGer, 10.10.2012, A-3207/2011, E. 3.2.3). Andererseits sei das alleinige Abstellen
auf ein Parteigutachten grundsätzlich als willkürlich zu qualifizieren, weil privatgutachterliche
Schlussfolgerungen, die dem Anliegen des Auftraggebers angepasst sein können, nur schwer vom Laien
auf ihre Zuverlässigkeit überprüft werden könnten und demnach die Gefahr bestünde,
dass der Richter ein qualitativ ungenügendes Gutachten aufgrund des fehlenden Fachwissens nicht
richtig würdigen könne (vgl. BGer, 11.2.1999, 6P.158/1998, [nicht publ.], E. 3b; zustimmend
BGer, 9.02.2007, 6P.223/2006, E. 2.4.3, mit der Qualifizierung eines Privatgutachtens als Bestandteil
des Parteivorbringens).
225. Ganz überwiegend wird das Parteigutachten
aber dem (einfachen) Parteivorbringen gleichgestellt (vgl. BGE 127 I 73 E. 3.f.bb; BGE 132 III 83 E.
3.6; BGE 95 II 364 E. 2; BGer, 4.4.2011, 6B_49/2011, E. 1.4; BGer, 11.6.2009, 6B_48/2009, E. 4.2; BGer,
9.2.2007, 6P.223/2006, E. 2.4.3). Denn ein Parteigutachter sei im Gegensatz zu einem amtlichen Sachverständigen
nicht unabhängig und unparteiisch, weil er als Beauftragter einer Partei handle. Dies schliesse
umgekehrt aber nicht aus, dass der Inhalt eines Parteigutachtens wie das Vorbringen selbst entsprechend
den Richtlinien zur Beweiswürdigung gewürdigt werden könne. Soweit das Parteigutachten
in rechtserheblichen Fragen überzeuge, könne das Gericht demzufolge zu einer entsprechenden,
darauf abgestützten Überzeugung gelangen (vgl. BGE 125 V 351 E. 3.c).
226. Angesichts dieser grundsätzlichen
Ausgangslage zur Beurteilung von Parteigutachten sind im Hinblick auf die Berücksichtigung des von
den Beschwerdeführerinnen eingebrachten Privatgutachtens mehrere Feststellungen zu treffen.
227. Da es sich beim Gutachten ESMT um ein
Privatgutachten handelt, bedarf es von Seiten des Gerichts keiner Berücksichtigung als Sachverständigengutachten
im Sinne von Art. 12 lit. e
VwVG. Daher kommt dessen Inhalt entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 209)
auch kein grundsätzlich erhöhter Beweiswert zu. Vielmehr ist der Inhalt des Gutachtens ESMT
aus den von der Vorinstanz genannten Gründen (vgl. E. 213)
dem übrigen Vorbringen der Beschwerdeführinnen gleichzustellen und entsprechend sachgerecht
zu würdigen. Da die Beschwerdeführerinnen nach eigener Aussage den wesentlichen Inhalt des
Gutachtens ESMT im Rahmen ihrer schriftlichen Darstellung verarbeitet haben, wird durch die Behandlung
der Vorbringen der Beschwerdeführerinnen im Rahmen des Urteils gleichzeitig auch der Inhalt des
Gutachtens ESMT erfasst. Es ist daher nicht erforderlich, bei allen Einzelpunkten zusätzlich noch
ausdrücklich auf das Gutachten ESMT abzustellen.
228. Vor diesem Hintergrund sind unter Berücksichtigung
der vorstehenden Ausführungen (vgl. E. 166
ff. und E. 200
ff.) zudem weder eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör noch eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes
festzustellen.
V.
Relevanter Markt
229. Für
die Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung gemäss Art. 7
i.V.m. 4 Abs. 2 KG ist es formal
erforderlich, in einem ersten Schritt den relevanten, d.h. den massgeblichen Markt, auf dem diese marktbeherrschende
Stellung eingenommen wird, abzugrenzen, bevor in einem zweiten Schritt die Marktstellung ermittelt werden
kann (vgl. BGE 139 I 72, Publigroupe, E. 9.1; BVGer, B-7633/2009,
ADSL II, E. 256; David/Jacobs,
WBR, Rn. 696; Stäuble
Luca/Schraner Felix, in: Zäch [Hrsg.], Kartellgesetz, 2018, zit. Dike-KG,
Art. 4 Abs. 2 Rn. 20 f.). Ungeachtet dessen stehen sich Marktabgrenzung und Ermittlung der Marktstellung
nicht isoliert gegenüber, sondern üben eine gegenseitige Wechselwirkung aus, weil sie die notwendigen
Elemente der Marktbeherrschungsanalyse bilden.
230. Das
Kartellgesetz enthält weder eine Definition des relevanten Markts noch statuiert es einzelne Kriterien
für dessen Bestimmung. Allerdings weist die Verordnung des Bundesrats vom 17. Juni 1996 über
die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (VKU, SR
251.4) in Art. 11 Abs. 1 und 3 sachliche,
räumliche und zeitliche Aspekte zur Beurteilung von einzelnen Zusammenschlussvorhaben auf. Demzufolge
lassen sich der sachlich, der räumlich und der zeitlich relevante Markt unterscheiden. Nach ständiger
Rechtsprechung finden diese Abgrenzungskriterien auch für die Beurteilung von anderen Wettbewerbsbeschränkungen
Anwendung (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 257; im Ergebnis
ebenso BGE 139 I 72, Publigroupe, E. 9.1; BVGer, B-506/2010, Gaba,
E. 9).
231. Die Vorinstanz hat im Rahmen ihrer Marktuntersuchung
geprüft, welche relevanten Märkte in den Geschäftsbereichen Zahlungskartenakzeptanz, Zahlungskartenterminals
und Währungsumrechnung bei Zahlungskartentransaktionen abzugrenzen sind und in welchen der so ermittelten
relevanten Märkte die SIX-Gruppe eine marktbeherrschende Stellung aufweist. Das Bestehen einer marktbeherrschenden
Stellung der SIX-Gruppe wurde nur für Märkte im Geschäftsbereich der Zahlungskartenakzeptanz
festgestellt, während eine solche in den Märkten der Geschäftsbereiche Zahlungskartenterminals
und Währungsumrechnung verneint wurde. Ungeachtet dessen sind nachfolgend alle vorgenommenen Marktabgrenzungen
einer Überprüfung und Abklärung zuzuführen, weil die verschiedenen Märkte im
Rahmen der Beurteilung einzelner Tatbestände gemäss Art. 7
KG Bedeutung erlangen.
1)
Geschäftsbereich der
Zahlungskartenakzeptanz
232. Die
Vorinstanz hat im Geschäftsbereich der Akzeptanz von Zahlungskartensystemen verschiedene Märkte
abgegrenzt:
- Einen
Markt für die Akzeptanz von Kreditkarten der Kartenlizenzgeber Mastercard und Visa in der Schweiz;
- implizit
jeweils einen Markt für die Akzeptanz von Kreditkarten der Kartenlizenzgeber American Express und
Diners in der Schweiz, für die jedoch keine Beurteilung einer marktbeherrschenden Stellung durch
die SIX-Gruppe vorgenommen wurde;
- einen
Markt für die Akzeptanz von Debitkarten des Karten-lizenzgebers Mastercard in der Schweiz;
- implizit
jeweils einen Markt für die Akzeptanz von Debitkarten der Kartenlizenzgeber Migros und PostFinance,
für die jedoch keine Beurteilung einer marktbeherrschenden Stellung durch die SIX-Gruppe vorgenommen
wurde.
233. Eine Marktabgrenzung im Bereich von Zahlungskartensystemen
(vgl. SV D)
wird von mehreren wesentlichen Grundfragen zu verschiedenen Aspekten geprägt, die nachfolgend zu
beurteilen sind:
- Sind
Zahlungskarten mit anderen Zahlungsmitteln austauschbar und existiert daher ein gemeinsamer Markt aller
oder zumindest mehrerer Zahlungsmittel oder sind Zahlungskarten komplementäre Produkte zu anderen
Zahlungsmitteln, weshalb jedenfalls Zahlungskarten einen eigenständigen sachlich relevanten Markt
bilden?
- Sind
die verschiedenen Arten an Zahlungskarten in Form von Kredit- und Debitkarten gegeneinander austauschbar
und bilden sie einen gemeinsamen Markt oder sind Kreditkarten und Debitkarten komplementäre Produkte
und bilden sie daher jeweils einen eigenständigen sachlich relevanten Markt?
- Handelt
es sich bei den Zahlungskarten der verschiedenen Karten-lizenzgeber um austauschbare Produkte und bilden
sie einen gemeinsamen Markt oder handelt es sich um komplementäre Produkte, weshalb sie jeweils
einen eigenständigen sachlich relevanten Markt bilden? Gilt die entsprechende Qualifizierung sowohl
für Kreditkarten als auch für Debitkarten?
- Wird
der Geschäftsbereich der Zahlungskartenakzeptanz im Wesentlichen durch die Karteninhaber bestimmt,
weshalb von einem einheitlichen Markt im Bereich von Kartenausstellung und Kartenakzeptanz auszugehen
ist oder handelt es sich unter Berücksichtigung der Interessen der Karteninhaber und der Händler
hierbei um abgrenzbare Geschäftsbereiche, weshalb jeweils eigenständige sachlich relevante
Märkte der Kartenakzeptanz und der Kartenausstellung bestehen?
234. Die vorstehend aufgeführten Aspekte
von Zahlungskartensystemen stellen dabei keine singulären Sachpunkte dar, sondern bilden eine komplexe
Gemengelage von interdependenten Sachpunkten.
a)
Sachlich relevanter Markt
235. Die Vorinstanz unterscheidet aufgrund
der unterschiedlichen Dienstleistungen, die gegenüber den Händlern oder den Kunden als unterschiedliche
Marktgegenseiten erbracht werden, zunächst die Geschäftsbereiche der Kartenausstellung und
der Kartenakzeptanz. Vorliegend sei dabei lediglich der Geschäftsbereich der Kartenakzeptanz von
Bedeutung.
236. Innerhalb des Geschäftsbereichs der
Kartenakzeptanz grenzt die Vorinstanz einen sachlich relevanten Markt für Kreditkarten der Kartenlizenzgeber
Mastercard und Visa sowie einen sachlich relevanten Markt für die Debitkarte des Kartenlizenzgebers
Maestro sowohl gegenüber dem Bereich von Kreditkarten der Kartenlizenzgeber Amex und Diners als
auch gegenüber dem Bereich von anderen Debitkarten ab.
237. Für die Beurteilung des vorliegenden
Sachverhalts unterscheidet die Vorinstanz bei Zahlungsmitteln somit zwischen Kreditkarten, Debitkarten
und sonstigen Zahlungsmitteln.
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
238. Die Beschwerdeführerinnen bestreiten,
dass eine korrekte Marktabgrenzung vorgenommen worden sei, weil eine Beschränkung auf Kredit- und
Debitkarten sachlich nicht gerechtfertigt und verfahrenstechnisch auch nicht ausreichend nachgewiesen
worden sei. Vielmehr müsse als sachlich relevant der Markt für Zahlungsmittel aller Art einschliesslich
von Kreditkarten, Debitkarten, Bargeld, Post- und Bankgiroverkehr, Checks, Rechnungen, Kundenkarten etc.
abgegrenzt werden. Hierfür tragen sie verschiedene Aspekte vor.
239. Die
Ausführungen zur Marktabgrenzung seien rudimentär und ungenügend. Denn die Vorinstanz
verweise pauschal auf Marktuntersuchungen in anderen Entscheidungen, welche nicht in Zusammenhang mit
der vorliegenden Untersuchung stünden. Zudem liege bislang keine definitive rechtskräftige
Abklärung vor, weil die betreffenden Verfahren (i) nach der Rechtsmittelinstanz nicht mit einer
materiellen Verfügung abgeschlossen worden seien (vgl. Verfahren Kreditkarten-Akzpetanzgeschäft
E. 279),
oder (ii) mit einer einvernehmlichen Regelung abgeschlossen worden seien (vgl. Verfahren Kreditkarten-Interchange
Fee E. 280),
oder (iii) es sich nur um Schlussberichte des Sekretariats handle (vgl. Verfahren DMIF
Maestro E. 287
und Verfahren DMIF V Pay E. 291).
Mangels eines Präzedenzfalles hätte die Marktabgrenzung demnach in diesem Fall korrekt, nachvollziehbar
und ausreichend begründet durchgeführt werden müssen. Die Vorinstanz habe dies aber unterlassen.
Die Marktabgrenzung sei daher schon aus formellen Gründen aus dem Recht zu weisen.
240. Die angefochtene Verfügung berücksichtige
nicht die spezifische Konstellation bei Kredit- und Debitkarten. Die Entscheidung des Händlers auf
der Rahmenebene, ob er eine bestimmte Zahlkarte durch Abschluss eines Akzeptanzvertrags grundsätzlich
akzeptiere, treffe dieser unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit und Kosten anderer Zahlungsmittel.
Die Entscheidung des Konsumenten auf der Rahmenebene, eine bestimmte Kreditkarte zu führen, treffe
dieser in Abhängigkeit von der Verfügbarkeit vergleichbarer Zahlungsmittel sowie der Akzeptanz
der betreffenden Karte bei den Händlern. Die Entscheidung, ob die Karte im Einzelfall für eine
individuelle Transaktion eingesetzt werde, treffe der Karteninhaber, vorausgesetzt der Händler habe
sich auf der Rahmenebene für die Akzeptanz der Karte entschieden.
241. Eine Beschränkung des sachlich relevanten
Markts auf Debit- und Kreditkarten sei künstlich und würde die ökonomischen Realitäten
verkennen. Es bestehe nämlich keine isolierte Nachfrage der Händler nach Kartenzahlungsverkehr.
Vielmehr bestimme der Zahlende die Nachfrage nach einem spezifischen Zahlungsmittel.
242. Der
sachlich relevante Markt sei nicht anhand eines abstrakten Produktevergleichs, sondern aufgrund einer
Verhaltensanalyse der Nachfrager anhand eines SSNIP-Tests zu bestimmen. In der Kartellrechtspraxis werde
zu diesem Zweck das hypothetische Verhalten des massgeblichen Personenkreises analysiert. Aus Sicht der
Konsumenten sei mittels des SSNIP-Tests zu eruieren, ob eine signifikante, nicht nur vorübergehende
Preiserhöhung für den Einsatz des Zahlungsmittels Kreditkarte eine Abwanderung auf andere Zahlungsmittel
bewirke, welche die Monopolisierung des Kreditkartenbereichs unprofitabel mache. Eine entsprechende Abklärung
sei in der angefochtenen Verfügung nicht vorhanden.
243. Gemäss
Vorinstanz seien American Express, Diners, Mastercard und Visa angesichts der unterschiedlichen Konditionen
des Akzeptanzgeschäfts keine Substitute, weil die Händler ansonsten die teuren Karten durch
die billigeren Karten ersetzen würden. Dies würde bedeuten, dass Produkte nur dann dem gleichen
sachlichen Markt angehörten, wenn ihre Preise und zwangsläufig auch ihre Qualität zu 100%
identisch seien. Diese Annahme widerspreche nicht nur kartellrechtlichen Grundsätzen, sondern auch
ökonomischen Vorgaben und letztlich der Realität.
244. Über die Frage, ob andere Zahlungsmittel
Wettbewerbsdruck auf Kreditkarten ausübten, seien nicht die wenigen Konsumenten entscheidend, welche
nur über eine einzelne Kreditkarte und keine anderen Zahlungskarten verfügten. Es sei ausreichend,
dass für einen substanziellen Anteil aller Benutzer der betreffenden Kreditkarte ein leichtes Ausweichen
auf andere Zahlungsmittel möglich sei. Dies sei bei Kreditkarten dank der Ausweichmöglichkeit
auf Bargeld ohne Weiteres der Fall.
245. Mastercard
habe angeblich die Absicht, durch die Erhebung von Marketingbeiträgen die Substitution von Bargeldzahlungen
durch Kartenzahlungen gezielt zu fördern. Dies sei nur möglich, wenn auch tatsächlich
Substitutionsbeziehungen zwischen diesen Zahlungsmitteln bestehen würden.
246. Die
eigene Prüfung der Austauschbarkeit von Debit- und Kreditkarten mit anderen Zahlungsmitteln durch
die Vorinstanz sei auf die Betrachtung einer Studie im Bereich des Onlinehandels beschränkt. Diese
Studie zeige lediglich die Kauf-Abbruchquote bei Onlinegeschäften auf. Der Onlinehandel sei aber
bereits deshalb nicht von Relevanz, weil bei diesem Distanzgeschäft schon definitionsgemäss
keine Bargeldzahlungen möglich seien. Aus dieser Studie könne daher nicht eine fehlende Austauschbarkeit
der verschiedenen Zahlungsmittel abgeleitet werden.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
247. Die Vorinstanz stützt ihre Marktabgrenzung
auf die Marktuntersuchungen und deren Ergebnisse in den Verfahren Kreditkarten-Akzeptanz-geschäft
(vgl. E. 277
und E. 279)
und Kreditkarten-Interchange Fee (vgl. E. 280)
sowie DMIF Maestro (vgl. E. 287)
und DMIF V Pay (vgl. E. 291)
ab. Darüber hinaus zieht sie die zum Europäischen Wettbewerbsrecht durchgeführten Marktuntersuchungen
in den Verfahren Visa I (vgl. E. 283),
Visa II (vgl. E. 283)
und Mastercard (vgl. E. 285)
heran.
248. Die in diesen Verfahren gewonnenen Ergebnisse
könnten auf den vorliegenden Fall angewendet werden, weil die Gründe für diese Praxis
weiterhin Geltung beanspruchen würden.
249. Hierzu wird ergänzend sowohl auf
eine Studie zum Abbruchverhalten im Onlinehandel (vgl. E. 298)
als auch auf neuere Marktdaten verwiesen, welche aufzeigten, dass die anderen Kreditkarten weiterhin
Nischenprodukte gegenüber den Kreditkarten Mastercard und Visa darstellen würden.
250. Eine Abgrenzung von Mastercard und Visa
sei auch weiterhin nicht erforderlich, weil sich die Situation nicht verändert habe. Diese Frage
könne jedoch offengelassen werden, weil Multipay auch bei einer engen Marktabgrenzung über
eine marktbeherrschende Stellung verfügen würde.
251. Die Vorinstanz verweist schliesslich darauf,
dass im Verfahren Kreditkarten-Akzeptanzgeschäft eine Händlerbefragung
durchgeführt worden sei, welche eine am SSNIP-Test angelehnte Analyse beinhalte. Zudem seien diverse
Informationen und Daten entsprechend verschiedenen Ansichten in der Literatur im Sinne des SSNIP-Tests
analysiert worden.
(3)
Würdigung durch das Gericht
(a)
Ausgangslage
252. Der
sachlich relevante Markt umfasst alle Waren oder Dienstleistungen (nachfolgend: Produkte), die aufgrund
ihrer wechselseitigen Substituierbarkeit eine eigenständige Produktgruppe bilden. Massgebend für
die Qualifizierung der jeweiligen Substituierbarkeit ist hierbei eine wertende Beurteilung aller relevanten
Aspekte, die im Einzelfall für oder gegen die Zusammenfassung bestimmter Produkte als eigenständige
Produktgruppe und die Zuordnung eines einzelnen Produkts hierzu sprechen. Im Rahmen einer derartigen
Gesamtanalyse kommt dabei keinem der prinzipiell zu berücksichtigenden Aspekte ein absoluter Vorrang
aufgrund allgemeiner Umstände zu (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 269).
253. Wesentliche
Grundlage dieser Beurteilung bildet in Bezug auf Absatzmärkte das Konzept der Nachfragesubstituierbarkeit
(auch sog. Konzept der funktionellen Austauschbarkeit bzw. Bedarfsmarktkonzept), das prinzipiell in Art.
11 Abs. 3 VKU statuiert wird (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL II,
E. 270; BVGer, B-506/2010, Gaba, E. 9; BGE 139 I 72, Publigroupe,
E. 9.2.3.1; REKO/WEF, 4.5.2006, RPW 2006/2, 347, Berner Zeitung AG und Tamedia AG gg.
Weko, zit. 20 Minuten, Ziff.
6.3.3; Evelyn
Clerc/Pranvera Këllezi, in: Martenet/Bovet/Tercier [Hrsg.], Commentaire Romand, Droit de
la concurrence, 2. Aufl. 2013, zit. CR-Concur-rence, Art. 4 II
Rn. 68 ff.; David/Jacobs, WBR,
Rn. 690; Köchli/Reich, SHK-KG,
Art. 4 Rn. 42; Reinert/Bloch, BSK-KG,
Art. 4 Abs. 2 Rn. 104 ff.; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn.
38 ff.; EU-Kom,
Bekanntmachung vom 9.12.1997 über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts
der Gemeinschaft, ABl. 1997 C 372/5, zit. Marktbekanntmachung,
Ziff. 13, mit Hinweisen zu weiteren Beurteilungsaspekten). Die Abgrenzung des sachlich relevanten Markts
erfolgt aus der Sicht der Nachfrager als Marktgegenseite, d.h. der Abnehmer eines durch das marktbeherrschende
Unternehmen abgesetzten Produkts. Massgebend ist dabei, welche anderen Waren oder Dienstleistungen mit
dem in Frage stehenden Produkt in Wettbewerb stehen. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Austauschbarkeit
der verschiedenen Produkte gegeben ist, weil sie aufgrund ihrer Eigenschaften, Preise und ihres vorgesehenen
Verwendungszwecks von den Nachfragern als gleichwertig angesehen werden (vgl. BGE 139 I 72, Publigroupe,
E. 9.2.3.1; BGer, 14.8.2002, 2A.298/ 2001 und 2A.299/2001, Börsenverein des dt. Buchhandels e.V./Schw.
Buchhändler- und Verlegerverband gg. Weko, publ. in: BGE 129 II 18, zit. Buchpreisbindung
I, E. 7.3.1; BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 270; BVGer,
B-506/2010, Gaba, E. 9.1.4.1, 9.1.4.4; REKO/ WEF, 20.3.2003, RPW
2003/2, 406, Cablecom GmbH gg. Teleclub AG und Weko, E. 5.1; Borer,
KG, Art. 5 Rn. 10; Clerc/Këllezi,
CR-Concurrence, Art. 4 II Rn. 68 f.; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn.
38 f.; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 2.34 f.; Zäch,
Kartellrecht, Rn. 538 f.; EU-Kom,
Marktbekanntmachung, Ziff. 39 f.; Körber
Torsten, in: Immenga/Mestmäcker [Hrsg.], Wettbewerbsrecht, Bd. 1/2, EU-Kartell-recht, 5.
Aufl. 2012, zit. IM-EUWBR, Art. 2 Rn. 23). Massgebend für
die Abgrenzung des sachlich relevanten Markts ist demzufolge, welche Produkte aus der Sicht eines objektiven
Nachfragers von bestimmten Leistungen diesen Bedarf in akzeptabler Weise zufriedenstellend erfüllen.
Für eine zufriedenstellende Erfüllung ist es dabei einerseits nicht erforderlich, dass die
Leistung in identischer Weise erbracht wird, andererseits ist eine bloss teilweise Austauschbarkeit nicht
ausreichend (vgl. BGE 139 I 72,
Publigroupe, E. 9.2.3.5; BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 270; BVGer, 24.11.2016; B-3618/2013, Starticket u.a. gg. Weko sowie Hallenstadion AG und
Ticketcorner AG, zit. Hallenstadion, E. 55; REKO/WEF,
RPW 2006/2, 347, 20 Minuten,
E. 6.3.4 und E. 7.2.1; EuGH, 14.2.1978, C-27/76,
United Brands Company gg. EU-Kom, EU:C:1978:22, zit. United Brands,
Ziff. 23/33; EuGH, 13.2.1979, C-85/76, Hoffmann-La Roche gg. EU-Kom, EU:C:1979:36, zit. Hoffmann-La
Roche, 28; EuGH, 9.11.1983, C-322/81, Nederlandsche Banden-Industrie Michelin gg. EU-Kom, EU:C:1983:313,
Rz. 49; Clerc/Këllezi,
CR-Concurrence, Art. 4 II Rn. 80; Reinert/Bloch,
BSK-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn. 104;
Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn.
38; Andreas Fuchs/Wernhard Möschel, in: Immenga/Mestmäcker
[Hrsg.], Wettbewerbsrecht, Bd. 1/1, EU-Kartell-recht, 5. Aufl. 2012, zit. IM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 55; Schröter/Bartl, in: Schröter/Jakob/Klotz/Mederer
[Hrsg.], Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2014, zit. SJKM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 133, 136). Die Austauschbarkeit eines Produkts ist insbesondere aufgrund von funktionalen
Sachüberlegungen, allgemeinen Verbraucherpräferenzen, bestehenden Marktstrukturen sowie von
konkreten Marktbeobachtungen aller in Betracht kommenden ähnlichen Produkte zu bewerten; zudem können
auch modellhafte Überlegungen, wie etwa der sog. SSNIP-Test (small but significant
and nontransitory increase in price-Test), zur Abgrenzung herangezogen werden (vgl. BVGer, B-7633/2009,
ADSL II, E. 270; BVGer, B-2050/2007, Terminierung
Mobilfunk, E. 9.5.3; REKO/WEF, RPW 2006/2, 347, 20
Minuten, E. 6.3.3; REKO/WEF, RPW 2005/4, 672, Ticketcorner,
E. 5.2.2; Weko,
5.3.2007, RPW 2007/2, 190, Richtlinien des Verbands Schweizerischer Werbegesellschaften VSW über
die Kommissionierung von Berufsvermittlern, Publigroupe SA u.a., zit. Publigroupe,
Ziff. 106; Borer, KG,
Art. 5 Rn. 10; Reinert/Bloch, BSK-KG,
Art. 4 Abs. 2 Rn. 116 ff.; Clerc/Këllezi,
CR-Concurrence, Art. 4 II Rn. 76; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn.
51 ff.; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 2.38; EU-Kom, Marktbekanntmachung,
Ziff. 36 f.; Fuchs/Möschel, IM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 50).
254. Die
Beurteilung in Bezug auf Beschaffungsmärkte erfordert eine gegenüber dem Konzept der Nachfragesubstituierbarkeit
abgewandelte Herangehensweise, die vorliegend mangels Vorliegens eines Beschaffungsmarkts jedoch keiner
Beachtung bedarf (vgl. hierzu BVGer, B-7633/2009, ADSL II,
E. 271).
255. Ungeachtet
dessen, dass der potenzielle Wettbewerb nach ganz überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Literatur
nur im Rahmen der Marktstellung, nicht aber bei der Marktabgrenzung zu berücksichtigen ist (vgl.
REKO/WEF, RPW 2006/2, 347, 20 Minuten,
E. 6.3.2; REKO/WEF, RPW 2005/4, 672, Ticketcorner,
E. 5.5.2; Reinert/Bloch, BSK-KG,
Art. 4 Abs. 2 Rn. 170; Zäch Roger, Verhaltensweisen
marktbeherrschender Unternehmen, in: von Büren/David [Hrsg.], Schweizerisches Immaterialgüter-
und Wettbewerbsrecht, Bd. V/2, Kartellrecht, 2000, zit. Verhaltensweisen,
163; Clerc/Këllezi,
CR-Concurrence, Art. 4 II Rn. 67; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn.
67; Weber/ Volz, FHB-WBR,
Rn. 2.41; im Ergebnis wohl auch Borer,
KG, Art. 5 Rn. 12 und 24; David/Jacobs,
WBR, Rn. 697; EU-Kom,
Marktbekanntmachung, Ziff. 24; differenzierend Mestmäcker/
Schweitzer, EU-WBR, § 16 Rn. 23, die auf die Zweckmässigkeit
im Rahmen der Prüfung abstellen), ist nach einer ebenfalls überwiegenden Ansicht bei der
Beurteilung des sachlich relevanten Markts grundsätzlich das Konzept der Angebotssubstituierbarkeit
zu berücksichtigen. Danach seien auch Produkte, bei denen eine funktionale Austauschbarkeit aus
Sicht der Nachfrager nicht gegeben ist, dennoch in den sachlich relevanten Markt einzubeziehen, wenn
auf Seiten des jeweiligen Herstellers dieser Produkte eine hohe Angebotsumstellungsflexibilität
vorhanden ist (vgl. Weko, 8.11.2004,
RPW 2005/1, 146, CoopForte, Ziff. 31 ff.; Weko,
3.9.2007, RPW 2008/1, 129, Migros/Denner, Ziff. 205; Borer,
KG, Art. 5 Rn. 12; grundsätzlich ablehnend gegenüber
einer Berücksichtigung Schröter/Bartl, SJKM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 129). Diese Angebotsumstellungsflexibilität
liegt dann vor, wenn der Hersteller innerhalb kürzester Frist und mit vernachlässigbar geringen
Kosten seine Produktion umstellen und dadurch Produkte herstellen kann, bei denen die funktionale Austauschbarkeit
zu den anderen Produkten der jeweiligen Produktgruppe gegeben ist (vgl. EuG, 29.3.2012, T-336/07,
Telefónica SA u.a. gg. EuKom, EU:T:2012:172, zit. Telefonica,
Ziff. 113; EU-Kom, Marktbekanntmachung,
Ziff. 20; Borer, KG,
Art. 5 Rn. 12; Reinert/Bloch, BSK-KG,
Art. 4 Abs. 2 Rn. 170; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 2.39; Körber,
IM-EUWBR, Art. 2 Rn. 25, 57 ff.;
Mestmäcker/Schweitzer, EU-WBR, § 16 Rn. 22).
Die Bejahung der Angebotsumstellungsflexibilität führt dazu, dass insgesamt eine weiter gefasste
Produktgruppe als massgeblicher sachlich relevanter Markt abzugrenzen ist.
256.
Die
Notwendigkeit zur Prüfung der Angebotssubstituierbarkeit bei Sachverhalten gemäss Art. 7
KG
wird in Praxis und Literatur bislang unterschiedlich beurteilt. Nach einer Ansicht stellt eine bloss
theoretische Alternative, auch wenn sie kurzfristig vorgenommen werden könne, keine tatsächliche
Ausweichmöglichkeit für die von einer Behinderung oder Benachteiligung durch ein marktbeherrschendes
Unternehmen betroffenen Wirtschaftsteilnehmer dar, weshalb entsprechende Produkte im Rahmen der sachlichen
Marktabgrenzung nicht ohne Weiteres zu berücksichtigen seien (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 275; REKO/WEF, RPW 2005/4, 672, Ticketcorner,
Ziff. 5.2.2; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 4 Abs. 2
Rn.
64). Nach anderer Ansicht ist der Aspekt der Angebotsumstellungsflexibilität auch im Rahmen von
Art. 7
KG zu berücksichtigen (vgl. Sekretariat,
7.8.2007, Beschaffung von Leichten Transport- und Schulungshelikoptern [LTSH] durch armasuisse, Departement
für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport, RPW 2007/4, 517, Ziff. 37c;
Weko, 21.10.2013, RPW 2014/1, 215,
Swatch Group Lieferstopp, The Swatch Group AG, zit. Swatch
Group Lieferstopp, Ziff. 97, 125; jeweils allerdings ohne eine inhaltliche Auseinandersetzung
mit dieser Sachfrage und der Feststellung der REKO/WEF in Sachen Ticketcorner;
Reinert/Bloch, BSK-KG,
Art. 4 Abs. 2 Rn. 150 f.).
257.
Bei
einer Abgrenzung des relevanten Markts als Grundlage der Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung
ist der Schutzzweck der im Kartellgesetz jeweils vorgesehenen Normen zur Verhinderung eines wettbewerbswidrigen
Verhaltens von marktbeherrschenden Unternehmen zu berücksichtigen. Bei der Prüfung von Unternehmenszusammenschlüssen
gemäss Art. 10
KG ist die Untersuchung der marktbeherrschenden Stellung auf die Feststellung der
aktuellen Marktstruktur und eine Prognose der sich daraus ergebenden zukünftigen möglichen
Beeinträchtigungen des Wettbewerbs ausgerichtet. Bei diesem Untersuchungsansatz ist es selbstredend
beachtlich, ob zukünftig einzelne Unternehmen aufgrund einer einfachen Produktionsumstellung auch
austauschbare Produkte herstellen könnten, die dem sachlich relevanten Markt zuzuordnen wären.
Demgegenüber ist die Prüfung eines missbräuchlichen Verhaltens gemäss Art. 7
KG jedenfalls
im Regelfall auf die Untersuchung eines in der Vergangenheit liegenden wirtschaftlichen Verhaltens und
den dadurch allenfalls bereits eingetretenen Beeinträchtigungen des Wettbewerbs ausgerichtet. Dabei
ist zu berücksichtigen, dass der Wettbewerb auf einem Markt durch die Anwesenheit eines marktbeherrschenden
Unternehmens bereits geschwächt war und das in Frage stehende Verhalten dadurch gegebenenfalls sogar
begünstigt wurde. Bei diesem Untersuchungsansatz ist es prinzipiell unbeachtlich, ob möglicherweise
in Zukunft weitere austauschbare Produkte auf dem sachlich relevanten Markt vorhanden sein könnten.
Denn die betroffenen Unternehmen der Marktgegenseite verfügten tatsächlich nicht über
eine reale Ausweichmöglichkeit auf derartige austauschbare Produkte, weshalb sie der Einwirkung
des marktbeherrschenden Unternehmens faktisch keine Alternative entgegensetzen konnten. Aus den divergierenden
Untersuchungsansätzen ergibt sich daher im Regelfall auch ein unterschiedlicher Inhalt der Marktabgrenzung
(vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 275;
Zäch, Verhaltensweisen,
164 f.; vgl. auch EU-Kom,
Marktbekanntmachung, Ziff.
12, in Bezug auf den räumlichen Markt; sowie EuG, EU:T:2012:172, Telefonica,
Ziff. 273, für eine Differenzierung zwischen der Prüfung eines Unternehmenszusammenschlusses
und eines Marktmachtmissbrauchs im Hinblick auf die Beurteilung von zukünftigen Auswirkungen).
258. Im
Rahmen der Abgrenzung des sachlich relevanten Markts zur Untersuchung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung
gemäss Art. 7
KG findet demzufolge jedenfalls im Regelfall der Aspekt der Angebotssubstituierbarkeit
keine Beachtung (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 275).
Dies gilt jedoch ausnahmsweise dann nicht, wenn aufgrund der konkreten Sachverhaltskonstellation gerade
(auch) ein bestimmtes Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens in der Zukunft zu beurteilen ist
(vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 275).
Eine solche Ausnahme bildete etwa die Sachverhaltskonstellation im Fall Swatch
Group Lieferstopp, bei dem eine angekündigte zukünftige Liefereinschränkung
durch ein marktbeherrschendes Unternehmen zu beurteilen war.
(b)
Allgemein
259. Im
Hinblick auf die Durchführung einer Marktabgrenzung ist zunächst festzuhalten, dass sich die
Vorinstanz ohne Weiteres auf die Ergebnisse von bereits bestehenden Marktuntersuchungen hinsichtlich
des Geschäftsbereichs der Kartenakzeptanz in diversen Verfahren durch verschiedene Untersuchungs-
und Prüfungsinstanzen inhaltlich abstützen konnte.
260. Im Rahmen von Kartellverfahren zur Prüfung
von wettbewerbsrechtlichen Sachverhalten bedarf es nicht jeweils einer Durchführung von umfassenden
Marktuntersuchungen zur Abgrenzung des relevanten Markts, soweit bereits Ergebnisse von entsprechenden
Marktuntersuchungen aus früheren Kartellverfahren vorliegen und der zu prüfende Sachverhalt
in den Bereich dieser Marktabgrenzungen fällt. Eine Ausnahme hiervon ergibt sich nur dann und insoweit,
als aufgrund von beachtenswerten Abweichungen des Sachverhalts, veränderten tatsächlichen Umständen
oder neuen entscheidungsrelevanten Überlegungen zu einzelnen Aspekten eine Neubeurteilung der Marktabgrenzung
oder zumindest einzelner Kriterien der Marktabgrenzung erforderlich wird. Dieses Vorgehen der Wettbewerbsbehörden
wird bereits durch den Grundsatz der Prozessökonomie vorgegeben, weil es sowohl in zeitlicher Hinsicht
als auch unter Kostenaspekten den Interessen eines betroffenen Unternehmens im Kartellverfahren entspricht.
261. Entgegen dem Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 239)
ergibt sich demzufolge nicht bereits aus dem Umstand, dass die Vor-instanz sich im Rahmen ihrer Marktabgrenzung
auf bereits vorhandene Marktuntersuchungen aus vorgängigen Kartellverfahren abstützt, ein Grund
für die formale oder inhaltliche Fehlerhaftigkeit der vorgenommenen Marktabgrenzung.
262. Diese Vorgehensweise ist unabhängig
davon zulässig, um welche Art von Kartellverfahren es sich hierbei handelt. Denn massgebend ist
allein der sachliche Inhalt der übernommenen Marktuntersuchung und deren Ergebnisse und nicht der
Charakter des betreffenden Kartellverfahrens, in dessen Verlauf die Marktuntersuchung vorgenommen worden
war.
263. Insbesondere der Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 239),
es läge keine definitive rechtskräftige Abklärung als Präzedenzfall vor, ist sachlich
unzutreffend, weil für die Wirksamkeit einer Marktabgrenzung nicht bereits vorgängig eine rechtskräftig
gewordene Untersuchung des Markts vorliegen muss. Ansonsten könnte eine erstmalige Marktabgrenzung
von den Wettbewerbsbehörden nämlich erst gar nicht vorgenommen werden.
264. Unter den vorgenannten Prämissen
bestehen auch keine berechtigten Bedenken gegen die Übernahme des Ergebnisses einer Marktuntersuchung
in ein aktuelles Verfahren. Denn allein der Umstand, dass die Marktuntersuchung in einem früheren
Kartellverfahren durchgeführt wurde, führt weder zu deren Verbindlichkeit im aktuellen Kartellverwaltungsverfahren
noch zu einer Ausschlusswirkung in dem Sinne, dass diese Marktuntersuchung und deren Ergebnisse keiner
Überprüfung mehr im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens im Anschluss an das aktuelle Kartellverwaltungsverfahren
zugeführt werden könnten. Vielmehr sind die Ergebnisse einer Marktuntersuchung in gleicher
Weise einer Überprüfung durch die Rechtsmittelinstanz zugänglich, unabhängig davon,
ob die Wettbewerbsbehörden in einem aktuellen Kartellverwaltungsverfahren eine neue umfassende Marktuntersuchung
oder eine ergänzende Marktuntersuchung vorgenommen oder die Ergebnisse von früheren Marktuntersuchungen
herangezogen haben. Letztlich tragen die Wettbewerbsbehörden die Verantwortung für die Richtigkeit
ihrer Feststellungen zum relevanten Markt, unabhängig davon, auf welche konkreten Marktuntersuchungen
sie diese Feststellungen abstützen. Daher steht ihnen auch die Entscheidung zu, neue Marktuntersuchungen
durchzuführen oder bereits bestehende Marktuntersuchungen im Rahmen einzelner Kartellverwaltungsverfahren
heranzuziehen.
265. Entgegen dem Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 239)
ist es demzufolge ebenfalls unerheblich, dass die vorgängigen Verfahren vorliegend aus Vorabklärungen
des Sekretariats bestehen, mit einvernehmlichen Regelungen abgeschlossen oder nach einem Entscheid der
Rechtsmittelinstanz nicht mit einer rechtsverbindlichen Verfügung abgeschlossen wurden.
266. Dabei
ist im Hinblick auf die Verfahren in Sachen Kreditkarten-Akzeptanzgeschäft
(vgl. E. 279)
darauf hinzuweisen, dass die WEKO/REF als Rechtsmittelinstanz die wesentlichen und auch vorliegend massgeblichen
Aspekte der Marktabgrenzung durch die Wettbewerbskommission ausdrücklich bestätigt hat. Mit
ihrem Vorbringen täuschen die Beschwerdeführerinnen somit über den Inhalt dieser Verfahren
und deren Auswirkungen auf die vorliegende Beurteilung, obschon die SIX-Gruppe durch die Multipay selbst
an diesen Verfahren teilgenommen hatte. Daher handelt es sich hierbei um einen irreführenden Parteivortrag.
267. Zudem
ist zu beachten, dass die SIX-Gruppe in Person der Multipay auch eine Partei der im Verfahren Kreditkarten-Interchange
Fee (vgl. E. 280)
getroffenen einvernehmlichen Regelung mit den Wettbewerbsbehörden war (Weko,
RPW 2006/1, 61, Ziff. 358 ff.). Diese einvernehmliche Regelung betraf die Ausgestaltung bestimmter Gebühren
und deren Offenlegung, die Nichtanwendung bestimmter vertraglicher Regelungen sowie das Verbot eines
Datenaustauschs im Hinblick auf den relevanten Markt der Kreditkartenakzeptanz mit den Wettbewerbsbehörden.
Angesichts des Abschlusses einer einvernehmlichen Regelung war selbstverständlich keine weitere
Überprüfung des Streitgegenstands einschliesslich der dieser Erledigung zu Grunde liegenden
Marktabgrenzung durch eine Rechtsmittelinstanz erforderlich. Es ist deshalb widersprüchlich und
unglaubwürdig, wenn ein Unternehmen, welches einer einvernehmlichen Regelung zugestimmt hatte, den
Inhalt des Streitgegenstands, der dieser mit den Wettbewerbsbehörden getroffenen Vereinbarung zu
Grunde liegt, in einem späteren Kartellverfahren unter Verweis auf deren angebliche mangelnde rechtliche
Verbindlichkeit und fehlende Überprüfung durch eine Rechtsmittelinstanz angreift.
268. Im
Hinblick auf die Heranziehung der Vorabklärungen in Sachen DMIF
Maestro (vgl. E. 287)
und DMIF V Pay (vgl. E. 291)
ist darauf hinzuweisen, dass sich die Beschwerdeführerinnen durch den Einwand der fehlenden Rechtsverbindlichkeit
von Vorabklärungen ebenfalls widersprüchlich verhalten. Im Rahmen der Marktabgrenzung im Bereich
der Zahlungskartenterminals stützt sich die Vorinstanz im Wesentlichen auf den Schlussbericht des
Sekretariats der Wettbewerbskommission in der Vorabklärung Terminaux
de paiement (vgl. E. 353)
ab. Die Beschwerdeführerinnen benutzen nun gewisse inhaltliche Aspekte dieses Schlussberichts dazu,
um die in der vorliegenden Angelegenheit vorgenommene Marktabgrenzung anzugreifen (vgl. E. 350).
Die Beschwerdeführerinnen machen die Zulässigkeit einer Abstützung von Marktabgrenzungen
auf vorgängige Verfahren des Sekretariats der Wettbewerbskommission demzufolge nicht generell von
einer rechtlichen Überprüfung, sondern im Einzelfall allein davon abhängig, ob ein inhaltlicher
Aspekt der Vorabklärung als Einwendung im aktuellen Verfahren herangezogen werden kann oder nicht.
Vor diesem Hintergrund ist der Verweis auf die fehlende Rechtsverbindlichkeit widersprüchlich.
269. Ein SSNIP-Test stellt eine modellhafte
Verhaltensanalyse dar, bei der mittels geringer, aber spürbarer und nicht nur vorübergehender
Preiserhöhungen im Rahmen von 5% bis 10% untersucht wird, bei welcher Preiserhöhung die Nachfrager
das zu beurteilende Produkt durch welche vergleichbaren Produkte ersetzen (vgl. EU-Kom,
Marktbekanntmachung, Ziff. 17).
270. Entgegen
dem Einwand der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 242)
stellt ein SSNIP-Test keine zwingende Voraussetzung einer Marktabgrenzung dar. Dieser bildet nur ein
Mittel, das zur Ermittlung der massgeblichen Gruppe an austauschbaren Produkten zusätzlich herangezogen
werden kann, soweit die Austauschbarkeit im Hinblick auf den Verwendungszweck nicht bereits aufgrund
eines Vergleichs der Produktmerkmale der verfügbaren Produkte oder des bisherigen Ausweichverhaltens
der Nutzer festgestellt werden kann (vgl. BGE 139 I 72, Publigroupe,
E. 9.2.3.1, "[...] Entscheidend ist somit die funktionelle Austauschbarkeit [Bedarfsmarktkonzept]
von Waren und Dienstleistungen aus Sicht der Marktgegenseite [...]. Daneben bestehen weitere Methoden
zur Bestimmung der Austauschbarkeit der Waren und Dienstleistungen aus Nachfragersicht"; auch Reinert/Bloch,
BSK-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn. 103 ff., 134, stellen den SSNIP-Test
als Alternative neben das Bedarfsmarktkonzept und das Verfahren der Kreuz-Preiselastizität sowie
bestimmte nachweisbare Marktentwicklungen; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rz. 2.38, bezeichnen den SSNIP-Test als "eine mögliche Prüfung der Substituierbarkeit";
Clerc/Kellezi, CR-Concurrence,
Art. 4 II Rn. 76, "plusieurs tests économiques sont pratiqués"; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn.
53, 71). Auch die Europäische Wettbewerbspraxis wendet den SSNIP-Test ausdrücklich nur
ergänzend an (vgl. EU-Kom, 2.9.2003, IV/M.3083-GE
Instrumentarium, Ziff. 61; Bulst Friedrich Wenzel, in: Langen/Bunte
[Hrsg.], Kartellrecht, Bd. 2 - Europäisches Kartellrecht, 12. Aufl. 2018, zit. LB-EUKR,
Art. 102 Rn. 39 f.; Füller Jens Thomas, in: Bornkamm
/Montag/Säcker [Hrsg.], Münchener Kommentar, Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht,
Bd. 1 - Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2015, zit. MüK-WBR,
Einl. 1050).
271. Diese ergänzende Funktion ergibt
sich schon daraus, dass ein SSNIP-Test wiederum selbst immanente Schwächen und ein gewisses Fehlerpotential
in sich birgt und für bestimmte Sachverhaltskonstellationen nicht anwendbar ist (vgl. Clerc/Kellezi,
CR-Concurrence, Art. 4 II Rn. 78 f.; Reinert/Bloch,
BSK-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn. 127 f.; sowie die Auflistung bei Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn.
54 m.w.H.).
272. So setzt ein SSNIP-Test notwendigerweise
die Kenntnis der jeweiligen Daten der im Einzelfall anwendbaren Korrelationen zwischen Preiserhöhung
und Kundenabwanderung voraus. Diese Daten sind in vielen Fällen bereits weder erhältlich noch
erhebbar (vgl. Reinert/Bloch, BSK-KG,
Art. 4 Abs. 2 Rn. 132). Sind die Daten im Einzelfall feststellbar bzw. bekannt, bedarf es einer Berücksichtigung
der Probleme, die sich in Zusammenhang mit Kundenbefragungen einstellen.
273. Ein SSNIP-Test setzt zudem das Vorliegen
von Wettbewerbspreisen voraus. Hingegen führt er nicht zu sachgerechten Ergebnissen, wenn Unternehmen
ihre Marktmacht bereits eingesetzt haben, um die Preise über das Wettbewerbsniveau hinaus anzuheben
(vgl. Clerc/Kellezi, CR-Concurrence,
Art. 4 II Rn. 79; Reinert/Bloch, BSK-KG,
Art. 4 Abs. 2 Rn. 128; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn.
54). In derartigen Fällen weicht die Marktgegenseite auch auf Produkte aus, die bei einem
stärkeren Wettbewerb gar kein Substitut mehr darstellen würden, weshalb eine Befragung der
Marktgegenseite leicht zu verfälschten Ergebnissen führt.
274. Nach verschiedener Ansicht ist ein SSNIP-Test
auch nicht auf Dienstleistungsmärkte zugeschnitten (vgl. Füller,
MüK-EuWBR, Einl. 1049).
275. Angesichts dieser Anwendungsproblematik
stellt ein SSNIP-Test kein Mittel dar, welches im Rahmen einer Marktabgrenzung in jedem Fall uneingeschränkt
zur Anwendung gelangen kann oder gelangen müsste.
(c)
Vorgängige Verfahren
276. Im Hinblick auf eine Abgrenzung des sachlich
relevanten Markts für die Zahlungskartenakzeptanz liegen die Ergebnisse aus mehreren Verfahren sowohl
in der Schweiz als auch in der Europäischen Union vor, bei denen zudem eine Untersuchung des Verhältnisses
zwischen den unterschiedlichen Zahlungsmitteln Kredit- und Debitkarte, Bargeld, Check, Bank- und Postgiroverkehr,
Wertkarte sowie Kundenkarte vorgenommen worden war.
277. Im
Kartellverwaltungsverfahren Kreditkarten-Akzeptanzgeschäft
wegen eines marktmissbräuchlichen Verhaltens gemäss Art. 7
KG (Weko,
18.11.2002, RPW 2003/1, 106, Cornèr Banca SA, Telekurs Europay AG, Swisscard AECS AG, UBS Card Center
AG, Ziff. 71 ff., 143 f.) wurde von der Wettbewerbskommission der Markt der Zahlungskartenakzeptanz umfassend
analysiert. Die von den Kartenakquisiteuren angebotene zentrale Dienstleistung müsse als Zugang
zum nationalen und internationalen Kartenzahlungsverkehr definiert werden. Als Marktgegenseite seien
die Händler als Anbieter von Waren und Dienstleistungen zu identifizieren, welche gegenüber
den Kartenausstellern als Initianten eines Kartenzahlungssystems den Zugang zu deren Kartenzahlungssystem
nachfragen würden, um wiederum ihren eigenen Kunden als Karteninhaber des jeweiligen Kartenzahlungssystems
entsprechende Zahlungsmöglichkeiten anbieten zu können. Charakteristisch für diesen Markt
seien zudem der Aspekt der Debitorengarantie zu Gunsten des Händlers sowie weitere zusätzliche
Leistungen, die im Verhältnis zwischen Kartenakquisiteur und Händler sowie gegenüber dem
Karteninhaber erbracht werden. Aufgrund der unterschiedlichen Leistungen sei der Markt für Kreditkartenakzeptanz
gegenüber dem Markt der Kreditkartenausstellung sowie dem Systemmarkt der unterschiedlichen Kreditkartenszahlungssysteme
der einzelnen Kreditkartenorganisationen abzugrenzen. Der Entscheid enthält zudem eine ausführliche
Begründung, weshalb der Zugang zum Kreditkartenzahlungsverkehr nicht durch den Zugang zu anderen
Zahlungsmitteln wie Bargeld, Debitkarte, Check, Post- und Bankgirokontenverkehr, Wertkarte oder Kundenkarte
substituiert werden könne (Weko, RPW 2003/1, 106, Kreditkarten-Akzeptanzgeschäft,
Ziff. 101 ff.). Im Ergebnis wurde festgestellt, dass sich die Anschlüsse an verschiedene Zahlungsverkehrssysteme
aus Sicht des Händlers vielmehr ergänzen würden, weil mit einem bestimmten einzelnen Anschluss
immer nur ein Kundensegment erreicht werden könne. Es entspreche der Absicht des Händlers,
möglichst viele Segmente zu erreichen, damit der Kunde in der Wahl seines Zahlungsmittels frei sei.
278. Im
Einzelnen wurden dabei zu den verschiedenen Zahlungsmitteln wesentliche Aspekte festgehalten, welche
die fehlende Substituierbarkeit von Kreditkarten durch andere Zahlungsmittel begründen und die nachfolgend
stichwortartig aufgeführt sind:
(i) Bargeld: gesetzliche Annahmepflicht des Händlers, keine Kreditfunktion, keine zusätzlichen
spezifischen Leistungen, regelmässig kein grenzüberschreitender Einsatz möglich;
(ii) Debitkarten: keine Kreditfunktion; pauschale Transaktionsgebühren unabhängig vom Transaktionsbetrag
(Ausnahme Maestro-Card mit Zahlungskartenakzeptanz durch Multipay); keine zusätzlichen Leistungen
für den Händler und den Karteninhaber; ausschliesslich nationale Einsatzmöglichkeiten;
(iii) Bank- und Postgiroverkehr: zusätzlicher Aufwand durch Rechnungsstellung auf Seiten des
Händlers und Vollzug der Überweisung auf Seiten des Karteninhabers; Tragung des Risikos eines
Debitorenausfalls durch den Händler; keine zusätzlichen Leistungen; regelmässig kein grenzüberschreitender
Einsatz möglich;
(iv) Check: keine Kreditfunktion; Tragung des Risikos eines Debitorenausfalls
durch den Händler;
wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit;
(v) Wertkarten: keine Kreditfunktion; limitierter Verfügungsbetrag; kein grenzüberschreitender
Einsatz;
(vi) Kundenkarten mit oder ohne Zahlungsfunktion:
Verwendung nur in einem vorgängig bestimmten Kreis von Händlern; Abrechnungsmodalitäten.
279. Die
entsprechende Verfügung der Wettbewerbskommission wurde durch die WEKO/REF als Rechtsmittelinstanz
im Verfahren Kreditkarten-Akzeptanzgeschäft (REKO/WEF, 9.6.2005,
RPW 2005/3, 530, Telekurs Multipay AG gg. Weko; inhaltlich weitgehend gleiche Entscheide sind in den
Parallelverfahren USB Card Center AG gg. Weko, Swisscard AECS gg. Weko, Cornèr Banca SA gg. Weko
ergangen) auf Beschwerde der betroffenen Unternehmen hin im Jahr 2005 überprüft. Obwohl die
Verfügung wegen der fehlenden Berücksichtigung von neuen Aspekten des massgeblichen Sachverhalts
aus formellen Gründen an die Wettbewerbskommission zurückverwiesen wurde, hat die REKO/WEF
im Rahmen von ausdrücklich angeführten grundlegenden inhaltlichen Überlegungen die wesentlichen
Aspekte der von der Wettbewerbskommission vorgenommenen Marktabgrenzung im Bereich der Kreditkartenakzeptanz
bestätigt (REKO/WEF, RPW 2005/3, 530, Kreditkarten-Akzeptanzgeschäft,
Ziff. 7.1 ff.). So wurden ungeachtet der Interdependenzen zwischen Kartenausstellern, Händlern und
Karteninhabern die Händler als massgebliche Marktgegenseite für das Kreditkarten-Akzeptanzgeschäft
qualifiziert, auch wenn vom Verhalten der Karteninhaber ein gewisser Einfluss auf deren Entscheidungen
ausgehe (REKO/WEF, RPW 2005/3, 530, Kreditkarten-Akzeptanzgeschäft,
Ziff. 7.4). Unter ausdrücklichem Verweis auf die entsprechenden Ausführungen der Wettbewerbskommission
zur Marktabgrenzung wurde festgehalten, dass weder Bargeld noch andere unbare Zahlungsmittel wie Debitkarten,
Post- und Bankgiroverkehr, Check, Wert- und Kundenkarten substituierbare Produkte für Kredtikarten
darstellten, weshalb der entsprechende Einwand der Multipay abzuweisen sei (REKO/WEF, RPW 2005/3, 530,
Kreditkarten-Akzeptanzgeschäft, Ziff. 7.4). Darüber
hinaus hat die REKO/WEF im Bereich der Kreditkarten eine noch engere Marktabgrenzung als die Wettbewerbskommission
vorgenommen. Der sachlich relevante Markt sei danach der Zugang zu den jeweiligen Netzwerken der verschiedenen
Kreditkarten, weil diese zwar für den Endkonsumenten im Wettbewerb stehen würden, auf Stufe
der Händler jedoch von der Komplementarität der einzelnen Kreditkarten auszugehen sei, solange
nicht die Mehrheit der Kunden über alle Kreditkarten verfügen würden. Demnach seien jeweils
eigene Märkte für das Akzeptanzgeschäft von American Express, Diners, Mastercard und Visa
zu unterscheiden (REKO/WEF, RPW 2005/3, 530, Kreditkarten-Akzeptanzgeschäft,
Ziff. 7.5).
280. Im
Rahmen des Kartellverwaltungsverfahrens Kreditkarten-Interchange Fee
wegen einer unzulässigen Wettbewerbsabrede gemäss Art. 5
KG (Weko,
5.12.2005, RPW 2006/1, 65, UBS AG, Credit Suisse, Viseca Card Services SA, Corner Banca SA, Telekurs
Multipay AG,) wurde von der Wettbewerbskommission im Jahr 2005 die Marktabgrenzung des Verfahrens Kreditkarten-Akzeptanzgeschäft
herangezogen sowie eine schriftliche Händlerbefragung mit 120 Teilnehmern zu den Substitutionsbeziehungen
zwischen den verschiedenen Zahlungsmitteln durchgeführt (Weko,
RPW 2006/1, 65, Kreditkarten-Interchange Fee, Ziff. 168 ff.).
Diese Befragung habe bestätigt, dass (i) die Händler die massgebliche Marktgegenseite bildeten
und (ii) die anderen Zahlungsmittel keine genügend nahen Substitute darstellten, um in den sachlich
relevanten Markt einbezogen zu werden (Weko, RPW 2006/1,
65, Kreditkarten-Interchange Fee, Ziff. 193).
281. Das Vorliegen eines gemeinsamen Markts
von Kartenausstellung und Kartenakzeptanz im Sinne eines Grosshandelsmarkts von Kreditkarten wurde insbesondere
deshalb abgelehnt, weil Kartenaussteller und Kartenakquisiteur nicht im Wettbewerb um die Verarbeitung
von Transaktionen, welche die Karteninhaber mit den Händlern abwickeln, stünden (Weko,
RPW 2006/1, 65, Kreditkarten-Interchange Fee, Ziff. 165). Der
Kartenakquisiteur müsse wie der Händler auch gemäss der grundlegenden "Honor All
Cards Rule" alle Kreditkarten des jeweiligen Kreditkartensystems unabhängig vom jeweiligen
Kartenaussteller akzeptieren (Weko, RPW 2006/1, 65, Kreditkarten-Interchange
Fee, Ziff. 165).
282. Nach Abklärungen zur Abgrenzung der
verschiedenen Kreditkartenzahlungssysteme als eigenständige Märkte entsprechend der Anweisung
der REKO/WEF (vgl. E. 279)
wurde in diesem Entscheid festgehalten, dass sich das Drei-Parteien-Kreditkartensystem (American Express,
Diners, JCB) aufgrund der höheren Händlerkommissionen, geringerer Verbreitung bei den Karteninhabern
sowie einer geringeren Akzeptanz bei den Händlern strukturell vom Vier-Parteien-Kreditkartensystem
(Visa, Mastercard) unterscheide, weshalb es kein Substitut hierfür darstelle (Weko,
RPW 2006/1, 65, Kreditkarten-Interchange Fee, Ziff. 302
f.). Hingegen wurde die Frage einer Abgrenzung zwischen Mastercard und Visa entgegen dem Entscheid der
REKO/WEF in Sachen Kreditkarten-Akzeptanzgeschäft
(vgl. E. 279)
offengelassen. Zwischen beiden bestehe kein Systemwettbewerb, denn sämtliche Kartenaussteller und
Kartenakquisiteure würden beide Marken anbieten und die Händler würden in der Regel die
gleiche Kommission zahlen (Weko,
RPW 2006/1, 65, Kreditkarten-Interchange Fee, Ziff. 310 f.).
283. In
den Entscheidungen Visa I (EU-Kom,
9.8.2001, COMP/D1/29.373 - Visa International, Visa International Service Association, Zusammenfassung
publ. in: ABl. 2001 L 293/24) und Visa II (EU-Kom,
24.7.2002, COMP/29.373 - Visa International - Multilateral Interchange Fee, Visa International
Service Association, Zusammenfassung publ. in: ABl. 2002 L 318/17) hatte die Europäische Kommission
(Abk.: EU-Kom) bereits vorgängig zur Wettbewerbskommission
in den Jahren 2001 und 2002 festgestellt, dass im Geschäftsbereich der Zahlungskartensysteme ein
Markt der Kreditkartenakzeptanz abzugrenzen sei (EU-Kom,
COMP/D1/29.373, Visa I, Ziff. 34; EU-Kom,
COMP/29.373, Visa II, Ziff. 45). Überdies wurde festgestellt,
dass Bargeld und sonstige bargeldlosen Zahlungsmittel keine Substitute für Zahlungskarten darstellen
würden (EU-Kom, COMP/D1/29.373, Visa
I, Ziff. 37 f.; EU-Kom, COMP/29.373, Visa
II, Ziff. 46 f.). Die Fragen nach einer Abgrenzung von Debit- und Kreditkartenakzeptanz sowie
nach einer Abgrenzung der Kreditkarten von Mastercard und Visa wurde dabei aufgrund der konkreten Sachverhaltskonstellation
allerdings offengelassen.
284. Als Begründung für die fehlende
Substituierbarkeit von Zahlungskarten durch Bargeld oder bargeldlose Zahlungsmittel wurden von der Europäischen
Kommission in den Entscheidungen folgende Aspekte angegeben: Bargeld - (i) gesetzliches Zahlungsmittel
mit Annahmepflicht für Händler, (ii) keine Vergleichbarkeit der Kosten für die Annahme
von Bargeld mit den Kosten von Kreditkarten, (iii) Bargeld sei umständlich und gefährlich bei
der Beförderung in grossen Beträgen und daher für teure Einkäufe ungeeignet, (iv)
es bestehe eine Grenze für Einkäufe mit Bargeld und für Einkäufe mit Kreditkarte,
(v) Bargeld gehe häufig aus und müsse regelmässig durch Bargeldabhebungen erneuert werden;
Check - geringe praktische Verwendung und formale Abläufe bei der Verwendung; Bank- und Postgiroüberweisungen
- fehlende Eignung zur Bezahlung in Verkaufsstellen.
285. Im
Jahr 2007 wurden durch die Europäische Kommission im Verfahren Mastercard
(EU-Kom, 19.12.2007, COMP/34.579-Mastercard, Mastercard
Europe S.p.r.l. u.a., Zusammenfassung publ. in: ABl. 2009 C 264/8) die gleichen Feststellungen wie in
den Entscheiden Visa I und Visa
II getroffen. Danach sei aufgrund der komplexen Marktrealität in Vier-Parteien-Zahlungskartensystemen
ein eigenständiger Markt des Zahlungskartenakzeptanzgeschäfts abzugrenzen, bei dem die Händler
und nicht die Karteninhaber als Marktgegenseite der Kartenakquisiteure zu qualifizieren seien und auch
kein einheitlicher Markt von Zahlungskartenausstellung und Zahlungskartenakzeptanz vorhanden sei (EU-Kom,
COMP/34.579, Mastercard, Ziff. 257 ff., 278 f., 283, 307). Zudem
wurde festgestellt, dass das Zahlungsmittel Zahlungskarten nicht durch die Zahlungsmittel Bargeld, Check,
Bank- oder Postgiro, Wert- oder Kundenkarten substituierbar sei (EU-Kom,
COMP/34.579, Mastercard, Ziff. 300 f., 307). Die Fragen nach einer
Abgrenzung von Debit- und Kreditkartenakzeptanz sowie die Abgrenzung von Mastercard und Visa wurden dabei
wiederum offengelassen (EU-Kom, COMP/34.579, Mastercard,
Ziff. 307).
286. Die Entscheidung der Europäischen
Kommission in Sachen Mastercard wurde sowohl durch das Europäische
Gericht (EuG, 24.5.2012, T-111/08, Mastercard Inc. u.a. gg. EU-Kom,
EU:T:2012:260, zit. Mastercard) als auch durch den Europäischen
Gerichtshof (EuGH, 11.9.2014, C-283/12P, Mastercard Inc. gg. EU-Kom,
EU:C:2014:2201, zit. Mastercard) bestätigt. Demzufolge wurde
sowohl die bestehende Festlegung des Geschäftsbereichs der Kreditkartenakzeptanz als eigenständiger
sachlich relevanter Markt als auch die mangelnde Substituierbarkeit von Zahlungskarten durch Bargeld
oder sonstige Zahlungsmittel anerkannt (EuGH, EU:C:2014:2201, Mastercard,
Ziff. 178 f.; EuG, EU:T:2012:260, Mastercard, Ziff. 176 f.).
287. Im
Rahmen der Voruntersuchung "Einführung einer DMIF für Maestro-Transaktionen und geplantes
Preismodell von Telekurs Multipay" (Sekretariat, 4.6.2006,
Telekurs Multipay AG, RPW 2006/4, 601, zit. DMIF Maestro) wurde
durch das Sekretariat der Wettbewerbskommission in Anlehnung an das Verfahren Kreditkarten-Akzeptanzgeschäft
ein eigenständiger sachlich relevanter Markt der Debitkarten-Akzeptanz abgegrenzt, wobei ebenfalls
von unterschiedlichen Märkten für die einzelnen Debitkartensysteme ausgegangen wurde (Sekretariat,
RPW 2006/4, 60, DMIF Maestro, Ziff. 142 ff.).
288. Dabei wurde auch für die Debitkarten
ein gemeinsamer Markt von Kartenausstellung und Kartenakzeptanz im Sinne eines Grossmarkts für Debitkarten
unter Verweis darauf angenommen, dass die Kartenaussteller und die Kartenakquisiteure sich nicht als
Wettbewerber um die Verarbeitung von Transaktionen, die zwischen den Karteninhabern und den Händlern
durchgeführt werden, gegenüberstehen (Sekretariat,
RPW 2006/4, 60, DMIF Maestro, Ziff. 72).
289. Als massgeblicher Aspekt für die
Abgrenzung der Debitkartenakzeptanz gegenüber der Kreditkartenakzeptanz wurde die fehlende Austauschbarkeit
von Kredit- und Debitkarten sowohl auf Seiten der Karteninhaber als auch auf Seiten der Händler
herangezogen. Bei den Karteninhabern würden die folgenden wesentlichen Unterscheidungskriterien
bestehen (Sekretariat, RPW 2006/4, 60, DMIF
Maestro, Ziff. 84): (i) schnellere Verfügbarkeit von Zahlungen mittels Debitkarten; (ii)
Kosten für Akzeptanz bei Kreditkarten seien wesentlich höher als bei Debitkarte; (iii) durchschnittliche
Händlerkommission betrage 1.8% bei Kreditkarten und 0.20 CHF bei Debitkarten; (iv) die durchschnittliche
Transaktionshöhe betrage rund 185.00 CHF bei Kreditkarten und rund 85.00 CHF bei Debitkarten; (v)
Transaktionen mit Debitkarten würden rund drei Mal so viele durchgeführt als mit Kreditkarten;
(vi) die Verbreitung der Debitkarten sei im Jahr 2008 mit 7.6 Mio. wesentlich höher gewesen als
diejenige der Kreditkarten mit 4.5 Mio. Aus Sicht der Karteninhaber seien insbesondere folgende wesentlichen
Unterscheidungsmerkmale zu beachten (Sekretariat, RPW 2006/4,
60, DMIF Maestro, Ziff. 84): (i) weltweite Annahmegarantie der
Kreditkarte; (ii) Kreditfunktion der Kreditkarte; (iii) zusätzliche Dienstleistungen wie kartenspezifische
Bonusprogramme.
290. Den massgeblichen Aspekt für die
Abgrenzung von unterschiedlichen Märkten von einzelnen Debitkartensystemen bildete der Umstand,
dass gemäss einer Branchenstudie auf eine erwachsene Person in der Schweiz durchschnittlich eine
Debitkarte entfiel. Folglich könne angenommen werden, dass die Händler in der Regel alle für
sie umsatzrelevanten Debitkarten anbieten müssten, um sämtliche Inhaber von Debitkarten ansprechen
zu können (Sekretariat, RPW 2006/4, 60, DMIF
Maestro, Ziff. 151). Angesichts der tatsächlich im Umlauf befindlichen Debitkarten gelte
dies in jedem Fall für die verbreitesten Karten Maestro und Postcard. Da ein gemeinsamer Vertrieb
von Debitkarten im Gegensatz zum Vertrieb von Kreditkarten von Mastercard und Visa nicht bestehe, sei
es auch gerechtfertigt, separate Märkte anzunehmen (Sekretariat,
RPW 2006/4, 60, DMIF Maestro, Ziff. 151).
291. Im
Rahmen der Vorabklärung "Geplante Einführung einer DMIF für das Debitkartensystem
VISA V Pay" (Sekretariat, 27.4.2009, VISA International
AG, RPW 2009, 133, zit. DMIF V Pay, Rz. 95 ff., 108) wurden die
vorstehenden Feststellungen zur Qualifizierung des Markts für die Debitkartenakzeptanz durch das
Sekretariat der Wettbewerbskommission grundsätzlich bestätigt. Dabei wurden Maestro und V Pay
angesichts von deren sehr ähnlichen Produkt- und Systemeigenschaften einem einheitlichen Markt der
Debitkartenakzeptanz zugeordnet. Demgegenüber wurde festgehalten, dass auf der Ebene des Händlers
zwischen den internationalen Debitkartenprodukten Maestro und V Pay und den nationalen proprietären
Debitkartenprodukten Post Finance und M-Card zu unterscheiden sei, weil der Händler durch den Anschluss
an ein internationales Debitkartensystem auch einem ausländischen Kunden die bargeldlose Zahlung
ermögliche. Aufgrund der unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten sei diese Differenzierung auch
für den Kunden von Bedeutung.
292. Die jeweiligen Verfahren kommen aufgrund
der vorstehend angeführten Aspekte zum Ergebnis, dass weder das Zahlungsmittel Bargeld noch sonstige
bargeldlose Zahlungsmittel ein Substitut für die Zahlungsmittel Kredit- und Debitkarten darstellen
würden, weshalb auch kein gemeinsamer Markt aller Zahlungsmittel bestehe.
293. Die jeweiligen Verfahren kommen ebenfalls
zum Ergebnis, dass im Hinblick auf Kartenzahlungsysteme ein eigenständiger Markt für die Kartenakzeptanz
von Zahlungskarten mit den Händlern als Marktgegenseite abzugrenzen sei, und dass kein gemeinsamer
Markt der Kartenausstellung und der Kartenakzeptanz bestehe.
294. Die jeweiligen Verfahren kommen überdies
zum Ergebnis, dass die Zahlungsmittel Kreditkarte und Debitkarte keine Substitute, sondern komplementäre
Produkte darstellten, weshalb ein relevanter Markt für die Akzeptanz von Kreditkarten und ein relevanter
Markt für die Akzeptanz von Debitkarten abzugrenzen seien.
295. Die jeweiligen Verfahren kommen schliesslich
zum Ergebnis, dass die Zahlungskarten der diversen Kartenlizenzgeber prinzipiell jeweils einen eigenständigen
Markt bilden. Teilweise wird eine Ausnahme für die Zahlungskarten der Kartenlizenzgeber Mastercard
und Visa anerkannt, weil diese von allen Kartenausstellern und allen Kartenakquisiteuren in gleicher
Weise vermarktet werden und sie sehr ähnliche Produkt- und Systemeigenschaften aufweisen.
(d)
Sachverhalt
296. Im Hinblick auf die dargestellte Praxis
der sachlichen Marktabgrenzung im Geschäftsbereich der Zahlungskartenakzeptanz bestehen keine Anhaltspunkte
dafür, dass die Ergebnisse der bisherigen Marktuntersuchungen einer inhaltlichen Abänderung
bedürften.
297. Angesichts der vorstehend aufgeführten
Verfahren liegen ausreichende Erhebungen zur sachlichen Marktabgrenzung von Zahlungskartensystemen unter
Berücksichtigung von Kredit- und Debitkarten für den relevanten Zeitraum vor. Eine Durchsicht
der veröffentlichten Begründungen dieser Entscheide lässt nicht erkennen, dass im Rahmen
der jeweiligen Verfahren beachtenswerte inhaltliche Fehler zu einer unrichtigen Beurteilung der Marktabgrenzung
geführt hätten.
298. Im
Hinblick auf die Substituierbarkeit von Zahlungsmitteln im relevanten Zeitraum lässt sich aufgrund
einer Studie zu den Abbruchquoten im Online-Handel aus dem Jahre 2008 (Stahl
Ernst/Krabichler Thomas/Breitscheid Markus/Wittmann Georg, ibi research an der Universität
Regensburg, Erfolgsfaktor Payment - Der Einfluss der Zahlungsverfahren auf ihren Umsatz, 2008)
der Schluss ziehen, dass jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt die verschiedenen Zahlungsmittel komplementär
gewesen waren, weil die Abbruchquoten umso niedriger ausfielen, um so mehr unterschiedliche Zahlungsmittel
von Seiten der Verkäufer im Internethandel zur Verfügung gestellt wurden. Der Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 246),
wonach diese Studie mangels einer Berücksichtigung von Bargeldzahlungen bei Onlinegeschäften
nicht von Belang sei, ist für diese grundsätzliche Einschätzung unbeachtlich und angesichts
der fehlenden Austauschbarkeit von Zahlungskarten und Bargeld von vornherein unzutreffend.
299. Später festgestellte, öffentlich
zugängliche Angaben zu den Marktanteilen der Kreditkartennetzwerke aus dem Jahr 2010, die sogar
von den Beschwerdeführerinnen auf ihren Webseiten dargestellt wurden, zeigen auf, dass sich die
Marktsituation der 3-Parteien-Systeme seit der Untersuchung "Kreditkarten Interchange Fees"
kaum verändert hat, weshalb diese weiterhin Nischenprodukte darstellen, die keine Alternativen zu
Visa und Mastercard bilden.
300. Im Hinblick auf die Substituierbarkeit
von Kredit- und Debitkarten wurde im Rahmen einer weiteren Studie (Bernegger
Urs/Maréchal Michel/Minsch Rudi, Cards 06 - Entwicklungsperspektiven für den Schweizer
Kartenmarkt, 2006) - die von den Beschwerdeführerinnen selbst vorgelegt worden war -
festgestellt, dass es keinen fundierten Anhaltspunkt gebe, wonach Debit- und Kreditkarten Substitute
seien.
301. Im Hinblick auf die Abgrenzung des Markts
der Debitkartenakzeptanz von Maestro ist zu beachten, dass V Pay im relevanten Zeitraum noch gar nicht
eingeführt war und daher über keine Marktanteile verfügte. Zudem hätte der Händler
im Jahre 2008 aufgrund der grossen Verbreitung von Maestro mit 5 Mio. Karteninhabern die Akzeptanz von
Maestro nicht durch die Akzeptanz der Postfinance Card oder der M-Card substituieren können. Daher
bildet die Maestro-Debitkarte einen eigenständigen sachlich relevanten Markt.
302. Demgegenüber tragen die Beschwerdeführerinnen
weder konkret begründete Argumente für beachtenswerte Abweichungen des Sachverhalts oder den
Eintritt von veränderten tatsächlichen Umständen vor noch vermögen ihre Vorbringen
als neue entscheidungsrelevante Überlegungen die bisherigen Feststellungen zum sachlich relevanten
Markt in den genannten Verfahren in Frage zu stellen.
303. Insbesondere die von den Beschwerdeführerinnen
wiederholt vorgebrachte Behauptung, dass Bargeldzahlungen Substitute zu Zahlungskartenzahlungen darstellen
würden (vgl. E. 243
f.), entbehrt jeglicher Begründetheit, weil ihr eine eingehende Darlegung darüber fehlt, welche
Mängel die bisherigen Marktuntersuchungen und die dabei angeführten Aspekte diesbezüglich
aufweisen.
304. Denn es ergibt sich bereits aufgrund der
allgemeinen Lebenserfahrung, dass aus Sicht von Karteninhabern Bargeldzahlungen in verschiedensten üblichen
und regelmässig auftretenden Lebenssituationen Zahlungskartenzahlungen nicht ersetzen können,
weshalb Händler regelmässig Vorkehrungen zur Annahme von Zahlungskartenzahlungen vorsehen,
um diesen Lebenssituationen im eigenen Interesse und demjenigen ihrer Kunden gerecht werden zu können.
Dies gilt gerade auch im Umfeld von Zahlungen durch Ausländer, die aus unterschiedlichen Gründen
Entgelte für Waren und Dienstleistungen während ihres vorübergehenden Aufenthalts im Inland
zu entrichten haben.
305. Des Weiteren legen die Beschwerdeführerinnen
auch keinerlei Erklärung dafür vor, warum Händler angesichts der behaupteten Substituierbarkeit
von Kredit- und Debitkarten durch Bargeld überhaupt die Bereitschaft aufweisen, Investitionen in
die Infrastruktur von Zahlungskartenterminals zu tätigen sowie Gebühren an den Kartenakquisiteur
zu bezahlen, um die Bezahlung durch Zahlungskarten in ihrem Betrieb zu ermöglichen. Denn wenn die
Zahlung mit Bargeld tatsächlich ein Substitut zur Zahlung mit Zahlungskarten darstellen würde,
könnten die Händler auf die Bereitstellung eines mit Erwerbskosten und Transaktionsgebühren
verbundenen Zahlungskartenterminals ohne Weiteres verzichten und sich auf die Verarbeitung von Bargeld
beschränken, weil ihre Kunden eine intendierte, aber nicht mögliche Zahlungskartenzahlung jeweils
einfach durch eine Bargeldzahlung ersetzen würden.
306. Im Übrigen müsste umgekehrt
auch Bargeld durch Zahlungskarten vollständig ersetzbar sein, damit Bargeld dem gleichen sachlich
relevanten Markt zugeordnet werden könnte, weil ansonsten keine Austauschbarkeit der Produkte und
somit auch keine Zugehörigkeit zur gleichen Produktgruppe gegeben wären. Die Händler müssten
in ihren Verkaufsstellen demzufolge umgekehrt auf die Annahme und eine notwendige Verarbeitung von Bargeld
verzichten und allein die Zahlung mit Zahlungskarten vorsehen können. Es ist zumindest heute noch
nicht ersichtlich, dass hiervon in der Praxis von den Händlern in einem nennenswerten Umfang Gebrauch
gemacht wird bzw. Gebrauch gemacht werden könnte. Auch hierzu tragen die Beschwerdeführerinnen
keinerlei sachliche Erwägungen vor, mit denen ein anderes Ergebnis begründet werden könnte.
307. Die gleiche Einschätzung gilt im
Ergebnis auch für die sonstigen Zahlungsmittel. Es ist z.B. ohne Weiteres ersichtlich, dass sich
in der Praxis Kreditkartenzahlungen regelmässig nicht einfach durch Banküberweisungen oder
Zahlungen per Check ersetzen lassen. So nimmt ein Händler üblicherweise keinen Check als Zahlungsmittel
im Verkauf gegenüber Endkunden an. Auch Kreditkartenzahlungen von ausländischen Kunden gegenüber
inländischen Händlern lassen sich bei Endkundengeschäften vor Ort im Inland regelmässig
nicht durch nachträgliche Banküberweisungen aus dem Ausland ersetzen.
308. Vor diesem Hintergrund der bestehenden
Praxis bedarf es unter Berücksichtigung der allgemeinen Aspekte zu modellhaften Verhaltensanalysen
(vgl. E. 270)
auch keiner zusätzlichen Marktuntersuchungen durch einen SSNIP-Test, wie dies von den Beschwerdeführerinnen
gefordert wird (vgl. E. 242).
309. Im Übrigen hat bereits die Europäische
Kommission dargelegt, dass die Durchführung eines SSNIP-Tests zur Beurteilung der Substituierbarkeit
im Markt der Kreditkartenakzeptanz aus verschiedenen Gründen nicht geeignet sei (vgl. EU-Kom,
COMP/34.579, Mastercard, Ziff. 286 f.). Da die Marktkonzentration
im Geschäftsbereich der Kreditkartenakzeptanz hoch sei und die Preise für die entsprechenden
Dienstleistungen massgeblich durch gemeinsam festgesetzte Interbankenentgelte bestimmt würden, könnten
möglicherweise bereits Preise angewendet werden, die über dem Wettbewerbsniveau liegen würden.
Daher sei die Gefahr gross, dass bei einer Händlerbefragung fehlerhafte Feststellungen getroffen
werden könnten, weil die Substituierbarkeit weiter gefasst werde als unter strengen Wettbewerbsbedingungen.
Diese Einschätzung ist aufgrund der gleichen strukturellen Gegebenheiten auch für den schweizerischen
Markt zutreffend.
310. Wie vorstehend dargelegt wurde (vgl. E.
253),
ergibt sich die Austauschbarkeit der Produkte eines sachlich relevanten Markts, weil diese aus der Sicht
eines üblichen Nachfragers aufgrund ihrer Eigenschaften, ihrer Preise und des vorgesehenen Verwendungszwecks
als gleichwertig angesehen werden. Massgebend ist hierbei, welche Produkte einen Bedarf an bestimmten
Leistungen in akzeptabler Weise zufriedenstellend erfüllen. Für eine zufriedenstellende Erfüllung
ist es dabei einerseits nicht erforderlich, dass die Leistung in identischer Weise erbracht wird, andererseits
ist eine bloss teilweise Austauschbarkeit nicht ausreichend. Grundlage einer entsprechenden Abgrenzung
ist vielmehr eine wertende Beurteilung aller relevanten Aspekte, die im Einzelfall für oder gegen
die Zusammenfassung bestimmter Produkte als eigenständige Produktgruppe sprechen (vgl. E. 252).
311. Vorliegend wurde im Rahmen der jeweiligen
Beurteilungen des Einzelfalls in den bisherigen Marktuntersuchungen festgestellt, dass die Kredit- und
Debitkarten der diversen Kartenlizenzgeber aufgrund verschiedener Aspekte für den Geschäftsbereich
der Kreditkartenakzeptanz nicht austauschbar sind und daher keine Substitute, sondern Komplementärprodukte
darstellen und die Austauschbarkeit allenfalls bei sehr ähnlichen Produkt- und Systemeigenschaften
angenommen werden kann. Diese konkrete Beurteilung eines Einzelfalls lässt sich nicht generalisieren
und verbindlich auf alle möglichen Produktgruppen bei anderen Sachverhalten übertragen. Der
pauschale Einwand der Beschwerdefüherinnen (vgl. E. 243),
wonach diese Qualifizierung dazu führe, dass prinzipiell nur Produkte mit identischen Preisen und
Qualitäten dem gleichen sachlichen Markt zugeordnet werden könnten, ist demzufolge unzutreffend.
312. Die
Behauptungen der Beschwerdeführerinnen widersprechen auch den Aussagen der SIX-Gruppe gegenüber
den Händlern, mit denen gerade die Komplemantarität, nicht aber die Substitutierbarkeit von
Zahlungskarten festgestellt wird: "Mit der Kartenakzeptanz von SIX Payment Services profitieren
Sie davon, dass Ihre Kunden mit den lokal und weltweit gängigen Debitkarten und Kreditkarten bezahlen
können, sei es am Zahlterminal in Ihrem Geschäft oder in Ihrem Web-Shop. Je mehr Karten Sie
akzeptieren, desto grösser ist für Sie die Aussicht auf Umsatzsteigerung und auch auf Spontankäufe"
(Homepage SIX Payment Services, https://www.six-payment-services.com/de/shared/offering/products/debit-credit-cards.html,
zuletzt abgerufen am 11.9.2017). Demzufolge sind diese Vorbringen der Beschwerdeführerinnen bereits
aufgrund ihrer eigenen sonstigen Aussagen zum Akezeptanzgeschäft unzutreffend und ein daraus folgender
Schluss widersprüchlich.
313. Der Verweis der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 245)
auf eine "angeblich bestehende Absicht" eines dritten Unternehmens in Bezug auf die Vornahme
bestimmter Massnahmen zur Untermauerung der vorgebrachten eigenen Rechtsposition stellt kein taugliches
Beweismittel dar und ist daher unbeachtlich.
(e)
Zwischenergebnis
314. Für die Ermittlung der Marktstellung
der SIX-Gruppe sind als sachlich relevante Märkte im Geschäftsbereich der Zahlungskartenakzeptanz
zum einen ein einheitlicher oder gegebenenfalls ein getrennter Markt der Kreditkartenakzeptanz der Kartenlizenzgeber
Mastercard und Visa sowie zum anderen ein Markt der Debitkartenakzeptanz des Kartenlizenzgebers Maestro
abzugrenzen.
b)
Räumlich relevanter Markt
315. Die Vorinstanz nimmt eine räumliche
Eingrenzung der von ihr ermittelten sachlich relevanten Märkte auf das Staatsgebiet der Schweizerischen
Eidgenossenschaft vor.
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
316. Die Beschwerdeführerinnen machen
geltend, es würde jegliche nachvollziehbare Begründung für die Abgrenzung des räumlich
relevanten Markts fehlen.
317. Es
bestünden keine nennenswerten Barrieren, insbesondere keine rechtlichen Hindernisse für Vertragsabschlüsse
zwischen inländischen Händlern und ausländischen Kartenakquisiteuren. Derartige Vertragsbeziehungen
würden somit eine valable Ausweichmöglichkeit darstellen, um eine disziplinierende Wirkung
auf die schweizerischen Kartenakquisiteure auszuüben. Eine räumliche Beschränkung auf
schweizerische Kartenakquisiteure unter Ausserachtlassung insbesondere von Konkurrenten mit Sitz in der
Europäischen Union sei daher sachlich nicht gerechtfertigt.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
318. Die Vorinstanz stützt ihre räumliche
Marktabgrenzung auf die Untersuchung im Verfahren Kreditkarten-Interchange
Fee (vgl. E. 280)
ab, wonach ein nationaler Markt der Kreditkartenakzeptanz abzugrenzen sei. Diese Einschätzung für
Kreditkarten könne in analoger Weise auch auf die Debitkarten übertragen werden. Diese Qualifizierung
entspreche auch der Wettbewerbspraxis der Europäischen Union.
319. Die in diesen Verfahren gewonnenen Ergebnisse
könnten auf den vorliegenden Fall angewendet werden, weil die Gründe für diese Praxis
weiterhin Geltung beanspruchen würden.
(3)
Würdigung durch das Gericht
(a)
Ausgangslage
320. Der
räumlich relevante Markt umfasst das geographische Gebiet, innerhalb dessen die wechselseitig substituierbaren
Produkte der sachlich relevanten Produktgruppe von den jeweiligen Wettbewerbern unter hinreichend gleichwertigen
Wettbewerbsbedingungen abgesetzt werden (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 302; im Ergebnis so bereits BGE 139 I 72, Publigroupe,
E. 9.2.1; BVGer, B-506/2010,
Gaba, E. 9.2; BVGer, B-2050/2007, Terminierung
Mobilfunk, E. 9.6; Weko, RPW 2007/2,
190, Publigroupe, Ziff. 121;
Weko, RPW 2008/1, 129,
Migros/Denner, Ziff. 235 ff.;
Weko, RPW 2005/1, 146, CoopForte;
Ziff. 46; Clerc/Këllezi,
CR-Concurrence, Art. 4 II Rn. 797 ff.; David/Jacobs,
WBR, Rn. 693; Reinert/ Bloch,
BSK-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn. 218
ff.; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn.
93 f.; Stoffel Walter A., Wettbewerbsabreden, in:
Roland von Büren/Lucas David [Hrsg.], Schweizerisches Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht,
Bd. V/2, Kartellrecht, 2000, zit. SIWR-Wettbewerbsabreden,
90; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 2.43 ff.; Zäch Roger/Heizmann Reto A., Markt
und Marktmacht, in: Geiser/Münch [Hrsg.], Handbücher für die Anwaltspraxis, Schweizerisches
und Europäisches Wettbewerbsrecht, 2005, Rn. 2.11). Massgebend für die Qualifizierung einer
Gleichwertigkeit der Wettbewerbsbedingungen ist eine wertende Beurteilung aller relevanten Aspekte, die
im Einzelfall für oder gegen eine Unterscheidung von bestimmten geographischen Bereichen sprechen.
Im Rahmen einer derartigen Gesamtanalyse kommt keinem der prinzipiell zu berücksichtigenden Aspekte
ein absoluter Vorrang aufgrund allgemeiner Überlegungen zu (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 302).
321. Grundlage
für eine entsprechende Beurteilung sind im Einzelfall funktionelle Sachaspekte in Bezug auf das
wirtschaftliche Verhalten von Nachfragern und Anbietern der Produkte, welche geographische Auswirkungen
nach sich ziehen, wie dies prinzipiell in Art. 11 Abs. 3 VKU vorgesehen ist. Massgebend für die
Abgrenzung des räumlich relevanten Markts ist dabei, ob in einem bestimmten geographischen Gebiet
spürbar unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen gegenüber denjenigen in den angrenzenden Gebieten
vorzufinden sind. Der räumlich relevante Markt kann dadurch im Einzelfall lokal, regional, national,
international oder weltweit abzugrenzen sein (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 303; Borer, KG,
Art. 5 Rn. 15; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn.
98 m.w.H.; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 2.45).
322. Sachaspekte, die geographische Auswirkungen
aufweisen und demzufolge im Regelfall zu berücksichtigen sind, stellen insbesondere folgende Umstände
dar (vgl. Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn.
98, 106 mit einer Auflistung von Detailaspekten): (i) Allgemeine Rahmenbedingungen wie Rechtsvorschriften,
Industrie- und Branchenstandards sowie Handelsmodalitäten, die für den Zugang zu den jeweiligen
Gebieten sowie den Absatz der Produkte oder den Wirtschafts- und Rechtsverkehr zu beachten sind (vgl.
BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 304; Reinert/Bloch,
BSK-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn. 231 ff.); (ii) allgemeine Gesellschaftsaspekte
wie Sprachen, Sitten und Gebräuche sowie sonstige kulturelle Eigenheiten, bekannte Präferenzen
und übliche Verhaltensmuster der Nachfrager oder Anbieter (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 304; Weko, 20.8.2007, RPW 2007/4, 605, Tamedia
AG/Espace Media Groupe, Ziff. 70 f.; Reinert/Bloch, BSK-KG,
Art. 4 Abs. 2 Rn. 241 f.; Zäch, Kartellrecht,
Rn. 553); (iii) konkret-objektive Aspekte des Produktabsatzes wie Transportdauer, Transportkosten und
sonstige Umstände der Belieferung bzw. Abholung (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 304; Reinert/Bloch, BSK-KG,
Art. 4 Abs. 2 Rn. 224; Stoffel, SIWR-Wettbewerbsabreden,
91; Zäch, Kartellrecht,
Rn. 553); (iv) konkret-subjektive Aspekte des Produktabsatzes wie insbesondere die Ausgestaltung der
Produkte, Preise und Geschäftsbedingungen durch das potenziell marktbeherrschende Unternehmen und
seine Wettbewerber sowie allenfalls sich daraus ergebende Preisunterschiede, Preis- und sonstige Korrelationen
(vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 304; Reinert/ Bloch,
BSK-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn. 252 ff.); (v) Auswirkungen des in Frage
stehenden Verhaltens eines potenziell marktbeherrschenden Unternehmens (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 304).
(b)
Vorgängige Verfahren
323. Auch im Hinblick auf eine räumliche
Marktabgrenzung liegen die Ergebnisse aus den im Rahmen der sachlichen Marktabgrenzung genannten Verfahren
sowohl in der Schweiz als auch in der Europäischen Union vor.
324. Im Verfahren Kreditkarten-Akzeptanzgeschäft
(vgl. E. 277)
wurde aufgrund einer Händlerbefragung festgestellt, dass mit Ausnahme von dreizehn international
tätigen Unternehmen, von denen wiederum zehn Unternehmen als Gruppengesellschaften von multinationalen
Konzernen zu bezeichnen waren, keine grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen zwischen schweizerischen
Händlern und ausländischen Kartenakquisiteuren bestanden. Als räumlich relevanter Markt
des Kreditkartenakzeptanzgeschäfts wurde demzufolge das Staatsgebiet der Schweiz qualifiziert (Sekretariat,
RPW 2003/1, 601, Ziff. 152 f.). Die Reko/Wef nahm in ihrem
Entscheid Kreditkarten-Akzeptanzgeschäft (vgl. E. 279)
eine grundsätzliche Bestätigung der räumlichen Marktabgrenzung vor mit dem Vorbehalt,
dass die Auswirkungen des Wegfalls der Gebietsklauseln in den Lizenzverträgen der Kartenakquisiteure
allenfalls zu berücksichtigen seien (Reko/Wef, RPW
2005/3, 530, Ziff. 7.7).
325. Im Verfahren Kreditkarten-Interchange
Fee (vgl. E. 280)
wurde die vorstehende räumliche Marktabgrenzung für das Kreditkartenakzeptanzgeschäft
auf das Staatsgebiet der Schweiz auch unter Berücksichtigung des Wegfalls der Gebietsklausel in
den Lizenzverträgen der Kartenakquisiteure durch die Vorinstanz bestätigt (Weko,
RPW, 2006/1, 65, Kreditkarten-Interchange Fee, Ziff. 194
f.). Eine allgemeine aktive Anwerbung von Händlern in der Schweiz ging nur von vier Kartenakquisiteuren
aus: den schweizerischen Unternehmen Multipay und Cornèr Banca sowie den deutschen Unternehmen B&S
und Concardis. Die übrigen in der Schweiz tätigen ausländischen Kartenakquisiteure beschränkten
sich auf die Erbringung ihrer Dienstleistungen gegenüber wenigen schweizerischen Gruppengesellschaften
von multinationalen Konzernen; eine allgemeine aktive Anwerbung von Händlern in der Schweiz wurde
hingegen nicht vorgenommen. Obschon eine grenzüberschreitende Tätigkeit der Kartenakquisiteure
denkbar gewesen wäre, wurde gestützt auf die tatsächliche Ausübung der Tätigkeit
und nicht auf den Sitz des jeweiligen Kartenakquisiteurs eine nationale Abgrenzung vorgenommen (Weko,
RPW 2006/1, 65, Kreditkarten-Interchange Fee, Ziff. 199, 200).
326. Diese Feststellungen entsprechen der Wettbewerbspraxis
in der Europäischen Union, die insbesondere durch die vorstehend aufgeführten Verfahren Visa
I und Visa II (vgl. E. 283)
sowie Mastercard (vgl. E. 285)
entwickelt wurde. Eine nationale räumliche Marktabgrenzung ergebe sich aufgrund der Heterogenität
des Geschäftsbereichs der Kreditkartenakzeptanz und den dabei auftretenden deutlichen Preisunterschieden
in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten sowie dem Umstand, dass grenzüberschreitende Akzeptanzgeschäfte
tatsächlich kaum getätigt würden (vgl. EU-Kom,
COMP/34.5.579, Mastercard, Ziff. 322 f.).
327. Im Verfahren DMIF
Maestro (vgl. E. 287)
wurde eine nationale räumliche Marktabgrenzung für die Debitkartenakzeptanz des Kartenlizenzgebers
Mastercard entsprechend der Marktabgrenzung bei der Kreditkartenakzeptanz vorgenommen (Sekretariat,
RPW 2006/4, 601, Ziff. 154).
328. Diese nationale räumliche Marktabgrenzung
wurde im Verfahren DMIF V Pay (vgl. E. 291)
unter Verweis auf die Untersuchungen in den genannten vorgängigen Verfahren angesichts unveränderter
tatsächlicher Verhältnisse nochmals für die Debitkartenakzeptanz der Kartenlizenzgeber
Mastercard und Visa bestätigt (Sekretariat, RPW 2009/2,
133, Ziff. 110 f., 115).
(c)
Sachverhalt
329. Im Hinblick auf die vorstehend dargestellte
Praxis der räumlichen Marktabgrenzung im Geschäftsbereich der Zahlungskartenakzeptanz bestehen
keine Anhaltspunkte, dass die Ergebnisse der bisherigen Marktuntersuchungen einer inhaltlichen Abänderung
bedürfen.
330. Angesichts der vorstehend aufgeführten
Verfahren liegen zum einen ausreichende Erhebungen zur räumlichen Marktabgrenzung von Zahlungskartensystemen
unter Berücksichtigung von Kredit- und Debitkarten für den relevanten Zeitraum vor. Eine Durchsicht
der veröffentlichten Begründungen dieser Entscheide lässt nicht erkennen, dass im Rahmen
der jeweiligen Verfahren beachtenswerte inhaltliche Fehler zu einer unrichtigen Beurteilung der Marktabgrenzung
geführt hätten.
331. Zum anderen sind die bereits im Rahmen
der sachlichen Marktabgrenzung angeführten Aspekte mit Bezug auf den ep2-Standard in der Schweiz
zu berücksichtigen.
332. Wenn die Wirtschaftsteilnehmer, die in
der Schweiz im Bereich des elektronischen Zahlungsverfahrens mit Zahlungskarten tätig sind, mit
dem ep2-Standard eine zusätzliche Normierung gegenüber dem üblichen international massgeblichen
Standard herstellen, um eine gegenüber dem Ausland qualitativ hochwertigere Abwicklung der Zahlungstransaktionen
innerhalb der Schweiz sicherzustellen, dann wird ein Händler in der Regel auch nur eine Geschäftsbeziehung
mit einem Kartenakquisiteur eingehen, dessen Transaktionsplattform diesen ep2-Standard aufweist. Ansonsten
müsste er befürchten, dass sich für ihn aufgrund von vermehrt auftretenden technischen
Schwierigkeiten daraus Reputationsprobleme mit Kunden sowie ein erhöhter Aufwand ergeben könnten.
Aus der Sicht des Händlers als Nachfrager kommt demzufolge bereits aus funktionalen Gründen
nur ein Kartenakquisiteur mit einer Transaktionsplattform in Betracht, die mit dem ep2-Standard ausgerüstet
ist. Als relevant sind daher nur solche Kartenakquisiteure zu qualifizieren, deren Transaktionsplattform
mit dem ep2-Standard ausgerüstet ist.
333. Es ist nicht davon auszugehen, dass Kartenakquisiteure,
die nicht in der Schweiz allgemein tätig sind, ihre Verarbeitungsplattformen mit dem ep2-Standard
ausrüsten. Denn die Einrichtung des ep2-Standards ist mit einem zusätzlichen Aufwand verbunden,
der nur dann sinnvoll ist, wenn auch eine entsprechende allgemeine Geschäftstätigkeit ausgeübt
wird. Demgegenüber haben die Beschwerdeführerinnen weder behauptet noch dargelegt, dass im
relevanten Zeitraum (i) die von der Vorinstanz aufgeführten Kartenakquisiteure, die in der Schweiz
tätig seien, nicht über den ep2-Standard verfügt hätten, oder (ii) sonstige ausländische
Kartenakquisiteure in nennenswertem Umfang in der Schweiz tätig gewesen seien, ohne dass ihre Transaktionsplattformen
den ep2-Standard aufgewiesen hätten.
334. Der räumlich relevante Markt für
die Zahlungskartenakzeptanz ist demnach national abzugrenzen.
335. Zum massgeblichen Zeitpunkt waren in der
Schweiz nach der unstrittigen Feststellung der Vorinstanz die beiden nationalen Kartenakquisiteure Aduno
und Multipay sowie die beiden deutschen Kartenakquisiteure B&S und Concardis tätig. Daher ist
ein nationaler Markt mit diesen Unternehmen abzugrenzen.
336. Demgegenüber tragen die Beschwerdeführerinnen
weder konkret begründete Argumentationen für beachtenswerte Abweichungen des Sachverhalts oder
den Eintritt von veränderten tatsächlichen Umständen vor noch vermögen ihre Vorbringen
als neue entscheidungsrelevante Überlegungen die bisherigen Feststellungen zum räumlich relevanten
Markt in den genannten Verfahren in Frage zu stellen.
337. Die Behauptung der Beschwerdeführerinnen,
wonach ausländische Kartenakquisiteure in den räumlichen Markt einzubeziehen wären, weil
die Händler ohne Weiteres auch eine Geschäftsbeziehung mit diesen eingehen könnten, stellt
lediglich eine Hypothese dar, welche die vorgenannten Aspekte, die für eine nationale Marktabgrenzung
sprechen, sachlich nicht beeinträchtigen kann, weshalb sie nicht zu berücksichtigen ist.
c)
Zeitlich relevanter Markt
338. Der
zeitlich relevante Markt umfasst den Zeitraum, in welchem die Marktgegenseite die substituierbaren Produkte
in dem massgeblichen geographischen Gebiet nachfragt oder anbietet (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 307; BVGer, B-3618/2013, Hallenstadion, E. 165
f.; Weko, 17.12.2001, RPW 2002/1, 130, Submission Betonsanierung
am Hauptgebäude der Schweizerischen Landesbibliothek [SLB], Betonsan AG u.a., Ziff. 27; Borer,
KG, Art. 5 Rn. 16; Clerc/Këllezi,
CR-Concurrence, Art. 4 II Rn. 107 ff.; David/Jacobs,
WBR, Rn. 695; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn.
116; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 2.49; a.M. Reinert/Bloch, BSK-KG,
Art. 4 Abs. 2 Rn. 257, welche den zeitlichen Aspekt zum sachlich relevanten Markt zählen; zur
wechselnden Praxis der Weko vgl. Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 2.51). Der zeitliche Aspekt der Marktabgrenzung erlangt immer dann Bedeutung, wenn Nachfrage
oder Angebot jeweils lediglich während bestimmter Zeitspannen gegeben sind. Massgebend für
die Qualifizierung, ob ein unterschiedliches Mass von Nachfrage oder Angebot vorhanden ist, bildet eine
wertende Beurteilung aller relevanten Aspekte, die im Einzelfall für oder gegen eine Unterscheidung
von bestimmten zeitlichen Bereichen sprechen. Im Rahmen einer derartigen Gesamtanalyse kommt keinem der
prinzipiell zu berücksichtigenden Aspekte ein absoluter Vorrang aufgrund allgemeiner Überlegungen
zu (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 302).
339.
Im
vorliegenden Fall kommt dem zeitlich relevanten Markt keine Bedeutung zu, weil die vorstehend abgegrenzten
sachlich und räumlich relevanten Märkte keine zeitlich unterschiedlichen Aspekte aufweisen,
weshalb eine temporäre Strukturierung nicht erfoderlich ist. Von den Parteien werden auch keine
entsprechenden Behauptungen aufgestellt.
d)
Zwischenergebnis
340. Aufgrund
der vorstehenden Feststellungen sind für die Ermittlung der Marktstellung der SIX-Gruppe im Geschäftsbereich
der Zahlungskartenakzeptanz jedenfalls ein Markt der Kreditkartenakzeptanz der Kartenlizenzgeber Mastercard
und Visa sowie ein Markt der Debitkartenakzeptanz des Kartenlizenzgebers Maestro während des relevanten
Zeitraums zu Grunde zu legen.
2)
Zahlungskartenterminals
341. Die Marktabgrenzung im Bereich der Zahlungskartenterminals
ist zwischen den Parteien umstritten. Die Vorinstanz hat den Markt für ep2-Terminals in der Schweiz
als relevanten Markt abgegrenzt. Die Beschwerdeführer bestreiten diese Marktabgrenzung und qualifizieren
demgegenüber den weltweiten Markt aller EMV-Terminals als relevanten Markt.
a)
Sachlich relevanter Markt
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
342. Die Beschwerdeführerinnen machen
geltend, dass der sachlich relevante Markt nicht nur Zahlungskartenterminals mit ep2-Standard, sondern
alle EMV-Zahlungskartenterminals umfasse.
343. Zunächst
weisen die Beschwerdeführerinnen darauf hin, dass die Terminalhersteller nicht identisch seien mit
den originären Terminalproduzenten. Vielmehr würden auch blosse Wiederverkäufer erfasst
werden, welche die von Drittunternehmen hergestellten Zahlungskartenterminals im Markt absetzen würden.
344. Die
Terminal-Hardware der Terminalhersteller würde eine internationale EMV-Zertifizierung benötigen
und könnte nach erfolgter Zertifizierung überall auf der Welt eingesetzt werden.
345. Die
auf dem internationalen Markt beschafften Zahlungskartenterminals würden dann durch die Terminalhersteller
individuell an ihre eigenen und die nationalen Bedürfnisse der Händler, hier der Schweizer
Händler, angepasst. Anpassung bedeute in diesem Zusammenhang im Wesentlichen eine Ausrüstung
gemäss ep2-Standard sowie eine Zertifizierung der ep2-Ausstattung der Zahlungskartenterminals.
346. Die
Ausrüstung der Zahlungskartenterminals mit dem ep2-Standard bestehe im Wesentlichen aus der Aufspielung
der entsprechenden Software. Da es sich hierbei um keine Anpassung des Geräts, sondern nur um eine
zusätzliche Software handle, sei hierfür kein grosser Aufwand erforderlich. Bei der Zertifizierung
der mit dem ep2-Standard ausgerüsteten Zahlungskartenterminals werde nicht das Gerät als Ganzes,
sondern nur die Software zertifiziert. Auch hierfür sei kein grosser Aufwand erforderlich. Die Anpassung
von EMV-Terminals könne daher jederzeit und ohne Weiteres angepasst werden, sodass jeder EMV-Terminaltyp
bei genügend Speicherkapazität und Rechenleistung auch als ep2-Terminal funktionieren könne.
347. Zahlungskartenterminals
könnten demzufolge jederzeit durch ein simples Software-Update mit einzelnen technischen Spezifikationen
an die jeweiligen nationalen Voraussetzungen angepasst werden. Folglich bestehe kein Anlass dazu, den
sachlich relevanten Markt künstlich einzuschränken. Vielmehr müsse von einem Gesamtmarkt
sämtlicher EMV-Zahlungskartenterminals ausgegangen werden, welche für die Verwendung in der
Schweiz eingesetzt werden könnten.
348. Es fänden sich in der angefochtenen
Verfügung auch keine Sachverhaltserhebungen mit Bezug auf die Frage, ob die ep2-Zertifizierung für
die internationalen Hersteller und Verkäufer von Zahlungskartenterminals effektiv eine Marktbarriere
darstelle. Vielmehr lasse sich dem Sachverhalt entnehmen, dass praktisch alle auch international aktiven
Terminalhersteller entsprechende Zahlungskartenterminals in der Schweiz anbieten würden.
349. Im
Übrigen weise die Vorinstanz darauf hin, dass praktisch alle Terminalhersteller der Ansicht seien,
dass sich "die Marktzutrittsschranken gegenüber dem früheren Zustand mit proprietären
Systemen stark verringert haben" und sich "aufgrund der Öffnung der Systeme neue technische
und kommerzielle Möglichkeiten ergeben" würden. So stelle die Vorinstanz fest, dass seit
dem Jahr 2002 diverse Markteintritte aus dem Ausland stattgefunden hätten und "im Vergleich
zur Zeit vor ep2 tiefere Markteintrittsbarrieren" bestünden.
350. Dieses
Ergebnis ergäbe sich auch aus der Vorabklärung in Sachen Terminaux
de payments (vgl. E. 353),
auf welche die Vorinstanz ausdrücklich Bezug nehme. Darin werde festgestellt, dass eine Unterscheidung
zwischen verschiedenen Funktionalitäten bzw. Varianten von Zahlungskartenterminals aufgrund der
Angebotssubstituierbarkeit nicht vorgenommen werden müsse bzw. könne. Diese Angebotssubstituierbarkeit
werde von ihr dabei definiert als die "Möglichkeit der Terminalanbieter, ohne grossen Aufwand
die unterschiedlichen Geräte auf den Markt zu bringen". Demnach könne es keine Rolle
spielen, welche spezifischen Funktionalitäten durch die einzelnen Händler nachgefragt würden,
sofern die gleiche Gruppe der Terminalhersteller die entsprechende Nachfrage ohne grossen Aufwand abdecken
könnten. Hieran sei die Vorinstanz zu behaften. Die Aufspielung der notwendigen Software für
die Ausstattung der Zahlungskartenterminals mit dem ep2-Standard erfordere keinen grösseren Aufwand,
weshalb diese Massnahme einer Aufspielung von anderen Varianten mit verschiedenen Funktionalitäten
entspreche.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
351. Die Vorinstanz stützt ihre Marktabgrenzung
auf die Vorabklärung in Sachen Terminaux de payments (vgl.
E. 353)
sowie der Existenz des ep2-Standards in der Schweiz.
(3)
Würdigung durch das Gericht
352. Für die allgemeinen Aspekte einer
Abgrenzung des sachlich relevanten Markts ist auf die vorstehenden Ausführungen zum Markt der Zahlungskartenakzeptanz
zu verweisen (vgl. E. 252
f., 259
f.).
(a)
Vorgängige Verfahren
353. Im
Rahmen der Vorabklärung Terminaux de payments
(Sekretariat, 18.12.2000, RPW 2001/1, 59) wurde angenommen,
dass ein einheitlicher Markt für (flexible) Zahlungskartenterminals, die sowohl Kreditkarten- als
auch Debitkartentransaktionen verarbeiten können, bestehe. Hingegen wurden von diesem Markt Zahlungskartenterminals,
die entweder nur Kreditkartentransaktionen oder nur Debitkartentransaktionen verarbeiten konnten, ausgegrenzt.
Innerhalb dieses Markts der (flexiblen) Zahlungskartenterminals wurde keine weitere Unterscheidung der
Zahlungskartenterminals nach Ausstattung und Funktionalitäten vorgenommen. Begründet wurde
dies mit dem einfachen Hinweis auf die Angebotssubstituierbarkeit, weil es den Herstellern möglich
wäre, Geräte mit verschiedenen Optionen auf den Markt zu bringen (Sekretariat,
Terminaux de payments, RPW 2001/1, 59 Ziff. 21, "[...]
à savoir qu'il est possible pour les producteurs de mettre sur le marché les appareils
avec les différentes options").
(b)
Sachverhalt
354. Die in der Schweiz im Bereich des Zahlungskartenverkehrs
tätigen Unternehmen haben über den Branchenverband TeCo Ep2 mit dem nationalen ep2-Standard
eine Anpassung des internationalen EMV-Standards vorgenommen, um die Kompatibilität zwischen allen
Verarbeitungsplattformen der Kartenakquisiteure und allen in der Schweiz vertriebenen Zahlungskartenterminals
sicherzustellen (vgl. SV F.d,
F.e).
Der ep2-Standard war bereits deutlich vor dem relevanten Zeitraum im Jahre 2003 eingeführt worden.
Die im relevanten Zeitraum in der Schweiz durch die Terminalhersteller angebotenen Zahlungskartenterminals
waren nach den Feststellungen der Vorinstanz mit dem ep2-Standard ausgerüstet. Gegenteiliges wird
auch nicht von den Beschwerdeführerinnen behauptet. Dieser nationale ep2-Standard und die damit
einhergehende Kompatibilität in der Schweiz wurden und werden bis heute im Rahmen der Bewerbung
des Zahlungskartenverkehrs hervorgehoben (vgl. www.aduno. ch/service-support/glossar-links/glossar/ep2
und www.six-payment-servi ces.com/de/shared/newsletter/landingpages-campaigns/ ms-newsletter-nov-2016/bargeldlos-bezahlen.html;
jeweils zuletzt abgerufen am 11.9.2017).
355. Die Einführung und der Bestand eines
nationalen Branchenstandards führen dabei nicht nur zu einer räumlichen Abgrenzung (vgl. E. 371),
sondern weisen aufgrund der Vereinheitlichung von technischen, organisatorischen oder sonstigen Aspekten
auch eine sachliche Komponente auf, die im Rahmen der sachlichen Abgrenzung des Markts zu berücksichtigen
ist, weil sich nunmehr gegebenenfalls Produkte mit entsprechender Ausstattung und Produkte ohne entsprechende
Ausstattung gegenüberstehen.
356. Mit der Einführung eines nationalen
Branchenstandards zur Netzwerkkompatibilität ergibt sich für Geräte mit einer entsprechenden
Ausstattung zwangsläufig ein beachtlicher Vorteil. Denn die Nachfrager erhalten dadurch eine Gewährleistung
für die Kompatibilität im individuellen Einsatz der jeweiligen Geräte. Inwieweit diesem
Vorteil auch Nachteile im Vergleich zu Geräten ohne entsprechende Ausstattung gegenüberstehen
- insbesondere ein höherer Preis -, ist jeweils für den Einzelfall zu prüfen.
Vorliegend bestehen keine Anhaltspunkte, dass die ep2-Terminals bestimmte Nachteile gegenüber den
EMV-Terminals aufgewiesen hätten. Von der Vorinstanz wurden diesbezüglich keine Feststellungen
getroffen und die Beschwerdeführerinnen tragen keine gegenteiligen Argumente vor.
357. Ein üblicher Händler, der keine
fachspezifischen Kenntnisse im Bereich der Technik von Zahlungskartenterminals und der Übertragung
von Daten im Rahmen von Kartenzahlungstransaktionen aufweist, konnte somit in keiner Weise abschätzen,
ob ein blosses EMV-Terminal ohne ep2-Ausstattung dennoch im Verbund mit Verarbeitungsplattformen mit
ep2-Standard hätte eingesetzt werden können und in welchem Verhältnis die Nachteile von
allfällig auftretenden Problemen zu den allfälligen Vorteilen des Bezugs eines EMV-Terminals
gestanden hätten. Angesichts der Statuierung und der öffentlichen Bekanntmachung eines nationalen
Branchenstandards konnte ein Händler jedenfalls nicht davon ausgehen, dass der Einsatz eines EMV-Terminals
ohne Auftreten von gewissen Schwierigkeiten möglich gewesen wäre. Demgegeüber ist die
von den Beschwerdeführerinnen erhobene Behauptung, wonach die EMV-Terminals ohne Weiteres international
und damit auch in der Schweiz einsetzbar seien (vgl. E. 344),
unerheblich, weil nicht die tatsächlichen Einsatzmöglichkeiten aus Sicht eines Fachmanns mit
entsprechenden Fachkenntnissen, sondern die Einsatzmöglichkeiten aus Sicht des üblichen Nachfragers
massgebend sind. Da alle relevanten Terminalhersteller mit ihren Produkten in der Schweiz tätig
waren, bestand auch kein Bedürfnis, gewisse Zahlungskartenterminals von nicht in der Schweiz tätigen
Terminalhersteller einzusetzen.
358. Angesichts dieser Sachlage war es für
einen Händler als Nachfrager der Zahlungskartenterminals daher notwendig, dass in seiner Verkaufsstelle
ein ep2-Terminal zum Einsatz gelangt. Umgekehrt bestand für einen Händler im relevanten Zeitraum
keine Veranlassung mehr für den Bezug eines EMV-Terminals.
359. Diese Einschätzung wird auch dadurch
bestätigt, dass keinerlei Anhaltspunkte dafür bestehen, wonach die Händler nach Einführung
des ep2-Standards in der Schweiz im relevanten Zeitraum in einem nennenswerten Umfang noch EMV-Terminals
nachgefragt hätten. Die Beschwerdeführerinnen tragen auch keine entsprechenden Argumente vor.
360. Demzufolge ist davon auszugehen, dass
der sachlich relevante Markt lediglich die ep2-Terminals, d.h. Zahlungskartenterminals, die mit dem nationalen
Standard ep2 ausgestattet waren, umfasste, während die EMV-Terminals, welche nur mit dem internationalen
Standard EMV ausgestattet waren, nicht zum sachlich relevanten Markt zu zählen sind.
361. Entgegen
dem Einwand der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 346 f.)
ist die Angebotssubstituierbarkeit vorliegend für die Abgrenzung des sachlich relevanten Markts
im Bereich der Zahlungskartenterminals aus mehreren Gründen unbeachtlich.
362. Grundsätzlich ist die Angebotssubstituierbarkeit
im Rahmen der Abgrenzung des relevanten Markts bei der Beurteilung eines marktmissbräuchlichen Verhaltens
gemäss Art. 7
KG nicht zu berücksichtigen (vgl. E. 255
f.). Dieser Grundsatz wird durch den vorliegenden Sachverhalt bestätigt. Zudem liegt keine Sachverhaltskonstellation
vor, die eine Ausnahme von diesem Grundsatz rechtfertigen würde. Da im relevanten Zeitraum keine
weiteren Zahlungskartenterminals mit ep2-Standard von anderen Terminalherstellern zur Verfügung
standen, hatten die Händler faktisch auch keine Wahlmöglichkeit, andere als die bereits vorhandenen
ep2-Terminals im Rahmen ihrer Erwerbsentscheidung zu berücksichtigen. Demzufolge wurden die Händler
im relevanten Zeitraum durch ein allfälliges marktmissbräuchliches Verhalten eines Kartenakquisiteurs
oder Terminalhersteller auch beeinträchtigt, ungeachtet dessen, ob aufgrund theoretischer Überlegungen
auch sonstige Zahlungskartenterminals anderer Terminalhersteller mit dem ep2-Standard ausgerüstet
und auf dem Markt angeboten hätten werden können. Die nachfolgenden Gründe sind daher
nur der Vollständigkeit halber im Hinblick auf eine noch ausstehende Entscheidung des Bundesgerichts
zur Behandlung der Angebotssubstituierbarkeit anzufügen.
363. Gegen eine Berücksichtigung der Angebotssubstituierbarkeit
spricht aus grundsätzlichen Erwägungen bereits die vorliegende Sachlage. Die Ausstattung von
EMV-Terminals mit dem ep2-Standard betrifft ausschliesslich die Marktgegenseite der schweizerischen Händler.
Für die Marktgegenseite in anderen Ländern oder Regionen werden die EMVTerminals auch mit anderen
zusätzlichen Standards ausgerüstet; dies wird von den Beschwerdeführerinnen selbst mitgeteilt
(vgl. E. 345).
Eine Ausstattung von EMV-Terminals mit allen eingesetzten nationalen oder regionalen Standards durch
die Terminalhersteller ist weder praktisch erforderlich noch wirtschaftlich sinnvoll. Die Beschwerdeführerinnen
tragen selbst vor, dass praktisch alle international aktiven Terminalhersteller auch ep2-Terminals in
der Schweiz angeboten haben (vgl. E. 349).
Wie von der Vorinstanz unbestritten festgehalten wurde, wiesen im relevanten Zeitraum alle in der Schweiz
angebotenen Zahlungskartenterminals den ep2-Standard auf. Angesichts der Existenz eines zusätzlichen
nationalen schweizerischen Standards wäre es offensichtlich nicht sinnvoll, dass die auf dem Markt
bereits präsenten Terminalhersteller neben den ep2-Terminals noch EMV-Terminals anbieten. Die Beschwerdeführerinnen
legen auch nicht dar, welche beachtenswerten Auswirkungen eingetreten wären, wenn die Terminalhersteller
weitere EMV-Terminals mit dem ep2-Standard ausgestattet und in der Schweiz vertrieben hätten. Die
Beschwerdeführerinnen führen zudem nicht aus, welche beachtenswerten Auswirkungen sich daraus
ergeben hätten, dass die Terminalhersteller neben den bereits vorhandenen noch weitere ep2-Terminals
auf dem Markt angeboten hätten. Da keine relevanten sonstigen Terminalhersteller durch die Ausstattung
von EMV-Terminals mit dem ep2-Standard in den Markt hätten eintreten können, ist der vorliegende
Sachverhalt somit nicht der notwendigen Sachverhaltskonstellation einer Angebotssubstituierbarkeit zuzuordnen.
Daher sind die ep2-Terminals auch unter dem Gesichtspunkt der Angebotssubstituierbarkeit nicht mit EMV-Terminals
zu einer Produktgruppe zusammenzufassen.
364. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 349)
führt eine Verringerung der Marktzutrittsschranken bei einem Produkt wie den ep2-Terminals nicht
automatisch dazu, dass dieses mit einem anderen Produkt wie den EMV-Terminals zu einem sachlich relevanten
Markt zusammengefasst werden müsste.
365. Die Anwendung der Angebotssubstituierbarkeit
kann entgegen dem Einwand der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 350)
auch nicht auf der Gleichsetzung einer Ausstattung von Zahlungskartenterminals mit einem nationalen Standard
sowie einer Ausstattung mit unterschiedlichen Funktionalitäten bei verschiedenen Zahlungskartenterminals
abgestützt werden. Vielmehr unterscheiden sich beide Aspekte wesentlich im Hinblick auf ihren Inhalt
und ihre Bedeutung. Die Statuierung eines nationalen Branchenstandards führt zu einer Vereinheitlichung
der Kompatibilitätsmerkmale, die zu einem allgemeinen, objektiven Vorteil der entsprechend ausgestatteten
Geräte führen, wovon alle Marktteilnehmer profitieren. Demgegenüber führt die Ausstattung
von Zahlungskartenterminals mit bestimmten einzelnen Funktionen nur zu einer individuellen, subjektiven
Verbesserung der jeweiligen Geräte. So führen etwa die Beschwerdeführerinnen selbst an,
dass die DCC-Funktion der Zahlungskartenterminals nur für einen kleineren Kreis von Händlern
von Relevanz war, während die Ausstattung des ep2-Standards allen Händlern zugutegekommen ist.
Diese Divergenz ist ungeachtet dessen zu berücksichtigen, dass im Rahmen der Herstellung von Zahlungskartenterminals
die Herbeiführung einer entsprechenden Ausstattung mit einem Branchenstandard gegebenenfalls nicht
mehr Aufwand erfordert als die Ausstattung mit bestimmten besonderen Funktionalitäten.
366. Die Beschwerdeführerinnen können
zur Heranziehung der Angebotssubstituierbarkeit nicht auf die Feststellungen des Sekretariats der Wettbewerbskommission
im Verfahren Terminaux de payments (vgl. E. 353)
verweisen. Gegenstand der in jenem Verfahren unter dem Gesichspunkt der Angebotssubstituierbarkeit behandelten
Kriterien waren bestimmte Funktionalitäten der verschiedenen Zahlungskartenterminals, während
der Aspekt einer Ausstattung mit dem nationalen ep2-Standard im Jahr 2000 noch gar nicht Gegenstand der
Marktuntersuchungen bildete.
367. Angesichts der vorstehenden Aspekte kann
im Übrigen dahingestellt bleiben, ob die Ausstattung der EMV-Terminals mit dem ep2-Standard tatsächlich
ohne nennenswerten Aufwand durchgeführt werden kann, wie von den Beschwerdeführerinnen behauptet
wird (vgl. 346
f.). Dies gilt allenfalls für die Aufspielung des ep2-Standards auf die einzelnen EMV-Terminals.
Zu berücksichtigen ist allerdings auch die Zertifizierungsphase des EMV-Terminals mit dem aufgespielten
ep2-Standard. Und diese Zertifizierung kann durchaus auch ein Jahr in Anspruch nehmen, wie sich aufgrund
der unbestrittenen Feststellungen der Vorinstanz ergibt. Unter Berücksichtigung der Haftungsverschärfung
für technisch nicht umgestellte Zahlungskartenterminals ab dem 1. Januar 2005 stellt die Herstellung
einer ep2-Ausrüstung jedenfalls keine kurzfristige Umstellung von EMV-Terminals auf ep2-Terminals
dar.
368. Der Vollständigkeit halber ist darauf
hinzuweisen, dass für die Marktabgrenzung als Terminalhersteller alle Unternehmungen zu zählen
sind, die Zahlungskartenterminals gegenüber den Händlern vertreiben. Dabei wird keine Unterscheidung
vorgenommen, ob es sich hierbei um blosse Wiederverkäufer von Zahlungskartenterminals - wie
z.B. die Card Solutions - oder um die originären Produzenten von Zahlungskartenterminals handelt.
Eine entsprechende Differenzierung ist auch nicht erforderlich, weil nicht der Absatz zwischen Lieferanten
von Zahlungskartenterminals und Wiederverkäufern, sondern ausschliesslich der Absatz zwischen Lieferanten
von Zahlungskartenterminals und Händlern zu beurteilen ist. Die massgeblichen Feststellungen der
Vorinstanz zu konkreten Daten für die Beurteilung der Marktbeherrschung beziehen sich auch ausschliesslich
auf Terminalhersteller in diesem Sinne. Daher ist die entsprechende Differenzierung der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 343)
im Ergebnis unbeachtlich.
b)
Räumlich relevanter Markt
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
369. Die
Beschwerdeführerinnen tragen vor, dass die Terminalhersteller primär international aktive Unternehmen
seien, welche ihre Produkte weltweit produzieren und vertreiben würden. Dass jeweils Anpassungen
an gewisse Spezifikationen in den einzelnen Ländern erfolgen würden, bedeute demnach nicht,
dass diese internationalen Produkte lediglich einem nationalen Wettbewerb ausgesetzt wären. Vielmehr
sei auch im Hinblick auf den räumlich relevanten Markt die Angebotssubstituierbarkeit bei der rechtlichen
Würdigung zu berücksichtigen.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
370. Die Vorinstanz stützt die räumliche
Marktabgrenzung auf die Existenz des ep2-Standards ab.
(3)
Würdigung durch das Gericht
371. Zum
räumlich relevanten Markt sind die vorstehenden allgemeinen Ausführungen zu beachten (vgl.
E. 320).
372. Mit dem ep2-Standard wurde ein spezifischer
nationaler Standard für den Einsatz von Zahlungskartenterminals in der Schweiz geschaffen. Obschon
dieser Standard nicht auf einer gesetzlichen Verpflichtung beruht, führte er zu einer strikten faktischen
Umsetzung bei Zahlungskartenterminals und Verarbeitungsplattformen durch die am Zahlungskartenverkehr
beteiligten Unternehmen. So wurde von der Vorinstanz festgestellt, dass im relevanten Zeitraum alle in
der Schweiz angebotenen Zahlungskartenterminals mit dem ep2-Standard ausgestattet waren.
373. Eine Ausstattung von Zahlungskartenterminals
mit dem ep2-Standard im Ausland wurde von der Vorinstanz nicht festgestellt und von den Beschwerdeführerinnen
auch nicht behauptet. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass ep2-Terminals im Ausland
von anderen Terminalherstellern hätten bezogen werden können. Davon ist angesichts des Umstands,
dass alle relevanten Terminalhersteller bereits in der Schweiz tätig waren und ep2-Terminals angeboten
haben, auch nicht auszugehen. Gegenteiliges wird von der Vorinstanz nicht festgestellt und von den Beschwerdeführerinnen
ebenfalls nicht behauptet.
374. Angesichts dieser Aspekte ergibt sich
eine Begrenzung des räumlich relevanten Markts für ep2-Terminals auf die Schweiz.
375. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 369)
ist die Angebotssubstituierbarkeit entsprechend den Ausführungen zur Abgrenzung des sachlich relevanten
Markts (vgl. E. 361
f.) auch in Bezug auf die Abgrenzung des räumlich relevanten Markts nicht zu beachten.
c)
Zeitlich
relevanter Markt
376. Zum zeitlich relevanten Markt sind die
vorstehenden allgemeinen Ausführungen zu beachten (vgl. E. 338).
377. Im vorliegenden Fall kommt dem zeitlich
relevanten Markt keine Bedeutung zu, weil die vorstehend abgegrenzten sachlich und räumlich relevanten
Märkte keine zeitlich unterschiedlichen Aspekte aufweisen, weshalb eine temporäre Strukturierung
nicht erfoderlich ist. Von den Parteien werden auch keine entsprechenden Behauptungen aufgestellt.
d)
Zwischenergebnis
378. Aufgrund
der vorstehenden Feststellungen ist der Markt der ep2-Terminals einer weiteren rechtlichen Beurteilung
im Rahmen von Art. 7
KG zu Grunde zu legen.
3)
Währungsumrechnung
379. Innerhalb des Geschäftsbereichs des
Devisenhandels grenzt die Vorinstanz den relevanten Markt der DCC-Währungsumrechnung bei Kreditkartentransaktionen
durch den Kartenakquisiteur bzw. einen Dritten in der Schweiz zum einen gegenüber dem Bereich der
Währungsumrechnung bei Kreditkartentransaktionen durch einen Kartenaussteller sowie zum anderen
implizit gegenüber sonstigen Devisenwechselgeschäften ab.
a)
Sachlich relevanter Markt
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
380. Die Beschwerdeführerinnen verweisen
zunächst darauf, dass die Vorinstanz keine umfassende Abgrenzung des Geschäftsbereichs des
Devisenhandels vorgenommen habe und die Festlegung eines Markts der DCC-Währungsumrechnung lediglich
auf einer summarischen Betrachtung und nicht auf verbindlichen Feststellungen beruhe.
381. Nach
Ansicht der Beschwerdeführerinnen handle es sich bei der DCC-Währungsumrechnung nur um eine
Zusatzfunktion im Rahmen der Zahlungskartenakzeptanz.
382. Soweit von einem eigenständigen Markt
auszugehen sei, umfasse der sachlich relevante Markt für Umrechnungsdienstleistungen bei Kreditkartenzahlungen
jedenfalls auch die jeweiligen Umrechnungsdienstleistungen der Kartenaussteller. Denn die Kartenaussteller
seien die grössten Anbieter von Umrechnungsdienstleistungen.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
383. Da die Vorinstanz auf die marktbeherrschende
Stellung der SIX-Gruppe auf den Märkten der Kartenakzeptanz abstellt, nimmt sie zwar im Hinblick
auf die Marktstellung der SIX-Gruppe auf dem Markt der DCC-Umrechnung nur eine summarische Betrachtung
vor. Die Abgrenzung des Markts der DCC-Währungsumrechnung stützt die Vorinstanz dabei auf den
Hinweis der unterschiedlichen Nachfrager ab.
(3)
Würdigung durch das Gericht
384. Aus dem Geschäftsbereich des Devisenhandels
lasssen sich zwei unterschiedliche Märkte für Währungsumrechnungen ableiten, die in Zusammenhang
mit einzelnen Zahlungskartentransaktionen stehen und jeweils von unterschiedlichen Marktgegenseiten nachgefragt
werden.
385. Zum einen die "statische"
Währungsumrechnung durch den Kartenaussteller im Rahmen von dessen finaler Transaktionsabrechnung
gegenüber dem Karteninhaber. Dabei werden die Umrechnungsdienstleistungen des Kartenausstellers
im Rahmen des jeweiligen Zahlungskartensystems unmittelbar gegenüber den Karteninhabern als Marktgegegenseite
angeboten und von diesen nachgefragt, weil ansonsten eine Zahlungskarte im Ausland von den Karteninhabern
nicht als Zahlungsmittel eingesetzt werden könnte.
386. Zum anderen die DCC-Währungsumrechnung
durch den Kartenakquisiteur selbst oder durch ein mit dem Kartenakquisiteur in einem Kooperationsverhältnis
stehendes drittes, auf die Durchführung von Währungsumrechnungen spezialisiertes Unternehmen.
Dabei werden die Umrechnungsdienstleistungen im Rahmen des jeweiligen Zahlungskartensystems vom Kartenakquisiteur
unmittelbar gegenüber dem Händler als Marktgegenseite angeboten und von diesem nachgefragt,
damit dieser in seiner Verkaufsstelle den Karteninhabern gegenüber eine alternative Möglichkeit
zum Devisenwechsel im Rahmen der Zahlungskartentransaktion anbieten kann.
387. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen
sind die Kartenaussteller nicht in den sachlich relevanten Markt der DCC-Währungsumrechnung
mit
einzubeziehen. Die Kartenaussteller erbringen im Bereich der Währungsumrechnung keine Dienstleistung,
die von den Händlern nachgefragt und in Anspruch genommen werden kann. Von den Händlern können
nur Umrechnungsdienstleistungen nachgefragt werden, die entweder von den Kartenakquisiteuren oder durch
Dritte in Kooperation mit den Kartenakquisiteuren erbracht werden. Die Händler weisen auch kein
Interesse an der statischen Währungsumrechnung auf, weil sie lediglich bei der DCC-Währungsumrechnung
durch eine Kommission an den Einnahmen beteiligt werden. Statische und DCC-Währungsumrechung
bilden
demzufolge von vornherein keine substituierbaren Produkte, weil sie sich jeweils an eine andere
Gruppe
von Nachfragern richten.
388. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 381)
bildet die DCC-Währungsumrechnung auch keine blosse zusätzliche Funktion der Zahlungskartenakzeptanz
oder der Zahlungskartenterminals. Vielmehr stellen Zahlungskartenakzeptanz und DCC-Währungsumrechnung
unterschiedliche Produkte dar, weil bei einer funktionellen Betrachtung der Devisenhandel kein notwendiger
Bestandteil einer Zahlungskartentransaktion darstellt. Gleiches gilt sowohl im umgekehrten Sinne als
auch im Verhältnis zwischen Zahlungskartenterminals und DCC-Währungsumrechnung. Demgemäss
werden die jeweiligen Umrechnungsdienstleistungen überwiegend auch durch auf den Devisenhandel spezialisierte
Unternehmen erbracht.
b)
Räumlich
relevanter Markt
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
389. Die Beschwerdeführerinnen gehen von
einem Gesamtmarkt der Währungsumrechnung aus.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
390. Die Vorinstanz stützt ihre Marktabgrenzung
auf die Aspekte ab, die im Rahmen der Würdigung des Gerichts dargestellt werden.
(3)
Würdigung durch das Gericht
391. Zum räumlich relevanten Markt sind
die vorstehenden allgemeinen Ausführungen zu beachten (vgl. E. 320).
392. Die DCC-Währungsumrechnung wurde
den Händlern ausschliesslich in Verbindung mit den Dienstleistungen eines Kartenakquisiteurs angeboten.
Dies gilt sowohl für die Kooperationen von Aduno/First Currency Choice (Schweiz) AG, B&S/FCC
Service Europe AB und ConCardis/ Fexco als auch für die SIX-Gruppe, bei der Multipay als Kartenakquisiteur
und Dienstleister der Währungsumrechnung auftrat. Dem Händler kam daher keine Möglichkeit
zur Auswahl eines bestimmten Kartenakquisiteurs und eines bestimmten Dienstleisters für die Währungsumrechnung
zu. Vielmehr zog die Wahl des Kartenakquisiteurs automatisch auch die Auswahl des Dienstleisters für
die DCC-Währungsumrechnung nach sich.
393. Vor diesem Hintergrund ist es sachgerecht,
die Abgrenzung des räumlich relevanten Markts für den Markt der DCC-Währungsumrechnung
am räumlich relevanten Markt der Zahlungskartenakzeptanz auszurichten.
394. Demzufolge bildet auch für den Markt
der DCC-Währungsumrechnung die Schweiz den räumlich relevanten Markt.
c)
Zeitlich
relevanter Markt
395. Zum zeitlich relevanten Markt sind die
vorstehenden allgemeinen Ausführungen zu beachten (vgl. E. 338).
396. Im vorliegenden Fall kommt dem zeitlich
relevanten Markt keine Bedeutung zu, weil die vorstehend abgegrenzten sachlich und räumlich relevanten
Märkte keine zeitlich unterschiedlichen Aspekte aufweisen, weshalb eine temporäre Strukturierung
nicht erfoderlich ist. Von den Parteien werden auch keine entsprechenden Behauptungen aufgestellt.
d)
Zwischenergebnis
397. Aufgrund
der vorstehenden Feststellungen ist der Markt der DCC-Währungsumrechnung in der Schweiz einer weiteren
rechtlichen Beurteilung im Rahmen von Art. 7
KG zu Grunde zu legen.
VI.
Marktstellung
398. Die
Vorinstanz kommt zum Ergebnis, dass die SIX-Gruppe auf dem Markt der Kreditkartenakzeptanz von Mastercard
und Visa sowie auf dem Markt der Debitkartenakzeptanz von Maestro im relevanten Zeitraum von Juli 2005
bis Januar 2007 eine marktbeherrschende Stellung eingenommen habe. Die lediglich implizit abgegrenzten
Märkte der Kreditkartenakzeptanz und der Debitkartenakzeptanz der übrigen Zahlungskartensysteme
werden hingegen keiner Beurteilung über die jeweilige Marktstellung der SIX-Gruppe zugeführt.
399. Für den Markt der DCC-Währungsumrechnung
und den Markt der ep2-Terminals kommt die Vorinstanz aufgrund einer kursorischen Prüfung jeweils
zum Ergebnis, dass die SIX-Gruppe zwar eine markante, nicht aber eine marktbeherrschende Stellung aufweise.
400. Die Beschwerdeführerinnen machen
geltend, dass der SIX-Gruppe weder auf den verschiedenen Märkten der Zahlungskartenakzeptanz noch
auf dem Markt für DCC-Währungsumrechnung noch auf dem Markt für ep2-Terminals eine marktbeherrschende
Stellung zukommen würde.
401. Nachdem die Vorinstanz auf eine abschliessende
Abklärung der Stellung der SIX-Gruppe auf dem Markt der DCC-Währungsumrechnung sowie auf dem
Markt der ep2-Terminals verzichtet hat und die Beschwerdeführerinnen eine marktbeherrschende Stellung
auf diesen Märkten ohnehin bestreiten, kann auf eine gerichtliche Überprüfung der Marktstellung
der SIX-Gruppe auf diesen Märkten verzichtet werden, weil ein wettbewerbswidriges Verhalten gemäss
Art. 7
KG sowohl in Form einer Geschäftsverweigerung als auch in Form einer Koppelung bereits auf
Grundlage der marktbeherrschenden Stellung auf den durch die Vorinstanz untersuchten Märkten der
Zahlungskartenakzeptanz nachgewiesen werden kann. Die gerichtliche Überprüfung ist daher auf
die Stellung der SIX-Gruppe auf dem Markt der Kreditkartenakzeptanz von Mastercard und Visa sowie auf
dem Markt der Debitkartenakzeptanz von Maestro im relevanten Zeitraum zu beschränken.
1)
Marktbeherrschendes Unternehmen
402. Gemäss
Art. 4 Abs. 2
KG gilt ein Unternehmen als marktbeherrschend, wenn es in der Lage ist, sich allein oder
in Verbindung mit anderen Unternehmen auf einem Markt von anderen Marktteilnehmern (Mitbewerbern, Anbietern
oder Nachfragern) in wesentlichem Umfang unabhängig zu verhalten. Die Fähigkeit eines Unternehmens
zu einem in wesentlichem Umfang unabhängigen Verhalten äussert sich in einem besonderen Verhaltensspielraum
gegenüber anderen Marktteilnehmern, der es ihm zumindest ermöglicht, auf bestehende Wettbewerbsbedingungen
keine Rücksicht nehmen zu müssen, um beachtenswerte Nachteile zu vermeiden, oder der es ihm
darüber hinausgehend ermöglicht, die Wettbewerbsbedingungen immerhin merklich zu beeinflussen
oder sogar zu bestimmen. Ein solch besonderer Verhaltensspielraum besteht hingegen regelmässig nicht,
wenn ein Unternehmen durch ausreichenden Wettbewerbsdruck in seinem Verhalten diszipliniert wird (vgl.
BGE 139 I 72, Publigroupe, E. 9.3.1; BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 311; BVGer, B-2977/2007, Publigroupe, E. 6.1;
BVGer, B-2050/2007, Terminierung Mobilfunk, E. 10.1; EuGH, 14.2.1978,
27/76, United Brands Continentaal BV gg. EU-Kom, EU:C:1978:22, zit. United
Brands, Ziff. 63/66; EuGH, EU:C:1979:36, Hoffmann-La Roche,
Ziff. 38 f.; EuGH, 9.11.83, 322/81, N.V. Nederlandsche Banden-Industrie Michelin BV gg. EU-Kom, EU:C:1983:313,
zit. Michelin, E. 30;
Borer, KG, Art. 4
Rn. 16 f.; Clerc/Këllezi, CR-Concurrence,
Art. 4 II Rn. 119 ff.; Reinert/Bloch, BSK-KG,
Art. 4 Abs. 2 Rn. 262; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn. 166 ff.).
403. Massgebend
für die Beurteilung der Stellung eines Unternehmens auf dem relevanten Markt ist eine wertende Beurteilung
aller relevanten Aspekte, die im Einzelfall für oder gegen die Möglichkeit eines unabhängigen
Verhaltens sprechen (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 312
mit Verweis auf Botschaft KG 1995, 548; BVGer, B-2050/2007, Terminierung
Mobilfunk, E. 10.1; EuGH, EU:C:1978:22, United Brands, Ziff. 63/66; EuGH, EU:C:1983:313,
Michelin, Ziff. 31; EuG, 12.12.1991, T-30/89, Hilti AG gg. EU-Kom,
EU:T:1991:70, zit. Hilti, Ziff. 90; Borer,
KG, Art. 4 Rn. 18; Clerc/Këllezi,
CR-Concurrence, Art. 4 II Rn. 124; David/Jacobs,
WBR, Rn. 696; Reinert/Bloch,
BSK-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn. 268; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn.
220; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 2.52; Bulst, LB-EUKR,
Art. 102 Rn. 44; Fuchs/Möschel, IM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 77; Schröter/Bartl, SJKM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 91). Im Rahmen einer derartigen Gesamtanalyse kommt keinem der prinzipiell zu
berücksichtigenden Aspekte ein absoluter Vorrang aufgrund allgemeiner Umstände zu (vgl. BVGer,
B-7633/2009, ADSL II, E. 312; Clerc/Këllezi,
CR-Concurrence, Art. 4 II Rn. 131).
404. Ungeachtet dessen, dass sich in der Wettbewerbspraxis
bislang keine abschliessende Ordnung der Kriterien zur Prüfung der Marktstellung herausgebildet
hat, bilden die wesentlichen Grundlagen einer Beurteilung der Einzelmarktbeherrschung eine Untersuchung
der Marktstruktur, bei der regelmässig die Aspekte des aktuellen und des potenziellen Wettbewerbs
unter gesonderter Berücksichtigung der Stellung der Marktgegenseite bzw. des Einflusses eines zusammenhängenden
Markts abzuklären sind, der Unternehmensstruktur, mit der spezifische Merkmale und Eigenschaften
des jeweiligen Unternehmens für ein unabhängiges Verhalten zu beachten sind, sowie gegebenenfalls
eine Berücksichtigung des konkreten Marktverhaltens eines Unternehmens (vgl. BVGer, B-7633/2009,
ADSL II, E. 312; BVGer, B-2050/2007, Terminierung
Mobilfunk, E. 10.1; EuGH, EU:C:1978:C:22, United Brands,
Ziff. 67/68; Borer, KG,
Art. 4 Rn. 18 ff.; Clerc/Këllezi, CR-Concurrence,
Art. 4 II Rn. 131; David/Jacobs, WBR,
Rn. 697 f.; Reinert/Bloch, BSK-KG,
Art. 4 Abs. 2 Rn. 270 ff.; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn. 220; Weber/Volz,
FHB-WBR, Rn. 2.54 ff.; Bulst,
LB-EUKR, Art. 102 Rn. 44; Fuchs/Möschel,
IM-EUWBR, Art. 102 Rn. 74; Schröter/Bartl,
SJKM-EUWBR, Art. 102 Rn. 91).
405. Die
marktbeherrschende Stellung ist nicht anhand fixer Kriterien, sondern immer mit Blick auf die konkreten
Verhältnisse auf dem jeweils relevanten Markt festzustellen (vgl. BGE 139 I 72, Publigroupe,
E. 9.3.1; EuGH, EU:C:1979:36, Hoffmann-La Roche, Ziff. 38
f.; Borer, KG, Art. 4
Rn. 18; Clerc/Këllezi, CR-Concurrence,
Art. 4 II Rn. 132; David/Jacobs, WBR,
Rn. 696). Daher kann der Grad der Marktmacht, der jeweils für die Feststellung einer Marktbeherrschung
im Einzelfall erforderlich ist, erheblich variieren. Es bestehen demzufolge auch keine allgemein gültigen
Voraussetzungen für das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 313). Die Bestätigung einer marktbeherrschenden Stellung setzt insbesondere nicht
voraus, dass der wirksame Wettbewerb auf dem relevanten Markt beseitigt wird (vgl. BVGer, B-7633/2009,
ADSL II, E. 313; BVGer, B-2977/2007, Publigroupe,
E. 6.1; BVGer, B-2050/2007, Terminierung Mobilfunk, E. 10.1 m.w.H.;
EuGH, EU:C:1978:C:22, United Brands, Ziff. 108/110). Vielmehr
kann ein besonderer Verhaltensspielraum zu Gunsten eines einzelnen Unternehmens auch bei Vorliegen von
(Rest-)Wettbewerb durch andere Unternehmen gegeben sein. Zudem sind die Gründe für die Entwicklung
einer marktbeherrschenden Stellung für deren Untersuchung und Feststellung unerheblich (vgl. BVGer,
B-7633/2009, ADSL II, E. 313; Clerc/Këllezi,
CR-Concurrence, Art. 4 II Rn. 125). Für die Beurteilung einer
marktbeherrschenden Stellung findet der Wahrscheinlichkeitsbeweis gemäss den Grundsätzen zur
Bewertung von komplexen Wettbewerbslagen mit multiplen Wirkungszusammenhängen Anwendung (vgl. E.
1219;
BGE 139 I 72, Publigroupe, E. 8.3.2, 9.2.3.5; BVGer,
B-7633/2009, ADSL II, E. 158 m.w.H., BVGer, B-829/2012, Granella,
E. 7.4.3.4; BVGer, B-807/2012, Erne, E. 8.4.4.4).
2)
Massgeblicher Beurteilungszeitraum
406. Zwischen den Parteien ist streitig, welcher
Zeitraum für die Feststellung der marktbeherrschenden Stellung heranzuziehen ist und in welcher
Weise die Feststellung der Marktbeherrschung im Dispositiv dokumentiert werden kann.
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
407. Im
Hinblick auf die Festellung der marktbeherrschenden Stellung und deren zeitlicher Ausdehnung machen die
Beschwerdeführerinnen geltend, der Sachverhalt sei von der Vorinstanz nur bis Ende 2008 erstellt
worden, nicht aber für die Jahre 2009 und 2010.
408. Zudem erheben sie den Einwand, eine allgemeine
Feststellung der Marktbeherrschung über den beurteilten Zeitraum hinaus im Dispositiv sei unzulässig.
Entsprechend beantragen die Beschwerdeführerinnen eventualiter eine Anpassung der Ziff. 1 des Dispositivs.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
409. Im Zusammenhang mit der Frage nach der
zeitlichen Ausdehnung der Feststellung der marktbeherrschenden Stellung über das Jahr 2008
hinaus bringt die Vorinstanz vor, es entspreche ihrer Praxis, die marktbeherrschende Stellung eines Unternehmens
in allgemeiner Weise festzustellen. Eine zeitliche Beschränkung auf die letzte Sachverhaltsermittlung
oder das Verfügungsdatum fände nicht statt. Wäre die Feststellung zeitlich zu beschränken,
so würde überdies die Meldepflicht für Unternehmenszusammenschlüsse gemäss Art.
9 Abs. 4
KG vollständig ausgehölt. Zudem erfolge die Ermittlung des Sachverhalts regelmässig
vor der Redaktion des Antrags des Sekretariats, der Stellungnahme der Parteien zum Antrag sowie der Entscheidphase
bei der Vorinstanz. Dies gelte insbesondere für die Marktdaten, welche oftmals nur für das
abgeschlossene Vorjahr vorlägen. Die Marktdaten könnten daher nicht "tagesaktuell"
zum Zeitpunkt des Erlasses der verfahrensabschliessenden Verfügung durch die Wettbewerbskommission
sein.
(3)
Würdigung durch das Gericht
410. In
Zusammenhang mit der Feststellung des Bestehens einer marktbeherrschenden Stellung eines Unternehmens
gemäss Art. 7
KG sind die Aspekte des Rechtscharakters und der Wirkung einer entsprechenden Feststellung,
die materielle Beurteilung der Marktbeherrschung als Grundlage eines marktmissbräuchlichen Verhaltens,
die formale Erwähnung der Feststellung bzw. der Marktbeherrschung im Dispositiv sowie die Meldepflicht
für Unternehmenszusammenschlüsse gemäss Art. 9 Abs. 4
KG zu unterscheiden.
411. Im Hinblick auf den Charakter und die
Wirkung einer Feststellung der Marktbeherrschung ist zunächst festzuhalten, dass dieser keine pflichtbegründende
und damit konstitutive Wirkung zukommt. Vielmehr wird das Tatbestandselement der Marktbeherrschung mit
Eintritt der entsprechenden tatsächlichen Gegebenheiten auf dem jeweiligen Markt verwirklicht. Einer
kartellverfahrensrechtlichen Feststellung kommt daher lediglich ein rein deklaratorischer Charakter zu.
Ansonsten wäre ein missbräuchliches Verhalten gemäss Art. 7
KG von vornherein gar nicht
tatbestandsmässig, was der Konzeption des neuen Kartellgesetzes offensichtlich widersprechen würde
(vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 321).
412. Für das Bestehen einer marktbeherrschenden
Stellung im relevanten Zeitraum ist es demzufolge unbeachtlich, ob in einem anderen vorgängig durchgeführten
Kartellverwaltungs- oder sektorspezifischen Regulierungsverfahren eine entsprechende Feststellung getroffen
oder nicht getroffen wurde (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL II,
E. 322).
413. Umgekehrt weist die Feststellung der Marktbeherrschung
für eine bestimmte Periode grundsätzlich keine verbindliche Wirkung für einen späteren
Zeitraum auf. Deshalb ist es ausgeschlossen, für spätere Zeiträume ohne weitere Prüfung
der dann bestehenden Umstände eine Marktbeherrschung anzunehmen. Vielmehr muss das Tatbestandsmerkmal
der Marktbeherrschung für jedes Verfahren neu abgeklärt werden, auch wenn hierbei unter Berücksichtigung
der prozessualen Rechte der Verfahrensbeteiligten auf bereits vorgenommene Untersuchungshandlungen oder
Beweismassnahmen zurückgegriffen werden kann (vgl. BGE 137 II 199, Terminierung
Mobilfunk, E. 6.5.1).
414. Die marktbeherrschende Stellung eines
Unternehmens bildet die notwendige Voraussetzung für ein marktmissbräuchliches Verhalten gemäss
Art. 7
KG. Die Untersuchung und Feststellung der marktbeherrschenden Stellung eines Unternehmens erfolgt
dabei ausschliesslich im Hinblick auf eine bestimmte wirtschaftliche Handlung des Unternehmens und nicht
losgelöst von dessen wirtschaftlichem Verhalten. Im Rahmen von Art. 7
KG ist demzufolge eine rein
abstrakte Feststellung der Marktbeherrschung eines Unternehmens ausgeschlossen.
415. Die Feststellung der marktbeherrschenden
Stellung eines Unternehmens gemäss Art. 7
KG steht somit in einem Sachzusammenhang mit der Dauer
des kartellrechtlich zu beurteilenden wirtschaftlichen Verhaltens als relevantem, d.h. massgeblichem
Zeitraum. Für die Beurteilung einer allfälligen Wettbewerbswidrigkeit ist die Stellung des
jeweiligen Unternehmens vor und nach dem relevanten Zeitraum hingegen irrelevant. Für diese Zeiten
kommt der Marktstellung des Unternehmens allenfalls insoweit eine gewisse Bedeutung zu, als daraus Rückschlüsse
auf die Marktstellung im relevanten Zeitraum vorgenommen werden können.
416. Vorliegend steht das wirtschaftliche Verhalten
der SIX-Gruppe zwischen Juli 2005 und Januar 2007 als relevanter Zeitraum in Frage. Dementsprechend ist
die Stellung der SIX-Gruppe in den relevanten Märkten für diesen Zeitraum festzustellen. Demgegenüber
ist die Marktstellung der SIX-Gruppe in den Jahren 2008 bis 2010 für die Beurteilung des vorliegenden
Sachverhalts unbeachtlich. Daher ist es entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen (vgl. E.
407)
irrelvant, ob die Marktstellung der SIX-Gruppe für die Jahre 2009 und 2010 von der Vorinstanz abgeklärt
wurde oder nicht. Für die Feststellung der Marktstellung der SIX-Gruppe im relevanten Zeitraum bedarf
es auch keines Rückschlusses von deren Stellung in den Jahren 2009 und 2010.
417. Umgekehrt kann im Rahmen einer Sanktionsverfügung
allenfalls festgestellt werden, dass eine marktbeherrschende Stellung als Grundlage eines marktmissbräuchlichen
Verhaltens während des jeweils relevanten Zeitraums bestanden hat. Die Formulierung in Ziff. 1 des
Dispositivs der angefochtenenen Verfügung (vgl. SV J.l),
wonach die marktbeherrschende Stellung "bereits in der für den Missbrauch massgeblichen Zeitperiode"
bestand, ist daher jedenfalls insoweit nicht korrekt, als dadurch zum Ausdruck gebracht wird, dass die
marktbeherrschende Stellung auch nach dem relevanten Zeitraum gegeben ist.
418. Im
Hinblick auf die Zulässigkeit der Feststellung einer marktbeherschenden Stellung oder eines marktmissbräuchlichen
Verhaltens im Rahmen des Dispositivs eines Urteils hatte das Bundesgericht zunächst entschieden
(BGE 137 II 199, Terminierung Mobilfunk, E. 6), dass es für
die Beurteilung einer Sanktionsverfügung gemäss Art. 49a
KG grundsätzlich weder erforderlich
noch zulässig sei, im Dispositiv die Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung oder eines
wettbewerbswidrigen Verhaltens gesondert vorzunehmen. In Anwendung dieser bundesgerichtlichen Rechtsprechung
hat auch das Bundesverwaltungsgericht in einem späteren Urteil derartige Feststellungen dementsprechend
abgelehnt (BVerwG, B-3677/2009, ADSL II, E. 381 ff.). Mittlerweile
hat das Bundesgericht in einer neueren Entscheidung zu Wettbewerbsabreden gemäss Art. 5
KG die Möglichkeit
zur Feststellung der Wettbewerbswidrigkeit eines bestimmten wirtschaftlichen Verhaltens im Dispositiv
allerdings anerkannt (vgl. BGer, 18.5.2018, 2C_101/2016, Altimum SA gg. Weko, publ. in: BGE 144 II 246,
zit. Altimum, E. 17 [nicht publ.]).
419. Die Möglichkeit einer Feststellung
des wettbewerbswidrigen Verhaltens ist auch bei der Beurteilung einer Sanktionsverfügung in Bezug
auf Art. 7
KG ungeachtet einer fehlenden ausdrücklichen Rechtsgrundlage aus verschiedenen Gründen
sachgerecht. Zunächst ist zu beachten, dass bei einer Beschwerde gegenüber einer Sanktionsverfügung
der Wettbewerbskommission ein Beschwerdeführer regelmässig nicht nur die Sanktion als solche
angreift, sondern auch eine Änderung der Qualifizierung des der Sanktion zu Grunde liegenden Verhaltens
als wettbewerbswidrig begehrt. Denn wie bei einer nicht mit direkten Sanktionen gemäss Art. 49a
KG belegten sonstigen wettbewerblichen Verhaltensweise stellt sich für ein am Verfahren beteiligtes
Unternehmen die prinzipielle Frage, ob die betreffende Verhaltensweise in Zukunft vorgenommen werden
darf oder nicht. Daher bedarf es auch eines gerichtlichen Ausspruchs über die Zulässigkeit
des konkreten wettbewerblichen Verhaltens, weil dadurch die Rechte und Pflichten des Unternehmens festgelegt
werden. Zudem ergibt sich allein aus der Feststellung einer Sanktionierung gemäss Art. 49a
KG
nicht, ob die Sanktion auf einer unzulässigen Wettbewerbsabrede oder einem unzulässigen marktmissbräuchlichen
Verhalten beruht; eine entsprechende Transparenz ist im Hinblick auf Art. 9 Abs. 4
KG aber sachdienlich.
Darüber hinaus bleibt ein Bedürfnis für die Feststellung der Wettbewerbswidrigkeit eines
konkreten wirtschaftlichen Verhaltens gerade auch dann bestehen, wenn eine Sanktionierung aus verschiedenen
Gründen entfällt, z.B. weil die Entfallfrist des Art. 49a Abs. 3 lit. b
KG oder die Grundsätze
einer überlangen Verfahrensdauer Anwendung finden.
420. Selbst bei Anerkennung der sachgerechten
Feststellung eines marktmissbräuchlichen Verhaltens im Dispositiv eines Entscheids bedarf es allerdings
auch unter Berücksichtigung von Art. 9 Abs. 4
KG im Regelfall jedoch keiner zusätzlichen gesonderten
Feststellung der marktbeherrschenden Stellung des betreffenden Unternehmens. Denn durch die Feststellung
eines marktmissbräuchlichen Verhaltens gemäss Art. 7
KG wird notwendigerweise implizit das
Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung bejaht. Gleichzeitig wird dadurch die Anwendung von Art.
9 Abs. 4
KG nicht verhindert, weil mit der Feststellung eines wettbewerbswidrigen Verhaltens wiederum
keine Aussage darüber verbunden ist, dass die marktbeherrschende Stellung nach dem der Feststellung
jeweils zu Grunde liegenden relevanten Zeitraum nicht mehr vorliegt.
(4)
Zwischenergebnis
421. Die Beschwerde ist in Bezug auf die Feststellung
der Marktbeherrschung durch die SIX-Gruppe im Dispositiv der angefochtenen Verfügung begründet.
Die Ziff. 1 des Dispositivs der angefochtenen Verfügung ist deshalb aufzuheben. Allerdings kommt
dieser formalen Aufhebung weder eine inhaltliche Bedeutung für die Beurteilung der marktbeherrschenden
Stellung der SIX-Gruppe noch für die Behandlung des Falles insgesamt zu.
3)
Markt für Kreditkartenakzeptanz von Mastercard und Visa
422. Im
Hinblick auf die Stellung der SIX-Gruppe auf dem Markt der Kreditkartenakzeptanz von Mastercard und Visa
kommt den Aspekten des aktuellen Wettbewerbs, des potenziellen Wettbewerbs und der Unternehmensstruktur
sowie der Stellung der Marktgegenseite eine massgebliche Bedeutung für die Beurteilung zu.
a)
Aktueller Wettbewerb
423. Unter
dem Gesichtspunkt des aktuellen Wettbewerbs ist nach der Wettbewerbspraxis festzustellen, in welchem
Ausmass das betreffende Unternehmen unmittelbar einem Wettbewerbsdruck durch Konkurrenten, die bereits
tatsächlich auf dem relevanten Markt tätig sind, ausgesetzt ist.
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
424. Die
Marktentwicklung spreche gegen das Vorliegen einer Marktbeherrschung. Auf der Grundlage der offiziellen
Zahlen der statistischen Monatshefte der Schweizerischen Nationalbank ergebe sich, dass die Anteile der
SIX-Gruppe im Zeitraum von 2004 bis 2009 kontinuierlich von 60% auf 54% abgenommen hätten. Die von
der Vorinstanz verwendeten Zahlen könnten hingegen wegen fehlender Offenlegung der Quellen und der
exakten Anteile nicht überprüft und damit auch nicht herangezogen werden.
425. Dieser
Feststellung widerspreche auch nicht der Umstand, dass die Umsätze von der SIX-Gruppe mit Mastercard
und Visa in den letzten vier Jahren kontinuierlich angestiegen seien, weil dies auf dem erheblichen Anwachsen
des Gesamtmarkts beruhe. Vielmehr könne hieraus abgeleitet werden, dass alle Kartenakquisiteure
hätten wachsen können und dass insbesondere die Wettbewerber stärker gewachsen seien als
die SIX-Gruppe.
426. Der
schweizerische Markt sei hinsichtlich der Verarbeitungskosten zu klein, um tatsächlich Skaleneffekte
als Grössenvorteile erzielen zu können. Die Verarbeitung sei zudem nicht an Landesgrenzen gebunden,
sondern finde zentral statt. Deshalb sei die SIX-Gruppe auch ausserhalb der Schweiz aktiv, um eine ausreichende
Anzahl an Transaktionen generieren zu können. Hierbei hätte die SIX-Gruppe keinen spezifischen
Vorteil, weil sie auf europäischer Ebene ein kleiner Wettbewerber sei. Daher könnten keine
relevanten Einsparungen erzielt werden. Die Wettbewerber der SIX-Gruppe seien zum Teil erheblich grösser
und könnten deshalb insbesondere in der Verarbeitung erheblich stärkere Grössenvorteile
einsetzen.
427. Dass die SIX-Gruppe diverse Produkte parallel
anbiete, sei kein spezielles Merkmal von ihr. Vielmehr böten sämtliche Kartenakquisiteure jeweils
mehrere Produkte an. Daher könnten keine spezifischen Verbundvorteile aufgrund von Skaleneffekten
abgeleitet werden.
428. Die langfristigen Akzeptanzverträge
würden keine Regelung über eine Exklusivitätsbindung oder ein Konkurrenzverbot enthalten
und eine Verrechnung würde allein in Bezug auf die tatsächlich bezogenen Leistungen erfolgen.
Daher würden diese Verträge kein Expansionshindernis für andere Wettbewerber darstellen.
429. Es bestehe auch kein Abhängigkeitsverhältnis
seitens ConCardis oder B+S. Deren langfristige Routing- und Konvertierungsverträge mit der SIX-Gruppe
seien rein technisch begründet. Hintergrund sei dabei, dass diese Kartenakquisiteure nicht eigenständig
die notwendigen technischen Protokolle umsetzen wollten. Aufgrund von deren Make or Buy-Entscheidung
ergäbe sich der Bestand des Vertragsverhältnisses. Aus diesem Umstand könne kein Abhängigkeitsverhältnis
abgeleitet werden, welches die Wettbewerbswirksamkeit beeinträchtige.
430. Der von Aduno einseitig platzierte Wunsch
nach einer Fusion bilde keine Grundlage für die Annahme, dass dieses Unternehmen seine eigene Wettbewerbsfähigkeit
in Frage gestellt habe, wie von der Vorinstanz geltend gemacht werde. Bei dieser Annahme handle es sich
um eine reine Spekulation der Vorinstanz.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
431. Die Vorinstanz begründet das Bestehen
einer marktbeherrschenden Stellung zunächst unter Verweis auf die Marktstellung der SIX-Gruppe,
die Marktanteilsverteilung sowie die Marktanteilsentwicklung auf den Märkten der Kreditkartenakzeptanz,
die nachfolgend auch im Zentrum der Würdigung durch das Gericht stehen.
432. Darüber
hinaus macht sie spezifische Marktaspekte geltend, welche diese Annahme unterstützen würden.
433. So handle es sich beim Akzeptanzgeschäft
um ein Volumengeschäft, in dem Grössenvorteile eine wichtige Rolle spielen würden, um
die relativ hohen Fixkosten ausgleichen zu können, wodurch die Wettbewerbsfähigkeit erhöht
werde.
434. Durch die Möglichkeit, sowohl unterschiedliche
Zahlungskarten als auch verschiedene Produkte aus dem Bereich Akzeptanzgeschäft, Terminalgeschäft
und Währungsumrechnung anbieten zu können, ergäben sich für die SIX-Gruppe erhebliche
Verbundvorteile.
435. Aufgrund des Umstands, dass die Laufzeit
der Akzeptanzverträge jeweils hoch gewesen sei und spätestens ab 2006 nur noch weniger als
{5-[ ]-15}% der Händler über einen Akzeptanzvertrag
mit einer Laufzeit von weniger als drei Jahren ausgestattet gewesen seien, während mehr als {45-[ ]-55}%
Mehrheit der Händler sogar Verträge mit Laufzeiten von mehr als vier Jahren abgeschlossen hätten,
ergebe sich eine erhöhte Bindungswirkung zu Gunsten der SIX-Gruppe, welche eine Abwanderung der
Händler im Rahmen der notwendigen Ersetzung der bestehenden Zahlungskartenterminals durch neue ep2-Terminal
möglichst verhindern sollte.
436. Das Bestehen von Zusammenarbeitsverträgen
im technischen Bereich zwischen den anderen Wettbewerbern und der SIX-Gruppe während des relevanten
Zeitraums habe zu einem Abhängigkeitsverhältnis geführt, weil diese Konkurrenten darauf
angewiesen gewesen seien, dass die Zusammenarbeit mit der SIX-Gruppe funktioniere.
437. Das Angebot von Aduno vom September 2006
gegenüber der SIX-Gruppe, das Akzeptanzgeschäft zusammenzulegen, habe dazu geführt, dass
Aduno keine disziplinierende Wirkung auf die SIX-Gruppe habe ausüben können.
(3)
Würdigung durch das Gericht
(a)
Ausgangslage
438. Für
eine Beurteilung des aktuellen Wettbewerbs sind nach der Wettbewerbspraxis insbesondere folgende Faktoren
von Bedeutung: (i) der Marktanteil des Unternehmens; (ii) die Marktanteilsverteilung; (iii) die Marktanteilsentwicklung;
(iv) das Vorliegen von besonderen Marktphasen; (v) das Vorliegen von spezifischen Marktaspekten.
439. Aus diesen Aspekten ist eine Bewertung
abzuleiten, ob die Konkurrenten in der Lage sind, einen disziplinierenden Einfluss auf das betreffende
Unternehmen auszuüben. Das Ergebnis dieser Bewertung ist von den konkreten Umständen des Einzelfalls
abhängig. Als Faustregel lässt sich hierzu jedoch festhalten: Je höher der Marktanteil
des Unternehmens ist oder je grösser der Abstand zwischen dem Marktanteil des untersuchten Unternehmens
und den Marktanteilen seiner Konkurrenten ist bzw. je kleiner die Marktanteile der Konkurrenten sind,
umso eher ist von einer marktbeherrschenden Stellung auszugehen (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 331; Reinert/Bloch, BSK-KG,
Art. 4 Abs. 2 Rn. 275; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 2.55).
(b)
Marktanteil des Unternehmens
440. Den zentralen Aspekt und Ausgangspunkt
für die Prüfung des aktuellen Wettbewerbs bildet der Marktanteil des betreffenden Unternehmens.
Je höher die Marktanteile ausfallen, umso eher bilden sie die Grundlage für die Feststellung
einer marktbeherrschenden Stellung; allerdings schliessen sie einen wirksamen Wettbewerb nicht zwangsläufig
aus (vgl. BGE 139 I 72, Publigroupe, E. 9.3.3.2; BGer, 14.6.2004,
2A.306/2003, W. SA gg. Preisüberwacher, publ. in: BGE 130 II 449, zit. TV-Abo-Preise,
E. 5.7.2; Clerc/Këllezi, CR-Concurrence,
Art. 4 II Rn. 137; Reinert/ Bloch, BSK-KG,
Art. 4 Abs. 2 Rn. 270 f.; Stäuble/Schraner, Dike-KG,
Art. 4 Abs. 2 Rn. 225).
441. Aus der Wettbewerbspraxis lassen sich
gewisse Anhaltspunkte für die Beurteilung einer marktbeherrschenden Stellung anhand des jeweiligen
Marktanteils bei Absatzmärkten und der sich dabei üblicherweise ergebenden Marktanteilsverteilung
ableiten (vgl. allgemein die Übersichten bei Clerc/Këllezi,
CR-Concurrence, Art. 4 II Rn. 138 f.; David/jacobs,
WBR, Rn. 700 ff.; Reinert/Bloch,
BSK-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn. 278 ff.; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn. 228).
442. Marktanteile ab 50% begründen nach
der Wettbewerbspraxis zumindest eine Vermutung für das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung,
die nur bei Vorliegen von entgegenstehenden Faktoren widerlegt wird (vgl. BGE 139 I 72, Publigroupe,
E. 9.3.3.2; EuGH, EU:C:1991:286, Akzo, Ziff. 60; EuG, 1.7.2010,
T-321/05, AstraZeneca AB u.a. gg. EU-Kom, EU:T:2010:286, zit. AstraZeneca,
Ziff. 243, 288; Borer, KG,
Art. 4 Rn. 19; Clerc/Këllezi, CR-Concurrence,
Art. 4 II Rn. 138, 151; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rz. 2.549; Bulst, LB-EUKR,
Art. 102 Rn. 54; Fuchs/Möschel, IM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 91; Schröter/Bartl, SJKM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 96; Weber Olaf,
SJ-KartellR, Art. 102
Rn. 35; a.A. Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn. 226, Vermutungsschwelle bei 60%; David/jacobs,
WBR, Rn. 698, Vermutungsschwelle bei 75%; Reinert/Bloch,
BSK-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn. 277, keine Vermutungswirkung). Diese
Vermutung wird bei Marktanteilen über 60% oder 70% weiter verstärkt, weshalb bei derartigen
Marktkonstellationen die Anforderungen an eine Widerlegung der Vermutung durch gegenteilige Faktoren
entsprechend höher sind.
(c)
Marktanteilsverteilung
443. Die Ausprägung der Vermutung für
eine marktbeherrschende Stellung durch den jeweiligen Marktanteil hängt zudem von der konkreten
Marktanteilsverteilung ab, die nach der Wettbewerbspraxis insbesondere folgende Aspekte für die
Feststellung der tatsächlich vorhandenen Marktmacht umfasst: (i) die Anzahl der Konkurrenten, (ii)
die Marktanteile der Konkurrenten, (iii) das Verhältnis zwischen dem Marktanteil des betreffenden
Unternehmens und den Marktanteilen der Konkurrenten, sowie (iv) die Wirtschaftskraft der Konkurrenten.
444. Die Berücksichtigung dieser Aspekte
lässt sich durch folgende Faustregel bestimmen: Je geringer die Marktanteile der vorhandenen Konkurrenten
sind und umso grösser der Abstand zwischen dem Marktanteil des Unternehmens zum Marktanteil des
nächsten Konkurrenten dadurch ausfällt, umso eher ist eine marktbeherrschende Stellung des
Unternehmens gegeben.
445. In der Wettbewerbspraxis führen eine
Zersplitterung der Konkurrenz und ein daraus resultierender grösserer Abstand zwischen dem Marktanteil
des Unternehmens und den Marktanteilen seiner Konkurrenten zumeist zur Bejahung einer marktbeherrschenden
Stellung ungeachtet der tatsächlichen Höhe des jeweiligen Marktanteils eines Unternehmens (vgl.
Weko, 18.12.2000, RPW 2001/1, 95, Intensiv SA, Ziff. 37;
Clerc/Këllezi, CR-Concurrence,
Art. 4 II Rn. 155 f.; Stäuble/Schraner, Dike-KG,
Art. 4 Abs. 2 Rn. 231). In diesem Fall können auch Marktanteile von weniger als 50% für die
Qualifizierung einer marktbeherrschenden Stellung ausreichen (vgl. BGer, 5.9.2003, 2A_142/2003, Cablecom
GmbH gg. Teleclub AG, zit. Cablecom, E. 4.2.3; EuGH EU:C:1978:22,
United Brands, Ziff. 108/110, 111/120; EuGH, EU:C:1979:36, Hoffmann-La
Roche, Ziff. 51; Clerc/Këllezi, CR-Concurrence,
Art. 4 II Rn. 156; Stäuble/Schraner, Dike-KG,
Art. 4 Abs. 2 Rn. 226; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 2.549; Bulst, LB-EUKR,
Art. 102 Rn. 56; Fuchs/Möschel, IM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 93; Schröter/Bartl, SJKM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 96 m.w.N.).
(d)
Marktanteilsentwicklung
446. Aus der Entwicklung der Marktanteile eines
Unternehmens und seiner Konkurrenten in der Vergangenheit können gegebenenfalls Rückschlüsse
auf die Stabilität der Marktposition des Unternehmens abgeleitet werden (vgl. Clerc/Këllezi,
CR-Concurrence, Art. 4 II Rn. 148; Reinert/
Bloch, BSK-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn. 276; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn. 230).
447. Als Anhaltspunkte lassen sich aus der
Wettbewerbspraxis folgende Prämissen ableiten: Je gleichförmiger sich ein hoher Marktanteil
eines Unternehmens im Laufe des relevanten Zeitraums darstellt, um so eher ist auf den Erhalt einer marktbeherrschenden
Stellung zu schliessen (vgl. EuGH, EU:C:1979:36, Hoffmann-La Roche,
Ziff. 44). Sinkende Marktanteile des jeweiligen Unternehmens schliessen die Feststellung einer Marktbeherrschung
jedenfalls dann nicht aus, wenn der Marktanteil immer noch hoch bleibt (vgl. BGE 139 I 72, Publigroupe,
E. 9.3.3.2; EuG, EU:T:2010:266, AstraZeneca, Ziff. 288; EuG 17.12.2003,
T-219/99, Britisch Airways plc gg. EU-Kom, EU:T:2003:343, Ziff. 211 ff.; EuG, 8.10.1996, T-24/93, Compagnie
maritime belge SA u.a., EU:T:1996:132, Ziff. 77; Clerc/Këllezi,
CR-Concurrence, Art. 4 II Rn. 148; nach Reinert/Bloch,
BSK-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn. 276 spricht dieser Umstand gegen eine
marktbeherrschende Stellung).
(e)
Besondere Marktphasen
448. Besondere Marktphasen können je nach
Markt insoweit Bedeutung erlangen, als sie die Indizwirkung des Marktanteils unter Berücksichtigung
der Marktanteilsentwicklung verstärken oder abschwächen können (vgl. Clerc/Këllezi,
CR-Concurrence, Art. 4 II Rn. 148 a.E., 158 m.w.H.; Reinert/Bloch,
BSK-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn. 354 ff.; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn. 230).
(f)
Spezifische Marktaspekte
449. Als besondere Marktaspekte werden Umstände
erfasst, die als wirtschaftliche, technische, vertriebliche oder sonstige Aspekte eine Veränderung
der Marktstellung der bestehenden Marktteilnehmer in besonderer Weise beeinflussen (vgl. Reinert/Bloch,
BSK-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn. 300 ff.). Bei Vorliegen eines spezifischen
Marktaspekts ist dessen Einwirkung auf die Marktentwicklung zu berücksichtigen.
(g)
Sachverhalt
450. Die SIX-Gruppe weist nach den Feststellungen
der Vorinstanz aufgrund der von den Marktteilnehmern erhobenen Daten im vorliegenden sowie in weiteren
Verfahren (vgl. Weko, RPW 2004/1, 106, Kreditkartenakzeptanz,
Ziff. 190; Weko, 1.9.2003, RPW 2004/4, 1002, Corner Banca
SA gg. Telekurs AG, zit. Corner/Telekurs Vorsorgliche Massnahmen,
Ziff. 36 ff.) in den Jahren 2004 bis 2008 und damit vor, während und nach dem relevanten Zeitraum
auf dem Markt der Kreditkartenakzeptanz von Mastercard und Visa einen Marktanteil von mindestens {60-[ ]-70}%
im Hinblick auf das Transaktionsvolumen der mit den Kreditkarten jeweils vorgenommenen Zahlungen auf.
Bei einer Heranziehung der Anzahl an Transaktionen als Grundlage der Betrachtung würde der Marktantteil
sogar noch höher, d.h. bei über {70-[ ]-80}%
liegen.
451. Der Marktanteil am gemeinsamen Markt der
Kreditkartenakzeptanz von Mastercard und Visa betrug Ende 2006 {60-[ ]-70}%.
Der Marktanteil am Markt der Kreditkartenakzeptanz von Mastercard betrug Ende 2006 {70-[ ]-80}%.
Der Marktanteil am Markt der Kreditkartenakzeptanz von Visa betrug Ende 2006 {60-[ ]-70}%.
452. Diese Marktanteile begründen daher
die Vermutung einer marktbeherrschenden Stellung zu Gunsten der SIX-Gruppe im relevanten Zeitraum zwischen
Juli 2005 und Januar 2007.
453. Die von den Beschwerdeführerinnen
geltend gemachten Marktanteile (vgl. E. 424),
die auf den Daten des statistischen Monatshefts der Schweizerischen Nationalbank beruhen, beziehen sich
auf den Anteil der SIX-Gruppe am Gesamtmarkt Kredit. Dabei werden alle Kreditkarten einschliesslich von
American Express und Diners erfasst. In Bezug auf diesen Markt weist die SIX-Gruppe vor, während
und nach dem relevanten Zeitraum einen Marktanteil von deutlich über 50% auf (2004: 60%; 2005: 57%,
2006: 55%, 2007: 55% und 2008: 55%). Dabei stabilisierte sich der Marktanteil nach einem leichten Rückgang
von 60% in 2004 seit 2006 bei 55%. Da die jeweiligen Marktanteile am Gesamtmarkt Kredit der übrigen
Kreditkartensysteme deutlich geringer sind als diejenigen von Mastercard und Visa (vgl. Weko,
RPW 2004/1, 106, Kreditkartenakzeptanz, Ziff. 190), ist der
begründete Schluss zu ziehen, dass der Marktanteil der SIX-Gruppe am Markt der Kreditkartenakzeptanz
von Mastercard und/oder Visa jedenfalls bei 55% liegt. Auch das eigene Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
begründet demzufolge eine Vermutung für eine Marktbeherrschung der SIX-Gruppe.
454. Aufgrund der festgestellten Marktanteile,
welche die SIX-Gruppe auf dem Markt der Kartenakzeptanz für Kreditkarten Mastercard und Visa im
relevanten Zeitraum zukommen, wäre demnach unabhängig davon, ob ein einheitlicher Markt oder
zwei unabhängige Märkte zu Grundezulegen sind, von einer marktbeherrschenden Stellung der SIX-Gruppe
auf dem jeweiligen Markt auszugehen.
455. Die Marktanteile von Aduno, als desjenigen
Konkurrenten mit der zweitbesten Marktposition, betrugen gemäss den Feststellungen der Vorinstanz
auf dem gemeinsamen Markt der Kreditkartenakzeptanz von Mastercard und Visa {15-[ ]-25}%,
auf dem Markt der Kreditkartenakzeptanz von Mastercard {15-[ ]-25}%
sowie auf dem Markt der Kreditkartenakzeptanz von Visa {25-[ ]-35}%.
Die Marktanteile der beiden weiteren Konkurrenten ConCardis und S+B waren demgemäss noch deutlich
geringer und belaufen sich auf insgesamt {5-[ ]-15}%.
Die Marktanteile der SIX-Gruppe sind bei Betrachtung aller verschiedenen Märkte zum einen signifikant
höher als diejenigen ihrer Konkurrenten und zum anderen weisen sie den {doppelten bis vierfachen}
Umfang der Marktanteile des nächstbesten Konkurrenten auf. Die Marktanteilsverteilung stützt
die Vermutung des Bestehens einer marktbeherrschenden Stellung der SIX-Gruppe demzufolge weiter ab.
456. Die Marktanteilsentwicklung spricht entgegen
der Ansicht der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 425)
nicht für einen relevanten Abbau der bestehenden Marktposition von Multipay. Die SIX-Gruppe hatte
zwar einen leichten Rückgang des Marktanteils hinzunehmen. Allerdings ist dieser Rückgang,
wie die Beschwerdeführerinnen selbst konstatieren, in einen starken Anstieg des Gesamtmarkts im
Zeitraum von 2004 bis 2008 eingebettet. Dabei konnte die SIX-Gruppe entsprechend der eingetretenen Steigerung
der Gesamtumsätze mit Mastercard und Visa von annähernd 50% ihren Umsatz mit Mastercard und
Visa ebenfalls um nahezu {45-[ ]-55}% steigern. Eine
bedeutsame Veränderung im Verhältnis der Marktanteile zwischen der SIX-Gruppe und ihren Konkurrenten
hat sich dadurch jedoch nicht ergeben. Insbesondere wies die SIX-Gruppe auch danach immer noch Marktanteile
auf, welche die Vermutung einer markbeherrschenden Stellung begründen. Auch die Marktanteilsentwicklung
spricht daher für das Bestehen einer marktbeherrschenden Stellung.
457. Im Hinblick auf die vorliegend in Frage
stehenden spezifischen Marktaspekte Grössen- und Verbundvorteile, Dauer der Akzeptanzverträge
sowie Abhängigkeitsverhältnisse führen die Parteien unterschiedliche Argumentationen im
Hinblick auf deren Bedeutung für die Begründung bzw. Ablehnung einer marktbeherrschenden Stellung
der SIX-Gruppe an (vgl. E. 426
ff. sowie E. 432
ff.). Die von der Vorinstanz vorgetragenen Überlegungen sprechen zwar dafür, dass die Möglichkeiten
der SIX-Gruppe zu einem unabhängigen Verhalten aufgrund dieser Aspekte erweitert wurden. Die Beschwerdeführerinnen
bestätigen auch die Argumentation der Vorinstanz zu Grössenvorteilen, wenn sie anführen,
dass die SIX-Gruppe das Akzeptanzgeschäft auch ausserhalb der Schweiz betreibt, um eine ausreichende
Anzahl an Transaktionen generieren zu können. Gewisse technische Abhängigkeiten oder Fusionsüberlegungen
begünstigen sicherlich auch nicht die Umsetzung von agressiven Wettbewerbsstrategien zwischen Konkurrenten.
Die geltend gemachte Begründetheit dieser Aspekte bedarf jedoch keiner abschliessenden Abklärung,
weil die von den Beschwerdeführerinnen hiergegen vorgetragenen Überlegungen jedenfalls nicht
geeignet sind, die vorstehend dargestellte, aus den Marktanteilen, der Marktanteilsverteilung und der
Marktanteilsentwicklung sich ergebende Einschätzung einer marktbeherrschenden Stellung der SIX-Gruppe
zu widerlegen.
458. Es ist demzufolge nicht davon auszugehen,
dass von Seiten der Konkurrenten im relevanten Zeitraum ein ausreichender disziplinierender Einfluss
der SIX-Gruppe auf den Märkten der Kreditkartenakzeptanz ausgeübt werden konnte. Als Ergebnis
ist daher festzuhalten, dass aufgrund einer Beurteilung des aktuellen Wettbewerbs von einer marktbeherrschenden
Stellung der SIX-Gruppe im relevanten Zeitraum auszugehen ist.
b)
Potenzieller Wettbewerb
459. Unter dem Gesichtspunkt des potenziellen
Wettbewerbs ist nach der Wettbewerbspraxis zu untersuchen, in welchem Ausmass das jeweilige Unternehmen
mittelbar einem Wettbewerbsdruck ausgesetzt ist durch die Möglichkeit, dass andere Unternehmen,
die dort bislang noch nicht tätig waren, auf dem relevanten Markt als neue Konkurrenten auftreten
könnten. Allein die Möglichkeit eines Markteintritts von weiteren Konkurrenten kann unter gewissen
Voraussetzungen eine disziplinierende Wirkung auch auf ein Unternehmen ausüben, dem aufgrund des
aktuellen Wettbewerbs eine besondere Stellung am Markt zukommt (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 334; Clerc/Këllezi, CR-Concurrence,
Art. 4 II Rn. 165 f.; David/jacobs, WBR,
Rn. 697; Reinert/Bloch, BSK-KG,
Art. 4 Abs. 2 Rn. 342 ff.; Stäuble/Schraner, Dike-KG,
Art. 4 Abs. 2 Rn. 233).
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
460. Entgegen den Darlegungen in der angefochtenen
Verfügung bestehen nach Auffassung der Beschwerdeführerinnen für Wettbewerber keine Expansionshindernisse
von Bedeutung.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
461. Die Vorinstanz stützt die angefochtene
Verfügung im Wesentlichen auf die Gründe ab, die im Rahmen der Würdigung des Gerichts
dargestellt werden.
(3)
Würdigung durch das Gericht
462. Eine
Berücksichtigung der Möglichkeit eines Markteintritts von weiteren Marktteilnehmern als Konkurrenten
rechtfertigt sich nur dann, wenn von diesen ein spürbarer Einfluss ausgehen würde, der den
Verhaltensspielraum des jeweiligen Unternehmens einzuengen und dessen Verhalten zu beeinflussen vermag.
Ein spürbarer Einfluss setzt voraus, dass der Markteintritt mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
innerhalb eines absehbaren Zeitraums durch andere Unternehmen mit hinreichender Konkurrenzwirkung erfolgen
würde (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 339; im Ergebnis
ebenso Clerc/Këllezi, CR-Concurrence,
Art. 4 II Rn. 167; David/Jacobs, WBR,
Rn. 699; Reinert/Bloch, BSK-KG,
Art. 4 Abs. 2 Rn. 342 f.; Stäuble/Schraner, Dike-KG,
Art. 4 Abs. 2 Rn. 233; ZÄCH, Kartellrecht, Rn. 584;
Fuchs/Möschel, IM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 64). Dabei ist die vergangenheitsbezogene Beurteilung eines marktmissbräuchlichen
Verhaltens sachgerecht zu berücksichtigen (vgl. E. 257
f.; Stäuble/ Schraner, Dike-KG,
Art. 4 Abs. 2 Rn. 238; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 2.528).
(a)
Ausgangslage
463. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für
den Markteintritt eines Konkurrenten ist dann gegeben, wenn aufgrund konkreter wirtschaftlicher, technischer
oder sonstiger Anhaltspunkte mit einem entsprechenden Markteintritt zu rechnen ist. Hingegen stellt allein
die theoretische Möglichkeit eines Markteintritts keine ausreichende Grundlage für eine solche
Annahme dar (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 340; EuGH, EU:C:1974:18,
Commercial Solvents, Ziff. 15; Clerc/Këllezi,
CR-Con-currence, Art. 4 II Rn. 167).
464. Im Rahmen der Feststellung, ob ausreichende
konkrete Anhaltspunkte vorliegen, kommt den bestehenden Marktzutritts- und Marktaustrittsschranken besondere
Beachtung zu. Dabei handelt es sich um alle Kriterien, die in Bezug auf eine erfolgreiche Etablierung
des jeweiligen Produkts auf dem Markt im Einzelfall bei sachgerechter Würdigung für oder gegen
die Aufnahme des Produktabsatzes im betreffenden Markt und - falls der Markteintritt nicht erfolgreich
gestaltet werden kann - im Rahmen eines darauf folgenden Marktaustritts von einem Unternehmen zu
berücksichtigen sind (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E.
341; vgl. die jeweilige Auflistung bei Clerc/Këllezi,
CR-Concurrence, Art. 4 II Rn. 170 ff.; Reinert/Bloch,
BSK-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn. 311 ff.; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn. 234 ff.). Des Weiteren ist in diesem
Zusammenhang auch die bisherige Entwicklung an Neueintritten auf dem Markt zu beachten.
465. Ein absehbarer Zeitraum für einen
Markteintritt liegt dann vor, wenn der Zeitpunkt der Produkteinführung auf dem relevanten Markt
mit einiger Sicherheit abgeschätzt werden kann und der bis dahin verbleibende Zeitraum nicht so
lang ist, dass dadurch dem potenziell marktbeherrschenden Unternehmen die Möglichkeit eröffnet
wird, in dieser Zeit seinen Verhaltensspielraum noch in unangemessener Weise auszunutzen. Auch die Bestimmung
der Absehbarkeit hat im Einzelfall aufgrund von dessen konkreten Umständen zu erfolgen (vgl. BVGer,
B-7633/2009, ADSL II, E. 342; Clerc/Këllezi,
CR-Concurrence, Art. 4 II Rn. 169 a.E.; Reinert/
Bloch, BSK-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn. 344; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn. 233).
466. Eine hinreichende Konkurrenzwirkung setzt
voraus, dass ein oder mehrere Konkurrenten in den Markt eintreten werden, die alleine oder zusammen das
Angebot auf dem relevanten Markt in einem solchen Umfang erweitern, dass die Marktgegenseite des jeweiligen
Unternehmens ausreichende Ausweichmöglichkeiten erhalten. Ausreichend sind die Ausweichmöglichkeiten
dann, wenn eine solche Anzahl an Marktteilnehmern die neuen Produkte erlangen kann, dass das jeweilige
Unternehmen dieses Ausweichen nicht hinnehmen kann. Andernfalls besteht für das jeweilige Unternehmen
keine Notwendigkeit für eine Änderung des eigenen Verhaltens, weil die Marktgegenseite mangels
tatsächlich vorhandener Alternativen auch weiterhin ganz überwiegend auf die Abnahme seiner
Produkte angewiesen ist (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E.
343; Reinert/Bloch, BSK-KG,
Art. 4 Abs. 2 Rn. 344a m.w.H.; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn. 233).
(b)
Sachverhalt
467.
Im vorliegenden Sachverhalt war im relevanten Zeitraum nicht davon auszugehen, dass aufgrund des
potenziellen Wettbewerbs durch neue Konkurrenten ein ausreichender disziplinierender Wettbewerbsdruck
zu Lasten der SIX-Gruppe bestand.
468. Für den Eintritt in den Markt der
Kreditkartenakzeptanz bestehen erhebliche Markteintrittsschranken. Ein entsprechender Markteintritt setzt
die Einrichtung einer komplexen technischen Infrastruktur voraus. Hierfür ist sowohl ein umfassendes
Know-how als auch ein erheblicher finanzieller Aufwand erforderlich. Anhaltspunkte für einen absehbaren
konkreten Markteintritt bestanden im relevanten Zeitraum nicht. Es fanden effektiv auch keine Markteintritte
statt.
469. Als Ergebnis ist daher festzuhalten, dass
die angesichts des aktuellen Wettbewerbs bestehende marktbeherrschende Stellung der SIX-Gruppe durch
den potenziellen Wettbewerb im relevanten Zeitraum nicht aufgehoben wurde.
c)
Unternehmensstruktur
470. Für die Beurteilung des Bestehens
einer marktbeherrschenden Stellung sind auch die Merkmale des jeweiligen Unternehmens, die für oder
gegen die Möglichkeit zur Ausübung eines unabhängigen Verhaltens sprechen können,
zu berücksichtigen (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL II,
E. 350; Clerc/Këllezi,
CR-Concurrence, Art. 4 II Rn. 131; David/jacobs,
WBR, Rn. 697; Reinert/Bloch,
BSK-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn. 345; Stäuble/
Schraner, Dike-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn. 251; Zäch,
Kartellrecht, Rn. 584, 586 f.). Bei diesen Merkmalen handelt es
sich insbesondere um Wirtschafts- und Finanzkraft, Ressourcen für Entwicklung und Forschung, Qualität
von Unternehmensleitung und Personal sowie technologische Ausstattung.
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
471. Die Beschwerdeführerinnen tragen
vor, dass sich aufgrund der Unternehmensstruktur keine begründeten Wettbewerbsvorteile zu Gunsten
der Multipay ergäben.
472. Insbesondere sei zu beachten, dass der
zu untersuchende Vorwurf sich auf eine Verhaltensweise in den Jahren 2005 und 2006 richte. Zu diesem
Zeitpunkt habe Multipay noch gar nicht zur Six-Gruppe gehört, weil diese noch nicht konstituiert
gewesen sei. Die Vorinstanz beurteile daher einen falschen Sachverhalt im Hinblick auf die vorgeworfene
Handlung. Auch die strukturelle Änderung im Jahr 2007 sei nicht von Relevanz für die Beurteilung
der Marktstellung in den Jahren 2005 bis 2006. Es lasse sich keine Rückwirkung von späteren
strukturellen Entwicklungen auf die Marktstellung im relevanten Zeitraum ableiten.
473. Es bestünde keine Berechtigung, die
aktuelle Marktstellung zur Beurteilung von früheren Verhaltensweisen heranzuziehen. Dies gelte insbesondere
deshalb, weil die Vorinstanz ausweislich der angefochtenen Verfügung keine Abklärungen hinsichtlich
der aktuellen Marktstellung vorgenommen habe. Allein aus dem Umstand, dass die SIX-Gruppe erfolgreich
sei, könne nicht abgeleitet werden, dass sich die Multipay finanziell unabhängig verhalten
könne.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
474. Die Vorinstanz macht insbsondere geltend,
dass der Multipay aufgrund der Integration der Telekurs-Gruppe in die SIX-Gruppe angesichts der damit
verbundenen Verstärkung der Finanzkraft weitere Verhaltensspielräume eröffnet worden seien.
(3)
Würdigung durch das Gericht
475. Entgegen
der Ansicht der Beschwerdeführerinnen ergeben sich unter dem Gesichtspunkt der Unternehmensstruktur
keine Gründe, welche die Einschätzung einer marktbeherrschenden Stellung aufgrund der Beurteilung
der Marktstruktur aufheben könnten.
476. Die Integration der Telekurs-Gruppe in
die SIX-Gruppe im Jahre 2007 stellt zwar keinen Umstand dar, der in Bezug auf die Unternehmensstruktur
während des relevanten Zeitraums zu berücksichtigen ist, weil die Vorinstanz nicht darlegt,
dass gewisse Vorwirkungen dieser Unternehmenstransaktion zu diesem Zeitpunkt bereits vorgängig auf
die Wettbewerbsverhältnisse ausgestrahlt hätten.
477. Die
Multipay war im relevanten Zeitraum ein Gruppenunternemen der Telekursgruppe, bei der es sich um eine
Finanzdienstleistungsgruppe mit unterschiedlichen Geschäftsbereichen handelte, die angesichts eines
Betriebsertrags in Höhe von 697,8 Mio. CHF, eines Gewinns in Höhe von 77 Mio. CHF und erheblicher
Finanzressourcen über eine beachtliche Finanz- und Wirtschaftskraft verfügte.
478. Vor diesem Hintergrund sind weder Aspekte
der Unternehmensstruktur ersichtlich noch werden solche von den Beschwerdeführerinnen vorgetragen,
welche die angesichts des aktuellen Wettbewerbs bestehende marktbeherrschende Stellung der SIX-Gruppe
im relevanten Zeitraum aufheben würden.
d)
Stellung der Marktgegenseite
479. Zwischen den Parteien ist streitig, ob
im vorliegenden Fall eine Beurteilung der marktbeherrschenden Stellung der SIX-Gruppe durch die Möglichkeit
zur Ausübung von Wettbewerbsdruck von Seiten der Marktgegenseite in relevanter Weise beeinflusst
wird.
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
480. Nach Auffassung der Beschwerdeführerinnen
sei eine Marktbeherrschung durch die SIX-Gruppe ausgeschlossen, weil der Multipay in sämtlichen
Märkten des Akzeptanzgeschäfts eine starke Marktgegenseite gegenübergestanden habe, welche
erheblichen Wettbewerbsdruck hätte ausüben können. Multipay habe sich deshalb nicht unabhängig
von ihren Kunden verhalten können, weshalb sie im Vergleich zu den Konkurrenten von ihren Kunden
unter erheblichen Wettbewerbsdruck gesetzt werde. Die Stellung der Marktgegenseite sei daher von erheblicher
Bedeutung für die Beurteilung der Marktstellung von Multipay gegenüber ihren Konkurrenten.
481. Für die Beurteilung der Stellung
der Marktgegenseite seien dabei folgende Aspekte von Bedeutung: (i) die Grösse der Nachfrager sowie
deren Wichtigkeit für das untersuchte Unternehmen und (ii) die Zahl der Nachfrager und deren Organisationscharakter.
Ein grosser Nachfrager habe jederzeit die Möglichkeit, gegenüber dem relevanten Unternehmen
Gegenmacht auszuüben, weil er glaubwürdig mit einem Wechsel drohen könne.
482. Fehlende
Organisation oder Zersplitterung bzw. atomistische Strukturierung liessen auf eine fehlende starke Stellung
der Marktgegenseite schliessen. Im vorliegenden Fall würden jedoch Branchen- und Interessenverbände,
z.B. in den Bereichen Hotellerie, Gastrobetriebe, Sportgeschäfte, Apotheken sowie die Erdölvereinigung,
die Interessen ihrer Mitglieder äusserst aktiv vertreten, wodurch eine erhebliche Gegenmacht aufgebaut
werde. Darüber hinaus würde der Interessenverband VEZ die Tätigkeit der Kartenaussteller
und Kartenakquisiteure genau untersuchen und mittels agressiver Presseberichterstattungen und Interventionen
bei den Wettbewerbsbehörden erheblichen Druck ausüben. Deshalb könne sich die SIX-Gruppe
diesen Vereinigungen gegenüber nicht unabhängig verhalten.
483. Unternehmen
wie Migros, Coop, Post, die SBB u.a. seien starke Marktteilnehmer, die erhebliche Nachfragemacht ausüben
könnten.
484. Im
Jahr 2009 würden die grössten zehn Kunden von Multipay 65% aller Transaktionen im Bereich der
domestischen Maestro-Transaktionen ausführen.
485. Die Behauptung in der angefochtenen Verfügung,
bei der Marktgegenseite handle es sich um eine "eher heterogene Gruppe mit vielen kleinen Marktteilnehmern",
welche sich nur schlecht organisieren" liessen, sei daher tatsachenwidrig. Es könne demzufolge
nicht von einer schlecht organisierten Marktgegenseite die Rede sein.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
486. Die Vorinstanz stützt ihre Begründung
in der angefochtenen Verfügung im Wesentlichen auf die Aspekte ab, die im Rahmen der Würdigung
durch das Gericht angesprochen werden.
(3)
Würdigung durch das Gericht
487. Soweit
einem Unternehmen in einem relevanten Markt aufgrund der Beurteilung des aktuellen und/oder potenziellen
Wettbewerbs eine marktbeherrschende Stellung zuzusprechen wäre, lässt sich fragen, ob diese
Einschätzung auch unter Berücksichtigung der tatsächlichen Nachfragemacht der Marktgegenseite
zu bestätigen ist. Soweit die Marktgegenseite eine hinreichende starke Stellung im Markt aufweist,
könnte nämlich auch sie eine disziplinierende Wirkung auf das marktbeherrschende Unternehmen
zu Gunsten aller Marktteilnehmer des relevanten Markts ausüben (vgl. Reko/Wef,
RPW 2005/4, 697, Ticketcorner AG, Ziff. 5.3.5 a.E.; Clerc/Këllezi,
CR-Concurrence, Art. 4 II Rn. 160 m.w.H.; David/jacobs,
WBR, Rn. 697; Reinert/Bloch,
BSK-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn. 304 ff.; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 4 Abs. 2 Rn. 245; Weber/Volz,
FHB-WBR, Rn. 2.529; EU-Kom,
Prioritätenmitteilung, Ziff. 18; a.A. Schröter/Bartl,
SJKM-EUWBR, Art. 102 Rn. 92 a.E.).
488. Damit sich auf dem relevanten Markt ein
entsprechendes Ergebnis einstellt, müsste die Marktgegenseite allerdings einen derartigen Wettbewerbsdruck
aufbauen können, dass sowohl die Wettbewerber des potenziell marktbeherrschenden Unternehmens als
auch die übrigen Unternehmen der Marktgegenseite von dessen fehlender Möglichkeit zu einem
unabhängigen Verhalten profitieren würden. Nicht ausreichend für eine Beeinflussung im
Rahmen einer Beurteilung der marktbeherrschenden Stellung ist hingegen, dass lediglich einzelne Unternehmen
der Marktgegenseite über solch eine wirtschaftliche Stärke verfügen, die sie jeweils in
die Lage versetzen, ihre Verhandlungspositionen gegenüber dem marktbeherrschenden Unternehmen zumindest
teilweise durchzusetzen.
489. Aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
ergeben sich keine Aspekte, die den Ausschluss der Möglichkeit zu einem unabhängigen Verhalten
von Seiten der SIX-Gruppe darlegen oder gar belegen würden.
490. Ein Verweis auf das Bestehen und die Tätigkeit
von verschiedenen Branchen- bzw. Interessenverbänden ist entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 482)
nicht geeignet, die Möglichkeit der Ausbildung einer marktbeherrschenden Stellung zu widerlegen.
Diese Ausgangslage stellt im heutigen Wirtschaftsleben einen allgemein bekannten und üblichen Parameter
dar. Daraus lässt sich nicht ein zwingender Rückschluss auf den Ausschluss eines unabhängigen
Verhaltens von Seiten eines Unternehmens auf einem relevanten Markt vornehmen, weil ansonsten auch die
durch die Wettbewerbspraxis bereits festgestellten Fälle einer marktbeherrschenden Stellung gar
nicht hätten auftreten können.
491. Auch der allgemeine Verweis auf die Nachfragemacht
einzelner bekannter Unternehmen ist entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 483)
nicht geeignet, die Möglichkeit der Ausbildung einer marktbeherrschenden Stellung zu widerlegen.
492. Im Hinblick auf die spezifischen Darlegungen
der Beschwerdeführerinnen zu den grössten zehn Kunden der SIX-Gruppe im Markt der Debitkartenakzeptanz
(vgl. E. 484)
ist im Ergebnis das Gleiche festzuhalten, und zwar ungeachtet des Umstands, dass die entsprechenden Daten
der Debitkartenakzeptanz angesichts des unterschiedlichen Einsatzgebiets von Kredit- und Debitkarten
(vgl. SV H.f)
nicht für die Märkte der Kreditkartenakzeptanz übernommen werden können und die Beschwerdeführerinnen
entsprechende Daten für die Kreditkartenakzeptanz nicht vorgelegt haben. Die von den Beschwerdeführerinnen
aufgeführten Unternehmen stammen aus den Geschäftsbereichen Lebensmittel (2 Unternehmen), Transport
(1), Tankstellen (4), Schuhe (1), Einrichtung (1) und Telekommunikation (1). Dabei kommt den beiden Unternehmen
im Geschäftsbereich Lebensmittel ein Umsatzanteil von {20-[ ]%
bzw. [ ]-30%} zu, während die übrigen acht
Unternehmen lediglich Umsatzanteile von {0.5-[ . ] bis
max. [ . ]-3.5% aufweisen. Dem stehen weitere Tausende
von Händlern gegenüber, die eine Vertragsbeziehung mit der SIX-Gruppe im Akzetanzgeschäft
aufweisen. Vor diesem Hintergrund ist weder ersichtlich, warum die genannten zehn Unternehmen tatsächlich
solch einen Wettbewerbsdruck ausüben sollen, dass alle Marktteilnehmer der Marktgegenseite in gleicher
Weise behandelt würden, noch lässt sich daraus ableiten, dass der Wettbewerbsdruck so hoch
ist, dass sogar die Wettbewerber der SIX-Gruppe im relevanten Markt von der Marktmacht der Kunden der
SIX-Gruppe profitieren würden. Von den Beschwerdeführerinnen werden denn auch keine entsprechenden
konkreten Darlegungen vorgebracht.
493. Dass ein ausreichender Wettbewerbsdruck
durch die Marktgegenseite im Gesamtmarkt nicht besteht, wird im Übrigen bereits dadurch belegt,
dass die Händlerkommissionen im Akzeptanzgeschäft nach der unstrittigen Feststellung der Vorinstanz
in den verschiedenen Branchen unterschiedlich hoch ausgestaltet sind. Demzufolge haben offensichtlich
weder alle Händler die gleiche Verhandlungsmacht, um die günstigsten Konditionen zu erlangen,
noch sorgt der Wettbewerbsdruck der grössten Kunden der SIX-Gruppe dazu, dass diese gegenüber
allen Händlern die gleichen Bedingungen anwenden. Vielmehr wird der nicht ausreichende Wettbewerbsdruck
der Marktgegenseite dadurch bestätigt, dass mit den Bereichen {" }"
und "{ }" gerade
diejenigen Branchen die günstigsten Konditionen aufweisen, denen nach Ansicht der Beschwerdeführerinnen
aufgrund ihrer Umsatzanteile die grösste Verhandlungsmacht zukommt.
e)
Zusammenfassung
494. Zusammenfassend
ist daher festzustellen, dass der SIX-Gruppe eine marktbeherrschende Stellung gemäss Art. 4 Abs.
2
KG auf dem Markt der Kreditkartenakzeptanz Mastercard und Visa im relevanten Zeitraum zukam, unabhängig
davon, ob ein Gesamtmarkt wie von der angefochtenen Verfügung unterstellt oder getrennte Märkte
entsprechend den Feststellung der REKO/WEF (vgl. E. 279)
betrachtet werden.
4)
Markt der
Debitkartenakzeptanz von Maestro
495. Für
die Beurteilung des Bestehens einer marktbeherrschenden Stellung der SIX-Gruppe auf dem Markt der Debitkartenakzeptanz
von Maestro sind die Aspekte des aktuellen und des potenziellen Wettbewerbs sowie die Unternehmensstruktur
und die Stellung der Marktgegenseite für die Beurteilung der marktbeherrschenden Stellung zu berücksichtigen.
Für die entsprechenden allgemeinen Erläuterungen ist auf die Erwägungsgründe zum
Markt für Kreditkartenakzeptanz zu verweisen (vgl. E. 438
ff., 462
ff., 475
ff., 487
ff.).
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
496. Die Beschwerdeführerinnen machen
zunächst allgemein diejenigen Einwände geltend, die sie bereits zur Stellung der SIX-Gruppe
auf dem Markt für Kreditkartenakzeptanz von Mastercard und Visa vorgebracht haben.
497. Darüber
hinaus behaupten sie, das Debitkarten-Akzeptanzgeschäft sei stark reguliert, weil die Wettbewerbsbehörden
in der Vergangenheit bereits mit Entscheiden, vorsorglichen Massnahmen und einvernehmlichen Regelungen
in diesen Geschäftsbereich eingegriffen hätten. Daher sei es den Marktteilnehmern nicht mehr
möglich, unabhängig von drohenden Eingriffen der Wettbewerbsbehörden ihr Marktverhalten
zu bestimmen. Deswegen habe die SIX-Gruppe über keinen Handlungsspielraum mehr verfügt. Bereits
aus diesem Grunde sei eine marktbeherrschende Stellung ausgeschlossen.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
498. Die Vorinstanz stützt ihre Begründung
in der angefochtenen Verfügung im Wesentlichen auf diejenigen Aspekte ab, die im Rahmen der Würdigung
durch das Gericht dargelegt werden.
(3)
Würdigung durch das Gericht
499. Die SIX-Gruppe weist im relevanten Zeitraum
ausweislich der Feststellungen der Vorinstanz einen Marktanteil von mehr als 90% am Markt der Debitkartenakzeptanz
von Maestro auf Grundlage der angefallenen Transaktionsumsätze auf. Dieser ausserordentlich hohe
Marktanteil ist darauf zurückzuführen, dass die SIX-Gruppe bis zum Jahr 2005 eine Monopolstellung
aufgrund einer nationalen Exklusivlizenz für die nationale ec-direkt-Karte inne hatte, die erst
mit dem Übergang auf die internationale Maestro-Karte und den damit verbundenen Wegfall von Exklusivlizenzen
aufgehoben wurde (vgl. SV H.e).
Im Sommer 2005 begann Aduno mit dem Maestro-Akzeptanzgeschäft und im Jahr 2006 traten die beiden
internationalen Kartenakquisiteure B&S und ConCardis in diesen Markt ein. Dieser Marktanteil begründet
die Vermutung einer marktbeherrschenden Stellung zu Gunsten der SIX-Gruppe im relevanten Zeitraum.
500. Der Marktanteil der Aduno als desjenigen
Konkurrenten mit der zweitbesten Marktposition betrug Ende 2006 lediglich {0-[ ]-5}%,
die beiden anderen Wettbewerber B&S und ConCardis hatten zu diesem Zeitpunkt noch geringfügigere
Marktanteile. Der Marktanteil der SIX-Gruppe ist zum einen signifikant höher als derjenige ihrer
Konkurrenten und zum anderen weist er den {25-[ ]-50}-fachen
Umfang des Marktanteils des nächstbesten Konkurrenten auf. Die Marktanteilsverteilung stützt
die Vermutung des Bestehens einer marktbeherrschenden Stellung der SIX-Gruppe demzufolge weiter ab.
501. Die Marktentwicklung spricht gegen einen
relevanten Abbau der bestehenden Marktposition der SIX-Gruppe. Aufgrund der Aufhebung der Exklusivitätslizenz
war ein gewisser Rückgang des Marktanteils vorherzusehen. Bis Ende 2006 hatte die SIX-Gruppe allerdings
nur einen minimalen Rückgang hinzunehmen. Angesichts des weiterhin ausserordentlich hohen Marktanteils
hat sich dadurch jedoch keine bedeutsame Veränderung im Verhältnis der Marktanteile zwischen
der SIX-Gruppe und ihren Konkurrenten ergeben.
502. Es ist demzufolge nicht davon auszugehen,
dass von Seiten der Konkurrenten im relevanten Zeitraum auf dem Markt der Debitkartenakzeptanz von Maestro
ein ausreichender disziplinierender Einfluss auf die SIX-Gruppe ausgeübt werden konnte. Als Ergebnis
ist daher festzuhalten, dass aufgrund einer Beurteilung des aktuellen Wettbewerbs von einer marktbeherrschenden
Stellung der SIX-Gruppe im relevanten Zeitraum auszugehen ist.
503. Unter dem Aspekt des potenziellen Wettbewerbs
ergibt sich keine andere Einschätzung. Während des relevanten Zeitraums war aufgrund der vorstehend
aufgeführten Kriterien (vgl. E. 462
ff.) weder die Annahme gerechtfertigt, wonach ein Markteintritt von weiteren Konkurrenten dazu führen
würde, dass sich die SIX-Gruppe nicht mehr unabhängig verhalten können werde, noch die
Vorstellung begründet, dass die Einführung der neuen Debitkarte V Pay durch Visa in der Schweiz
zu einem Wettbewerbsdruck auf dem Markt der Debitkartenakzeptanz von Maestro führen würde.
Dies wird durch die tatsächliche Entwicklung bestätigt. Bis zum Jahr 2008 hatte Aduno lediglich
einen Marktanteil von {5-[ ]-10}% erwerben können, die
beiden anderen Wettbewerber wiesen auch zu diesem Zeitpunkt noch keinen beachtenswerten Marktanteil auf.
Während die SIX-Gruppe die Anzahl an Händlern mit einem Maestro-Akzeptanzvertrag bis zum Jahr
2008 um annähernd {25-[ ]-35}% ausbauen konnte,
musste Aduno sogar wieder einen Rückgang an Händlern mit einem Maestro-Akeptanzvertrag verzeichnen.
Die Debitkarte V Pay wurde sogar erst im Jahr 2014 in der Schweiz eingeführt.
504. Die Berücksichtigung der Unternehmensstruktur
der SIX-Gruppe führt entsprechend den Ausführungen zur Kreditkartenakzeptanz (vgl. E. 477)
ebenfalls nicht zu einer anderen Einschätzung.
505. Gleiches gilt für die Beurteilung
des Einflusses der Marktgegenseite, wie dies vorstehend zum Markt der Kreditkartenakzeptanz dargelegt
wurde (vgl. E. 487
ff.).
506. Der von den Beschwerdeführereinnen
geltend gemachte Einwand (vgl. E. 497),
wonach der Handlungsspielraum der SIX-Gruppe durch die regulatorischen Eingriffe der Wettbewerbsbehörde
völlig eingeschränkt sei, ist von vornherein unbehelflich. Denn beim Markt des Akzeptanzgeschäfts
handelt es sich nicht um einen Markt, für den eine besondere staatliche Regulierung im Sinne von
Art. 3 Abs. 1
KG besteht. Die Durchsetzung des Kartellgesetzes erfasst alle nicht regulierten Wirtschaftsbereiche
in gleicher Weise und führt offensichtlich nicht zu einer Einschränkung der Handlungsfreiheit
der Unternehmen, weil kartellrechtswidrige Handlungen von vornherein gar keine rechtmässige Handlungsoption
für ein Unternehmen darstellen.
507. Zusammenfassend
ist daher festzustellen, dass der SIX-Gruppe eine marktbeherrschende Stellung gemäss Art. 4 Abs.
2
KG auf dem Markt der Debitkartenakzeptanz Maestro im relevanten Zeitraum zukam.
5)
Ergebnis
508. Für
den relevanten Zeitraum zwischen Juli 2005 und Januar 2007 ist die SIX-Gruppe auf den Märkten
der Kreditkartenazkeptanz Mastercard und Visa sowie der Debitkartenakzeptanz Maestro als marktbeherrschendes
Unternehmen gemäss Art. 4 Abs. 2
KG zu qualifizieren.
VII. Unzulässige
Verhaltensweise
509. Eine
unzulässige Verhaltensweise gemäss Art. 7 Abs. 1
KG liegt vor, wenn ein marktbeherrschendes
Unternehmen durch den Missbrauch seiner Stellung auf dem relevanten Markt andere Unternehmen in der Aufnahme
oder Ausübung des Wettbewerbs behindert oder die Marktgegenseite benachteiligt. Entsprechende Beispiele
für solche Verhaltensweisen werden zur Verdeutlichung in Art. 7 Abs. 2
KG ausdrücklich aufgeführt.
1)
Formen des unzulässigen Verhaltens
510. Ein
missbräuchliches Verhalten gemäss Art. 7
KG umfasst alle denkbaren Verhaltensweisen von marktbeherrschenden
Unternehmen, welche volkswirtschaftlich schädliche Effekte aufweisen oder die wirtschaftliche Freiheit
von anderen Unternehmern einschränken (vgl. BGE 139 I 72, Publigroupe, E. 10.1.2; BGE 129 II 18,
Buchpreisbindung I, E. 5.2.1; BGer, 17.6.2003, 2A.520/2002,
Entreprises Electriques Fribourgoise [EEF] gg. Watt Suisse, Weko u.a., publ. in: BGE 129 II 497, E. 6.4.2).
Solche Verhaltensweisen richten sich überwiegend als sog. Behinderungsmissbrauch gegen andere Wettbewerber
oder als sog. Ausbeutungs- bzw. Benachteiligungsmissbrauch gegen die jeweilige Marktgegenseite, d.h.
Abnehmer bzw. Lieferanten des marktbeherrschenden Unternehmens (vgl. BGE 139 I 72, Publigroupe,
E. 10.1.1; BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 388). Da wirtschaftliche
Verhaltensweisen sowohl einen behindernden als auch einen benachteiligenden Charakter aufweisen können,
bedarf es keiner strengen Abgrenzung der beiden Missbrauchstypen (vgl. BGE 139 I 72, Publigroupe,
E. 10.1.1; BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 388). Die Beurteilung
der Wettbewerbswidrigkeit eines bestimmten Verhaltens ist für jeden Einzelfall danach vorzunehmen,
ob die infolge einer Behinderung oder Benachteiligung eingetretene Wettbewerbsverfälschung sich
durch sachlich angemessene Gründe rechtfertigen lässt oder nicht (vgl. BGE 139 I 72, Publigroupe,
E. 10.1.2; BGE 129 II 497, EEF, E. 6.5.1; BVGer, B-7633/2009,
ADSL II, E. 388). Massstab für die Beurteilung bildet
dabei die ausreichende Gewährleistung eines wirksamen Wettbewerbs, die sowohl den Institutionenschutz
als auch den Individualschutz umfasst (vgl. BGE 139 I 72, Publigroupe,
E. 10.1.2; BGE 129 II 497, EEF, E. 6.4.2; BGE 129 II 18,
Buchpreisbindung I, E. 5.2.1; BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 388). Dies bedeutet, dass der Schutz des Wettbewerbs gemäss Art. 7
KG nicht
nur darauf ausgerichtet ist, Endverbraucher vor einem unmittelbaren Schaden durch ein missbräuchliches
Verhalten zu bewahren, sondern er umfasst angesichts der dominanten Stellung des marktbeherrschenden
Unternehmens auch allgemein die Sicherstellung von sachgerechten Wettbewerbsbedingungen zur Aufrechterhaltung
oder Ausbildung eines ausreichenden Wettbewerbs auf allen durch das jeweilige Verhalten beeinflussten
Märkten (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 388). Angesichts
dessen, dass der Wettbewerb durch die marktbeherrschende Stellung eines Unternehmens bereits eingeschränkt
ist, kommt diesem eine besondere Verantwortung dafür zu, dass der Wettbewerb keine weitere Beeinträchtigung
durch seine Verhaltensweisen erfährt, die nicht den Mitteln eines ordnungsgemässen Leistungswettbewerbs
entsprechen (vgl. E. 1119
m.w.H.; BGE 139 I 72, Publigroupe, E. 10.1.1; BVGer, B-7633/2009,
ADSL II, E. 388). Daraus ergibt sich, dass einem marktbeherrschenden
Unternehmen einzelne wirtschaftliche Verhaltensweisen untersagt sein können, die nicht zu beanstanden
wären, wenn sie von einem Unternehmen ohne marktbeherrschende Stellung vorgenommen würden (vgl.
E. 1120
m.w.H.; BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 388).
511. Um die Transparenz und Kohärenz einer
wettbewerbsrechtlichen Beurteilung zu gewährleisten, wurden von Praxis und Literatur bestimmte Missbrauchsformen
als Fallgruppen bestimmter missbräuchlicher Verhaltensweisen ausgearbeitet, von denen die am häufigsten
auftretenden Missbrauchsformen als sog. Regelbeispiele in Art. 7 Abs. 2
KG ausdrücklich abgebildet
werden. Im Einzelfall kann ein konkretes wirtschaftliches Verhalten aber auch den Tatbestand verschiedener
Missbrauchsformen verwirklichen (vgl. E. 522
ff. m.w.H.; BGE 139 I 72, Publigroupe, E. 10.1.1 a.E.; vgl. auch
die Darstellung mit zahlreichen Beispielen bei Eilmannsberger Thomas/Bien
Florian, in: Bornkamm/Montag/Säcker [Hrsg.], Münchener Kommentar, Europäisches und Deutsches
Wettbewerbsrecht, Bd. 1 - Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2015, zit. MüK-EuWBR,
Art. 102 Rn. 630 f.). Ein wirtschaftliches Verhalten kann aber auch verschiedene Tatbestandsmerkmale
unterschiedlicher Fallgruppen bzw. Regelbeispiele erfüllen. Diese Verhaltensweisen sind je nach
inhaltlicher Gewichtung ihrer Handlungsakte grundsätzlich einem Regelbeispiel des Art. 7 Abs. 2
KG oder als eigenständige Fallgruppe der Generalklausel des Art. 7 Abs. 1
KG zuzuordnen (vgl. BVGer,
B-7633/2009, ADSL II, E. 388).
512. Im
Rahmen der rechtlichen Beurteilung eines marktmissbräuchlichen Verhaltens durch ein marktbeherrschendes
Unternehmen in einem behördlichen oder gerichtlichen Kartellverfahren mit oder ohne Sanktionierung
ist die Wettbewerbspraxis der Europäischen Union prinzipiell rechtsvergleichend mit Ausnahmevorbehalt
zu berücksichtigen (vgl. ausführlich BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 167 ff.; grundlegend BGE 139 I 72, Publigroupe,
E. 8.2.3; für vertikale Wettbewerbsabreden nunmehr BGE 143 II 297, Gaba,
E. 5.4.2; noch zurückhaltend BGE 137 II 199, Terminierung Mobilfunk,
E. 4.3.1 f.; Kubli Linda, Zum Grundsatz der Parallelität
im Kartellrecht - eine rechtsvergleichende Auslegung, AJP 2018, 199). Denn die Ausgestaltung des
materiellen schweizerischen Kartellgesetzes - und dabei insbesondere diejenige von Art. 7
KG -
orientiert sich seit der Revision des Kartellgesetzes im Jahr 1995 an den Vorschriften des EU-Wettbewerbsrechts.
Hierdurch lassen sich die auf europäischer Ebene bereits gewonnenen Erkenntnisse über die Beurteilung
eines bestimmten wirtschaftlichen Verhaltens zur Herstellung von Rechtssicherheit für das schweizerische
Recht nutzen (vgl. Botschaft KG 2004, 2041). Dies dient letztlich
auch der schweizerischen Wirtschaft, die eine starke Vernetzung mit dem EU-Binnenmarkt aufweist (vgl.
Botschaft KG 1995, 530). Dies bedeutet, dass im Einzelfall
ungeachtet der autonomen Auslegung des schweizerischen Kartellgesetzes auch die einschlägige EU-Wettbewerbspraxis
mit zu berücksichtigen ist (in diesem Sinne sind die im Urteil aufgeführten Verweise auf Rechtsprechung
und Literatur zum EU-Wettbewerbsrecht zu verstehen). Die konkreten Umstände des Einzelfalls sowie
besondere tatsächliche nationale Eigenheiten können deren Berücksichtigung dabei einerseits
auch ausschliessen (vgl. BGE 143 II 297, Gaba,
E. 6.2.3 a.E.; BGE 139 I 72, Publigroupe, E. 8.2.3; BGE 137 II 199,
Terminierung Mobilfunk, E. 4.3.1 f.) oder andererseits gerade
verlangen (vgl. BGE 143 II 297, Gaba, E. 6.2.3, wonach der Gesetzgeber
"ohne rechtstechnisch gleich vorzugehen, eine materiell identische Regelung zwischen Art. 5 Abs.
4
KG und dem EU-Wettbewerbsrecht in Bezug auf vertikale Abreden" habe herstellen wollen).
2)
Missbrauchsformenübergreifende Sach- und Rechtsfragen
513. Die Vorinstanz hat im Rahmen der angefochtenen
Verfügung festgestellt, dass der Sachverhalt die Tatbestände von mehreren Regelbeispielen des
Art. 7 Abs. 2
KG verwirklicht.
514. Die Beschwerdeführerinnen haben im
Rahmen ihrer Vorbringen zu diesen Tatbestandsvarianten verschiedene tatsächliche und rechtliche
Aspekte in gleicher oder ähnlicher Weise vorgebracht, mit denen die fehlende Wettbewerbswidrigkeit
des Verhaltens der SIX-Gruppe dargelegt oder zumindest eine ausreichende sachliche Rechtfertigung des
Verhaltens belegt werden sollte.
515. Diese Einwände der Beschwerdeführerinnen
sind im Sinne einer übergreifenden Prüfung zu den einzelnen Missbrauchsformen vorab zu beurteilen.
a)
Fehlende Verwirklichung verschiedener Fallgruppen
516. Zwischen den Parteien ist streitig, ob
ein Sachverhalt mehrere Missbrauchsformen erfüllen kann oder nicht.
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
517. Nach
Ansicht der Beschwerdeführerinnen könne nicht ernsthaft angenommen werden, dass ein relativ
einfacher Sachverhalt wie die Verweigerung von Schnittstelleninformationen dazu führe, dass neben
der Generalklausel von Art. 7 Abs. 1
KG weite Teile des Beispielskatalogs von Art. 7 Abs. 2
KG anwendbar
sein sollen.
518. Die
Vermischung von allgemeineren mit spezielleren Tatbeständen belege, dass der Kartellrechtsverstoss
im Sinne des Legalitätsprinzips nicht sauber definiert werden könne. Die Begründung der
angefochtenen Verfügung vermöge denn auch keine Behinderung der Wettbewerber darzulegen.
519. Bei
dem Verhalten handle es sich um eine blosse Übergangsproblematik, weil einer Lizenzierung nach Abschluss
der Test- und Zertifizierungsphase nichts mehr im Wege gestanden habe. Die Vorenthaltung des Verkaufs
von Zahlungskartenterminals mit einer bestimmten Funktion habe nämlich nur einen beschränkten
Zeitraum von einigen Monaten gedauert.
520. Nach
Ansicht der Beschwerdeführerinnen könne der Diskriminierungstatbestand nicht parallel zum Tatbestand
der Geschäftsverweigerung zur Anwendung gelangen. Denn die Geschäftsverweigerung werde im Grundsatz
in den meisten Fällen gleichzeitig auch eine Diskriminierung darstellen, weil entweder ein Drittunternehmen
oder ein internes Unternehmen einen Input geliefert bekomme, welcher einem anderen Unternehmen nicht
zur Verfügung gestellt werde. Umgekehrt sei jedoch nicht jede Diskriminierung von Handelspartnern
gleichzeitig auch eine Geschäftsverweigerung. Demnach sei Art. 7 Abs. 2 lit. a
KG als Spezialtatbestand
gegenüber Art. 7 Abs. 2 lit. b
KG anzusehen. Eine vorübergehende Verweigerung der Lizenzierung
von Schnittstelleninformationen, die nicht als Geschäftsverweigerung zu qualifizieren sei, könne
demzufolge auch keine Diskriminierung darstellen.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
521. Die Vorinstanz stützt sich im Wesentlichen
auf die Gründe ab, die im Rahmen der nachfolgenden Würdigung durch das Gericht dargestellt
werden.
(3)
Würdigung durch das Gericht
522. Nach
ganz überwiegender Auffassung in Praxis und Literatur kann ein bestimmtes wirtschaftliches Verhalten
sowohl den Tatbestand mehrerer Regelbeispiele von Art. 7 Abs. 2
KG als auch den Tatbestand eines Regelbeispiels
und eine Fallgruppe der Generalklausel gemäss Art. 7 Abs. 1
KG erfüllen (vgl. BGE 139
I 72, Publigroupe, E. 10.1.1; BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 388; Stäuble/Schraner, Dike-KG,
Art. 7 Rn. 49; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 2.778; Bulst, EU-WBR,
Art. 102 Rn. 8; Eilmannsberger/Bien, MüK-EuWBR,
Art. 102 Rn. 630 f.; Schröder/Bartl, SJKM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 174). Dies ergibt sich schon allein daraus, dass ein bestimmtes wirtschaftliches Verhalten
sowohl auf die Behinderung von Konkurrenten als auch auf die Benachteiligung von Geschäftspartnern
ausgerichtet sein kann und demzufolge unterschiedliche Missbrauchsformen der beiden Missbrauchstypen
verwirklicht werden. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um einen einfachen oder einen komplexen
Sachverhalt handelt.
523. Daher ist der gegenteilige generelle Einwand
der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 517)
unbeachtlich.
524. Soweit ein wirtschaftliches Verhalten
mehrere Tatbestände der Generalklausel gemäss Art. 7 Abs. 1
KG oder der Regelbeispiele gemäss
Art. 7 Abs. 2
KG potenziell erfüllt, ist jede Missbrauchsform für sich und unabhängig
von den anderen Missbrauchsformen zu prüfen (vgl. EuGH, 17.2.2011, C-52/09, Konkurrensverket gg.
TeliaSonera Sverige AB u.a., EU:C:2011:83, zit. TeliaSonera, Ziff.
57 f.; EuG, 23.10.2003, T-65/98, Van den Bergh Foods Ltd. gg. EU-Kom, EU:T:2003:281, zit. Van
den Bergh Foods, Ziff. 161; Bulst, EU-WBR,
Art. 102 Rn. 8 m.w.H.). Erfüllt ein wirtschaftliches Verhalten die Tatbestandsmerkmale einer Missbrauchsform,
ist es als wettbewerbswidrig zu qualifizieren, ohne dass auch die Tatbestandsvoraussetzungen der übrigen
Missbrauchsformen vorliegen müssen, weshalb letztere auch keiner Prüfung bedürfen. Insbesondere
ist es unerheblich, ob auch eine Missbrauchsform mit allenfalls strengeren Tatbestandsvoraussetzungen
erfüllt ist (vgl. Bulst, EU-WBR,
Art. 102 Rn. 8).
525. Aus diesen Gründen ist der gegenteilige
Einwand der Beschwerdeführerinnen (vgl. 518),
wonach aus der Anwendung verschiedener Tatbestände abgeleitet werden könne, dass sich ein wettbewerbswidriges
Verhalten nicht bestimmen lasse, ebenfalls unbeachtlich.
526. Die vorstehend genannten Grundsätze
gelten auch im Hinblick auf die Missbrauchsformen einer Geschäftsverweigerung gemäss Art. 7
Abs. 2 lit. a
KG und einer Diskriminierung gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. b
KG. Soweit
anerkannt wird, dass eine Diskriminierung auch bereits durch eine selektiv angewendete Ablehnung von
Geschäftsbeziehungen gegenüber anderen Wirtschaftsteilnehmern verwirklicht werden kann (vgl.
Sekretariat, RPW 1997/2, 138, Post PTT-Adressaktualisierungen,
Ziff. 15 ff.; Amstutz/Carron, BSK-KG,
Art. 102 Rn. 108; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 2.779; a.A. Clerk, CR-Concurrence,
Rn. 121), stellt sich für den Einzelfall die Möglichkeit einer gleichzeitigen Verwirklichung
der beiden Regelbeispiele ein (vgl. Eilmannsberger/Bien,
MüK-EuWBR, Art. 102, Rn. 630). Dabei ergibt sich entgegen
dem Einwand der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 520)
kein Anwendungsvorrang des Regelbeispiels der Diskriminierung, der eine Anwendung des Regelbeispiels
der Geschäftsverweigerung ausschliessen würde (a.A. Amstutz/Carron,
BSK-KG, Art. 102 Rn. 108; Weber/Volz,
FHB-WBR, Rn. 2.779). Da die Verwirklichung der Missbrauchsform
einer Geschäftsverweigerung nachfolgend bejaht wird (vgl. E. 1250),
bedarf es keiner darüber hinausgehenden Abklärung, ob das in Frage stehende Verhalten auch
die Missbrauchsform einer Diskriminierung erfüllt oder nicht (vgl. E. 1424
f.). Im Übrigen ergibt sich bei den vorstehend genannten Ansichten, welche einerseits einen Anwendungsvorrang
des Regelbeispiels der Diskriminierung gegenüber dem Regelbeispiel der Geschäftsverweigerung
propagieren und andererseits für die Verwirklichung einer Geschäftsverweigerung als zwingendes
Tatbestandsmerkmal eine Wettbewerbsbeseitigung voraussetzen (vgl. E. 1153)
ein inhaltlicher Widerspruch. Denn eine vollständige Ausschaltung des Wettbewerbs auf dem jeweiligen,
gegebenenfalls nachgelagerten Markt schliesst ein Verbleiben von Konkurrenten auf diesem Markt aus, weshalb
eine Ungleichbehandlung von Konkurrenten durch das marktbeherrschende Unternehmen neben einer Geschäftsverweigerung
gar nicht erfolgen könnte.
527. Die Einwendung der Beschwerdeführerinnen,
es habe sich im vorliegenden Fall nur um eine wettbewerbsrechtlich zulässige Übergangsproblematik
gehandelt (vgl. E. 519),
wird durch die nachfolgenden Abklärungen zur Bedeutung der von den Beschwerdeführerinnen geltend
gemachten Test- und Re-Zertifizierungsphasen inhaltlich widerlegt (vgl. E. 686
ff.).
b)
Kartellrechtliche Behandlung von Schnittstelleninformationen
528. Zwischen
den Parteien ist strittig, welche urheberrechtliche Qualifikation Schnittstellen zukommt und welche Auswirkungen
sich daraus auf die Anwendbarkeit des Kartellgesetzes angesichts des Immaterialgüterrechtsvorbehalts
gemässs Art. 3 Abs. 2
KG sowie auf die kartellrechtliche Beurteilung einer Verweigerung der Offenlegung
von Schnittstelleninformationen ergeben. Inhalt und Tragweite des Immaterialgüterrechtsvorbehalts
für den vorliegenden Sachverhalt sind unter Berücksichtigung der massgeblichen materiellen
Aspekte vorzunehmen (vgl. E. 88).
Hierbei ist die Unterscheidung zwischen der formell-rechtlichen Abgrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs
des Kartellgesetzes einerseits und der materiell-rechtlichen Überprüfung der jeweiligen Sachverhalte
andererseits zu beachten.
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
529. Die
Beschwerdeführerinnen machen geltend, dass das Kartellgesetz aufgrund des Immaterialgüterrechtsvorbehalts
gemäss Art. 3 Abs. 2
KG auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar sei.
530. Ungeachtet dessen sei das Verhalten der
SIX-Gruppe jedenfalls deshalb nicht kartellrechtswidrig, weil sie angesichts einer Gruppengesellschaft
als Rechtsinhaberin eines urheberrechtlichen Schutzes an den DCC-Schnittstellen nicht zur Herausgabe
von Informationen über diese DCC-Schnittstellen verpflichtet gewesen sei.
531. Die
Beschwerdeführerinnen behaupten, dass sich die grundsätzliche Schutzfähigkeit von Schnittstellen
klar aus Art. 21
URG und Art. 17
URV ergäbe. Würde es sich bei Schnittstellen um
gemeinfreie Teile handeln, wäre eine solche gesetzliche Regelung der Dekompilierung überflüssig.
532. Auf
jeden Fall würden Schnittstellen aber als Teile des Computerprogramms an dessen Schutz teilhaben.
Im vorliegenden Sachverhalt geniesse das Computerprogramm für die Abwicklung und Bearbeitung der
DCC-Funktion ohne Zweifel urheberrechtlichen Schutz. Entsprechend seien auch die DCC-Schnittstellen als
Teil der DCC-Funktion geschützt.
533. Zudem
seien die Voraussetzungen von Art. 21
URG auf jeden Fall - d.h. nicht nur dann, wenn die Schnittstellen
selbst urheberrechtlichen Schutz geniessen - einzuhalten. Denn die in Art. 21
URG und Art. 17
Abs. 3
URV vorgesehene Dekompilierung sei eine Schranke des Urheberrechts am Computerprogramm selbst.
534. In
diesem Zusammenhang bringen die Beschwerdeführerinnen vor, dass die Schrankenbestimmung in Art.
21
URG zwar dazu diene, die Herstellung von kompatiblen Programmen und damit einen Wettbewerb für
interoperable Drittsoftware zu ermöglichen. Dies umfasse jedoch nicht die Herstellung von konkurrenzierenden
Programmen.
535. Ungeachtet
dessen könne aus Art. 21
URG keine Pflicht zur Bekanntgabe der Schnittstelleninformationen durch
den Urheber abgeleitet werden. Vielmehr bestehe allenfalls ein Recht des Entwicklers eines Zweitprogramms,
sich die Informationen selbst zu beschaffen. Die
Beschwerdeführerinnen hätten sich daher die Schnittstelleninformationen mittels einer Dekompilierung
selbst beschaffen können bzw. müssen.
536. Die
Offenlegung der DCC-Schnittstelleninformationen habe zudem zu einer blossen Kopie eines bereits bestehenden
Produkts und nicht zu einer Entwicklung ergänzender Produkte geführt. Die anderen Terminalhersteller
hätten keine ergänzenden Produkte zur DCC-Funktion der Card Solutions, sondern die identische
DCC-Funktion anbieten wollen. Die angestrebte Leistung gehe demnach nicht über die Nachahmung der
schon bestehenden Funktion von Card Solutions hinaus und sei mit ihr identisch. Dies diene weder dem
Markt noch den Kunden.
537. Überdies
seien die von der Vorinstanz im Zusammenhang mit der Marktverschliessung durch technische Behinderung
aufgeführten internationalen Leitentscheide AT&T (Hush-A-Phone
v. United States, 238 F.2d 266 [D.C. Cir. 1956]; Carterphone (Federal
Communications Commission, 13 F.C.C.2d 420 [1968]), IBM (EU-Kom,
Vierzehnter Bericht über die Wettbewerbspolitik 1984, 1985, Rz. 94 f.) sowie Microsoft
(EU-Kom, 24.3.2004, Comp/C-3/37.792) nicht einschlägig.
So sei insbesondere in den Entscheiden IBM und Microsoft
den Unternehmen vorgeworfen worden, die Interoperabilität mit einem marktbeherrschenden Produkt
zu verhindern. Demgegenüber beschränke sich die vorliegende Frage auf die Schnittstelleninformationen
hinsichtlich der Funktionalität für eine Zusatzdienstleistung der Card Solutions, bei der gerade
keine marktbeherrschende Stellung bestehe.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
538. Die
Vorinstanz bringt demgegenüber vor, dass sich die Statuierung der Dekompilierung in Art. 21
URG
nicht aus einer Notwendigkeit eines Schutzes von Schnittstellen ergebe, sondern aus der Notwendigkeit
des Schutzes von Programmcodes, in die bei einer Dekompilierung eingegriffen werden müsse. Bereits
daraus lasse sich ableiten, dass Schnittstellen selbst urheberrechtlich nicht geschützt seien.
539. Selbst dann, wenn für Schnittstellen
ein urheberrechtlicher Schutz zu bejahen wäre, ergäbe sich dennoch kein Anwendungsvorbehalt
zu Lasten des Kartellrechts, weil allein Schnittstelleninformationen und nicht Schnittstellen in Frage
stünden. Schnittstelleninformationen, die den Schnittstellen zu Grunde liegen und die von anderen
Terminalherstellern zur Schaffung ihrer eigenen Schnittstellensequenzen in ihrer eigenen Terminalsoftware
angefordert würden, seien urheberrechtlich gar nicht erst schutzfähig.
540. Die
Vorinstanz ist demzufolge der Ansicht, dass der Inhalt des Urheberrechts einer kartellrechtlichen Pflicht
zur Bekanntgabe von Schnittstelleninformationen nicht entgegenstehen könne.
541. Unabhängig von der Frage der urheberrechtlichen
Schutzfähigkeit von Schnittstellen und Schnittstelleninformationen würde der vorliegende Sachverhalt
über den Schutzzweck des Urheberrechts hinausgehen. So zeige insbesondere die Schrankenbestimmung
von Art. 21 Abs. 2
URG, dass das Immaterialgüter- und das Kartellrecht nicht im Konflikt
zueinander stünden, sondern letztlich dieselben Ziele verfolgten. Denn das Ziel der Dekompilierung
sei letztlich die Ermöglichung von Wettbewerb im Bereich der Soft- und Hardwareanbieter. Dafür
müsse die Interoperabilität zwischen den verschiedenen Softwareprodukten zwingend gewährleistet
sein. Der vorliegende Sachverhalt falle daher nicht unter den Immaterialgüterrechtsvorbehalt gemäss
Art. 3 Abs. 2
KG.
542. Und
selbst wenn von urheberrechtlich geschützten Rechtspositionen zur Herstellung einer Interoperabilität
auszugehen wäre, so sei die konkrete Informationsverweigerung nicht ausschliesslich auf die Ausübung
des Urheberrechts zurückzuführen, sondern primär auf die marktbeherrschende Stellung der
Beschwerdeführerinnen.
(3)
Würdigung durch das Gericht
543. Für
die Beurteilung eines Anwendungsvorrangs des Immaterialgüterrechts gemäss Art. 3 Abs. 2
KG
bei Schnittstelleninformationen für EDV-Plattformen zur Herstellung der Interoperabilität mit
EDV-Geräten liegt keine höchstrichterliche Rechtsprechung vor. Zur Feststellung, ob Wettbewerbswirkungen
vorliegen, die in den Anwendungsbereich des Kartellgesetzes fallen, bedarf es daher einer Abwägung
der für diese Konstellation massgeblichen immaterialgüterrechtlichen und wettbewerblichen Aspekte
(vgl. E. 88
f.).
544. Voraussetzung für eine entsprechende
Abwägung stellt dabei das Vorhandensein eines rechtmässigen Immaterialgüterrechts dar.
Vorliegend wird von den Beschwerdeführerinnen ein Urheberrecht sowohl an der DCC-Funktion als auch
der DCC-Schnittstelle geltend gemacht.
545. Zur Beurteilung der von den Parteien vorgebrachten
Einwände bedürfen für diese Abwägung verschiedene Aspekte zunächst der Klärung:
(i) Funktion und Bedeutung von Schnittstellen und Schnittstelleninformationen (vgl. E. 546
ff.); (ii) Zweck und Schutzumfang der urheberrechtlichen Regelungen in Art. 10
, 12
und 21
URG (vgl. E.
557
ff.); (iii) Voraussetzungen eines Urheberrechts an Schnittstellen (vgl. E. 570
ff.); (iv) Voraussetzungen einer Dekompilierung gemäss Art. 21
URG (vgl. E. 580
ff.); (v) Bestehen einer urheberrechtlichen Pflicht zur Offenlegung von Schnittstelleninformationen (vgl.
E. 604
ff.). Aufgrund dieser Abklärung sind danach anhand der konkreten Feststellungen zum gegenseitigen
Verhältnis von Kartell- und Urheberrecht allfällige konkrete Auswirkungen auf die materiellrechtliche
Beurteilung zu bestimmen (vgl. E. 609
ff.).
(a)
Schnittstellen und Schnittstelleninformationen
546. Ein
Kartenzahlungssystem unter Einsatz von POS-Terminals sowie Zahlungskarten mit Magnetstreifen, Chips oder
sonstigen Sicherheitskomponenten baut im Wesentlichen auf einem System der elektronischen Datenverarbeitung
(nachfolgend: EDV) auf. Die massgebliche Grundlage für die Beurteilung einer urheberrechtlichen
Schutzfähigkeit der DCC-Schnittstellen zur Anbindung von POS-Terminals an die jeweiligen Akzeptanz-Plattformen
bildet demzufolge die Beurteilung der urheberechtlichen Schutzfähigkeit von Schnittstellen in EDV-Systemen.
547. Unabhängig von ihrer Grösse
und ihrem Zweck setzen EDV-Systeme jeweils eine Infrastruktur voraus, die aus verschiedenen Komponenten
in Gestalt von Computerprogrammen bzw. Software, wie z.B. Betriebssystemen, Anwendungs- und Funktionsprogrammen,
sowie Einzelgeräten bzw. Hardware, wie z.B. Computern, Bildschirmen, Lesegeräten und Servern,
besteht sowie allenfalls auch sog. Plattformen - die umgangssprachlich eine übergeordnete,
d.h. über Einzelgeräte hinausgehende Zusammenfassung von Hard- und Software zum Anschluss von
Einzelgeräten als Satelliten innerhalb eines Netzes zur Datenverarbeitung darstellen - umfasst.
548. Um die vorgesehene Datenverarbeitung
durchzuführen, bedarf es der Interoperabilität, d.h. einer wechselseitigen Interaktion zwischen
den verschiedenen Komponenten eines EDV-Systems (vgl. SV F.c).
Hierzu müssen technische Verbindungen in Form von Leitungen oder Funktechnik aller Arten zwischen
den einzelnen Komponenten innerhalb eines Geräts oder einer Plattform sowie eine Vernetzung zwischen
einer Plattform und den angebundenen Geräten hergestellt werden. An den Übergängen der
jeweiligen Verbindung bzw. Vernetzung befinden sich die Hardware-Schnittstellen als technische Verbindung
des elektronischen Datenverkehrs und zudem die Software-Schnittstellen als elektronische Verbindung der
Computerprogramme, wobei der Begriff "Schnittstellen" nachfolgend ausschliesslich letztere
umfasst. Zur Herstellung der Verbindung müssen die Schnittstellen entweder besondere Computerprogramme
in Form von eigenständigen Funktionsprogrammen aufweisen oder als besondere Teile von Computerprogrammen
ausgestaltet sein (vgl. Neff
Emil
F./Arn Matthias, in: von Büren/David [Hrsg.], Schweizerisches Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht,
Band 2, 2. Teilband Urheberrecht im EDV-Bereich, 1. Teil Urheberrechtlicher Schutz der Software, 1998,
zit. SIWR II/2, 302; Staffelbach
Oliver, Die Dekompilierung von Computerprogrammen, 2003, zit. Dekompilierung,
70 f.), mit denen die gegenseitige Interaktion der zugehörigen
EDV-Komponenten durch eine gleichförmige Transformation des jeweiligen Informationsflusses ermöglicht
wird. Die Schnittstellenspezifikationen umfassen als Schnittstelleninformationen Art und Aufbau des Informationsflusses
der jeweiligen Schnittstelle, insbesondere die funktions- und sicherheitstechnische Ausgestaltung und
Anordnung der am Übergang anzuliefernden bzw. abzunehmenden Daten. Aufgrund der Kenntnis der jeweiligen
Schnittstelleninformationen können die einzelnen Hersteller die Interoperabilität ihrer EDV-Komponenten
sicherstellen.
549. Diese allgemeine Charakterisierung von
Schnittstellen und Schnittstelleninformationen entspricht deren Definition in Bezug auf Computerprogramme
im Urheberrecht der Schweiz (Bundesgesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte vom 1.6.1993,
zit. Urheberrechtsgesetz, URG, SR
231.1; Verordnung über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte
vom 26. April 1993, zit. Urheberrechtsverordnung, URV, SR
231.11) und der Europäischen Union (Richtlinie
2009/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.4.2009 über den Schutz von Computerprogrammen,
ABl. 2009 L 111/16, zit. Software-RL; vormals Richtlinie 91/250/EWG
des Rates vom 14.5.1991 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen, ABl. 1991 L 122/42).
550. Nach
Erwägungsgrund 10 der Software-RL besteht die Funktion von
Computerprogrammen darin, mit den anderen Komponenten eines Computersystems und den Benutzern in Verbindung
zu treten und zu operieren. Zu diesem Zweck sei eine logische und, wenn zweckmässig, physische Verbindung
und Interaktion notwendig, um zu gewährleisten, dass Software und Hardware mit anderer Software
und Hardware wie beabsichtigt funktionieren können. Die Teile des Programms, die eine solche Verbindung
und Interaktion zwischen den Elementen von Software und Hardware ermöglichen sollen, seien allgemein
als "Schnittstellen" bekannt. Bei dieser funktionalen Verbindung und Interaktion handle es
sich um "Interoperabilität". Diese Interoperabilität könne definiert werden
als die Fähigkeit zum Austausch von Informationen und zur wechselseitigen Verwendung der ausgetauschten
Informationen.
551. Gemäss
Art. 17 Abs. 2
URV gelten als erforderliche Informationen über Schnittstellen im Sinne von Art.
21 Abs. 1
URG solche, die zur Herstellung der Interoperabilität eines unabhängig geschaffenen
Programms mit anderen Programmen unerlässlich und dem Benutzer oder der Benutzerin von Programmen
nicht ohne Weiteres zugänglich sind. Unter Schnittstellen werden Berührungspunkte und Mechanismen
verstanden, die dem Austausch von Daten und somit der Gewährleistung von Interoperabilität
von Programmen dienen (vgl. Neff/Arn,
SIWR II/2, 304; Oertli Reinhard, in: Müller/Oertli
[Hrsg.], Urheberrechtsgesetz, 2. Aufl. 2012, zit. SHK-URG, Art.
21 Rn. 22). Bei Interoperabilität handelt sich um die Fähigkeit zum Austausch von Informationen
und zur wechselseitigen Verwendung der ausgetauschten Informationen. Interoperabilität setzt dabei
eine logische und, wenn zweckmässig, physische Verbindung zwischen einem Erst-Programm und einem
Zweit-Programm voraus (vgl. Barrelet Denis/Egloff Willi,
Das neue Urheberrecht, Kommentar zum Bundesgesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte,
3. Aufl. 2008, zit. Urheberrecht, Art. 21 Rn. 2; Neff/Arn,
SIWR II/2, 304; Oertli, SHK-URG,
Art. 21 Rn. 14, jeweils unter Verweis auf die Software-RL).
552. Demzufolge
bildet die Interoperabilität von einzelnen Komponenten eines EDV-Systems die notwendige Voraussetzung
für deren bestimmungsgemässen Gebrauch. Denn ohne Möglichkeit der Interoperabilität
sind einzelne Komponenten eines EDV-Systems offensichtlich ohne Verwendungsmöglichkeit. Dies gilt
insbesondere auch für Einzelgeräte, wie in diesem Falle POS-Terminals, die an eine Plattform,
in diesem Falle eine Akzeptanzplattform, angebunden werden sollen. Zur Herstellung der notwendigen Interoperabilität
ist die Angleichung der Schnittstellen der einzelnen EDV-Komponenten unabdingbar. Hierfür ist wiederum
die Festlegung der jeweils massgeblichen Schnittstelleninformationen erforderlich.
553. Regelmässig werden die einzelnen
Komponenten in einem offenen EDV-System eingesetzt, bei dem dessen jeweilige Betreiber bzw. Nutzer Komponenten
unterschiedlicher Hersteller einsetzen können. Hierbei bedarf es von Seiten der Hersteller von EDV-Komponenten
entweder (i) eines Rückgriffs auf bestehende Standards der Datenübermittlung, oder (ii) der
Schaffung eines entsprechenden Standards, oder (iii) einer Offenlegung der einzelnen Schnittstelleninformationen
für die eigenen EDV-Komponenten, weil ansonsten eine Einbindung der eigenen Komponente zusammen
mit verschiedenen anderen Komponenten in ein EDV-System von vornherein nicht bewerkstelligt werden könnte.
554. Zahlungskartensysteme
sind aus mehreren Gründen als offene EDV-Systeme zu qualifizieren. Zum einen weisen die jeweiligen
Kartenlizenzgeber die Oberaufsicht über die technische Ausgestaltung eines Kartenzahlungssystems
auf, wie dies von den Beschwerdeführerinnen im Hinblick auf die notwendige Re-Zertifizierung ausdrücklich
geltend gemacht wird (vgl. E. 673).
Zudem wurde in der Schweiz von den an Kartenzahlungssystemen beteiligten Unternehmen mit dem ep2-Standard
eine generelle Abstimmung der Schnittstellen und Schnittstelleninformationen zur Datenübertragung
zwischen den Akzeptanz-Plattformen und den POS-Terminals vorgenommen, um die Kompatibilität aller
Komponenten des Zahlungskartensystems bei deren Einsatz sicherzustellen (vgl. SV F.e).
Daher bildet die technische Ausgestaltung der Schnittstellen von vornherein keine Eigenentwicklung einzelner
Terminalhersteller oder sonstiger Unternehmen. Zum anderen wird sowohl den an einem Zahlungskartensystem
angeschlossenen Kartenakquisiteuren ermöglicht, ihre Acquring-Plattformen nach eigenen Vorstellungen
auszugestalten, als auch den jeweiligen Händlern zugestanden, nach eigener Wahl POS-Terminals unterschiedlicher
Hersteller einzusetzen.
555. Allfällge Besonderheiten eines absolut
geschlossenen EDV-Sys-tems, dessen gesamte Infrastruktur vom jeweiligen Betreiber als einheitliches Gesamtsystem
nachgefragt und von seinem Hersteller als Einheit zur Verfügung gestellt und gewartet wird, bedürfen
demzufolge im vorliegenden Zusammenhang keiner Abklärung und Berücksichtigung.
556. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 532)
ergibt sich ein urheberrechtlicher Schutz der DCC-Schnittstellen demzufolge nicht bereits aus einer tatsächlichen
Verbindung mit der DCC-Funktion, d.h. dem Programmcode, der die Währungsumrechnung ausführt.
Denn Schnittstellen dienen ausschliesslich der Verbindung von mindestens zwei anderen Computerprogrammen,
weshalb sie von diesen gesondert zu betrachten sind. Dies gilt unabhängig davon, ob die Schnittstelle
unmittelbar in den Quellcode eines Computerprogramms integriert oder als eigenständiges Funktionsprogramm
an andere Computerprogramme angedockt wird. Im Übrigen ist es für den Aspekt einer Verpflichtung
zur Herausgabe von Schnittstelleninformationen entgegen ihrem Einwand letztlich unerheblich, ob den Beschwerdeführerinnen
ein Urheberrecht an der DCC-Funktion und dem entsprechenden Anwendungsprogramm zukommt oder nicht (vgl.
E. 578).
(b)
Rechtliche Ausgangslage
557. Da
Schnittstellen und die jeweiligen Schnittstelleninformationen eine zwingende Voraussetzung für den
bestimmungsgemässen Einsatz von einzelnen Komponenten in offenen EDV-Systemen zur Herstellung der
notwendigen Interoperabilität bilden (vgl. E. 552),
bedarf es einer sachgerechten Ausgestaltung der urheberrechtlichen Regelungen, damit gegebenenfalls eine
Möglichkeit zur Kenntnisnahme der Schnittstelleninformationen durch die (potenziellen) Hersteller
von zugehörigen Komponenten des jeweiligen EDV-Systems besteht, um die notwendige Interaktion der
einzelnen Komponenten untereinander auch zu gewährleisten.
558. Hiervon
zu unterscheiden ist die Sachverhaltskonstellation, bei der die Schnittstelle als solche in technischer
Hinsicht eine besondere Qualität aufweist, die über den üblichen Datentransfer hinausgeht,
sodass ihr aufgrund von anderen Rechtsvorschriften, wie dem Patentrecht, ein über den Werkschutz
des Urheberrechts hinausgehender Schutzbereich zukommt, der auch eine andere rechtliche Beurteilung nach
sich ziehen würde (vgl. E. 602).
559. Diese allgemeine Beurteilung spiegelt
sich in den gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes und der Urheberrechtsverordnung sowie
den hierzu bestehenden Ansichten in der Literatur wider.
560. Gemäss Art. 2 Abs. 3
URG gilt ein
Computerprogramm als Werk im Sinne des Urheberrechts, soweit es sich um eine geistige Schöpfung
mit individuellem Charakter handelt. Teile von Werken sind gemäss Art. 2 Abs. 4
URG dabei nur
dann geschützt, wenn es sich hierbei wiederum selbst um geistige Schöpfungen mit individuellem
Charakter handelt.
561. Art.
10
URG statuiert das grundsätzliche Recht des Urhebers, ausschliesslich über die Verwendung
seines Werks zu entscheiden. Dieses ausschliessliche Verwendungsrecht erfährt gewisse Einschränkungen
durch verschiedene Vorschriften des Urheberrechtsgesetzes.
562. Art.
12
URG legt den Umfang der Nutzungsberechtigung eines Nutzers fest, dem das Computerprogramm durch den
Schutzrechtsinhaber, d.h. dem Urheber bzw. einem von ihm mit dessen Absatz beauftragten Dritten als Lizenznehmer,
zum Gebrauch überlassen wurde.
563. Gemäss Art. 21 Abs. 1
URG darf sich
derjenige, der das Recht hat, ein Computerprogramm zu gebrauchen, die erforderlichen Informationen über
Schnittstellen zu unabhängig entwickelten Programmen durch Entschlüsselung des Programmcodes
beschaffen oder durch Drittpersonen beschaffen lassen. Gemäss Art. 21 Abs. 2
URG dürfen die
so gewonnenen Schnittstelleninformationen allerdings nur zur Entwicklung, Wartung sowie zum Gebrauch
von interoperablen Computerprogrammen verwendet werden, soweit dadurch weder die normale Auswertung des
Programms noch die rechtmässigen Interessen der Rechtsinhaber unzumutbar beeinträchtigt werden.
Eine unzumutbare Beeinträchtigung der normalen Auswertung des Programms im Sinne von Art. 21 Abs.
2
URG liegt gemäss Art. 17 Abs. 3
URV insbesondere dann vor, wenn die im Rahmen der Entschlüsselung
gewonnenen Schnittstelleninformationen für die Entwicklung, Herstellung oder Vermarktung eines Programms
mit im Wesentlichen ähnlicher Ausdrucksform verwendet werden.
564. Der
inhalltichen Ausgestaltung dieser Vorschriften liegt die Absicht des Gesetzgebers zu Grunde, im Ergebnis
eine am EU-Recht orientierte Rechtslage herzustellen (vgl. Botschaft des Bundesrats zu einem Bundesgesetz
über das Urheberrecht vom 19.6.1989, BBl 1989 III 477, zit. Botschaft
URG, 478; Berichterstatter Fischer-Sursee, AmtBull
NR 27.1.1992, 4). Zu diesem Zweck wurde im Rahmen der parlamentarischen Überarbeitung des der Botschaft
zu Grunde liegenden Vorentwurfs die Bestimmung des Art. 21
URG aufgenommen (AmtBull NR 1992 I 42),
um - zumal im Vorfeld der Abstimmung über einen Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum
- im Ergebnis eine dem EU-Recht entsprechende Rechtslage, die 1991 durch den Erlass der Software-RL
konkretisiert worden war, zu gewährleisten (vgl. Barrelet/Egloff,
Urheberrecht, Art. 21 Rn. 1; Cherpillod
Ivan, Urheberrecht, in: von Büren/David [Hrsg.], Schweizerisches Immaterialgüter- und
Wettbewerbsrecht, Bd. 2, 1. Teilband, Urheberrecht, zit. SIWR II/1,
Rn. 850, 852; Fröhlich-Bleuler, Urheberrechtliche Nutzungsbefugnisse
des EDV-Anwenders, AJP 1995, 569, zit. Nutzungsbefugnisse, 569;
Neff/Arn, SIWR II/2,
39; Rauber Georg, Computersoftware, in: Streuli-Youssef
[Hrsg.], Urhebervertragsrecht, 2006, zit. Computersoftware, 123).
Die Regelungen in Art. 21 Abs. 1
URG und Art. 17
URV sind inhaltlich demnach Art. 6 Software-RL
nachgebildet, auch wenn formal-sprachliche Unterschiede bestehen (vgl. Oertli,
SHK-URG,
Art. 21
Rn. 2). Nach überwiegender Auffassung im schweizerischen Schrifttum ist Art. 21
URG
daher vollumfänglich im Sinne von Art. 6 Software-RL zu interpretieren
(vgl. Barrelet/Egloff, Urheberrecht,
Art. 21 Rn. 1; Cherpillod, SIWR
II/1, Rn. 284; Fröhlich-Bleuler, Nutzungsbefugnisse,
569; Oertli, SHK-URG,
Art. 21 Rn. 3; Neff/Arn,
SIWR II/2, 17 ff., 25, 39, 300 f.; a.A. Staffelbach, Dekompilierung,
74, nach dem Abweichungen denkbar seien).
565. Der
Zweck der entsprechenden EU-Regelungen besteht im Schutz der jeweiligen Computerprogramme vor einer unerlaubten
Vervielfältigung (vgl. Erwägung 2 Software-RL). Hingegen
bilden der Schutz vor konkurrenzierenden Produkten und damit die generelle Ausschaltung des Wettbewerbs
keinen Zweck dieser Vorschriften (vgl. EuGH, 2.5.2012, C-406/10, SAS Institute Inc. gg. World Programming
Ltd, EU:C:2012:259, zit. SAS Institute, Ziff. 40, 41). Dies wird
auch durch die Regelung in Erwägung 17 Software-RL bestätigt,
wonach ausdrücklich eine Anwendung der Wettbewerbsregeln von Art. 101 und 102 AEUV vorbehalten bleibt,
wenn ein marktbeherrschender Anbieter den Zugang zu Informationen verweigert, die für die Interoperabilität
von Computerprogrammen notwendig sind. Zudem kann ein erworbenes Computerprogramm gemäss Art. 5
Abs. 3 Software-RL auch durch Ausprobieren erkundet werden, um
die dem Programmelement zu Grunde liegenden Ideen und Grundsätze zu ermitteln und zu eigenen Zwecken
zu nutzen (vgl. EuGH, EU:C:2012:259, SAS Institute, Ziff. 59).
566. In Bezug auf Schnittstellen und die entsprechenden
Schnittstellenprogramme bzw. Teile von Anwendungsprogrammen wurde durch die Europäische Kommission
im Rahmen der Microsoft-Entscheidung eine Differenzierung zwischen
den eigentlichen Schnittstelleninformationen dieser Programme (interface specifications) einerseits und
der Ausführung dieser Programme (implementation) andererseits vorgenommen. Schnittstelleninformationen
würden dabei ausschliesslich beschreiben, was eine Anwendung erfüllen muss und nicht, wie sie
dies erfüllt. Schnittstelleninformationen müssten bzw. könnten demzufolge auch nicht durch
eine Maschine ausführbar sein. Folglich würden sich Schnittstelleninformationen auch nicht
mit den Details einer Anwendung bzw. Ausführung eines Programms befassen (EU-Kom,
24.3.2004, Comp/C-3/37.792 Microsoft, Microsoft Corporation, zit. Microsoft,
Ziff. 570 f.). Damit verweist die Europäische Kommission auf zentrale Aspekte, die in der Literatur
bei einer Gegenüberstellung von Schnittstelleninformationen einerseits und Quellcode andererseits
gegen die urheberrechtliche Schutzfähigkeit von Schnittstelleninformationen geltend gemacht werden.
567. Trotz dieser Differenzierung und einer
faktischen Abgrenzung von Schnittstelleninformationen gegenüber Quellcodes hat die Europäische
Kommission die allgemeine Frage, ob Schnittstellen urheberrechtlich geschützt sind, in ihrer Microsoft-Entscheidung
hinsichtlich der Betriebssysteme von Arbeitsgruppen-Servern für die Anbindung der Betriebssysteme
von Personalcomputern offengelassen (EU-Kom, Comp/C-3/37.792,
Microsoft, Ziff. 1003, 1004). Die Europäische Kommission
hat auch für den konkreten Sachverhalt weder festgestellt noch ausgeschlossen, dass das beanstandete
Verhalten von Microsoft aufgrund bzw. ungeachtet eines bestehenden Immaterialgüterrechts als Lizenzverweigerung
zu qualifizieren sei (EuG, 17.7.2007, T-201/04, Microsoft Corp. gg. EU-Kom, EU:T:2007:289, zit. Microsoft,
Ziff. 287), wobei das Verhalten insbesondere als eine unzulässige Einschränkung der technischen
Entwicklung qualifiziert und eine Rechtfertigung unter Berufung auf ein Immaterialgüterrecht letztlich
abgelehnt wurde (vgl. EU-Kom, Comp/C-3/37.792, Microsoft,
Ziff. 783).
568. Ungeachtet dessen wurde allerdings auch
die Möglichkeit, dass Immaterialgüterrechte an Schnittstellen grundsätzlich bestehen könnten,
nicht ausgeschlossen. Denn für den Einzelfall wurde darauf hingewiesen, dass es nicht möglich
gewesen sei, eine abschliessende Überprüfung vorzunehmen, ob entsprechende Rechte zu Gunsten
von Microsoft tatsächlich bestanden hätten (EU-Kom,
Comp/C-3/37.792, Microsoft, Ziff. 190 und Fn. 249, Ziff.
546). Letztlich wurde die materiell-rechtliche Prüfung auf der Grundlage einer "als ob-Betrachtung"
durchgeführt. Diese Vorgehensweise wurde durch das Europäische Gericht ausdrücklich bestätigt,
weil es für das betroffene Unternehmen die günstigste Variante darstelle (EuG, EU:T:2007:289,
Microsoft, Ziff. 283, 284).
569. Demzufolge liegt zum einen keine verbindliche
Abklärung vor, ob Schnittstelleninformationen im IT-Bereich überhaupt ein für das Kartellrecht
relevanter immaterialgüterrechtlicher Schutz zukommt oder nicht. Zum anderen ergibt sich aus den
Microsoft-Verfahren aber, dass jedenfalls diese spezifischen Schnittstelleninformationen
des IT-Bereichs keine Ausschliesslichkeitswirkung im Sinne des schweizerischen Immaterialgüterrechtsvorbehalts
gemäss Art. 3 Abs. 2
KG aufweisen. Ansonsten hätte die Verweigerung der Schnittstelleninformationen
durch die Schutzrechtsinhaberin nicht als nachteilige Einwirkung auf den Wettbewerb qualifiziert werden
können bzw. es hätte eine ausreichende Rechtfertigung für diese Einwirkung vorliegen müssen.
(c)
Urheberrechtlicher Schutz von Schnittstellen
570. Vor
diesem Hintergrund ist in der schweizerischen Literatur umstritten, ob Schnittstellen urheberrechtlich
geschützt sind.
571. Nach einer Ansicht könne den in
den Algorithmen des Computerprogramms enthaltenen Schnittstellencodes kein urheberrechtlicher Schutz
zugesprochen werden, weil es ihnen an der erforderlichen Individualität und Originalität mangle
und sie aufgrund ihrer Zweckbestimmung die Form zu weit vorgeben würden (vgl. Stirnimann
Franz, Urheberkartellrecht, 2004, zit. Urheberkartellrecht,
137, Fn. 480) oder weil die Schnittstelleninformationen nicht ausführbar seien (vgl. Straub
Wolfgang, Softwareschutz, 2011, zit. Softwareschutz, 250).
572. Demgegenüber leitet die überwiegende
Auffassung in der Literatur aus der gesetzgeberischen Ausgestaltung der massgeblichen Vorschriften ab,
dass auch Schnittstellen ein urheberrechtlicher Schutz zukommen könne (vgl. Brändli
Sandra, Die Flexibilität urheberrechtlicher Systeme, 2017, zit. Flexibilität,
Rn. 351; Neff/Arn, Urheberrecht,
146, 302 f.; Oertli, SHK-URG,
Art. 21 Rn. 22; Staffelbach, Dekompilierung,
61).
573. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 531)
lässt sich jedenfalls nicht bereits aus dem Vorhandensein der Regelung zur Dekompilierung von Computerprogrammen
in Art. 21
URG herleiten, dass Schnittstellen urheberrechtlich geschützt sein müssen, weil
die entsprechende Regelung ansonsten überflüssig wäre (a.A. Neff/Arn,
SIWR II/2, 146). Denn Art. 21
URG schützt die Schnittstellen
- selbst dann, wenn es sich um ein selbständiges Schnittstellenprogramm handelt - gerade
nicht, sondern sieht die Möglichkeit einer Entschlüsselung der Schnittstellen und eine Verwendung
der dadurch erlangten Schnittstelleninformationen durch Dritte ausdrücklich vor. Hierzu wird sogar
ein Eingriff in den Quellcode eines Programms als zentrales urheberrechtliches Schutzgut vom Gesetzgeber
zugelassen. Demnach besteht der Zweck des Art. 21
URG vielmehr im Schutz des (sonstigen) Quellcodes
von Computerprogrammen. Ein Eingriff in diesen Bereich des urheberechtlichen Werkschutzes bedarf einer
ausdrücklichen gesetzlichen Gestattung, weil er aufgrund der allgemeinen Vorschriften (vgl. E. 561,
562)
über das Gebrauchsrecht am Computerprogramm nicht abgedeckt ist (vgl. Neff/Arn,
SIWR II/2, 301; Oertli,
SHK-URG, Art. 21 Rn. 10, 11). Zur Sicherstellung, dass sich Dritte
diesen Quellcode nicht zu anderen Zwecken als der Entschlüsselung von Schnittstellen bemächtigen,
statuiert Art. 21
URG die Modalitäten einer Dekompilierung (vgl. Neff/Arn,
SIWR II/2, 302; Oertli,
SHK-URG, Art. 21 Rn. 26 f.). Ein faktischer Schutz von Schnittstelleninformationen
ergibt sich demzufolge nur als zusätzliche Reflexwirkung für den Einzelfall, dass die Voraussetzungen
einer Dekompilierung hinsichtlich Erst- und Zeitprogramm nicht gegeben sind.
574. Die notwendige Voraussetzung für
einen urheberrechtlichen Schutz von Schnittstellen besteht aber in jedem Fall darin, dass die jeweilige
Schnittstelle gemäss Art. 2
URG auch als geschütztes Werk zu qualifizieren ist.
575. Voraussetzung für die Anerkennung
von Computerprogrammen als urheberrechtliches Werk bildet gemäss Art. 2 Abs. 1
URG das Vorhandensein
einer geistigen Schöpfung mit individuellem Charakter (vgl. Neff/Arn,
SIWR II/2, 131; Cherpillod
Ivan, in: Müller/Oertli [Hrsg.], Urheberrechtsgesetz, 2. Aufl. 2012, zit. SHK-URG,
Art. 2 Rn. 1; Rauber, Computersoftware,
124). Geschützt ist ein Werk, wenn es sich als individuelle Schöpfung von den tatsächlichen
oder natürlichen Vorbedingungen im Rahmen der Zweckbestimmung abhebt (vgl. BGE 143 III 373 E. 2.1;
BGE 125 III 328 E. 4b). Eine geistige Schöpfung liegt vor, wenn das Werk die Äusserung einer
gedanklichen Tätigkeit eines Menschen darstellt und damit auf einer zumindest geringen geistigen
Leistung beruht (vgl. BGE 130 III 168 E. 4.5; Barrelet/Egloff,
Urheberrecht, Art. 2 Rn. 5; Cherpillod,
SHK-URG, Art. 2 Rn. 9). Ein Computerprogramm beruht grundsätzlich
auf der geistigen Leistung eines Programmierers und stellt damit eine geistige Schöpfung dar (vgl.
Neff/Arn, SIWR II/2,
132), ungeachtet dessen, dass es in einem komplexen Entwicklungsprozess vielfach auch mittels automatisierter
technischer Verfahren hergestellt wird (vgl. Neff/Arn, SIWR
II/2, 126 f., 130). Der individuelle Charakter eines Werks spiegelt sich darin wider, dass ein
Dritter bei gleicher Aufgabenstellung nicht das gleiche oder im Wesentlichen das gleiche Werk schaffen
wird, und grenzt sich gegenüber der Banalität oder einer routinemässigen Arbeit ab (vgl.
BGE 143 III 373 E. 2.1; BGE 134 III 166 E. 2.3.1; Cherpillod,
SHK-URG, Art. 2 Rn. 20). Dabei genügt bereits ein geringerer
Grad an individuellem Gepräge, je geringer der Gestaltungsspielraum für einen Urheber ist (vgl.
BGE 143 III 373 E. 2.1; BGE 136 III 225 E. 4.2; Cherpillod,
SHK-URG, Art. 2 Rn. 19). Prinzipiell bietet die Entwicklung eines
Computerprogramms einen gewissen Gestaltungsspielraum, auch wenn dieser aufgrund der jeweiligen Zweckbestimmung
vielfach niedrig ausfällt (vgl. Neff/Arn, SIWR
II/2, 131, 138 f.). Die Schutzfähigkeit von Computerprogrammen hängt demzufolge davon
ab, ob dem Programmierer angesichts der Aufgabenstellung und der übrigen Rahmenbedingungen ein genügender
Spielraum für eine persönliche Gestaltung in Auswahl, Sammlung, Anordnung und Einteilung der
Informationen und Befehle zur Verfügung stand und er diesen Spielraum auch entsprechend genutzt
hat (vgl. Neff/Arn, SIWR
II/2, 132; Thomann, Grundriss,
30). Ungeachtet eines bestehenden Gestaltungsspielraums fehlt einem Computerprogramm allerdings dann
die notwendige Individualität, wenn es als banal bzw. trivial zu qualifizieren ist (vgl. Botschaft
URG, 523), weil sein Inhalt eine blosse Aneinanderreihung von bekanntem, zum Gemeingut gehörendem
Material darstellt, oder wenn es vollständig auf rein alltäglicher, standardisierter Programmierarbeit
beruht (vgl. Neff/Arn, SIWR II/2,
132).
576. Massgebend
für die Feststellung der Werkqualität einer Schnittstelle ist demzufolge allein, ob sie eine
ausreichende schöpferische Individualität aufweist oder nicht. Prinzipiell wird diese Voraussetzung
bei Schnittstellen in geringerem Masse als bei sonstigen Computerprogrammen gegeben sein, weil der Gestaltungsspielraum
eines Programmierers aufgrund der Vorgaben zur jeweiligen Datenübermittlung der einzelnen EDV-Komponenten
noch enger ist. Zudem werden für den Datentransfer vielfach bestimmte Standards durch Regulierungsorganisationen,
Branchenverbände oder die in diesem Bereich tätigen Unternehmen festgelegt, wodurch die Geltendmachung
eines Urheberrechts durch einen einzelnen Hersteller einer EDV-Komponente ausscheidet. Dadurch wird die
Qualifizierung von Schnittstellen als Werk im Sinne von Art. 2
URG für einen konkreten Einzelfall
jedoch nicht von vornherein völlig ausgeschlossen.
577. Entgegen der Behauptung der Vorinstanz
(vgl. E. 538)
kann im Einzelfall demnach auch ein Urheberrecht an Schnittstellen bestehen. Daher lassen sich die Anwendung
des Kartellrechts und ein Ausschluss des Immaterialgüterrechtsvorbehalts gemäss Art. 3 Abs.
2
KG nicht auf diese Weise begründen.
578. Unabhängig
davon, ob Schnittstellen als selbständige Computerprogramme oder als Teil eines Computerprogramms
ausgestaltet werden, kommt ihnen allerdings nur dann ein urheberrechtlicher Schutz zu, wenn sie auch
selbst eine ausreichende schöpferische Individualität aufweisen. Als selbständige Computerprogramme
ergibt sich dies unmittelbar aus Art. 2 Abs. 1
URG. Als Teile eines Computergrogramms weist ihnen Art. 2
Abs. 4
URG nur dann einen urheberrechtlichen Schutz zu, wenn sie selbst über eine ausreichende schöpferische
Individualität verfügen (vgl. Neff/Arn, SIWR
II/2, 303; vgl. allgemein Botschaft URG, 523; Barrelet/Egloff,
URG, Art. 2 Rn. 27; Cherpillod, SHK-URG,
Art. 2 Rn. 67; Hilty Reto M., Urheberrecht, 2011, zit.
Urheberrecht, 121 a.E.; Neff/Arn,
SIWR II/2, 113). Nach überwiegender Ansicht ist bei Schnittstellen
eine ausreichende schöpferische Individualität im Regelfall nicht gegeben (vgl. Brändli,
Flexibilität, Rn. 351; Neff/Arn,
SIWR II/2, 146; Oertli,
SHK-URG, Art. 21 Rn. 11).
579. Entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 531)
sind Schnittstellen demzufolge jedenfalls nicht bereits deshalb urheberrechtlich geschützt, weil
sie einen unselbständigen Teil eines ansonsten geschützten Computerprogramms darstellen oder
als selbständiges Funktionsprogramm die Interoperabilität eines geschützten Computerprogramms
sicherstellen.
(d)
Dekompilierung
580. Ungeachtet
dessen, dass an Schnittstellen bei einer ausreichenden schöpferischen Individualität ein Urheberrecht
bestehen kann, ergibt sich aufgrund der durch Art. 21
URG gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Möglichkeit
zu einer Dekompilierung von Computerprogrammen zwecks Feststellung von Schnittstelleninformationen eine
ganz wesentliche Einschränkung des üblichen urheberrechtlichen Schutzumfangs.
581. Unter
Dekompilierung ist ein Verfahren zu verstehen, bei dem der nicht verständliche Objekt- bzw. Maschinencode
eines Computerprogramms in seinen, durch einen Fachmann bearbeitbaren Quellcode mittels eines Verfahrens
des Re-Engeneerings zurückübersetzt wird. Damit wird eine Umkehrung der ursprünglichen
Erstellung eines Computerprogramms vorgenommen, bei dem der vom Programmentwickler geschaffene Quellcode
mittels eines Hilfsprogramms, dem sog. Compiler, zu einem maschinenverständlichen und damit ablauffähigen
Objektcode kompiliert, d.h. transformiert wird (vgl. Barrelet/Egloff,
URG, Art. 21 Rn. 1a; Neff/Arn,
SWIR II/2, 300; Oertli,
SHK-URG,
Art. 21 Rn. 16). Eine Dekompilierung stellt ein aufwendiges und kostspieliges Verfahren dar,
das mit vielen technischen Risiken behaftet und dessen Erfolg nicht absehbar ist (vgl. Neff/Arn,
SWIR II/2, 302; Oertli,
SHK-URG,
Art. 21 Rn. 21; Staffelbach, Dekompilierung,
37 f.; Straub, Softwareschutz,
242). Einer der Gründe hierfür besteht darin, dass Softwarehersteller regelmässig technische
Hilfsmittel zum Schutz vor Entschlüsselungsmassnahmen anwenden (vgl. Lowenheim/Spindler,
in: Schricker/Loewenheim [Hrsg.], Urheberrecht, 5. Aufl. 2017, zit. Urheberrecht,
Art. 69e
Rn. 1).
582. Zur
Herstellung der notwendigen Interoperabilität schränkt Art. 21
URG das Urheberrecht an
Computerprogrammen im Hinblick auf eine Feststellung der Schnittstelleninformationen ein und versagt
Schnittstellen einen urheberrechtlichen Schutz (vgl. Oertli, SHK-URG,
Art. 21
Rn. 11).
583. Der
Zweck von Art. 21
URG besteht darin, die Interoperabilität von EDV-Komponenten mittels Dekompilierung
zu gewährleisten, um dadurch den Wettbewerb zwischen den Herstellern von EDV-Komponenten sicherzustellen
(vgl. Hilty, Urheberrecht,
224; Neff/Arn, SIWR II/2,
305; Oertli, SHK-URG,
Art. 21 Rn. 1; Staffelbach, Dekompilierung,
95; Straub, Softwareschutz,
245; vgl. auch Grützmacher Malte, in: Wandtke/Bullinger
[Hrsg.], UrhR - Praxiskommentar zum Urheberrecht, 4. Aufl. 2014, zit. Urheberrecht,
Art. 69e Rn. 1, sowie Lowenheim/Spindler, Urheberrecht,
Art. 69e Rn. 21, in Bezug auf den wortgleichen, auf Art. 6 Software-RL
beruhenden Art. 69e UrhG in Deutschland). Denn die Möglichkeit einer Dekompilierung verhindert,
dass die Hersteller von EDV-Komponenten von einzelnen anderen Herstellern dadurch abhängig werden,
dass ihnen der Zugang zu den Schnittstelleninformationen anderer EDV-Komponenten verwehrt wird. Die gesetzliche
Regelung hat somit zur Folge, dass einzelne Hersteller keine Abschottungspolitik ihrer EDV-Komponenten
gegenüber Konkurrenzprodukten umsetzen können. Ziel der Gewährleistung von Interoperabilität
durch Dekompilierung ist also letztlich die Ermöglichung von Wettbewerb auf dem Markt von Computerprogrammen
und sonstigen EDV-Komponenten.
584. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 529)
begründet das Urheberrecht demnach keinen prinzpiellen Schutz der DCC-Schnittstellen und der jeweiligen
DCC-Schnittstelleninformationen innerhalb eines EDV-Systems von POS-Terminals und Akzeptanz-Plattformen
im Verhältnis zu anderen Herstellern von entsprechenden EDV-Komponenten. Dies gilt unabhängig
davon, ob eine Schnittstelle als selbständiges Computerprogramm oder lediglich als unselbständiger
Teil eines Computerprogramms zu qualifizieren ist.
585. Die
Voraussetzungen einer rechtmässigen Dekompilierung von Computerprogrammen bilden gemäss Art.
21
URG entsprechend Art. 6 Software-RL folgende Kriterien:
(i) interoperables Computerprogramm als Erstprogramm; (ii) rechtmässiger Gebrauch des Erstprogramms;
(iii) Zusammenhang mit interoperablem unabhängigem Computerprogramm als Zweitprogramm; (iv) Sicherstellung
der notwendigen Interoperabilität des Zweitprogramms; (v) fehlende Zugänglichkeit der Schnittstelleninformationen;
(vi) Erforderlichkeit der Massnahmen; (vii) ausschliessliche Ausrichtung auf die Ermittlung der Schnittstelleninformationen;
(viii) keine unzumutbare Beeinträchtigung; (ix) keine Weitergabe an Dritte; (x) Fehlen eines Patentrechts.
Demgegenüber bildet die Zustimmung des Rechtsinhabers keine Voraussetzung einer Dekompilierung.
586. Grundlage der Dekompilierung bildet ein
interoperables Computerprogramm als Erstprogramm. Als Computerprogramm gelten alle in einer Programmiersprache
verfassten Folgen von Befehlen, die nach Aufnahme in einen maschinenlesbaren Träger fähig sind
zu bewirken, dass eine Maschine mit informationsverarbeitenden Fähigkeiten eine bestimmte Funktion
oder Aufgabe oder ein bestimmtes Ergebnis anzeigt, ausführt oder erzielt (vgl. Oertli,
SHK-URG,
Art. 21 Rn. 5). Das Computerprogramm ist interoperabel, wenn eine Anbindung in einem EDV-System
über Schnittstellen zur wechselseitigen Informationsübertragung vorgenommen werden kann (vgl.
E. 550
f.).
587. Ein rechtmässiger Gebrauch des Erstprogramms
liegt vor, wenn dem jeweiligen Dekompilierer ein Recht zur Nutzung des Erstprogramms zusteht, unabhängig
davon, ob es sich hierbei um eine Lizenz oder um Eigentum am Erstprogramm handelt (vgl. Barrelet/Egloff,
URG, Art. 21 Rn. 3; Oertli,
SHK-URG,
Art. 21 Rn. 26; Rauber, Computersoftware,
188; Staffelbach, Dekompilierung,
108; a.A. Neff/Arn, SIWR
II/2, 301, unter Verweis auf den Wortlaut von Art. 12
URG). Dies entspricht sowohl der ausdrücklichen
Ausgestaltung von Art. 6 Abs. 1 Software-RL, der ausdrücklich
auf den Lizenznehmer abstellt, als auch dem Zweck von Art. 21
URG, weil (i) sich der Gebrauch eines Computerprogramms
anhand einer Differenzierung von Kauf oder Lizenzierung nicht unterscheidet, (ii) der Rechtscharakter
der jeweiligen Gebrauchsüberlassung ausschliesslich im Ermessen des Herstellers eines Computerprogramms
liegt, und (iii) ein Hersteller ansonsten dadurch die Möglichkeit einer Dekompilierung seines Computerprogramms
von vornherein ausschliessen und infolgedessen die zwingende gesetzliche Dekompilierungsregelung in Art.
21
URG einfach umgehen könnte (so bereits Staffelbach,
Dekompilierung, 109). Der Umfang der in Art. 12
URG gesetzlich
vorgesehenen Nutzungsberechtigung, die eine Lizenzierung nicht ausdrücklich umfasst, ist hingegen
für die Beurteilung der Dekompilierungsberechtigung gemäss Art. 21
URG nicht massgeblich. Der
Dekompilierer kann auch einen Dritten mit der Ausführung der Dekompilierung beauftragen, wobei die
übrigen Voraussetzungen einer Dekompilierung aber auch durch den Beauftragten einzuhalten sind (vgl.
Barrelet/Egloff, URG,
Art. 21 Rn. 3; Neff/Arn,
SIWR II/2, 302; Oertli, SHK-URG,
Art. 21 Rn. 26; Staffelbach, Dekompilierung,
109).
588. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen,
dass bei Computerprogrammen, die proprietär und stationär ausgestaltet sind und demzufolge
von Dritten nicht erworben werden können, die Möglichkeit einer Dekompilierung von vornherein
ausgeschlossen ist, weil ein Dritter sie gar nicht rechtmässig in Gebrauch nehmen kann.
589. Die Dekompilierung muss in Zusammenhang
mit einem unabhängigen Computerprogramm als Zweitprogramm stehen. Das Zweitprogramm ist dann unabhängig,
wenn es gegenüber dem Erstprogramm nach den allgemeinen Grundsätzen eine ausreichende Abweichung
seiner Ausdrucksform aufweist, um das Urheberrecht am Erstprogramm nicht zu verletzen (vgl. Neff/Arn,
SIWR II/2, 305; Oertli, SHK-URG,
Art. 21
Rn. 39). Dabei ist unerheblich, ob das Zweitprogramm erst nachträglich hergestellt
wird, worauf der Wortlaut von Art. 21 Abs. 1
URG hinweist, oder bereits zuvor geschaffen wurde, worauf
der Wortlaut von Art. 17 Abs. 2
URV hinweist (vgl. Oertli,
SHK-URG,
Art. 21 Rn. 39; Staffelbach, Dekompilierung,
112; a.A. Cherpillod, SIWR
II/2, 40).
590. Nach
herrschender Auffassung im Schrifttum kann eine Dekompilierung nicht nur zur Herstellung eines zugehörigen
Zweitprogramms, d.h. eines Computerprogramms, für das eine Anbindung an das Erstprogramm vorgesehen
ist, eingesetzt werden, sondern auch zur Herstellung eines konkurrenzierenden Zweitprogramms, d.h. eines
Computerprogramms, durch welches das Erstprogramm ersetzt werden kann (vgl. Fröhlich-Bleuler,
Nutzungsbefugnisse, 577; Neff/Arn,
SIWR II/2, 304; Oertli, SHK-URG,
Art. 21 Rn. 45; Staffelbach, Dekompilierung,
127; Straub, Softwareschutz,
247; EU-Kom, Comp/C-3/37.792, Microsoft,
Ziff. 762; Dreier Thomas, Rechtsschutz von Computerprogrammen,
Die Richtlinie des Rates der EG vom 14. Mai 1991, CR 10/1991, 577 ff., 581 f.; Vinje
Thomas C., Die EG-Richtlinie zum Schutz von Computerprogrammen und die Frage der Interoperabilität,
GRUR Int. 4/1992, 250 ff.; dies entspricht auch der
h.M. zu Art. 69e des deutschen UrhG, vgl. Grützmacher, Urheberrecht,
Art. 69e Rn. 6 m.w.N.; Loewenheim/ Spindler, Urheberrecht,
Art. 69e Rn. 12).
591. Nach einer Minderheitsmeinung ist die
Dekompilierung im Rahmen der Herstellung eines Konkurrenzprodukts hingegen ausgeschlossen (vgl. Rauber,
Computersoftware, 189; Rehbinder
Manfred/Viganò Adriano, URG, 3. Aufl. 2008, zit. URG,
Art. 21
Rn. 4).
592. Durch eine Auslegung von Art. 21
URG wird
die Auffassung der herrschenden Ansicht in der Literatur entgegen dem Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 534)
bestätigt. Denn aufgrund des Wortlauts von Art. 21
URG, der auf die Entwicklung eines "unabhängigen
Computerprogramms" sowie auf die Verwendung der Schnittstelleninformationen für "interoperable
Computerprogramme" abstellt, ergibt sich weder eine Einschränkung auf zugehörige Zweitprogramme
noch ein Ausschluss von substituierenden Zweitprogrammen. Auch systematische Aspekte für einen solchen
Ausschluss sind nicht ersichtlich. Gleiches gilt auch für eine teleologische Betrachtung. Der Zweck
der Vorschrift, der in einer Förderung des Wettbewerbs bei EDV-Komponenten durch die Gewährleistung
von deren Interoperabilität besteht, spricht für eine Gleichstellung von substituierenden und
zugehörigen Zweitprogrammen; denn es ist angesichts des Schutzzwecks der Vorschrift (vgl. E. 583)
kein Grund ersichtlich, warum die gesetzlich vorgesehene Förderung des Wettbewerbs bei EDV-Komponenten
durch die Gewährleistung der Interoperabilität nur bestimmten EDV-Komponenten zukommen sollte
und anderen nicht.
593. Zudem würde eine entsprechende Differenzierung
aus praktischen Überlegungen keine sachgerechte Abgrenzung ermöglichen. Denn eine Differenzierung
zwischen substituierenden und zugehörigen Komponenten innerhalb eines EDV-Systems lässt sich
zwar bei einem blossen Vergleich von zwei EDV-Komponenten vornehmen, läuft aber bei einer Gesamtbetrachtung
aller EDV-Komponenten ins Leere, weil jede EDV-Komponente innerhalb des Systems sowohl zugehörig
als auch substituierend ist. Wenn ein Hersteller verschiedener EDV-Komponenten innerhalb eines EDV-Systems
mehrere EDV-Komponenten anbietet, würde ihm die Möglichkeit offenstehen, für die Entwicklung
einer eigenen, als zugehörig zu qualifizierenden EDV-Komponente auch die EDV-Komponente eines Dritten
zu dekompilieren, die er am Markt durch eine andere, von ihm bereits hergestellte EDV-Komponente ersetzen
will. Demzufolge würde ein Hersteller bereits aufgrund der Durchführung von Entwicklungstätigkeiten
für eine zugehörige EDV-Komponente die Möglichkeit erlangen, eine EDV-Komponente zu dekompilieren,
die er durch eine von ihm bereits hergestellte EDV-Komponente ersetzen will, und zwar ohne dass die zugehörige
EDV-Komponente später jemals tatsächlich auf dem Markt angeboten werden müsste.
594. Darüber hinaus spricht auch ein weiterer
Aspekt für ein weites inhaltliches Verständnis von Art. 21
URG. Die dekompilierten Schnittstelleninformationen
dürfen durch einen Dekompilierer gegenüber Dritten nicht bekannt gegeben werden, weshalb alle
Hersteller von EDV-Komponenten zwingend eine Dekompilierung für die Ermittlung der gleichen Schnittstelleninformationen
durchführen müssen. Aus wettbewerblicher Sicht stellt dies eine ineffiziente Ressourcenallokation
dar, welche die EDV-Komponenten des jeweiligen EDV-Systems verteuert. Bei einer rechtmässigen Dekompilierung
werden ausschliesslich diejenigen Schnittstelleninformationen ermittelt, die für die Herstellung
der Interoperabilität des Zweitprogramms erforderlich sind. Diese Schnittstelleninformationen können
im Rahmen eines EDV-Systems an mindestens zwei EDV-Komponenten, regelmässig sogar an mehreren, u.U.
auch unterschiedlichen EDV-Komponenten ausgelesen werden. Da Dekompilierungen mit erheblichen Problemen
behaftet sind, ist es grundsätzlich sinnvoll, dass die jeweiligen Schnittstellen über diejenigen
EDV-Komponenten ermittelt werden können, die aus Sicht des Dekompilierers die besten Erfolgschancen
aufweisen. Letztere können sich dabei auf eine Feststellung von möglichst umfassenden Schnittstelleninformationen,
eine möglichst einfache und kostengünstigste Feststellung der Schnittstelleninformationen oder
sonstige Aspekte beziehen. Durch diese Wahlmöglichkeit wird die durch Art. 21
URG vorgegebene ineffiziente
Ressourcenallokation aus wettbewerblicher Sicht zumindest verringert.
595. Eine andere Einschätzung ergibt sich
auch nicht aufgrund von Art. 17 Abs. 3
URV, wonach eine Dekompilierung zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung
des Urhebers führt, wenn "[die Schnittstelleninformationen zur Entwicklung] eines Programms
mit im Wesentlich ähnlicher Ausdrucksform verwendet werden". Zunächst ist bereits in
formaler Hinsicht zu berücksichtigen, dass diese Verordnungsregelung des Bundesrats keine substantielle
Einschränkung der gesetzlich vorgesehenen Dekompilierungsmöglichkeit statuieren kann. Da es
sich bei einer Differenzierung zwischen substituierenden und zugehörigen Zweitprogrammen um eine
substantielle Einschränkung handeln würde, scheidet ein entsprechendes Verständnis dieser
Vorschrift im Rahmen einer gesetzeskonformen Auslegung aus. Zudem lässt sich dem Begriff eines "Programms
mit im Wesentlichen ähnlicher Ausdrucksform" auch inhaltlich kein sachlicher Bedeutungsgehalt
zuordnen. Das Zweitprogramm muss ausnahmslos eine ausreichend abweichende Ausdrucksform gegenüber
derjenigen des Erstprogramms aufweisen, damit es dessen Urheberrecht nicht verletzt. Insoweit handelt
es sich allenfalls um eine Wiederholung der gesetzlichen Voraussetzungen zum Werkcharakter durch die
Verordnungsregelung (vgl. Barrelet/Egloff, Urheberrecht,
Art. 21 Rn. 6; Neff/Arn,
SIWR II/2, 305; Oertli, SHK-URG,
Art. 21 Rn. 44; Staffelbach, Dekompilierung,
80). Für eine Differenzierung von substituierenden Zweitprogrammen, die urheberrechtlich über
eine ausreichend abweichende Ausdrucksform wie das Erstprogramm verfügen, anhand ihrer über
diese Abweichung hinausgehenden stärkeren oder schwächeren Ähnlichkeit mit der Ausdrucksform
des Erstprogramms fehlen zum einen die hierfür erforderlichen sachgerechten Kriterien (vgl. z.B.
Straub, Softwareschutz,
247, wonach sich das Zweitprogramm vom Erstprogramm im Wesentlichen von dessen "Struktur"
unterscheiden müsse). Zum anderen würde eine solche Differenzierung dem Zweck von Art. 21
URG
widersprechen, weil die Förderung des Wettbewerbs als Zielsetzung in keine sinnhafte Abhängigkeit
von einer "gewissen Ähnlichkeit" der Ausdrucksformen einzelner EDV-Komponenten gesetzt
werden kann. Art. 17 Abs. 3
URV ist daher insoweit unbeachtlich.
596. Der Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 536),
wonach die anderen Terminalhersteller keine neue zugehörige EDV-Komponente zu den POS-Terminals
von Card Solutions, sondern nur eine blosse Kopie der DCC-Funktion einschliesslich der DCC-Schnittstellen
herstellen wollten, um damit den Händlern eine Substitution der POS-Terminals von Card Solutions
zu ermöglichen, wäre demzufolge bereits im Rahmen einer urheberrechtlichen Prüfung unbeachtlich.
597. Die Dekompilierung darf gemäss Art.
21 Abs. 2
URG ausschliesslich auf die Herstellung der notwendigen Interoperabilität des Zweitprogramms
ausgerichtet sein. Der Dekompilierer kann keine anderen Zwecke im Rahmen einer Entschlüsselung des
Erstprogramms verfolgen (vgl. Neff/Arn,
SIWR II/2, 302, 305; Oertli, SHK-URG,
Art. 21 Rn. 41; Staffelbach, Dekompilierung,
110).
598. Die
Dekompilierung muss gemäss Art. 21 Abs. 1
URG und Art. 17 Abs. 2
URV erforderlich sein, weil
die jeweiligen Schittstelleninformationen für den Dekompilierer nicht zugänglich sind. Die
fehlende Zugänglichkeit ist dann nicht gegeben, wenn der Urheber die betreffenden Informationen
vollständig offengelegt hat, sodass sie von einem Dekompilierer unmittelbar entgegengenommen werden
können, z.B. durch Abruf einer Internetseite, oder ihm auf erste Anfrage hin innerhalb angemessener
Frist und unter sachgerechten Bedingungen (z.B. Bestätigungen der ordnungsgemässen Zweckverwendung,
Zahlung von administrativen Kosten) übermittelt werden (vgl. Neff/Arn,
SIWR II/2, 303; Oertli, SHK-URG,
Art. 21 Rn. 31 f.; Rauber, Computersoftware,
189; Staffelbach, Dekompilierung,
117 f.).
599. Die Dekompilierung muss gemäss Art.
21 Abs. 1
URG auf diejenigen Massnahmen beschränkt werden, die zur Entschlüsselung der jeweiligen
Schnittstellen erforderlich, d.h. notwendig, sind. Je nach Ausgestaltung der Schnittstellen als Teil
eines Computerprogramms oder als eigenständiges Computerprogramm schliesst die Dekompilierung eine
begrenzte oder umfassendere Bearbeitung des geschützten Quellcodes mit ein (vgl. Neff/Arn,
SIWR II/2, 303, 305; Oertli, SHK-URG,
Art. 21 Rn. 28 f.; Staffelbach, Dekompilierung,
113).
600. Die Dekompilierung darf gemäss Art.
21 Abs. 2
URG nicht zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der normalen Auswertung des Erstprogramms
oder der rechtmässigen Interessen des Schutzrechtsinhabers führen. Soweit die vorstehenden
Voraussetzungen vom Dekompilierer eingehalten werden, kann sich ein derartiges Ergebnis nur in Einzelfällen
aufgrund von aussergewöhnlichen Umständen einstellen (vgl. hierzu Staffelbach,
Dekompilierung, 129, 134 f.; sowie die Beispiele bei Loewenheim/Spindler,
Urheberrecht, Art. 69e
Rn. 22).
601. Obwohl der Wortlaut von Art. 21
URG anders
als Art. 6 Abs. 2 Software-RL kein ausdrückliches Verbot
einer Weitergabe der entschlüsselten Schnittstelleninformationen vorsieht, wird von der ganz überwiegenden
Auffassung in der Literatur die Untersagung einer Weitergabe der entschlüsselten Schittstelleninformationen
als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal einer Dekompilierung qualifiziert (vgl. Neff/Arn,
SIWR II/2, 305; Oertli, SHK-URG,
Art. 21 Rn. 47; Staffelbach, Dekompilierung,
136). Vorliegend ist daher davon auszugehen, dass dem Dekompilierer eine Weitergabe der durch die Entschlüsselung
ermittelten Schnittstelleninformationen an andere Hersteller von EDV-Komponenten untersagt ist.
602. Art.
21
URG bezieht sich lediglich auf das Urheberrecht, womit andere ausschliesslichen Rechte vorbehalten
bleiben. Entsprechend findet Art. 21
URG keine Anwendung, wenn die Schnittstelle des Erst-Programms durch
ein Patent geschützt ist (vgl. Oertli, SHK-URG,
Art. 21 Rn. 53; Staffelbach, Dekompilierung,
147).
603. Eine Zustimmung zur Dekompilierung seitens
des Schutzrechtsinhabers am Erstprogramm ist nicht erforderlich. Vielmehr handelt es sich bei Art. 21
URG um eine zwingende Vorschrift, die von den Parteien nicht abbedungen werden kann (vgl. Oertli,
SHK-URG,
Art. 21 Rn. 1; Neff/Arn,
SIWR II/2, 305; Oertli, SHK-URG,
Art. 21 Rn. 44; Rehbinder/Viganò, URG,
Art. 21 Rn. 3; Rauber, Computersoftware,
189; Staffelbach, Dekompilierung,
137). Dies wird im EU-Recht durch Art. 8 Abs. 2 Software-RL
ausdrücklich statuiert. Ein Schutzrechtsinhaber kann demzufolge das Verbot einer Dekompilierung
nicht rechtswirksam als Klausel in einen Kauf- oder Lizenzvertrag über ein Computerprogramm aufnehmen.
(e)
Urheberrechtliche Pflicht zur Offenlegung bzw. Herausgabe
604. Der
Schutzrechtsinhaber eines Erstprogramms kann die Möglichkeit von dessen Dekompilierung auf der Grundlage
von Art. 21
URG dadurch unterbinden, dass er dessen Schnittstelleninformationen offenlegt (vgl. E. 598;
Oertli, SHK-URG,
Art. 21 Rn. 24, 37; für das deutsche Recht vgl. Grützmacher,
Urheberrecht, Art. 69e Rn. 14). Denn dadurch wird die Voraussetzung
einer Dekompilierung in Gestalt der fehlenden Zugänglichkeit der Schnittstelleninformationen aufgehoben.
605. Auch wenn Art. 21
URG eine Dekompilierung
von Schnittstellen zur Gewährleistung der Interoperabilität von Zweitprogrammen zulässt,
ergibt sich daraus nach ganz überwiegender Auffassung aber umgekehrt kein Anspruch der Hersteller
von Zweitprogrammen auf Offenlegung der jeweiligen Schnittstelleninformationen eines Erstprogramms durch
dessen Schutzrechtsinhaber (vgl. Oertli, SHK-URG,
Art. 21 Rn. 24, 37). Dies soll unabhängig davon gelten, ob es sich beim Zweitprogramm um
ein ergänzendes oder substituierendes Computerprogramm handelt.
606. Diese urheberrechtliche Rechtslage bildet
jedoch wiederum keinen zwingenden Ausschluss einer Offenlegungspflicht des Urhebers aufgrund anderer
Rechtsvorschriften.
607. Das Recht zur Dekompilierung gemäss
Art. 21
URG statuiert die Möglichkeit zu einem Eingriff in den Quellcode eines Computerprogramms
und damit in die wesentliche Substanz eines Werks im Sinne von Art. 2
URG, mit dem zur Gewährleistung
der Interoperabilität von EDV-Komponenten der Schutz von Schnittstellen und deren Informationen
vollständig aufgehoben und der Schutz eines Computerprogramms eingeschränkt wird. Vorschriften
des Kartellrechts oder anderer Rechtsgebiete können einen derartigen Eingriff in die wesentliche
Substanz eines Computerprogramms als urheberrechtliches Werk zu Gunsten Dritter von vornherein nicht
vorsehen. Daraus lässt sich allerdings nicht ableiten, dass nicht auch Vorschriften des Kartellrechts
oder anderer Rechtsgebiete zur Gewährleistung der Interoperabilität von EDV-Komponenten den
Schnittstelleninformationen einen rechtlichen Schutz versagen. Vielmehr lässt sich die Sicherstellung
der Interoperabilität nur durch einen Zugriff auf die jeweiligen Schnittstelleninformationen mittels
einer Verpflichtung zu deren Offenlegung durch den Schutzrechtsinhaber des Erstprogramms gegenüber
den Herstellern von Zweitprogrammen bewerkstelligen.
608. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 533)
ist es für eine kartellrechtliche Beurteilung demzufolge unerheblich, ob sich aus dem Urheberrecht
für ein marktbeherrschendes Unternehmen eine Verpflichtung zur Herausgabe von Schnittstelleninformationen
ergibt oder nicht.
(f)
Kartellrechtliche Beurteilung
609. Vor
diesem Hintergrund ist im Hinblick auf eine Anwendung des Immaterialgüterrechtsvorbehalts der massgebliche
Grundsatz für die allgemeine Beurteilung der Schnittstellen von EDV-Komponenten sowie den entsprechenden
Schnittstelleninformationen im Rahmen eines kartellrechtlichen Sachverhalts festzulegen.
610. Der
Zweck des Urheberrechts besteht im Schutz des jeweiligen Rechtsinhabers vor einer unrechtmässigen
Vervielfältigung seiner EDV-Komponente als geschütztem Werk, nicht aber vor einer Konkurrenzierung
der EDV-Komponente durch EDV-Komponenten anderer Wirtschaftsteilnehmer (vgl. E. 565;
583).
Unabhängig davon, ob an der Schnittstelle einer EDV-Komponente und den damit einhergehenden Schnittstelleninformationen
wegen ihrer schöpferischen und individuellen Ausgestaltung im Einzelfall ein Urheberrecht besteht
oder nicht, eröffnet das Urheberrecht Herstellern von EDV-Komponenten daher die Möglichkeit,
im Wege einer Dekompilierung die jeweiligen Schnittstelleninformationen einer anderen EDV-Komponente
zu ermitteln, um sie für die Ausrüstung von eigenen EDV-Komponenten mit einer entsprechenden
Schnittstelle nutzen zu können, damit auch die eigenen EDV-Komponenten innerhalb eines EDV-Systems
über diese Schnittstelle angebunden werden können.
Die Sicherstellung der Interoperabilität von EDV-Komponenten steht somit aus der Sicht des Urheberrechts
über dem Schutz von Schnittstellen und deren Schnittstelleninformationen.
611. Der Zweck des Kartellrechts besteht sowohl
im institutionellen Schutz des Wettbewerbs vor einer nachteiligen Einwirkung als auch im individuellen
Schutz der einzelnen Unternehmen, die auf einem Markt am jeweiligen Wettbewerb teilnehmen (vgl. E. 510).
Eine Vorenthaltung der Schnittstelleninformationen von einzelnen EDV-Komponenten führt zu einer
Monopolisierung der mit diesen Schnittstellen ausgestatteten EDV-Komponenten und damit zu einer Wettbewerbsbeschränkung
in Gestalt einer Marktabschottung gegenüber konkurrierenden EDV-Komponenten von anderen Wirtschaftsteilnehmern
auf den jeweiligen Märkten der betroffenen EDV-Komponenten oder EDV-Systeme. Dadurch stellt sich
eine nachteilige Einwirkung auf den Wettbewerb ein, die bei Vorliegen einer Wettbewerbsabrede oder einer
marktbeherrschenden Stellung sowie allfälligen weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen der materiell-rechtlichen
Vorschriften eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung gemäss Kartellgesetz darstellt.
Die Sicherstellung der Interoperabilität von EDV-Komponenten stellt somit aus der Sicht des Kartellrechts
eine notwendige Massnahme zur Gewährleistung eines wirksamen Wettbewerbs dar.
612. Sowohl das Urheberrecht als auch das Kartellrecht
sind demzufolge darauf ausgerichtet, die Verfügbarkeit von untereinander austauschbaren EDV-Komponenten
zur Nutzung innerhalb eines EDV-Systems zu gewährleisten, um dadurch im Interesse der Nutzer von
EDV-Systemen den Wettbewerb unter den Herstellern entsprechender EDV-Komponenten sicherzustellen und
wettbewerbsfeindliche Monopolisierungen und sonstige Einschränkungen der Interoperabilität
von EDV-Komponenten durch einzelne Anbieter zu unterbinden.
613. Angesichts dieser Ausgangslage ergibt
sich für die rechtliche Behandlung der Schnittstellen von EDV-Komponenten und deren Schnittstelleninformationen
kein inhaltlicher Konflikt zwischen Urheber- und Kartellrecht. Vielmehr sind beide Gesetzesordnungen
auf die Gewährleistung von ausreichenden wettbewerblichen Marktbedingungen ausgerichtet.
614. Das
Bestehen eines Urheberrechts an einer Schnittstelle von EDV-Komponenten begründet demnach keinen
Anwendungsvorbehalt gemäss Art. 3 Abs. 2
KG. Soweit Schnittstellen von EDV-Komponenten im Einzelfall
mangels Werkqualität kein urheberrechtlicher Schutz zukommt, scheidet eine Anwendung des Immaterialgüterrechtsvorbehalts
ohnehin bereits von vornherein aus.
615. Die materiell-rechtlichen Vorschriften
des Kartellgesetzes sind demzufolge auf die Beurteilung einer Verweigerung der Herausgabe von Schnittstelleninformationen
für EDV-Komponenten anzuwenden. Dies gilt umso mehr, als der Immaterialgüterrechtsvorbehalt
nach herrschender Ansicht restriktiv anzuwenden ist (vgl. E. 86).
Der gegegenteile grundlegende Einwand der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 529)
ist daher unbegründet.
616. Dieses Ergebnis entspricht sowohl der
Ausrichtung, die in Erwägung 17 der Software-RL zum Ausdruck
gebracht wird, wonach die Anwendung der Wettbewerbsvorschriften ausdrücklich vorbehalten bleibt,
wenn der Zugang zu Schnittstelleninformationen, die für die Interoperabilität von EDV-Komponenten
notwendig sind, durch ein marktbeherrschendes Unternehmen verweigert wird, als auch dem Urheberrechtsgesetz,
weil dieses eine inhaltliche Umsetzung der Vorschriften der Software-RL
beabsichtigt (vgl. E. 564).
617. Ein anderes Ergebnis stellt sich im Übrigen
auch dann nicht ein, wenn der Regelungsgehalt von Art. 21
URG einschränkend ausgelegt würde
und darunter nur zugehörige, nicht aber substituierbare EDV-Komponenten erfasst würden. Denn
das Urheberrecht anerkennt mit der Statuierung einer Möglichkeit zur Dekompilierung von Computerprogrammen
zwecks Erlangung von dessen Schnittstelleninformationen, dass zum einen die Kenntnis der jeweiligen Schnittstelleninformationen
innerhalb eines EDV-Systems von grundlegender Bedeutung für die Hersteller von EDV-Komponenten sind,
um eine Anbindung im System vornehmen zu können, und dass zum anderen diese Möglichkeit der
Kenntniserlangung für die Gewährleistung von Wettbewerb auf dem Markt der EDV-Komponenten und
EDV-Systeme zur Abwehr von Abschottungsmassnahmen und Monopolisierungen erforderlich ist. Selbst wenn
daher unterstellt wird, dass eine Dekompilierung von Erstprogrammen zu deren Substitution durch Zweitprogramme
aus bestimmten Gründen urheberrechtlich nicht zulässig sei, so kann dadurch der Anspruch des
Kartellrechts auf eine Gewährleistung des wirksamen Wettbewerbs hinsichtlich aller Arten von EDV-Komponenten,
unabhängig davon, ob sie als zugehörig oder substituierend zu bezeichnen sind, nicht negiert
werden. Dies gilt umso mehr, als eine Differenzierung zwischen zugehörigen und zu substituierenden
Computerprogrammen wie aufgezeigt in der Praxis nicht zu einer sachgerechten Abgrenzung führt. Deshalb
kann zum einen der Charakter als zu substituierendes Computerprogramm innerhalb eines EDV-Systems auch
nicht als zwangsläufige Beschränkung des Urheberrechts qualifiziert werden, und zum anderen
kann im Einzelfall darauf aufbauend auch keine sinnvolle Feststellung vorgenommen werden, ob wirksamer
Wettbewerb im Sinne des Kartellgesetzes vorliegt oder nicht. Ein Anwendungsausschluss des Kartellgesetzes
aufgrund des Immaterialgüterrechtsvorbehalts wäre deshalb auch bei einem engeren Regelungsgehalt
von Art. 21
URG nicht gegeben.
618. Dieses grundlegende Verhältnis von
Kartellrecht und Urheberrecht in Bezug auf Schnittstellen und Schnittstelleninformationen führt
im Hinblick auf die konkrete Anwendung der materiellrechtlichen Vorschriften des Kartellrechts zur folgenden
grundsätzlichen Beurteilungslage.
619. Das Urheberrecht statuiert für Schnittstelleninformationen
von EDV-Komponenten weder einen allgemeinen immaterialgüterrechtlichen Vorbehalt im Sinne von Art.
3 Abs. 2
KG noch weist Art. 21
URG einen generellen Vorbehalt gegenüber kartellrechtlichen Vorschriften
zur Begründung einer Offenlegung von Schnittstelleninformationen auf, selbst wenn an den Schnittstellen
ein Urheberrecht bestehen sollte. Demzufolge geniessen Schnittstelleninformationen aus kartellrechtlicher
Sicht keinen beachtenswerten urheberrechlichen Schutz im Hinblick auf die Herstellung bzw. Gewährleistung
einer notwendigen Kompatibilität von EDV-Komponenten. Dies gilt unabhängig von der Art der
jeweiligen EDV-Komponente, insbesondere wird hierdurch auch die Kompatibilität von Peripheriegeräten
oder Konkurrenzprodukten mit einer Plattform erfasst. Die Anwendung der materiell-rechtlichen Vorschriften
des Kartellrechts zur Gewährleistung eines wirksamen Wettbewerbs wird daher bei entsprechenden Sachverhalten
nicht durch urheberrechtliche Aspekte eingeschränkt.
620. Diese Vorgabe gilt für alle Schnittstelleninformationen
in gleicher Weise, unabhängig davon, ob die jeweiligen Schnittstelleninformationen sich im Einzelfall
auf eine EDV-Komponente beziehen, für die ein Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung aufweist
oder nicht. Der Aspekt der Marktbeherrschung und dessen inhaltliche Anforderungen erlangen im Rahmen
der materiell-rechtlichen Prüfung von Art. 7
KG Bedeutung, nicht aber im Hinblick auf die Feststellung
einer Anwendbarkeit bzw. eines Ausschlusses des Kartellgesetzes gemäss Art. 3 Abs. 2
KG. Entgegen
der Ansicht der Vorinstanz (vgl. E. 542
) ist es daher unerheblich, ob die Informationsverweigerung auf die marktbeherrschende Stellung der Beschwerdeführerin
zurückzuführen ist oder nicht. Und entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen (vgl.
E. 537)
ist es für eine Anwendung des Kartellgesetzes gleichfalls unerheblich, inwieweit die Sachverhaltskonstellationen
in den Fällen IBM oder Microsoft
mit dem vorliegenden Sachverhalt vergleichbar sind. Im Übrigen betrifft die Verweigerung einer Herausgabe
der DCC-Schnittstelleninformationen für die Akzeptanz-Plattform entgegen dem Einwand der Beschwerdeführerinnen
vorliegend gerade dasjenige Produkt, bei denen der SIX-Gruppe eine marktbeherrschende Stellung zukommt.
621. Ebensowenig kommt im Einzelfall den konkreten
Modalitäten einer Dekompilierung eine Bedeutung für die Anwendung der materiell-rechtlichen
Vorschriften des Kartellgesetzes zu. Daher ist es unerheblich, ob eine Dekompilierung im Einzelfall rechtmässig
durchgeführt werden kann oder tatsächlich rechtmässig durchgeführt wurde. Diese Aspekte
erlangen allenfalls im Rahmen einer Prüfung des materiellen Tatbestands eine Bedeutung (vgl. E.
1005
ff.). Demzufolge ist der Einwand der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 535),
wonach sich die anderen Terminalhersteller die Schnittstelleninformationen mittels einer Dekompilierung
hätten selbst beschaffen können, in diesem Zusammenhang unbeachtlich.
(g)
Sachverhalt
622. Der konkrete Sachverhalt verlangt nicht
nach einer Ausnahme von der vorstehend festgestellten grundsätzlichen kartellrechtlichen Beurteilung
der Schnittstelleninformationen von EDV-Komponenten. Denn die vorliegende Sachverhaltskonstellation entspricht
der beschriebenen Ausgangskonstellation und den damit verbundenen Wettbewerbseinschränkungen bei
einer Vorenthaltung von Schnittstelleninformationen für EDV-Komponenten. Gründe für eine
Abweichung vom vorstehend festgestellten Grundsatz und eine dadurch bedingte unterschiedliche Beurteilung
sind nicht ersichtlich.
623. Im Übrigen wären in diesem Zusammenhang
zudem verschiedene weitere Aspekte in Bezug auf den vorliegenden Sachverhalt der Vollständigkeit
halber zu berücksichtigen.
624. Die
Beschwerdeführerinnen machen das Bestehen eines Urheberrechts an den DCC-Schnittstellen geltend,
wobei im vorliegenden Zusammenhang dahingestellt bleiben kann, ob als massgeblicher Schutzrechtsinhaber
Card Solutions oder Multipay zu qualifizieren ist (vgl. E. 644
ff.). Von den Beschwerdeführerinnen wird hingegen von vornherein nicht geltend gemacht, dass ein
Patentrecht an den Schnittstellen besteht, weshalb es hierzu keiner weiteren Ausführungen bedarf
(vgl. E. 558,
602).
625. Zum Nachweis des Urheberechts an den DCC-Schnittstellen
verweisen die Beschwerdeführerinnen auf das Urheberrecht, das am Computerprogramm der DCC-Funktion
bestehe. Wie vorstehend dargelegt, müssen die DCC-Schnittstellen allerdings selbst über eine
ausreichende schöpferische Individualität verfügen, um als urheberrechtliches Werk qualifiziert
werden zu können (vgl. E. 578).
626. Von den Beschwerdeführerinnen wird
in keiner Weise konkret dargelegt, dass und weshalb die DCC-Schnittstelle selbst eine ausreichende schöpferische
individuelle Qualität aufweist, um gemäss Art. 2 Abs. 4
URG als urheberrechtliches
Werk gelten zu können.
627. Eine allgemeine Vermutung zugunsten der
Werkqualität von Schnittstellen besteht nicht (vgl. Arn/Neff,
SIWR II/2, 133).
628. Im vorliegenden Fall wäre eine entsprechende
Vermutung auch nicht zu rechtfertigen, weil die nachfolgenden Umstände gegen eine ausreichende schöpferische
Individualität der Schnittstellen sprechen: (i) Die DCC-Schnittstelle ist als Zusatz in die allgemeine
Schnittstelle zwischen POS-Terminals und Akzeptanz-Plattform eingebunden (vgl. E. 554);
(ii) diese Ergänzung ist von der inhaltlichen Überprüfung und Zustimmung der Kartenlizenzgeber
abhängig und bedarf auf deren Veranlassung hin der Anpassungen; (iii) eine DCC-Schnittstelle war
bereits im Rahmen der erstmaligen Implementation der DCC-Umrechnung im Ausland durch ein anderes Unternehmen
eingeführt und vom Visa Card Scheme abgenommen worden.
629. Insbesondere schon deshalb ist nicht davon
auszugehen, dass die DCC-Schnittstellen eine ausreichende schöpferische Individualität aufweisen,
weil die DCC-Funktion und damit auch die DCC-Schnittstellen, aufgrund der Vorgaben des Visa Card Scheme
ausgestaltet werden mussten, wie die Beschwerdeführerinnen in Zusammenhang mit der Geltendmachung
einer Re-Zertifizierungsphase als Rechtsfertigungsgrund selbst geltend machen. Im dortigen Zusammenhang
führen sie aus, dass die Ausgestaltung der Schnittstellen aufgrund der Intervention des Visa Card
Schemes bis zum Abschluss der Re-Zertifizierung einem konstanten Wandel unterworfen gewesen wäre
(vgl. E. 665,
677).
630. Zudem führt die Ausführung der
DCC-Funktion über den Datentransfer hinaus, der im Rahmen des bestehenden ep2-Standards die allgemeinen
Kartendaten und den Zahlungsbetrag in inländischer Währung umfasst, lediglich zur zusätzlichen
Übermittlung eines weiteren Zahlungsbetrags in ausländischer Währung und des Wechselkurses.
Deshalb handelt es sich bei der Ausgestaltung der DCC-Schnittstelle eher um eine triviale Entwicklungstätigkeit
bzw. eine bloss alltägliche, standardisierte Programmierarbeit ohne besonderen eigenen individuellen
Beitrag seitens der Beschwerdeführerinnen.
631. Dies wird zudem von den Beschwerdeführerinnen
auch durch ihr Vorbringen (vgl. E. 536)
bestätigt, wonach die anderen Terminalhersteller nur eine Kopie der DCC-Funktion der Card-Solutions
hätten herstellen können. Wenn die anderen Terminalhersteller keine Möglichkeit gehabt
hätten, im Rahmen des vorgegebenen ep2-Standards eine DCC-Funktion bzw. eine DCC-Schnittstelle mit
einer urheberrechtlich zulässigen abweichenden Ausdrucksform zu gestalten, dann hätte auch
für Card Solutions keine Möglichkeit bestanden, eine DCC-Funktion bzw. eine DCC-Schnittstelle
mit einer ausreichenden schöpferischen Individualität herzustellen, welche die Voraussetzungen
der Werkqualität gemäss Art 2
URG erfüllt hätte. Wenn nicht einmal die DCC-Funktion
selbst mit einer ausreichenden schöpferischen Qualität hergestellt werden kann, dann kann den
DCC-Schnittstellen erst recht kein urheberrechtlicher Schutz zugesprochen werden.
632. Aus diesen Gründen ist demnach nicht
davon auszugehen, dass überhaupt ein Urheberrecht der SIX-Gruppe an der DCC-Schnittstelle besteht,
weshalb der Immaterialgüterrechtsvorbehalt gemäss Art. 3 Abs. 2
KG vorliegend
bereits deshalb von vornherein keine Bedeutung erlangen kann (vgl. E. 614).
c)
Massgebliche Schnittstellen und Schnittstelleninformationen
633. Zwischen
den Parteien ist strittig, welche Schnittstelleninformationen - und damit welcher Anküpfungspunkt
für die Geschäftsbeziehungen zwischen der SIX-Gruppe und den anderen Terminalherstellern -
für die Beurteilung der Angelegenheit und die dabei auftretenden einzelnen Sach- und Rechtsfragen
von Bedeutung sind. Die Vorinstanz stellt in der angefochtenen Verfügung auf die Schnittstelle der
Akzeptanz-Plattform zur Anbindung der Zahlungskartenterminals und als Folge hiervon auf die Offenlegung
der entsprechenden Schnittstelleninformationen als Anknüpfungspunkt der Geschäftsverweigerung
ab. Demgegenüber verweisen die Beschwerdeführerinnen wiederkehrend auf die Massgeblichkeit
der DCC-Funktion sowie die DCC-Terminals von Card Solutions, weshalb die Schnittstelleninformationen
der DCC-Terminals von Card Solutions relevant seien. Diese Divergenz in der Zuordnung der tatsächlichen
Gegebenheiten verlangt nach einer entsprechenden Abklärung, die dann der Beurteilung der weiteren
Rechtsfragen zu Grunde zu legen ist.
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
634. Die Beschwerdeführerinnen räumen
zwar ein, dass die auf der DCC-Funktion aufbauenden DCC-Dienstleistungen durch Multipay als Kartenakquisiteur
erbracht wurden. Dieser Aspekt sei aber irrelevant, weil in der angefochtenen Verfügung weder behauptet
werde, die anderen Terminalhersteller hätten DCC-Dienstleistungen nachgefragt, noch dass ihnen entsprechende
DCC-Dienstleistungen vorenthalten worden seien.
635. Vielmehr hätten die anderen Terminalhersteller
versucht, Zugriff auf die von Card Solutions entwickelte DCC-Funktion und damit auf die Software der
DCC-Terminals von Card Solutions zu erlangen. Hierbei handle es sich um eine Entwicklung und ein Produkt
von Card Solutions, weshalb dieser die Urheberrechte an der DCC-Funktion bzw. den damit ausgerüstenen
DCC-Terminals und damit auch an den entsprechenden Schnittstelleninformationen zustehe.
636. Die anderen Terminalhersteller hätten
demzufolge von Multipay die Offenlegung von Schnittstelleninformationen verlangt, die der Card Solutions
zugestanden hätten.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
637. Die angefochtene Verfügung geht auf
diesen Sachpunkt nicht ausdrücklich ein. Allerdings ergibt sich implizit aus ihr, dass die Vorinstanz
die Schnittstelleninformationen der Akzeptanz-Plattform und nicht die Schnittstelleninformationen der
DCC-Terminals als massgeblich erachtet.
(3)
Würdigung durch das Gericht
638. Die
allgemeine Intention der Terminalhersteller, die mit der SIX-Gruppe auf dem Markt der ep2-Terminals konkurrieren,
ist auf die Herstellung eines technischen Anschlusses an die Akzeptanz-Plattform der SIX-Gruppe zur Sicherstellung
eines ordnungsgemässen Datenaustausches zwischen ep2-Terminals und Akzeptanz-Plattform ausgerichtet.
Dies gilt in gleicher Weise auch in Bezug auf die Akzeptanz-Plattformen der anderen Unternehmen im Akzeptanzgeschäft.
Dieser Anschluss und der darauf aufbauende Datenaustausch sind innerhalb der Schweiz aufgrund des bestehenden
ep2-Standards und der damit verbundenen Festlegung und Offenlegung von Schnittstelleninformationen prinzipiell
gewährleistet, weshalb Zahlungskartentransaktionen ohne Einsatz der DCC-Währungsumrechnung
mit ep2-Terminals unterschiedlicher Hersteller prinzipiell ohne Schwierigkeiten ordnungsgemäss mit
der Akzeptanz-Plattform der SIX-Gruppe oder anderen Akzeptanz-Plattformen durchgeführt werden können
(vgl. SV F.e).
639. Im Hinblick auf die im relevanten Zeitraum
eingeführte DCC-Währungsumrechnung ist die spezifische Intention der anderen Terminalhersteller
in entsprechender Weise auf den Anschluss ihrer Zahlungskartenterminals an die Akzeptanz-Plattform der
SIX-Gruppe gerichtet, um einen ordnungsgemässen Datentransfer zur Umsetzung der DCC-Währungsumrechnung
zu gewährleisten. Da die DCC-Währungsumrechnung nicht Bestandteil des ep2-Standards ist
und
diesbezüglich auch kein internationaler Standard bestand, bildete die Offenlegung der Schnittstelleninformationen
gegenüber den anderen Terminalherstellern eine notwendige Voraussetzung, um die Funktionsfähigkeit
von DCC-Terminals im Zahlungskartensystem sicherzustellen. Dies gilt nicht nur in Bezug auf die Akzeptanz-Plattformen
der SIX-Gruppe, sondern auch hinsichtlich der Akzeptanz-Plattformen von Drittunternehmen. Das Interesse
der Terminalhersteller war demnach auf die Erlangung der notwendigen Schnittstelleninformationen für
die einzelnen Akzeptanz-Plattformen zur Anbindung ihrer DCC-Terminals ausgerichtet.
640. Entgegen den wiederkehrenden Behauptungen
der Beschwerdeführerinnen waren die anderen Terminalhersteller demzufolge nicht an den DCC-Schnittstelleninformationen
der ep2-Terminals von Card Solutions interessiert. Vielmehr waren diese Schnittstelleninformationen überhaupt
nicht von Interesse. Denn die anderen Terminalhersteller wollten ihre ep2-Terminals nicht mit den ep2-Terminals
der Card Solutions verbinden, sondern ausschliesslich mit der Akzeptanz-Plattform der Multipay. Die hierfür
notwendigen Informationen waren Gegenstand der Herausgabeverlangen durch die anderen Terminalhersteller.
Ob es sich dabei um die gleichen Daten wie für die DCC-Schnittstelle der ep2-Terminals der Card
Solutions oder um Daten für eine anders ausgestaltete DCC-Schnittstelle gehandelt hätte, weil
an der DCC-Schnittstelle für die ep2-Terminals der Card Solutions ein Urheberrecht bestand, war
völlig irrelevant. Denn die SIX-Gruppe hätte die DCC-Schnittstelle zwischen ihrer Akzeptanz-Plattform
und den ep2-Terminals der anderen Terminalhersteller anders ausgestalten müssen als diejenige zu
ihren eigenen ep2-Terminals, um ein allfälliges Urheberrecht an der DCC-Schnittstelle der ep2-Terminals
von Card Solutions gegenüber einer Offenlegung zu schützen. Die anderen Terminalhersteller
wollten zudem auch kein Zusatzprodukt für die ep2-Terminals der Card Solutions herstellen.
641. Den DCC-Schnittstelleninformationen der
ep2-Terminals der Card Solutions kommt ungeachtet dessen, dass ohnehin eine kartellrechtliche Unternehmensidentität
besteht (vgl. E. 653
ff.), demnach keinerlei Bedeutung für die rechtliche Beurteilung der vorliegenden Angelegenheit
zu. Infolgedessen ist es entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen auch unerheblich, ob der
Card Solutions Urheberrechte an den DCC-Schnittstelleninformationen ihrer ep2-Terminals zustehen oder
nicht, und zwar ungeachtet dessen, dass an derartigen Schnittstelleninformationen wie dargelegt wohl
keine Urheberrechte bestehen.
642. Massgebend für die rechtliche Beurteilung
der einzelnen Sach- und Rechtsfragen sind vorliegend demzufolge allein die notwendigen DCC-Schnittstelleninformationen
für die Anbindung von ep2-Terminals der anderen Terminalhersteller an die Acquring-Plattform der
Multipay.
643. Dies entspricht im Übrigen auch dem
tatsächlichen Geschehensablauf, weil die Multipay als Betreiberin der Akzeptanz-Plattform auch als
Vermarkterin der DCC-Währungsumrechnung und als Anbieterin der entsprechenden DCC-Dienstleistungen
aufgetreten ist. Dies wird von den Beschwerdeführerinnen selbst bestätigt. Demzufolge war sie
für die anderen Terminalhersteller offensichtlich die zutreffende Ansprechperson für eine Anbindung
ihrer DCC-Terminals an die Acquring-Plattform der Multipay. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen
ist es hierbei auch unbeachtlich, dass die anderen Terminalhersteller keine DCC-Dienstleistungen nachgefragt
haben.
d)
Einwand der Unternehmensdifferenzierung
644. Die
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen beruhen wiederkehrend auf einer Abgrenzung zwischen Multipay
und Card Solutions als eigenständige Geselllschaften mit unterschiedlichen Interessen, weshalb eine
Zuordnung von Verantwortlichkeiten und eine Zurechnung des Verhaltens, wie dies die Vorinstanz in der
angefochtenen Verfügung vorgenommen habe, in tatsächlicher Hinsicht unzutreffend und daher
rechtlich unzulässig seien.
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
645. Nach Auffassung der Beschwerdeführerinnen
versucht die angefochtene Verfügung, die massgeblichen Zuständigkeiten zu verwischen. Eine
Lizenzierung des nachgefragten Gutes falle schon rein zivilrechtlich in den Zuständigkeitsbereich
des Inhabers des Immaterialgüterrechts. Multipay verfüge aber über keinerlei Rechte an
den DCC-Schnittstelleninformationen als nachgefragtem Gut. Multipay hätte daher aus eigenem Recht
überhaupt nicht über die DCC-Schnittstelleninforma-tionen verfügen können.
646. Die wirtschaftliche und rechtliche Kontrolle
über die Offenlegung der Schnittstelleninformationen habe einzig bei der nicht marktbeherrschenden
Card Solutions vorgelegen. Card Solutions habe aber kein Interesse an einer Behinderung anderer Terminalhersteller
gehabt. Card Solutions sei vielmehr daran interessiert gewesen, die von ihr selbst als Akzeptanzdienstleister
verarbeiteten DCC-Transaktionen zu maximieren. Dies sei wirtschaftlich wesentlich interessanter als der
geringe Gewinn von Terminalverkäufen gewesen. Card Solutions sei nicht marktbeherrschend und daher
auch nicht zur Herausgabe der Schnittstelleninformationen verpflichtet gewesen. Multipay habe keine Einwirkungsmöglichkeiten
auf Card Solutions gehabt.
647. Der Entscheid über die Anfragen der
anderen Terminalhersteller sei durch die Card Solutions als Eigentümerin der DCC-Funktion getroffen
worden. Der Umstand, dass dies auch an gemeinsamen Geschäftsleitungssitzungen von Multipay und Card
Solutions thematisiert worden sei, sei darauf zurückzuführen, dass die Anfragen von Jeronimo
jeweils fälschlicherwise an Multipay gerichtet worden seien. Multipay hätte entsprechend mit
Card Solutions Rücksprache halten müssen. Hieraus den Schluss zu ziehen, dass die Verweigerung
de facto durch Multipay erfolgt sei, sei folglich falsch. Zudem handle es sich bei diesen Protokollen
um blosse Beschlussprotokolle und nicht um ausführliche Inhaltsprotokolle. In Bezug auf die den
Beschlüssen zu Grunde liegenden Diskussionen und die Entscheidfindung seitens der Card Solutions
könne demnach nichts aus den Protokollen abgeleitet werden.
648. Der Umweg über eine Konzernbetrachtung
sei nicht zielführend, weil im Rahmen der Untersuchung des Sekretariats der Konzern zu keinem Zeitpunkt
involviert und auch nicht Gegenstand der Untersuchung gewesen sei. Bezüglich der Verhaltensweise
des Konzerns würden sich denn auch keine Abklärungen, Sachverhaltsfeststellungen oder rechtliche
Beurteilungen finden.
649. Ungeachtet dessen müssten auch innerhalb
eines Konzerns die einzelnen Interessen eines Unternehmens Berücksichtigung finden. Der Vorwurf
gegenüber Multipay, durch die Vorgehensweise die Verkäufe von Zahlungskartenterminals durch
die Schwestergesellschaft zu unterstützen, setze die Möglichkeit der Multipay voraus, auf eine
Offenlegung der Schnittstellen durch Card Solutions Einfluss nehmen zu können. Eine solche Möglichkeit
habe gerade nicht bestanden.
650. Es sei falsch, die Thematik unter dem
Titel "DCC bei Multipay" abzuhandeln. Es handle sich vielmehr um eine Entwicklung und ein
Produkt von Card Solutions. Die DCC-Funktion und das Processing seien durch Card Solutions erbracht worden.
Diese Leistungen seien mit dem Transaktionsverarbeiter verbunden, welcher wiederum vom Kartenakquisiteur
und nicht vom Händler gewählt werde. Die Vorinstanz führe hierzu aus, dass dies nicht
korrekt sei, weil für den vorliegenden Fall die Händlersicht massgebend sei. Dieses Argument
sei nicht konsistent mit dem Rest der angefochtenen Verfügung. Der Vorwurf der Wettbewerbskommission
laute dahingehend, dass den anderen Terminalherstellern die Schnittstellen nicht offengelegt worden seien.
Relevant sei demnach die Optik der Terminalhersteller und nicht diejenige der Händler. Für
die Terminalhersteller könnte jedoch nicht die Verhaltensweise der Multipay relevant sein, weil
diese auch nicht über die notwendigen Rechte an der DCC-Funktion habe verfügen und auch gar
keine Schnittstelleninformationen habe offenlegen können.
651. Nachdem es sich bei SCA nicht um ein marktbeherrschendes
Unternehmen handle, sei auch nicht einzusehen, weshalb sie ihre Produkte und Funktionen ungehindert,
kostenfrei und noch vor Abschluss der eigentlichen Produktentwicklung ihren Wettbewerbern zur Verfügung
stellen sollte.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
652. Die Vorinstanz verweist darauf, dass es
sich bei Multipay und Card Solutions um Gruppengesellschaften des gleichen Konzerns handle, weshalb eine
Differenzierung nicht vorgenommen werden könne.
(3)
Würdigung durch das Gericht
653. Im
Hinblick auf die von den Beschwerdeführerinnen zu Grunde gelegte Differenzierung zwischen Multipay
und Card Solutions ist zum einen das massgebliche Kartellrechtssubjekt zu beachten und zum anderen der
Gegenstand des missbräuchlichen Verhaltens sowie das Verhalten der beiden Wirtschaftsteilnehmer
gegenüber ihren bestehenden und potenziellen Geschäftspartnern zu berücksichtigen.
654. Der
Einwand der Beschwerdeführerinnen, wonach Multipay für die DCC-Funktion und die Offenlegung
von DCC-Schnittstelleninformationen sowie deren allfällige Lizenzierung nicht zuständig gewesen
sei, weil Card Solutions die Inhaberin der einschlägigen Immaterialgüterrechte hinsichtlich
der DCC-Funktion gewesen sei, weshalb keine unzulässige Handlung der Multipay vorliegen könne,
ist zum einen widersprüchlich angesichts des tatsächlichen Marktauftritts der beiden Konzerngesellschaften
und zum anderen aber ohnehin unbeachtlich, weil es sich beim massgeblichen Kartellrechtssubjekt um die
SIX-Gruppe handelt.
655. Wie vorstehend dargelegt wurde, ist das
massgebliche Kartellrechtssubjekt des schweizerischen Kartellgesetzes der Konzern und nicht eine oder
mehrere einzelne Konzerngesellschaften (vgl. E. 119
ff.). Daher stehen weder Multipay noch Card Solutions als einzelne Konzerngesellschaft, sondern die SIX-Gruppe
als Ganzes in der kartellrechtlichen Verantwortung.
656. Eine konzerninterne Differenzierung zwischen
den einzelnen Konzerngesellschaften ist grundsätzlich nicht vorzunehmen. Sinn und Zweck der Qualifizierung
des Konzerns als Kartellrechtssubjekt besteht gerade darin, auf eine kartellrechtliche Untersuchung und
allfällige Verfolgung von konzerninternen Transaktionen zu verzichten. Einerseits wären ansonsten
eine nach eigenen Vorstellungen erfolgende Aufteilung von Funktionen und Tätigkeiten innerhalb eines
Konzerns sowie die gruppenweite Zusammenarbeit zwischen einzelnen Konzerngesellschaften ausgeschlossen.
Vielmehr müssten alle Handlungen und damit die gesamte interne Organisation des Konzerns und der
Konzerngesellschaften in solch einer Weise ausgestaltet werden, dass sämtliche Transaktionen einem
Drittvergleich standhielten, mit der Folge, dass alle konzerninternen Transaktionen vollumfänglich
wettbewerbskonform ausgestaltet sein müssten. Damit wäre ein Konzern der Vorteile, welche dieses
Rechtsgebilde im Hinblick auf eine kartellrechtliche Beurteilung bietet, gerade beraubt. Andererseits
liesse sich die Entscheidfindung zu einzelnen Sachentscheidungen innerhalb eines Konzerns überhaupt
nicht verfolgen und nachweisen. Da der Konzern per Definition unter einer gesamtheitlichen (Gruppen-)Führung
steht (vgl. E. 39
ff.), können zudem Anweisungen an nachgeordnete Funktionsträger von anderen Konzerngesellschaften
in mannigfaltiger Weise ausgestaltet und umgesetzt werden, weshalb sie einer Nachverfolgung von vornherein
nicht zugänglich sind. Letztlich könnte ein marktmissbräuchliches Verhalten durch einen
marktbeherrschenden Konzern mit derartigen Behauptungen ohne Schwierigkeiten verschleiert werden. Dies
wird durch die Beschwerdeführerinnen aufgrund ihres Vorbringens zum Verhalten von Multipay und Card
Solutions geradezu eindrücklich bestätigt.
657. Ob und inwieweit Ausnahmen von diesem
Grundsatz bestehen, ist umstritten. Teilweise werden von der EU-Wettbewerbspraxis Ausnahmen vorgesehen.
Ob eine entsprechene Anwendung dieser Differenzierung mit dem schweizerischen Kartellgesetz angesichts
von dessen unterschiedlicher Statuierung eines eigenständigen Kartellrechtssubjekts kompatibel wäre,
bedarf vorliegend keiner abschliessenden Beantwortung, weil der Sachverhalt keinen Anlass zur Begründung
einer Ausnahme darstellt. Vielmehr stellt er geradezu ein Exempel für die wettbewerbsrechtliche
Verantwortlichkeit des Konzerns und dessen kartellrechtliche Heranziehung dar.
658. Für die kartellrechtliche Beurteilung
sind die DCC-Schnittstellen der Akzeptanz-Plattform von Multipay zur Anbindung von DCC-Terminals massgebend
(vgl. E. 638).
Denn diese Schnittstellen werden von der Multipay als Betreiberin der Akzeptanz-Plattform verwendet.
Daher waren diese Schnittstelleninformationen an die anderen Terminalhersteller herauszugeben (vgl. E.
638
f.), unabhängig davon, ob der Multipay ein Urheberrecht an diesen Schnittstellen zustand oder nicht.
Wobei von einer urheberrechtlichen Schutzfähigkeit der DCC-Schnittstellen nicht auszugehen ist (vgl.
E. 546
ff.). Ungeachtet dessen standen sie der Multipay rechtlich uneingeschränkt zur Verfügung. Entgegen
der Ansicht der Beschwerdeführerinnen war die Multipay daher nicht aufgrund eines bestehenden Immaterialgüterrechts
der Card Solution in ihrer Verfügungsgewalt über die DCC-Schnittstelleninformationen ihrer
Akzeptanz-Plattform eingeschränkt. Die Entscheidung über eine Offenlegung der DCC-Schnittstelleninformationen
an andere Terminalhersteller oblag demzufolge ausschliesslich dem Verantwortungsbereich von Multipay.
Zudem ist auf dem Markt ausschliesslich Multipay als Vermarkterin der DCC-Währungsumrechnung aufgetreten,
schon allein deshalb, weil die DCC-Währungsumrechnung nur im Rahmen der Kartenakzeptanz umgesetzt
werden kann. Es ist daher nur sachlogisch, dass die anderen Terminalhersteller von der Multipay die Offenlegung
der Schnittstelleninformationen für die Anbindung ihrer DCC-Terminals an die Akzeptanz-Plattform
der Multipay verlangt haben.
659. Die Einwände der Beschwerdeführerinnen
im Hinblick auf ein allfällig bestehendes Urheberrecht der Card Solutions an der DCC-Schnittstelle
der ep2-Terminals sind daher unerheblich, weil auch bei einer von ihnen verlangten Unternehmensdifferenzierung
die alleinige Zuständigkeit der Multipay gegeben gewesen wäre und Card Solutions gerade keine
Ansprüche oder Rechte im Hinblick auf die DCC-Schnittstelleninformationen der Akzeptanz-Plattform,
die den anderen Terminalherstellern hätten bekannt gegeben und zur Verfügung gestellt werden
müssen, geltend machen konnte.
660. Die
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen zeigen allerdings auf, dass nachträglich der Versuch unternommen
wird, diese tatsächlichen Gegebenheiten zu verschleiern. Hierbei handelt es sich im Verhältnis
zu den Geschäftspartnern um ein fragwürdiges und im Rahmen eines Kartellverfahrens um ein widersprüchliches
Verhalten. Zudem wird dadurch belegt, dass eine vollständige Durchdringung und Aufklärung von
konzerninternen Verhältnissen durch die Wettbewerbsbehörden mitunter an Grenzen stossen.
661. Die Beschwerdeführerinnen übersehen
zudem, dass sich auch bei Annahme ihrer Vorbringen zur Unternehmensdifferenzierung ein marktmissbräuchliches
Verhalten ergeben würde. Wenn die Multipay als eigenständig zu behandelndes Unternehmen sich
geweigert hätte, den anderen Terminalherstellern die DCC-Schnittstelleninformationen ihrer Akzeptanz-Plattform
- die dann in jedem Fall ungeachtet einer urheberrechtlichen Schutzfähigkeit auch unabhängig
von den DCC-Schnittstelleninformationen für die DCC-Terminals der Card Solutions zu betrachten
gewesen
wären - herauszugeben, hätte dies zur Folge gehabt, dass deswegen die DCC-Terminals
der
anderen Terminalhersteller nicht an die Akzeptanz-Plattform hätten angebunden werden können.
Demzufolge hätte Multipay die verschiedenen Terminalhersteller unterschiedlich behandelt. Für
eine derartige unterschiedliche Behandlung der Terminalhersteller und eine Bevorzugung von Card Solutions
durch Multipay hätte unter unabhängigen Unternehmen kein sachlich angemessener Grund bestanden.
Mithin hätte Multipay bei dieser Sichtweise gegenüber den anderen Terminalherstellern in jedem
Fall die Missbrauchsform einer Diskriminierung gemäss Art. 7 Abs. 2
lit. KG verwirklicht.
e)
Einwand der Test- und Re-Zertifizierungsphase
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
662. Die
Beschwerdeführerinnen machen zu allen von der Vorinstanz festgestellten Missbrauchsformen in ähnlicher
Weise wiederkehrend geltend, dass ein wettbewerbswidriges Verhalten nicht vorgelegen habe, weil die DCC-Funktion
und damit auch die DCC-Terminals sich zum Zeitpunkt der Anfragen der anderen Terminalhersteller noch
in einer Test- bzw. in einer Re-Zertifizierungsphase befunden hätten.
663. Eine Geschäftsverweigerung oder eine
Koppelung liegt nach den Beschwerdeführerinnen nur vor, wenn das nachgefragte Gut oder die nachgefragte
Leistung überhaupt erbracht werden könne. Bei Fehlen eines definitiven Produkts sei eine Geschäftsverweigerung
oder ein anderes missbräuchliches Verhalten ausgeschlossen. Zum Zeitpunkt der jeweiligen Anfragen
habe kein definitives Produkt bestanden, weil das Test- und Re-Zertifizierungsverfahren noch gar nicht
abgeschlossen gewesen sei. Eine Offenlegung hätte daher nicht vor Beendigung der Test- und Re-Zertifizierungsphase
erfolgen müssen.
664. Eine Offenlegung der Schnittstelleninformationen
sei grundsätzlich auch im damaligen Zeitpunkt geplant gewesen und sollte nach der endgütigen
Fertigstellung der DCC-Funktion, d.h. nach deren definitiver Re-Zertifizierung durch das Visa Card Scheme,
erfolgen.
665. Vor
Abschluss der Re-Zertifizierung am 11. Mai 2006 habe keine definitive DCC-Funktion bestanden und die
Schnittstellen seien aufgrund der noch laufenden Entwicklung und der sich ändernden Zertifizierungsanforderungen
des Visa Card Scheme einem konstanten Wandel unterworfen gewesen.
666. Nachdem
im Januar 2005 eine probeweise Aufschaltung des nicht vollendeten DCC-Systems als Pilotversuch vorgenommen
worden sei, habe im März 2005 eine erste Phase zu Testzwecken mit einer Aufschaltung der DCC-Lösung
begonnen. Ein regulärer Betrieb im Sinne einer uneingeschränkten Verwendung und Umsetzung der
DCC-Funktion sei zu diesem Zeitpunkt nicht möglich gewesen. Im Rahmen der vorhergehenden Pilotphase
und der Phase zu Testzwecken hätten sich diverse Probleme ergeben, die Änderungen an der DCC-Funktion
nach sich gezogen hätten.
667. Die
Testphase sei nur auf einem bestimmten Terminalprodukt durchgeführt worden. Denn zunächst habe
die Systemstabilität festgestellt werden müssen, bevor weitere Terminalprodukte hätten
eingebunden werden können. Dies habe insbesondere auch für die Terminalprodukte der anderen
Terminalhersteller gegolten.
668. Den
verschiedenen Marketingaussagen der Multipay über die DCC-Währungsumrechnung gegenüber
den Marktteilnehmern käme keine Bedeutung zu, weil zu diesem Zeitpunkt noch wesentliche Änderungen
vorzunehmen gewesen seien. Die Vorinstanz versuche, den Marketingaussagen der Beschwerdeführerinnen
ein höheres Gewicht beizumessen als den objektiven Fakten.
669. Der
Abschluss von DCC-Verträgen habe die Voraussetzung für die Durchführung der Testphase
gebildet und sei gerade nicht eine Folge der behaupteten Marktfähigkeit. Denn eine Zertifizierung
setze voraus, dass eine Funktion im effektiven Betrieb und nicht nur im Labor getestet worden sei.
670. Die Behauptung der Vorinstanz, dass es
sich ab März 2005 bei der DCC-Währungsumrechnung der Card Solutions um ein marktfähiges
Produkt gehandelt habe, sei daher rein spekulativ und unbewiesen und werde durch die vorgenommenen erheblichen
Anpassungen widerlegt.
671. Die Notwendigkeit einer Re-Zertifizierung
durch das Visa Card Scheme belege, dass Card Solutions sich nicht unabhängig habe verhalten können.
672. Dass
die SIX-Gruppe die Firma Redpoint mit der Entwicklung einer Implementierung von DCC für eine Hotellösung
beauftragt habe, widerspreche dem nicht, weil es sich hierbei um eine Auftragsentwicklung für eine
Integration in Kassensysteme gehandelt habe. Das Projekt habe nicht beendet werden können, sondern
sei eingestellt worden.
673. Am
16. Dezember 2005 sei das Visa Card Scheme eingeschritten und habe mit Blick auf die DCC-Funktion eine
Sistierung angeordnet. Die Risiken im Zusammenhang mit der Sistierung der Zertifizierung durch das Visa
Card Scheme hätten nicht unterschätzt werden dürfen. Aufgrund der Anforderungen des Visa
Card Scheme seien zusätzliche Zertifizierungsbedingungen festgelegt worden und es hätten signifikante
Anpassungen der technischen Ausgestaltung der DCC-Funktion vorgenommen werden müssen. Diese Massnahme
des Visa Card Scheme habe auch andere Kartenakquisiteure und Anbieter von DCC-Dienstleistungen ausserhalb
der Schweiz betroffen. Diese hätten bis zu 12 Monate für die Durchführung der Re-Zertifizierung
benötigt.
674. Der Umstand, dass zu Testzwecken bei einigen
Händlern bereits ein Vertragsabschluss und eine Installation vorgenommen worden seien, sei gerade
Bestandteil der Test- und Zertifizierungsphase. Denn eine definitive Zertifizierung sei überhaupt
nur möglich, wenn das Card Scheme das Produkt im effektiven Betrieb begutachten könne.
675. Bis
zum Abschluss dieser Re-Zertifizierung habe die Card Solutions keine neuen, nicht zertifizierten DCC-fähigen
Zahlungskartenterminals mit der DCC-Funktion aufschalten dürfen. Daher seien die Beschwerdeführerinnen
überhaupt nicht in der Lage gewesen, weitere nicht zertifizierte DCC-fähige Zahlungskartenterminals
von Drittherstellern mit DCC-Funktion aufzuschalten.
676. Auch
wenn der Aufwand im Rahmen der Re-Zertifizierung nicht übermässig gewesen sei, habe dies nicht
bedeutet, dass die Konsequenzen bei einer nicht ordnungsgemässen Durchführung nicht ernsthaft
gewesen wären, weil diese bis hin zum Entzug der Akzeptanz-Lizenz gereicht hätten. Der Aufwand
sei im Übrigen deshalb nicht übermässig gewesen, weil angesichts der homogenen Terminalpopulation
die Anpassungen speditiv hätten durchgeführt werden können.
677. Die
notwendigen Anpassungen an der DCC-Software seien umfangreich und komplex gewesen. Bis zur definitiven
Re-Zertifizierung seien weite Bereiche der notwendigen Terminalsoftware, Terminal-Menüführung
und der Backed-Application für das Processing grundlegend überarbeitet worden. Die Softwareversion
1.0 habe sich zur Version 3.0 entwickelt. Die Quellcodes seien grundlegend überarbeitet oder neu
erstellt worden. Diese Anpassungen hätten auch Auswirkungen auf die Spezifikationen der Schnittstellen
gehabt, sodass mangels Vorhandenseins eines definitiven Produkts auch keine definitiven Schnittstellen
vorhanden gewesen seien.
678. Die
Anfragen der anderen Terminalhersteller, einschliesslich derjenigen vom 10. Juni 2005 und 5. Juli 2005
sowie vom 20. Februar 2006 und vom 17. März 2006, seien vor der verbindlichen Re-Zertifizierung
durch das Visa Card Scheme am 11. Mai 2006 gestellt worden. Sämtlichen Terminalherstellern sei mitgeteilt
worden, dass sich die DCC-Funktion in einer Pilotphase befinde, noch nicht ausgereift sei und aus diesem
Grunde nicht zur Verfügung gestellt werden könne.
679. Bei diesem Sachverhalt handle es sich
demnach um eine blosse Übergangsproblematik, weil einer Lizenzierung nach Abschluss der Test- und
Zertifizierungsphase nichts mehr im Wege gestanden habe.
680. Der
Card Solutions könne daher nur angelastet werden, dass sie während des sehr beschränkten
Zeitraums vom Abschluss der Re-Zertifizierung am 11. Mai 2006 und der Anzeige von Jeronimo bei der Wettbewerbskommission
am 20. Juli 2006 nicht von sich aus auf Jeronimo zugegangen sei und ihr die Lizenzierung der DCC-Schnittstellen-informationen
nicht von sich aus angeboten habe. Dabei handle es sich allerdings nicht um ein missbräuchliches
Verhalten.
681. Die
Berücksichtigung der Test- und Re-Zertifizierungsphase müsse bereits auf der Ebene des Tatbestands
erfolgen und sei für die Verweigerung einer Offenlegung von zentraler Relevanz; in jedem Fall sei
sie im Rahmen der sachlichen Rechtfertigungsgründe zu berücksichtigen.
682. Das
angewandte Verfahren der Entwicklung, Zertifizierung und schliesslich Lizenzierung sei der übliche
Ablauf bei sämtlichen Produktentwicklungen innerhalb der Card Solutions. Neuentwicklungen würden
nur beschränkt eingeführt, bis das neue Produkt und die neuen Prozesse unter Kontrolle seien.
Erst danach werde ein Produkt auf andere Produktfamilien ausgeweitet und später extern lizenziert.
Gründe für diese Vorgehensweise seien die Sicherheit des Gesamtsystems und der Zahlungsflüsse
sowie nicht zuletzt auch Haftungs- und Reputationsrisiken. Unerlaubte Eingriffe, Rückrufaktionen
oder eine fehlerhafte Transaktionsabwicklung hätten erhebliche finanzielle Konsequenzen. Eine ausreichende
Testphase mit beschränkter Einführung sei demnach zwingend erforderlich.
In einer derart heiklen Phase zusätzliche Hersteller einzubinden und damit zusätzliche Kommunikationsstellen
und Risiken von Fehlprogrammierungen einzugehen, wäre betriebswirtschaftlich und sicherheitstechnisch
unverantwortlich gewesen. Insbesondere hätten in dieser Phase der Änderungen nicht noch Zahlungskartenterminals
anderer Hersteller angepasst werden können. Dass der Änderungsaufwand nicht erheblich gewesen
sei, ändere daran nichts.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
683. Die Vorinstanz kommt im Rahmen ihrer Prüfung
zum Ergebnis, dass sowohl die behauptete Testphase als auch die Re-Zertifizierungsphase keine ausreichende
Rechtfertigung darstellen würden, weil derartige Phasen tatsächlich nicht vorgelegen bzw. nicht
zu einer Einschränkung des Absatzes der DCC-Währungsumrechnung und der DCC-Terminals geführt
hätten.
684. Nach Ansicht der Vorinstanz sei ab dem
1. März 2005 ein marktfähiges und auch tatsächlich kommerzialisiertes Produkt vorhanden
gewesen. Zum Zeitpunkt der Anfrage von Jeronimo am 5. Juli 2005 könne die Markteinführung bereits
als fortgeschritten bezeichnet werden. Entsprechend wäre die Offenlegung der Schnittstellen möglich
gewesen.
685. Der von den Beschwerdeführerinnen
im Hinblick auf eine Re-Zertifizierung durch das Visa Card Scheme geltend gemachte erhebliche und daher
unverhältnismässige Anpassungsbedarf im Verarbeitungssystem der SIX-Gruppe für die Zulassung
eines Zahlungskartenterminals von einem anderen Terminalhersteller sei nicht stichhaltig dargelegt worden.
Insbesondere habe die SIX-Gruppe nicht ernsthaft geprüft, welche technischen Lösungsmöglichkeiten
bestehen könnten. Namentlich sei auch die durch Jeronimo vorgeschlagene Lösung zunächst
unter Berufung auf technische Gründe kategorisch abgelehnt worden. Erst anlässlich des Treffens
vom 8. Dezember 2006 sei von Seiten der SIX-Gruppe die Bereitschaft gezeigt worden, Lösungsmöglichkeiten
auszuloten.
(3)
Würdigung durch das Gericht
686. Aufgrund
der eigenen Vorbringen der Beschwerdeführerinnen ist unstrittig, dass im relevanten Zeitraum von
Juli 2005 bis Januar 2007 mangels einer Offenlegung von Datenverarbeitungs-Schnittstellen für den
Anschluss von DCC-fähigen Zahlungskartenterminals an die Akzeptanz-Plattform der SIX-Gruppe zur
Übermittlung der DCC-Funktion eine Einschränkung der anderen Terminalhersteller im Hinblick
auf deren Möglichkeit, DCC-fähige Zahlungskartenterminals an Händler mit einem Akzeptanz-Vertrag
der SIX-Gruppe zu verkaufen, bestand.
687. Die SIX-Gruppe begründet diese Einschränkung
damit, dass die Offenlegung dieser Schnittstellen zumindest im relevanten Zeitraum aus technischen und
operativen Gründen habe verweigert werden können, weil zum einen eine Testphase sowie zum anderen
eine Re-Zertifizierungsphase durch das Visa Card Scheme noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Die SIX-Gruppe
macht somit jedenfalls eine Rechtfertigung für die Einschränkung der anderen Terminalhersteller
wegen des Vorliegens eines sachlich angemessenen Grundes geltend.
688. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 681)
ist die Begründetheit des geltend gemachten Sachgrunds im Rahmen einer Prüfung der Geschäftsverweigerung
nicht bereits auf der Tatbestandsebene im Rahmen des Merkmals der Ablehnungshandlung zu prüfen.
Denn auch bei Vorliegen einer Test- oder Re-Zertifizierungsphase für ein bestimmtes Produkt ergibt
sich nicht zwingend, dass dadurch die Offenlegung von Schnittstelleninformationen ausgeschlossen ist.
Vielmehr bedarf es auch in einem solchen Fall einer Bewertung, ob die Anforderungen an eine Rechtfertigung
aufgrund der sachlichen Begründetheit und Angemessenheit der konkreten Einschränkung gegeben
sind.
(a)
Grundlagen einer Rechtfertigung
689. Die Möglichkeit einer Rechtfertigung
für ein tatbestandliches marktmissbräuchliches Verhalten wird - vielfach unter Verweis
auf die aus dem US-amerikanischen Wettbewerbsrecht stammende Doktrin der "legitimate business reasons"
- überwiegend grundsätzlich für zulässig erachtet, soweit entsprechende sachgerechte
Gründe geltend gemacht werden (vgl. BGE 139 I 72, Publigroupe,
E. 10.1.2; BGE 129 II 497, EEF, E. 6.5.4, spricht von "motifs
objectifs d´ordre commercial"; Amstutz/Carron,
BSK-KG, Art. 7 Rn. 63 ff.; Clerc,
CR-Concurrence, Art. 7 Abs. 2
Rn. 101 ff.;
Stäuble/Schraner, Dike-KG,
Art. 7 Rn. 109; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 2.561 ff.; Fuchs/Möschel, IM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 163).
690. Eine Rechtfertigung für ein missbräuchliches
Verhalten ist danach grundsätzlich gegeben, wenn objektiv zwingende Gründe, wie zum Beispiel
technische oder sicherheitsrelevante Aspekte, für die jeweilige Einschränkung des Wettbewerbs
sprechen (vgl. BVGer, B-3618/2013, Hallenstadion, E. 265, unter
Verweis auf Botschaft KG 1995, 576; Amstutz/
Carron, BSK-KG, Art. 7 Rn. 63 ff., 545 ff.; Borer,
KG, Art. 7 Rn. 27; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 7 Rn. 115 f.; Weber/Volz,
FHB-WBR, Rn. 2.564; Fuchs/Möschel,
IM-EUWBR, Art. 102 Rn. 163).
691. Ob und inwieweit auch rein wirtschaftliche
Aspekte, insbesondere in Form einer Einsparung von Produktions-, Vertriebs- und Transaktionskosten, als
Rechtfertigungsgrund für eine nachteilige Einwirkung auf den Wettbewerb durch ein marktbeherrschendes
Unternehmen anzuerkennen sind, wurde bislang nicht abschliessend geklärt (vgl. Botschaft
KG 1995, 576, verweist nur auf "zwingende wirtschaftliche" Gründe; BGE 139 I 72,
Publigroupe, E. 10.1.2, zählt hierzu unter Verweis auf die
Literatur beispielhaft die Zahlungsfähigkeit des Vertragspartners, eine veränderte Nachfrage,
Kosteneinsparungen, administrative Vereinfachungen sowie Transport- und Vertriebskosten auf; BGE 129
II 497, EEF, E. 6.5.4, hält eine Berücksichtigung von
Effizienzgründen als Rechtsfertigungsgrund ohne nähere Erläuterung für möglich;
Weko, RPW 2008/3, 385, Documed,
Ziff. 203 f., wobei jedoch nicht ersichtlich wird, ob die geringfügige Kosteneinsparung
als Rechtfertigungsgrund zu gelten hat oder ob angesichts der Notwendigkeit zur Vornahme gewisser Korrekturen
bei jeglicher Publikation die entsprechenden Arbeiten überhaupt das Ausmass selbständiger Korrekturarbeiten
angenommen haben; die Möglichkeit wird grundsätzlich anerkannt durch Amstutz/Carron,
BSK-KG, Art. 7 Rn. 547; Weber/Volz,
WBR, Rn. 2.565; EU-Kom,
Prioritätenmitteilung, Ziff. 62; Fuchs/Möschel,
IM-EUWBR, Art. 102
Rn. 163, und
wird teilweise auch ausdrücklich abgelehnt, vgl. Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 7
Rn. 125, unter Verweis auf den durch das Kartellgesetz
bezweckten Individualschutz, vgl. E. 510).
Dabei müssen auf alle Fälle weitere mittelbare Wettbewerbsbeschränkungen, wie z.B. Verdrängungsstrategien,
ausgeschlossen sein (vgl. BVGer, B-3618/2013, Hallenstadion, E.
266, mit Hinweis auf Quersubventionierungen; BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 556 m.w.N., mit Hinweis auf sachwidrige Subventionierungstransfers; in diesem Sinne auch
die EU-Kom, Prioritätenmitteilung,
Rz. 60, wonach bei einer preisbezogenen Anreizkoppelung die Preise für beide Produkte über
den durchschnittlichen langfristigen Zusatzkosten liegen müssen; Fuchs/Möschel,
IM-EUWBR, Art. 102 Rn. 163, wonach
dies nicht zu einer völligen Aushebelung wettbewerblicher Prozesse führen dürfe).
692. Im Rahmen der Beurteilung potenzieller
Rechtfertigungsgründe findet jedenfalls der Verhältnismässigkeitsgrundsatz Anwendung (vgl.
BVGer, B-3618/2013, Hallenstadion, E. 267, Amstutz/Carron,
BSK-KG, Art. 7 Rn. 69 f.; Clerc,
CR-Concurrence, Art. 7
I Rn. 99; Stäuble/
Schraner, Dike-KG, Art. 7 Rn. 130; Weber/Volz,
WBR, Rn. 2.567; Fuchs/Möschel
Rn. 292; a.A. David/Jacobs, WBR,
Rn. 754). Demzufolge muss ein zur Rechtfertigung geltend gemachter Sachgrund (i) geeignet sein,
den Zweck der Einschränkung auch tatsächlich herbeizuführen, und (ii) erforderlich sein,
den Zweck der Einschränkung herbeizuführen, d.h. der Zweck kann nicht auf eine andere Weise
erreicht werden, welche die Marktgegenseite oder die Konkurrenten weniger beeinträchtigt, und (iii)
zur Erzielung des mit der Einschränkung verbundenen Zwecks gegenüber den mit der Einschränkung
verbundenen Nachteilen angemessen sein, mit der Folge, dass für eine Rechtfertigung allfällige
Vorteile umso höher ausfallen müssen, je schwerwiegender die Beeinträchtigung des Wettbewerbs
zu qualifizieren ist.
(b)
Sachverhalt
693. Vorliegend verweisen die Beschwerdeführerinnen
auf Sicherheitsaspekte, die im Rahmen einer Einführung der DCC-Währungsumrechnung und der Re-Zertifizierung
durch das Visa Card Scheme zur Folge gehabt hätten, dass eine Offenlegung der Schnittstelleninformationen
ausgeschlossen gewesen sei und deshalb gezwungenermassen eine Kombination von Akzeptanz--Dienstleistungen,
DCC-Dienstleistungen und DCC-Terminals durch die SIX-Gruppe während dieses Zeitraums stattgefunden
habe.
694. Die Anerkennung einer Testphase und einer
Re-Zertifizierungsphase als Rechtfertigungsgrund für die Einschränkung der anderen Terminalhersteller
setzt voraus, dass eine solche Testphase und eine Re-Zertifizierungsphase überhaupt stattgefunden
haben, und falls dies zu bejahen ist, dass das beanstandete wirtschaftliche Verhalten - vorliegend
zum einen die Verweigerung der Herausgabe von Schnittstelleninformationen und zum anderen die zwingende
Kombination von Acquring-Dienstleistungen mit DCC-Leistungen und DCC-Terminals der SIX-Gruppe -
einen aus objektiver Sicht sachlich angemessenen und verhältnismässigen Grund für die
Einschränkung der anderen Wirtschaftsteilnehmer - vorliegend zum einen die anderen Terminalhersteller
und zum anderen die Händler - darstellt. Die Feststellung eines objektiv ausreichenden Sachgrunds
erübrigt sich aber, wenn bereits in tatsächlicher Hinsicht keine Testphase und/oder keine Re-Zertifizierungsphase
vorgelegen haben.
695. Die Testphase soll nach dem Vorbringen
der Beschwerdeführerinnen ab dem 1. März 2005 mit der Aufschaltung der DCC-Funktion bei bestehenden
Kunden begonnen haben. Ein konkretes Ende der Testphase wird von den Beschwerdeführerinnen jedoch
nicht bezeichnet. Die Testphase geht demnach nahtlos in die Re-Zertifizierungsphase über, welche
im Dezember 2005 begann und am 11. Mai 2006 abgeschlossen wurde. Für die Zeit ab 11. Mai 2006 bis
zur Anzeige von Jeronimo bei der Wettbewerbskommission am 20. Juli 2006 wird von den Beschwerdeführerinnen
selbst eingeräumt, dass die Card Solutions in diesem Zeitraum Jeronimo hätte kontaktieren und
ihr die Schnittstelleninformationen von sich aus hätte anbieten müssen; allerdings könne
diese Unterlassung nicht als missbräuchlich qualifiziert werden (vgl. E. 680).
696. Bei einem unterstellten Geschehensablauf
wie dargestellt ergibt sich demzufolge, dass zumindest für einen Zeitraum von sieben Monaten zwischen
dem Abschluss der Re-Zertifizierung am 11. Mai 2006 und der Offenlegung der Schnittstelleninformationen
durch die SIX-Gruppe gegenüber den anderen Terminalherstellern am 22. bzw. 25. Januar 2006
(vgl. SV J.e)
bereits nach dem eigenen Vortrag der Beschwerdeführerinnen keine Rechtfertigung für die Verweigerung
einer Offenlegung der DCC-Schnittstelleninformationen vorlag.
697. Aus diesem Grund ist nur für den
Zeitraum zwischen Juli 2005 und Mai 2006 zu prüfen, ob hierfür ein sachlich angemessener Grund
als Rechtfertigung für die fehlende Offenlegung gegeben war. Dabei ist zwischen der angeblichen
Testphase und der Re-Zertifizierungsphase zu unterscheiden.
(c)
Testphase
698. Die
Behauptung der Beschwerdeführerinnen, wonach ab dem 1. März 2005 eine Testphase eingeleitet
worden sei, wird durch wesentliche Aspekte des tatsächlichen Geschehensablaufs eindeutig widerlegt.
Massgebend hierfür sind die am Markt erkennbaren Massnahmen wie die Einführung der Produkte,
der uneingeschränkte Absatz der Produkte, der reguläre Betrieb der DCC-Kartenterminals sowie
sonstige Geschehnisse, wie die interne Projektbeschreibung der SIX-Gruppe und die Argumentation der Beschwerdeführerinnen
gegenüber der Vorinstanz.
699. Eine Testphase zeichnet sich dadurch aus,
dass sie mit ausgewählten Versuchsteilnehmern unter Offenlegung des Testcharakters und unter dem
Vorbehalt von Nutzungsausfällen oder -einschränkungen und einem sich daraus ergebenden ausserordentlichen
Aufwand einschliesslich allfällig erhöhter Kosten durchgeführt wird. Regelmässig
werden dabei auch ein Ausschluss der Haftung des den Test durchführenden Unternehmens und ein Ausschluss
von Regressansprüchen der Nutzer vorgesehen.
700. Demgegenüber stellt die allgemeine
Ankündigung eines Produkts gegenüber den Wirtschaftsteilnehmern im jeweiligen Markt die Einführung
eines verkehrsfähigen Produkts dar und lässt für die Wirtschaftsteilnehmer aus objektiver
Sicht einzig und allein den Schluss zu, dass eine ausreichende Testphase des jeweiligen Produkts bereits
abgeschlossen ist. Dies gilt umso mehr, wenn das Produkt auf dem jeweiligen Markt frei verfügbar
ist und der reguläre Betrieb ohne Nutzungseinschränkungen aufgenommen wird.
701. Im
Rahmen der Vermarktung von Akzeptanz-Dienstleistungen und von ep2-Terminals durch die SIX-Gruppe wurden
- wie von der Vor-instanz vorgetragen und von den Beschwerdeführerinnen nicht bestritten wurde
- bereits seit dem Jahr 2004 auch die DCC-Funktion und die DCC-Terminals beworben. So enthält
das Kundenmagazin "accept" von Multipay seit März 2004 wiederkehrende Artikel zur DCC-Währungs-umrechnung,
wobei von Januar bis März 2005 jeden Monat mindestens ein Artikel veröffentlicht wurde. Darüber
hinaus wurde auf der Homepage von Multipay und von Card Solutions ausdrücklich die DCC-Währungsumrechnung
als neue zusätzliche Akzeptanz-Dienstleistung und als neue Funktion der ep2-Terminals vorgestellt
und erläutert. Dabei wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die DCC-Währungsum-rechnung
im Rahmen einer vorgängigen Pilotphase umfassend - "auf Herz und Nieren" -
überprüft worden sei.
702. Als
Beispiele der Vermarktung der DCC-Währungsumrechnung durch die SIX-Gruppe sind insbesondere die
folgenden Anpreisungen zu nennen (Anm.: Bei den Hervorhebungen handelt es sich um Verlinkungen auf weitere
Seiten):
(i) Hinweis Homepage Card Solutions ab 6. Februar
2005:
"Automatische Währungsumwandlung (DCC).
Die
Dynamic Currency Conversion funktioniert auf allen ep2-Terminals der Telekurs Card Solutions.
Die Dynamic Currency Conversion (DCC) ist eine neue Dienstleistung von Telekurs Multipay.
[...]
DCC
verlangt Terminals der neuesten Generation. Die Dynamic Currency Conversion funktioniert auf ep2-fähigen
Terminals (davinci, EPSYS smash). Wenn Sie bereits Terminals der neuen Generation im Einsatz haben, können
Sie die Software mit wenig Aufwand updaten. Zudem benötigen Sie einen gültigen DCC-Vertrag
mit Telekurs Multipay. Verfügbar ist unsere neue Dienstleistung ab Februar 2005."
(ii) Hinweis Homepage Multipay ab 18. Februar 2005:
"DCC: Dynamisch auf Erfolgskurs. Die Dynamic Currency Conversion (DCC) bewährte sich
in einem Pilotversuch mit namhaften Schweizer Hotels. Die Vorteile von DCC liegen auf der Hand, für
Sie und Ihre internationale Kundschaft: Kredit- oder Maestro-Zahlungen werden bequem, schnell, sicher
und automatisch in 13 Fremdwährungen umgerechnet. Und dabei profitieren Sie sogar noch von tieferen
Gebühren und der neuesten Terminalgeneration! Dass sich DCC im täglichen Einsatz bewährt,
davon überzeugten sich rund 10 führende Schweizer Hotels in einem zweimonatigen Pilotversuch.
Die Hotellerie, mit vielen ausländischen Kunden eine ideale Testbranche, prüfte die neue Dienstleistung
von Telekurs Multipay auf Herz und Nieren - und war begeistert. [...]
Als erster Schweizer Acquirer bietet Ihnen Telekurs Multipay diese vorteilhafte Dienstleistung
mit einem EMV/ep2-fähigen Terminal (z.B. EPSYS smash, Telekurs davinci) an. Im Kapitel "Service"
finden Sie unter Dynamic Currency Conversion weitere Informationen dazu. Haben wir Ihr Interesse geweckt?
Kontaktieren Sie uns, wir unterbreiten Ihnen gerne ein Angebot."
(iii) Hinweis Homepage Multipay ab 6. Juni 2005:
"DCC: Installieren und sofort profitieren.
Noch
nie war es für Sie so einfach, Ihren Kunden einen Extra-Service
zu bieten und gleichzeitig Ihren Kommissionssatz bis zu einem vollen Prozentpunkt zu senken. DCC
von Telekurs Multipay, die automatische Währungsumwechslung direkt am Terminal, ist sofort
betriebsbereit, kinderleicht zu bedienen und dank Währungsgewinn auch finanziell äusserst attraktiv.
Für
die Kunden einen Mehrwert zu schaffen, ist nicht nur grossen Häusern vorbehalten und verlangt auch
nicht zwingend einen finanziellen Kraftakt. [...] Das zahlt sich für Sie von Beginn an durch zufriedenere
und deshalb oftmals kauflustigere Kunden und reduzierte Gebühren ab der ersten Fremdwährungstransaktion
aus; nicht nur, wenn Sie ein Fünf-Sterne-Hotel führen, sondern auch als Betreiber einer kleinen
Pension oder Besitzer eines Sportgeschäfts. Von Vorteil ist dies vor allem dann, wenn Sie regelmässig
internationale Kundschaft bedienen, wie das in erster Linie in Branchen wie Hotellerie, Gastronomie,
Tourismus und Sport, Autovermietung, Mode oder Schmuck und Uhren der Fall ist.
Für alle Vertragspartner gilt aber, dass der Aufwand für den Betrieb der
automatischen Währungsumwechslung äusserst gering ist, nicht nur bei der Installation -
Sie benötigen Terminals der neuesten, ep2-fähigen Generation -, sondern vor allem auch
in der täglichen Arbeit. Dank Plug and Play ist DCC sofort einsatzbereit und die Handhabung einfach
und unkompliziert.
Erste
Erfahrungen zeigen, dass Karteninhaber und Vertragspartner gleichermassen auf ihre Rechnung kommen.
Gäste und Kunden fühlen sich noch besser umsorgt, Sie steigern Ihr Renommee und reduzieren
Ihren Kommissionssatz.
Weitere Informationen zur automatischen Währungsumrechnung finden Sie auf unserer
Webseite im Kapitel "Service" unter Dynamic Currency Conversion. Dort können
Sie sich auch direkt für unseren neuen
Service anmelden. Sie können nur profitieren."
703. Aus diesen allgemeinen Anpreisungen gegenüber
der Marktgegenseite ergibt sich ohne Weiteres und unzweifelhaft, dass es sich bei den Angeboten DCC-Dienstleistungen
und DCC-Terminals um verkehrsfähige Produkte mit uneingeschränkter sachlicher und rechtlicher
Gewährleistung handelte und nicht um Produkte, die lediglich zum Testbetrieb unter dem Vorbehalt
von eingeschränkter Nutzbarkeit, auftretenden Mängeln, notwendigen Anpassungen sowie einem
dadurch notwendig werdenden zusätzlichen Aufwand und damit verbundenen erhöhten Kosten gegenüber
einer beschränkten Anzahl von Versuchsteilnehmern eingesetzt werden. Die Verfügbarkeit der
Produkte war dabei jedenfalls ab März 2005 gegeben.
704. Auch die Vertragsdokumente der SIX-Gruppe
zu den DCC-Dienstleistungen und den DCC-Terminals sahen keine entsprechenden Einschränkungen der
Nutzbarkeit, der Gewährleistung oder des Haftungsausschlusses aufgrund einer Testphase vor. Vielmehr
lassen sich auch aus diesen vertraglichen Regelungen keinerlei Hinweise auf eine Testphase ableiten.
705. Das Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 666
ff.), wonach die flächendeckende Markteinführung der DCC-Funktion und der DCC-Terminals sowie
die Aufnahme des regulären Betriebs bei ihren bestehenden Kunden dennoch als Testphase zu qualifizieren
seien, ist damit unzutreffend. Selbstredend ist eine flächendeckende Abgabe eines Produkts an alle
bestehenden Kunden nicht als eine für die Erwerber und Nutzer des Produkts unerkennbare Testphase
zu qualifizieren. Andernfalls würde eine Unterscheidung zwischen einer Testphase und einem regulären
Betrieb von Produkten überhaupt nicht existieren. Ansonsten könnten im Übrigen mittels
einer Geschäftsverweigerung die eigenen Kunden eines marktbeherrschenden Unternehmens gegenüber
dem Wettbewerb durch konkurrierende Produktanbieter durch die blosse Behauptung der Durchführung
einer Testphase beliebig abgeschottet werden, mit der Folge, dass dadurch ein jeglicher Verkauf von Produkten
an bestehende Kunden durch Konkurrenten seitens des marktbeherrschenden Unternehmens unterbunden werden
könnte.
706. Ab
März 2005 wurden die Produkte DCC-Währungsrechnung und DCC-Terminals auch uneingeschränkt
abgesetzt. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob diese Produkte tatsächlich nur an bestehende Kunden
oder auch an Neukunden abgegeben wurden. Die Daten des Produktabsatzes sowohl für die DCC-Dienstleistungen
(vgl. SV I.f)
als auch für die DCC-Terminals (vgl. SV I.i)
belegen jedenfalls, dass ab März 2005 ein kontinuierlicher und stetig ansteigernder Verkauf der
Produkte bis Dezember 2006 sowie darüber hinaus in den Jahren 2007 und 2008 erfolgte. Mit den Händlern
wurden in den Jahren 2005 bzw. 2006 jeweils {2´100-[ ´ ]-2´500}
bzw. {2´000-[ ´ ]-2´600}
DCC-Dienstleistungsverträge abgeschlossen, wobei insgesamt {1´700-[ ´ ]-1´800}
DCC-Terminals für diese Verträge ausgeliefert und aufgeschaltet wurden. Dabei ist zu keinem
Zeitpunkt ein signifikanter Anstieg des Produktabsatzes zu erkennen, der auf den Abschluss einer Testphase
und der Freigabe der DCC-Funktion für den gesamten Markt schliessen liesse.
707. Die Beschwerdeführerinnen behaupten
nicht und legen auch keine entsprechenden Nachweise vor, dass die Händler mit DCC-Vertrag und DCC-Terminal
aufgrund einer unfertigen Ausgestaltung oder den notwendigen Anpassungen der DCC-Funktion die an den
DCC-Terminals aufgeschaltete Währungsumrechnung nur in einem eingeschränkten Umfang hätten
nutzen können und dass ein erhöhter Aufwand die Folge hiervon gewesen wäre. Insbesondere
legen die Beschwerdeführerinnen auch nicht dar, in welcher Art und Weise die Händler bei der
Nutzung der Währungsumrechnung mit ihren DCC-Terminals aufgrund der notwendigen Anpassungen der
DCC-Funktion eingeschränkt gewesen seien. Vielmehr wird in den Anpreisungen der DCC-Währungsumrechnung
sogar darauf hingewiesen, dass die Händler bereits vorhandene ep2-Terminals mit geringem Aufwand
mit der DCC-Funktion aufrüsten könnten. Es ist daher a majore ad minus nicht davon auszugehen,
dass bei neu ausgelieferten DCC-Terminals durch allfällige notwendige Anpassungen - wenn überhaupt
- mehr als ein geringer Aufwand für die Händler angefallen ist.
708. Auch die internen Dokumente der SIX-Gruppe
belegen die Überführung der DCC-Funktion in den regulären Betrieb. So werden in den Projektstatusberichten
von Card Solutions der Übergang von einer Testphase im Dezember 2004 zur Pilotphase im Januar/Februar
2005 sowie die Aufnahme des regulären Betriebs ab März 2005 ausdrücklich wie folgt festgehalten:
(i) Projektstatusbericht vom 2. Dezember 2004:
"Die Testphase ist abgeschlossen [...] die Pilotphase wird ab 18.1. mit zuerst drei Zürcher
Hotels starten. Weitere Hotels in Crissier, Arosa, Bad Ragaz und St. Moritz werden folgen [...]."
(ii) Projektstatusbericht vom 8. Februar 2005
"Der produktive Pilot hat am 20.1. begonnen [...] die anfänglichen Schwierigkeiten mit
der Terminalsoftware konnten ausgeräumt werden. Sowohl Terminal wie Host [...] verarbeiten DCC-Transaktionen
ohne Probleme. Der Pilot dauert bis Ende Februar (16 Terminals in 10 Hotels). Ab 1.3. beginnt die Ausbreitungsphase.
TKM aquiriert bereits heute DCC-Verträge mit Startdatum 1.3."
(iii) Projektstatusbericht vom 8. März 2005
"Der Pilot wurde Ende Februar abgeschlossen und in den regulären Betrieb überführt."
(iv) Projektstatusbericht vom 14. Juni 2005
"Bis heute (14.6.) sind knapp {700-[ ]-1´000}
Händler mit DCC-Verträgen in PASS erfasst. Davon sind rund {200-[ ]-400}
mit einem DCC-fähigen ep2-Gerät ausgerüstet und machen aktiv DCC-Transaktionen. Weitere
ca. {50-[ ]-200} VPs haben ein ep2-Terminal, aber
machen noch keine DCC-Transaktionen. Rund {40-[ ]-60}%
der Händler mit DCC-Vertrag haben noch kein neues ep2-Terminal von TKC."
(iv) Projektstatusbericht vom 5. Juli 2005
"Im Juni wurden gut {22´000-[ ´ ]-27´000}
Transaktionen für knapp {5-[ ]-10} Mio. CHF im DCC-Modus
abgewickelt. Bis heute (5.7.) sind rund {1´000-[ ´ ]-1´500}
Händler mit DCC-Verträgen im PASS [Payment Acquring Service System] erfasst. Davon sind gut
{400-[ ]-600] mit einem DCC-fähigen ep2-Gerät
ausgerüstet und machen aktiv DCC-Transaktionen. Weitere {50-[ ]-200}
VPs haben ein ep2-Terminal, aber machen noch keine DCC-Transaktionen. Rund {40-[ ]-60}%
der Händler mit DCC-Vertrag haben noch kein ep2-Terminal von TKC [=Telekurs Card Solutions]."
(v) Projektstatusbericht vom 13. September 2005
"Bis heute sind gut {1´800-[ ´ ]-2´400}
Händler mit DCC-Verträgen im PASS erfasst. Davon sind gut {500-[ ]-1´000}
mit einem DCC-fähigen ep2-Gerät ausgerüstet und machen aktiv DCC-Transaktionen."
709. Die Beschwerdeführerinnen haben noch
im August 2006 die Offenlegung der Schnittstelleninformationen unter Verweis auf die Rechtmässigkeit
ihres Verhaltens aufgrund von lizenzrechtlichen Überlegungen abgelehnt, ohne dass dabei auf die
Test- und Zertifizierungsphase hingewiesen wurde. Ein entsprechender Verweis auf die Testphase wäre
aber nahegelegen, wenn die SIX-Gruppe zu diesem Zeitpunkt tatsächlich von der Durchführung
einer Testphase nach März 2005 ausgegangen wäre. Dies gilt umso mehr, als die Beschwerdeführerinnen
der Ansicht sind, dass bei Durchführung einer Test- und Re-Zertifizierungphase aufgrund des Fehlens
eines "definitiven", d.h. verkehrsfähigen Produkts mangels einer möglichen Ablehnungshandlung
bereits der Tatbestand einer Geschäftsverweigerung nicht vorliegen würde und nicht erst eine
Rechtfertigung aufgrund von angemessenen Sachgründen gegeben sei.
710. Angesichts der vorgenannten Tatsachen
und Umstände ist unzweifelhaft davon auszugehen, dass die DCC-Funktion einschliesslich der DCC-Terminals
ab März 2005 im regulären Betrieb zum Einsatz kamen und sich nicht mehr in einer Testphase
befanden. Die nachträglichen umfangreichen Ausführungen der Beschwerdeführerinnen zur
Durchführung einer Testphase ab März 2005 (E. 662,
666,
667,
677,
678)
sind daher unglaubwürdig und als blosse Schutzbehauptungen zu qualifizieren.
711. Dies gilt insbesondere auch für die
Behauptung der Beschwerdeführerinnen (E. 668),
wonach die Marketingaussagen der SIX-Gruppe zur Produkteinführung nicht korrekt gewesen seien. Die
Beschwerdeführerinnen behaupten damit nämlich, dass sie ihre Kunden über die Einsatzfähigkeit
und Zuverlässigkeit der von ihnen verkauften Produkte getäuscht hätten. Würde diese
Behauptung als richtig unterstellt werden, müsste zwangsläufig ein missbräuchliches Verhalten
gemäss Art. 7 lit. c
KG in Betracht gezogen werden, weil den Kunden für den Bezug eines unfertigen
Testprodukts unangemessene Preise und Geschäftsbedingungen durch ein markbeherrschendes Unternehmen
aufgezwungen worden wären.
712. Dieser Qualifizierung als blosse Schutzbehauptungen
steht im Übrigen nicht entgegen, dass die SIX-Gruppe im Rahmen des regulären Betriebs auch
weiterhin Anpassungen an der DCC-Funktion sowie der Ausgestaltung der DCC-Terminals vorgenommen hat.
Gerade im Bereich der Softwareentwicklung und -pflege gelten die nach deren Auslieferung vorgenommenen
regelmässigen Anpassungen als notwendige Voraussetzungen zur Erzielung von laufenden Verbesserungen
und zur Herstellung eines optimierten Programms. Dabei wird die Zeit nach Inbetriebnahme eines Geräts
oder eines Programms nicht als Testphase qualifiziert. Daher sind die entsprechenden ergänzenden
Behauptungen der Beschwerdeführerinnen (E. 669,
682)
unzutreffend.
713. Auch die Behauptung der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 667),
wonach die Testphase nur auf einem bestimmten Terminaltyp durchgeführt worden sei, ist unzutreffend.
Denn die Offenlegung der Schnittstelleninformationen steht in keinem Zusammenhang mit der Anzahl an Zahlungskartenterminals,
die in einer Testphase Verwendung finden können, weil die Offenlegung der Schnittstelleninformationen
der Entwicklung und Produktion von DCC-Terminals sowie deren Einsatz in einem Zahlungskartensystem vorausgeht.
Die Beschwerdeführerinnen machen auch nicht geltend, dass jeder Typ von DCC-Terminal über eine
unterschiedliche Schnittstelle an die Akzeptanz-Plattform anzubinden gewesen wäre, was dem Sinn
und Zweck von Schnittstellen ebenfalls widersprechen würde. Daher kommt dem Umstand, ob die SIX-Gruppe
zwischen Juli und November 2005 nur ein einziges ihrer Terminalprodukte zur DCC-Währungsumrechnung
gegenüber der Akzeptanz-Plattform verwendet hat oder nicht, keine sachliche Relevanz zu.
714. Im Übrigen belegt die Beauftragung
der Firma Redpoint mit der Entwicklung einer Implementierung von DCC für eine Hotellösung entgegen
der Behauptung der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 672),
dass trotz Vorliegens einer angeblichen Testphase durchaus weiterführende Entwicklungsarbeiten hätten
vorgenommen werden können. Auch dieser Umstand bestätigt die Möglichkeit zur Offenlegung
der Schnittstelleninformationen.
715. Mangels Vorliegens einer Testphase besteht
demzufolge für den Zeitraum zwischen Juli und November 2005 ohne Zweifel keine tatsächliche
Grundlage für einen Rechtfertigungsgrund der Verweigerung einer Offenlegung der Schnittstelleninformationen
für die DCC-Funktion.
716. Es bedarf daher keiner weiteren Überprüfung,
ob die geltend gemachte Testphase eine sachlich angemessene Rechtfertigung für die Verweigerung
einer Offenlegung der DCC-Schnittstelleninformationen und die zwingende Kombination der Akzeptanz-Dienstleistungen
mit den DCC-Dienstleistungen und den DCC-Terminals durch die SIX-Gruppe darstellt. Im Übrigen wäre
die Verweigerung einer Offenlegung der Schnittstelleninformationen gegenüber den anderen Terminalherstellern
angesichts des uneingeschränkten Absatzes von DDC-Terminals im Markt durch die SIX-Gruppe jedenfalls
nicht als verhältnismässiges Mittel zur Sicherstellung von allfälligen Sicherheitsüberlegungen
zu qualifizieren, weshalb in jedem Fall kein wirksamer Rechtfertigungsgrund gegeben war.
(d)
Re-Zertifizierungsphase
717. Unbestrittenermassen wurde von Seiten
des Visa Card Schemes eine Re-Zertifizierung der durch die SIX-Gruppe ausgearbeiteten und verwendeten
DCC-Funktion verlangt, wodurch ein Validierungsprozess durchgeführt werden musste. Die Re-Zertifizierungsphase
dauerte insgesamt vom 16. Dezember 2005 bis zum 11. Mai 2006.
718. Ungeachtet dessen, dass die Beschwerdeführerinnen
Test- und Re-Zertifizierungsphase zu einem einheitlichen Zeitraum verknüpfen, ist der Beginn der
Re-Zertifizierungsphase auf den Eingang des Schreibens des Visa Card Schemes am 16. Dezember 2005 festzulegen.
Da die DCC-Währungsumrechnung durch die SIX-Gruppe wie dargestellt vorgängig am Markt eingeführt
worden war, ist der Aspekt unbeachtlich, ob der SIX-Gruppe die Notwendigkeit der Durchführung einer
Re-Zertifizierung bereits bei Markteinführung bekannt war oder ob sie zumindest mit einem späteren
Eingreifen eines Kartenlizenzgebers rechnen musste.
719. Der Abschluss der Re-Zertifizierungsphase
erfolgte spätestens am 11. Mai 2006 mit Erteilung der definitiven Re-Qualifikation durch Visa Europe,
nachdem bereits am 1. März 2006 die definitive Re-Zertifizierung durch das Visa Card Scheme erfolgt
war (vgl. SV I.t).
720. Die Re-Zertifizierungsphase stellt eine
ausreichende Rechtfertigung dar, wenn sie in Anwendung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes
als angemessener Sachgrund für das weitere Verhalten der SIX-Gruppe sowohl in Bezug auf die Verweigerung
einer Offenlegung der DCC-Schnittstelleninformationen gegenüber den anderen Terminalherstellern
als auch im Hinblick auf die zwingende Kombination der Akzeptanz-Dienstleistungen mit den DCC-Dienstleistungen
und den DCC-Terminals gegenüber den Händlern zu qualifizieren ist.
721. Gegen die Qualifizierung der Re-Zertifizierung
als potenziellen Sachgrund einer Rechtfertigung und damit bereits gegen die notwendige Geeignetheit der
Massnahme sprechen allerdings verschiedene gewichtige Aspekte.
722. Aus
dem tatsächlichen Geschehensablauf ergibt sich, dass die Durchführung einer Re-Zertifizierung
durch das Visa Card Scheme keine zwingende Voraussetzung vorgängig zum Einsatz der DCC-Währungsumrechnung
im Rahmen des Zahlungsverkehrssystems darstellt. Denn ansonsten hätten sowohl die SIX-Gruppe als
auch die anderen Terminalhersteller ausnahmslos für eine vorherige Anmeldung und Überprüfung
durch die Kartenlizenzgeber besorgt sein müssen. Vielmehr liegt die Durchführung von entsprechenden
Re-Zertifizierungen im Ermessen der jeweiligen Kartenlizenzgeber. Dies wird auch dadurch bestätigt,
dass die anderen Kartenlizenzgeber keinen Bedarf für die Durchführung einer gleichen Re-Zertifizierung
wie das Visa Card Scheme gesehen hatten.
723. Da die Beschwerdeführerinnen selbst
darauf hinweisen, dass auch andere Kartenakquisiteure eine Re-Zertifizierung durch das Visa Card Scheme
vornehmen mussten, ergibt sich offensichtlich, dass die Re-Zertifizierung der DCC-Funktion bei der SIX-Gruppe
kein aussergewöhnliches Ereignis darstellt, sondern dass es sich vielmehr um einen Vorgang handelt,
von dessen Eintritt die Kartenakquisiteure und demnach auch die Terminalhersteller jedenfalls bei einer
Änderung der technischen Ausgestaltung des Zahlungskartensystems sowie bei Einführung neuer
Funktionen an Plattformen und Zahlungskartenterminals ausgehen müssen.
724. Für die Terminalhersteller bedeutet
dies folglich, dass sie in der Lage sein müssen, die Re-Zertifizierung von technischen Änderungen
und Neuerungen des Zahlungskartensystems verschiedener Kartenakquisiteure nachzuvollziehen und die dadurch
bedingten Anpassungen ihrer Zahlungskartenterminals einschliesslich einer Anpassung der jeweiligen Schnittstellen
vorzunehmen. Dabei haben sie die jeweiligen Anweisungen und Hinweise der Kartenakquisiteure im Hinblick
auf die notwendigen Veränderungen zu beachten und ordnungsgemäss umzusetzen. Demzufolge müssen
die Terminalhersteller ständig auf eine notwendige Anpassung ihrer Terminalschnittstellen aufgrund
einer Re-Zertifizierung vorbereitet sein. Mangels anderslautender Erkenntnisse oder Vorbringen der Parteien
ist davon auszugehen, dass die Abwicklung einer Re-Zertifizierung die Terminalhersteller kein grundsätzliches
Problem darstellt. Es ist daher von vornherein nicht ersichtlich, warum gerade eine Re-Zertifizierung
der DCC-Funktion anders zu beurteilen gewesen wäre.
725. Die Beschwerdeführerinnen legen auch
weder dar noch weisen sie nach, dass die Re-Zertifizierung der DCC-Funktion als Sonderfall zu behandeln
gewesen wäre. Im Rahmen ihrer Argumentation wird jeweils nur integral darauf verwiesen, dass die
notwendigen Modifikationen der Benützerführung Änderungen der Terminalsoftware nach sich
ziehen und auch Anpassungen der Schnittstellen erfordern würden.
726. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen,
dass Aduno ebenfalls im Jahr 2005 damit begonnen hatte, in Zusammenarbeit mit FCC als DCC-Provider ihren
Händlern die DCC-Währungsumrechnung anzubieten. Dabei hatte Aduno von Anfang an mehreren Terminalherstellern
die DCC-Schnittstelleninformationen offengelegt, obwohl Aduno denselben Anforderungen der Card Schemes
unterlag wie die SIX-Gruppe.
727. Allein die Möglichkeit, dass die
Schnitttstellen von Zahlungskartenterminals aufgrund einer Re-Zertifizierung von einzelnen Funktionen
des Zahlungskartensystems eines Kartenakquisiteurs angepasst werden müssen, stellt einen üblichen
Umstand im Rahmen eines solchen Validierungsprozesses dar, der den Terminalherstellern allgemein bekannt
ist. Das Risiko eines erhöhten Aufwands oder unnützer Aufwendungen aufgrund einer notwendigen
Anpassung von Schnittstellen liegt demzufolge im Geschäftsbereich der Terminalhersteller. Deshalb
haben die Terminalhersteller im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit zu entscheiden, zu welchem
Zeitpunkt sie die Entwicklung ihrer eigenen Terminalsoftware zur Herstellung einzelner Funktionalitäten
vornehmen. Aus dem gleichen Grund besteht für einen marktbeherrschenden Kartenakquisiteur kein Anlass,
die Offenlegung der Schnittstelleninformationen für den Anschluss der Zahlungskartenterminals an
ihre Akzeptanz-Plattformen abzulehnen.
728. Während der Re-Zertifizierungsphase
bei der SIX-Gruppe wurden sowohl die im Markt vorhandenen DCC-Dienstleistungsverträge fortgeführt
als auch die aufgeschalteten DCC-Terminals weiterhin benutzt. Die vom Visa Card Scheme zunächst
aufgestellte Anforderung, den Betrieb der DCC-Terminals auf 100 Händler zu beschränken, wurde
nach einer Intervention von Multipay aufgehoben. Darüber hinaus wurden zwischen Dezember 2005 und
Mai 2006 der Absatz der DCC-Dienstleistungsverträge und die Aufschaltung der DCC-Terminals
ungehindert
fortgeführt; denn es wurden {800-[ ]-900}
neue DCC-Verträge abgeschlossen und {1000-[ ´ ]-1´100}
DCC-Terminals aufgeschaltet. Insgesamt wurden rund {400´000-[ ´ ]-500´000}
Transaktionen mit DCC-Währungsumrechnung mit einem Umsatz in Höhe von {120-[ ]-160}
Mio. CHF durchgeführt (vgl. SV I.f).
Diese Tatsachen werden von den Beschwerdeführerinnen auch nicht bestritten. Demzufolge ist nicht
erkennbar, dass es erforderlich gewesen wäre, den Betrieb der DCC-Funktion während der Re-Zertifizierungsphase
in einem wesentlichen Umfang einzuschränken oder gar auszusetzen.
729. Vor dem Hintergrund dieser Umstände
ist entgegen den Behauptungen der Beschwerdeführerinnen (vgl. 673,
676,
682)
von vornherein nicht ersichtlich, warum die Offenlegung der DCC-Schnittstelleninformationen für
die Akzeptanz-Plattform der SIX-Gruppe gegenüber anderen Terminalherstellern ein prinzipielles Problem
hätte darstellen sollen, die eine Verweigerung durch die SIX-Gruppe hätte begründen können.
Vielmehr ist davon auszugehen, dass von einer Offenlegung der DCC-Schnittstelleninformationen keine nachteiligen
Auswirkungen auf die ordnungsgemässe Umsetzung der Re-Zertifizierung durch die anderen Terminalhersteller
ausgegangen wären.
730. Auch der Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 675),
wonach eine Aufschaltung von DCC-Terminals der SIX-Gruppe sowie anderer Terminalhersteller aufgrund der
Re-Zertifizierung ausgeschlossen gewesen sei, zielt von vornherein ins Leere. Gegenstand des Vorwurfs
eines wettbewerbswidrigen Verhaltens bildet nicht eine allfällige Verweigerung der Aufschaltung
von DCC-Terminals an die Akzeptanz-Plattform der SIX-Gruppe während der Re-Zertifizierungsphase,
sondern die Verweigerung einer Offenlegung der DCC-Schnittstelleninformationen für den Anschluss
von DCC-Terminals an die Akzeptanz-Plattform der SIX-Gruppe. Die Offenlegung der DCC-Schnittstelleninformationen
zur Datenübermittlung zwischen Zahlungskartenterminals und Acquring-Plattform geht einer Aufschaltung
von DCC-Terminals offensichtlich voraus, weil die anderen Terminalhersteller nach Erhalt dieser Informationen
über die notwendigen Schnittstellen ihre Zahlungskartenterminals erst hätten in entsprechender
Weise ausgestalten und erproben müssen. Darüber hinaus widerspricht dieser Einwand offensichtlich
auch dem vorstehend dargestellten uneingeschränkten tatsächlichen Absatz von DCC-Dienstleistungsverträgen
und der weiteren Aufschaltung von DCC-Terminals während der Re-Zertifizierungsphase von Dezember
2005 bis Mai 2006 durch die SIX-Gruppe.
731. Im Hinblick auf die Rechtfertigung einer
zwingenden Kombination von Akzeptanz-Dienstleistungen, DCC-Dienstleistungen und DCC-Terminals ist in
gleicher Weise darauf hinzuweisen, dass hierfür ein Verweis auf die Re-Zertifizierungsphase von
vornherein unbehelflich ist.
732. Die zwingende Kombination von Aquiring-Dienstleistungen,
DCC-Dienstleistungen und DCC-Terminals hätte nach der Behauptung der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 682)
zur Herstellung einer ausreichenden Sicherheitsstruktur vorgenommen werden müssen, um die Zertifizierung
für das Zahlungssystem mit DCC-Funktion zu erlangen. Selbst wenn entsprechend dem Vorbringen der
Beschwerdeführerinnen davon auszugehen wäre, dass eine Zertifizierung der DCC-Funktion durch
die Kartenaussteller für das gesamte, von der SIX-Gruppe angebotene Zahlungssystem erforderlich
war und daher sowohl die Akzeptanz-Plattform als auch die Zahlungskartenterminals der SIX-Gruppe und
demzufolge auch diejenigen von anderen Terminalherstellern einer entsprechenden Sicherheitsüberprüfung
durch die Kartenaussteller zu unterziehen waren, so stellt dies unzweifelhaft keinen Aspekt dar, der
eine zwingende Bindung der Händler mit einem Akzeptanzvertrag der SIX-Gruppe an Zahlungskartenterminals
mit DCC-Funktion der SIX-Gruppe zu rechtfertigen vermag. Da in diesem Fall auch Zahlungskartenterminals
mit DCC-Funktion von anderen Terminalherstellern eine Zertifizierung erlangen mussten, um im Zahlungsabwicklungssystem
der SIX-Gruppe ohne sicherheitstechnische Bedenken eingesetzt werden zu können - und sie diesen
Status nach dem relevanten Zeitraum auch ohne Schwierigkeiten erlangten -, besteht kein sachlicher
Grund zur Erreichung des Zwecks der Kombination.
733. Ungeachtet
dessen, dass die Geeignetheit der Verweigerung einer Offenlegung der DCC-Schnittstellen und der zwingenden
Kombination von Aquiring-Dienstleistungen, DCC-Dienstleistungen und DCC-Terminals nicht gegeben war,
ist der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass auch die Erforderlichkeit dieser Massnahmen
zur Sicherstellung eines berechtigten Zwecks nicht gegeben war.
734. Überdies ist nicht ersichtlich und
wird von den Beschwerdeführerinnen auch nicht dargelegt, warum die Herausgabe der notwendigen DCC-Schnittstelleninformationen
zum Anschluss von DCC-Terminals sonstiger Terminalhersteller an die Akzeptanz-Plattform der SIX-Gruppe
wegen der notwendigen Re-Zertifizierung des Zahlungssystems der SIX-Gruppe durch Visa hätte eingeschränkt
werden müssen. Die Herausgabe der DCC-Schnittstelleninformationen hätte ohne Weiteres mit einem
Verweis auf eine allfällig notwendige Zertifizierung durch das Visa Card Scheme und die sich daraus
ergebenden tatsächlichen Weiterungen sowie auf allfällige rechtliche Implikationen verbunden
werden können. Hinweise auf mögliche tatsächliche Weiterungen hätten insbesondere
die Aspekte eingeschlossen, dass (i) die DCC-Funktion der Zahlungskartenterminals und damit auch die
Schnittstellen zur Akzeptanz-Plattform der SIX-Gruppe für die Zertifizierung angepasst werden müssen
und (ii) die Zahlungskartenterminals mit DCC-Funktion bis zu einer Zertifizierung nicht an die Akzeptanz-Plattform
der SIX-Gruppe angeschlossen werden können. Hinweise zu rechtlichen Implikationen hätten bis
hin zu einem Haftungsausschluss für Verluste der anderen Terminalhersteller bei Zahlungskartenterminals,
die aufgrund der Modalitäten einer später tatsächlich erfolgten Zertifizierung nicht an
die Händler verkauft werden, reichen können. Es wäre dann Sache der anderen Terminalhersteller
gewesen zu entscheiden, ob mit der Entwicklung der DCC-Funktion für ihre eigenen Zahlungskartenterminals
sofort begonnen oder die endgültige Ausgestaltung einschliesslich allfälliger Anpassungen aufgrund
des Ergebnisses der Zertifizierung abgewartet wird. Die Terminalhersteller hätten dabei -
in gleicher Weise wie die SIX-Gruppe im Rahmen von deren Vertrieb der Zahlungskartenterminals mit DCC-Funktion
auch - die Entscheidung über das entsprechende rechtliche und wirtschaftliche Risiko selbst
vornehmen müssen und können.
735. Zu keinem anderen Ergebnis führt
die Behauptung der Beschwerdeführerinnen, es habe sich lediglich um eine zeitlich beschränkte
Kombination bis zur Erlangung der Zertifizierung gehandelt. Denn aufgrund der im Recht liegenden Tatsachen
ist nachgewiesen, dass die SIX-Gruppe selbst ihre eigenen Zahlungskartenterminals mit DCC-Funktion bereits
vor einer Zertifizierung durch Visa als Kartenlizenzgeber gegenüber den Händlern beworben und
auch uneingeschränkt vertrieben hat. Das Verhalten der SIX-Gruppe im relevanten Zeitraum widerspricht
demzufolge der nun nachträglich im Kartellverfahren vorgebrachten Argumentation.
(e)
Ergebnis
736. Die
gesamten Vorbringen der Beschwerdeführerinnen, wonach sich die DCC-Funktion noch in einer Test-
und Zertifizierungsphase befunden habe, widersprechen somit den wesentlichen Tatsachen des Gesche-hensablaufs
und sind daher unzutreffend. Dies wird von den Beschwerdeführerinnen in anderem Zusammenhang indirekt
bestätigt (vgl. E. 766).
Der Einwand einer Rechtfertigung wegen der angeblichen Test- und Re-Zertifizierungsphase ist demzufolge
als nachträgliche Schutzbehauptung zu qualifizieren, weshalb die jeweiligen Vorbringen für
die rechtliche Beurteilung der Angelegenheit nicht massgeblich sein können.
737. Eine Rechtfertigung der Verweigerung einer
Offenlegung von DCC-Schnittstelleninformationen sowie der Kombination von DCC-Währungsumrechnung
und eigenen DCC-Terminals durch die SIX-Gruppe aufgrund der von den Beschwerdeführerinnen geltend
gemachten Test- und Re-Zertifizierungsphasen ist deshalb ausgeschlossen.
f)
Einwand des Entwurfs einer einvernehmlichen Regelung
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
738. Die Beschwerdeführerinnen machen
geltend, dass die fehlende Verpflichtung zur Offenlegung der Schnittstellen dadurch nachgewiesen sei,
dass (i) das Sekretariat der Wettbewerbskommission und die Beschwerdeführerinnen über den Abschluss
einer einvernehmlichen Regelung verhandelt hätten, und dass (ii) der entsprechende Entwurf der Vereinbarung
die Feststellung vorgesehen habe, dass eine Offenlegung der Schnittstellen bis zum Abschluss einer Test-
und Re-Zertifizierungsphase und einer Erlangung der Marktreife des Produkts nicht erforderlich sei.
739. Im Rahmen der Verhandlungen über
den Abschluss einer einvernehmlichen Regelung sei nach mehrfacher Abstimmung im Entwurf der Vereinbarung
Folgendes festgehalten worden:
"Die Gewährung von Zugang zu Produkten der SIX Group AG erfolgt, wenn das Produkt marktfähig
ist und nicht mehr aufgrund von Tests oder Zertifizierungen potenziell angepasst werden muss. Es besteht
somit grundsätzlich keine Pflicht [...] zur Gewährung von Zugang zu Produkten der SIX Group
AG (i) bevor die Produkte der SIX Group AG, für welche Zugang verlangt wird, eine Test- und Zertifizierungsphase
(z.B. durch die Card Schemes) definitiv abgeschlossen haben, oder (ii) vor definitivem Abschluss der
Test- und Zertifizierungsphase ohne Zertifizierung bei Produkten der SIX Group AG, die getestet aber
nicht von Card Schemes zertifiziert werden müssen."
740. Das Sekretariat habe sich nach jahrelanger
Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt im Rahmen einer einvernehmlichen Regelung klar zu Gunsten der
Beschwerdeführerinnen geäussert.
741. Beim
Sekretariat handle es sich um eine eigenständige Wettbewerbsbehörde mit einem erheblichen technischen,
rechtlichen und ökonomischen Fachwissen. Das Sekretariat würde gemäss Art. 23
KG andere
Amtsstellen und Unternehmen beraten und gemäss Art. 46
KG Stellungnahmen abgeben. Es sei daher davon
auszugehen, dass eine Aussage dieser Fachinstanz zu einer kartellrechtlichen Auslegungsfrage inhaltlich
belastbar und kohärent mit der wettbewerbsrechtlichen Praxis sei.
742. Angesichts der im Entwurf der einvernehmlichen
Regelung vorgesehenen Ausnahmen einer Zustimmung durch das Card Scheme und der vollständigen Übernahme
der Risiken durch den Lizenznehmer würde gerade bestätigt, dass vor einer definitiven Zertifizierung
grundsätzlich finanzielle und Reputationsrisiken bestehen würden, weshalb die Verweigerung
einer Offenlegung der Schnittstellen gerechtfertigt sei.
743. Diesen Ansatz des Sekretariats könnten
auch die Beschwerdeführerinnen für sich in Anspruch nehmen. Wenn selbst das Sekretariat von
einer entsprechenden Ausnahmesituation ausgehe, so dürften auch die Beschwerdeführerinnen so
vorgehen. Dies könne ihnen zumindest nicht vorgeworfen werden.
744. Es sei demzufolge widersprüchlich,
wenn von dieser durch das Sekretariat zunächst als zulässig erachteten Vorgehensweise im Rahmen
der Verfügung abgerückt worden sei.
745. Unerheblich sei dabei, dass die einvernehmliche
Regelung nicht zustande gekommen sei, weil es sich bei den Sachpunkten, zu denen keine Einigung habe
erzielt werden können, um die Aspekte der Lizenzgebühren und der massgeblichen, von der Regelung
betroffenen Produkte gehandelt habe.
746. Dass die Wettbewerbskommission mangels
abgeschlossener einvernehmlicher Regelung keine Genehmigung habe erteilen können, sei nicht von
Relevanz, weil das Sekretariat sich generisch zur Gesetzesauslegung geäussert und dabei anerkannt
habe, dass die Offenlegung von Schnittstellen jeweils in Abhängigkeit des Produktentwicklungsstadiums
zu prüfen sei. Diese grundlegende Einschätzung müsse auch im vorliegenden Fall zur Anwendung
gelangen, unabhängig davon, ob sie sich auf ein zukünftiges oder ein vergangenes Verhalten
beziehe.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
747. Die Vorinstanz macht gegenüber dem
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen zum einen geltend, dass den Aussagen des Sekretariats im Rahmen
von Verhandlungen über eine einvernehmliche Regelung keine Bedeutung zukomme, weil eine einvernehmliche
Regelung einer Genehmigung durch die Wettbewerbskommission bedürfe und diese nicht an den Antrag
oder einzelne Aussagen des Sekretariats gebunden sei. Aufgrund des expliziten Wortlauts von Art. 30 Abs.
1
KG stehe die Entscheidbefugnis in der Hauptsache allein der Vorinstanz zu.
748. Zum anderen führt die Vorinstanz
an, dass mit der einvernehmlichen Regelung eine generelle Lösung für die Zukunft und kein Präjudiz
für ein vergangenes Verhalten geschaffen werden sollte. Demnach sei es ausgeschlossen, dass die
einvernehmliche Regelung die materiell-rechtliche Beurteilung zum Gegenstand haben könne. Sachverhalt
und Rechtsfragen seien nicht verhandelbar, sondern von der rechtsanwendenden Behörde hoheitlich
zu entscheiden. Da der Entwurf eine generelle Lösung für die Zukunft darstellen sollte, erscheine
es überdies umso weniger nachvollziehbar, weshalb er die Beurteilung des vergangenen Verhaltens
im konkreten Fall hätte präjudizieren sollen.
(3)
Würdigung durch das Gericht
749. Auf
Anfrage von Multipay und Card Solutions wurden zwischen November 2009 und Juni 2010 mit dem Sekratariat
Verhandlungen über Abschluss und Inhalt einer einvernehmlichen Regelung in Bezug auf die Angelegenheit
geführt. Diese Verhandlungen wurden vom Sekretariat wegen eines mangelnden Konsenses zwischen den
Verhandlungsparteien über wesentliche Elemente einer einvernehmlichen Regelung abgebrochen (vgl.
SV J.k).
750. Der Einwand der Beschwerdeführerinnen,
wonach sich aus einzelnen Formulierungen im Entwurf zu einer einvernehmlichen Regelung zwingende verbindliche
Rechtswirkungen im Hinblick auf die Behandlung der Angelegenheit im Rahmen einer Verfügung der Wettbewerbskommission
oder in Bezug auf die Beurteilug durch eine Rechtsmittelinstanz ergeben würden, vermag bereits allgemein
aus mehreren Gründen nicht zu überzeugen. Darüber hinaus liegen auch die geltend gemachten
und für eine Berücksichtigung im Rahmen einer rechtlichen Beurteilung notwendigen Umstände
im vorliegenden Fall gerade nicht vor.
751. Wenn das Sekretariat der Wettbewerbskommission
eine Wettbewerbsbeschränkung für unzulässig erachtet, kann es gemäss Art. 29
KG
den Beteiligten eine einvernehmliche Regelung über die Art und Weise ihrer Beseitigung vorschlagen.
Eine einvernehmliche Regelung zwischen dem Sekretariat und einem Unternehmen dient demnach einer inhaltlichen
Festlegung der Modalitäten zur Beseitigung einer unzulässigen wirtschaftlichen Verhaltensweise
durch das jeweilige Untenehmen. Demgegenüber stellt die Rechtsauffassung des Sekretariats, wonach
die betreffende wirtschaftliche Verhaltensweise als kartellrechtswidrig zu qualifizieren sei, die notwendige
Voraussetzung für den Abschluss einer einvernehmlichen Regelung dar (vgl. BGer, 19.12.2003, 2A.417/2003,
Sellita Watch Co. SA gg. ETA SA Manufacture Horlogère Suisse u.a., in: RPW 2004/2, 661, E. 3.4.4;
BVGer, 2.7.2010, B-1324/2010, Jelmoli Bonus Card AG gg. Weko, E. 5.1.2; Beuret
Carla, in: Zäch u.a. [Hrsg.], Kartellrecht, 2018, zit. Dike-KG,
Art. 29 Rn. 38; Borer, KG,
Art. 29 Rn. 4; Tagmann/Zierlick, BSK-KG,
Art. 29 Rn. 4). Gegenstand einer einvernehmlichen Regelung bildet demzufolge die Folgenbehandlung einer
bestimmten wirtschaftlichen Verhaltensweise und nicht die Feststellung von deren Wettbewerbswidrigkeit.
752. Demzufolge sind die Einwendungen der Beschwerdeführerinnen,
vorliegend müsse aus dem Textentwurf der einvernehmlichen Regelung die Zulässigkeit ihres in
Frage stehenden Verhaltens abgeleitet werden, nicht beachtlich. Vielmehr bestätigt der Umstand,
dass das Sekretariat Verhandlungen über den Abschluss einer einvernehmlichen Regelung geführt
hat, im Gegenteil gerade, dass es die fehlende Offenlegung der Schnittstelleninformationen mangels Vorliegens
einer Rechtfertigung aufgrund einer Test- und Zertifizierungsphase oder eines anderen Rechtfertigungsgrunds
als unzulässige Wettbewerbsbeschränkung gemäss Art. 7
KG qualifiziert hat.
753. Die Rechtswirksamkeit einer einvernehmlichen
Regelung zwischen einem Unternehmen und dem Sekretariat tritt gemäss Art. 29 Abs. 2
KG
erst durch die Genehmigung der Wettbewerbskommission ein. Demzufolge kann das Sekretariat ein wirtschaftliches
Verhalten auch nicht mittels einer einvernehmlichen Regelung rechtsverbindlich verhandeln. Soweit die
Genehmigung durch die Wettbewerbskommission nicht erteilt wird, kommen einer angestrebten einvernehmlichen
Regelung keinerlei Rechtswirkungen zu.
754. Wenn schon einer abgeschlossenen, aber
nicht genehmigten einvernehmlichen Regelung keine Rechtswirkungen zukommen, dann gilt dies umso mehr
für den blossen Entwurf einer einvernehmlichen Regelung, die aufgrund der Ablehnung durch eine der
beteiligten Partien noch nicht einmal zustandegekommen ist.
755. Da zum einen die Verhandlungen über
den Abschluss einer einvernehmlichen Regelung erst im November 2009 und damit erst nach Durchführung
des fraglichen Verhaltens aufgenommen worden waren und zum anderen auch keine einvernehmliche Regelung
abgeschlossen wurde, kann sich von vornherein auch keine Notwendigkeit zur Berücksichtigung eines
allfällig geschützten Vertrauens der Beschwerdeführerinnen in die Haltung des Sekretariats
für einen bestimmten Zeitraum ergeben.
756. Der
Vollständigkeit halber ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass diese Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
im Gesamtzusammenhang zu einem inhaltlichen Widerspruch in der Beschwerde führen. Denn die Beschwerdeführerinnen
verlangen einerseits die Berücksichtigung einer vom Sekretariat selbst nicht als rechtsverbindlich
qualifizierten Erklärung aufgrund von dessen - in diesem Zusammenhang behaupteter -
ausgewiesener Fachkompetenz, während andererseits mittels der vorliegenden Beschwerde nahezu sämtliche
Sachpunkte des Antrags des Sekretariats, welche der angefochtenen Verfügung zu Grunde liegen, inhaltlich
bestritten werden und damit die Fachkompetenz des Sekretariats nachgerade umfassend in Frage gestellt
wird. Aus dieser Argumentationsführung der eigenen Vorbringen ergibt sich demnach, dass die Beschwerdeführerinnen
zu den verschiedenen Sachpunkten je nach deren Nützlichkeit für ihren eigenen Standpunkt inhaltlich
sich widersprechende Argumente vortragen.
g)
Einwand des Investitions- und Innovationsschutzes
757. Zwischen den Parteien ist streitig, ob
die Schnittstelleninformationen von der SIX-Gruppe berechtigterweise zurückgehalten werden konnten,
weil auch zu Gunsten eines marktbeherrschenden Unternehmens zur Sicherstellung eines Investitions- und
Innovationsschutzes ein bestimmter Zeitraum anzusetzen ist, während dessen diesem die neu entwickelten
Produkte und Produktfunktionen zur ausschliesslich eigenen Nutzung zur Verfügung stehen, weshalb
die Schnittstelleninformationen von neu entwickelten Produkten und Produktfunktionen innerhalb dieses
Zeitraums nicht herausgegeben werden müssen und demzufolge kein missbräuchliches Verhalten
gemäss Art. 7
KG verwirklicht wird.
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
758. Die
Beschwerdeführerinnen bringen vor, dass der Six-Gruppe als innovativem Unternehmen ein gewisser
Investitions- und Innovationsschutz zukäme, der sich in einem bestimmten Zeitraum zur Ausnutzung
der eigenen Innovation niederschlage, weshalb die Offenlegung der Schnittstellen gegenüber den anderen
Terminalherstellern für diesen Zeitraum hätte verweigert werden können.
759. Diesen
Ansatz habe bereits das Sekretariat im Rahmen der Verhandlungen über den Abschluss einer einvernehmlichen
Regelung bestätigt. Der entsprechende Entwurf habe als zusätzliches Kriterium für die
grundsätzlich zulässigen Lizenzbedingungen vorgesehen, dass die Zugangsgewährung nach
Vollendung der Test- und Zertifizierungsphase erst nach Ablauf eines einjährigen Schutzzeitraums
zu leisten sei, soweit sich der Petent nicht an den Investitionskosten beteilige.
760. Die
Beschwerdeführerinnen verweisen hierzu darauf, dass die angefochtene Verfügung anerkenne, dass
zur Sicherstellung der Investitions- und Innovationsanreize auch einem marktbeherrschenden Unternehmen
die Möglichkeit gewährt werden müsse, die Belieferung Dritter für eine bestimmte
Mindestperiode zu verweigern.
761. Die
angefochtene Verfügung verkehre diesen Ansatz allerdings in sein genaues Gegenteil. Denn dadurch
müsse ein marktbeherrschendes Unternehmen sämtliche nur denkbaren neuen Funktionen und Dienste
und Dienstleistungserweiterungen sofort, uneingeschränkt und allenfalls sogar kostenlos an sämtliche
Wettbewerber weiterreichen. Bei einer entsprechenden Anwendung der kartellrechtlichen Missbrauchsvorschrift
würde dadurch einem marktbeherrschenden Unternehmen der Anreiz für jegliche Innovation, Investition
und Produktdifferenzierung genommen. Denn die Wettbewerber könnten dann ohne eigene Investitionen
neue Produkte, Dienste und Funktionen eines marktbeherrschenden Unternehmens sofort kopieren. Daher sei
die Annahme der angefochtenen Verfügung unzutreffend, wonach die Offenlegung von Schnittstelleninformationen
nicht zu einer Kopie des Produkts, sondern nur zu einer Entwicklung ergänzender Produkte führen
würde.
762. Den
Gegenstand des vorliegenden Sachverhalts bilde daher auch keinesfalls die blosse Offenlegung von Schnittstellen,
sondern eine Duplizierung bestehender Funktionen. Entgegen der Behauptung der Vorinstanz führe die
Offenlegung der Schnittstelleninformationen zu einer Kopie des Produkts und nicht zur Entwicklung ergänzender
Produkte. Denn mit der Offenlegung ginge zwingend einher, dass die Wettbewerber ohne irgendeine eigene
Investition neue Produkte, Dienste und Funktionen der SIX-Gruppe sofort kopieren könnten. Die anderen
Terminalhersteller als Initiatoren wollten gerade keine ergänzenden Produkte zur DCC-Funktion der
Card Solutions, sondern unmittelbar selbst die identische DCC-Funktion von Card Solutions anbieten. Die
Leistung der Initiatoren würde demnach nicht über die Nachahmung schon bestehender Funktionen
der Card Solutions hinausgehen. Dies diene weder dem Markt noch den Kunden.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
763. Die Vorinstanz hält den Einwand der
Beschwerdeführerinnen unter Verweis auf verschiedene, in der ökonomischen Literatur erörterte
Aspekte des Innovations- und Investitionsschutzes, die hierzu in den Microsoft-Entscheidungen
getroffenen Feststellungen sowie die mangelnde urheberrechtliche Schutzfähigkeit von Schnittstelleninformationen
für unzutreffend. Im vorliegenden Fall sei nicht ersichtlich, weshalb durch die Offenlegung der
Schnittstelleninformationen die Investitions- und Innovationsanreize bei der SIX-Gruppe verloren gehen
sollten. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass die positiven Folgen der Offenlegung der Schnittstelleninformationen
auf den Innovationswettbewerb überwiegen würden.
764. Der Einwand der Beschwerdeführerinnen,
Jeronimo habe selbst die DCC-Funkion der Card Solutions - und daher keine ergänzenden Produkte
zur DCC-Funktion - anbieten wollen, sei unzutreffend. Jeronimo habe zu keinem Zeitpunkt die DCC-Funktion
der Card Solutions erhalten. Jeronimo habe die Offenlegung der DCC-Schnittstelleninformationen verlangt,
um die Interoperabilität der eigenen Zahlungskartenterminals mit der durch Multipay den Händlern
angebotenen DCC-Währungsumrech-nung sicherzustellen. Dies diene entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen
sowohl dem Markt als auch den Kunden, werde doch der Innovationswettbewerb auf dem Terminalmarkt nicht
mehr durch die fehlende Interoperabilität der Zahlungskartenterminals von Drittherstellern verfälscht.
(3)
Würdigung durch das Gericht
765. Der
Einwand des Investitions- und Innovationsschutzes, den die Beschwerdeführerinnen bereits im Kartellverwaltungsverfahren
gegenüber dem Sekretariat vorgebracht haben, ist im vorliegenden Sachverhalt aus mehreren Günden
nicht entscheidungsrelevant. Der Investitions- und Innovationsschutz bildet daher keinen Rechtfertigungsgrund
für ein missbräuchliches Verhalten gemäss Art. 7
KG.
766. Zunächst
ist darauf hinzuweisen, dass der Einwand, wonach der SIX-Gruppe nach Abschluss der Test- und Re-Zertifizierungsphase
ein zusätzlicher Zeitraum zur ausschliesslich eigenen Nutzung der DCC-Funktion zukommen müsse,
dem Vorbringen der Beschwerdeführerinnen, die Schnittstelleninformationen für die Akzeptanz-Plattform
hätten nach Abschluss der Test- und Re-Zertifizierungsphase den anderen Terminalherstellern zur
Verfügung gestellt werden sollen, offensichtlich widerspricht. Aufgrund dieses inhaltlichen Widerspruchs
kommt demzufolge von vornherein weder dem Einwand der Test- und Re-Zertifizierungsphase noch dem
Einwand
des Investitions- und Innovationsschutzes eine sachliche Bedeutung zu, weil deren tatsächliches
Vorliegen nicht erstellt ist; von Seiten der Beschwerdeführerinnen liegt keine sachdienliche Darstellung
vor und von Seiten des Gerichts kann keine eindeutige Feststellung im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes
getroffen werden. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den beiden Einwänden erfolgt daher ausschliesslich
der Vollständigkeit halber im Hinblick auf ein allfälliges weiteres Rechtsmittelverfahren.
Angesichts des inhaltlichen Widerspruchs wird jedenfalls die bereits vorstehend getroffene Feststellung,
wonach es sich bei dem Einwand der angeblichen Test- und Re-Zertifizierungsphase nur um eine nachträgliche
Schutzbehauptung der Beschwerdeführerinnen handelt (vgl. E. 736),
von diesen selbst bestätigt.
767. Zunächst ist im Hinblick auf die
formale Grundlage des Einwands darauf hinzuweisen, dass die SIX-Gruppe gar nicht als Erfinder der DCC-Währungsumrechnung
zu qualifizieren ist. Vielmehr wurde die DCC-Funktion im Rahmen von Kartenzahlungssystemen durch ausländische
Unternehmen entwickelt, weshalb es sich bei der SIX-Gruppe diesbezüglich nur um eine Nachahmerin
dieser Produktfunktion handelt (vgl. SV G.h).
Demzufolge richtet sich eine allfällige Nachahmung durch die anderen Terminalhersteller an der Produktfunktion
der ausländischen Unternehmen und nicht an derjenigen der SIX-Gruppe aus. Dies belegt schon der
Umstand, dass die anderen Terminalhersteller für die Akzeptanz-Plattformen von anderen Kartenakquisiteuren
als der SIX-Gruppe entsprechende DCC-Terminals mit DCC-Funktion auch ohne Informationen von Seiten der
SIX-Gruppe entwickeln konnten und an Händler geliefert haben. Daher besteht - selbst nach
dem eigenen Vorbringen der Beschwerdeführerinnen - von vornherein gar kein Grund, warum der
SIX-Gruppe ein Investitions- und Innovationsschutz gegenüber den anderen Terminalherstellern zukommen
sollte.
768. Im Hinblick auf die materielle Grundlage
des Einwands ist sodann darauf hinzuweisen, dass ein Investitions- und Innovationsschutz selbstverständlich
nur für Produkte anzuerkennen ist, die auch tatsächlich schutzfähig sind. Diese notwendige
Schutzfähigkeit weisen Schnittstelleninformationen in Bezug auf die Herstellung der Interoperabilität
von EDV-Komponenten aber gerade nicht auf. Vielmehr wird Schnittstelleninformationen hierfür sowohl
ausdrücklich von Seiten des Urheberrechts (vgl. E. 582
f.) als auch von Seiten des Kartellrechts (vgl. E. 609
f., 1049)
ein Innovations- und Investitionsschutz abgesprochen, weil sie letztlich die notwendige Grundlage für
diese Interoperabilität bilden, deren Sicherstellung der Gesetzgeber über den Schutz der hierzu
notwendigen Informationen gestellt hat.
769. Die
Offenlegung oder Mitteilung von Schnittstelleninformationen für EDV-Komponenten führt nicht
dazu, dass Konkurrenten aufgrund dieser Informationen ein Anwendungsprogramm, welches über die entsprechenden
Schnittstellen mit anderen Anwendungsprogrammen verbunden werden soll, nachahmen können. Denn die
Schnittstelleninformationen enthalten keine Angaben zum Quellcode eines Anwendungsprogramms. Daher wird
aktuellen oder potenziellen Konkurrenten durch die Offenlegung oder Mitteilung von Schnitttstelleninformationen
nicht ermöglicht, Produkte oder Produktfunktionen ohne eigene Leistung zu kopieren (im Ergebnis
ebenso EuG, EU:C:2007:289, Microsoft, Ziff. 286, 375).
770. Die gegenteilige Behauptung der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 761)
ist demzufolge unzutreffend. Die Beschwerdeführerinnen legen auch keinerlei Nachweise für ihre
Behauptung vor.
771. Die anderen Terminalhersteller haben
zur Anbindung ihrer Zahlungskartenterminals unter Einschluss der DCC-Funktion an die Akzeptanz-Plattformen
der anderen Zahlungskartenakquisiteure eine DCC-Funktion entwickelt und dadurch ihre ep2-Zahlungskartenterminals
zu DCC-Terminals aufgerüstet. Sie verfügen demzufolge über eine eigene DCC-Funktion. Sie
waren daher ganz offensichtlich nicht auf eine Duplizierung der DCC-Funktion der SIX-Gruppe angewiesen.
Vielmehr bedurften sie nur der Schnittstelleninformationen, damit ihre DCC-Terminals mit ihrer eigenen
DCC-Funktion an die Akzeptanz-Plattform der SIX-Gruppe zur Sicherstellung einer ordnungsgemässen
DCC-Währungsumrechnung zu Gunsten der Händler hätten angeschlossen werden können.
772. Die mannigfaltig wiederkehrend geltend
gemachte Behauptung der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 762),
wonach das Verlangen auf Herausgabe der Schnittstelleninformationen zur blossen Nachahmung der DCC-Funktion
der SIX-Gruppe und damit zu einer Duplizierung ihrer Produkte dienen sollte und die entsprechende Bekanntgabe
hierzu geführt hätte, ist daher unzutreffend. Ihre Behauptungen zur angeblichen Duplizierung
von innovationsgeschützten Produkten der SIX-Gruppe sind demnach nur als Versuch einer Irreführung
der Wettbewerbsbehörden und des Gerichts zu werten.
773. Aus den vorgenannten Gründen hätte
im Rahmen einer einvernehmlichen Regelung zwischen der Vorinstanz und der SIX-Gruppe (vgl. E. 749
ff.) auch keine Schutzfrist für eine zeitlich begrenzte ausschliessliche Nutzung der eigenen Schnittstelleninformationen
vereinbart werden können. Denn dadurch wäre allein die missbräuchliche Behinderung der
Konkurrenten für diesen Zeitraum aufrechterhalten worden, ohne dass hierfür geeignete sachliche
Gründe erforderlich gewesen wären. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen (vgl.
E. 759)
lässt sich aus einem allfällig gegenteiligen Ansinnen des Sekretariats der Wettbewerbskommission
im Rahmen der Verhandlungen über eine einvernehmliche Regelung daher auch keine Rechtsposition ableiten,
die im vorliegenden Verfahren zu berücksichtigen wäre.
774. Der Verweis der Beschwerdeführerinnen
auf eine angebliche Anerkennung des Investitions- und Innovationsschutzes durch die angefochtene Verfügung
(vgl. E. 760)
ist nicht relevant, weil die Vorinstanz in diesem Zusammenhang lediglich die Voraussetzungen für
eine entsprechende Anerkennung darlegt, die im Zusammenhang mit der Missbrauchsform der Geschäftsverweigerung
auch abgehandelt werden und im vorliegenden Sachverhalt aber gerade nicht gegeben sind (vgl. E. 775 ff.).
3)
Verweigerung von Geschäftsbeziehungen
gemäss
Art. 7 Abs. 2 lit. a
KG
775. Die
Vorinstanz hat in der angefochtenen Verfügung die Verwirklichung einer Verweigerung von Geschäftsbeziehungen
gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. a
KG gegenüber den anderen Terminalherstellern durch die SIX-Gruppe
festgestellt, weil diese die Herausgabe der notwendigen Informationen über rechtlich nicht geschützte
Schnittstelleninformationen zum Anschluss von ep2-Terminals mit Unterstützung der DCC-Währungsumrechnung
an die Akzeptanz-Plattform von Multipay abgelehnt hatte und dadurch die Konkurrenten der SIX-Gruppe auf
dem Markt der ep2-Terminals beeinträchtigt wurden.
a)
Ausgangslage
776. Im Rahmen einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung
stellt die Berechtigung zur eigenständigen und eigenverantwortlichen Auswahl der eigenen Geschäftspartner
die Grundlage aller wirtschaftlichen Aktivitäten eines Wirtschaftsteilnehmers dar. Demzufolge bildet
die Möglichkeit zur Auswahl des Vertragspartners einen zentralen Bestandteil der Privatautonomie
und die damit einhergehende Entscheidung über die Aufnahme oder die Fortsetzung von Geschäftsbeziehungen
ist als grundlegende Voraussetzung für das Vorhandensein von wirksamem Wettbewerb in einem marktwirtschaftlichen
System zu qualifizieren.
777. Soweit die Erlangung und der Bestand einer
marktbeherrschenden Stellung in einer Wirtschaftsordnung nicht als unzulässig qualifiziert werden
- wie dies im Rahmen der schweizerischen Wettbewerbsordnung der Fall ist (vgl. Botschaft
KG 1995, 547) -, steht demzufolge ausser Frage, dass
auch einem Unternehmen mit marktbeherrschender Stellung die Privatautonomie zusteht und seine unternehmerische
Entscheidungsfreiheit hinsichtlich seiner Vertragspartner, der von ihm abzuschliessenden Verträge
und seiner Disposition über eigene Vermögenswerte grundsätzlich nicht eingeschränkt
ist. Daher unterliegt ein marktbeherrschendes Unternehmen keiner prinzipiellen Kontrahierungspflicht
allein aufgrund des Vorliegens einer marktbeherrschenden Stellung (vgl. Botschaft KG
1995, 570; BGE 129 II 497, EEF, E. 6.5.1; EuGH, 27.3.2012,
C-209/10, Post Danmark A/S gg. Konkurrencerådet, EU:C:2012:172, zit. Post
Danmark, Ziff. 21).
778. Allerdings hat die Wettbewerbspraxis aufgezeigt,
dass bei Vorliegen von bestimmten Umständen eine Einschränkung der Privatautonomie eines marktbeherrschenden
Unternehmens im Hinblick auf eine Kontrahierungspflicht gerechtfertigt sein kann, um dadurch die Aufrechterhaltung
eines ausreichenden Wettbewerbs in einem relevanten Markt sicherzustellen. Dabei kommt einem Tatbestand
der Geschäftsverweigerung eine wettbewerbspolitisch zentrale Bedeutung zu, weil er indirekt auch
der Verhinderung von anderen missbräuchlichen Verhaltensweisen dient (vgl. Botschaft
KG 1995, 570; Stäuble/Schraner, Dike-KG,
Art. 7 Rn. 198 f.). Denn andere missbräuchliche Verhaltensweisen eines marktbeherrschenden Unternehmens
gegenüber Geschäftspartnern werden von diesen erfahrungsgemäss hingenommen, um eine Ablehnung
von (weiteren) Geschäftsbeziehungen zu verhindern (vgl. Botschaft KG
1995, 570).
779. Mit der Statuierung der Geschäftsverweigerung
als Regelbeispiel in Art. 7 Abs. 2 lit. a
KG hat der schweizerische Gesetzgeber ausdrücklich bestätigt,
dass von einem solchen Verhalten eine Gefährdung des Wettbewerbs ausgeht und dass infolgedessen
die Möglichkeit zu einer Verweigerung von Geschäftsbeziehungen für ein marktbeherrschendes
Unternehmen eingeschränkt ist.
780. Unter
dem Aspekt einer Verweigerung von geschäftlichen Beziehungen zwischen verschiedenen Wirtschaftsteilnehmern
- die vor dem Hintergrund einer in der Wettbewerbspraxis und Literatur bislang bestehenden uneinheitlichen
Terminologie nachfolgend zusammenfassend als "Geschäftsverweigerung" bezeichnet und
damit gegen die nachfolgend aufgeführten Varianten abgegrenzt wird, deren Bezeichnung in Praxis
und Literatur ebenfalls unterschiedlich gehandhabt wird - werden in Praxis und Doktrin unterschiedliche
Sachverhaltskonstellationen erfasst, wobei die folgenden allgemeinen und besonderen Varianten des wirtschaftlichen
Verhaltens eines marktbeherrschenden Unternehmens angesprochen werden: (i) "Lieferabbruch":
der Abbruch oder eine Einschränkung von bestehenden Lieferbeziehungen zu Kunden (dem der Abbruch
von Bezugsbeziehungen zu Lieferanten gleichzusetzen ist); (ii) "Lieferverweigerung": die
Ablehnung einer (Neu-)Aufnahme von Lieferbeziehungen gegenüber potenziellen oder ehemaligen Kunden
(der die Ablehnung von Bezugsbeziehungen gegenüber Lieferanten gleichzusetzen ist); (iii) "Zugangsverweigerung":
die Vorenthaltung eines Zugangs zu wesentlichen Einrichtungen; (iv) "Lizenzverweigerung":
die Ablehnung einer Einräumung von Immaterialgüterrechten durch Erteilung einer Lizenz; (v)
z.T. auch der "Vertriebsausschluss": die Ablehnung einer Aufnahme oder Eingliederung in ein
Absatzmittlungssystem (wobei diese Variante nachfolgend keine Berücksichtigung findet).
781. In
der schweizerischen gerichtlichen Wettbewerbspraxis erfolgte die Feststellung einer Geschäftsverweigerung
insbesondere in Form einer Zugangsverweigerung in den Fällen Angehörigeninformation
(vgl. HGer Kt. Aargau, 13.2.2003, Allg. Bestattungsinstitut
gg. Kt. Aargau, RPW 2003/2, 451), EEF (BGer, 17.6.2003, 2A.520/2002,
Entreprises Electrique Fribourgoise gg. Watt Suisse AG, Coopératives Migros sowie Weko u.a., publ.
in: BGE 129 II 497, zit. EEF, in Bezug auf das Urteil
der Reko/Wef, 17.9.2002, RPW 2002/4, 672, zit. EEF,
wiederum in Bezug auf die Verfügung der Weko, 5.3.2001,
RPW 2001/2, 255), Swiss Football League (HGer
Kt. Aargau, 19.10.2004, FC Aarau 1902 u.a. gg. Swiss Football League, RPW 2004/4, 1203), Valet
Parking (BVGer, 3.10.2007, B-2157/2006, Flughafen Zürich AG gg. Weko, in Bezug auf
eine Sanktionsverfügung der Weko, 5.12.2005, RPW 2006/1,
141, die wiederum in Zusammenhang mit der Verfügung über vorsorgliche Massnahmen der Weko,
1.12.2003, RPW 2004/1, 102 und dem hierzu ergangenen Urteil der REKO/WEF,
14.6.2004, RPW 2004/3, 859, Flughafen Zürich AG gg. Weko u.a., in gleicher Sache steht) sowie Etivaz
(BGer, 23.5.2013, 4A_449/2012, Coopérative des producteurs de fromages d'alpages "L'Etivaz"
gg. X, publ. in: BGE 139 II 316, in Bezug auf ein Zivilgerichtsurteil des Tribunal cantonal de canton
du Vaud). Die behördliche Wettbewerbspraxis hat darüber hinaus insbesondere in den Fällen
BKW (Weko, 7.2.2000,
RPW 2000/1, 29, BKW FMB Energie AG), Intensiv (Weko,
19.12.2000, RPW 2001/1, 95, Intensiv SA,), ETA (Weko,
8.11.2004, RPW 2005/1, 128, ETA SA Manufacture Horlogère Suisse) sowie Sport
im Pay-TV (Weko, 9.5.2016, RPW 2016/4, 920, Swisscom
[Schweiz] AG, CT Cinetrade AG und Teleclub AG, n.n. rechtskräftig) eine Geschäftsverweigerung
angenommen. Im Fall Swatch (Weko,
21.10.2013, RPW 2014/1, 215, sowie in Bezug auf vorsorgliche Massnahmen Weko,
6.6.2011, RPW 2011/3, 400) wurde eine einvernehmliche Regelung zur Abwendung einer Geschäftsverweigerung
getroffen. Im Fall NOK (Weko,
2.7.2007, RPW 2007/3, 353, NOK-Anschlussbegehren SN Energie AG/EW JR,) wurde das Vorliegen einer Geschäftsverweigerung
abgelehnt. Im Fall Verbändevereinbarung Erdgas Schweiz
(Sekretariat, 16.12.2013, RPW 2014/1, 117) wurden im Rahmen
einer Vorabklärung für verschiedene Aspekte einer Vereinbarung über den Zugang zu Erdgastransporten
potenzielle Geschäftsverweigerungen identifiziert. Demgegenüber wurde im Fall Service
Après Vente (Sekretariat, 6.5.2018, 32-0256,
n.n.publ.) das Vorliegen eines marktmissbräuchlichen Verhaltens einschliesslich einer Geschäftsverweigerung
als unwahrscheinlich qualifiziert, weswegen die Vorabklärung eingestellt wurde.
782. Im Rahmen der Europäischen Wettbewerbspraxis
wurde die Geschäftsverweigerung in diversen Urteilen mit verschiedenen Missbrauchsvarianten behandelt,
wobei einzelne Entscheide auch wesentlich früher ergingen. Hierbei sind insbesondere folgende Fälle
zu beachten: (i) Lieferabbruch/Lieferverweigerung: Commercial Solvents
(EuGH, 6.3.1974, Rs. 6 und 7/73, Istituto Chemioterapico Italiano S.p.A. & Commercial Solvents Corporation
gg. EU-Kom, EU:C:1974:18); United Brands (EuGH, 14.2.1978, 27/76,
United Brands Company & United Brands Continentaal BV gg. EU-Kom, EU:C:1978:22); BP
(EuGH, 29.6.1978, 77/77, Bezine en Petroleum Handelsmaatschappij B.V. u.a. gg. EU-Kom, EU:C:1978:141);
Télémarketing (EuGH, 3.10.1985, C-311/84, SA Centre
belge d´études de marché - Télémarketing (CBEM) gg. SA Compagnie luxembourgoiese
de télédiffusion (CLT) & SA Information publicite Benelux (IPB), EU:C:1985:394); British
Leyland (EuGH, 11.11.1986, 226/84, British Leyland Public Limited Company gg. EU-Kom, EU:C:1986:421);
Hilti (EuG,12.12.1991, T-30/89, Hilti AG gg. EU-Kom u.a., EU:T:1991:70);
Glaxo (EuGH, 16.9.2008, C-468/06 & C-478/06, Sot. Lélos
kai Sia EE u.a. gg. GlaxoSmithKline AEVE Famakeftikon Proïonton, EU:C:2008:54); British
Midland (EU-Kom, 26.2.1992, IV/33 544, British Midland/Air
Lingus, ABl. 1992 L 96/34); (ii) Zugangsverweigerung: Hugin (EuGH,
31.5.1979, 22/78, Hugin Kassaregister AG u.a. gg. EU-Kom, EU:C:1979:139); GB-Inno
(EuGH, 13.12.1991, C-18/88, Régie des télégraphes et des téléphones gg. GB-Inno
SA, EU:C:1991:474), Sealink I (EU-Kom,
11.6.1992; IV/34.174 - Sealink/B&I & Holyhead); Sealink
II (EU-Kom, 21.12.1993, 94/19/EG, IV/34.689 -
Sea Containers gg. Stena Sealink, ABl. 1994 L 15/8); Hafen von Rødby
(EU-Kom, 21.12.1993, Hafen von Rødby, ABl. 1994 L 55/52);
Bronner (EuGH, 26.11.1998, C-7/97, Oscar Bronner GmbH & Co
KG gg. Mediaprint Zeitungs- und Zeitschriftenverlag GmbH & Co KG u.a., EU:C:1998:559); RWE
(EU-Kom, 18.3.2009, COMP/39.402-Gasmarktabschottung); Clearstream
(EuG, 9.9.2009, T-301/04, Clearstream Banking AG/ Clearstream International AG gg. EU-Kom, EU:T:2009:317);
GDF (EU-Kom, 3.12.2009,
COMP/ 39.316-Gaz de France); ENI (EU-Kom,
29.9.2010, COMP/39.315-ENI); CEAHR (EuG, 17.10.2017, T-712/14,
Confédération européenne des associations d´horlogerie-réparateurs gg. EU-Kom,
EU:T:2017:748, nicht rechtskräftig); (iii) Lizenzverweigerung: Renault
(EuGH, 5.10.1988, 53/87, Consortio italiano della componentistica di ricambio per autoveicoli u.a. gg.
Régie nationale des usines Renault, EU:C:1988:472); Volvo
(EuGH, 15.10.1988, 238/87, AB Volvo gg. Erik Veng [UK] Ltd, EU:C:1988:477); Magill
(EuGH, 6.4.1995, C-241/91P und C-242/91P, Radio Telefis Eireann [RTE] & Independent Television
Publications Ltd [ITP] gg. Magill & EU-Kom, EU:C:1995:98); IMS Health
(EuGH, 29.4.2004, C-418/01, IMS Health GmbH & Co. OHG gg. NDC Health GmbH & Co. KG, EU:C:2004:257);
Microsoft (EuG, 17.9.2007, T-201/04, Microsoft Corporation gg.
EU-Kom, EU:T:2007:289; EU-Kom, 24.3.2004, COMP/C-3/37.792
Microsoft, Microsoft Corporation, ABl. 2007 L 32/23); Huawei (EuGH,
16.7.2015, C-170/13, Huawei Technologies Co. Ltd. gg. ZTE Corp. & ZTE Deutschland GmbH, EU:C:2015:477).
783. Alle Missbrauchsvarianten einer Geschäftsverweigerung
beruhen dabei auf dem Umstand, dass mit der Ablehnung von Geschäftsbeziehungen die sich aus einer
marktbeherrschenden Stellung ergebende Machtposition auf dem beherrschten Markt abgesichert oder weiter
verstärkt oder sogar auf einen anderen Markt ausgedehnt werden kann, ohne dass hierzu Mittel des
Leistungswettbewerbs zum Einsatz kommen (vgl. Amstutz/Carron,
BSK-KG, Art. 7 Rn. 96, f.; Clerc/Këllezi,
CR-Concurrence, Art. 7 II Rn. 6;
Stäuble/Schraner, Dike-KG, Art. 7 Rn. 195;
Schröter/Bartl, SJKM-EUWBR, Art. 102 Rn. 273). Soweit
über den beherrschten Markt hinaus ein weiterer Markt von der Ablehnung einer Geschäftsbeziehung
erfasst wird, ergibt sich ein Machttransfer vom beherrschten auf den weiteren Markt.
784. Im vorliegenden Sachverhalt steht aus
der Sicht der angefochtenen Verfügung die Verweigerung einer Offenlegung von rechtlich nicht geschützten
Schnittstelleninformationen zur Herstellung der Interoperabilität von technischen Einrichtungen
in Frage. Zu dieser Missbrauchsvariante einer "Interoperabilitätsverweigerung" ist angesichts
dessen, dass die Entscheide in Sachen Microsoft auf einer "als
ob-Beurteilung" einer Lizenzverweigerung beruhen, soweit ersichtlich bislang noch kein Entscheid
im schweizerischen oder im EU-Wettbewerbsrecht ergangen. Dabei ist die rechtliche Beurteilung auf die
Abklärung von Datentransfers zwischen Einrichtungen zur Datenverarbeitung bestehend aus Geräten,
Programmen und Plattformen sowie Netzen zu beschränken.
b)
Fallgruppen
785. Im Hinblick auf eine Unterscheidung von
verschiedenen Missbrauchsvarianten, d.h. unterschiedlichen Sachverhalts- bzw. Tatbestandsvarianten einer
Geschäftsverweigerung sowie den hierbei jeweils zur Anwendung gelangenden Tatbestandsmerkmalen,
bestehen unterschiedliche Auffassungen auf Seiten der Parteien.
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
786. Eine
Geschäftsverweigerung erfordert nach Ansicht der Beschwerdeführerinnen die folgenden Voraussetzungen:
(1) Verweigerung einer Geschäftsbeziehung; (2) das verweigerte Gut ist unerlässlich für
die wirtschaftliche Tätigkeit der Gegenseite; (3) die Verweigerung führt zu einer Wettbewerbsbeseitigung,
d.h. sie weist einen wettbewerbsausschliessenden Effekt auf; (4) die Verweigerung der Lizenzierung von
immaterialgüterrechtlich geschützten Gütern führt zu einer Verhinderung eines neuen
Produkts und damit zur Verhinderung anderer für den Konsumenten vorteilhafter Entwicklungen; (5)
es existieren keine Rechtfertigungsgründe. Die Beschwerdeführerinnen behaupten, die Vorinstanz
habe diese Vorausetzungen nicht angewendet. Im vorliegenden Fall sei keine dieser Voraussetzungen erfüllt.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
787. Unter Berufung auf Ansichten in der Literatur
lassen sich nach Ansicht der Vorinstanz die verschiedenen Missbrauchsformen einer Geschäftsverweigerung
anhand einheitlicher Prüfungskriterien beurteilen. Insbesondere lasse sich auch die Missbrauchsform
der Zugangsverweigerung mit den allgemeinen Tatbestandsmerkmalen einer Geschäftsverweigerung zutreffend
erfassen, weshalb es keiner Verschärfung dieser Anforderungen bedürfe. Die bisherige Praxis
der Wettbewerbskommission würde auf diesem Ansatz aufbauen.
788. Danach
seien die folgenden Tatbestandsmerkmale zu berücksichtigen: (1) Verweigerung, Geschäftsbeziehungen
zu unterhalten; (2) Input, der objektiv notwendig ist, um auf einem nachgelagerten oder benachbarten
Markt wirksam konkurrieren zu können; (3) Verweigerung zeitigt wettbewerbsbehindernde Effekte; (4)
keine Rechtfertigung durch "legitimate business reasons".
(3)
Würdigung durch das Gericht
789. Die
formale rechtliche Erfassung der verschiedenen Sachverhaltskonstellationen durch die wettbewerbsrechtlichen
Vorschriften in der Schweiz und in der Europäischen Union erfolgt in unterschiedlicher Weise, die
sich in einer divergierenden Behandlung durch Wettbewerbspraxis und Literatur widerspiegelt. Eine grundsätzlich
angestrebte einheitliche rechtliche Qualifizierung von gleichen wirtschaftlichen Sachverhalten (vgl.
E. 512)
kann sich demzufolge von vornherein nur auf das jeweilige inhaltliche Ergebnis, nicht aber auf die formalen
Aspekte einer wettbewerbsrechtlichen Beurteilung beziehen.
790. In der Schweiz wird die Geschäftsverweigerung
ausdrücklich erfasst. So statuiert Art. 7 Abs. 2 lit. a
KG, dass die Verweigerung von Geschäftsbeziehungen,
wie z.B. die Liefer- oder Bezugssperre, als missbräuchliche Verhaltensweise eines marktbeherrschenden
Unternehmens zu qualifizieren ist. Demnach hat der Gesetzgeber sich bei der Ausgestaltung des Tatbestands
auf die blosse äussere Beschreibung einer Geschäftsverweigerung beschränkt, ohne darüber
hinausgehende weitere sachliche Tatbestandsmerkmale zu verankern. Aus dieser konkreten Ausgestaltung
lassen sich zwei Aspekte ableiten.
791. Da Art. 7 Abs. 2 lit. a
KG zum einen die
Sachverhaltskonstellationen des Lieferabbruchs und der Lieferverweigerung nur als Beispiele bezeichnet
und zum anderen ausser der formalen Ablehnung einer Eingehung von geschäftlichen Beziehungen keinerlei
weitere Voraussetzungen vorsieht, werden alle Missbrauchsvarianten, d.h. alle möglichen Sachverhalts-
und Tatbestandsvarianten einer Geschäftsverweigerung, von der Vorschrift erfasst. Es ergibt sich
daher keine strukturelle Notwendigkeit zur Abgrenzung verschiedener Missbrauchsformen und einer unterschiedlichen
Zuordnung zur Generalklausel oder zu anderen Regelbeispielen.
792. Angesichts der vorstehend dargestellten
Geltung der Privatautonomie für marktbeherrschende Unternehmen und der sich daraus ergebenden Konsequenz,
dass eine Geschäftsverweigerung nicht bereits aufgrund des Bestehens einer marktbeherrschenden Stellung
unzulässig ist bzw. sein kann, bedeutet dies allerdings, dass allein die Ablehnung von (weiteren)
Handelsbeziehungen oder einer Lizenzerteilung sowie die blosse Vorenthaltung des Zugangs zu bestimmten
Einrichtungen nicht ausreichend sein können, um den Tatbestand einer Geschäftsverweigerung
zu verwirklichen. Vielmehr müssen die unterschiedlichen Missbrauchsvarianten Tatbestandsmerkmale
aufweisen, die im Rahmen der Feststellung eines Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung zu einer
Behinderung von Konkurrenten - eine Benachteiligung von Vertragspartnern wird bei diesen Konstellationen
eher nicht zum Tragen kommen - zu berücksichtigen und zu konkretisieren sind. Ungeachtet einer
einheitlichen Zuordnung zum Regelbeispiel des Art. 7 Abs. 2 lit. a
KG bedarf es daher einer Differenzierung
zur Feststellung, welche Tatbestandsmerkmale bei den einzelnen Missbrauchsvarianten einer Geschäftsverweigerung
zur Anwendung gelangen.
793. Im Gegensatz zum schweizerischen Kartellgesetz
erfasst das Wettbewerbsrecht der Europäischen Union die Geschäftsverweigerung nicht mittels
eines eigenständigen Regelbeispiels. Dies hat zur Folge, dass die einzelnen Sachverhaltskonstellationen
in unterschiedlicher Weise der Generalklausel sowie den Regelbeispielen einer Einschränkung der
technischen Entwicklung oder der Diskriminierung zugeordnet werden (vgl. Bulst,
LB-EUKR, Art. 102 Rn. 252). Während zunächst vor allem
der Lieferabbruch und die Lieferverweigerung den Gegenstand der EU-Wettbewerbspraxis bildeten, standen
in der Folge die Lizenzverweigerung und die Zugangsverweigerung im Vordergrund, wobei letztere unter
Berücksichtigung der US-amerikanischen essential facility-Doktrin entwickelt wurde.
794. In der Literatur zum Wettbewerbsrecht
wird teilweise postuliert, dass es sich bei den Sachverhaltskonstellationen der Geschäftsverweigerung
nicht um unterschiedliche Fallgruppen eines marktmissbräuchlichen Verhaltens handle, sondern diese
vielmehr auf die gleiche Grundkonstellation zurückgeführt werden könnten, weshalb sie
keiner unterschiedlichen Behandlung bedürften und die gleichen Tatbestandsmerkmale zur Anwendung
gelangen sollten (vgl. Borer, KG,
Art. 7 Rn. 13). Dabei wird zumeist eine Übertragung der Anforderungen der Zugangsverweigerung auf
die übrigen Missbrauchsvarianten der Geschäftsverweigerung propagiert. Nach überwiegender
Ansicht ist jedoch eine entsprechende Differenzierung im Hinblick auf die jeweiligen Tatbestandsmerkmale
vorzunehmen und die verschiedenen Missbrauchsvarianten sind unterschiedlichen Fallgruppen zuzuordnen
(vgl. Amstutz/Carron, BSK-KG,
Art. 7 Rn. 121; Stäuble/Schraner, Dike-KG,
Art. 7 Rn. 181 f.; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rz. 2.583, 2.587, 2.597, 2.608). Dabei ergibt sich eine Abgrenzung zwischen dem Lieferabbruch und der
Lieferverweigerung einerseits sowie der Zugangsverweigerung und der Lizenzverweigerung andererseits.
795. Die Rechtsprechung zur Geschäftsverweigerung
hat bislang weder eine eindeutige Abgrenzung der verschiedenen Varianten anhand bestimmter Merkmale vorgenommen
noch eine einheitliche Prüfungssystematik herausgearbeitet (vgl. Bulst,
LB-EUKR, Art. 102 Rn. 257; Eilmannsberger/Bien,
MüK-EUWBR, Art. 102 Rn. 344; Schröter/Bartl,
SJKM-EUWBR, Art. 102 Rn. 288), sondern bei der Überprüfung
im Einzelfall sowohl auf wiederkehrende übereinstimmende Merkmale als auch auf spezifische, die
jeweilige Sachverhaltskonstellation prägende Elemente abgestellt. Dabei weisen allerdings sogar
formal gleichlautende Merkmale unterschiedliche inhaltliche Ausgestaltungen auf und die Anwendung einzelner
Kriterien für die verschiedenen Missbrauchsvarianten ist nicht geklärt. Infolgedessen ergibt
sich daher eine erhebliche Anwendungsbreite der möglichen Kriterien und deren Gewichtung und Würdigung
für die Beurteilung einer einzelnen Missbrauchsvariante der Geschäftsverweigerung.
796. In
ihrer Microsoft-Entscheidung hat die Europäische Kommission
unter Darstellung der verschiedenen Entscheidungen ausdrücklich festgehalten, dass angesichts der
bestehenden Rechtsprechung der EU-Gerichte kein Grund für die Annahme bestehe, dass eine erschöpfende
Liste an besonderen Umständen für die Überprüfung der Sachverhaltskonstellationen
einer Geschäftsverweigerung einschliesslich einer Lizenzverweigerung bestehe, welche die Heranziehung
von anderen besonderen Umständen ausschliesse (EU-Kom,
Comp/C-3/37-792, Microsoft, Rz. 555). Vielmehr sei eine umfassende
Analyse der Gesamtheit aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, auf der die Beurteilung einer
Verweigerung von Geschäftsbeziehungen abzustützen sei (EU-Kom,
Comp/C-3/37-792, Microsoft, Rz. 558). Dies wurde vom Europäischen
Gericht im Rahmen seines Microsoft-Urteils zumindest insoweit
bestätigt, als für die Beurteilung einer Lizenzverweigerung allgemein anerkannt wird, dass
neben den in der Wettbewerbspraxis bislang berücksichtigten Kriterien weitere Aspekte für die
Beurteilung herangezogen werden könnten. Dabei wurde ausdrücklich festgehalten, dass das Tatbestandsmerkmal
der Produktneuheit nicht der einzige Parameter sei, anhand dessen abgeklärt werden könne, ob
die Weigerung, für ein Recht des geistigen Eigentums eine Lizenz zu erteilen, zu einer Wettbewerbsverfälschung
führe und demzufolge als missbräuchliches Verhalten zu qualifizieren sei (EuG, EU:T:2007:289,
Microsoft, Rz. 647, wobei dies im Rahmen von Art. 102 AEUV
einerseits in Relation zu dem im Regelbeispiel des Abs. 2 lit. b enthaltenen Tatbestandsmerkmal
"zum Schaden der Verbraucher" und andererseits allgemein zur Verfälschung der Marktstruktur
gesetzt wurde).
797. Wenn die Aufstellung eines abschliessenden
Kanons an Prüfungspunkten demzufolge bereits für die Sachverhaltskonstellation der Lizenzverweigerung
ausgeschlossen ist, so ergibt sich dieses Ergebnis a majore ad minus ebenfalls von vornherein für
die Gesamtheit der Sachverhaltskonstellationen einer Geschäftsverweigerung.
798. Ein in Praxis und Doktrin anerkanntes
übergeordnetes Prüfungsschema für alle Missbrauchsvarianten der Geschäftsverweigerung
ist demzufolge jedenfalls bislang nicht vorhanden.
799. Der Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 786),
wonach der rechtlichen Überprüfung einer Geschäftsverweigerung ein genau spezifiziertes
Prüfungsschema zu Grunde zu legen wäre, an das sowohl die Vorinstanz als auch die Rechtsmittelgerichte
gebunden seien, ist demzufolge unzutreffend. Gleiches gilt umgekehrt auch für die Ansicht der Vorinstanz
(vgl. E. 788),
wonach ausschliesslich bestimmte allgemeine Tatbestandsmerkmale einer Geschäftsverweigerung zur
Anwendung kämen. Im Übrigen würde die Ansicht der Vorinstanz entgegen deren Darstellung
im Ergebnis dazu führen, dass die Voraussetzungen einer Zugangsverweigerung für alle anderen
Missbrauchsvarianten einer Geschäftsverweigerung Anwendung finden würden und sich damit bei
einem Lieferabbruch und einer Lieferverweigerung eine Verschärfung der bislang angewendeten Voraussetzungen
einstellen würde.
800. Ungeachtet dessen lassen sich jedenfalls
die in einem weitesten Sinne massgeblichen Kriterien als mögliche Tatbestandsmerkmale einer Interoperabilitätsverweigerung
aus der einschlägigen Wettbewerbspraxis zur Geschäftsverweigerung ableiten. Dabei handelt es
sich um die folgenden Aspekte:
(1) Marktbeherrschende
Stellung und massgebliche Märkte;
(2)
potenzielle oder bestehende Geschäftsbeziehung;
(3)
Verlangen auf Eingehung einer Geschäftsbeziehung;
(4)
Ablehnungshandlung;
(5)
immaterialgüterrechtliche Rechtsposition;
(6)
Unerlässlichkeit des Einsatzguts;
(7)
Produktneuheit;
(8)
Besonderheiten des Einzelfalls;
(9)
Wettbewerbsverfälschung;
(10)
Entgeltregelung;
(11) Fehlen
einer sachlich angemessenen Rechtfertigung.
801. Die Kriterien "marktbeherrschende
Stellung und massgeblicher Markt", "Geschäftsbeziehung", "Eingehungsverlangen",
"Ablehnungshandlung", "Besonderheiten des Einzelfalls", "Wettbewerbsverfälschung"
sowie "Fehlen einer Rechtfertigung" bilden allgemeine Tatbestandsmerkmale, die bei allen
Missbrauchsvarianten einer Geschäftsverweigerung notwendigerweise vorliegen müssen. Die Kriterien
"immaterialgüterrechtliche Rechtsposition", "Unerlässlichkeit des Einsatzguts",
"Produktneuheit" sowie "Entgeltregelung" bilden demgegenüber besondere Tatbestandsmerkmale,
die nur bei bestimmten Missbrauchsvarianten oder in unterschiedlicher inhaltlicher Ausgestaltung bei
den verschiedenen Missbrauchsvarianten einer Geschäftsverweigerung Anwendung finden.
802. Hierbei ist zum einen zu beachten, dass
die Auflistung dieser Sachpunkte lediglich ihrer Bedeutung in der bisherigen Wettbewerbspraxis entspricht.
Vorderhand ist dabei unbeachtlich, inwieweit einzelne der vorgenannten Kriterien unter dogmatischen Gesichtspunkten
allenfalls zusammengefasst werden sollten oder nicht. So bildet das Kriterium der immaterialgüterrechtlichen
Rechtsposition faktisch den Geschäftsgegenstand und kann im Rahmen des Kriteriums der Geschäftsbeziehung
abgehandelt werden. Zudem wäre es denkbar, die Unerlässlichkeit des Einsatzguts, die Produktneuheit
sowie eine allfällige Entgeltlichkeit und deren sachgerechte Ausgestaltung unter dem Aspekt der
Besonderheiten des Einzelfalls zusammenzufassen.
803. Zum anderen ist zu berücksichtigen,
dass diese Tatbestandsmerkmale im Wesentlichen für Geschäftsverweigerungen des marktbeherrschenden
Unternehmens gegenüber dessen Kunden als Abnehmern von Produkten entwickelt wurden. Daher muss bei
Geschäftsverweigerungen des marktbeherrschenden Unternehmens gegenüber Lieferanten oder sonstigen
Wirtschaftsteilnehmern geprüft werden, inwieweit die einzelnen Tatbestandsmerkmale auch auf diese
Sachverhaltskonstellationen Anwendung finden können oder ob Modifikationen vorgenommen bzw. weitere
Tatbestandsmerkmale entwickelt werden müssen.
804. Im vorliegenden Fall steht aus der Sicht
der angefochtenen Verfügung im Gegensatz zur Missbrauchsvariante einer Lizenzverweigerung nicht
die Geltendmachung einer immaterialgüterrechtlich geschützen Rechtsposition und damit die Lizenzierung
von bestimmten Gütern in Frage. Vielmehr ist die Beurteilung einer "Interoperabilitätsverweigerung"
als eigenständige Missbrauchsvariante vorzunehmen. Hierbei ist zunächst abzuklären, welche
der oben genannten Tatbestandsmerkmale mit welchen inhaltlichen Anforderungen bei einer Interoperabilitätsverweigerung
zur Anwendung gelangen, um daran anschliessend anhand der anwendbaren Tatbestandsmerkmale zu prüfen,
ob die konkreten Umstände des Einzelfalls die jeweiligen inhaltlichen Anforderungen erfüllen.
c)
Marktbeherrschende Stellung und massgebliche Märkte
805. Den Gegenstand des allgemeinen Tatbestandsmerkmals
der marktbeherrschenden Stellung und massgeblichen Märkte bildet im Sinne einer Grundkonstellation
für ein missbräuchliches Verhalten gemäss Art. 7
KG das Verhältnis zwischen
der marktbeherrschenden Stellung eines Unternehmens und den im Einzelfall involvierten Märkten,
die durch das jeweils in Frage stehende wirtschaftliche Verhalten beeinflusst werden.
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
806. Die Beschwerdeführerinnen machen
hierzu verschiedene Aspekte geltend, die eine fehlende Verwirklichung dieses Tatbestandsmerkmals belegen
sollen.
807. Zum
einen sei zu beachten, dass als nachgelagerter Markt allein der Markt für den Verkauf von ep2-Terminals
in Betracht zu ziehen sei, weil die Vorinstanz keinen eigenständigen Markt für DCC-Terminals
abgegrenzt habe. Infolgedessen beziehen die Beschwerdeführerinnen ihre Vorbringen, wie zum Beispiel
dasjenige zur Unerlässlichkeit des Einsatzguts, auch ausschliesslich auf den Markt von ep2-Terminals.
Bei der DCC-Funktion handle es sich demnach nur um eine Zusatzfunktion, der im Markt der ep2-Terminals
zudem keine Bedeutung beizumessen sei. Daher fehle es an einem anderen relevanten Markt, auf dem es durch
ein Verhalten auf dem beherrschten Markt zu einer Einschränkung kommen könne.
808. Zum
anderen reiche es nicht aus, in irgendeinem sachlich relevanten Markt eine marktbeherrschende Stellung
zu identifizieren. Denn die Abgrenzung des relevanten Markts zur Beurteilung der Marktstellung könne
nicht isoliert ohne Rückgriff auf das angeblich missbräuchliche Verhalten erfolgen. Vielmehr
müsse zwischen marktbeherrschender Stellung und angeblichem Missbrauch ein kausaler Zusammenhang
bestehen.
809. Um einen derartigen kausalen Zusammenhang
identifizieren zu können, müsse vorgehend das ökonomische Ziel der beanstandeten Strategie
ermittelt werden.
810. Hierbei
sei zu berücksichtigen, dass die im Kartengeschäft tätigen Gruppengesellschaften der SIX-Gruppe
im internationalen Vergleich kleine Marktteilnehmer und dementsprechend darauf angewiesen seien, die
fehlenden, im begrenzten Schweizer Markt nicht erzielbaren Skaleneffekte durch entsprechenden Qualitätswettbewerb
zu kompensieren. Die Entwicklung eines DCC-Produkts und die Abstimmung dieses Produkts mit den Zahlungskartenterminals
der Card Solutions seien im Rahmen dieses Qualitätswettbewerbs zur Attraktivitätssteigerung
der Kartenprodukte von Card Solutions erfolgt.
811. Demzufolge
seien im Hinblick auf die Notwendigkeit eines Kausalzusammenhangs zwischen Marktstellung und angeblichem
Missbrauch folgende Fragen zu prüfen: (i) Ob unmittelbar durch den Einstieg von Card Solutions in
das Fremdwährungsrechnungsgeschäft durch die Bereitstellung einer Umrechnungsfunktion eine
Marktbeherrschungssituation in diesem Markt vorliege, welche hätte missbraucht werden können;
(ii) ob durch die Aufschaltung einer bestimmten Anzahl von Zahlungskartenterminals der Card Solutions
in der Pilotphase auf das Akzeptanzsystem von Multipay im Terminalmarkt eine Marktbeherrschungssituation
vorliege, welche hätte missbraucht werden können; und zur mittelbaren Berücksichtigung
von möglichen Kausalitäten, (iii) ob die Marktstellung von Multipay im Akzeptanzgeschäft
dazu ausreiche, diese Stellung zu missbrauchen, um Card Solutions auf dem Terminalmarkt einen Vorteil
zu verschaffen.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
812. Die Vorinstanz geht ohne nähere Ausführungen
von der Massgeblichkeit der verschiedenen Märkte für die Akzeptanz-Dienstleistungen, die DCC-Währungsumrechnung
sowie die DCC-Terminals aufgrund von deren sachlichem Zusammenhang aus.
(3)
Würdigung durch das Gericht
813. Die
Grundkonstellation eines Marktmissbrauchs in Gestalt des Verhältnisses zwischen der marktbeherrschenden
Stellung eines Unternehmens und den im Einzelfall involvierten Märkten bildet eine notwendige Voraussetzung
für alle Missbrauchsvarianten einer Geschäftsverweigerung.
(a)
Allgemein
814. Bei den involvierten Märkten kann
es sich um den "Primärmarkt", d.h. den relevanten Markt, auf dem die marktbeherrschende
Stellung besteht, um "Sekundärmärkte", d.h. solche Märkte, die dem Primärmarkt
vor- oder nachgelagert sind, sowie um "Tertiärmärkte", d.h. sonstige wie insbesondere
benachbarte Märkte handeln (vgl. Art. 9 Abs. 4
KG, Amstutz/Carron,
BSK-KG, Art. 7 Rn. 21; Clerc/Këllezi,
CR-Concurrence, Art. 7 Abs. 2 Rn. 17; Dähler/Krauskopf/Strebel,
Marktpositionen, Rn. 8.80; Weber/Volz,
FHB-WBR, Rn. 2.556). Die auf diesen Märkten gehandelten Produkte
sind dementsprechend als "Primärprodukte", "Sekundärprodukte" oder
"Tertiärprodukte" zu bezeichnen.
815. Da Art. 7
KG zum einen gemäss Abs.
2 lit. c eine Diskriminierung von Handelspartnern, wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden,
und zum anderen gemäss Abs. 2 lit. f eine Koppelung von Produkten aus unterschiedlichen Märkten
untersagt, beschränkt sich die Anwendung der Vorschrift offensichtlich nicht nur auf Primärmärkte,
sondern bezieht auch Sekundär- und Tertiärmärkte mit ein. Zudem bezieht Art. 7 Abs. 2
lit. a
KG gerade auch sonstige Märkte mit ein. Der Tatbestand von Art. 7
KG setzt demnach keine
Identität zwischen dem beherrschten und dem von dem missbräuchlichen Verhalten betroffenen
Markt voraus (vgl. Amstutz/Carron, BSK-KG,
Art. 7 Rn. 21, 123; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 2.556; Schröter/Bartl, SJKM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 132 m.w.H.).
816. Im Hinblick auf die notwendige Ausgestaltung
des Verhältnisses zwischen marktbeherrschender Stellung und den im Einzelfall massgeblichen Märkten
bestehen unterschiedliche Auffassungen in der Literatur. Teilweise wird geltend gemacht, dass die jeweilige
Vorschrift über den Marktmissbrauch ungeachtet eines irgendwie bestehenden Kausal- oder Sachzusammenhangs
anzuwenden sei, weil sich die Macht eines beherrschenden Unternehmens in seinen Ressourcen manifestiere
und sie nicht von seinem Verhalten losgelöst werden könne, unabhängig davon, in welchem
Markt das Unternehmen agiere (vgl. Emmerich Volker, Kartellrecht,
13. Aufl., 2014, § 10 Rn. 10). Demgegenüber wird teilweise angenommen, dass ohne einen
gewissen Zusammenhang zwischen dem Primärmarkt und dem Sekundärmarkt oder dem Tertiärmarkt
ein wettbewerbswidriges Verhalten nicht vorliegen könne (vgl. Amstutz/Carron,
BSK-KG, Art. 7 Rn. 21; Weber/Volz,
FHB-WBR, Rn. 2.556).
817. Aufgrund der bestehenden Wettbewerbspraxis
lassen sich bislang verschiedene Abgrenzungen vornehmen.
818. Soweit das jeweilige wirtschaftliche Verhalten
auf dem Primärmarkt vorgenommen wird und es sich auch auf diesem auswirkt, ist die Grundkonstellation
eines Marktmissbrauchs ohne Weiteres gegeben (vgl. Amstutz/Carron,
BSK-KG, Art. 7 Rn. 21; Weber/Volz,
FHB-WBR, 2.555; Bulst,
LB-EUKR, Art. 102 Rn. 132; Schröter/Bartl,
SJKM-EUWBR, Art. 102 Rn. 169).
819. Soweit das jeweilige wirtschaftliche Verhalten
zwar auf dem Primärmarkt vorgenommen wird, es sich aber auf einem anderen Markt auswirkt, bedarf
es für die Feststellung der Grundkonstellation eines Marktmissbrauchs eines hinreichenden Zusammenhangs
zwischen dem beherrschten und dem weiteren Markt (vgl. EuGH, EU:C:1974:343; Commercial
Solvents, Ziff. 22; EuG, 12.12.2000, T-128/98, Aéroports de Paris gg. EU-Kom, EU:T:2000:290,
zit. Aéroports de Paris, Ziff. 164; EuG, 17.12.2003, T-219/99,
Britisch Airways plc gg. EU-Kom, EU:T:2003:343, zit. British Airways,
Ziff. 127; Amstutz/Carron, BSK-KG,
Art. 7 Rn. 21; Schröter/Bartl, SJKM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 132, 169). Der Zusammenhang kann dabei auf einer sachlichen Beziehung der Märkte oder
der auf den Märkten gehandelten Produkte oder auf sonstigen Aspekten beruhen. An das Bestehen eines
hinreichenden Zusammenhangs sind keine besonderen Anforderungen zu stellen. Bei Sekundärmärkten
ist dieser hinreichende Zusammenhang mit dem Primärmarkt aufgrund der sachlichen Verknüpfung
von Primär- und Sekundärprodukt ohne Weiteres gegeben (vgl. EuGH, EU:C:1974:343, Commercial
Solvents, Ziff. 22; Schröter/Bartl, SJKM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 132).
820. Der
andere Markt, auf dem sich die Auswirkungen zeigen, bedarf dabei für die Feststellung einer nachteiligen
Einwirkung keiner genauen Abgrenzung (vgl. EuGH, EU:C:1978:18, United
Brands, Ziff. 22, wonach diese Wirkungen zu berücksichtigen sind, "selbst wenn der
Markt für die Derivate nicht in sich selbst abgeschlossen ist").
821. Gleiches gilt für den umgekehrten
Fall, wenn das jeweilige wirtschaftliche Verhalten auf einem weiteren Markt vorgenommen wird, es sich
aber (auch) auf den beherrschten Markt auswirkt (vgl. EuGH, 3.7.1991, C-62/86, AKZO Chemie BV gg. EU-Kom,
EU:C:1991:286, zit. AKZO Chemie, Ziff. 39 f.; EuGH, 6.4.1995,
C-310/9 P, BPB Industries plc & British Gypsum, EU:C:1995:101, zit. BPB,
Ziff. 11 mit Verweis auf den Schlussantrag von Generalanwalt Léger, EU:C:1994:408, Ziff. 82 f.;
Bulst, LB-EUKR, Art.
102 Rn. 133; Schröter/Bartl, SJKM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 132).
822. In
Fällen, in denen das wirtschaftliche Verhalten auf einem anderen als dem beherrschten Markt vorgenommen
wird und sich auf diesen oder auf einen weiteren anderen als den beherrschten Markt auswirkt, liegt die
Grundkonstellation eines Marktmissbrauchs dann vor, wenn zwischen dem Primärmarkt und dem anderen
Markt bzw. den anderen Märkten eine spezifische Beziehung aufgrund besonderer Umstände besteht
(vgl. Weko, 22.10.2003, RPW 2003/4, Veterinärmedizinische
Tests/Migros, 753, Ziff. 75; EuGH, 14.11.1996, C-333/94 P, Tetra Pak International SA gg. EU-Kom, EU:C:1996:436,
zit. Tetra Pak II, Ziff. 27; Bulst,
LB-EUKR, Art. 102 Rn. 133). Die Feststellung dieser besonderen
Umstände hat aufgrund einer Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalls zu erfolgen (vgl. EuGH,
EU:C:1996:436, Tetra Pak II, Ziff. 27, 30). Soweit die Gesamtschau
ergibt, dass sich das marktbeherrschende Unternehmen auch ohne besondere Stellung auf dem anderen Markt
gegenüber den anderen Wettbewerbern unabhängig verhalten kann, ist der wirksame Wettbewerb
geschwächt (vgl. EuGH, EU:C:1996:436, Tetra Pak II, Ziff.
27, 30) und die Grundkonstellation somit auch in solchen Fällen gegeben.
823. Die Kriterien des hinreichenden Zusammenhangs
und der besonderen Umstände setzen inhaltlich nicht das Vorliegen einer Kausalität gemäss
Äquivalenz- und Adäquanzprinzip voraus. Für das Kriterium der besonderen Umstände
ergibt sich das bereits aus der offenen Umschreibung von dessen Voraussetzungen, die gerade nicht auf
das allgemein bekannte Merkmal der Kausalität abstellt. Für das Kriterium des hinreichenden
Zusammenhangs ergibt sich das aus einem Rückschluss a majore ad minus: Wenn für Fälle,
in denen sowohl das massgebliche Verhalten als auch die Betroffenheit nicht den Primärmarkt, sondern
einen Tertiärmarkt beschlagen, kein Kausalzusammenhang erforderlich ist, können in den Fällen,
in denen immerhin das massgebliche Verhalten auf dem Primärmarkt stattfindet, keine höheren
Anforderungen an die inhaltliche Verbindung zwischen den involvierten Märkten gestellt werden.
824. Auch ein Kausalzusammenhang zwischen Marktstellung
und missbräuchlichem Verhalten ist entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen (vgl. E.
808
f.) für die Verwirklichung einer Geschäftsverweigerung gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. a
KG
nicht erforderlich.
825. Dies ergibt sich schon aus der ausdrücklichen
Qualifizierung der Wettbewerbswidrigkeit einer Geschäftsverweigerung durch marktbeherrschende Unternehmen
des Gesetzgebers, der im Gegensatz hierzu Geschäftsverweigerungen von nicht marktbeherrschenden
Unternehmen als wettbewerbskonform einstuft. Die besondere Marktstellung, die bereits eine objektive
Voraussetzung des Tatbestands darstellt, kann nicht darüber hinaus als weitere Voraussetzung in
Form von natürlicher Aquivalenz und sozialadäquater Adäquanz erforderlich sein, damit
ein marktbeherrschendes Unternehmen überhaupt eine Geschäftsverweigerung begehen kann. Denn
wenn jedes nicht marktbeherrschende Unternehmen die Eingehung von Geschäftsbeziehungen ablehnen
kann, obwohl ein solches Verhalten aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen regelmässig nicht
empfehlenswert ist, dann steht einem marktbeherrschenden Unternehmen die Möglichkeit einer Geschäftsverweigerung
offensichtlich in jedem Fall offen, weil ein derartiges Verhalten aus wirtschaftlichen Gründen regelmässig
eher noch geringere Auswirkungen aufweist, ohne dass es weiterer Umstände bedarf, welche die Kausalität
begründen. Ein spezifisches Kriterium, anhand dessen eine sachgerechte Abgrenzung zwischen verschiedenen
Formen der Geschäftsverweigerungen aufgrund des kausalen Verhältnisses zwischen Marktstellung
und Ablehnungshandlung vorgenommen werden könnte, lässt sich im Übrigen jedenfalls bislang
auch nicht identifizieren.
826. In der Literatur wird die Notwendigkeit
eines Kausalzusammenhangs zwischen marktbeherrschender Stellung und Marktmissbrauch als Voraussetzung
der Verwirklichung eines missbräuchlichen Verhaltens überwiegend abgelehnt (vgl. Amstutz/Carron,
BSK-KG, Art. 7 Rn. 21; Clerc,
CR-Concurrence, Art. 7
I Rn. 67; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 7 Rn. 23, 28; Bulst,
LB-EUKR, Art. 102 Rn. 134; Fuchs/Möschel,
IM-EUWBR, Art. 102 Rn. 136; Mestmäcker/Schweitzer,
EU-WBR, § 19 Rn. 36; Schröter/Bartl,
SJKM-EUWBR, Art. 102 Rn. 168 f.). Demgegenüber wird teilweise
zwar das Erfordernis eines Kausalzusammenhangs im üblichen Sinne ebenfalls verneint, allerdings
zumindest ein Kausalzusammenhang in einem abgeschwächten Mass im Sinne einer normativen Kausalität
für notwendig erachtet (vgl. Eilmannsberger/Bien, MüK-EUWBR,
Art. 102 Rn. 135 f., unter Anknüpfung an das Tetra Pak II-Urteil).
Teilweise wird auch ohne nähere Erläuterung ein Kausalzusammenhang zwischen marktbeherrschender
Stellung und Marktmissbrauch für die Verwirklichung des Tatbestands verlangt (vgl. David/Jacobs,
WBR, Rn. 719; Reinert Peter,
in: Baker&McKenzie [Hrsg.], Stämpflis Handkommentar, Kartellgesetz, 2007, zit. SHK-KG,
Art. 7 Rn. 3; Ruffner, Verhaltensweisen,
838; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rz. 2.554).
827. Etwas Anderes lässt sich auch nicht
aus dem Urteil des Bundesgerichts in Sachen Terminierung Mobilfunk
entnehmen (BGE 137 II 199 E. 4.3.4), wonach zwischen der Marktstellung und der Unangemessenheit
eine Kausalität gegeben sein muss. Denn zum einen wird der Inhalt dieser notwendigen Korrelation
durch das Bundesgericht inhaltlich näher spezifiziert, wodurch sich eine Änderung zum üblichen
Kausalitätserfordernis ergibt (BGE 137 II 199 E. 4.3.5; vgl. hierzu auch BVGer, B-3618/ 2013,
Hallenstadion, E. 281). Zum anderen beziehen sich diese Ausführungen
lediglich auf den Tatbestand einer Erzwingung von unangemessenen Preisen und Geschäftsbedingungen
gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. c
KG und stellen keine allgmeine Qualifizierung für die anderen Missbrauchsformen
des Art. 7
KG dar.
828. Die Rechtsprechung zum EU-Wettbewerbsrecht
hat bereits seit längerem das Erfordernis eines kausalen Zusammenhangs zwischen Markstellung und
Marktmissbrauch verneint. Im Urteil Continental Can wies der Europäische
Gerichtshof die Geltendmachung des Kausalitätserfordernisses ausdrücklich zurück (EuGH,
21.3.1972, 6/72, Euroemballage Corporation & Continental Can Company Inc. gg. EU-Kom, EU:C:1973:22,
Ziff. 27) und im Fall Hoffmann-La Roche wurde die Voraussetzung,
wonach die Wirtschaftskraft als Mittel für die Verwirklichung des Missbrauchs eingesetzt werde,
ebenfalls ausdrücklich abgelehnt (EuGH, EU:C:1979:36, Ziff. 91). Dieser Ablehnung eines (allgemeinen)
Kausalitätserfordernisses steht inhaltlich nicht entgegen, dass der Europäische Gerichtshof
wie vorstehend im Urteil Tetra Pak eine gewisse Beziehung zwischen
dem Primärmarkt und einem Tertiärmarkt für die Verwirklichung eines missbräuchlichen
Verhaltens vorausgesetzt hat. Denn auch dabei wurde nicht die Feststellung einer (äquivalenten und
adäquaten) Kausalität als notwendiges Merkmal statuiert, sondern im Hinblick auf das Verhältnis
zwischen Primär- und Tertiärmarkt ausdrücklich auf eine Gesamtschau aller Umstände
des Einzelfalls abgestellt, welche die Möglichkeit zu einem unabhängigen Verhalten seitens
des marktbeherrschenden Unternehmens auf einem Tertiärmarkt ungeachtet von seiner Marktstellung
auf diesem anderen Markt ermöglichten (EuGH, EU:C:1996:436, Tetra
Pak II, Ziff. 24, 30).
829. Auch vor dem Hintergrund der allgemeinen
Struktur des Art. 7
KG ergibt sich demzufolge kein Bedürfnis, im Rahmen einer Geschäftsverweigerung
die Voraussetzung eines Kausalzusammenhangs zwischen Marktstellung und Ablehnungshandlung anzuerkennen.
830. Angesichts dieses Ergebnisses bedurften
bzw. bedürfen die von den Beschwerdeführerinnen aufgeworfenen spezifischen Fragen zur Kausalität
(vgl. E. 811)
keiner Beantwortung durch die Vorinstanz und das Gericht.
831. Auch das Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 807),
wonach die DCC-Terminals nur eine Zusatzfunktion gegenüber den ep2-Terminals aufweisen und keinen
eigenständigen Markt bilden würden, ist unbeachtlich. Denn die Einwirkung auf den Markt der
ep2-Terminals ist unabhängig davon gegeben, ob die DCC-Terminals als eigenständiger Markt abzugrenzen
sind oder nur einen Bereich des Markts für ep2-Terminals bilden, weil aufgrund der Wettbewerbspraxis
der weitere Markt nicht einmal genau abgegrenzt sein muss (vgl. E. 820).
(b)
Grundkonstellation bei Geschäftsverweigerungen
832. Wie sich aus dem Verweis in Art. 7 Abs.
2 lit. a
KG auf eine Liefer- oder Bezugssperre ergibt, kann sich die intendierte Geschäftsbeziehung
nicht nur auf den beherrschten Markt selbst auswirken, sondern auch andere, insbesondere vor- oder nachgelagerte
Märkte erfassen.
833. Eine Geschäftsverweigerung kann ausschliesslich
die Verfügbarkeit des Primärprodukts auf dem Primärmarkt betreffen. Diese Ausgangslage
liegt z.B. den Sachverhaltskonstellationen eines Lieferabbruchs bei Verbrauchsgütern zu Grunde.
834. Die
Geschäftsverweigerung kann sich aber auch auf Sekundärmärkte auswirken. Dies ist immer
dann der Fall, wenn ein Primärprodukt als sog. "Einsatzgut" (auch als "Input"
oder "Vorleistungsprodukt" bezeichnet) den Gegenstand der Ablehnung durch das marktbeherrschende
Unternehmen bildet. Das Primärprodukt dient dabei als Ausgangsgut für die Herstellung oder
Ausgestaltung von Sekundärprodukten. Als Einsatzgut stellt es in diesen Fällen den hinreichenden
Zusammenhang zwischen dem Primärmarkt und dem jeweiligen Sekundärmarkt her. Gleiches gilt im
Ergebnis auch für die Fälle, bei denen sonstige Güter, die zwar kein Primärprodukt
darstellen, die jedoch in einem notwendigen Zusammenhang zu einem Primärprodukt und dessen Verwendung
stehen, für die Herstellung von Sekundärprodukten auf einem Sekundärmarkt genutzt werden.
835. Eine Geschäftsverweigerung kann sich
gegebenenfalls auch auf Tertiärmärkte auswirken, soweit wie dargelegt eine spezifische Beziehung
aufgrund besonderer Umstände besteht.
(c)
Sachverhalt
836. Im vorliegenden Sachverhalt ist die Offenlegung
von Schnittstelleninformationen zur Herstellung von Interoperabilität zwischen der Akzeptanz-Plattform
der SIX-Gruppe und den DCC-Terminals der Terminalhersteller zur Ermöglichung einer DCC-Währungsumrechnung
zu beurteilen.
837. Eine marktbeherrschende Stellung der SIX-Gruppe
ist für verschiedene Märkte der Akzeptanz-Dienstleistungen gegeben (vgl. E. 340,
494,
507).
Weitere abgregrenzte Märkte bilden der Markt der DCC-Dienstleistungen und der Markt der ep2-Terminals
(vgl. E. 378,
397).
838. Sowohl die Akzeptanz-Dienstleistungen
als auch die DCC-Dienstleistungen der SIX-Gruppe werden im Wesentlichen durch den Einsatz von bestimmten
EDV-Anlagen, die aus verschiedenen Geräten und Programmen bestehen, im Rahmen eines elektronischen
Zahlungssystems erbracht. Kernstück der von der SIX-Gruppe eingesetzten EDV-Anlage bildet dabei
die Acquring-Plattform, an welche die ep2-Terminals bzw. die DCC-Terminals der Händler angebunden
werden, um über elektronische Datentransfers bzw. Datenübertragungen die jeweiligen Transaktionsdaten
von einzelnen Zahlungstransaktionen des Zahlungskarteninhabers gegenüber dem Händler sowie
dem Kartenaussteller abzuwickeln. Die Acquring-Plattform bildet demzufolge das notwendige technische
Mittel zur Erbringung von Akzeptanz- und DCC-Dienstleistungen durch die SIX-Gruppe gegenüber den
Händlern. Zur Herstellung der Interoperabilität von der Akzeptanz-Plattform und den ep2-Terminals
zwecks Durchführung einer Zahlungskartentransaktion bedarf es übereinstimmender Schnittstellen
auf Seiten der Akzeptanz-Plattform der SIX-Gruppe und den ep2-Terminals der Terminalhersteller. Die entsprechenden
Schnittstelleninformationen für diese Schnittstellen werden als Branchenstandard durch den ep2-Standard
ausdrücklich fest- und offengelegt, um die uneingeschränkte Interoperabilität von Akzeptanz-Plattform
und Zahlungskartenterminals herzustellen (vgl. SV F.c
ff.). Zur Durchführung einer DCC-Währungsumrechnung bedarf es wiederum übereinstimmender
Schnittstellen auf Seiten der Akzeptanz-Plattform der SIX-Gruppe und den DCC-Terminals der Terminalhersteller.
Zur Sicherstellung dieser Übereinstimmung ist die Kenntnis der Terminalhersteller von den Schnittstelleninformationen
der Akzeptanz-Plattform ebenfalls unabdingbar. Die DCC-Schnittstelleninformationen der Akzeptanz-Plattform
sind demzufolge als Einsatzgut auf dem Markt der ep2-Terminals zu qualifizieren, weil ohne diese Schnittstelleninformationen
ein ep2-Terminal nicht zu einem einsatzfähigen, d.h. interoperablen DCC-Terminal aufgerüstet
werden kann. Das gleiche würde in entsprechender Weise bei einer Abgrenzung eines eigenständigen
Markts von DCC-Terminals gelten.
839. Wie in Zusammenhang mit der Prüfung
einer Koppelung gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. f
KG ausführlich dargestellt wird (vgl. E. 1340
ff.), ergibt sich aufgrund der Ausgestaltung des Währungsumrechnungssystems der SIX-Gruppe ein einheitlicher
Verbund von Haupt- und Zusatzprodukten, d.h. von Primär- und Sekundärprodukten. Dabei bestehen
mehrere Kombinationen an Produkten, die jeweils zwingend unmittelbar oder mittelbar miteinander verknüpft
sind:
(1)
Akzeptanz-Dienstleistungen und DCC-Dienstleistungen;
(2)
DCC-Dienstleistungen und DCC-Terminals;
(3)
Akzeptanz-Dienstleistungen und DCC-Terminals.
840. Als Folge dieser Verknüpfungen ist
es einem Händler mit einem Akzeptanzvertrag der SIX-Gruppe nicht möglich, die dynamische Währungsumrechnung
gegenüber seinen Kunden anzubieten und anzuwenden, ohne an die SIX-Gruppe sowohl als Service-Partner
der DCC-Dienstleistungen als auch als Lieferant der notwendigen DCC-Terminals gebunden zu sein.
841. Die Märkte des Akzeptanzgeschäfts,
der DCC-Dienstleistungen sowie der ep2-Terminals - einschliesslich der DCC-Terminals, unabhängig
davon, ob sie dem Markt der ep2-Terminals zuzuordnen oder als eigenständiger relevanter Markt abzugrenzen
sind - bilden demzufolge eine zwingende Einheit. Es besteht daher ein Märkteverbund, d.h.
ein Verbund von mehreren relevanten Märkten, die für eine wettbewerbsrechtliche Beurteilung
aufgrund ihrer sachlichen Verknüpfung gesamthaft zu beurteilen sind.
842. Für die rechtliche Beurteilung des
vorliegenden Sachverhalts ist demzufolge entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen nicht allein
der Markt für ep2-Terminals von Relevanz. Vielmehr sind neben dem Markt der Akzeptanz-Dienstleistungen
sowohl der Sekundärmarkt für ep2-Terminals als auch der Sekundärmarkt für DDC-Dienstleistungen
sowie die zwischen diesen Märkten und den darauf gehandelten Produkten bestehenden zwingenden Verknüpfungen
zu berücksichtigen und der rechtlichen Prüfung zu Grunde zu legen.
843. Die
Behauptung der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 810),
dass die im Kartengeschäft tätigen Gruppengesellschaften der SIX-Gruppe im internationalen
Vergleich kleine Marktteilnehmer und dementsprechend darauf angewiesen seien, die fehlenden, im begrenzten
Schweizer Markt nicht erzielbaren Skaleneffekte durch entsprechenden Qualitätswettbewerb zu kompensieren,
weshalb die Entwicklung eines DCC-Produkts und die Abstimmung dieses Produkts mit den Zahlungskartenterminals
der Card Solutions im Rahmen dieses Qualitätswettbewerbs zur Attraktivitätssteigerung der Kartenprodukte
von Card Solutions notwendig gewesen sei, begründet keinesfalls einen Aspekt, aufgrund dessen die
Verwirklichung der Grundkonstellation einer Geschäftsverweigerung zu verneinen wäre. Allenfalls
könnte sie als Rechtfertigungsgrund für die Ablehnungshandlung zu berücksichtigen sein.
Allerdings taugt das Vorbringen, wonach ein bestimmtes, gemäss Art. 7
KG tatbestandsmässiges
Verhalten zur Verbesserung der Wettbewerbsposition gegenüber den Konkurrenten durchgeführt
werden müsse, offensichtlich von vornherein gerade nicht zur Rechtfertigung dieses tatbestandsmässigen
wettbewerbswidrigen Verhaltens. Denn der Wettbewerb auf dem Primärmarkt rechtfertigt keine rechtswidrige
Wettbewerbsbeschränkung auf einem Sekundärmarkt. Zudem widerspricht diese Behauptung auch der
an anderer Stelle vorgebrachten Argumentation der Beschwerdeführerinnen, dass die Zahlungskartenterminals
anderer Hersteller hätten einbezogen werden müssen, um wirtschaftlich sinnvoll zu handeln.
Denn ein Einbezug von Zahlungskartenterminals Dritter aus wirtschaftlichen Gründen schliesst deren
Ausgrenzung im Qualitätswettbewerb aus. Aus diesem Grund ist dieser Einwand der Beschwerdeführerinnen
unbeachtlich.
d)
Geschäftsbeziehung
844. Gegenstand des allgemeinen Tatbestandsmerkmals
der Geschäftsbeziehung ist die Herstellung oder die Fortführung einer geschäftlichen Verbindung
zwischen dem marktbeherrschenden Unternehmen und einem Initiator (vgl. E. 864)
als potenziellem Vertragspartner.
(a)
Art
845. Der Begriff "Geschäftsbeziehung"
umfasst jede Art von rechtlichen oder tatsächlichen Verbindungen zwischen einem marktbeherrschenden
Unternehmen und anderen Wirtschaftsteilnehmern.
846. Grundlage einer Geschäftsbeziehung
bilden regelmässig rechtliche Vereinbarungen, insbesondere in Form von Handelsverträgen, von
Nutzungsvereinbarungen über Anlagen und sonstige Einrichtungen, der Einräumung von Lizenzen
an immaterialgüterrechtlich geschützten Rechtsgütern oder der Überlassung von sonstigen
Informationen.
(b)
Gegenstand
847. Den Gegenstand der Geschäftsbeziehung
kann jegliche Art von Produkten in Form von Waren, Dienstleistungen, Rechten oder sonstigen Gütern
bilden. Zumeist ist die intendierte Geschäftsbeziehung auf die Erlangung oder den Absatz einer Ware
oder einer Dienstleistung durch den Kunden des marktbeherrschenden Unternehmens ausgerichtet. Eine Geschäftsbeziehung
kann sich aber auch in der Gewährung von tatsächlichen Leistungen, wie der Ermöglichung
des faktischen Zugangs zu einer Anlage oder der Übermittlung von Informationen, erschöpfen.
848. Die verschiedenen Missbrauchsvarianten
einer Geschäftsverweigerung weisen jeweils einen unterschiedlichen Gegenstand der von den Initiatoren
intendierten Geschäftsbeziehungen zum marktbeherrschenden Unternehmen auf.
849. Bei einem Lieferabbruch und einer Lieferverweigerung
bilden regelmässig Verbrauchs-, Verarbeitungs- oder Absatzgüter, die von einem marktbeherrschenden
Unternehmen hergestellt und/oder vertrieben werden und die vom Initiator erworben werden sollen, den
Gegenstand der Geschäftsbeziehung (vgl. Amstutz/Carron,
BSK-KG, Art. 7 Rn. 101 ff.).
850. Bei einer Lizenzverweigerung ist die intendierte
Geschäftsbeziehung auf ein immaterialgüterrechtlich geschütztes Gut des marktbeherrschenden
Unternehmens ausgerichtet, das im Wege einer Lizenzerteilung, d.h. der Einräumung eines Rechts zur
Herstellung oder anderweitigen Nutzung, für den Initiator zugänglich gemacht werden soll.
851. Bei
einer Zugangsverweigerung ist die Geschäftsbeziehung auf die tatsächlich gewährte Möglichkeit
zur Nutzung einer wesentlichen Einrichtung des marktbeherrschenden Unternehmens ausgerichtet, wodurch
diese für den Initiator zugänglich gemacht werden soll.
852. Als Einrichtungen in diesem Sinne sind
insbesondere Anlagen in Gestalt von singulären Infrastrukturanlagen oder Infrastrukturnetzen zu
qualifizieren. Erfasst werden z.B. Seehäfen sowie Telekommunikations-, Strom- oder Gasnetze. Darüber
hinaus wird auch bei sonstigen singuläre Strukturen, wie ein landesweites Verteilsystem für
Tageszeitungen (vgl. EuGH, EU:C:1998:559, Bronner, Ziff. 41 f.),
Abrechnungssystemen im Wertpapierhandel (vgl. EuG, EU:T:2009:317, Clearstream,
Ziff. 73) oder einer Anlage zur Käsereifung (vgl. BGE 139 II 316, Etivaz,
Ziff. 7) die Wesentlichkeit der Einrichtung geprüft. Dabei erfolgt nicht immer auch eine ausdrückliche
Qualifizierung als wesentliche Einrichtung (z.B. wird im Urteil Bronner,
EuGH, EU:C:1998:559, Ziff. 41 f., eine entsprechende formale Qualifizierung vermieden)
853. Überwiegend
wird befürwortet, dass je nach Sachverhalt auch andere Güter als wesentliche Einrichtungen
qualifiziert werden können (vgl. BGE 139 II 316, Etivaz,
E. 6.1; BGE 129 II 497, EEF, E. 6.5.1, "des équipements
ou des installations indispensables à la fourniture d'une prestation"; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 7 Rn. 229; Weber/Volz,
FBH-WBR, Rn. 2.600; Mestmäcker/Schweitzer,
EU-WBR, § 19 Rn. 75), wie z.B. Waren und Dienstleistungen
(vgl. EuG, 15.9.1998, T-374/94 u.a., European Night Services Ltd. u.a. gg. EU-Kom, EU:T:1998:198, zit.
European Night Services, Ziff. 209, "[...] Infrastrukturen,
Erzeugnisse und Dienstleistungen [...]"), Immaterialgüterrechte sowie Informationen (vgl.
HGer d. Kt. Aargau, RPW 2003/2, 451, Angehörigeninformation,
Ziff. 7d, nach dem die Art und der Inhalt einer Information der Angehörigen eines im Kantonsspital
Aargau Verstorbenen eine essential facility darstelle) und sogar einfache Willenserklärungen (vgl.
Mestmäcker/Schweitzer, EU-WBR,
§ 19 Rn. 75 unter Verweis auf BGH, 3.3.2009, KZR 82/07, Reisestellenkarte).
854. Die Wesentlichkeit einer Einrichtung liegt
vor, wenn es keinen tatsächlichen oder potenziellen Ersatz für die Einrichtung gibt (vgl. BGE
139 II 316, Etivaz, E. 7; BGE 129 II 497, EEF,
E. 6.5.1; EuGH, EU:C:1998:559, Bronner, Ziff. 41 f.; EuG, EU:T:2009:317,
Clearstream, Ziff. 147; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 7 Rn. 229; Mestmäcker/
Schweitzer, EU-WBR, § 19 Rn. 76; a.A. Weko,
RPW 2016/4, 920, Sport im Pay-TV, Ziff. 106, wonach die objektive
Notwendigkeit des Zugangs "nicht bedeute, dass es ohne den besagten Zugang nicht dennoch möglich
sein könnte, [...] in diesen [Anm.: Markt] einzutreten"). Charakteristisch für die wesentliche
Einrichtung sind zum einen das Fehlen einer faktisch bestehenden Alternative sowie zum anderen die fehlende
Duplizierbarkeit, d.h. der Ausschluss einer Möglichkeit zur Herstellung einer gleichartigen Einrichtung.
Daraus ergibt sich eine Alleinstellung zu Gunsten der jeweiligen Einrichtung des marktbeherrschenden
Unternehmens im Sinne einer Einzigartigkeit.
855. Die Möglichkeit zur Herstellung einer
gleichartigen Einrichtung ist dann ausgeschlossen, wenn dies (i) aus rechtlichen Gründen unmöglich
ist (vgl. EU-Kom, 21.12.93, ABl. 1994 L 55/52, Hafen von
Rodby, Untersagung der Genehmigung zum Bau eines neuen Hafens), (ii) aus tatsächlichen Gründen
nicht durchführbar ist, oder (iii) aus wirtschaftlichen Gründen nicht vertretbar ist (vgl.
EuGH, EU:C:1998:559, Bronner, Ziff. 44). Letzteres ist dann der
Fall, wenn einem Initiator die Bereitstellung der notwendigen Aufwendungen für die Herstellung einer
weiteren Einrichtung aus objektiver Sicht nicht zumutbar ist (vgl. EuGH, EU:C:1998:559, Bronner,
Ziff. 44, 46, [...] dass es unrentabel wäre [...]; EuG, EU:T:1998:198, European
Night Services, Ziff. 209, "[...] Infrastrukturen, Erzeugnisse und Dienstleistungen [...]
wenn es wegen ihrer besonderen Eigenschaften und insbesondere der prohibitiven Kosten ihrer erneuten
Bereitstellung und/oder der vernünftigerweise hierzu erforderlichen Zeit keine gangbaren Alternativen
für die möglichen Konkurrenten des Gemeinschaftsunternehmens gibt, die auf diese Weise vom
Markt ausgeschlossen würden").
856. Bei einer Interoperabilitätsverweigerung
ist die Geschäftsbeziehung auf die Erlangung von Schnittstelleninformationen, d.h. bestimmten technischen
Daten, ausgerichtet.
857. Durch
diesen Geschäftsgegenstand der Schnittstelleninformationen unterscheidet sich die Interoperabilitätsverweigerung
von den anderen Missbrauchsvarianten einer Geschäftsverweigerung. Denn im Rahmen der anderen Missbrauchsformen
handelt es sich bei den jeweiligen Einsatzgütern in Form der Verbrauchs-, Verarbeitungs- oder Absatzgüter,
der immaterialgüterrechtlich geschützten Güter oder der wesentlichen Einrichtungen jeweils
um ein Primärprodukt des marktbeherrschenden Unternehmens. Demgegenüber stellen Schnittstelleninformationen
selbst kein Primärprodukt dar, sondern sie stehen lediglich in Zusammenhang mit einem Primärprodukt
des marktbeherrschenden Unternehmens.
858. Insbesondere sind Schnittstelleninformationen
als Gegenstand einer Interoperabilitätsverweigerung nicht mit einer wesentlichen Einrichtung als
Gegenstand einer Zugangsverweigerung vergleichbar (a.A. Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 7 Rn. 270; Weber/Volz,
FHB-WBR, Rn. 2.612). Denn Schnittstelleninformationen stellen
keine wesentliche Einrichtung dar. Zum einen kommt Schnittstelleninformationen keine Einzigartigkeit
entsprechend einer wesentlichen Einrichtung im oben beschriebenen Sinne zu. Denn die Alleinstellung von
Schnittstelleninformationen ergibt sich ausschliesslich aus der Verweigerung ihrer Bekanntgabe durch
das marktbeherrschende Unternehmen, nicht aber aus einer tatsächlich bestehenden sachlichen oder
wirtschaftlichen Unmöglichkeit einer Herstellung und Vervielfältigung entsprechender technischer
Daten oder der Schnittstelle selbst, wie das bei einer wesentlichen Einrichtung der Fall sein müsste.
Werden Schnittstelleninformationen durch das marktbeherrschende Unternehmen an Dritte bekannt gegeben,
können diese sowohl die technischen Daten als auch die entsprechenden Schnittstellen in unbegrenzter
Anzahl herstellen bzw. vervielfältigen. Zum anderen lassen sich die wesentlichen Einrichtungen hinsichtlich
Herstellung, Betrieb und Unterhalt nicht mit Schnittstelleninformationen vergleichen. Überdies ist
die Interoperabilitätsverweigerung dementsprechend auch auf den blossen Erhalt der Schnittstelleninformationen
als Einsatzgut und nicht auf einen darüber hinausgehenden (physischen) Zugang zu dem dahinter stehenden
Primärprodukt als Einsatzgut wie bei der Zugangsverweigerung ausgerichtet.
859. Auch mit dem immaterialgüterrechtlich
geschützten Gut als Gegenstand einer Lizenzverweigerung sind Schnittstelleninformationen als Gegenstand
einer Interoperabilitätsverweigerung nicht vergleichbar. Dies gilt unabhängig davon, ob an
den jeweiligen Schnittstelleninformationen ebenfalls ein Urheberrecht besteht oder nicht. Denn auch hierbei
bilden die Schnittstelleninformationen nicht das Primärprodukt, sondern sie stehen lediglich in
einem Zusammenhang zum Primärprodukt. Eine andere Sachverhaltskonstellation ergibt sich nur dann,
wenn an der Schnittstelle ein Patentrecht besteht und Geschäftsbeziehung auf eine Nutzung der Schnittstelle
als solche durch eine Lizenzierung des Patentrechts ausgerichtet wäre.
860. Dem
Einsatzgut "Schnittstelleninformationen" kommt demnach keine originäre, sondern lediglich
eine abgeleitete Bedeutung zu, die sich ausschliesslich aufgrund ihres Zusammenhangs mit dem jeweiligen
Primärprodukt einstellt (vgl. E. 1172).
Demzufolge lassen sich die, insbesondere im Hinblick auf eine Lizenzverweigerung und eine Zugangsverweigerung
zur Diskussion stehenden, mit dem Primärprodukt verbundenen Wertungen zu dessen Wertschöpfung
und der damit verbundenen eigentums- bzw. immaterialgüterrechtlichen Nutzungsberechtigung sowie
einer damit einhergehenden Einschränkung der Verfügungsbefugnis des marktbeherrschenden Unternehmens
nicht oder zumindest nur sehr eingeschränkt auf die Schnittstelleninformationen übertragen.
(c)
Sachverhalt
861. Vorliegend besteht die durch die anderen
Terminalhersteller intendierte Geschäftsbeziehung in einer Offenlegung der DCC-Schnittstelleninformationen
für die Akzeptanz-Plattform durch die SIX-Gruppe.
862. Aus der Sicht der SIX-Gruppe war hierzu
zwischen der Multipay und den anderen Terminalherstellern eine Vereinbarung zu treffen, welche die Informationen
zu den Schnittstellen den anderen Terminalherstellern vermittelt und gegebenenfalls deren Geheimhaltungsverpflichtung
statuiert.
863. Art und Inhalt des Vertrags bedürfen
vorliegend keiner näheren Begutachtung, weil sich die Ablehnungshandlung der SIX-Gruppe aus einer
unmittelbaren faktischen Grundsatzentscheidung ergibt und nicht auf einem Dissens der Parteien über
die Notwendigkeit bzw. Angemessenheit einer bestimmten vertraglichen Regelung oder auf der konkreten
Ausgestaltung des Vertrags beruht.
e)
Eingehungsverlangen des Initiators
864. Den
Gegenstand dieses allgemeinen Tatbestandsmerkmals bildet die Erklärung eines potenziellen oder tatsächlichen
Geschäftspartners (nachfolgend: Initiator) auf Eingehung einer Geschäftsbeziehung (nachfolgend:
Eingehungsverlangen), mit der um Herstellung oder Weiterführung einer Geschäftsbeziehung mit
dem marktbeherrschenden Unternehmen nachgesucht wird.
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
865. Die Beschwerdeführerinnen machen
geltend, dass ein Verlangen auf Eingehung von Geschäftsbeziehungen nicht vorgelegen habe. Denn die
anderen Terminalhersteller hätten keine klaren Anfragen gestellt. Deshalb sei für Multipay
unklar gewesen, welcher Inhalt diesen Anfragen tatsächlich beizumessen gewesen sei. Zunächst
sei davon auszugehen gewesen, dass eine Lizenzierung der DCC-Funktion verlangt worden sei.
866. Zudem
hätten die anderen Terminalhersteller keine Zulassung für das Akzeptanzgeschäft mit Multipay
beantragt, sondern die Offenlegung und Lizenzierung von Schnittstelleninformationen der Card Solutions.
Multipay hätte aus eigenem Recht aber gar nicht über die DCC-Schnittstelleninformationen verfügen
können.
867. Dass
eine Unklarheit bestanden habe, ergäbe sich auch aus den vorangehenden geschäftlichen Kontakten
zwischen Jeronimo und Card Solutions, in welchen Jeronimo jeweils die Terminalsoftware als solche von
Card Solutions zur Verwendung verlangt habe. Deshalb sei Card Solutions zunächst davon ausgegangen,
dass Jeronimo die entsprechende DCC-Funktion erlangen wolle, um diese integral auf ihren Zahlungskartenterminals
zu installieren.
868. Diese
Ausgangslage werde durch die Anzeige der Jeronimo bei der Wettbewerbskommisson vom 20. Juli 2006 bestätigt.
Darin sei insbesondere die Rede davon gewesen, dass Multipay der Nutzung der DCC-Funktion von Card Solutions
hätte zustimmen müssen, was auf eine Zwangslizenz hinweise. Durch die Anzeige sei daher eine
unklare Rechtslage entstanden. Erst mit der Präzisierung des Rechtsbegehrens vom 25. September 2006
habe Klarheit bestanden, dass die Offenlegung der Schnittstellen nachgefragt werde.
869. Der
Beginn der Geschäftsverweigerung werde von der Vorinstanz ohne Begründung an das Schreiben
von Jeronimo vom 5. Juli 2005 angeknüpft. Eine Geschäftsverweigerung der Beschwerdeführerinnen
könne aber nicht aus dem Schreiben des Antragstellers oder eines sonstigen Unternehmens abgeleitet
werden.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
870. Die Vorinstanz ist der Ansicht, dass aufgrund
des dokumentierten Geschehensablaufs ersichtlich sei, dass die anderen Terminalhersteller keine Zwangslizenz
an der DCC-Funktion der Card Solutions gefordert hätten, sondern die Protokolle und Spezifikationen,
die zur Herstellung von Interoperabilität zwischen ihren Zahlungskartenterminals und der durch Multipay
angebotenen DCC-Dienstleistung notwendig gewesen seien.
871. Spätestens mit dem Schreiben von
Jeronimo vom 5. Juli 2005 sei der Wunsch nach Interoperabilität und Offenlegung der dafür notwendigen
Spezifikationen eindeutig formuliert worden. Entsprechend definiert die Vorinstanz dieses Datum als Beginn
der Geschäftsverweigerung.
872. Zur Rüge der Beschwerdeführerinnen,
die Vorinstanz habe zu Unrecht die Anfrage der Anzeigerin vom 5. Juli 2005 und nicht die Verweigerungsäusserung
der Beschwerdeführerinnen als Beginn der Verweigerung qualifiziert, nimmt die Vorinstanz dahingehend
Stellung, sie sei einverstanden, anstatt des 5. Juli 2005 den 20. Juni 2005 als Beginn der Geschäftsverweigerung
zu werten, falls die Beschwerdeführerinnen darauf bestehen würden.
(3)
Würdigung durch das Gericht
873. Notwendige Voraussetzung für eine
Verweigerung von Geschäftsbeziehungen ist bei allen Missbrauchsvarianten ein Verlangen des Initiators
auf eine Eingehung von Geschäftsbeziehungen durch ein marktbeherrschendes Unternehmen, weil auch
letzteres nicht verpflichtet ist, gegenüber Dritten den Abschluss von Geschäftsbeziehungen
über ein bestimmtes Produkt von sich aus anzubieten.
(a)
Allgemein
874. Ein Eingehungsverlangen ist dann gegeben,
wenn von Seiten des potenziellen Geschäftspartners in ausreichender Weise eine Aufforderung zur
Eingehung von geschäftlichen Beziehungen gegenüber dem marktbeherrschenden Unternehmen abgegeben
wird (vgl. Sekretariat, RPW 1997/4, 465, Schiffahrtsgesellschaft
des Vierwaldstättersees, Ziff. 16 f.; Weko, RPW 2000/1,
BKW, Ziff. 31; Amstutz/Carron,
BSK-KG, Art. 7 Rn. 124; Clerc/Këllezi,
CR-Concurrence, Art. 7 II Rn. 7). Hierfür ist allein
massgebend, dass aus objektiver Sicht die Intention des Initiators aus der jeweiligen Erklärung
oder Handlung hervorgeht.
875. An ein Eingehungsverlangen sind keine
besonderen formellen oder inhaltlichen Anforderungen zu stellen. Eine bestimmte Form ist nicht einzuhalten
und es bedarf keiner sachlichen oder sonstigen Begründung für das Verlangen. Das Verlangen
kann ausdrücklich oder stillschweigend, direkt oder indirekt zum Ausdruck gebracht werden. Es kann
sich daher nicht nur aus schriftlichen Erklärungen, sondern implizit auch aus einem Verhalten des
Initiators ergeben. Auch bei allen anderen Formen als einer ausdrücklichen schriftlichen Erklärung
muss der Wille des Initiators auf Eingehung einer Geschäftsbeziehung aus objektiver Sicht daraus
hervorgehen.
876. Das Eingehungsverlangen des Initiators
bildet den Ausgangspunkt einer Geschäftsverweigerung. Deshalb ist es entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 869)
für die Festlegung des Beginns einer Geschäftsverweigerung massgebend. Dies gilt unabhängig
davon, ob die Ablehnungshandlung durch das marktbeherrschende Unternehmen ausdrücklich erklärt
oder mittelbar durch ein bestimmtes Verhalten zum Ausdruck gebracht wird oder sich sogar aufgrund einer
Hinhaltetaktik oder einer Abschreckungsstrategie ergibt (vgl. E. 902
ff.). Dadurch wird zum einen eine eindeutige und einheitliche Behandlung der einzelnen Sachverhalte sichergestellt
und zum anderen sind allfällige Versuche zur Verschleierung der Ablehnungshandlung seitens des marktbeherrschenden
Unternehmens - bei denen eine genaue Festlegung des Zeitpunkts der Ablehungshandlung ohnehin nur
aufgrund einer Bewertung vorgenommen werden kann - unbeachtlich.
(b)
Sachverhalt
877. Aufgrund
des dokumentierten Geschehensablaufs steht ein Verlangen auf die Eingehung von Geschäftsbeziehungen
ausser Frage. Die gegenteilige Behauptung der Beschwerdeführerinnen ist offensichtlich unbeachtlich.
878. Die anderen Terminalhersteller haben seit
dem 10. Juni 2005, d.h. zu dem Zeitpunkt, als Jeronimo im Rahmen einer Besprechung mit Multipay erstmals
ihr Interesse bekundet hatte, mehrfach bei der SIX-Gruppe durch Anschreiben oder im Rahmen von persönlichen
oder telefonischen Besprechungen nachgefragt, um die notwendigen Informationen zur Anbindung ihrer DCC-Terminals
an die Akzeptanz-Plattform der SIX-Gruppe zu erlangen (vgl. SV I.o
ff.). Dies belegen insbesondere die nachfolgend aufgeführten Anfragen an die Multipay:
(i) Schreiben Jeronimo vom 5. Juli 2005
"Je réitère par la présente notre intérêt à ajouter au plus vite
la fonction DCC sur nos terminaux de paiement. Comme discuté, cela répondrait à une demande
précise de certains clients de pouvoir conserver l´aquiring chez vous et les terminaux chez
nous. Vous nous avez informés que cette fonction devrait être disponible dès la mi-2005
pour les autres fournisseurs de terminaux. Je vous prie de bien vouloir nous fournir les spécifications
y relatives ou le cas échéant, nous aiguiller vers les personnes concérnées."
(ii) Schreiben Ingenico vom 22. Juli 2005
"In diesem Sinne nehmen wir mit Ihnen Kontakt auf und würden uns freuen, mit Ihnen eine
Geschäftsbeziehung aufzubauen, die es uns erlaubt, unseren Kunden alle Leistungen von Telekurs Multipay
anzubieten, wie beispielsweise ihre DCC-Lösung. In Bezug auf das vorgenannte, wären wir Ihnen
dankbar, wenn Sie uns alle technischen Informationen über Ihre DCC-Lösung, die für die
Entwicklung unseres Zahlungskartenterminals notwendig sind, zur Verfügung stellen."
(iii) Schreiben der Van de Velden vom 17. März 2006
"[...] the company´s access to the DCC-facility, what means to have your protocols available
as far as needed for software to be built on our payment terminals, your full support to have application
supported in case of question we may have and to guarantee the certification done within for us acceptable
times."
879. Mit den vorstehenden Anfragen haben die
Terminalhersteller aus objektiver Sicht zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht, dass sie von Multipay diejenigen
Informationen erlangen möchten, die zur Ausgestaltung und Anbindung ihrer ep2-Terminals an die Akzeptanz-Plattform
von Multipay notwendig sind. Hierbei war es nicht erforderlich, weitere Konkretisierungen zur inhaltlichen
Erläuterung dieses Verlangens vorzunehmen.
880. Dabei haben sich die Anfragen richtigerweise
an Multipay gerichtet, weil diese gegenüber den Händlern als Betreiberin der Akzeptanz-Plattform
für die Akzeptanz-Dienstleistungen und auch selbst als Anbieterin der DCC-Dienstleistung aufgetreten
ist (vgl. SV. I.c).
881. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 866
f.) konnten die vorstehenden Anfragen von Seiten der SIX-Gruppe auch nicht in anderer Weise verstanden
werden. Insbesondere ist den vorstehend genannten Anfragen bei objektiver Würdigung weder sprachlich
noch sachlich zu entnehmen, dass hierdurch die technischen Details der DCC-Funktion der SIX-Gruppe zu
deren Nachbildung durch die anderen Terminalhersteller nachgefragt wurden. Ein entsprechendes Verlangen
ergibt sich aus dem Wortlaut dieser Nachfragen gerade nicht. Unter Berücksichtigung des vorhandenen
ep2-Standards zur Interoperabilität der im elektronischen Zahlungsverkehr eingesetzten Kompontenten
sowie der notwendigerweise vorhandenen Fachkenntnisse auf beiden Seiten waren die Anfragen offensichtlich
nicht auf die Erlangung von Details von Anwendungsprogrammen ausgerichtet, sondern auf diejenigen Informationen
beschränkt, welche für die Ausgestaltung der Zahlungskartenterminals zur Anbindung an die Akzeptanz-Plattform
und demnach für die entsprechenden DCC-Schnittstelleninformationen notwendig sind.
882. Zudem steht die Behauptung der Beschwerdeführerinnen,
die Anfragen seien auf die Erlangung der DCC-Funktion ausgerichtet gewesen, in einem inhaltlichen Widerspruch
zu der von ihnen vorgebrachten Behauptung, der Card Solutions käme ein Urheberrecht an der DCC-Funktion
zu. Da die Existenz eines Urheberrechts an der DCC-Funktion angesichts der notwendigen technischen Ausgestaltung
der Währungsumrechnung zwar unwahrscheinlich sein mag, aber aus der Sicht von Dritten nicht ohne
nähere Prüfung einfach ausgeschlossen werden kann, lässt sich ein Verlangen auf Herausgabe
von Informationen unter Fachfirmen von vornherein nur auf die DCC-Schnittstelleninformationen beziehen.
Denn ein Verlangen auf die Herausgabe von urheberrechtlich geschützten Informationen über Details
eines Anwendungsprogramms ginge von vornherein ins Leere. Und selbst wenn unterstellt würde, dass
über die Anfragen ein Missverständnis auf Seiten von Multipay oder Card Solutions hätte
auftreten können, so hätte durch eine einfache Mitteilung an die Terminalhersteller einerseits
die Anerkennung des Eingehungsverlangens in Bezug auf die DCC-Schnittstelleninformationen sowie andererseits
die Ablehnung des Eingehungsverlangens im Hinblick auf die DCC-Funktion klargestellt werden können.
Da ein entsprechendes Verhalten als geschäftsüblich unterstellt werden kann, lässt sich
aus dem Unterlassen einer solchen Mitteilung ohne Weiteres der Rückschluss ziehen, dass auch auf
Seiten von Multipay und Card Solutions kein Missverständnis über den Inhalt des Eingehungsverlangens
der anderen Terminalhersteller bestand.
883. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 867)
kann sich eine massgebliche Unklarheit auch nicht aus den vorgängigen geschäftlichen Kontakten
zwischen Jeronimo und Card Solutions ergeben haben. Denn dieses Vorbringen stellt von vornherein kein
Argument gegenüber dem Vorliegen eines Eingehungsverlangens von Ingenico dar. Im Übrigen wird
von den Beschwerdeführerinnen auch in keiner Weise substantiiert dargelegt, weshalb sich aufgrund
dieser geschäftlichen Kontakte eine Unklarheit hätte ergeben können. Der Einwand ist daher
unbeachtlich.
884. Aus diesem Einwand ergibt sich aber umgekehrt
wiederum ein Widerspruch zur Behauptung der Beschwerdeführerinnen, wonach Jeronimo mit seinen Anfragen
fälschlicherwise an Multipay gelangt sei, wodurch wiederum Rücksprachen zwischen Multipay und
Card Solutions an Geschäftsleitungssitzungen notwendig gewesen seien (vgl. E. 895).
Entgegen letzterem Vorbringen bestätigten die Beschwerdeführerinnen demzufolge, dass auch im
Verhältnis zwischen Jeronimo und Card Solutions die Frage einer Umsetzung der DCC-Währungsumrechnung
seitens Jeronimo angesprochen worden war. Dann hätte die vorstehend beschriebene Mitteilung über
die Offenlegung von DCC-Schnittstelleninformationen und die Verweigerung von DCC-Funktionsdetails also
bereits zu diesem Zeitpunkt vorgenommen werden können.
885. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 868)
ist die Darstellung von Jeronimo in ihrer Anzeige vom 20. Juli 2006 gegenüber der Wettbewerbsbehörde
für die Beurteilung, ob ein ausreichendes Eingehungsverlangen seitens eines Initiators zwischen
März 2005 und Mai 2006 vorliegt, nicht massgebend. Denn relevant sind die konkreten Anfragen gegenüber
der SIX-Gruppe in besagtem Zeitraum und nicht etwaige spätere Aussagen gegenüber der Wettbewerbsbehörde.
Der Versuch der Beschwerdeführerinnen, in Widerspruch zum unzweideutigen Inhalt der tatsächlich
vorliegenden Nachfragen aus den in der Anzeige enthaltenden Feststellungen das Fehlen eines ausreichenden
Eingehungsverlangens zu konstruieren, ist daher sachlich nicht begründet.
886. Im Übrigen ist der Vollständigkeit
halber diesbezüglich festzuhalten, dass die Beschwerdeführerinnen auch hierbei irreführende
Behauptungen vorbringen. Denn Jeronimo hat im Rahmen der Anzeige die Vorenthaltung von Informationen
und Spezifikationen hinsichtlich der Kommunikation zwischen ihren Zahlungskartenterminals und dem Netzwerk
von Multipay beanstandet und nicht eine fehlende Lizenzerteilung der DCC-Funktion geltend gemacht. Dabei
verweist sie ausdrücklich darauf, dass sie von Aduno die erforderlichen Schnittstelleninformationen
ohne Weiteres erhalten hat. Im Einzelnen hält sie z.B. Folgendes fest:
(i) "Die Produkte von Card Solutions sind in keiner Weise besser als diejenigen von Jeronimo.
Ihre Besserstellung wird lediglich dadurch erreicht, dass sie von Multipay hinsichtlich DCC als dialogfähig
qualifiziert werden bzw. dass Multipay den Terminals von Jeronimo diese Dialogfähigkeit verweigert."
(ii) "Das Vorgehen der Multipay zur Verhinderung von Interoperabilität der Terminals von
Jeronimo mit ihrem Netzwerk von Multipay im Bereich der DCC ist dem von der Europäischen Kommission
als unzulässig qualifizierten Verhalten vergleichbar."
887. Beim Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
zum Tatbestandsmerkmal des Eingehungsverlangens handelt es sich demzufolge um irreführende Schutzbehauptungen.
888. Auch
bezüglich dieses Sachpunkts bleibt festzustellen, dass die Beschwerdeführerinnen mit einer
Vielzahl von irreführenden Vorbringen versuchen, die Tatsachen zu verschleiern und die Bearbeitung
der Angelegenheit durch das Gericht in einer einem effizienten Gerichts- und Prüfungsverfahren abträglichen
bzw. nicht förderlichen Weise zu erschweren.
889. Der Beginn der Geschäftsverweigerung
ist somit spätestens auf den 5. Juli 2005 - dem Zeitpunkt des ersten zweifelsfrei dokumentierten
Eingehungsverlangens seitens eines anderen Terminalherstellers als Initiator - festzulegen. Dies
gilt vorliegend umso mehr, als die Beschwerdeführerinnen in anderem Zusammenhang selbst vortragen
(vgl. E. 893),
Jeronimo sei bereits vorgängig zum Schreiben vom 5. Juli 2005 mitgeteilt worden, dass die DCC-Schnittstelleninformationen
nicht herausgegeben werden könnten.
f)
Ablehnungshandlung
890. Gegenstand des allgemeinen Tatbestandsmerkmals
einer Ablehnungshandlung bildet das Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens, das die Ablehnung
des Eingehungsverlangens auf Herstellung oder Weiterführung einer Geschäftsbeziehung gegenüber
dem Initiator zum Ausdruck bringt.
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
891. Die Beschwerdeführerinnen machen
aus mehreren Gründen geltend, dass eine rechtsbeachtliche Ablehnung nicht vorgelegen habe.
892. Zunächst
habe zum Zeitpunkt der Anfragen kein definitives Produkt bestanden, weil die Test- und Re-Zertifizierungsverfahren
noch gar nicht abgeschlossen gewesen seien. Es könne demzufolge überhaupt keine Verweigerungshandlung
von Seiten Multipays als marktbeherrschendem Unternehmen vorgelegen haben.
893. In
Zusammenhang mit der Test- und Re-Zertifizierungsphase weisen die Beschwerdeführerinnen darauf hin,
aus dem Schreiben der Jeronimo würde gerade hervorgehen, dass dieser vorgängig bereits mitgeteilt
worden sei, die Schnittstellen könnten erst nach Abschluss der Testphase bereitgestellt werden.
Dies sei nach Erhalt des Schreibens von Jeronimo dieser gegenüber nochmals festgehalten worden.
894. Von
Seiten Multipays könne auch keine Geschäftsverweigerung ausgegangen sein. Zuständig für
eine Lizenzierung sei die Card Solution als Inhaberin des immaterialgüterrechtlichen Anspruchs gewesen.
Schon rein zivilrechtlich könne nur diejenige Gesellschaft über ein Immaterialgüterrecht
verfügen, welcher das entsprechende Recht zustehe. Multipay verfüge jedoch über keinerlei
Rechte am nachgefragten Gut. Multipay habe auch über keine konzernrechtliche Weisungsbefugnis gegenüber
Card Solutions verfügt. Folglich habe Multipay in keinem Fall die Offenlegung oder Lizenzierung
von Immaterialgüterrechten der Card Solutions veranlassen können und dürfen. Die fehlende
Rechtsinhaberschaft sei den Terminalherstellern durch Multipay denn auch mitgeteilt worden.
895. Für
die Entscheidung über eine Behandlung der Nachfragen durch die anderen Terminalhersteller wäre
allein die Card Solutions zuständig gewesen, welche die Entscheidung auch alleine vorgenommen habe.
Die Behandlung der DCC-Währungsumrechnung an Geschäftsleitungssitzungen der Card Solutions
und der Multipay beruhe ausschliesslich auf dem Umstand, dass die Anfragen von Jeronimo fälschlicherweise
an Multipay gerichtet worden seien. Multipay hätte daher mit Card Solutions Rücksprache halten
müssen. Allerdings entspreche dies auch einem üblichen Vorgehen zwischen einem Kartenakquisiteur
und seinem Service-Partner, der die technischen Aspekte der internen Verarbeitung übernehme.
896. Die
Ablehnung könne auch nicht dem Protokoll der Geschäftsleitungssitzung der Card Solutions vom
20. Juni 2005, wonach den anderen Terminalherstellern kein Angebot unterbreitet werde, entnommen werden.
Denn bei diesen Protokollen handle es sich um blosse Beschlussprotokolle und nicht um ausführliche
Inhaltsprotokolle. In Bezug auf die den Beschlüssen zu Grunde liegenden Diskussionen und Entscheide
seitens der Card Solutions könne demnach nichts aus diesen Protokollen abgeleitet werden. Vielmehr
müsse diese Feststellung in Zusammenhang mit dem damaligen Geschehen gesehen und dahingehend verstanden
werden, dass bis zur Fertigstellung der definitiven Funktion keine Offenlegung erfolgen würde. Ein
Gegenbeweis, dass im damaligen Zeitpunkt nicht dies gemeint gewesen sei, finde sich in der angefochtenen
Verfügung nicht. Es seien auch keine weiteren Sachverhaltsfeststellungen vorgenommen worden.
897. Es fehle daher jedenfalls an einem rechtsgenüglichen
Nachweis einer eigentlichen Verweigerung.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
898. Die Vorinstanz geht davon aus, dass Multipay
spätestens am 20. Juni 2005 beschlossen habe, anderen POS-Terminal-Anbietern den Zugang zur
DCC-Funktion zu verweigern, nachdem spätestens mit dem Schreiben von Jeronimo vom 5. Juli 2005 der
Wunsch nach Interoperabilität und Offenlegung der dafür notwendigen Spezifikationen eindeutig
formuliert worden sei.
899. Die Geschäftsverweigerung habe bis
zur Sitzung vom 8. Dezember 2006 zwischen Vertretern der Multipay, der Card Solutions und von Jeronimo,
in der sich die Parteien gegenüber Jeronimo bereit erklärt hätten, die verlangten Schnittstelleninformationen
offen zu legen, gedauert. Die Geschäftsverweigerung habe sich damit auf rund ein Jahr und fünf
Monate belaufen.
900. Da der Konzern als Ganzes als Unternehmen
im Sinne von Art. 2
KG zu qualifizieren sei und als solcher der Verhaltenskontrolle des Art. 7
KG unterliege,
habe vorliegend die SIX-Group die Geschäftsverweigerung vorgenommen. Daher könne sich Multipay
nicht darauf berufen, die Offenlegung der DCC-Spezifikationen habe gar nicht gefordert werden können,
weil sie nicht Inhaberin der entsprechenden Rechte aus geistigem Eigentum sei.
(3)
Würdigung durch das Gericht
901. Für die Verwirklichung einer Geschäftsverweigerung
muss das marktbeherrschende Unternehmen das Eingehungsverlangen eines Initiators auf Herstellung oder
Weiterführung einer Geschäftsbeziehung notwendigerweise abgelehnt haben. Dies gilt offensichtlich
für alle Missbrauchsvarianten einer Geschäftsverweigerung.
(a)
Allgemein
902. Die
Ablehnungshandlung muss die Verweigerungshaltung des marktbeherrschenden Unternehmens in ausreichender
Weise zum Ausdruck bringen. Hierfür ist allein massgebend, ob aus objektiver Sicht davon auszugehen
ist, dass das marktbeherrschende Unternehmen der Aufforderung zur Eingehung von Geschäftsbeziehungen
keine Folge leisten wird.
903. Für die Beurteilung des Vorliegens
einer Ablehnungshandlung sind deren Grund und der ihr zu Grunde liegende Anlass unerheblich. Diese Aspekte
erlangen erst im Hinblick auf eine allfällige Rechtfertigung der Geschäftsverweigerung Bedeutung
(vgl. Stäuble/Schraner, Dike-KG,
Art. 7 Rn. 205 a.E.).
904. An eine Ablehnungshandlung sind keine
besonderen formellen oder inhaltlichen Anforderungen zu stellen. Eine bestimmte Form ist nicht einzuhalten
und es bedarf keiner sachlichen oder sonstigen Begründung für eine Ablehnung. Die Ablehnung
kann ausdrücklich oder stillschweigend, direkt oder indirekt zum Ausdruck gebracht werden (vgl.
Amstutz/Carron, BSK-KG,
Art. 7 Rn. 124; Stäuble/Schraner, Dike-KG,
Art. 7 Rn. 205; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 2.583; EuG, EU:T:1991:70, Hilti, Ziff. 99, zum Verlangen von
zu hohen Lizenzgebühren). Sie ergibt sich daher nicht nur aus schriftlichen, mündlichen oder
faktischen Erklärungen, sondern implizit auch aus einem sonstigen Verhalten des marktbeherrschenden
Unternehmens.
905. Eine Ablehnungshandlung liegt daher insbesondere
auch dann vor, wenn sich die Ablehnung nicht aus einer entsprechend abweisenden Erklärung, sondern
faktisch als Ergebnis einer Hinhaltetaktik oder einer Abschreckungsstrategie des marktbeherrschenden
Unternehmens einstellt (vgl. Amstutz/Carron, BSK-KG,
Art. 7 Rn. 124; Stäuble/Schraner, Dike-KG,
Art. 7 Rn. 205, Ausweichmanöver, Verzögerungsstrategien, unangemessene Geschäftsbedingungen;
Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 2.583).
906. Eine Hinhaltetaktik besteht darin, dass
der konkrete Abschluss der Geschäftsbeziehung oder die Erlangung des jeweils nachgefragten Einsatzguts
durch die (weitere) Angabe von Gründen, die unzutreffend oder sachlich nicht angemessen sind, aufgeschoben
oder gänzlich verhindert wird.
907. Eine Abschreckungsstrategie besteht darin,
durch die Ansetzung von sachlich nicht gerechtfertigten Anforderungen an den konkreten Abschluss der
Geschäftsbeziehung oder zur Erlangung des jeweils nachgefragten Einsatzguts durch den Initiator
die Eingehung von Geschäftsbeziehungen zu hintertreiben.
908. Massgebend für die Beendigung einer
Geschäftsverweigerung ist grundsätzlich der Zeitpunkt des Erhalts des Primärprodukts oder
des jeweiligen Einsatzguts durch den Initiator. Durch die Heranziehung dieses Ereignisses als massgeblichen
Zeitpunkt wird sichergestellt, dass eine Geschäftsverweigerung nach einer Erklärung über
die Eingehung oder den formellen Abschluss der Geschäftsbeziehung durch das marktbeherrschende Unternehmen
nicht noch weiter bis zur Auslieferung des Primärprodukts oder des Einsatzguts ausgedehnt werden
kann. Soweit die Auslieferung des Primärprodukts oder des Einsatzguts dem üblichen Geschäftsgang
entsprechend nach dem formellen Abschluss der Geschäftsbeziehung erfolgt, kann auch letzterer Zeitpunkt
herangezogen werden. Insgesamt ergibt sich dadurch eine eindeutige und einheitliche Behandlung der verschiedenen
Sachverhalte.
(b)
Sachverhalt
909. Die
SIX-Gruppe hat durch mehrere Handlungen eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass sie eine Offenlegung der
Schnittstellen gegenüber den anderen Terminalherstellern ablehnt (vgl. SV I.o
ff.). Hierfür sind insbesondere die folgenden Ereignisse anzuführen:
(i) In der Sitzung der Geschäftsleitung von Card Solutions am 20. Juni 2005 wurde der Geschäftsleitung
von Multipay der Beschluss mitgeteilt, dass DCC Jeronimo nicht angeboten werde;
(ii) im Nachgang zur Anfrage von Ingenico an Multipay
am 22. Juli 2005 wurde ihr von Card Solutions
mündlich mitgeteilt, dass sich die DCC-Funktion noch in einer Pilotphase befinde, weshalb das Produkt
DCC noch nicht zur Verfügung gestellt werden könne;
(iii) anlässlich einer Besprechung im November 2005 wurde PaySys mitgeteilt, dass sich die DCC-Funktion
in einer Pilotphase befinde und das Produkt DCC nicht weitergegeben werden könne;
(iv) anlässlich einer Geschäftsleitungssitzung von Multipay und Card Solutions Anfang Januar
2006 erfolgte die Entscheidung, das Produkt DCC für andere Terminalhersteller auch weiterhin nicht
freizugeben;
(v) die Mitteilung in der E-Mail des CEO von Multipay
vom 16. Januar 2016 an Jeronimo lautete wie
folgt:
"Im November haben wir uns in Zürich getroffen und verschiedene Punkte besprochen. U.a.
ist die Frage von DCC offen. Wir haben in der Geschäftsleitungssitzung von letzter Woche das Thema
diskutiert und es wure beschlossen, dass wir grundsätzlich firmenintern entwickelte Dienstleistungen
nicht freigeben."
(vi) In ihrer Mitteilung an Jeronimo vom 20. März 2006 antwortete Multipay auf die Aufforderung
der Van de Velden vom 17. März 2006, dass sie keine Veranlassung sehe, die eigene Position zu ändern.
910. Aus diesen Handlungen ergibt sich offensichtlich,
dass die SIX-Gruppe nicht gewillt war, auf das Eingehungsverlangen der Initiatoren einzugehen und die
DCC-Schnittstelleninformationen der Akzeptanz-Plattform den anderen Terminalherstellern offenzulegen.
911. Aufgrund der oben bezeichneten Ereignisse
(i), (iv), (v) und (vi) liegt eine ausdrückliche Ablehnung der Offenlegung der DCC-Schnittstellen-informationen
gegenüber den Terminalherstellern vor. Darüber hinaus hat die SIX-Gruppe eine Hinhaltetaktik
angewendet, indem sie den Initiatoren auf deren Anfragen hin mitgeteilt hatte, dass sich die DCC-Funktion
noch in einer Testphase befinde, während die DCC-Währungsumrechnung von ihr tatsächlich
bereits am Markt eingeführt worden war (vgl. E. 698).
Wie die Beschwerdeführerinnen aber selbst bestätigt haben (vgl. E. 967),
war der SIX-Gruppe bewusst, dass die anderen Terminalhersteller bei einer Verzögerung der Bereitstellung
von ep2-Terminals mit DCC-Funktion über mehrere Monate Kunden verlieren würden, weil diese
eine ensprechende Verzögerung nicht hinnehmen würden.
912. Im Übrigen bestätigen die Beschwerdeführerinnen
selbst mit ihren Vorbringen zur Test- und Re-Zertifizierungsphase (vgl. E. 893),
wonach Jeronimo bereits vor deren Schreiben vom 5. Juni 2005 mitgeteilt worden sei, dass die Schnittstellen
erst nach Abschluss der Testphase bereit gestellt werden könnten, dass eine Ablehnungshandlung vorgelegen
hat.
913. Dass die SIX-Gruppe entgegen ihren nachträglichen
Vorbringen zu einer Offenlegung der DCC-Schnittstelleninformationen nach Abschluss der Test- und Re-Zertifizierungsphasen
allerdings gar nicht gewillt war, ergibt sich daraus, dass sie nach Abschluss der Re-Zertifizierungsphase
im Mai 2006 den anderen Terminalherstellern die notwendigen Informationen nicht hat zukommen lassen.
914. Darüber
hinaus ergibt sich ein wesentlicher inhaltlicher Widerspruch aus den verschiedenen Vorbringen der Beschwerdeführerinnen,
welche die Verweigerung der SIX-Gruppe zur Herausgabe der DCC-Schnittstelleninformationen letztlich bestätigen.
So hatten die Beschwerdeführerinnen im Rahmen ihrer Vorbringen gegenüber der Wettbewerbsbehörde
vom 25. August 2006 geltend gemacht, dass die SIX-Gruppe nicht zu einer Offenlegung der DCC-Schnittstelleninformationen
verpflichtet gewesen sei. Die Berufung auf eine fehlende Verpflichtung zur Herausgabe und damit auf ein
Recht zur Zurückhaltung stellt bei einem fortdauernden Fehlen der Offenlegung aber eine offensichtliche
Ablehnung des Eingehungsverlangens der Initiatoren dar.
915. Der Einwand der Beschwerdeführerinnen,
wonach wegen der angeblichen Durchführung einer Re- und Zertifizierungsphase noch kein fertiges
Produkt vorhanden gewesen sei (vgl. E. 892),
wurde bereits widerlegt (vgl. E. 686
ff.), weshalb er auch in diesem Zusammenhang unbeachtlich ist.
916. Auch der Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 894),
wonach ausschliesslich Card Solutions als Inhaberin der entsprechenden Immaterialgüterrechte, nicht
aber Multipay über die DCC-Schnittstelleninforma-tionen habe verfügen können bzw. dürfen,
ist unbeachtlich. So ist bereits die Berufung auf eine entsprechende Unternehmensdifferenzierung angesichts
einer Qualifizierung der SIX-Gruppe als massgebliches Kartellrechtssubjekts ausgeschlossen (vgl. E. 653
ff.). Zudem ist die Existenz eines Immaterialgüterrrechts an der DCC-Schnittstelle für die
Anbindung von ep2-Terminals an die Akzeptanz-Plattform der Multipay weder ausreichend belegt und nachgewiesen
(vgl. E. 624
ff.) noch würde dieser Umstand eine ausreichende Grundlage für eine Verweigerung der Herausgabe
der DCC-Schnittstelleninformationen für die Akzeptanz-Plattform darstellen (vgl. E. 609
ff., 638
ff., 939
ff.).
917. Gleiches gilt für den Einwand der
Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 895),
wonach die Geschäftsleitungssitzungen von Card Solutions und Multipay wegen der notwendigen Rückfragen
hätten abgehalten werden müssen.
918. Der Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 896),
wonach aus der Feststellung im Protokoll der Geschäftsleitungssitzung der Card Solutions vom 20.
Juni 2005, dass Jeronimo das DCC nicht angeboten werde, keine Ablehnung abgeleitet werden könne,
weil es sich hierbei nur um ein Beschluss- und nicht um ein Inhaltsprotokoll handle und der Gegenbeweis
von der Wettbewerbsbehörde nicht erbracht worden sei, ist sowohl in formeller als auch in sachlicher
Hinsicht unerheblich. Da sich aus dem Protokoll bei objektiver Würdigung eindeutig eine sachliche
Ablehnung ergibt, hat nicht die Wettbewerbsbehörde den Nachweis zu führen, dass der Aussage
dieser objektive Bedeutungsgehalt auch tatsächlich zukommt, sondern die Beschwerdeführerinnen
haben nachzuweisen, dass dieser Aussage aus bestimmten Gründen nicht dieser objektiv erkennbare,
sondern ein anderer Bedeutungsgehalt zukomme; solche Darlegungen erfolgen von Seiten der Beschwerdeführerinnen
jedoch nicht. Da der Grund für die sich aus der Aussage ergebende Ablehnung für die Feststellung
einer Ablehnungshandlung durch das marktbeherrschende Unternehmen allerdings irrelevant ist, bedarf es
von vornherein auch keiner Differenzierung im Hinblick auf die Art des Protokolls und allfälliger
daraus sich ergebender Weiterungen.
919. Der Zeitpunkt der Beendigung der Geschäftsverweigerung
durch die SIX-Gruppe ist auf den 22. Januar 2007 - den Zeitpunkt der Unterzeichnung der Geheimhaltungsvereinbarung
zwischen der SIX-Gruppe und den Terminalherstellern - festzulegen. Da die DCC-Schnittstellen-informationen
im Anschluss an den Abschluss dieser Vereinbarung ohne weitere Verzögerung von der SIX-Gruppe an
die Terminalhersteller übermittelt wurde, kann bereits dieser Zeitpunkt als massgeblich qualifiziert
werden.
920. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz ist
für die Beendigung der Geschäftsverweigerung aus den oben angeführten Gründen vorliegend
nicht auf den Zeitpunkt des blossen Inaussichtstellens der Offenlegung am 8. Dezember 2006 abzustellen.
921. Der
massgebliche Zeitraum als Dauer der Geschäftsverweigerung reicht somit vom 5. Juli 2005 bis zum
22. Januar 2007, weshalb für die Sanktionierung von einer Dauer von insgesamt 19 Monaten auszugehen
ist.
g)
Immaterialgüterrechtliche Rechtsposition
922. Gegenstand des besonderen Tatbestandsmerkmals
der immaterialgüterrechtlichen Rechtsposition bildet der Umstand, dass dem marktbeherrschenden Unternehmen
ein Recht aus geistigem Eigentum zusteht, das seiner Ablehnung von Geschäftsbeziehungen gegenüber
dem Initiator zu Grunde liegt, und dass sich daraus erhöhte Anforderungen an die Verwirklichung
einer Geschäftsverweigerung ergeben.
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
923. Die Beschwerdeführerinnen machen
geltend, dass ihnen ein Immaterialgüterrecht an den Schnittstelleninformationen zustehe.
924. Als
massgebliche Schnittstelleninformationen werden von ihnen die Daten zu den Schnittstellen der DCC-Terminals
bezeichnet.
925. Bei
Schnittstelleninformationen handle es sich nicht um öffentliche Güter, die zugänglich
gemacht werden müssten.
926. Die
Ansetzung von niedrigeren Anforderungen für eine Offenlegung von Schnittstelleninformationen als
bei immaterialgüterrechtlich geschützten Gütern sei nicht gerechtfertigt. Entgegen der
Ansicht der Vorinstanz würden auch keine nationalen oder internationalen Entscheide bestehen, welche
ein solches Vorgehen bestätigen würden. Insbesondere könne den Entscheiden in Sachen AT&T,
IBM und Microsoft keine
solche Aussage entnommen werden. Im Urteil Microsoft halte das
Gericht sogar ausdrücklich fest, dass die Frage, ob bei Schnittstelleninformationen geringere Anforderungen
zu stellen seien, keiner Beantwortung bedürfe, weil die Europäische Kommission den Test zur
Prüfung einer immaterialgüterrechtlichen Lizenzverweigerung angewandt habe. Ungeachtet dessen
sei die Faktenlage im Urteil Microsoft nicht vergleichbar, weshalb
es für die vorliegende Beurteilung nicht herangezogen werden könne.
927. Die
Ansicht der Vorinstanz würde auch dem Ansatz der Europäischen Kommission widersprechen, welche
es ausdrücklich abgelehnt habe, dass ein erleichterter Prüfungsmassstab für Schnittstellen
zur Anwendung gelange. Denn die Prioritätenmitteilung halte in Ziff. 78 folgendes fest: "Das
Konzept der Lieferverweigerung deckt eine grosse Bandbreite von Verhaltensweisen ab, so z.B. [...] die
Weigerung, eine Lizenz für Rechte an geistigem Eigentum zu erteilen, auch wenn diese Lizenz notwendig
ist, um Schnittstelleninformationen zur Verfügung zu stellen [...]."
928. Darüber
hinaus machen die Beschwerdeführerinnen geltend, dass es sich vorliegend keinesfalls um die blosse
Offenlegung von Schnittstellen handle, sondern dass damit eine Duplizierung bestehender Funktionen ermöglicht
werde. Entgegen der Behauptung der Vorinstanz führe die Offenlegung zu einer Kopie des Produkts
und nicht zur Entwicklung ergänzender Produkte. Denn mit der Offenlegung ginge zwingend einher,
dass die Wettbewerber ohne jedwede eigene Investition neue Produkte, Dienste und Funktionen der SIX-Gruppe
sofort kopieren könnten.
929. Im
vorliegenden Fall hätten die Terminalhersteller als Initiatoren gerade keine ergänzenden Produkte
zur DCC-Funktion der Card Solutions gewollt, sondern sie hätten unmittelbar selbst die identische
DCC-Funktion von Card Solutions anbieten wollen. Die Leistung der Initiatoren würde demnach nicht
über die Nachahmung schon bestehender Funktionen der Card Solutions hinausgehen, vielmehr sei sie
mit ihr identisch.
930. Im
Übrigen anerkenne die angefochtene Verfügung, dass es sich vorliegend um einen Fall der Zwangslizenzierung
von immaterialgüterrechtlich geschützten Rechtspositionen handle, weil sie die Frage der Sicherstellung
von Investitions- und Innovationsanreizen in Zusammenhang mit der Offenlegung der immaterialgüterrechtlich
geschützten Schnittstellen prüfe.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
931. Die Vorinstanz macht geltend, dass Schnittstelleninformationen
kein immaterialgüterrechtlicher Schutz zukomme und daher keine erhöhten Anforderungen hinsichtlich
ihrer Verfügbarkeit bestünden.
(3)
Würdigung durch das Gericht
932. Soweit
für das Primärprodukt eine immaterialgüterrechtliche Rechtsposition besteht, führt
dies gemäss der bestehenden Wettbewerbspraxis zu einer Differenzierung hinsichtlich der weiteren
Anforderungen an die Verwirklichung einer Geschäftsverweigerung. Der Differenzierung kommt daher
eine erhebliche Bedeutung für das jeweilige Gesamtergebnis der rechtlichen Beurteilung eines Sachverhalts
zu.
933. Fraglich ist aber, ob diese erhöhten
Anforderungen auch bei einer Interoperabilitätsverweigerung zur Anwendung gelangen.
(a)
Ausgangslage
934. Die
Befugnis des Inhabers eines Immaterialgüterrechts, Dritte von einer Nutzung oder einer sonstigen
Verwendung dieses Rechts ohne seine Zustimmung auszuschliessen und dadurch insbesondere eine Nachahmung
des auf dem Immaterialgüterrecht beruhenden Primärprodukts oder die Verwendung zur Entwicklung,
Herstellung und/oder zum Absatz von darauf aufbauenden Produkten zu verhindern, bildet die wesentliche
Substanz eines Immaterialgüterrechts (vgl. EuGH, EU:C:1988:477, Volvo,
Ziff. 8; EuGH, EU:C:1995:98, Magill, Ziff. 49; EuGH, EU:C:2004,
IMS Health, Ziff. 34; EuGH, EU:C:2015:477; Huawei,
Ziff. 46; Amstutz/ Carron, BSK-KG,
Art. 7 Rn. 148).
935. Die Weigerung zur Einräumung einer
Lizenz für die Nutzung des immaterialgüterrechtlich geschützten Primärprodukts stellt
daher als solche selbst unter Berücksichtigung des Angebots zur Zahlung von Lizenzgebühren
keine missbräuchliche Verhaltensweise eines marktbeherrschenden Unternehmens dar. Ansonsten würde
dem Inhaber des Immaterialgüterrechts gerade die Substanz seines Schutzrechts entzogen werden; dies
gilt auch für ein marktbeherrschendes Unternehmen (vgl. EuGH, EU:C:1988:477, Volvo,
Ziff. 8, Amstutz/Carron, BSK-KG,
Art. 7 Rn. 148).
936. Bei Bestehen einer immaterialgüterrechtlichen
Rechtsposition bedarf es demzufolge erhöhter Anforderungen an die Gründe für die Anerkennung
einer Kontrahierungspflicht zu Lasten des marktbeherrschenden Unternehmens, um im Einzelfall ein missbräuchliches
Verhalten feststellen zu können, als bei Fehlen einer solchen Position (EuGH, EU:C:1988:477, Volvo,
Ziff. 9; EuGH, EU:C:1995:98, Magill, Ziff. 50; EuGH, EU:C:2004,
IMS Health, Ziff. 34; zu den Besonderheiten eines standardessentiellen
Patents vgl. EuGH, EU:C:2015:477, Huawei, Ziff. 48 ff.; Amstutz/Carron,
BSK-KG, Art. 7 Rn. 148).
937. Bislang wurden durch die Wettbewerbspraxis
mit den Tatbestandsmerkmalen der Unerlässlichkeit des Einsatzguts und der Produktneuheit entsprechende
Anforderungen statuiert, die zusätzlich zu den anderen tatbestandsmässigen Voraussetzungen
einer Geschäftsverweigerung als besondere Tatbestandsmerkmale bei einer Lizenzverweigerung zu beachten
sind (vgl. E. 950
ff., 979,
1032
ff., 1040).
938. Umgekehrt sind die Anforderungen an die
besonderen Gründe für die Anerkennung einer Kontrahierungspflicht bei Vorliegen einer immaterialgüterrechtlichen
Rechtsposition nicht auf die sonstigen Fälle einer Geschäftsverweigerung auszudehnen, bei denen
eine solche immaterialgüterrechtliche Rechtsposition auf Seiten des marktbeherrschenden Unternehmens
nicht gegeben ist.
(b)
Interoperabilitätsverweigerung
939. Wie
dargelegt (vgl. E. 576)
kann für Schnittstellen nicht automatisch ein Urheberrecht geltend gemacht werden, weil sie die
Voraussetzungen der Werkqualität nicht ohne Weiteres erfüllen. Allerdings ist es auch nicht
völlig ausgeschlossen, dass im Einzelfall ein Urheberrecht an einer Schnittstelle besteht.
940. Dementsprechend wäre bei Schnittstelleninformationen
eine Differenzierung dahingehend vorzunehmen, ob ein Urheberrecht an den Schnittstellen im Ausnahmefall
besteht oder nicht gegeben ist. Dies würde zu einer unterschiedlichen Anwendung der Anforderungen
an eine Geschäftsverweigerung je nach Rechtscharakter der Schnittstellen im Einzelfall führen.
Hierbei müsste im Kartellverfahren regelmässig eine umfangreiche Abklärung der urheberrechtlichen
Vorfrage mit einem entsprechenden Aufwand vorgenommen werden.
941. Allerdings ist hierzu die Besonderheit
zu beachten, dass das Urheberrecht in Bezug auf den urheberechtlichen Schutzumfang von Schnittstellen
besondere Regelungen vorsieht. Denn der übliche urheberrechtliche Schutzumfang wird durch Art. 21
URG im Hinblick auf die Sicherstellung der Interoperabilität von Computerprogrammen gerade eingeschränkt
(vgl. E. 582
f.). Insoweit weisen das Urheberrecht und das Kartellrecht für EDV-Komponenten in offenen EDV-Systemen
den gleichen Schutzzweck auf, der für entsprechende Schnittstelleninformationen keinen Schutz vorsieht
(vgl. E. 610
ff.).
942. Vor diesem Hintergrund besteht keine sachgerechte
Veranlassung, die erhöhten Anforderungen an das Vorliegen einer Kontrahierungspflicht, die für
absolut geschützte immaterialgüterrechtliche Rechtspositionen begründet wurde, auch auf
Schnittstellen und Schnittstelleninformationen bei deren fehlender Mitteilung durch ein marktbeherrschendes
Unternehmen gegenüber Herstellern anderer EDV-Komponenten auszudehnen. Denn Schnittstellen(informationen)
liegt demzufolge nicht die gleiche Konzeption an Nutzungsberechtigung und möglicher Verwendungseinschränkung
des Rechtsinhabers wie sonstigen immaterialgüterrechtlich geschützten Gütern zu Grunde
(vgl. E. 860).
943. Das
Tatbestandsmerkmal der immaterialgüterrechtlichen Rechtsposition findet bei Interoperabilitätsverweigerungen
demzufolge keine Anwendung.
944. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 926,
925)
kommt dem Tatbestandsmerkmal der immaterialgüterrechtlichen Rechtsposition im vorliegenden Verfahren
keine Bedeutung zu, unabhängig davon, ob Schnittstelleninformationen als öffentliche Güter
zu qualifizieren sind.
945. Im Hinblick auf den Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 927),
wonach sich aus der Prioritätenmitteilung ergeben würde, dass die Europäische Kommission
eine Herabsetzung der Anforderungen gegenüber einer Lizenzverweigerung abgelehnt habe, ist auf verschiedene
Aspekte hinzuweisen. So kommt der Prioritätenmitteilung gemäss der Rechtsprechung der EU-Gerichte
keine Rechtsverbindlichkeit zu, weshalb die Prioritätenmitteilung eine verbindliche Beachtung von
Seiten der schweizerischen Wettbewerbsbehörden und Gerichte ebenfalls nicht erfordert. Darüber
hinaus ergäbe sich auch bei einer Differenzierung von urheberrechtlich geschützten und nicht
geschützten Schnittstelleninformationen für erstere aufgrund eines a majore ad minus-Schlusses
das gleiche Ergebnis. Wenn die Wettbewerbspraxis selbst bei einem komplexen Computerprogramm -
dessen Entwicklung und Betrieb grosses Know-how und erheblichen Aufwand erfordert - eine Verweigerung
der Mitteilung von dessen Schnittstelleninformationen als wettbewerbswidrige Lizenzverweigerung qualifiziert,
so müsste dies umso mehr für eine Verweigerung der Mitteilung der Schnittstelleninformationen
für ein einfaches Computerprogramm wie eine DCC-Funktion - das nach eigenem Bekunden der Beschwerdeführerinnen
in keiner Weise mit jenem Computerprogramm im Microsoft-Verfahren
zu vergleichen sei (vgl. E. 964)
- gelten.
946. Soweit die Beschwerdeführerinnen
im Übrigen einerseits eine Heranziehung der Entscheidungen der EU-Wettbewerbspraxis in Sachen Microsoft
wegen einer strukturellen Divergenz der jeweiligen Computerprogramme ablehnen (vgl. E. 964),
während sie im Rahmen ihrer Argumentationen andererseits gerade auf bestimmte einzelne Aspekte aus
den Begründungen dieser Entscheidungen abstellen, liegt ein Widerspruch ihrer Vorbringen vor.
947. Ungeachtet dessen ist in diesem Zusammenhang
auf folgenden Umstand hinzuweisen. Die Europäische Kommission hat im Verfahren Microsoft
ausdrücklich festgestellt, dass eine Abklärung der immaterialgüterrechtlichen Rechtsposition
nicht erforderlich gewesen sei, weil dem Aspekt, ob die Schnittstelleninformationen immaterialgüterrechtlich
geschützt gewesen seien oder nicht, keine entscheidungserhebliche Bedeutung zukommen würde
(EuG, EU:T:2007:289, Microsoft, Ziff. 288). Vor diesem Hintergrund
ist davon auszugehen, dass (i) die Europäische Kommission sich nicht abschliessend mit diesem Sachpunkt
auseinandergesetzt hat und (ii) eine Lizenzverweigerung auch bei Anerkennung des urheberrechtlichen Schutzes
für Schnittstellen verwirklicht wird.
948. Wie an anderer Stelle dargelegt wurde
(vgl. E. 638
ff.), sind die wiederkehrenden Behauptungen der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 928;
929),
die anderen Terminalhersteller hätten nur eine Kopie der DCC-Funktion der Card Solutions herstellen
und damit lediglich eine Duplizierung bereits bestehender Funktionen vornehmen wollen, sachlich unzutreffend
und daher unbeachtlich. Auch die Massgeblichkeit der DCC-Schnittstellen der Akzeptanz-Plattform der SIX-Gruppe
und nicht jener der DCC-Terminals der Card Solutions, wie von den Beschwerdeführerinnen behauptet
(vgl. E. 924),
wurde bereits an anderer Stelle dargelegt (vgl. E. 638
ff.).
949. Der Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 930),
wonach sich die Anerkennung einer Zwangslizensierung der immaterialgüterrechtlich geschützten
Rechtsposition aus der Prüfung eines Investitionsschutzes in der angefochtenten Verfügung ableiten
lasse, ist schon deshalb unerheblich, weil diesem Aspekt keine entscheidungserhebliche Bedeutung zukommt,
wie an anderer Stelle dargelegt wird (vgl. E. 765
ff.).
h)
Unerlässlichkeit des Einsatzguts
950. Beurteilungsgegenstand
des besonderen Tatbestandsmerkmals der Unerlässlichkeit des Einsatzguts bildet die Notwendigkeit
des Erhalts eines Primäprodukts oder eines mit dessen Nutzung in Zusammenhang stehenden sonstigen
Guts im Rahmen der Geschäftsbeziehung durch den Initiator zur Verwendung bei einer von ihm vorgesehenen
wirtschaftlichen Betätigung.
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
951. Die Beschwerdeführerinnen machen
verschiedene allgemeine und spezifische Aspekte geltend, welche der Verwirklichung des Tatbestandsmerkmals
der Unerlässlichkeit eines Einsatzguts entgegenstehen würden.
952. In
allgemeiner Hinsicht sei zu beachten, dass die Unerlässlichkeit des Inputs ein zwingendes Merkmal
zur Verwirklichung einer Geschäftsverweigerung darstelle. Die Verweigerung der Geschäftsbeziehung
müsse ausnahmslos ein Produkt betreffen, welches für die Ausübung der wirtschaftlichen
Tätigkeit auf dem vor- oder nachgelagerten Markt notwendig sei.
953. Dies
ergäbe sich schon aus der Botschaft, welche klarstelle, dass ein Kontrahierungszwang nur dann bestehen
könne, wenn ein Unternehmen "als einziges über Einrichtungen verfügt, die zur Erbringung
von bestimmten Dienstleistungen oder zur Herstellung von bestimmten Produkten unerlässlich sind".
Die angefochtene Verfügung versuche, diesen Ansatz des Gesetzgebers genau in das Gegenteil zu verkehren.
Hierbei nehme die Vorinstanz die gegenteiligen Ansichten in der Literatur nicht zur Kenntnis oder zitiere
diese falsch.
954. Ein
Gut, das lediglich hilfreich für die Ausübung sei oder das lediglich nachgeahmt werden solle,
könne einen Kontrahierungszwang demnach von vornherein nicht rechtfertigen.
955. Zudem
sei die Entscheidungspraxis der europäischen Gerichte bezüglich der Vorhersehbarkeit bei der
Verweigerung von Geschäftsbeziehungen eindeutig. Voraussetzung hierfür sei, dass das betreffende
Verhalten geeignet sei, jeglichen Wettbewerb durch dieses Unternehmen auszuschliessen. Hinsichtlich immaterialgüterrechtlicher
Lizenzen sei ausdrücklich festgestellt worden, dass auch ein marktbeherrschendes Unternehmen grundsätzlich
keine Verpflichtung zur Einräumung einer Lizenz treffe, dass aber im Einzelfall aufgrund besonderer
Umstände eine solche Verpflichtung entstehen könne. Als besonderer Umstand sei dabei die Unentbehrlichkeit
der immaterialgüterrechtlichen Leistung für die Vornahme von Marktaktivitäten der Wettbewerber
qualifiziert worden.
956. Die
Annahme der Vorinstanz, dass ein Input nicht erst dann als notwendig gelte, wenn es ohne den Input zum
Marktaustritt komme, widerspreche der schweizerischen und der EU-Wettbewerbspraxis.
957. Die Gefahr eines Marktaustritts habe zu
keinem Zeitpunkt bestanden. Die Behauptung von Jeronimo, der verlorene Anteil an Kunden wäre enorm,
sei von der Vorinstanz einfach übernommen worden, ohne dass die Plausibilität und das tatsächliche
Vorliegen überprüft und nachgewiesen worden seien. Jeronimo bzw. deren Unternehmensgruppe würde
gemäss Protokoll der Anhörung ihres Geschäftsführers jährlich weltweit ca. 150´000
Zahlungskartenterminals verkaufen. Angesichts dieser Zahlen hätte nicht mit einem Marktaustritt
gerechnet werden müssen. Letztlich seien nur 1,8% der Verkäufe effektiv vom Vorwurf betroffen
gewesen, sodass kein Risiko eines Marktaustritts bestanden habe. Die Behauptung, dass die Anzeigestellerin
in Zusammenhang mit der DCC-Funktion wichtige Kunden verloren habe, sei tatsachenwidrig. Auch die Behauptung,
dass eine Sättigung von Zahlungskartenterminals mit DCC-Funktion bestehen könnte, sei nicht
weiter nachgewiesen und aus dem Recht zu weisen. Die Erhebungen der Beschwerdeführerinnen zeigten
vielmehr, dass aktuell jeweils immer noch ca. 2´000 Zahlungskartenterminals in Zusammenhang mit
dieser Funktion verkauft würden.
958. In
jedem Fall stehe die Konstruktion der angefochtenen Verfügung, wonach die blosse Teilfunktion eines
Produkts, welches seinerseits den relevanten Markt bilde, dennoch Gegenstand einer unzulässigen
Geschäftsverweigerung sein könne, selbst wenn diese Teilfunktion für die Teilnahme an
diesem Markt nicht notwendig sei, in Widerspruch zur schweizerischen und EU-Wettbewerbspraxis.
959. Da die DCC-Funktion nur einen Teilaspekt
eines ep2-Terminals als Gesamtprodukt darstelle, könne ihre Notwendigkeit für das Gerät
nicht bejaht werden.
960. Die
angefochtene Verfügung habe keinen sachlich relevanten Markt für DCC-Terminals definiert. Der
vorliegend allein relevante nachgelagerte Markt sei der Markt für ep2-Terminals. Somit seien sämtliche
ep2-Terminals Substitute innerhalb des relevanten Markts. Die Feststellung der Vorinstanz, wonach der
Input der Beschwerdeführerinnen notwendig gewesen sei, weil auf dem nachgelagerten Markt kein Substitut
bestanden habe, sei demnach unzutreffend.
961. Massgebend für die objektive Notwendigkeit
des angeblich fehlenden Inputs sei allein, ob dieser den Herstellern von ep2-Terminals verunmöglicht
habe, weiterhin im relevanten Markt der ep2-Terminals Verkäufe zu tätigen. Anders als in der
angefochtenen Verfügung angeführt, sei demgegenüber die Verweigerung von Schnittstelleninformationen,
welche ihrerseits für die Entwicklung von DCC-Terminals notwendig gewesen wären, nicht massgebend.
962. Die DCC-Funktion von Card Solutions sei
bereits deshalb nicht unerlässlich gewesen, weil die anderen Terminalhersteller ansonsten gar keine
Verkäufe von Zahlungskartenterminals mit einer DCC-Funktion hätten vornehmen können. Der
Geschäftsführer von Jeronimo habe anlässlich seiner Anhörung aber bestätigt,
dass den Kunden im Verbund mit Aduno die DCC-Funktion angeboten worden sei. Die Händler hätten
von dieser Wahlmöglichkeit auch Gebrauch gemacht und einen Wechsel zu Jeronimo/Aduno vollzogen.
963. Zudem
bestreiten die Beschwerdeführerinnen die generelle Unerlässlichkeit von Schnittstelleninformationen
unter Verweis auf die Möglichkeit der anderen Terminalhersteller, eine (partielle) Dekompilierung
gemäss Art. 21
URG und Art. 17 Abs. 3
URV vornehmen zu können, um an die jeweiligen Daten zu
gelangen. Ein Unternehmen, welches Schnittstelleninformationen erlangen möchte, könne sich
nicht einfach auf das Kartellgesetz berufen, um so die urheberrechtliche Regelung und den damit verbundenen
Dekompilierungsaufwand zu umgehen. Der Gesetzgeber habe mit diesen Regelungen offensichtlich sicherstellen
wollen, dass auch das Drittunternehmen einen gewissen Mindestaufwand auf sich nehme, und nicht lediglich
eine technische Reproduktion des Arbeitsergebnisses eines Urhebers erstelle. Die Vorinstanz habe bereits
die entsprechende Prüfung der tatsächlichen Möglichkeiten und Schwierigkeiten sowie die
sich daraus ergebende Zumutbarkeit einer Dekompilierung einschliesslich der Einholung einer hierfür
notwendigen technischen Beurteilung unterlassen.
964. Der
blosse Verweis der Vorinstanz auf das Microsoft-Urteil des Europäischen
Gerichts zur Begründung der fehlenden Notwendigkeit einer Dekompilierung wirke nicht entlastend,
weil es sich bei jenem Fall um hochkomplexe Softwareprodukte gehandelt habe, die keinesfalls mit der
hier vorliegenden DCC-Funktion verglichen werden könnten.
965. Die
Verfahrensweise der Vorinstanz führe dazu, dass der Anwendungsbereich des Urheberrechtsgesetzes
und damit eines gleichrangigen Bundesgesetzes de facto und contra legem ausser Kraft gesetzt werde.
966. Die erforderliche Prüfung und der
Nachweis, dass die DCC-Schnittstelle für den Verkauf von ep2-Terminals notwendig sei, seien durch
die angefochtene Verfügung nicht vorgenommen und erbracht worden. Die Frage der Notwendigkeit des
Inputs bleibe daher völlig offen.
967. Zuletzt
belege auch das Verhalten der Anzeigestellerin und der weiteren Terminalhersteller im Nachgang zur Lizenzierung
der Schnittstelle, dass offenbar keine wirkliche Dringlichkeit vorgelegen habe. Denn so habe Jeronimo
sich zwei Jahre Zeit gelassen, um die DCC-Funktion in ihren ep2-Terminals zu implementieren. Jeronimo
habe selbst bestätigt, dass die Realisierung einer DCC-Lösung mit Multipay nicht mehr prioritär
gewesen sei, weil sich Jeronimo bereits auf andere Kartenakquisiteure ausgerichtet habe. Die Erklärung
von Jeronimo, das blosse Inaussichtstellen der DCC-Funktion habe bereits ausgereicht, um ein Abwandern
der Kunden zu verhindern, sei eine reine Schutzbehauptung, die von der Vorinstanz noch nicht einmal
auf
ihre Plausibilität überprüft worden sei. Denn bei realistischer Betrachtung der Geschäftswelt
hätte kein Kunde von Jeronimo akzeptiert, dass eine notwendige Funktionalität nur angekündigt
und daraufhin erst zwei Jahre später umgesetzt werde.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
968. Gemäss
Vorinstanz ist ein Input dann als notwendig anzusehen, wenn es auf dem nachgelagerten Markt kein Substitut
gebe, das die Wettbewerber verwenden könnten, um die negativen Folgen der Verweigerung wenigstens
langfristig aufzufangen. Jedoch sei nicht erforderlich, dass ohne den verweigerten Input kein Wettbewerber
in der Lage wäre, auf dem nachgelagerten Markt zu überleben oder in diesen einzutreten.
969. Im vorliegenden Fall seien den anderen
Terminalherstellern die DCC-Schnittstelleninformationen verweigert worden. Diese Schnittstelleninformationen
hätten die Voraussetzung für die Entwicklung von Zahlungskartenterminals gebildet, die kompatibel
seien mit der DCC-Funktion, welche den Händlern von Multipay zur Verfügung stehe.
970. Die theoretische Möglichkeit, die
Schnittstelleninformationen auf dem Weg der Dekompilierung zu erhalten, bilde keine Alternative zu deren
Offenlegung. Die Europäische Kommission habe im Verfahren Microsoft
dargelegt, dass die Interoperabilität von Produkten, welche auf der Grundlage einer Dekompilierung
entwickelt worden seien, nicht dauerhaft sichergestellt sei. Hinzu komme, dass sich der notwendige Input
nicht in der Offenlegung der Schnittstellen erschöpfe. Denn es sei darüber hinaus notwendig,
dass der Kartenakquisiteur die DCC-Funktion auf den Zahlungskartenterminals der Drittanbieter zulasse
und unterstütze. Dies bedeute, dass der Input notwendigerweise durch Multipay/Card Solutions erfolgen
müsse.
971. Des Weiteren kommt die Vorinstanz zum
Ergebnis, dass für die Terminalhersteller die DCC-Fähigkeit ihrer Zahlungskartenterminals bei
anderen Kartenakquisiteuren auch in einer längerfristigen Perspektive kein Substitut zur DCC-Fähigkeit
bei Multipay bilde. Auch das Verhalten von Jeronimo nach der Offenlegung der Schnittstelleninformationen
könne nicht als Hinweis für eine "fehlende Unerlässlichkeit" dienen. Jeronimo
habe vielmehr diverse Gründe für ihre Verzögerung bei der Realisierung der DCC-Lösung
angegeben. Folglich könne festgehalten werden, dass die Offenlegung der Schnittstelleninformationen
und die Unterstützung der DCC-Funktion durch Multipay für die Terminalhersteller notwendige
Inputs dargestellt hätten, die nicht hätten substituiert werden können.
(3)
Würdigung durch das Gericht
972. Angesichts der Notwendigkeit einer prinzipiellen
Gesamtwürdigung (vgl. E. 796
f.) werden von der Wettbewerbspraxis und in der Literatur im Rahmen einer rechtlichen Beurteilung des
Tatbestandsmerkmals der Unerlässlichkeit unterschiedliche Aspekte berücksichtigt. Diese sind
aber nur teilweise im Rahmen einer Prüfung des Merkmals der Unerlässlichkeit, teilweise aber
erst im Rahmen einer Prüfung des Merkmals der Wettbewerbsverfälschung zu berücksichtigen.
Für eine Detailbetrachtung der Einwände der Beschwerdeführerinnen sind daher zunächst
die grundlegenden Begriffsmerkmale und Voraussetzungen abzugrenzen.
973. Zum einen steht im Hinblick auf den Einsatzbereich
des Merkmals der Unerlässlichkeit in Frage, ob dieses eine Voraussetzung für alle oder nur
für bestimmte Missbrauchsvarianten einer Geschäftsverweigerung bildet. Im letzteren Falle wäre
ergänzend zu bestimmen, ob und inwieweit das Merkmal der Unerlässlichkeit bei der Missbrauchsvariante
der Interoperabilitätsverweigerung zur Anwendung gelangt.
974. Zum anderen sind die inhaltlichen Anforderungen
des Merkmals der Unerlässlichkeit bei einer allfälligen Anwendung für einzelne Missbrauchsvarianten
festzustellen. Dabei ist der Grad der Unerlässlichkeit im Hinblick daraufhin zu bestimmen, welche
Anforderungen an die Möglichkeit einer Substitution des Einsatzguts durch Alternativgüter bestehen
und in welchem Ausmass der Initiatoren dementsprechend auf den Erhalt des Einsatzguts angewiesen ist.
975. Darüber hinaus sind die Auswirkungen
bei einer fehlenden Möglichkeit zur Substitution des Einsatzguts und das Ausmass der sich daraus
jeweils ergebenden nachteiligen Einwirkung auf den Wettbewerb zu berücksichtigen. Diese Aspekte
bilden allerdings nicht den Gegenstand des Tatbestandsmerkmals der Unerlässlichkeit, sondern des
Tatbestandsmerkmals der Wettbewerbsverfälschung, welches anschliessend einer Prüfung unterzogen
wird (vgl. E. 1115
ff.).
(a)
Einsatzbereich
976. Der
Gesetzgeber hat das Merkmal der Unerlässlichkeit entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 953)
nicht als zwingende Voraussetzung der Verwirklichung einer Geschäftsverweigerung vorgesehen. Einer
entsprechenden Annahme steht bereits der Wortlaut von Art. 7 Abs. 2 lit. a
KG entgegen, der dieses
Kriterium gerade nicht statuiert. Darüber hinaus führt die Botschaft zum Kartellgesetz 1995
Folgendes aus: "Ein rechtlicher oder faktischer Kontrahierungszwang ist etwa dann gegeben, wenn
ein Unternehmen ein öffentlich-rechtliches Monopol besitzt oder wenn es als einziges über Einrichtungen
verfügt, die zur Erbringung bestimmter Dienstleistungen oder zur Herstellung bestimmter Produkte
unerlässlich sind" (Botschaft KG 1995, 571). Das Merkmal
der Unerlässlichkeit wird demzufolge nicht allgemein mit der Geschäftsverweigerung in Beziehung
gesetzt, sondern nur mit der Missbrauchsvariante der Zugangsverweigerung, welche wiederum auch nur als
eines von zwei Beispielen für das Bestehen von Kontrahierungspflichten herangezogen wird. Von Seiten
des Gesetzgebers wird daher keinesfalls ausgeschlossen, dass eine Geschäftsverweigerung auch dann
verwirklicht werden kann, wenn eine andere Sachverhaltskonstellation vorliegt, welche das Merkmal der
Unerlässlichkeit nicht vorsieht. Dies wird auch dadurch ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit Art.
7
KG eine Anlehnung an die Missbrauchsvorschrift des EU-Wettbewerbsrechts herstellen wollte (vgl. E.
512),
und Letzteres das Merkmal der Unerlässlichkeit nicht für alle Missbrauchsvarianten vorsieht,
wie nachfolgend aufgezeigt wird.
977. Bei der Missbrauchsvariante einer Zugangsverweigerung
bildet das Merkmal der Unerlässlichkeit sowohl gemäss überwiegender Wettbewerbspraxis
als auch nach herrschender Ansicht in der Literatur eine notwendige Voraussetzung für deren Verwirklichung
(vgl. BGE 139 II 316, Etivaz, E. 6.1; BGE 129 II 497, EEF,
E. 6.5.1, "Encore faut-il que les concurrents n'aient aucune solution de remplacement";
EuG, EU:T:2009:317, Clearstream, Ziff. 147, 149; EuGH, EU:C:1998:559,
Bronner, Ziff. 41 f.; Amstutz/Carron,
BSK-KG, Art. 7 Rn. 125; Dähler/Krauskopf/Stre-bel,
Marktpositionen, Rn. 8.84; Weber/Volz,
FHB-WBR, Rn. 2.599; a.A. Weko,
RPW 2016/4, 920, Sport im Pay-TV, Ziff. 627, wonach einerseits
zwar ein Input als notwendig anzusehen sei, wenn es für den nachgelagerten Markt kein Substitut
gebe, welches die Wettbewerber verwenden könnten, um die negativen Folgen der Verweigerung wenigstens
langfristig aufzufangen, dies aber andererseits nicht bedeuten soll, dass ohne den verweigerten Input
kein Wettbewerber in der Lage wäre, auf dem nachgelagerten Markt zu überleben; ebenso Weko,
RPW 2014/1, 215, Swatch Group Lieferstopp, Ziff. 319 f.; zustimmend
Stäuble/Schraner, Dike-KG,
Art. 7 Rn. 238 f., wonach die Unerlässlichkeit auf die Fähigkeit "wirksam konkurrieren
zu können", nicht aber auf die vollständige Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit einer
Tätigkeit auf dem nachgelagerten Markt ausgerichtet sei).
978. Die Unerlässlichkeit bezieht sich
dabei auf das Einsatzgut als Objekt der Geschäftsbeziehung. Dabei überschneidet sich der Inhalt
des Merkmals allerdings mit demjenigen des Kriteriums der Wesentlichkeit einer Einrichtung. Die Wesentlichkeit
einer Einrichtung ergibt sich aufgrund von deren Alleinstellung, weil es sich hierbei um eine rechtlich,
faktisch oder ökonomisch nicht oder nur schwer duplizierbare Einrichtung handelt (vgl. E. 851
f.). Aufgrund dieser Alleinstellung folgt aber sachlogisch, dass die wesentliche Einrichtung als Einsatzgut
für eine vorgesehene Nutzung auf einem vor- oder nachgelagerten Markt auch ohne Weiteres notwendig
ist (vgl. EuGH, EU:C:1998:559, Bronner, Ziff. 41 f.; EuG, EU:T:2009:317,
Clearstream, Ziff. 146, 149: "wonach Clearstream aufgrund
ihrer faktischen Monopolstellung ein unerlässlicher Handelspartner auf dem Markt für primäre
Abrechnungsdienstleistungen im Wertschriftenhandel war [...], weshalb der Zugang zu ihr unerlässlich
war für die Erbringung von sekundären Abrechnungsdienstleistungen im Wertschriftenhandel").
Die Begriffe "unerlässlich" und "wesentlich" bilden letztlich zwei Kehrseiten
der gleichen Medaille (im Ergebnis so bereits EuG, EU:T:1998:198, European
Night Services, Ziff. 208: "[...] da sie unerlässlich seien, oder wie die Parteien
in ihren Schriftsätzen und der mündlichen Verhandlung erörtert haben, wesentliche Infrastrukturen
darstellten [...]", sowie Ziff. 209: "[...] im Besitz von für den Zugang zum relevanten
Markt "unerlässlichen" oder "wesentlichen" Infrastrukturen, Erzeugnissen
oder Dienstleistungen, wenn diese nicht austauschbar sind [...]"). Nur wenn die Anforderungen an
die Wesentlichkeit und damit an die Alleinstellung der Einrichtung im Rahmen der Prüfung einer Geschäftsverweigerung
herabgesetzt würden, ergäbe sich die Notwendigkeit für eine zusätzliche Abgrenzung,
in welchen Fällen die Nutzung auch tatsächlich notwendig und damit die Unerlässlichkeit
gegeben wäre. Ansonsten kommt dem Tatbestandsmerkmal der Unerlässlichkeit kein selbständiger
Anwendungsbereich zu, der inhaltlich über die Wesentlichkeit der Einrichtung hinausreicht. Regelmässig
erfolgt denn auch keine getrennte Untersuchung sowohl der Wesentlichkeit der Einrichtung als auch der
Unerlässlichkeit des Einsatzguts (vgl. HGer Kt. Aargau,
RPW 2004/4, 1203, Swiss Football League, Ziff. 3.2.2). Vielmehr
ergibt sich die Notwendigkeit des Zugangs für eine entsprechende wirtschaftliche Betätigung
aufgrund einer singulären und nicht einer kumulativen Betrachtung (vgl. BGE 129 II 497, EEF,
6.5.2, "[...] refuse, sans raisons justificatives objectives, de donner accès, contre
une rémuneration adéquate, à ses réseaux ou à d'autres infrastructures
à une autre entreprise, dès lors que, sans cet accès, celle-ci ne serait pas en mesure,
pour des motifs de fait ou de droit, d'exercer une activité sur le marché situé
en aval [...]). Dementsprechend überlagern sich teilweise sogar die jeweiligen Begriffserläuterungen
zur Wesentlichkeit der Einrichtung und der Unerlässlichkeit des Einsatzguts (vgl. Weko,
RPW 2014/1, 117, Verbändevereinbarung Erdgas Schweiz, Ziff.
106: "Der Zugang zu einer Einrichtung ist dann als notwendig anzusehen, wenn es kein tatsächliches
oder potenzielles Substitut gibt, das die Wettbewerber für eine Tätigkeit auf dem besagten
Markt verwenden könnten, um die negativen Folgen der Verweigerung wenigstens langfristig aufzufangen",
sowie Weko, RPW 2016/4, 920, Sport
im Pay-TV, Ziff. 627: "Ein Input ist vielmehr dann als notwendig anzusehen, wenn es für
den nachgelagerten Markt kein Substitut gibt, das die Wettbewerber verwenden könnten, um die nachteiligen
Folgen der Verweigerung wenigstens langfristig aufzufangen [z.B. durch Duplizierung des Inputs]").
979. Bei
der Missbrauchsvariante einer Lizenzverweigerung bildet das Merkmal der Unerlässlichkeit nach der
Wettbewerbspraxis und nach Ansicht der Literatur ebenfalls eine notwendige Voraussetzung für deren
Feststellung (vgl. EuGH, EU:C:1995:98, Magill, Ziff. 52; EuGH,
EU:C:2004:257, IMD Health, Ziff. 42; Amstutz/Carron,
BSK-KG, Art. 7 Rn.148; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 7 Rn. 256; Weber/Volz,
FHB-WBR, Rn. 2.614).
980. Hierbei besteht eine gewisse inhaltliche
Überschneidung zwischen dem Merkmal der Unerlässlichkeit und den weiteren Anforderungen einer
Lizenzverweigerung. Die Unerlässlichkeit bezieht sich auf das Einsatzgut als Objekt der Geschäftsbeziehung,
wobei diesem aufgrund eines zu Grunde liegenden Immaterialgüterrechts als Primärprodukt eine
Alleinstellung zukommt (vgl. E. 932
ff.). Gleichzeitig setzt die Lizenzverweigerung die Bereitstellung eines besonderen Vorteils für
die Konsumenten in Gestalt einer Produktneuheit voraus (vgl. E. 1038
ff.). Aus der Alleinstellung des immaterialgüterrechtlich geschützten Primärprodukts folgt
zwar regelmässig, nicht aber zwingend, dass es als Einsatzgut für die Herstellung einer Produktneuheit
auf einem anderen Markt auch notwendig ist. Bei der Lizenzverweigerung verbleibt daher für das Merkmal
der Unerlässlichkeit eine eigenständige inhaltliche Bedeutung.
981. Bei der Missbrauchsvariante eines Lieferabbruchs
sieht die Wettbewerbspraxis das Kriterium der Unerlässlichkeit des Einsatzguts für die Verwirklichung
des Tatbestands hingegen nicht vor. Vielmehr wird dabei allein das Fehlen von sachlich angemessenen Gründen
zur Beendigung der Lieferbeziehung für eine Verwirklichung des Tatbestands vorausgesetzt (vgl. EuGH,
EU:C:2008:504, Glaxo, Ziff. 34, 49, unter Verweis auf die Urteile
in Sachen Commercial Solvents, EuGH, EU:C:1974:18, Ziff. 25,
und United Brands, EuGH, EU:C:1978:22, Ziff. 182/183, wobei der
Lieferabbruch in Bezug zu den Missbrauchsformen einer Einschränkung des Absatzes sowie einer Diskriminierung
gesetzt wird; Weko, RPW 2005/1, ETA,
128, Ziff. 131). Denn mangels ausreichender und sachlich angemessener Gründe für die Einstellung
einer Belieferung ist ein Lieferabbruch ausschliesslich auf die Verstärkung einer marktbeherrschenden
Stellung ohne den Einsatz von Leistungswettbewerb und damit auf deren missbräuchliche Ausnutzung
ausgerichtet (vgl. EuGH, EU:C:2008:504, Glaxo, Ziff. 50). Hingegen
ist in diesem Zusammenhang der Aspekt des Fehlens einer tatsächlich bestehenden und/oder zumutbaren
alternativen Bezugsmöglichkeit für das Einsatzgut nicht von Bedeutung.
982. In der Literatur werden hierzu unterschiedliche
Ansichten vertreten. Während einerseits in Übereinstimmung mit der Wettbewerbspraxis auf das
Merkmal der Unerlässlichkeit verzichtet wird (vgl. Dähler/Kraus-kopf/Strebel,
Marktpositionen, Rn. 8.81; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 7 Rn. 212; Bechtold/Bosch/Brinker,
EU-Kartellrecht, Art. 102 Rz. 48; Bulst,
LB-EUKR, Art. 102 Rn. 262; Immenga/Mestmäcker,
EUWBR, § 19 Rn. 47 ff.; Schröter/Bartl,
SJKM-EUWBR, Art. 102 Rn. 275; Wirtz
Markus M., in: Mäger [Hrsg.], Europäisches Kartellrecht, 2. Aufl. 2011, zit. Kartellrecht;
6C Rn. 107 ff.), wird es andererseits in Abweichung zur Wettbewerbspraxis auch im Rahmen eines Lieferabbruchs
vorausgesetzt (vgl. Amstutz/Carron, BSK-KG,
Art. 7 Rn. 138; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rz. 2.588; differenzierend Clerc/Këllezi, CR-Concurrence,
Art. 7 II Rn. 34 f., 44, nach denen das Merkmal bei einem Lieferabbruch allerdings weniger strikt zur
Anwendung gelangen soll).
983. Auch bei der Lieferverweigerung bildet
das Kriterium der Unerlässlichkeit nach der Wettbewerbspraxis keine zwingende Voraussetzung, weil
sich die Beurteilung auch hier am Vorliegen von ausreichenden sachlich angemessenen Gründen ausrichtet
(vgl. EuGH, EU:C:1986:421, British Leyland, Ziff. 12 ff.; EU-Kom,
ABl. 1992 L 96/34, British Midland, Ziff. 26 f., wonach es ausreichend
war, dass es sich bei der intendierten Geschäftsbeziehung um eine im Geschäftszweig lang geübte
Gepflogenheit handelte; EuG, EU:T:1991:70, Hilti, Ziff. 100, wonach
die verfolgte Strategie einschliesslich der festgestellten Lieferverweigerungen kein rechtmässiges
Mittel des Wettbewerbs darstelle; Weko, RPW 2001/1, 95,
Intensiv, Ziff. 50, wobei die Beliebtheit der Produkte zur Charakterisierung
als notwendige Vertriebsware führte, was wiederum ein Grund für die Ablehnung eines ausreichenden
Rechtfertigungsgrunds für die Lieferverweigerung war). Mangels einer vorbestehenden Geschäftsbeziehung
erlangt das Kriterium der Angewiesenheit eines Marktteilnehmers auf den Erhalt des Einsatzguts faktisch
allerdings regelmässig eine gewisse Bedeutung für die Abwägung zwischen der unternehmerischen
Freiheit des marktbeherrschenden Unternehmens und der Ermöglichung von Wettbewerb durch einen Marktteilnehmer
zur Sicherstellung eines ausreichenden Wettbewerbs auf dem Primär- oder Sekundärmarkt (vgl.
EU-Kom, Prioritätenmitteilung,
Ziff. 84, wonach ein Lieferabbruch regelmässig eher als missbräuchlich zu qualifizieren sei
als eine Lieferverweigerung).
984. In der Literatur wird das Kriterium der
Unerlässlichkeit einerseits nicht als zwingende Voraussetzung einer Lieferverweigerung qualifiziert
(vgl. Dähler/Krauskopf/Strebel, Marktpositionen,
Rn. 8.81; Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht,
Art. 102 Rz. 48; de Bronett Georg-Klaus, in: Wiedemann [Hrsg.],
Handbuch des Kartellrechts, 3. Aufl. 2016, zit. W-HdKR, §
22 Rn. 78; Immenga/Mestmäcker, EUWBR,
§ 19 Rn. 47 ff.; Schröter/Bartl, SJKM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 280; Wirtz, Kartellrecht;
6C Rn. 110 f.) und andererseits ausdrücklich vorausgesetzt (Amstutz/Carron,
BSK-KG, Art. 7 Rn. 138; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 7 Rn. 207; Weber/Volz,
FHB-WBR, Rz. 2.588; Clerc/Këllezi,
CR-Concurrence, Art. 7 II Rn. 24 f. und 44; Bulst,
LB-EUKR, Art. 102 Rn. 285). Zudem wird teilweise geltend gemacht,
dass bei einer Lieferverweigerung oder einem Lieferabbruch auf der Nachfrageseite, bei denen einem Initiator
der Absatz an ein marktbeherrschendes Unternehmen verwehrt bleibe, das Merkmal der Unerlässlichkeit
keine Anwendung finden könne und allein auf die Wettbewerbsverfälschung aufgrund der nachteiligen
Einwirkung und allfällige sachliche Rechtfertigungsgründe abzustellen sei (vgl. Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 7 Rn. 208).
985. Eine übereinstimmende Ansicht in
Wettbewerbspraxis und Literatur zur zwingenden Anwendung des Tatbestandsmerkmals der Unerlässlichkeit
für alle Missbrauchsvarianten einer Geschäftsverweigerung besteht demzufolge nicht. Infolgedessen
ergibt sich auch keine strukturelle Vorgabe zur Anwendung des Tatbestandsmerkmals der Unerlässlichkeit
im Rahmen der Prüfung einer Interoperabilitätsverweigerung.
986. Der
Einwand der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 952
f.), wonach das Merkmal der Unerlässlichkeit gemäss Wettbewerbspraxis und Literatur die zwingende
Voraussetzung einer Geschäftsverweigerung darstelle, sowie die damit zusammenhängenden Argumentationen
sind demzufolge unzutreffend und für die vorliegende Beurteilung unbeachtlich.
987. Im
Übrigen ist mit Bezug auf den Einwand der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 953),
wonach die Vorinstanz in der angefochtenen Verfügung Fundstellen falsch zitiert habe, darauf hinzuweisen,
dass auch die Mehrzahl der von ihnen aufgeführten Verweise in der Sache unzutreffend sind, weil
sich diese Fundstellen lediglich auf eine Zugangs- oder Lizenzverweigerung beziehen.
(b)
Inhalt
988. Inhalt und Umfang des Tatbestandsmerkmals
der Unerlässlichkeit betreffen den Aspekt, welches Ausmass an Möglichkeiten für eine Substitution
des Einsatzguts durch Alternativgüter noch bestehen darf, damit eine Nutzung des Einsatzguts als
unverzichtbar zu qualifizieren ist.
989. Die Wettbewerbspraxis hat zunächst
eine strenge formale Abgrenzung des massgeblichen Ausmasses vorgenommen, um sie in der Folge in weiteren
Entscheiden inhaltlich deutlich zu lockern.
990. Danach muss das Einsatzgut für die
Ausübung der Tätigkeit des Initiators in dem Sinne unentbehrlich sein, dass kein tatsächlicher
oder potenzieller Ersatz für das Einsatzgut vorhanden ist (vgl. EuGH, EU:C:1998:559, Bronner,
Ziff. 41; a.A. einschränkend Gohari Ramin Silvan, Verweigerung
von Geschäftsbeziehungen, 2017, zit. Verweigerung, 591 ff.,
wonach das Merkmal der Unerlässlichkeit für alle Missbrauchsvarianten einer Geschäftsverweigerung
ausschliesslich auf den Zugang eines objektivierten, zureichend effizienten Marktteilnehmers zu einer
bestimmten Ressource, mittels derer eine Innovationsleistung zwecks Befriedigung bislang unberücksichtigter
Konsumentenpräferenzen erbracht werden müsse, ausgerichtet sein soll).
991. Dabei ist allerdings eine Unterscheidung
zwischen gleichwertigen und nicht gleichwertigen Alternativen vorzunehmen (vgl. EuG, EU:T:2007:289, Microsoft,
Ziff. 374, 435, wonach das Erfordernis der Unverzichtbarkeit gegeben war, weil Alternativen nicht den
gleich hohen Interoperabilitätsgrad hätten herbeiführen können; EuG, EU:T:2009:317,
Clearstream, Ziff. 147 f., 152, wonach ein möglicher
indirekter Zugang gegenüber einem direkten Zugang mit gewissen Nachteilen - wie knapperen
Fristen, grösserem Risiko, höheren Kosten und möglichen Interessenkonflikten - verbunden
gewesen wäre und daher nicht als Substitut habe qualifiziert werden können). Nicht gleichwertige
Alternativen stellen dabei keine valablen Substitute für ein unerlässliches Einsatzgut dar,
weshalb das Vorliegen von möglichen, aber nicht gleichwertigen Alternativen einer Feststellung der
Unerlässlichkeit nicht entgegensteht. Demzufolge setzt die Unverzichtbarkeit des Einsatzguts zunächst
voraus, dass die Gleichwertigkeit zwischen dem Einsatzgut und einem allfälligen Alternativgut gegeben
ist. Gleichwertigkeit bedeutet dabei eine nahezu identische Nutzungs- bzw. Verwendungsmöglichkeit.
992. Darüber hinaus wurde auch die wirtschaftliche
Sinnhaftigkeit als Voraussetzung für die Herstellung eines Substituts für das Einsatzgut
anerkannt
(vgl. EuGH, EU:C:2004:257; IMS Health, Ziff. 28 f.;
"wenn die Entwicklung der entsprechenden Produkte unrentabel wäre, wenn sie in vergleichbarem
Umfang hergestellt bzw. erbracht würden wie von dem [Anm.: marktbeherrschenden] Unternehmen";
EU-Kom, 2.6.2004, COMP/ 38.096, Clearstream,
Ziff. 210-215, 227, wonach die Herstellung eines Substituts/Alternativguts keinen Sinn machen würde,
weil es mit hohen Kosten verbunden sei und die Marktteilnehmer nur einen Anbieter für die in Frage
stehenden Dienstleistungen erwarten würden).
993. Vor diesem Hintergrund lässt sich
der Inhalt des Tatbestandsmerkmals der Unerlässlichkeit grundsätzlich wie folgt umschreiben
(vgl. auch Clerc/Këllezi, CR-Concurrence,
Art. 7 II Rn. 25 f.; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 2.585): Die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ist für den Initiator ohne das
jeweilige Einsatzgut nicht möglich bzw. nicht zumutbar, weil (i) ein gleichwertiges Alternativgut
nicht vorhanden ist, oder (ii) potenzielle Alternativgüter keine sachlich ausreichende Gleichwertigkeit
hinsichtlich ihrer Verwendungsfähigkeit aufweisen, sowie (iii) keine Möglichkeit zur Herstellung
eines gleichwertigen Alternativguts mit sinnvollen wirtschaftlichen und/oder sachlichen Mitteln innerhalb
eines angemessenen Zeitraums besteht.
994. Der
Inhalt des Tatbestandsmerkmals der Unerlässlichkeit weist demzufolge kein feststehendes absolutes
Kriterium auf, sondern bildet eine relative Schwelle mit einem Beurteilungsspielraum, welche je nach
unterschiedlicher Sachverhaltskonstellation im Einzelfall zu bestimmen ist.
995. Für
diese inhaltliche Festlegung ist es entgegen den Einwänden der Beschwerdeführerinnen irrelevant,
ob die vorgesehene wirtschaftliche Betätigung des Initiators auf einem Sekundärmarkt vollständig
oder teilweise verunmöglicht wird (vgl. E. 958
ff.), ob die fehlende Verfügbarkeit des Einsatzguts einen Marktaustritt zur Folge hat (vgl. E. 956
f.) und ob die Einschränkung der Wettbewerbsfähigkeit vorhersehbar war (vgl. E. 955).
Diese Aspekte erlangen - wenn überhaupt - erst im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal
der Wettbewerbsverfälschung Bedeutung. Massgebend für die Beurteilung der Unerlässlichkeit
ist allein die sachliche Relevanz des Einsatzguts für das vom Initiator hergestellte Sekundärprodukt.
996. Gleiches gilt im Ergebnis auch für
den Einwand der Beschwerdeführerinnen in Bezug auf den Nutzungszweck des Sekundärprodukts (vgl.
E. 954),
wonach die Unerlässlichkeit bei einer blossen Nachahmung durch das Sekundärprodukt nicht gegeben
sei. Zum einen betreffen die Schnittstelleninformationen für die DCC-Funktion nicht die DCC-Funktion
selbst. Zum anderen bezweckt das Urheberrecht auch keinen Schutz des Herstellers vor Konkurrenzprodukten
(vgl. E. 583
f.).
(c)
Unerlässlichkeit von Schnittstelleninformationen
997. Bei
einem Vergleich zwischen der Interoperabilitätsverweigerung und den anderen Missbrauchsvarianten
einer Geschäftsverweigerung ist festzustellen, dass die Interoperabilitätsverweigerung nicht
mit einer Zugangsverweigerung oder einer Lizenzverweigerung gleichgestellt werden kann. Bei Letzteren
ergibt sich das Merkmal der Unerlässlichkeit aus der Alleinstellung, die der wesentlichen Einrichtung
bzw. dem immaterialgüterrechtlich geschützten Primärprodukt zukommt. Eine Beschränkung
der Verfügungsbefugnis des marktbeherrschenden Unternehmens über diese Primärprodukte
kann angesichts von deren besonderer Bedeutung auch nur unter entsprechend gewichtigen Voraussetzungen
vorgenommen werden. Deshalb muss die Verwendung dieser Primärprodukte auf dem Sekundär- oder
Tertiärmarkt notwendig sein. Im Gegensatz dazu stellen Schnittstelleninformationen kein Primärprodukt
dar, sondern sie stehen lediglich in Zusammenhang mit einem Primärprodukt (vgl. E. 857
ff). Ihnen kommt zudem keine eigenständige Bedeutung zu, auch wenn sie faktisch für die sachgerechte
Nutzung des Primärprodukts zwingend erforderlich sind. Aus systematischer Sicht sind Schnittstelleninformationen
daher nicht in gleicher Weise wie wesentliche Einrichtungen und Immaterialgüterrechte zu behandeln.
Ein Vergleich mit diesen Missbrauchsvarianten führt demzufolge nicht zur Anerkennung der Unerlässlichkeit
als notwendigem Tatbestandsmerkmal einer Interoperabilitätsverweigerung.
998. Ungeachtet dessen bildet bei Schnittstelleninformationen
als Gegenstand einer Geschäftsverweigerung das Kriterium der Unerlässlichkeit aufgrund des
Einsatzzwecks der Schnittstellen ein Ausschlussmerkmal, welches systembedingt prinzipiell vorliegt und
nur in Ausnahmefällen nicht gegeben ist.
999. Denn Schnittstellen sind per se notwendig
für die Herstellung von Interoperabilität zwischen verschiedenen technischen Geräten und
Applikationen, insbesondere EDV-Komponenten. Demzufolge ist die Kenntnis der entsprechenden Schnittstelleninformationen
ebenfalls zwingend notwendig für die Herstellung von Interoperabilität, weil sich eine Datenübertragung
ohne Kenntnis von der konkreten technischen Ausgestaltung von deren Ausgangs- bzw. Empfangsstellen von
vornherein planungstechnisch nicht zuverlässig sicherstellen und betriebstechnisch nicht ordnungsgemäss
abwickeln lässt (vgl. E. 546
ff.).
1000. Bei vernetzten EDV-Komponenten, für
deren bestimmungsgemässe Nutzung die Anbindung an andere Produkte erforderlich ist, würde die
Verweigerung einer Offenlegung der für die Anbindung notwendigen Schnittstelleninformationen demzufolge
dazu führen, dass sie überhaupt nicht einsatzfähig sind. Die Offenlegung von Schnittstelleninformationen
bildet demzufolge eine notwendige Voraussetzung für den bestimmungsgemässen Einsatz eines solchen
Produkts (vgl. E. 552).
1001. Schnittstelleninformationen werden dementsprechend
von Art. 17 Abs. 2
URV gerade dadurch charakterisiert, dass sie zur Herstellung der Interopabilität
eines unabhängig geschaffenen Programms unerlässlich sind (vgl. E. 551).
1002. Mit der Markteinführung eines vernetzten
Primärprodukts bringt das jeweilige Unternehmen - bei dem es sich um den Hersteller, den Importeur
oder einen Generalvertreter handeln kann - implizit zum Ausdruck, dass das Produkt für die
anderen Netzteilnehmer verfügbar ist und über die Schnittstellen andere technische Geräte
und Applikationen angebunden werden können.
1003. Soweit es sich beim Markteinführer
um ein marktbeherrschendes Unternehmen handelt und der Wettbewerb auf dem jeweiligen Primärmarkt
bereits durch dessen Existenz eingeschränkt ist, ergibt sich für die Hersteller von vernetzten
Produkten die Notwendigkeit, die Anbindung ihrer Geräte und Applikationen an das Primärprodukt
sicherzustellen. Daher besteht für ein marktbeherrschendes Unternehmen grundsätzlich die Verpflichtung,
die jeweiligen Schnittstelleninformationen für diese Anbindung offenzulegen.
1004. Eine Ausnahme von dieser Verpflichtung
zur Offenlegung der Schnittstelleninformationen besteht nur dann, wenn ein ausreichender, sachlich angemessener
Rechtfertigungsgrund für die Verweigerung einer Offenlegung generell oder zumindest gegenüber
dem jeweiligen Initiator gegeben ist. Ein allgemeiner Grund hierfür ist jedenfalls dann gegeben,
wenn die Schnittstelleninformationen einem Normierungsstandard entsprechen, bereits allgemein bekannt
gemacht wurden oder auf Anfrage einem Initiator bekannt gegeben werden.
1005. Die
im Urheberrecht vorgesehene Möglichkeit zur Vornahme einer Dekompilierung von Software zur Gewinnung
von Schnittstelleninformationen gemäss Art. 21 UrhG bildet aus kartellrechtlicher Sicht entgegen
dem Einwand der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 963
f.) grundsätzlich weder eine Ausnahme von der Unerlässlichkeit von Schnittstelleninformationen
noch eine Rechtfertigung für eine Verweigerung von deren Herausgabe. Denn angesichts der urheberrechtlich
vorgesehenen Möglichkeit zur Dekompilierung von urheberrechtlich geschützten Produkten zwecks
Erlangung von Schittstelleninformationen zur Herstellung der Interoperabilität besteht aus systematischen
und tatsächlichen Gründen keine Veranlassung, Schnittstelleninformationen durch das Kartellrecht
einen besonderen Schutz zukommen zu lassen.
1006. Ungeachtet
ihrer prinzipiellen Gleichrangigkeit stehen Immaterialgüterrecht und Kartellrecht wie dargestellt
(E. 81
ff., 543
ff.) in einem gesetzlich vorgegebenen Ausschliesslichkeitsverhältnis, das in Bezug auf die Herstellung
der Interoperabilität von EDV-Komponenten zu Gunsten des Kartellrechts aufzulösen ist (vgl.
E. 609
ff.). Aus sachlogischen Gründen folgt daraus a majore ad minus, dass eine zwingende wettbewerbsrechtliche
Verhaltensnorm, die gegenüber den immaterialgüterrechtlichen Schutznormen zu Lasten des Schutzrechtsinhabers
bereits prinzipiellen Vorrang geniesst, nicht durch eine fakultative immaterialgüterrechtliche,
ebenfalls zu Lasten des Schutzrechtsinhabers bestehende Handlungsmöglichkeit Dritter eingeschränkt
wird.
1007. Demzufolge kann der allgemeinen Dekompilierungsregelung
in Art. 21
URG, die zu Lasten eines Schutzrechtsinhabers lediglich eine fakultative Handlungsmöglichkeit
zu Gunsten Dritter vorsieht, bereits aus systematischen Gründen kein Anwendungsvorrang gegenüber
der durch Art. 7
KG statuierten uneingeschränkten Handlungsanweisung zu Lasten marktbeherrschender
Unternehmen zukommen.
1008. Der systematische Anwendungsvorrang der
kartellrechtlichen Vorschrift besteht dabei unabhängig vom Gegenstand der Dekompilierung oder von
den jeweils beteiligten Parteien.
1009. Daher ist auch der Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 965),
wonach die angefochtene Verfügung ein gleichrangiges Bundesgesetz de facto und contra legem ausser
Kraft setzen würde, unzutreffend.
1010. Des Weiteren ist in tatsächlicher
Hinsicht zu beachten, dass die Möglichkeit zu einer allfälligen Erlangung der Schnittstelleninformationen
mittels einer Dekompilierung gemäss den Grundsätzen der Wettbewerbspraxis grundsätzlich
auch keine wirtschaftlich und sachlich gleichwertige Alternative gegenüber einer Herausgabe der
entsprechenden Schnittstelleninformationen durch das marktbeherrschende Unternehmen darstellt.
1011. Bei einer Dekompilierung handelt es sich
nicht um ein alternatives Produkt zu Schnittstelleninformationen, das frei verfügbar ist und von
einem Initiator ohne Schwierigkeiten auf einem Markt erworben werden kann. Da eine rechtmässige
Dekompilierung voraussetzt, dass die erlangten Daten vom Dekompilierer nicht an weitere Dritte herausgegeben
werden (vgl. E. 585),
müsste sie von jedem Initiator eines marktbeherrschenden Unternehmens selbst durchgeführt werden.
1012. Eine Dekompilierung stellt allerdings
unstreitig ein aufwendiges und kostspieliges Verfahren dar, das mit vielen technischen Risiken behaftet
und dessen Erfolg nicht absehbar ist (vgl. E. 581;
EuG, EU:T:2007:289, Microsoft, Ziff. 434 f.; EU-Kom,
COMP/C-3/37.792, Microsoft, Ziff. 683 ff.). Eine Durchführung
von technischen Verfahren zur Erlangung des Einsatzguts, bei denen der Erfolgseintritt auch bei ordnungsgemässer
Umsetzung nicht sichergestellt ist, stellt von vornherein keine wirtschaftlich und sachlich zumutbare
gleichwertigen Alternative für die Herausgabe des jeweiligen Einsatzguts durch das marktbeherrschende
Unternehmen dar. Dies gilt insbesondere auch für Schnittstelleninformationen. So führen bereits
kleine Fehler, die aufgrund des Dekompilierungsprozesses in Bezug auf die Schnittstellen auftreten können,
dazu, dass eine dauerhafte stabile und ordnungsgemässe Abwicklung der Transaktionen zwischen den
betreffenden EDV-Komponenten, hier dem DCC-Terminal und der Akzeptanz-Plattform, nicht gewährleistet
wäre.
1013. Im Hinblick auf EDV-Komponenten von Zahlungskartensystemen
wie Zahlungskartenterminals ist zudem davon auszugehen, dass die jeweiligen Programme einschliesslich
von Schnittstelleninformationen durch besondere Massnahmen gegenüber einer Dekompilation abgesichert
werden, um einer Abänderung des Programmcodes und einer darauf aufbauenden missbräuchlichen
Verwendung der Komponenten vorzubeugen (vgl. E. 581).
1014. Überdies vermittelt eine Dekompilierung
auch keine dauerhafte Sicherung der dadurch ermittelten Schnittstelleninformationen. Diesbezüglich
verweist die Vorinstanz zutreffenderweise auf die entsprechenden Feststellungen im Verfahren Microsoft,
aufgrund deren ein reverse engineering als Alternative zur Offenlegung ausdrücklich abgelehnt wurde
(EuG, EU:T:2007:289, Microsoft, Ziff. 434 f.; EU-Kom,
COMP/C-3/37.792, Microsoft, Ziff. 683 ff.). Entgegen dem Einwand
der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 964)
ist es hierbei unerheblich, ob es sich beim Primärprodukt um eine komplexe oder eine schlichte EDV-Komponente
handelt. So würde z.B. jede geringfügige Änderung der Ausgestaltung einer Schnittstelle
durch das marktbeherrschende Unternehmen unabhängig von der jeweiligen EDV-Komponente die Notwendigkeit
einer erneuten Dekompilierung durch alle Initiatoren nach sich ziehen. Die SIX-Gruppe könnte durch
Änderungen der DCC-Schnittstelle wiederkehrend die anderen Terminalhersteller zur erneuten Durchführung
von Dekompilierungsmassnahmen zwingen. So führen z.B. auch die Beschwerdeführerinnen ausdrücklich
an, dass im Rahmen der Re-Zertifizierung der DCC-Funktion durch das Visa Card Scheme die Schnittstellen
einem konstanten Wandel unterworfen und mehrfach überarbeitet und abgeändert worden seien (vgl.
E. 665,
677).
1015. Darüber hinaus würde sich ein
Initiator bei einer Durchführung von Dekompilierungsmassnahmen unweigerlich dem Risiko aussetzen,
dass er von dem marktbeherrschenden Unternehmen wegen einer behaupteten unzulässigen Umsetzung der
Dekompilierung in Anspruch genommen werden könnte. Die Anforderung einer Dekompilierung würde
demnach sogar die Möglichkeit zu einem weiteren marktmissbräuchlichen Verhalten eröffnen.
1016. Schliesslich ist aus praktischer Sicht
zu berücksichtigen, dass bei einer entsprechenden Anforderung das Merkmal der Unerlässlichkeit
durch formale Aspekte überlagert würde. Da eine Dekompilierung nicht zwangsläufig zu einem
Erfolg führt und die Unerlässlichkeit der Schnittstelleninformationen zumindest nach einer
erfolglosen Durchführung entsprechender Dekompilierungsmassnahmen anzuerkennen wäre, müsste
im Rahmen eines Kartellverfahrens eine Abgrenzung zwischen ausreichenden und nicht ausreichenden Dekompilierungsmassnahmen
sowohl im Hinblick auf eine korrekte vorgängige Abklärung durch den Initiator als auch in Bezug
auf eine ordnungsgemässe Duchführung der Dekompilierung durch den Initiator vorgenommen werden.
1017. In gleicher Weise wäre die vorgängige
Verhandlung zwischen einem Initiator und dem marktbeherrschenden Unternehmen durch den Aspekt einer ordnungsgemässen
Durchführung der Dekompilierung belastet. Auch diesbezüglich würde die Anforderung einer
Dekompilierung demnach die Möglichkeit zu einem weiteren marktmissbräuchlichen Verhalten eröffnen.
1018. Aufgrund der vorgenannten Aspekte und
angesichts dessen, dass die Feststellung des Tatbestandsmerkmals auf einem Beurteilungsspielraum gründet
(vgl. E. 994),
ist die Unerlässlichkeit der Schnittstelleninformationen ungeachtet der Möglichkeit einer Dekompilierung
gemäss Art. 21
URG grundsätzlich zu bejahen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass
der Gesetzgeber den Schnittstelleninformationen auch urheberrechtlich gerade keinen Schutz gegenüber
der Herstellung von Interoperabilität zukommen lässt und Dritten zu deren Feststellung hierbei
sogar der Zugang zum Quellcode des eigentlichen Computerprogramms gewährt wird.
1019. Die Unerlässlichkeit des Einsatzguts
entfällt auch nicht deshalb, weil sich die Abnehmer des jeweiligen Initiators allenfalls auf anderem
Wege das Einsatzgut bzw. den Zugang hierzu verschaffen könnten (anders EuG, 14.9.2017, T-751/15,
Contact Software GmbH gg. EU-Kom, EU:T:2017:602, zit. Contact Software,
Rn. 161, für die Nutzung von Software im Rahmen der Fahrzeugherstellung). Denn im Regelfall ist
es dem Initiator nicht möglich, sein Produkt ohne Kenntnis der Schnittstelleninformationen so auszugestalten,
dass es mit dem Produkt des marktbeherrschenden Unternehmens verbunden werden kann. Zudem ist offensichtlich,
dass ein Konkurrent in Bezug auf einen Markt, bei dem der Wettbewerb aufgrund des Vorhandenseins eines
marktbeherrschenden Unternehmens bereits beeinträchtigt ist, keinen wirksamen Wettbewerb betreiben
kann, wenn er für den Absatz seines Produkts gegenüber seinen Kunden als Bittsteller auftreten
und um Einholung der notwendigen Schnittstelleninformationen sowie um die Herstellung einer dann immer
noch notwendigen Verbindung zum Produkt des marktbeherrschenden Unternehmens durch den Kunden nachsuchen
muss.
(d)
Sachverhalt
1020. Vorliegend ist die Herausgabe der Schnittstelleninformationen
für die Akzeptanz-Plattform durch die SIX-Gruppe zum Anschluss von DCC-Terminals anderer Terminalhersteller
zu beurteilen (vgl. E. 638
ff.).
1021. Die Kenntnis der Schnittstelleninformationen
einer Akzeptanz-Plattform für die Abwicklung einer DCC-Währungsumrechnung, d.h. die notwendigen
Informationen über die Ausgestaltung der Schnittstelle an der Akzeptanz-Plattform zur Abwicklung
des Datentransfers zwischen Akzeptanz-Plattform und DCC-Terminals in Bezug auf die Durchführung
der DCC-Währungsumrechnung, ist für die Hersteller von ep2-Terminals offensichtlich erforderlich,
um bislang gebräuchliche ep2-Terminals zu DCC-Terminals aufrüsten zu können. Denn nur
mit diesen Informationen kann sichergestellt werden, dass die DCC-Währungsumrechnung durch das DCC-Terminal
ordnungsgemäss an die Akzeptanz-Plattform übermittelt wird.
1022. Diese Schnittstelleninformationen waren
nicht im Kanon der durch den ep2-Standard geregelten Informationen vorhanden, weil die DCC-Währungsumrechnung
nicht in den Umfang des ep2-Standards aufgenommen worden war (vgl. SV G.i).
Für die Terminalhersteller bestand demzufolge keine andere Möglichkeit, als durch eine Offenlegung
seitens der Betreiber der Akzeptanz-Plattformen Kenntnis von diesen Schnittstelleninformationen nehmen
zu können.
1023. Die Kenntnis der anderen Terminalhersteller
von den DCC-Schnittstelleninformationen der Akzeptanz-Plattform der SIX-Gruppe ist daher notwendig für
die Anbindung ihrer DCC-Terminals zur ordnungsgemässen Durchführung der DCC-Währungsumrechnung.
1024. Demzufolge ist die Unerlässlichkeit
der Schnittstelleninformationen der Akzeptanz-Plattform gegeben.
1025. Der Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 958
ff.), wonach sämtliche ep2-Terminals Substitute innerhalb des relevanten Markts bilden würden,
weil gemäss der Abgrenzung des sachlich relevanten Markts durch die Vorinstanz nicht ein allfälliger
Markt für ep2-Terminals mit DCC-Funktion, sondern allein der Markt für den Verkauf von ep2-Terminals
der relevante nachgelagerte Markt sei, ist hingegen unbeachtlich. Die Voraussetzung der Unerlässlichkeit
bezieht sich auf das Einsatzgut und nicht auf die Sekundärprodukte des nachgelagerten Markts (vgl.
E. 960,
995).
Das Einsatzgut umfasst entweder Primärprodukte oder ein mit deren Nutzung in Zusammenhang stehendes
Gut. Demzufolge bilden für einen Terminalhersteller die ep2-Terminals der jeweils anderen Terminalhersteller
weder eine notwendige Voraussetzung noch ein Substitut zur Herstellung und zum Absatz der eigenen ep2-Terminals
auf dem Markt für ep2-Terminals. Im Gegensatz dazu ist die Kenntnis der DCC-Schnittstellen-informationen
der Akzeptanz-Plattformen, an welche diese ep2-Terminals angeschlossen werden müssen, eine notwendige
Voraussetzung für die ordnungsgemässe Abwicklung von DCC-Transaktionen.
1026. Der Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 963),
die Unerlässlichkeit sei angesichts der Möglichkeit zu einer Dekompilierung ausgeschlossen,
ist sowohl aus den vorstehend dargestellten systematischen Gründen (vgl. E. 1005ff.)
unbeachtlich als auch aus den tatsächlichen Umständen des Einzelfalls unbegründet.
1027. Die
Berechtigung zur Dekompilierung eines Erstprogramms zwecks Erlangung von Schnittstelleninformationen
setzt eine rechtmässige Nutzung des Erstprogramms mittels Erwerbs oder Lizenzierung eines Programmexemplars
voraus (vgl. E. 585).
Dies wird auch von den Beschwerdeführerinnen in anderem Zusammenhang ausdrücklich bestätigt
(vgl. E. 533).
Vorliegend hätte eine Dekompilierung demzufolge nur dann vorgenommen werden können, wenn einem
Terminalhersteller ein Nutzungsrecht an der Software der Akzeptanz-Plattform der SIX-Gruppe zugestanden
wäre. Die anderen Terminalhersteller konnten von der SIX-Gruppe die von Multipay eingesetze individuelle
Akzeptanz-Software aber offensichtlich weder erwerben noch lizenzieren, um die notwendigen Schnittstelleninformationen
für den Anschluss von DCC-Terminals aus dieser Software auszulesen. Gegenteiliges wird auch von
den Beschwerdeführerinnen nicht behauptet. Daher lag eine von den Beschwerdeführerinnen selbst
als notwendig erachtete Voraussetzung für eine Dekompilierung vorliegend von vornherein gar nicht
vor.
1028. Der
Einwand der Beschwerdeführerinnen (E. 967),
wonach die Dauer der Implementierung der DCC-Funktion durch Jeronimo nach Offenlegung der Schnittstellen
die fehlende Unerlässlichkeit einer Herausgabe belege, ist bereits in sich widersprüchlich
und sachlich nicht begründet.
1029. Zunächst ist festzuhalten, dass
aus dem Verhalten eines Initiators nach einem Zeitablauf von rund zwei Jahren seit der Geltendmachung
des Eingehungsverlangens kein Rückschluss auf die Unerlässlichkeit eines notwendigen Produktbeitrags
gezogen werden kann. Den anderen Terminalherstellern wurde zwischen Januar und Juli 2005 durch die SIX-Gruppe
in unterschiedlicher Weise mitgeteilt, dass die notwendigen Schnittstellen für die spezifische Ausgestaltung
der DCC-Funktion auf den Zahlungskartenterminals für deren Anbindung an die Akzeptanz-Plattform
der SIX-Gruppe nicht herausgegeben würden. Diese Haltung wurde bis Januar 2007 aufrechterhalten.
Für die anderen Terminalhersteller war daher für einen Zeitraum zwischen 19 und 24 Monaten
unklar, ob sie den Händlern mit einem Akzeptanzvertrag der SIX-Gruppe ein funktionsfähiges
Zahlungskartenterminal mit DCC-Funktion anbieten können. Bei objektiver Würdigung ist daher
davon auszugehen, dass eine Implementierung der DCC-Funktion für die anderen Terminalhersteller
berechtigterweise keine Priorität mehr aufwies. Denn ein Unternehmen, dessen Geräte eine bestimmte
Funktion nicht aufweisen, muss andere Vermarktungsstrategien einsetzen, um den weiteren Absatz seiner
Produkte sicherstellen zu können. Zudem war die DCC-Funktion nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
von den Händlern nicht in einem grossen Ausmass nachgefragt worden. Daher war es nach einem Zeitraum
von annähernd zwei Jahren aus objektiver Sicht naheliegend, dass die Händler sich mit einem
Akzeptanzvertrag der SIX-Gruppe, welche die DCC-Funktion nutzen wollten, bereits mit einem Zahlungskartenterminal
eingedeckt hatten. Wenn nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerinnen davon auszugehen ist, dass
die Kunden wegen des Fehlens einer Funktion innerhalb eines bestimmten Zeitraums schon abgewandert sind,
dann kann die Herstellung dieser Funktion auch keine Priorität mehr beanspruchen. Demzufolge lässt
sich das Fehlen der Unerlässlichkeit des Einsatzguts entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen
bereits aus sachlichen Gründen nicht aus dem Zeitablauf herleiten.
1030. Zudem ist Folgendes zu beachten. Die
Argumentation der Beschwerdeführerinnen, wonach bei realistischer Betrachtung der Geschäftswelt
ein Kunde nicht akzeptiert, dass eine Funktion eines Geräts durch einen Hersteller zwar angekündigt,
aber erst nach einem Zeitraum von zwei Jahren zur Verfügung gestellt werden kann, führt bei
der gleichen realistischen Betrachtung der Geschäftswelt zu der vorstehend dargelegten Feststellung.
Sie steht deshalb in Widerspruch zu der anderen Behauptung der Beschwerdeführerinnen, aus einem
Zeitablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe der Schnittstelleninformationen könne die annähernd
zwei Jahre vor diesem Zeitpunkt bei Geltendmachung des Eingehungsverlangens bestehende Unerlässlichkeit
des Einsatzguts ausgeschlossen werden.
1031. Allerdings ist das Vorbringen der Beschwerdeführerinnen,
wonach bei realistischer Betrachtung der Geschäftswelt ein Kunde nicht akzeptiere, dass eine Funktion
durch ein Unternehmen zwar angekündigt, aber erst nach einem Zeitraum von zwei Jahren fertiggestellt
werden könne, in anderem Zusammenhang von wesentlicher Bedeutung. Die Beschwerdeführerinnen
bestätigen damit nämlich selbst folgenden Umstand: Der SIX-Gruppe war bewusst, dass die Verweigerung
der Herausgabe der Schnittstelleninformationen für einen Zeitraum von zwei Jahren dazu führen
würde, dass die anderen Terminalhersteller ihre Kunden mit einem Akzeptanzvertrag der SIX-Gruppe
und der Intention zum Einsatz der DCC-Funktion bei der vorhersehbaren Bestellung eines entsprechend funktionsfähigen
Zahlungskartenterminals verlieren würden. Dies ist in Zusammenhang mit der Beurteilung der Vorwerfbarkeit
zu berücksichtigen (vgl. E. 1508
f.).
i)
Produktneuheit
1032. Gegenstand
des besonderen Tatbestandsmerkmals der Produktneuheit bildet die Befähigung des Initiators zur Entwicklung
eines bislang nicht verfügbaren Wirtschaftsguts oder zur Weiterentwicklung eines bestehenden Wirtschaftsguts
durch den Erhalt des Einsatzguts.
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
1033. Damit
eine Verweigerung der Mitteilung von Schnittstelleninformationen als Missbrauch qualifiziert werden könne,
reicht es nach Ansicht der Beschwerdeführerinnen nicht aus, dass die allgemein bei einer Geschäftsverweigerung
zu prüfenden Kriterien erfüllt seien. Vielmehr müsse die Lizenzverweigerung darüber
hinaus eine für den Konsumenten vorteilhafte Entwicklung, insbesondere ein neues Produkt, verhindern,
deren Verwirklichung die Lizenz zwingend verlange. Wenn sich ein Unternehmen lediglich darauf beschränke,
bereits bestehende Produkte des marktbeherrschenden Unternehmens nachzuahmen oder zu duplizieren, so
sei dies nicht ausreichend. Es müsse im Gegenteil der Nachweis erbracht werden, dass ein neues Gut
produziert werden soll, das seinerseits eine potenzielle Nachfrage der Konsumenten befriedige.
1034. Diese Anforderung an eine Lizenzverweigerung
werde durch die einschlägigen Urteile in Sachen Magill, IMS
Health und Microsoft bestätigt.
1035. So sei gemäss dem Grundsatzurteil
Magill ein Kontrahierungszwang zur Lizenzierung von Immaterialgüterrechten
nur unter aussergewöhnlichen Umständen gegeben. Diese würden voraussetzen, dass eine Verhinderung
eines neuen Produkts, für welches eine Nachfrage bestehe, erfolge.
1036. Die
angefochtene Verfügung enthalte keinerlei Angaben oder Ausführungen dazu, inwiefern die von
Jeronimo entwickelte Variante der DCC-Funktion von Card Solutions ein neues Produkt bzw. eine Verbesserung
oder Weiterentwicklung darstelle, für welche eine zusätzliche potenzielle Nachfrage bestehe.
Jeronimo habe lediglich die Duplizierung der DCC-Funktion von Card Solutions beabsichtigt. Eine Innovation
oder ein Konsumentennutzen mit Bezug auf die von Jeronimo duplizierte DCC-Funktion sei nicht ersichtlich.
Die Vorinstanz erbringe daher nicht den Nachweis, dass ein neues Gut produziert werden soll, welches
seinerseits eine potenzielle Nachfrage der Konsumenten befriedige.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
1037. Demgegenüber
macht die Vorinstanz geltend, im vorliegenden Fall gehe es nicht um die Offenlegung eines geschützten
Immaterialgüterrechts, sondern um die Offenlegung urheberrechtlich nicht geschützter Schnittstelleninformationen.
Zudem sei darauf hinzuweisen, dass die Europäische Kommission in ihrem Microsoft-Entscheid
diese Voraussetzung nicht geprüft und stattdessen den Incentive Balance-Test angewandt habe, welcher
auch in die angefochtene Verfügung Eingang gefunden habe. Auch das Europäische Gericht habe
im Microsoft-Urteil die bis dahin geforderte Neuheit relativiert
und eine technische Einschränkung zum Schaden der Verbraucher genügen lassen. Schliesslich
führe die Offenlegung der Schnittstelleninformationen nicht zu einer Duplizierung der DCC-Funktion,
sondern dazu, dass die anderen Terminalanbieter die Interoperabiltiät ihrer Zahlungskartenterminals
mit dieser Funktion hätten herstellen können.
(3)
Würdigung durch das Gericht
1038. Das
Tatbestandsmerkmal der Produktneuheit zielt auf den Umstand ab, dass durch den Initiator unter Verwendung
des Einsatzguts zu Gunsten der Verbraucher ein neuer Produktnutzen geschaffen wird und nicht nur eine
ausschliessliche Nachahmung der bestehenden Verwendungsmöglichkeiten von bereits vorhandenen Produkten
vorgenommen wird.
(a)
Einsatzbereich
1039. Im Hinblick auf den Anwendungsbereich
dieses Tatbestandsmerkmals ist ohne Weiteres ersichtlich, dass die Missbrauchsformen des Lieferabbruchs,
der Lieferverweigerung und der Zugangsverweigerung keine Anforderung einer Produktneuheit aufweisen.
Die Zugangsverweigerung steht in Bezug auf die übliche und bestehende Nutzung einer wesentlichen
Einrichtung und setzt nicht eine durch den Initiator vorgesehene neuartige Nutzung dieser Einrichtung
voraus. Beim Lieferabbruch wird die weitere Belieferung eines bestehenden Produkts abgelehnt, weshalb
für den Initiator die bisherige und nicht eine neuartige Verwendung des Produkts ausgeschlossen
wird. Gleiches gilt auch für die Lieferverweigerung. Entsprechende Anforderungen wurden demzufolge
soweit ersichtlich in der bisherigen Wettbewerbspraxis weder für die Zugangsverweigerung noch den
Lieferabbruch noch die Lieferverweigerung gestellt (vgl. Bulst,
LB-EUKR, Art. 102 Rn. 284; a.A. Gohari,
Verweigerung, 591 ff., wonach eine Vorenthaltung des Zugangs
zu einer bestimmten Ressource mittels derer eine Innovationsleistung zwecks Befriedigung bislang unberücksichtigter
Konsumentenpräferenzen erbracht werden müsse, als notwendige Voraussetzung aller Missbrauchsvarianten
einer Geschäftsverweigerung zu qualifizieren sei).
1040. Gemäss
Wettbewerbspraxis bildet dieses Tatbestandsmerkmal allein eine Voraussetzung für die Verwirklichung
einer Lizenzverweigerung (so ausdrücklich EuG, EU:T:2007:289, Microsoft,
Ziff. 334). Das Kriterium der Produktneuheit soll bei dieser Missbrauchsform sicherstellen, dass der
Inhaber eines Immaterialgüterrechts vor einer blossen Verwertung des geschützten Primärprodukts
durch einfache Nachahmung geschützt wird. Denn der Schutz vor blosser Nachahmung bildet gerade den
massgeblichen Inhalt eines Immaterialgüterrechts (vgl. E. 565).
1041. Diese Differenzierung hinsichtlich des
Einsatzbereichs des Tatbestandsmerkmals der Produktneuheit wird auch von den Beschwerdeführerinnen
anerkannt und selbst vorgetragen.
1042. Da die Interoperabilitätsverweigerung
mangels einer für die Geschäftsverweigerung massgeblichen immaterialgüterrechtlichen Rechtsposition
als eigenständige Missbrauchsform und nicht als Lizenzverweigerung zu qualifizieren ist (vgl. E.
943),
ist das Tatbestandsmerkmal der Produktneuheit entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen jedenfalls
nicht als zwingendes Merkmal einer Geschäftsverweigerung zu berücksichtigen.
1043. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz (vgl.
E. 1037)
bedeutet dies allerdings nicht zwangsläufig, dass dieses Tatbestandsmerkmal im Rahmen einer Interoperabilitätsverweigerung
nicht berücksichtigt werden könnte.
1044. Die Beschwerdeführerinnen legen
allerdings in keiner Weise dar, warum die Anforderung der Produktneuheit auch auf die Missbrauchsvariante
einer Interoperabilitätsverweigerung Anwendung finden müsste.
1045. Eine sachliche Begründung für
die Anwendung des Kriteriums der Produktneuheit als Voraussetzung einer Interoperabilitätsverweigerung
ist ebenfalls nicht ersichtlich. Vielmehr sprechen gewichtige Aspekte gegen einen solchen Einsatzbereich.
1046. Gegenstand der Interoperabilität
bildet die Verbindung zwischen einzelnen EDV-Komponenten. Der sachliche Gehalt des Begriffs der Verbindung
weist keine Differenzierung zwischen bestehenden und neuartigen EDV-Komponeten oder von deren einzelnen
Funktionen auf. Vielmehr besteht die Entwicklung einer Verbindung für eine anzubindende EDV-Komponente
gerade in der Nachahmung der vorhandenen Anschlussmöglichkeiten bei den bereits bestehenden EDV-Komponenten.
Schnittstelleninformationen sind demzufolge gerade auf Nachahmung ausgerichtet, weil ohne Nachahmung
eine Vernetzung der mit den entsprechenden Schnittstellen ausgerüsteten Geräte und Applikationen
und damit auch deren bestimmungsgemässer Gebrauch nicht möglich ist. Dem entspricht auch das
massgebliche Verständnis von Art. 21
URG bzw. Art. 6 Software-RL.
Danach ist eine Dekompilierung sowohl von zugehörigen als auch von konkurrenzierenden EDV-Komponenten
zulässig (vgl. E. 590
ff.).
1047. Bei einer Anerkennung der Produktneuheit
als Tatbestandsmerkmal der Interoperabiltiätsverweigerung würde sich die formale Problematik
ergeben, dass nach einer Herausgabe der Schnittstelleninformationen an den ersten Initiator gegenüber
allen weiteren Initiatoren das Fehlen dieses Merkmals durch das marktbeherrschende Unternehmen geltend
gemacht werden könnte. Dadurch würde sich eine formale Markteintrittsschranke auf dem Markt
der Produktneuheit zu Gunsten des ersten Initiators gegenüber dessen potenziellen Konkurrenten einstellen,
ohne dass diese Alleinstellung der Produktneuheit sachlich begründet sein müsste. Zudem würden
sich dadurch Umgehungsstrategien des marktbeherrschenden Unternehmens unter Mitwirkung von Drittunternehmen
für eine Interoperabilitätsverweigerung eröffnen.
1048. Wenn der Aspekt der Produktneuheit als
Voraussetzung für die Bekanntgabe von Schnittstelleninformationen zu qualifizieren wäre, bestünde
die Gefahr, dass das marktbeherrschende Unternehmen die Mitteilung der Schnittstelleninformationen gegenüber
den Initiatoren von einer vorgängigen Mitteilung der vorgesehenen Produktneuheit abhängig machen
würde. Dies würde dem marktbeherrschenden Unternehmen die Möglichkeit eröffnen, frühzeitig
von der Entwicklung neuer EDV-Komponenten oder Funktionen Kenntnis zu erlangen. Die Möglichkeit
der Konkurrenten, einen Wettbewerbsdruck durch Produktneuheiten zu generieren, würde demzufolge
in der Praxis deutlich geschwächt werden. Die Anerkennung einer Anforderung der Produktneuheit im
Rahmen einer Interoperabilitätsverweigerung würde zudem faktisch dazu führen, dass die
Stellung des marktbeherrschenden Unternehmens gestärkt und deshalb der bereits geschwächte
Wettbewerb weiter beeinträchtigt würde.
1049. Bei
Interoperabilitätsverweigerungen findet demzufolge das Tatbestandsmerkmal der Produktneuheit keine
Anwendung.
1050. Die Einwände der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1033
ff.), mit denen die Berücksichtigung des Tatbestandsmerkmals der Produktneuheit als notwendige Voraussetzung
für eine Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts geltend gemacht wird, sind demzufolge nicht entscheidungsrelevant.
Dementsprechend ist auch der Einwand der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 1036
), wonach kein ausreichender Nachweis für das Vorliegen einer Produktneuheit vorliege, unbeachtlich.
(b)
Inhalt
1051. Auf nähere Erläuterungen zum
Inhalt des Tatbestandsmerkmals der Produktneuheit kann angesichts der vorliegenden Sachverhaltskonstellation
verzichtet werden.
1052. Wie an anderer Stelle dargelegt wurde
(vgl. E. 638
ff.), ist die wiederkehrende Behauptung der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 928
f., 1036),
die anderen Terminalhersteller hätten eine Kopie die DCC-Funktion der Card Solutions herstellen
wollen, nicht richtig und daher unbeachtlich. Darüber hinaus ist die Behauptung auch schon deshalb
unzutreffend, weil die anderen Terminalhersteller ganz offensichtlich in der Lage waren, selbst eine
DCC-Funktion zu entwickeln und diese nach Anpassung an die notwendigen DCC-Schnittstellen für die
Akzeptanz-Plattformen der übrigen Kartenakquisiteure gegenüber den Händlern im Markt anzubieten
(vgl. SV H.k.).
j)
Besonderheiten des Einzelfalls
1053. Gegenstand dieses besonderen Tatbestandsmerkmals
bildet der Aspekt, dass im Einzelfall spezifische Umstände für die Beurteilung einer Ablehnung
von geschäftlichen Beziehungen Beachtung verlangen.
1054. Vorliegend kann der Aspekt, dass die
Verweigerung einer Herausgabe der DCC-Schnittstelleninformationen vor dem Hintergrund des absehbaren
notwendigen Austauschs der Zahlungskartenterminals vorgenommen wurde (vgl. SV F.f),
als Besonderheit des Einzelfalls qualifiziert werden. Diesem Aspekt wird im Rahmen der anderen Tatbestandsmerkmale
entsprechend Rechnung getragen.
k)
Wettbewerbsverfälschung
1055. Den Gegenstand des allgemeinen Tatbestandsmerkmals
der Wettbewerbsverfälschung bildet das Ausmass der potenziellen oder tatsächlichen nachteiligen
Einwirkungen auf den bestehenden (Rest-)Wettbewerb auf den massgeblichen Märkten durch die Ablehnungshandlung
des marktbeherrschenden Unternehmens.
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
1056. Die
Beschwerdeführerinnen machen eine Vielzahl wettbewerbstheoretischer sowie einzelfallbezogener Einwände
in verschiedensten Darstellungen gegenüber einer Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Wettbewerbsverfälschung
geltend. Diese Aspekte würden ungeachtet dessen, dass wettbewerbstheoretische Erklärungsmodelle
auf vereinfachenden Annahmen beruhen, auch durch das Gutachten ESMT bestätigt.
1057. Zunächst
bringen die Beschwerdeführerinnen vor, dass sich keine ausreichende ökonomische Begründung
finden lasse, warum die SIX-Gruppe mit dem ihr von der Vorinstanz vorgeworfenen Verhalten den Markt hätte
beeinträchtigen sollen.
1058. Bei
jeder missbräuchlichen Verhaltensweise eines marktbeherrschenden Unternehmens müsse primär
geprüft werden, ob für diese Verhaltensweise eine wirtschaftlich sinnvolle Schädigungstheorie
(engl. theory of harm) bestehe. Soweit nicht erkennbar sei, wie ein Unternehmen mittels der vorgeworfenen
Verhaltensweise effektiv einen Vorteil erzielen könne, bestehe die Vermutung, dass die Verhaltensweise
nicht missbräuchlich sei.
1059. Das
vorgeworfene Verhalten würde darin bestehen, dass Multipay aufgrund seiner vermeintlich marktbeherrschenden
Stellung im Akzeptanzgeschäft die bei ihr angeschlossenen Händler zum Kauf eines Zahlungskartenterminals
der Card Solutions bewege, indem sie nur bei diesen Geräten die DCC-Funktion unterstütze. Multipay
profitiere jedoch in keiner Weise von den Verkäufen der Zahlungskartenterminals durch Card Solutions.
Multipay habe daher auch kein eigenes wirtschaftliches Interesse daran, dass primär Zahlungskartenterminals
von Card Solutions verkauft würden. Im Übrigen liege jede Verhaltensweise, die Kunden zu einem
Wechsel des Kartenakquisiteurs führen könnten, nicht im Interesse von Multipay. Multipay sei
alleine daran interessiert, dass möglichst viele (potenzielle) Kunden die DCC-Dienstleistung nutzen
könnten, damit im Ergebnis die DCC-Umsätze zunehmen würden. Der finanzielle Vorteil aus
höheren DCC-Umsätzen sei vermutlich wesentlich grösser als derjenige aus dem Verkauf von
einigen hundert Zahlungskartenterminals durch Card Solutions.
1060. Die konkrete Motivation von Multipay
könne demzufolge nicht wettbewerbsverfälschend gewesen sein. Mangels eines Eigeninteresses
von Multipay könne kein wettbewerbsverfälschendes Verhalten vorliegen.
1061. Die
wirtschaftliche und rechtliche Kontrolle über die Offenlegung der Schnittstelleninformationen habe
einzig bei der nicht marktbeherrschenden Card Solutions gelegen. Card Solutions hätte aber kein
Interesse an einer Behinderung anderer Terminalhersteller gehabt. Card Solutions sei vielmehr daran interessiert
gewesen, die von ihr selbst als Transaktionsverarbeiter abzuwickelnden DCC-Transaktionen zu maximieren.
Dies sei wirtschaftlich wesentlich interessanter als der geringe Gewinn von Terminalverkäufen gewesen.
Card Solutions sei nicht marktbeherrschend und daher auch nicht zur Herausgabe der Schnittstelleninformationen
verpflichtet gewesen. Multipay habe keine Einwirkungsmöglichkeiten auf Card Solutions gehabt.
1062. Unter
den Prämissen einer wettbewerbswidrigen Übertragung von Marktmacht vom Markt des Akzeptanzgeschäfts
auf den Terminalmarkt sowie der Komplementarität von Akzeptanz-Dienstleistungen und Terminalleistungen
könne der Gewinn aus der Marktmacht nur einmal abgeschöpft werden. Deshalb bestehe an einer
Übertragung der Marktmacht vom Markt des Akzeptanzgeschäfts auf den Terminalmarkt kein Interesse.
Da die Einkünfte aus den Akzeptanzverträgen die Einkünfte aus den Terminalverkäufen
übersteigen würden, hätte die SIX-Gruppe ein wesentlich höheres wirtschaftliches
Interesse an einer Verbreitung der Akzeptanzverträge als an einer Verbreitung der Zahlungskartenterminals.
1063. Im
Hinblick auf das Ausmass der Wettbewerbsverfälschung machen die Beschwerdeführerinnen geltend,
dass die Verwirklichung einer Geschäftsverweigerung die Beseitigung des Wettbewerbs auf dem relevanten
Markt voraussetze. Die kartellrechtliche Kontrahierungspflicht sei eine ultima ratio, um eine Beseitigung
wirksamen Wettbewerbs zu verhindern. Drohe keine Beseitigung wirksamen Wettbewerbs, bestehe auch keine
Kontrahierungspflicht. Dies habe schon die Botschaft (Botschaft KG 1995,
571) festgehalten mit der Formulierung: "Verbleibt dem Marktpartner aufgrund der beherrschenden
Stellung keine Ausweichmöglichkeit, so kann diesem durch die Verweigerung der Geschäftsbeziehungen
die Ausübung der Wettbewerbsfreiheit verunmöglicht werden."
Entgegen der Ansicht der Vorinstanz sei hingegen das Vorliegen einer blossen Wettbewerbsbeeinträchtigung
gemäss der schweizerischen und europäischen Wettbewerbspraxis nicht ausreichend.
1064. Dies
müsse entsprechend der europäischen Wettbewerbspraxis auch für Schnittstelleninformationen
als immaterialgüterrechtlich geschützte Rechtsgüter gelten.
1065. Da die angefochtene Verfügung die
Entscheidungen der europäischen Wettbewerbspraxis mit keinem Wort erwähne, habe sich die Vorinstanz
mit diesen Entscheidungen auch nicht auseinandergesetzt. Die Vorinstanz würde demnach ohne Begründung
von der massgeblichen europäischen Wettbewerbspraxis abweichen.
1066. Selbst
wenn vom Ansatz der Vorinstanz auszugehen wäre, würde die Missbräuchlichkeit in jedem
Fall voraussetzen, dass das betreffende Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens zumindest geeignet
gewesen sei, immerhin jeglichen Wettbewerb durch die betroffenen Unternehmen auszuschliessen. Diese Vorhersehbarkeit
müsse aufgrund der Entscheidpraxis der europäischen Gerichte bei einer Verweigerung von Geschäftsbeziehungen
eindeutig gegeben sein.
1067. Im
vorliegenden Sachverhalt habe tatsächlich aber gar keine individuelle Wettbewerbsbeseitigung vorgelegen.
Weder die Anzeigestellerin noch ein anderer Terminalhersteller seien vom Wettbewerb völlig ausgeschlossen
gewesen. Vielmehr seien alle Terminalhersteller während des relevanten Zeitraums auf dem Terminalmarkt
tätig gewesen, wobei die genaue Zahl der hierbei vorgenommenen Verkäufe jedoch nicht offengelegt
worden sei. Dies werde auch durch die Marktentwicklung bestätigt, weil sowohl die Verkäufe
als auch die Marktanteile der Terminalhersteller angestiegen seien.
1068. Eine individuelle Wettbewerbsbeseitigung
einzelner Terminalhersteller scheide schon deshalb aus, weil diese den Händlern jederzeit ein eigenes
Zahlungskartenterminal zusammen mit Akzeptanz- und DCC-Dienstleistungen von Aduno hätten anbieten
können. Da diese demnach zumindest teilweise ein Paket aus Terminal-, DCC- und Akzeptanz-Dienstleistungen
hätten schnüren können, sei der Nachweis, dass die anderen Kartenakquisiteure ein solches
Paket nicht effektiv nachbilden konnten, nicht gelungen.
1069. Darüber
hinaus könne die zeitweise Nichtverfügbarkeit einer Produktentwicklung den Wettbewerb im Markt
nicht beseitigen. Ansonsten könne ein marktbeherrschendes Unternehmen niemals neue Funktionen für
seinen Eigengebrauch oder auch für den Gebrauch durch Dritte entwickeln, ohne dies nicht sofort
sämtlichen Konkurrenten offen zu legen.
1070. Nur
ein geringer Teil der Kunden sei überhaupt an der DCC-Funktion interessiert gewesen. Ferner ergäbe
die Auswertung des Zahlenmaterials, dass nur wenige der Händler mit einem DCC-Vertrag und aktueller
DCC-Nutzung überhaupt ein DCC-Terminal im relevanten Zeitraum erworben hätten. Aus dem Umstand,
dass ein kleiner Teil der Händler im relevanten Zeitraum ein Zahlungskartenterminal von Card Solutions
gekauft und die DCC-Funktion genutzt hätte, könne nicht abgeleitet werden, dass die anderen
Terminalhersteller vom Wettbewerb völlig ausgeschlossen gewesen seien. Da die DCC-Funktion nur von
einem kleinen Teil der Händler genutzt werde, würde die Ansicht der Vorinstanz dazu führen,
dass jeder einzelne Verkauf eines Zahlungskartenterminals durch ein Unternehmen mit Marktbeherrschung
in einem anderen Bereich zu einem Missbrauch führen würde, unabhängig davon, ob der Verkauf
wegen besonderer Ausstattung - wie z.B. DCC-Funktion, Motorleser, Geschwindigkeit, Beheizbarkeit
- aus einer Laune des Händlers heraus oder dem Trend entsprechend - z.B. gleiches Zahlungskartenterminal
wie die Grossverteiler - erfolge.
1071. Nach Ansicht der Beschwerdeführerinnen
könne die angefochtene Verfügung aber auch keine Wettbewerbsbeeinträchtigung darlegen.
1072. Die
Vorinstanz wende keine bestimmte Definition an, aufgrund der eine Bestimmung erfolge, ab welchem Mass
einer Einwirkung auch eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs bestehen würde. Es könne nicht
sein, dass jede Produktfunktion oder jedes Designmerkmal, das für einzelne Kunden von Interesse
sei, sofort zu einer bussgeldbewährten Wettbewerbsverfälschung führen würde, wenn
nicht alle Wettbewerber identische Produkte anbieten könnten. Der Wettbewerb habe gerade ein Ziel
in Gestalt des Entwicklungsantriebs.
1073. In
der angefochtenen Verfügung fehle in jedem Fall der Nachweis einer negativen Wirkung auf die Verbraucher
oder die Marktteilnehmer. So seien weder eine direkte Preiserhöhung noch Marktaustritte als plausible
Gefahr aufgezeigt worden.
1074. Die Vorinstanz komme zum Ergebnis, dass
eine Wettbewerbsbeeinträchtigung gegeben sei, weil die anderen Terminalhersteller über kein
gleichwertiges Angebot für eine gewisse Anzahl an Zahlungskartenterminals verfügt hätten.
Die Gleichwertigkeit der Angebote sei jedoch der falsche Prüfungsmassstab für eine Wettbewerbsverfälschung.
Nicht das Angebot sei von Relevanz, sondern die Nachfrage.
1075. Bei dem fraglichen Verhalten handle es
sich um eine blosse Übergangsproblematik, weil einer Lizenzierung nach Abschluss der Test- und Zertifizierungsphase
nichts mehr im Wege gestanden hätte. Die Vorenthaltung des Verkaufs von Zahlungskartenterminals
mit einer bestimmten Funktion habe nämlich nur einen beschränkten Zeitraum von einigen Monaten
gedauert. Die kurzzeitige Einschränkung aufgrund der Test- und Zertifzierungsphase hätte ferner
kaum zu einer Beeinträchtigung führen können, weil die DCC-Funktion während dieser
Zeit primär bei schon bestehenden Kunden aufgeschaltet worden sei. Diese hätten mehrheitlich
schon über die notwendigen Zahlungskartenterminals verfügt. Bei neu verkauften Zahlungskartenterminals
sei die DCC-Funktion nur bei einem Bruchteil überhaupt Bestandteil des jeweiligen Leistungsumfangs
gewesen. Demzufolge hätten bei 95% der Verkäufe keine übergangszeitlichen Beschränkungen
bestanden.
1076. Die
angefochtene Verfügung basiere nur auf einer Vermutung. Die Vorinstanz gehe lediglich vermutungsweise
davon aus, dass eine Beeinträchtigung vorgelegen habe, weil die DCC-Funktion geeignet sei, einen
Kaufentscheid zu beeinflussen. Entsprechende Sachverhaltsabklärungen hätten nicht stattgefunden.
Mangels Abklärung und Quantifizierung des Beeinflussungsgrads könne jedoch kein Missbrauch
konstruiert werden; dies sei völlig abwegig.
1077. Im
Einzelnen sei nicht abgeklärt worden, welche Händler tatsächlich auf die DCC-Funktion
verzichtet hätten. Daher lasse sich nicht feststellen, ob überhaupt eine Wettbewerbsbeeinträchtigung
vorgelegen habe.
1078. Des
Weiteren sei im Einzelnen auch nicht abgeklärt worden, ob andere Funktionalitäten wichtiger
gewesen wären, wie etwa Zahlungskartenterminals mit Motoreinzug für rasche Transaktionsabwicklung
und beheizbare Zahlungskartenterminals, die von der Anzeigestellerin aber nicht angeboten würden.
Auf direkte Nachfrage durch die Beschwerdeführerinnen bei einzelnen Abnehmern sei von diesen ausdrücklich
bestätigt worden, dass die DCC-Funktion beim Kaufentscheid keine Rolle gespielt habe. Im Übrigen
sei bei gewissen Händlern der Aufwand einer Aufrüstung mit der DCC-Währungsumrechnung
einschliesslich DCC-Terminals und Schulung der Mitarbeiter aus wirtschaftlichen Überlegungen nicht
vertretbar gewesen, weshalb auf den Erwerb von DCC-Terminals verzichtet worden sei.
1079. Die
angefochtene Verfügung halte auch nicht fest, wie viele Händler tatsächlich eine Entscheidung
zu Ungunsten von Jeronimo wegen der fehlenden DCC-Funktionalität getroffen hätten. Auch insgesamt
sei nicht dargelegt worden, dass die anderen Terminalhersteller effektiv weniger Zahlungskartenterminals
aufgrund der DCC-Funktion verkauft hätten. Angesichts der in der angefochtenen Verfügung enthaltenen
Daten sei aber davon auszugehen, dass die anderen Terminalhersteller ihre Verkäufe in den Jahren
2005 und 2006 gegenüber 2004 signifikant um rund 20% von 6´000-7´000 Zahlungskartenterminals
auf 8´733 bzw. 9´000 Zahlungskartenterminals hätten steigern können. Demzufolge sei
eine Wettbewerbsbehinderung ausgeschlossen.
1080. Nach
Beseitigung der angeblichen Behinderungswirkung sei keine deutliche Zunahme derjenigen Händler zu
verzeichnen gewesen, welche die Akzeptanz-Dienstleistungen von Multipay in Kombination mit einem Zahlungskartenterminal
eines anderen Herstellers als Card Solutions in Anspruch genommen hätten. Dies würde gegen
das Vorliegen einer vorgängigen Beeinträchtigung sprechen.
1081. Faktisch könnten von vornherein
nur diejenigen Händler betroffen gewesen sein, die bereits mit Multipay einen Akzeptanzvertrag abgeschlossen
hätten. Bei allen anderen Händlern habe ja die Möglichkeit bestanden, ein anderes Paket
an Kartenakquisiteur und Terminalhersteller zu wählen.
1082. Aus dem Umstand, dass zwischen Juli 2005
und Dezember 2006 bei {4´000-[ ´ ]-5´000}
Vertragspartnern die DCC-Funktion zugelassen worden sei, könne nicht abgeleitet werden, dass alle
diese Händler (i) ein neues Zahlungskartenterminal gekauft hätten und (ii) auch in demselben
Jahr die DCC-Funktion genutzt hätten. Diese Händler hätten nur über die vertraglichen
Grundlagen verfügt, um die DCC-Funktion überhaupt aufschalten zu können. Ein Kauf von
DDC-Terminals werde durch die angefochtene Verfügung nicht nachgewiesen.
1083. Gemäss angefochtener Verfügung
soll bei {1´700-[ ´ ]-1´800}
Händlern eine Wettbewerbsbeeinträchtigung nachgewiesen sein. Hierzu hätte aber festgestellt
werden müssen, ob die Anzeigestellerin überhaupt jemals als Terminallieferantin in Frage gekommen
wäre. Eine Wettbewerbsbeeinträchtigung hätte sich nur ergeben können, wenn exakt
diese Händler ein Zahlungskartenterminal von Jeronimo hätten kaufen wollen, die dies bevorzugt
hätten, aber aufgrund der vorübergehend nicht verfügbaren DCC-Funktion letztlich nicht
erworben haben. Eine entsprechende Sachverhaltsermittlung sei nicht erfolgt. Der Nachweis, dass sich
alle {1´700-[ ´ ]-1´800}
Händler, bei denen eine wettbewerbsbehindernde Wirkung aufgrund der Koppelungswirkung behauptet
worden sei, ansonsten für einen Wettbewerber entschieden hätten, sei demzufolge nicht erbracht
worden.
1084. Gemäss angefochtener Verfügung
soll bei {2´000-[ ´ ]-2´500}
Händlern, die über einen DCC-Vertrag verfügten, eine Wettbewerbsbehinderung erfolgt sein,
obwohl sie in besagtem Zeitraum keine Zahlungskartenterminals gekauft hätten. Es sei nicht ersichtlich,
inwiefern bei einem Händler überhaupt eine Beeinträchtigung vorliegen könne, wenn
dieser überhaupt kein Zahlungskartenterminal gekauft habe. In diesem Falle hätte Jeronimo ungeachtet
der DCC-Funktion kein Zahlungskartenterminal verkaufen können. Ein Nachweis für die Wettbewerbsbehinderung
dieser Händler werde von der Vorinstanz nicht beigebracht.
1085. Bezüglich weiterer {11´000-[ ´ ]-12´000}
Händler mit Zahlungskartenterminals ohne DCC-Vertrag könne keine Behinderung eingetreten sein.
Vielmehr belege diese Zahl, dass diese Händler kein Interesse an der DCC-Funktion gehabt hätten
und diese damit nicht habe zentral sein können, wie von der Vorinstanz behauptet werde.
1086. Demzufolge hätten bei 95% der Verkäufe
an die Händler keine übergangszeitlichen Beschränkungen bestanden, welche den Erwerb eines
Zahlungskartenterminals von einem anderen Terminalhersteller eingeschränkt hätten, weshalb
eine Wettbewerbsbeeinträchtigung nicht angenommen werden könne.
1087. Die
Beschwerdeführerinnen machen zudem geltend, dass jedenfalls angesichts der geringfügigen Einwirkung
auf den Wettbewerb eine Wettbewerbsbeeinträchtigung nicht vorliegen würde.
1088. Die von der Vorinstanz vertretene Ansicht,
wonach eine minimale, hypothetische Beschränkung in Bezug auf eine geringe Anzahl an Kunden für
die Verwirklichung einer kartellrechtlichen Unzulässigkeit als ausreichend zu qualifizieren sei,
führe dazu, dass selbst einzelne Funktionen eines Geräts den anderen Konkurrenten sofort offengelegt
werden müssten.
1089. Die DCC-Funktionalität sei nur für
Unternehmen mit einem grossen Anteil an Fremdwährungstransaktionen interessant. Eine Vielzahl der
Händler habe kein Interesse an dieser Funktion, weshalb sie kein relevantes Kriterium für einen
Kauf darstelle. Deshalb bestünden keine Hinweise darauf, dass die DCC-Funktion beim Terminalkauf
oder bei Händlern ohne mittelbares Interesse an DCC die Kaufentscheidung erheblich beeinflusst habe.
1090. In der relevanten Periode vom 5. Juli
2005 bis 8. Dezember 2006 seien {12´000-[ ´ ]-15´000}
Zahlungskartenterminals an zwei Grosskunden geliefert und verrechnet worden. Dies würde einem Anteil
von mehr als {45-[ ]-55}% der in der angefochtenen Verfügung
als relevant erachteten Anzahl an Zahlungskartenterminals entsprechen. Diese Zahlungskartenterminals
seien von der Vorinstanz korrekterweise auch nicht berücksichtigt worden. Den Verkäufen sei
ein ordnungsgemässes Ausschreibungsverfahren vorausgegangen, an dem alle Terminalhersteller hätten
diskriminierungsfrei teilnehmen können und in dessen Verlauf die DCC-Funktionalität weder im
Pflichtenheft noch in den von Card Solutions gemachten Angeboten aufgetaucht sei. Wenn die Grossverteiler
das Kriterium der DCC-Funktionalität unberücksichtigt liessen, könne ihm keine Bedeutung
zukommen. Vielmehr müsse daraus der Schluss gezogen werden, dass ep2-Terminals auch ohne die DCC-Funktion
nachgefragt worden seien, weshalb dieser Funktion nicht die von der Vorinstanz zugeordnete Bedeutung
zukäme.
1091. Zudem hätten sich sogar Händler,
die einen Multipay-Akzep-tanzvertrag gehabt hätten, bewusst gegen die DCC-Option entschieden. Auch
seien die Fremdterminalkäufe nach der Beendigung der angeblichen Wettbewerbsbehinderung nicht angestiegen.
Diese Aspekte würden ebenfalls gegen eine Wirkung als angebliche Wettbewerbsbehinderung sprechen.
1092. Auch
der Verlauf der Absatzzahlen und Marktanteile belege, dass der DCC-Funktion keine massgebliche Bedeutung
für die Kaufentscheidung der Händler zukäme und demzufolge keine Behinderung anderer Terminalhersteller
vorliegen könne.
1093. Die Verkäufe der Card Solutions
würden keinen eigenen Markt darstellen. Vielmehr müsse als Ausgangsbasis die Anzahl aller Zahlungskartenterminals,
die noch auf den ep2-Standard hätten umgestellt werden müssen, als potenzieller Markt herangezogen
werden. Massgebend wäre somit der Anteil der von Card Solutions gelieferten Zahlungskartenterminals
an diesem Gesamtmarkt. Dieser Anteil beliefe sich auf weniger als {1%-[ ]-3%}
des Gesamtmarkts. Bei diesem Volumen könne nicht von einer Wettbewerbsverfälschung gesprochen
werden.
1094. Von der Gesamtzahl der in den Jahren
2005 und 2006 verkauften oder vermieteten Zahlungskartenterminals habe nur ein sehr geringer Anteil von
{4-[ , ]-7}% im Jahr
2006 und {8-[ , ]-9}%
im Jahr 2005 in Zusammenhang mit der Aufschaltung der DCC-Funktion gestanden. Für die in den beiden
Jahren 2005 und 2006 gesamthaft zu betrachtenden Verkäufe und Vermietungen habe sich dieser Anteil
auf {4-[ , ]-7}% belaufen.
1095. Von den 2005 und 2006 insgesamt in der
Schweiz von allen Herstellern verkauften Zahlungskartenterminals seien lediglich {2-[ , ]-5}%
(2005) bzw. {2-[ , ]-5%
(2006) von Card Solutions im Zusammenhang mit einer Aufschaltung der DCC-Funktion verkauft worden. Dieser
Anteil sei derart minimal, dass ihr nicht die Bedeutung beigemessen werden könne, die eine Wettbewerbsbeeinträchtigung
erfordere.
1096. Ausserdem hätte ein gewisser Anteil
der betrachteten Händler ohnehin ein Zahlungskartenterminal von Card Solutions gekauft; eine plausible,
aber konservative Schätzung hierfür würde sich auf 52% belaufen. Bei Abzug eines Anteils
an Händlern, die ohnehin ein Zahlungskartenterminal von Card Solutions erworben hätten, belaufe
sich der Anteil nur noch auf {0,5-[ , ]-2,5}%
des Gesamtmarkts.
1097. Bei {600-[ ]-700}
Händlern, die {0,5-[ , ]-2,5}%
des Gesamtmarkts ausmachen würden, habe es sich um Neukunden gehandelt. Diese Neukunden seien nicht
zu berücksichtigen, weil nur Händler betroffen hätten sein können, für die bereits
ein Akzeptanzvertrag mit Mulitpay bestand. Abzüglich dieser Gruppe wären im Sinne der angefochtenen
Verfügung, d.h. der angeblich {1´700-[ ' ]-1´800}
Händler mit Interesse an DCC, nur noch {1-[ , ]-3}%
und nicht {2-[ ]% bis [ ]-5%
des Gesamtmarkts betroffen.
1098. Aufgrund
des Umstands, dass die Grossverteiler als bedeutendste Nachfrager die DCC-Funktion nicht als relevantes
Entscheidungskriterium aufgeführt hätten und Jeronimo im Angebotsverfahren nicht habe obsiegen
können, sowie den tatsächlichen Marktdaten sei es demzufolge plausibel, zu unterstellen, dass
auch bei einer Lizenzierung der DCC-Schnittstelleninformationen gegenüber den anderen Terminalherstellern
eine Vielzahl von Händlern dennoch Card Solutions präferiert hätten. Dafür, dass
die Marktanteile der Wettbewerber bei Stabilität der absoluten Verkaufszahlen gesunken seien und
sie damit weniger von der Umstellung auf die ep2-Technologie profitiert hätten, lägen auch
nachvollziehbare Erklärungen vor: (i) bestehende Kundenbeziehungen von Card Solutions; (ii) schlechtes
Produktangebot, weil die Zahlungskartenterminals der SIX-Gruppe den Zahlungskartenterminals der Konkurrenz
technisch überlegen seien und daher für den Händler die bessere Lösung darstellen
würden; sowie (iii) fehlende Kundenrückgewinnung wegen Marktsättigung.
1099. Die Angaben der Anzeigestellerin zum
Nachweis einer Behinderung seien widersprüchlich und daher unglaubhaft. Für die Behauptung,
dass sich gewisse Kunden geweigert hätten, Zahlungskartenterminals zu bestellen, würden keine
Belege in den Akten oder der angefochtenen Verfügung vorliegen. Die Behauptung, man hätte viele
kleine Händler wie Apotheken, Bäckereien etc. verloren, sei aktenwidrig, weil nur ein verschwindend
kleiner Anteil an Bäckereien (24), Apotheken (69) und Metzgereien (20) über einen DCC-Vertrag
verfügen würden. Und diese Betriebe seien an Lokalitäten domiziliert, welche von Touristen
frequentiert würden (Flughäfen, Bahnhöfe, Ferienorte).
1100. Diese prozentual verschwindend kleinen
Verkäufe durch die anderen Terminalhersteller seien jedoch keinesfalls ein rechtsgenüglicher
Beweis für eine Wettbewerbsbehinderung. Es handle sich jeweils um weniger als 2-4% der Unternehmen
in diesen Branchen. Die Behauptung, ein bestimmtes Unternehmen sei wegen der DCC-Funktion auf Zahlungskartenterminals
der Card Solutions umgestiegen, sei unzutreffend. Die Anfrage der Beschwerdeführerinnen bei diesem
Unternehmen habe vielmehr ergeben, dass die DCC-Funktion nicht relevant gewesen sei. Die DCC-Funktion
werde bis heute von diesem Unternehmen nicht benutzt. Die Vorinstanz sei mit Schreiben vom 11. November
2010 hierauf ausdrücklich hingewiesen worden. Die Behauptung der Anzeigestellerin, in 90% der Verkaufsgespräche
habe die DCC-Funktion eine Rolle gespielt, sei nicht verifiziert worden, obschon die Verkaufsgespräche
von Jeronimo angeblich schriftlich rapportiert worden seien. Es sei somit nicht ein einziges Mal abgeklärt
worden, ob die Vorwürfe gerechtfertigt seien. Die Vorinstanz habe in der angefochtenen Verfügung
selbst bestätigt, dass keine Wettbewerbsbeseitigung vorgelegen habe: "Ein bestimmter Restwettbewerb
bezüglich Multipay-Händlern, welche nicht an der DCC-Funktionalität interessiert waren,
blieb bestehen." Dabei sei es untertrieben, den vorherrschenden Wettbewerb in mehr als 96% des
Markts als blossen Restwettbewerb zu bezeichnen.
1101. Die Auswertung des vorhandenen Zahlenmaterials
durch die angefochtene Verfügung sei unzulänglich, wodurch sich erhebliche Verfälschungen
der Tatsachen ergeben würden. Aufgrund des korrekt berücksichtigten Zahlenmaterials ergäbe
sich vielmehr, dass der Anteil wesentlich geringer ausfalle, als von der Vorinstanz behauptet. In der
Stellungnahme zum Antrag hätten die Beschwerdeführerinnen umfangreiche Unterlagen, Informationen
und Daten hinsichtlich der fehlenden Relevanz der meisten Verkäufe zur Verfügung gestellt.
Die Feststellung der angefochtenen Verfügung, wonach diese Angaben nicht zur Verfügung gestanden
hätten, sei demnach aktenwidrig und irreführend.
1102. Die Behauptung der Vorinstanz, wonach
vorliegend eine Wettbewerbsverfälschung stattgefunden habe, sei demnach wirklichkeitsfremd, nicht
substantiiert und unbewiesen.
1103. Das
konkrete Verhalten der SIX-Gruppe habe Effizienzgewinne erzeugt, weil ansonsten als Folge einer verfrühten
Herausgabe von Schnittstelleninformationen erhebliche ökonomische Transaktionskosten eingetreten
wären.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
1104. Nach Darlegung der allgemeinen Dogmatik
zur Frage des Behinderungsmissbrauchs und unter Bezugnahme auf die internationalen Leitentscheide AT&T,
IBM und Microsoft hält
die Vorinstanz in einem ersten Schritt fest, dass die Verhaltensweise von Multipay einen Verdrängungseffekt
auf dem Terminalmarkt zur Folge gehabt habe und einen Behinderungsmissbrauch darstellen würde.
1105. Mit Bezug auf ihre bisherige Praxis und
der dieser zu Grunde liegenden monopoly leveraging-Theorie und verschiedenen Literaturansichten sowie
in Abgrenzung zur Praxis im europäischen Kartellrecht und der essential facilities-Doktrin legt
die Vorinstanz dar, dass die Geschäftsverweigerung entgegen einer Ansicht in der schweizerischen
Literatur keine Beseitigung des wirksamen Wettbewerbs verlange, sondern bereits das Bestehen einer Wettbewerbsbeeinträchtigung
für die Erfüllung des Tatbestands ausreichend sei.
1106. Ansonsten
würde sich ein Widerspruch zur Systematik des Art. 7
KG ergeben, weil bei allen anderen Missbrauchsformen
eine Wettbewerbsbeeinträchtigung ausreichend sei. Da alle Regelbeispiele in Verbindung mit Art.
7 Abs. 1
KG zur Anwendung gelangen würden, und dieser die allgemeinen Kriterien in einheitlicher
Weise für alle Regelbeispiele vorgebe, müsse das Kriterium der Wettbewerbsbeeinträchtigung
auch im Rahmen einer Geschäftsverweigerung Anwendung finden.
1107. Auch die ökonomische Literatur würde
anerkennen, dass eine Marktverschliessung nicht zum Marktaustritt der Konkurrenten auf dem nachgelagerten
Markt führen müsse. So würden marktverschliessende Verhaltensweisen oftmals nicht zum
Ausbau der Marktstellung auf dem nachgelagerten Markt angewendet, sondern um eine erodierende Marktstellung
auf dem nachgelagerten Markt zu schützen oder eine frühere marktmächtige Position wiederherzustellen.
Hierbei würde aufgezeigt, weshalb sich solche Verdrängungspraktiken für ein marktbeherrschendes
Unternehmen lohnen könnten.
1108. Das Erfordernis der Wettbewerbsbeeinträchtigung
würde auch nicht bloss dazu führen, dass nur ein Wettbewerber, nicht aber der Wettbewerb selbst
geschützt werde. Denn auch eine Wettbewerbsbeeinträchtigung führe zu einer nachteiligen
Einwirkung auf den wirksamen Wettbewerb an sich, weil sich ein Unternehmen gegenüber seinen Konkurrenten
einen Vorteil verschaffe, welcher sich nicht aus der Wettbewerbfähigkeit seiner Produkte ergebe.
1109. Vorliegend habe die Geschäftsverweigerung
der Beschwerdeführerinnen dazu geführt, dass Jeronimo und andere Terminalhersteller Händlern,
welche über einen Akzeptanzvertrag mit Multipay verfügt hätten oder einen solchen hätten
abschliessen wollen, keine DCC-fähigen Zahlungskartenterminals habe anbieten können. Einzig
Card Solutions sei in der Lage gewesen, diesen Händlern DCC-fähige Zahlungskartenterminals
zu verkaufen. Durch diese Verhaltensweise sei der Wettbewerb auf dem Markt für ep2-zeritifizierte
Zahlungskartenterminals eingeschränkt worden, indem er für ein bestimmtes Kundensegment -
Händler mit einem Azeptanzvertrag mit Multipay, welche an DCC interessiert seien - de facto
vollständig ausgeschlossen worden sei.
1110. Von Bedeutung für die Beurteilung
der Wettbewerbsbehinderung sei die dynamische Marktphase, denn der Terminalmarkt habe sich während
der Zeitdauer der Geschäftsverweigerung in einer Umbruchphase befunden. Des Weiteren sei zu beachten,
dass aufgrund des ep2-Standards in der massgebenden Zeitperiode gleichzeitig eine Marktöffnung stattgefunden
habe, weil ep2-zertifizierte Kartenzahlungsterminals unabhängig vom Terminalanbieter bei jedem Kartenakquisiteur
hätten eingesetzt werden können. Dadurch seien die Voraussetzungen für einen wirksamen
Wettbewerb auf dem Terminalmarkt geschaffen worden. Während dieser Umbruchphase habe Multipay ab
März 2005 mit dem Abschluss von DCC-Verträgen begonnen. Die Anzahl der abgeschlossenen DCC-Verträge
belege die erhebliche Bedeutung dieser Funktion.
1111. Card
Solutions habe im Jahr 2006 eine eigentliche Trendumkehr bewirken können. Während die Marktanteile
der Card Solutions seit dem Jahr 2001 stark erodiert seien und die Konkurrenten bis zum Jahr 2005 hätten
Marktanteile gewinnen können, habe sich die Situation im Jahr 2006 gewendet. Die Card Solutions
habe ihren Anteil an den verkauften Zahlungskartenterminals massiv um über {20-[ ]-30}%
auf rund {65-[ ]-75}% ausbauen können. Alle anderen
Terminalanbieter hätten demgegenüber Marktanteile verloren und Hauptkonkurrent Jeronimo sei
stark zurückgebunden worden. Der Anteil von Jeronimo an den Terminalverkäufen habe sich im
Jahr 2006 gegenüber den beiden Vorjahren mehr als halbiert und sei auf rund { - }%
eingebrochen.
1112. Des Weiteren macht die Vorinstanz geltend,
der Ansicht der Beschwerdeführerinnen, wonach die Behinderungswirkung nicht nachgewiesen sei, könne
nicht gefolgt werden. Die Untersuchung habe sich gerade nicht darauf beschränkt, einen Nachweis
mit Bezug auf einzelne Kunden zu erbringen, was angesichts der Anzahl betroffener Händler eher illustrativen
Charakter gehabt hätte. Selbst wenn den Beschwerdeführerinnen gefolgt und nur bezüglich
der {1´700-[ ' ]-1´800}
Händler, welche gleichzeitig ein Zahlungskartenterminal gekauft und einen DCC-Vertrag geschlossen
hätten, von einer Behinderung oder Beseitigung des Wettbewerbs ausgegangen werden würde, sei
die Wirkung des Verhaltens bereits für eine derart grosse Anzahl an Händlern nachgewiesen,
sodass sich eine Befragung der durch die Zeugen genannten Grosskunden erübrige. Die wettbewerbsbehindernde
Wirkung des Verhaltens sei bereits dadurch genügend nachgewiesen, dass der Wettbewerb in der massgebenden
Zeitperiode für {1´700-[ ' ]-1´800}
Händler beseitigt worden sei. Werde diese Verschliessung in Relation zu den Verkaufszahlen des grössten
Konkurrenten Jeronimo mit {4´000-[ ' - ' ]-7´000}
Zahlungskartenterminals während derselben Zeitperiode gesetzt, so ergebe sich ein Wert von rund
{25-[ - ]-40}%.
Der Missbrauch sei bereits damit erstellt. Die anlässlich des Hearings und in der Eingabe vom 11. November
2010 bzw. im Nachtrag vom 22. November 2010 vorgebrachten Einwände der Beschwerdeführerinnen
würden zu keiner neuen Einschätzung der Bedeutung der DCC-Funktion führen.
1113. Mit Bezug auf die konkrete Wettbewerbsbehinderung
im vorliegenden Fall kommt die Vorinstanz zum Ergebnis, dass die Card Solutions ihre Marktanteilsverluste
gegenüber der Konkurrenz während der Zeitdauer der Verweigerung nicht nur habe stoppen, sondern
ihren Marktanteil habe massiv ausbauen können. Diese Entwicklung sei massgeblich durch die Behinderung
im Bereich der DCC-Funktion beeinflusst worden. Von Juli 2005 bis Dezember 2006 habe Card Solutions rund
{11´000-[ ' ]-12´000}
Zahlungskartenterminals verkauft, bei welchen aufgrund der Geschäftsverweigerung der wirksame Wettbewerb
behindert worden sei. Für {1´700-[ ' ]-1´800}
Händler sei es zu einer Wettbewerbsbeseitigung gekommen. Zudem habe die Verhaltensweise der SIX-Group
das Potenzial gehabt, den Kauf von weiteren {2´000-[ ' ]-2´500}
Zahlungskartenterminals zu begünstigen.
1114. Im Ergebnis könne den Ausführungen
der Beschwerdeführerinnen nicht gefolgt werden, wonach ihr Verhalten nur einen derart geringen Effekt
auf dem Markt gehabt habe, dass gar nicht von einer Beseitigung oder Beeinträchtigung des Wettbewerbs
habe gesprochen werden können. Zunächst sei eine Wettbewerbsbeseitigung beim Verkauf von {1´700-[ ' ]-1´800}
Zahlungskartenterminals bereits ein ausreichender Effekt, um von einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs
auszugehen. Des Weiteren sei zu beachten, dass bei einer Beurteilung des Verhaltens aus damaliger Sicht
das Behinderungspotenzial bedeutend gewesen sei, zumal auch nicht absehbar gewesen sei, dass die Beschwerdeführerinnen
ihr Verhalten aufgeben würden. Die Beurteilung der Beschwerdeführerinnen berücksichtige
zudem nicht, dass ein Terminalkauf auch dann von der Möglichkeit der Inanspruchnahme der DCC-Funktion
beeinflusst sein könne, wenn diese Option in der Folge nicht in Anspruch genommen werde. Die Aufgabe
des Verhaltens führe zu einer Reduktion der massgeblichen Behinderungsdauer, nicht aber zu einer
anderen materiellen Beurteilung des Verhaltens selbst.
(3)
Würdigung durch das Gericht
1115. Bei
der Beurteilung und Feststellung der auf einer Geschäftsverweigerung beruhenden Wettbewerbsverfälschung
stellen sich zahlreiche allgemeine Einzelfragen, die vorliegend hinsichtlich des konkreten Sachverhalts
von den Einwendungen der Beschwerdeführerinnen angesprochen werden und demzufolge einer Abklärung
bedürfen.
(a)
Ausgangslage
1116. Hinsichtlich
dieser Einzelfragen sind dabei die gesetzgeberische Zielsetzung von Art. 7
KG sowie die entsprechenden
Wertungen der EU-Wettbewerbspraxis zum Missbrauchsbegriff zu beachten.
1117. Danach ist der Begriff der missbräuchlichen
Ausnutzung ein objektiver Begriff (vgl. Botschaft KG 1995, 518,
531, 569; BGE 139 II 72, Publigroupe, E. 10.1.1; Amstutz/Carron,
Art. 7 Rn. 39; Clerc, CR-Concur-rence,
Art. 7
I Rn. 84 f.; Stäuble/Schraner, Dike-KG,
Art. 7 Rn. 85; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 2.552). Er erfasst solche Verhaltensweisen eines Unternehmens in beherrschender Stellung, welche
die Struktur eines Markts beeinflussen können, auf dem der Wettbewerb gerade wegen der Präsenz
des fraglichen Unternehmens bereits geschwächt ist, und die zur Folge haben, dass die Aufrechterhaltung
des auf dem Markt noch bestehenden Wettbewerbs oder dessen Entwicklung durch die Verwendung von Mitteln
eingeschränkt wird, die sich von den Mitteln eines normalen Produktwettbewerbs auf der Grundlage
der Leistung der Wirtschaftsbeteiligten unterscheiden (EuGH, EU:C:1979:36, Hoffmann-La
Roche, Ziff. 91; EuGH, 15.3.2007, C-95/04P, British Airways plc gg. EU-Kom, EU:C:2007:166,
zit. British Airways, Ziff. 66; EuGH, 6.10.2015, C-23/14, Post
Danmark A/S gg. Konkurrencerådet, EU:C:2015:615, zit. Post Danmark
II, Ziff. 26; EuG, 20.9.2003, T-203/01, Manufacture francaise des pneumatiques Michelin gg. EU-Kom,
EU:T:2003:250, zit. Michelin II, Ziff. 54; EuG, EU:T:2009:317,
Clearstream, Ziff. 140).
1118. Zwar nimmt der Umstand, dass ein Unternehmen
eine beherrschende Stellung innehat, diesem nicht das Recht, seine eigenen geschäftlichen Interessen
zu wahren, wenn sie bedroht sind, und es darf grundsätzlich auch in angemessenem Umfang so vorgehen,
wie es dies zum Schutz seiner Interessen für richtig hält; ein entsprechendes Verhalten ist
jedoch dann nicht zulässig, wenn es auf eine unangemessene Verstärkung dieser beherrschenden
Stellung oder ihren Missbrauch abzielt (vgl. Botschaft KG 1995,
569; BGE 139 II 72, Publigroupe, E. 10.1.1; BGE 129 II 497, EEF,
E. 6.5.1; EuGH, EU:C:1978:22, United Brands, Ziff. 184/194; EuGH,
9.11.1983, 322/81, N.V. Nederlandsche Bandenindustrie Michelin gg. EU-Kom, EU:C:1983:313, Michelin
I, Ziff. 58; EuG, EU:T:2003:250, Michelin II, Ziff. 55;
EuG, EU:T:2009:317, Clearstream, Ziff. 132; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 7 Rn. 8; Weber/Volz,
FHB-WBR, Rn. 2.552).
1119. Einem
marktbeherrschenden Unternehmen kommt demzufolge eine besondere Verantwortung zu, dass es durch sein
Verhalten am Markt einen wirksamen und unverfälschten Wettbewerb nicht (weiter) beeinträchtigt.
Daher hat es auf die Anwendung von Praktiken zu verzichten, die nicht den Mitteln eines Leistungswettbewerbs
entsprechen (vgl. Botschaft KG 1995, 569; BGE 139 II 72, Publigroupe,
E. 10.1.1; EuGH, 6.9.2017, C-413/14P, Intel Corporation Inc. gg. EU-Kom u.a., EU:C:2017:632, zit. Intel,
Ziff. 135; EuGH, EU:C:1983:313, Michelin I, Ziff. 57; EuG, EU:T:2009:317,
Clearstream, Ziff. 134; EuG, EU:T:2007:289, Microsoft,
Ziff. 229; EuG, EU:T:2003:250, Michelin II, Ziff. 55;
Amstutz/Carron, BSK-KG, Art. 7 Rn. 38; Borer,
KG, Art. 7 Rn. 1; Clerc,
CR-Concurrence, Art. 7
I Rn. 81; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 7 Rn. 6).
1120. Daraus
folgt zum einen, dass Unternehmen in beherrschender Stellung unter besonderen Umständen das Recht
zu bestimmten Verhaltensweisen oder Massnahmen abzusprechen ist, die für sich genommen nicht missbräuchlich
sind und die sogar nicht zu beanstanden wären, wenn sie von nicht beherrschenden Unternehmen an
den Tag gelegt oder vorgenommen würden (vgl. EuG, EU:T:2009:317, Clearstream,
Ziff. 133; EuG, 17.7.1998, T-111/96, ITT Promedia gg.
EU-Kom, EU:T:1998:183; Amstutz/Carron, BSK-KG,
Art. 7 Rn. 38; David/Jacobs, WBR,
Rn. 687; Clerc, CR-Concurrence,
Art. 7 I Rn. 81, 82).
1121. Zum anderen folgt daraus, dass einem
marktbeherrschenden Unternehmen die Verpflichtung zukommt, alle praktizierten Verhaltensweisen auf ihre
Vereinbarkeit mit Art. 7
KG zu überprüfen (vgl. Amstutz/Carron,
BSK-KG, Art. 7
Rn. 38).
1122. Dem Anspruch auf Sicherstellung eines
unverfälschten Wettbewerbs kommt dabei eine umfassende Schutzfunktion zu (vgl. Botschaft
KG 1995, 518; BGE 139 II 72, Publigroupe, E. 10.1.2, "alle
denkbaren Verhaltensweisen"; EuGH, 21.2.1973, 6/72, Continental Can Inc. u.a. gg. EU-Kom, EU:C:1973:22,
zit. Continental Can, Ziff. 21, 27; EuGH, EU:C:1979:36, Hoffmann-La
Roche, Ziff. 120; Borer, KG,
Art. 7 Rn. 8; Stäuble/Schraner, Dike-KG,
Art. 7 Rn. 9; Bulst, LB-EUKR,
Art. 102 Rn. 10; Fuchs/Möschel, IM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 129; Schröter/Bartl, SJKM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 171). Deshalb werden durch das Missbrauchsverbot sowohl der Wettbewerb als Ordnungssystem
als auch die Individualinteressen der einzelnen Marktteilnehmer erfasst (vgl. E. 510).
1123. Zur
Verhinderung einer weiteren Beeinträchtigung des noch verbliebenen, aber aufgrund des Vorliegens
der marktbeherrschenden Stellung eines Unternehmens bereits geschwächten (Rest-)Wettbewerbs sind
demzufolge keine für den Wettbewerb nachteiligen Verhaltensweisen hinzunehmen, soweit im Einzelfall
keine ausreichende Rechtfertigung aufgrund von objektiven Gründen hierfür gegeben ist (vgl.
Botschaft KG 1995, 569; BGE 139 II 72, Publigroupe,
E. 10.1.2; Clerc, CR-Concurrence,
Art. 7
I Rn. 81; Stäuble/Schraner, Dike-KG,
Art. 7 Rn. 92 ff.; Bulst, LB-EUKR,
Art. 102 Rn. 154; Fuchs/Möschel, IM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 130; Schröter/Bartl, SJKM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 168, 170 f.).
(b)
Notwendigkeit einer Schädigungstheorie im Einzelfall
1124. Dem Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1057
ff.), wonach die angefochtene Verfügung keine ausreichende Schädigungstheorie für das
vorgeworfene Verhalten nachweisen könne, weil weder Multipay noch Card Solutions ein wirtschaftliches
Interesse an einer Einschränkung des Einsatzes von DCC-Terminals von Drittherstellern durch die
Händler gehabt hätten und sie dadurch auch wettbewerbstheoretisch keinen effektiven Vorteil
hätten erzielen können, liegt die Frage zu Grunde, ob der Nachweis eines als Regelbeispiel
statuierten wettbewerbswidrigen Marktmissbrauchs das Fehlen einer übergeordneten wirtschaftlich
sinnvollen Erklärung für das jeweilige Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens voraussetzt
oder nicht.
1125. Für
eine Beantwortung dieser Frage sind die verschiedenen Aspekte von Bedeutung, die nachfolgend im Hinblick
auf die unterschiedlichen, sich überlagernden Argumentationen der Beschwerdeführerinnen kurz
darzustellen sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass angesichts der Vielfalt an wirtschaftstheoretischen
Erklärungsmodellen beinahe jedes Ereignis einer ökonomischen Rechtfertigung zugeführt
werden könnte, wie dies von den Beschwerdeführerinnen in anderem Zusammenhang selbst vorgetragen
wird (vgl. E. 1430).
Zudem liegen jedem wirtschaftstheoretischen Erklärungsmodell vereinfachende Annahmen zu Grunde,
was auch von den Beschwerdeführerinnen ausdrücklich eingeräumt wird (vgl. E. 1056).
Diese beiden Aspekte sprechen bereits grundlegend gegen eine zwingende Anwendung einzelner wirtschaftstheoretischer
Erklärungsmodelle einschliesslich bestimmter Schädigungstheorien auf einen konkreten Einzelfall
(vgl. BGE 143 II 279, Gaba, E. 6.2.1 f., wonach die Auslegung von Art. 5 Abs. 4
KG autonom, d.h. ohne
Berücksichtigung bestimmter ökonomischer Theorien zu erfolgen habe, vielmehr sei der mittels
aller Auslegungselemente festzustellende Normsinn massgeblich).
1126. Mit der ausdrücklichen Statuierung
der Geschäftsverweigerung als Regelbeispiel eines missbräuchlichen Verhaltens durch ein marktbeherrschendes
Unternehmen hat der schweizerische Gesetzgeber klargestellt, dass jedenfalls mit der Erfüllung des
gesetzlichen Tatbestands von Art. 7 Abs. 2 lit. a
KG eine nachteilige Einwirkung auf den Wettbewerb vorliegt,
die zudem gemäss Art. 49a
KG ausnahmslos zu sanktionieren ist. Infolgedessen steht im Rahmen der
Rechtsanwendung auf einen konkreten Einzelfall sowohl für die Wettbewerbsbehörden als auch
für die Gerichte als Rechtsmittelinstanzen das Vorliegen einer ausreichenden ökonomischen Schädigungstheorie
bei einer Erfüllung der massgeblichen Tatbestandsmerkmale ausser Frage. Dies gilt für die Geschäftsverweigerung
ungeachtet dessen, dass für verschiedene Missbrauchsvarianten unterschiedliche Tatbestandsmerkmale
zu berücksichtigen sind. Demnach scheidet eine Erörterung des Aspekts, ob bei einer Geschäftsverweigerung
überhaupt und gegebenenfalls nach welcher bestimmten ökonomischen Theorie tatsächlich
eine nachteilige Einwirkung auf den Wettbewerb angenommen werden kann, von vornherein aus. Im vorliegenden
Fall kommt den Ausführungen der Beschwerdeführerinnen zur massgeblichen ökonomischen Schädigungstheorie
(vgl. E. 1058
ff.) daher für die Entscheidung in der Sache keine Bedeutung zu.
1127. Die von den Beschwerdeführerinnen
für eine ausreichende Schädigungstheorie statuierte Voraussetzung, wonach die Erzielung eines
effektiven Vorteils durch das marktbeherrschende Unternehmen infolge des in Frage stehenden Verhaltens
erkennbar sein müsse (vgl. E. 1058),
kann keine zwingende Anforderung an ein marktmissbräuchliches Verhalten darstellen. Ein bestimmtes
wirtschaftliches Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens muss nämlich nicht auf die Erzielung
eines effektiven Vorteils ausgerichtet sein, um die eigene marktbeherrschende Stellung auf einem Markt
zu stützen oder auszubauen oder auf einen weiteren Markt auszudehnen. Vielmehr kann eine Einwirkung
auf den Wettbewerb zu Lasten einzelner oder aller Konkurrenten auf dem Markt auch unter Inkaufnahme von
eigenen Nachteilen vorgenommen werden (vgl. E. 1206).
Die eigenen Nachteile werden dabei in der Erwartung hingenommen, dass die betroffenen Konkurrenten durch
die jeweiligen Massnahmen ebenfalls nachteilig belastet werden und diese ihre Nachteile letztlich weniger
verkraften können als das marktbeherrschende Unternehmen. Angesichts dieser im Einzelfall jeweils
ohne Weiteres möglichen Schädigungskonstellation kann der Ausschluss eines Marktmachtmissbrauchs
durch das marktbeherrschende Unternehmen entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen nicht aus
dem Fehlen eines effektiven, d.h. verifizierbaren Vorteils abgeleitet werden.
1128. Die von einem bestimmten wirtschaftlichen
Verhalten ausgehende Behinderung von andereren Wettbewerbsteilnehmern ist demzufolge grundsätzlich
anhand von dessen Geeignetheit für eine nachteilige Einwirkung auf den Wettbewerb zu beurteilen.
Allfällig auftretende Vorteile zu Gunsten des marktbeherrschenden Unternehmens vermögen die
Feststellung von nachteiligen Einwirkungen zu Lasten anderer Marktteilnehmer zu stützen, bilden
aber keine notwendige Voraussetzung hierfür.
1129. Auch der Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1062),
wonach gemäss dem wirtschaftstheoretischen Erklärungsmodell der single monopoly-Theorie der
Chicago School ein Gewinn aus der Ausübung von Marktmacht durch ein marktbeherrschendes Unternehmen
nur einmal abgeschöpft werden könne - weshalb die Multipay und die Card Solutions als
rational handelnde Unternehmen gar kein Interesse an einer Einschränkung der Absetzbarkeit von DCC-Terminals
durch Dritthersteller gehabt hätten -, kann nicht als Grundlage für eine zwingende Ableitung
dienen, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen ausnahmslos im Einzelfall keinesfalls Handlungen zur
Absicherung, zum Ausbau oder zur Ausdehung seiner Marktstellung vornimmt, die nicht dem Leistungswettbewerb
entsprechen würden und/oder nicht zumindest durch Rechtfertigungsgründe abgedeckt wären,
wie dies zur Missbrauchsform der Koppelung ausführlich dargelegt wird (vgl. E. 1273
ff.).
1130. Die Einwände der Beschwerdeführerinnen
in Bezug auf die subjektiven Absichten auf Seiten der Multipay und der Card Solutions (vgl. E. 1059
ff.) sind angesichts der rechtserheblichen Grundlagen einer Prüfung von Art. 7
KG nicht von Bedeutung.
Die Feststellung eines Marktmachtmissbrauchs weist kein subjektives Tatbestandsmerkmal auf und beruht
allein auf den objektiven Merkmalen der Marktbeherrschung sowie des jeweiligen wettbewerbswidrigen Verhaltens
(vgl. E. 1193
ff.; zum Aspekt der Vorwerfbarkeit als Grundlage einer Sanktionierung gemäss Art. 49a
KG vgl. E.
1488
ff.). Demzufolge sind die konkreten Beweggründe eines Unternehmens, welche der Durchführung
eines bestimmten wirtschaftlichen Verhaltens zu Grunde liegen, für eine Verwirklichung des Tatbestands
von Art. 7
KG unerheblich; sie können allenfalls zum Nachweis des jeweiligen missbräuchlichen
Verhaltens dienen.
1131. Auch die von den Beschwerdeführerinnen
in diesem Zusammenhang vorgetragene Unternehmensdifferenzierung zwischen Multipay und Card Solutions
(vgl. E. 1059
ff.) ist wie bereits dargelegt (vgl. E. 653
ff.) unbeachtlich, weil das massgebliche Kartellrechtssubjekt der Konzern und damit die SIX-Gruppe bildet
und bei einer kartellrechtlichen Beurteilung nicht ausschliesslich auf eine einzelne Konzerngesellschaft
abzustellen ist.
(c)
Erheblichkeit einer Wettbewerbsverfälschung
1132. Zwischen
den Parteien ist strittig, ob und allenfalls inwieweit die Erheblichkeit der Wettbewerbsverfälschung
eine Voraussetzung für die Verwirklichung eines Marktmissbrauchs gemäss Art. 7
KG darstellt.
1133. In der schweizerischen Literatur wird
die Notwendigkeit einer mehr als geringfügigen Intensität der nachteiligen Einwirkung auf den
Wettbewerb für die Verwirklichung einer Wettbewerbsfälschung im Rahmen von Art. 7
KG teilweise
ausdrücklich verlangt (vgl. David/Jacobs, WBR,
Rn. 718) oder abgelehnt (vgl. Stäuble/Schraner, Dike-KG,
Art. 7 Rn. 82), überwiegend jedenfalls nicht als Voraussetzung aufgeführt (vgl.
Amstutz/Carron, BSK-KG, Art. 7 Rn. 17 ff.; Borer,
KG, Art. 7 Rn. 5; Clerc,
CR-Concurrence, Art. 7 I Rn. 64 f.; Reinert,
SHK-KG, Art. 7 Rn. 1 ff.).
1134. Grundlage für die Feststellung,
ob das Kriterium der Erheblichkeit eine Voraussetzung für die Verwirklichung einer Wettbewerbsverfälschung
gemäss Art. 7
KG darstellt, bildet eine Auslegung der Vorschrift unter besonderer Berücksichtigung
von deren Schutzzweck.
1135. Aufgrund einer grammatikalischen Interpretation
ergibt sich kein Erheblichkeitsmerkmal als Voraussetzung eines Marktmissbrauchs gemäss Art. 7
KG.
Der Wortlaut der Vorschrift weist weder eine ausdrückliche Geringfügigkeitsschwelle auf noch
ergibt sich aus der Formulierung der Vorschrift ein impliziter Hinweis darauf.
1136. Das gleiche Ergebnis stellt sich auch
aufgrund einer historischen Interpretation ein. Die Botschaft nimmt keinerlei Bezug auf eine ungeschriebene
Geringfügigkeitsschwelle. Dies steht im Gegensatz zu den Erläuterungen zu Art. 5
KG, in dessen
Rahmen die Frage der Bagatellklausel ausdrücklich behandelt wird. Soweit der Gesetzgeber das Erheblichkeitsmerkmal
auch im Rahmen von Art. 7
KG vorgesehen hätte, wäre es demzufolge naheliegend gewesen, dieses
auch in den Erläuterungen zu dieser Vorschrift zu erwähnen. Es bestehen zudem auch keine ausreichenden
Hinweise dafür, dass dieses Merkmal im Rahmen der parlamentarischen Beratungen als ungeschriebene
Voraussetzung der Vorschrift qualifiziert wurde.
1137. Bei einer systematischen Interpretation
könnte im Hinblick auf Art. 5
KG, der bei Wettbewerbsabreden eine Unterscheidung zwischen erheblichen
und unerheblichen Wettbewerbsbeeinträchtigungen vornimmt, eine entsprechende Differenzierung auch
für Art. 7
KG in Betracht zu ziehen sein. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass die Ausgangslage
für eine Regulierung von Wettbewerbsabreden und Marktmissbräuchen unterschiedlich ist. Während
Wettbewerbsabreden zu einer erstmaligen nachteiligen Einwirkung auf den Wettbewerb führen, knüpft
ein missbräuchliches Verhalten an der marktbeherrschenden Stellung eines Unternehmens an, die ihrerseits
bereits zu einer generellen Schwächung des Wettbewerbs geführt hat. Die Unerheblichkeit einer
Wettbewerbsverfälschung bei Wettbewerbsabreden weist demzufolge von vornherein eine völlig
andere Dimension als bei einem Marktmissbrauch auf. Daher lässt sich die Notwendigkeit eines Erheblichkeitsmerkmals
im Rahmen von Art. 7
KG nicht aufgrund einer systematischen Auslegung aus der Voraussetzung eines Erheblichkeitsmerkmals
in Art. 5
KG ableiten.
1138. Eine teleologische Auslegung der Vorschrift
spricht aus mehreren Gründen schliesslich ebenfalls gegen die Anerkennung eines Erheblichkeitsmerkmals.
1139. Der Zweck des Art. 7
KG besteht in der
Gewährleistung eines ausreichenden Wettbewerbs, weil der Wettbewerb bereits durch die Existenz der
marktbeherrschenden Stellung geschwächt wird. Angesichts dieser
Ausgangslage ist jede weitere Beeinträchtigung des Wettbewerbs durch ein nicht dem Leistungswettbewerb
entsprechendes Verhalten von Seiten des marktbeherrschenden Unternehmens zu verhindern.
1140. Da bereits eine geringe weitere nachteilige
Einwirkung von Seiten des marktbeherrschenden Unternehmens zu einer zusätzlichen Belastung des Wettbewerbs
und der anderen Marktteilnehmer führt, bedarf es auch keiner Anerkennung eines Toleranzbereichs
zu Gunsten eines marktbeherrschenden Unternehmens. Mit der Anerkennung einer allgemeinen Geringfügigkeitsschwelle
bestünde zudem die Gefahr, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen unter Ausnutzung derartiger
Freiräume seine Marktmacht und seinen Marktanteil unter Einsatz von Mitteln, die nicht einem Leistungswettbewerb
entsprechen würden, in einzelnen kleinen Schritten sukzessiv weiter ausbauen könnte.
1141. Eine Anerkennung von Erheblichkeitsschwellen
wäre auch deshalb nicht sachgerecht, weil diese im Einzelfall als Markteintrittsschwelle wirken
könnten. Denn einem marktbeherrschenden Unternehmen würde dadurch die Möglichkeit eröffnet,
wettbewerbliche Massnahmen zur Behinderung von neu in den Markt eintretenden Drittunternehmen durchzuführen,
um sie wieder vom Markt zu verdrängen, bevor sie einen Marktanteil erlangen, der über der Erheblichkeitsschwelle
liegt.
1142. Darüber
hinaus ist zu beachten, dass die Feststellung einer Wettbewerbsverfälschung hinsichtlich eines marktbeherrschenden
Verhaltens einen gewissen Beurteilungsspielraum aufweist. Denn die Grenzlinie zwischen einer nachteiligen
und einer unbestimmten Einwirkung auf den Wettbewerb kann nur mit einer gewissen Unschärfe gezogen
werden. Dieser Beurteilungsspielraum überlagert jedenfalls im Bereich geringfügiger Einwirkungen
den Aspekt der Erheblichkeit. Soweit bei geringfügigen Einwirkungen daher Zweifel über den
Eintritt einer tatsächlichen Nachteilhaftigkeit des jeweiligen wirtschaftlichen Verhaltens bestehen,
wäre das Merkmal der Wettbewerbsverfälschung ohnehin nicht gegeben.
1143. Zudem
wäre in diesem Zusammenhang auch die Praxis der Wettbewerbsbehörden zu berücksichtigen,
im Rahmen ihres Aufgreifermessens auf die Untersuchung eines bestimmten wirtschaftlichen Verhaltens angesichts
einer eher unwahrscheinlichen Verwirklichung eines wettbewerbswidrigen Verhaltens und einem damit allenfalls
verbundenen hohen Ermittlungsaufwand aus Gründen der Verhältnismässigkeit zu verzichten
(vgl. Sekretariat, 28.8.2018, 32-0256, Services
Après Vente, Schlussbericht Zusammenfassung, Ziff. 20), die im Falle einer rechtsverbindlichen
Bestätigung durch die Rechtsmittelgerichte die Grundlage dafür bieten würde, jedenfalls
zweifelhafte Einzelfälle eines unerheblichen wirtschaftlichen Verhaltens sachgerecht zu behandeln.
1144. Als Ergebnis einer Interpretation der
Vorschrift ist angesichts der vorstehenden Erwägungen festzustellen, dass Art. 7
KG kein Erheblichkeitsmerkmal
im Sinne einer Geringfügigkeitsschwelle aufweist.
1145. Dieses Ergebnis entspricht der Beurteilung
von Erheblichkeitseinwänden durch die EU-Wettbewerbspraxis, wonach Art. 102 AEUV weder eine de minimis-Schwelle
vorsieht noch einen spürbaren Einfluss auf den Wettbewerb verlangt. Denn angesichts der marktbeherrschenden
Stellung sei der Markt in seiner Wettbewerbsstruktur bereits geschwächt, weshalb jede zusätzliche
Beschränkung dieser Wettbewerbsstruktur eine missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden
Stellung darstellen könne (vgl. EuGH, EU:C:1979:36, Hofmann-La-Roche,
Ziff. 123; EuGH, 6.10.2015, C-23/14, Post Danmark A/S gg. Konkurrencerådet, EU:C:2015:615, zit.
Post Danmark II, Ziff. 72, 74; Bulst,
LB-EUKR, Art. 102 Rn. 154; Fuchs/Möschel,
IM-EUWBR, Art. 102
Rn. 167).
1146. Für
die Verwirklichung einer Wettbewerbsverfälschung gemäss Art. 7
KG ist es demnach nicht erforderlich,
dass die nachteiligen Einwirkungen auf den Wettbewerb durch das missbräuchliche Verhalten eine bestimmte
Erherblichkeitsschwelle überschreiten.
1147. Entgegen
der Ansicht der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 1092
ff.) bilden daher die zahlreichen von ihnen dargelegten Berechnungen, mit denen die Geringfügigkeit
des Verhaltens nachgewiesen werden sollte, von vornherein keine Grundlage dafür, dass die von der
SIX-Gruppe ausgehende nachteilige Einwirkung auf den Wettbewerb mangels Erreichens eines bestimmten erheblichen
Ausmasses nicht als Wettbewerbsverfälschung zu qualifizieren ist. Gleiches gilt für die von
den Beschwerdeführerinnen vorgebrachten allgemeinen Überlegungen (vgl. E. 1069
f., 1087
ff.), wonach der DCC-Funktion sowohl hinsichtlich des Terminalmarkts als auch der Geschäftstätigkeit
einzelner Terminalhersteller keine Bedeutung beizumessen gewesen sei. Angesichts dessen kommt auch den
Einwänden der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 1098
ff.), wonach die Abklärungen der Vorinstanz unzureichend und fehlerhaft gewesen seien, keine Bedeutung
zu. Im Übrigen ist der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass entsprechend den Darlegungen
der Vorinstanz (vgl. E. 1111
ff.) vorliegend nicht von einer geringfügigen Einwirkung auf den Wettbewerb auszugehen ist.
(d)
Abgrenzung Beseitigung und Beeinträchtigung
1148. Im
Hinblick auf das Ausmass der Wettbewerbsverfälschung, die sich als Folge der Behinderungs- oder
Benachteiligungshandlung des marktbeherrschenden Unternehmens ergibt, ist zwischen den Parteien streitig,
ob die nachteilige Einwirkung auf den Wettbewerb den Grad einer Wettbewerbsbeseitigung erfordert oder
ob hierfür eine blosse Wettbewerbsbeeinträchtigung ausreichend ist. Da die Parteien aus ihren
gegensätzlichen Prämissen jeweils unterschiedliche Folgen ableiten, bedarf dieser allgemeine
Aspekt einer grundsätzlichen Abklärung.
1149. Der dogmatische Ausgangspunkt für
diese Abgrenzung besteht in der Festlegung des Grads der Wettbewerbsverfälschung als notwendige
Folge einer Geschäftsverweigerung. Dabei stellt sich die Frage, ob die nachteilige Einwirkung auf
den Wettbewerb infolge der missbräuchlichen Verhaltensweise zwingend zu einer Wettbewerbsbeseitigung,
d.h. zu einer vollständigen Elimination des Wettbewerbs, führen muss oder ob eine Beeinträchtigung
des Wettbewerbs für die Feststellung einer Wettbewerbsverfälschung ausreichend sein kann.
1150. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz (vgl.
E. 1106)
lässt sich diese Frage nicht mit der Überlegung beantworten, wonach ein unterschiedlicher Unzulässigkeitsmassstab
für die einzelnen Tatbestände des Art. 7
KG systemwidrig wäre, weshalb für alle Missbrauchsgruppen
eine blosse Beeinträchtigung des Wettbewerbs ausreichend und nicht dessen Beseitigung erforderlich
sei. Da sich der Vorwurf des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung bei den verschiedenen Sachverhaltskonstellationen
mit vielfältigen Erscheinungsformen unter Einschluss der Notwendigkeit zur Berücksichtigung
aller Besonderheiten des Einzelfalls ergibt (vgl. E. 796
f.), ist es nicht per se ausgeschlossen, dass eine bestimmte Missbrauchsvariante auch nur dann als unzulässig
zu qualifizieren wäre, wenn sie zu einer vollständigen Aufhebung des Wettbewerbs führt,
weil sich ihre nachteilige Einwirkung auf den Wettbewerb erst und nur dann einstellt. Im Übrigen
steht diese Argumentation auch nicht in Einklang mit der bislang bestehenden Wettbewerbspraxis, die für
die Lizenzverweigerung eine Beseitigung des Wettbewerbs vorsieht (vgl. E. 1160).
1151. Deshalb kann eine Qualifizierung der
notwendigen nachteiligen Einwirkungen auf den Wettbewerb durch die Missbrauchsvariante einer Interoperabilitätsverweigerung
nicht ohne Weiteres vorgenommen werden, sondern bedarf einer näheren Prüfung.
1152. Bei Geschäftsverweigerungen ist
in der Literatur bislang umstritten geblieben, welche Folge die Wettbewerbsverfälschung aufweisen
muss, damit von einem wettbewerbswidrigen Verhalten auszugehen ist.
1153. Nach
einer Ansicht setzt eine Wettbewerbsverfälschung im Rahmen einer Geschäftsverweigerung voraus,
dass die entsprechende Verhaltensweise zu einer Beseitigung des wirksamen Wettbewerbs führt (vgl.
Amstutz/Carron, BSK-KG,
Art. 7 Rn. 125 f.; Borer, KG,
Art. 7 Rn. 13; Weber/Volz, FHB-WBR,
Ziff. 2.592).
1154. Nach anderer Ansicht ist hingegen eine
Beeinträchigung des Wettbewerbs ausreichend und es bedarf keiner Ausschaltung jeglichen Wettbewerbs
(vgl. Clerc/Këllezi, CR-Concurrence,
Art. 7 II Rn. 27, 29; Dähler/Krauskopf/Strebel, Marktpositionen,
Rn. 8.84; David/Jacobs, WBR,
Rn. 722; Stäuble/Schraner, Dike-KG,
Art. 7 Rn. 196; Bulst, LB-EUKR,
Art. 102 Rn. 278; Eilmannsberger/Bien, MüK-EUWBR,
Art. 102 Rn. 323; Schröter/Bartl, SJKM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 287).
1155. In der Wettbewerbspraxis werden für
die unterschiedlichen Sachverhaltskonstellationen einer Geschäftsverweigerung divergierende Anforderungen
an den Grad der nachteiligen Einwirkung auf den Wettbewerb gestellt.
1156. Die Feststellung eines Lieferabbruchs
oder einer Lieferverweigerung setzt nach der Wettbewerbspraxis keine vollständige Aufhebung des
Wettbewerbs auf dem relevanten Markt voraus (vgl. E. 1176;
EuGH, EU:C:1974:18, Commercial Solvents, Ziff. 25; EuGH, EU:C:1978:22,
United Brands, Ziff. 182/183; EuGH, EU:C:1978:141, BP,
Ziff. 40/42; EuG, EU:T:1991:70, Hilti, Ziff. 100; EuGH, EU:C:2008:504,
Glaxo, Ziff. 34; ambivalent EuGH, EU:C:1985:394, Telemarketing,
Ziff. 26). Vielmehr ist es für das Vorliegen einer Wettbewerbsverfälschung bereits ausreichend,
dass sich gewisse nachteilige Einwirkungen auf den Wettbewerb ergeben können. Demzufolge genügt
für diese Missbrauchsvarianten einer Geschäftsverweigerung eine blosse Wettbewerbsbeeinträchtigung.
1157. Bei einer Zugangsverweigerung wird von
der Wettbewerbspraxis regelmässig festgestellt, dass der Wettbewerb auf dem Sekundärmarkt infolge
der Ablehnungshandlung ausgeschaltet wurde, ohne dass dieser Aspekt dabei jeweils auch als zwingende
Voraussetzung qualifiziert wird (vgl. BGE 129 II 497, EEF, E.
6.5.3, "[...] et exclut, dans le résultat, toute concurrence entre les fournisseurs d'énergie";
BGE 139 II 316 Ziff. 7, "[...] qu'il n'existe pas de concurrence sur le marché
de cette prestation, [...], de mettre l'infrastructure aussi à la disposition d'un
concurrent potentiel [...]"; EuG, 15.9.1998, T-374/94 u.a., European Night Services Ltd. u.a.
gg. EU-Kom, EU:T:1998:198, zit. European Night Services, Ziff.
209, "[...] keine gangbaren Alternativen für die möglichen Konkurrenten des Gemeinschaftsunternehmens
gibt, die auf diese Weise vom Markt ausgeschlossen würden";
EU-Kom, COMP/39.315, ENI, Ziff. 40; EU-Kom,
3.12.2009, COMP/39.316 - GDF, Ziff. 29-40; EU-Kom,
COMP/39.402, RWE, Ziff. 23). Eine Wettbewerbsbeseitigung ist demzufolge
in jedem Fall dann gegeben, wenn alle aktuellen oder potenziellen Wettbewerber vom relevanten Markt ferngehalten
werden. In anderen Entscheidungen zur Zugangsverweigerung wird hingegegen lediglich auf einen Ausschluss
des jeweiligen Initiators vom Wettbewerb auf dem relevanten Markt abgestellt (vgl. E. 1177;
BGE 129 II 497, EEF, E. 6.5.2, "[...] de donner accès
[...] à une autre entreprise"; EuGH, EU:C:1991:474, GB-Inno,
Ziff. 18, "jeglichen Wettbewerb seitens dieses Unternehmens"; EuGH, EU:C:1998:559, Bronner,
Ziff. 41; EuG, EU:T:2009:317, Clearstream, Ziff. 147). Demnach
ist in der Wettbewerbspraxis für eine Zugangsverweigerung die Anforderung einer Wettbewerbsbeseitigung
infolge eines vollständigen Ausschlusses aller Konkurrenten vom relevanten Markt ebenfalls nicht
anerkannt.
1158. Im Hinblick auf eine entsprechende Differenzierung
ist zu berücksichtigen, dass die Wettbewerbspraxis teilweise auch diejenige Sachverhaltskonstellation
als Zugangsverweigerung erfasst hat, in der das marktbeherrschende Unternehmen den jeweiligen Konkurrenten
den Zugang zur wesentlichen Einrichtung zwar gewährt, allerdings nur zu Nutzungsbedingungen, die
ungünstiger sind als bei seiner eigenen Inanspruchnahme (vgl. EU-Kom,
COMP/39.315, ENI, Ziff. 39; EU-Kom,
COMP/39.316, GDF, Ziff. 30; EU-Kom,
IV/34689, Sealink II, Ziff. 66). Bei dieser Sachverhaltskonstellation
würden die Konkurrenten durch die Ablehnungshandlung ebenfalls nicht vollständig vom Wettbewerb
ausgeschlossen. Allerdings wurde die Verwirklichung einer Geschäftsverweigerung bei einer tatsächlichen
Inanspruchnahme der jeweiligen Leistung durch den Initiator auch ausdrücklich abgelehnt (vgl. EuG,
30.9.2003, T-191/98 u.a., Atlantic Container Line AG u.a. gg. EU-Kom, EU:T:2003:245, Ziff. 1618, mit
dem der gegenteilige Entscheid der EU-Kom, 16.9.1998, IV/35.134-Trans-Atlantic
Conference Agreement, Zusammenfassung publ. in: ABl. 1999 L 95/1, aufgehoben wurde).
1159. Ungeachtet dieser inhaltlichen Divergenz
ist bei einer Zugangsverweigerung allerdings der inhaltliche Zusammenhang zwischen der wesentlichen Einrichtung
als Geschäftsgegenstand und der Wettbewerbsverfälschung zu beachten. Wenn die Einmaligkeit
bzw. fehlende Duplizierbarkeit der wesentlichen Einrichtung per definitionem die Grundlage einer tatbestandlichen
Erfassung eines wirtschaftlichen Verhaltens bildet (vgl. E. 851
ff.), führt die Ablehnungshandlung aller aktuellen oder potenziellen Wettbewerber zwangsläufig
zu einer vollständigen Beseitigung des Wettbewerbs auf dem Sekundärmarkt, der auf der Nutzung
der jeweiligen Infrastruktureinrichtung aufbaut. Die Beseitigung des Wettbewerbs auf dem Sekundärmarkt
stellt sich demnach bereits als notwendige Konsequenz aus der festgestellten Wesentlichkeit der jeweiligen
Einrichtung ein und bildet kein davon völlig unabhängiges und eigenständiges inhaltliches
Prüfungskriterium. Vielmehr dient es faktisch allein einer möglichen Abgrenzung, ob die Geschäftsverweigerung
in Fällen einer selektiven Zugangsverweigerung neben der dann regelmässig verwirklichten Missbrauchsvariante
einer Diskriminierung gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. b
KG verwirklicht werden kann oder nicht.
1160. Bei
einer Lizenzverweigerung wird in der Wettbewerbspraxis die Wettbewerbsbeseitigung neben der Unerlässlichkeit
und der Produktneuheit als kumulatives Kriterium aufgeführt, wodurch aussergewöhnliche Umstände
vorlägen, die zu einer Einschränkung der Verwendungsbefugnis des Rechtsinhabers eines Immaterialgüterrechts
berechtigen (vgl. EuGH, EU:C:1995:98, Magill, Ziff. 56; EuGH,
EU:C:2004:257, IMS Health, Ziff. 38, 52; EuG, EU:T:2007:289, Microsoft,
Ziff. 332, 561, wonach insbesondere diese Kriterien als aussergewöhnlich zu qualifizieren seien,
unter Verweis darauf, Ziff. 336, 316 f., dass auch andere Umstände berücksichtigt werden könnten,
weshalb andere Varianten mit blosser Wettbewerbsbeeinträchtigung letztlich nicht per se ausgeschlossen
werden).
1161. Eine
faktische Relativierung der Anforderung einer Wettbewerbsbeseitigung erfolgte dabei allerdings durch
das Europäische Gericht im Rahmen des Urteils in Sachen Microsoft.
Danach müsse die Wettbewerbsbeseitigung nicht tatsächlich feststellbar sein; vielmehr sei die
drohende Möglichkeit des Eintritts einer Wettbewerbsbeseitigung ausreichend (EuG, EU:T:2007:289,
Microsoft, Ziff. 563). Denn die Missbrauchsvorschrift könne
nicht erst dann Anwendung finden, wenn auf dem Markt kein oder praktisch kein Wettbewerb mehr bestehe
(EuG, EU:T:2007:289, Microsoft, Ziff. 561). Dementsprechend sei
für eine Wettbewerbsbeseitigung auch keine schlagartige Aussetzung des Wettbewerbs erforderlich,
vielmehr sei auch eine allmähliche Ausschaltung des Wettbewerbs zu berücksichtigen (EuG, EU:T:2007:289,
Microsoft, Ziff. 428).
1162. Wettbewerbsbeseitigung
und Wettbewerbsbeeinträchtigung als Varianten einer Wettbewerbsverfälschung unterscheiden sich
nach dieser Bewertung der Wettbewerbspraxis bei einer Betrachtung der kurzfristigen Einwirkungen demnach
nicht. Der Unterschied besteht vielmehr einzig darin, dass bei einer Wettbewerbsbeseitigung zusätzlich
eine gewisse Wahrscheinlichkeit gegeben sein muss, dass die nachteiligen Einwirkungen auf den Wettbewerb
durch das wirtschaftliche Verhalten zumindest langfristig zu einer Verdrängung nahezu oder sogar
aller Konkurrenten auf dem Markt führen kann, während dies bei einer Wettbewerbsbeeinträchtigung
aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit prognostiziert
werden kann.
1163. Ungeachtet
dessen ist allerdings auch bei der Lizenzverweigerung der inhaltliche Zusammenhang sowohl zwischen dem
Geschäftsgegenstand und der Wettbewerbsverfälschung als auch dem Tatbestandsmerkmal der Produktneuheit
und der Wettbewerbsverfälschung zu beachten. Nach Ansicht der Wettbewerbspraxis stellt die Ausschliesslichkeit
der Rechtsposition gerade die Substanz des Immaterialgüterrechts dar, weshalb der Ausschluss aller
Dritter von einer Nutzung des rechtlich geschützten Guts mittels einer Lizenzierung auch grundsätzlich
zulässig sein soll (vgl. E. 934
ff.). Die Wettbewerbsbeseitigung bildet demnach von vornherein die Folge des Inhalts der immaterialgüterrechtlich
geschützten Rechtsposition und stellt sich bei deren Durchsetzung zwangsläufig ein. Darüber
hinaus verlangt das Tatbestandsmerkmal der Produktneuheit die Schaffung eines neuen Erzeugnisses oder
einer Dienstleistung durch die Initiatoren als potenzielle Lizenznehmer. Wenn eine Lizenzverweigerung
per definitionem die Verhinderung einer Produktneuheit voraussetzt, ergibt sich aus dieser Anforderung
zwangsläufig, dass die jeweilige Ablehnungshandlung des marktbeherrschenden Unternehmens von vornherein
auch den Wettbewerb auf dem Markt der Produktneuheit unterbindet. Mithin führt die Verwirklichung
einer Lizenzverweigerung aufgrund der zu berücksichtigenden besonderen Tatbestandsmerkmale zwangsläufig
zu einer Wettbewerbsbeseitigung. Auch bei einer Lizenzverweigerung
stellt die Wettbewerbsbeseitigung demnach kein vollig unabhängiges und eigenständiges inhaltliches
Prüfungskriterium dar.
1164. Aus der Wettbewerbspraxis folgt demnach,
dass bei verschiedenen Missbrauchsvarianten einer Geschäftsverweigerung teilweise eine Wettbewerbsbeseitigung
und teilweise eine Wettbewerbsbeeinträchtigung zu berücksichtigen sind. Die Anforderung einer
Wettbewerbsbeseitigung als Folge des jeweiligen wirtschaftlichen Verhaltens steht in einem engen inhaltlichen
Zusammenhang mit dem jeweiligen Gegenstand der Geschäftsverweigerung und/oder besonderen Tatbestandsmerkmalen
der jeweiligen Missbrauchsvariante. Demnach ist der notwendige Grad der Wettbewerbsverfälschung
für die verschiedenen Missbrauchsvarianten einer Geschäftsverweigerung unterschiedlich und
unter Berücksichtigung der jeweiligen variantenspezifischen Sachverhaltskonstellation zu bestimmen.
1165. Zudem unterscheiden sich Wettbewerbsbeseitigung
und Wettbewerbsbeeinträchtigung inhaltlich lediglich in der Prognose über die zukünftige
Entwicklung, nicht aber hinsichtlich der unmittelbaren nachteiligen Einwirkungen auf die Geschäftstätigkeit
der Initiatoren. Die Anforderungen an das Ausmass der nachteiligen Einwirkungen bedürfen daher nicht
zwingend einer Ausdehnung auf eine vollständige Elimination als maximalen Grad einer Wettbewerbsverfälschung.
Diese Einschätzung entspricht auch der bisherigen Wertung der Wettbewerbspraxis zum Marktmissbrauch,
wonach es sich bei der Ausschaltung jeglichen Wettbewerbs um eine sehr einschränkende Anforderung
handle, welche z.B. nicht für alle Fälle einer strukturellen Veränderung der Angebotsstruktur
vorausgesetzt werde (vgl. EuGH, EU:C:1973:22, Continental Can,
Ziff. 29).
1166. Eine Wettbewerbsbeseitigung stellt demnach
entgegen dem Einwand der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 1063
ff.) auch unter Berücksichtigung der EU-Wettbewerbspraxis kein zwingendes Merkmal einer Geschäftsverweigerung
dar, das auf eine Interoperabiltiätsverweigerung Anwendung finden müsste.
1167. Da gemäss Wettbewerbspraxis eine
Wettbewerbsbeseitigung nicht schlagartig eintreten muss, sondern die Verdrängung der Konkurrenten
auch allmählich und daher längerfristig erfolgen kann (vgl. E. 1161),
stellt demzufolge entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 1067
f.) zudem im Einzelfall ein blosser Verweis darauf, dass die Konkurrenten noch auf dem Markt tätig
waren bzw. sein konnten, von vornherein keine ausreichende Begründung gegen den Eintritt einer Wettbewerbsbeseitigung
dar.
1168. Für
die Beurteilung, ob die Verwirklichung einer Interoperabilitätsverweigerung das Vorliegen einer
Wettbewerbsbeseitigung als variantenspezifisches Tatbestandsmerkmal der dieser Missbrauchsvariante zu
Grunde liegenden Sachverhaltskonstellation voraussetzt, sind verschiedene Aspekte zu berücksichtigen.
1169. Die Anforderung einer Wettbewerbsbeseitigung
geht grundsätzlich über das im Kartellgesetz verankerte massgebliche Konzept des wirksamen
Wettbewerbs hinaus. Denn wirksamer Wettbewerb wird ausser bei Vorliegen eines Duopols regelmässig
nicht erst dann aufgehoben, wenn überhaupt kein anderer Wettbewerber mehr oder nur solche mit marginalen
Marktanteilen neben dem marktbeherrschenden Unternehmen auf dem jeweiligen Markt tätig sind (in
diesem Sinn sogar für die Lizenzverweigerung ausdrücklich EuG, EU:T:2007:289, Microsoft,
Ziff. 561: Dass die Konkurrenten des marktbeherrschenden Unternehmens in marginaler Weise in bestimmten
Marktnischen präsent bleiben, könne nicht ausreichen, um auf die Existenz eines solchen [Anm.:
wirksamen] Wettbewerbs zu schliessen). Vielmehr besteht wirksamer Wettbewerb auch bereits dann nicht
mehr bzw. es liegt bereits eine Einschränkung des wirksamen Wettbewerbs vor, wenn nur noch Konkurrenten
auf einem Markt vorhanden sind, von denen kein ausreichender Wettbewerbsdruck mehr auf ein bestimmtes
Unternehmen ausgeübt wird und sich dieses daher unabhängig verhalten kann, weshalb es als marktbeherrschend
zu qualifizieren ist (vgl. E. 402
ff.). Diese Einschränkung des wirksamen Wettbewerbs infolge einer marktbeherrschenden Stellung eines
Unternehmens ist hinzunehmen, soweit die entsprechende Stellung durch ein Unternehmen mittels solcher
wirtschaftlichen Verhaltensweisen erreicht oder weiter ausgebaut wird, die als Leistungswettbewerb zu
qualifizieren und daher nicht zu beanstanden sind, unabhängig davon, ob den betreffenen Handlungen
im Einzelfall keine nachteilige Einwirkung auf den Wettbewerb zukommt oder zumindest ein Rechtfertigungsgrund
hierfür gegeben ist (vgl. BGE 139 I 72, Publigroupe, E. 10.1.1;
EuGH, EU:C:2017:632, Intel, Ziff. 133 f.; EuGH, EU:C:2012:172,
Post Danmark, Ziff. 22). Für die anderen wirtschaftlichen
Verhaltensweisen, die einem Leistungswettbewerb nicht entsprechen, gilt dies aber gerade nicht. Denn
dadurch würde die bereits bestehende Einschränkung des wirksamen Wettbewerbs ohne ausreichende
sachliche Begründung weiter vergrössert und damit auch die konkrete marktbeherrschende Stellung
in nicht sachgerechter Weise weiter verstärkt (vgl. BGE 139 I 72, Publigroupe,
E. 10.1.1; EuGH, EU:C:2017:632, Intel, Ziff. 136; EuGH, EU:C:2012:172,
Post Danmark, Ziff. 25). Daraus entspringt auch die besondere
Verantwortung des marktbeherrschenden Unternehmens zur ausschliesslichen Anwendung von wirtschaftlichen
Verhaltensweisen des Leistungswettbewerbs (vgl. E. 1119).
Der verbleibende Restwettbewerb bedarf daher des uneingeschränkten Schutzes (vgl. E. 1123
m.w.H.; BGE 139 I 72, Publigroupe, E. 10.1.1; EuGH, EU:C:2012:172,
Post Danmark, Ziff. 26; EuGH, EU:C:1983:313, Michelin I, Ziff.
71; EuGH, 19.4.2012, C-549/10, Tomra Systems ASA u.a. gg. EU-Kom, EU:C:2012:221, zit. Tomra,
Ziff. 17; auch im Urteil Microsoft wird ausdrücklich auf
den Schutz des Restwettbewerbs als Regelungszweck von Art. 102 AEUV hingewiesen, EuG, EU:T:2007:289,
Ziff. 561). Als massgeblicher Grad der Wettbewerbsverfälschung kann demzufolge grundsätzlich
nicht eine Wettbewerbsbeseitigung als vollständige Ausschaltung jeglichen Wettbewerbs auf einem
Markt qualifiziert werden. Vielmehr erfordert die Feststellung einer Wettbewerbsverfälschung lediglich
eine Wettbewerbsbeeinträchtigung.
1170. Dementsprechend spricht die grundsätzliche
gesetzliche Regelungsintention des Art. 7
KG gegen die Annahme, dass die Wettbewerbsverfälschung
im Rahmen einer Geschäftsverweigerung eine vollständige Beseitigung des gesamten Wettbewerbs
voraussetzt. Wenn der Gesetzgeber einem marktbeherrschenden Unternehmen bestimmte Verhaltensweisen untersagt,
die nicht marktbeherrschenden Unternehmen durchaus offenstehen, weil der Wettbewerb allein durch das
Vorhandensein einer marktbeherrschenden Stellung bereits beeinträchtigt ist, kann eine weitere Beeinträchtigung
des Wettbewerbs nicht hingenommen werden. Diese grundsätzliche Beurteilungslage wird auch dadurch
bestätigt, dass im Rahmen eines Marktmissbrauchs keine Erheblichkeitsschwellen zur Anwendung gelangen
(vgl. E. 1132
ff.). Ausgenommen hiervon sind demnach nur solche Sachverhalte mit weiteren Beeinträchtigungen,
bei denen eine ausreichende sachliche Rechtfertigung zu Gunsten des marktbeherrschenden Unternehmens
gegeben ist.
1171. Soweit (auch) ein anderer als der beherrschte
Markt von der Geschäftsverweigerung betroffen ist, würde das Erfordernis einer Wettbewerbsbeseitigung
zudem im Ergebnis dazu führen, dass für die Feststellung eines marktmissbräuchlichen Verhaltens
auf diesem weiteren Markt kein oder zumindest kein nennenswerter Wettbewerb mehr vorhanden sein dürfte.
Das marktbeherrschende Unternehmen könnte damit auch auf dem weiteren Markt eine dominante Position
einnehmen, bei der es sich sogar um ein Monopol oder ein Quasi-Monopol handeln würde. Die Anforderung
der Wettbewerbsbeseitigung auf einem Sekundärmarkt würde demzufolge den Aufbau einer weiteren
marktbeherrschenden Stellung auf dem Sekundärmarkt zu Gunsten des auf dem Primärmarkt marktbeherrschenden
Unternehmens sogar begünstigen. Dies würde der gesetzlichen Regelungsintention offensichtlich
widersprechen.
1172. Im
Gegensatz zur Lizenzverweigerung und zur Zugangsverweigerung folgt die Anforderung einer Wettbewerbsbeseitigung
auch nicht bereits zwangsläufig aus dem Inhalt eines sonstigen Tatbestandsmerkmals. Insbesondere
lässt sich diese Anforderung nicht aus dem Merkmal der Unerlässlichkeit des Einsatzguts ableiten,
welches sowohl für die Interoperabilitätsverweigerung als auch für die Zugangs- und Lizenzverweigerung
Anwendung findet (vgl. E. 997
ff.). Zwar besteht bei allen diesen Missbrauchsvarianten für die Initiatoren die Notwendigkeit,
das jeweilige Einsatzgut tatsächlich nutzen zu können. Im Gegensatz zur wesentlichen Einrichtung
und zum Immaterialgüterrecht handelt es sich bei den Schnittstelleninformationen aber nicht um das
Primärprodukt selbst, sondern lediglich um ein Gut, das in Zusammenhang mit der Nutzung des Primärprodukts
steht (vgl. E. 857
ff.). Deshalb liegt für das Primärprodukt des marktbeherrschenden Unternehmens - vorliegend
die Akzeptanz-Plattform - im Gegensatz zur wesentlichen Einrichtung und zum Immaterialgüterrecht
auch nicht zwangsläufig eine Einmaligkeit im Markt vor - vorliegend verfügen auch die
anderen Kartenaquisiteure über eine Akzeptanz-Plattform. Angesichts der fehlenden Einmaligkeit des
Primärprodukts lässt sich die Notwendigkeit der Wettbewerbsbeseitigung demzufolge bei einer
Interoperabilitätsverweigerung auch nicht aus dem intendierten Gegenstand der Geschäftsbeziehung
ableiten.
1173. Eine Wettbewerbsbeseitigung stellt demnach
entgegen dem Einwand der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 1063
ff.) ebenfalls kein variantenspezifisches Merkmal einer Interoperabilitätsverweigerung dar.
(e)
Ausmass der Wettbewerbsbeeinträchtigung
1174. Für
die Beurteilung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung im Rahmen einer Interoperabilitätsverweigerung
bedarf es ebenfalls einer Festlegung des erforderlichen Ausmasses der nachteiligen Einwirkung auf den
Wettbewerb infolge der Ablehnung einer Mitteilung von Schnittstelleninformationen.
1175. Hierbei ist in einem ersten Schritt zunächst
der massgebliche Bezugspunkt der Beeinträchtigung festzulegen. Damit stellt sich die Frage, ob die
Beeinträchtigung nur in Bezug auf die wirtschaftliche Betätigung des jeweiligen Initiators
oder insgesamt für alle Marktteilnehmer des jeweiligen Sekundärmarkts zu beurteilen ist.
1176. Bei
einem Lieferabbruch oder einer Lieferverweigerung bildet aufgrund der bestehenden Wettbewerbspraxis die
wirtschaftliche Betätigung des Initiators und nicht der Markt als Ganzes den massgeblichen Bezugspunkt
für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung. Bei den einzelnen Sachverhalten war ganz überwiegend
massgebend, ob der Initiator durch die Ablehnung der Geschäftsbeziehung in seiner wirtschaftlichen
Tätigkeit beeinträchtigt wurde, während die Einwirkung auf den gesamten Markt infolge
der Ablehnung nicht in die Betrachtung einbezogen wurde (vgl. EuGH, EU:C:1974:18, Commercial
Solvents, Ziff. 25: "[...] auf die Gefahr hin, jeglichen Wettbewerb durch diesen Kunden
auszuschalten"; EuGH, EU:C:1978:C:22, United Brands, Ziff.
182/183: "[...] bis zur Ausschaltung eines Geschäftspartners vom relevanten Markt gehen könnte";
EuGH, EU:C:1978:141, BP, Ziff. 40/42: "dass es ABG während
der Knappheitsperiode [...] möglich war"; EuG, EU:T:1991:70, Hilti,
Ziff. 100, " andere Unternehmen davon abhalten kann, sich auf dem Markt zu etablieren"; EuGH,
EU:C:2008:504, Glaxko, Ziff. 34: "diese Weigerung die Tätigkeiten
dieser Grosshändler auf dem Markt dieses Mitgliedstaats behindert" sowie "den Wettbewerb
auf Seiten eines Geschäftspartners auszuschalten"; ambivalent EuGH, EU:C:1985:394, Telemarketing,
einerseits Ziff. 26: "[...] jeglichen Wettbewerb durch ein drittes Unternehmen", sowie andererseits
Ziff. 25: "[...] bis zur Ausschaltung eines Geschäftspartners vom relevanten Markt gehen könnte",
und Ziff. 27: "[...] so dass jeglicher Wettbewerb seitens dieses Unternehmens ausgeschaltet zu
werden droht", wobei bereits die Vorlagefrage im letzteren Sinne gestellt war).
1177. Selbst
in Fällen einer Zugangsverweigerung wurde von der Wettbewerbspraxis auf die Folgen für den
einzelnen Initiator und nicht diejenigen für den gesamten Markt abgestellt (vgl. EuGH, EU:C:1991:474,
GB-Inno, Ziff. 18, "jeglichen Wettbewerb seitens dieses
Unternehmens"; EuGH, EU:C:1998:559, Bronner, Ziff. 41: "[...]
jeglichen Wettbewerb auf dem Tageszeitungsmarkt durch denjenigen, der die Dienstleistung begehrt, auszuschalten";
EuG, EU:T:2009:317, Clearstream, Ziff. 147: "[...] wenn
die Verweigerung der Dienstleistung geeignet ist, jeglichen Wettbewerb auf dem Markt durch denjenigen,
der die Dienstleistung begehrt, auszuschalten"). Danach wäre bei einer teilweisen Verweigerung
des Zugangs zu einer wesentlichen Einrichtung gegenüber einzelnen, nicht aber allen Marktteilnehmern
die gleichzeitige Verwirklichung der marktmissbräuchlichen Tatbestände einer Geschäftsverweigerung
und einer Diskriminierung im Einzelfall bei einem Fehlen ausreichender Rechtfertigungsgründe nicht
ausgeschlossen.
1178. Bei einer Lizenzverweigerung ergibt sich
die Wettbewerbsbeseitigung auf Seiten des Initiators wie dargestellt (E. 1163)
aus den besonderen Voraussetzungen dieser Missbrauchsvariante in Form der Unerlässlichkeit und der
Produktneuheit. Deshalb führt die Ablehnungshandlung des marktbeherrschenden Unternehmens bei Vorliegen
dieser Voraussetzungen zwangsläufig zu einem vollständigen Ausschluss des Initiators von einer
Betätigung auf dem jeweiligen Markt. Diesem Merkmal kommt demzufolge keine entsprechende Bedeutung
wie bei den anderen Missbrauchsvarianten zu.
1179. Unter Berücksichtigung der vorstehend
dargestellten Wettbewerbspraxis ist die Ausrichtung auf den einzelnen Initiator bei der Missbrauchsvariante
der Interoperabilitätsverweigerung sachgerecht.
1180. Da ein marktmissbräuchliches Verhalten
angesichts der ohnehin bereits bestehenden Beeinträchtigung des wirksamen Wettbewerbs keine Anwendung
von bestimmten Erheblichkeitsschwellen voraussetzt (vgl. E. 1146),
führt bereits eine Einschränkung der Geschäftstätigkeit des Initiators zu einer nachteiligen
Einwirkung, die es im Hinblick auf die Sicherung des Wettbewerbs zu berücksichtigen gilt.
1181. Die Anforderung einer Beeinträchtigung
des Gesamtmarkts würde zudem entweder eine Beeinträchtigung aller am Markt tätigen und
von dem fraglichen Verhalten betroffenen Marktteilnehmer verlangen oder ein Kriterium für die Differenzierung
erfordern, ab welchem Ausmass der Einwirkung auf alle Marktteilnehmer von einer Beeinträchtigung
des jeweiligen Markts auszugehen wäre. Letztere Variante scheidet angesichts des Fehlens einer Erheblichkeitsschwelle
und sachgerechter Kriterien für eine entsprechende Differenzierung aus (vgl. E. 1132
ff.). Die erste Variante ist nicht akzeptabel, weil sie einem marktbeherrschenden Unternehmen durch eine
teilweise Verweigerung der Vermittlung von Schnittstelleninformationen als Einsatzgut ermöglichen
würde, selektiv andere Marktteilnehmer aus dem Markt zu drängen.
1182. Entgegen dem Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1073
ff.) stellen demnach nicht die Wettbewerbsverhältnisse auf dem Gesamtmarkt, sondern die Geschäftstätigkeit
des Initiators den massgeblichen Bezugspunkt für die Beurteilung einer Geschäftsverweigerung
in Form einer Interoperabilitätsverweigerung dar (vgl. David/Jacobs,
WBR, Rn. 722, "[...] untersagt, gewisse Lieferanten
zu boykottieren oder mit Bezugssperren zu belegen).
1183. In einem zweiten Schritt ist die notwendige
Intensität der Beeinträchtigung des Initiators festzulegen: Muss die nachteilige Einwirkung
dazu führen, dass eine Geschäftstätigkeit des Initiators auf dem jeweiligen Markt vollständig
ausgeschlossen wird, oder ist es ausreichend, dass die Möglichkeiten seiner Geschäftstätigkeit
eingeschränkt werden?
1184. Aus der bisherigen Wettbewerbspraxis
zur Lieferverweigerung und zum Lieferabbruch lässt sich hierzu entgegen dem vordergründigen
Eindruck aufgrund verschiedener Entscheide das Ergebnis ableiten, dass kein vollständiger Marktausschluss
des Initiators für die Feststellung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung erforderlich ist (ebenso
Clerc/Këllezi, CR-Concurrence,
Art. 7 II Rn. 27).
1185. Teilweise wurde für die Beurteilung
der Missbräuchlichkeit des Verhaltens zwar auf ein Handeln abgestellt, welches auf die Gefahr hin
vorgenommen worden war, dass der Wettbewerb durch den jeweiligen Initiator als Kunden vollständig
ausgeschlossen und nicht nur nachteilig beeinflusst wird (vgl. E. 1176;
EuGH, EU:C:1974:18, Commercial Solvents, Ziff. 25: "auf
die Gefahr hin, jeglichen Wettbewerb durch diesen Kunden auszuschalten"; ebenso EuGH, EU:C:1985:394,
Telemarketing, Ziff. 25, 27; EuG, EU:T:1991:70, Hilti,
Ziff. 100, " andere Unternehmen davon abhalten kann, sich auf dem Markt zu etablieren").
Aufgrund des Kontexts der einzelnen Formulierungen - insbesondere unter Berücksichtigung des
Umstands, dass diese in Beantwortung von entsprechend ausgestalteten Vorlagefragen abgefasst wurden -
wird dadurch aber eher zum Ausdruck gebracht, dass jedenfalls ein vollständiger Ausschluss vom Markt
als Wettbewerbsbeeinträchtigung zu qualifizieren ist. Denn in den jeweiligen Urteilen wird nicht
umgekehrt festgehalten, dass bei Fehlen eines vollständigen Ausschlusses des Initiators vom Markt
eine Wettbewerbsbeeinträchtigung nicht festgestellt werden könne.
1186. Das Urteil in Sachen United
Brands bestätigt diese Einschätzung. Danach würde die Verweigerung von normalen
Bestellungen eines früheren Kunden "die Absatzmöglichkeiten beschränken [...] die
bis zur Ausschaltung eines Geschäftspartners vom relevanten Markt gehen könnte" (EU:C:1978:C:22,
United Brands, Ziff. 182/183). Die vollständige Ausschaltung
eines Initiators bildet demzufolge die schwerwiegendste Folge einer nachteiligen Einwirkung im Sinne
einer Maximalwirkung, nicht aber die notwendige Voraussetzung einer Wettbewerbsbeeinträchtigung
im Sinne einer Minimalschwelle. Letztlich wird dies auch durch die Feststellungen im Urteil in Sachen
Glaxko bestätigt. Danach sei die Weigerung eines marktbeherrschenden
Unternehmens, von Grosshändlern aufgegebene normale Bestellungen auszuführen, als missbräuchlich
zu qualifizieren (EuGH, EU:C:2008:504, Glaxko, Ziff. 77). Allein
aus dem Umstand, dass Bestellungen nicht ausgeführt werden, folgt nämlich nicht, dass dadurch
eine weitere Betätigung des Bestellers im jeweiligen Markt ausgeschlossen wäre. Dies wäre
nur dann der Fall, wenn das bestellte Produkt einen eigenständigen Markt bilden würde. Dementsprechend
wird im Urteil auch festgestellt, dass es für eine Wettbewerbsbeeinträchtigung ausreichend
sei, wenn "diese Weigerung die Tätigkeiten dieser Grosshändler auf dem Markt dieses Mitgliedstaats
behindert" (EuGH, EU:C:2008:504, Glaxko, Ziff. 35, während
im Hinblick auf den Parallelexport sprachlich wiederum darauf abgestellt wird, dass die Weigerung dazu
führe, "den effektiven Wettbewerb der Grosshändler beim Vertrieb derselben Erzeugnisse
auf den Märkten der anderen Mitgliedstaaten auszuschalten").
1187. Gegen die Notwendigkeit eines vollständigen
Marktausschlusses spricht zudem der Umstand, dass im Urteil United Brands
die Missbräuchlichkeit einer Verweigerung der weiteren Belieferung festgestellt wurde, obschon der
frühere Kunde Produkte anderer Marken von Drittunternehmen erwerben konnte, um diese anschliessend
im Rahmen seiner weiteren wirtschaftlichen Tätigkeit auf dem Markt zu veräussern (EuGH, EU:C:1978:C:22,
United Brands, Ziff. 198/202), und er demzufolge durch die Lieferverweigerung
vom Markt gerade nicht vollständig ausgeschlossen worden war. Dem entspricht auch der Inhalt des
Urteils in Sachen BP. Darin war die Missbräuchlichkeit einer
Verweigerung von weiteren Lieferungen vor dem Hintergrund einer allgemeinen Versorgungskrise verneint
worden, weil die auf Seiten des Initiators tatsächlich eingetretenen Liefereinschränkungen
aufgrund von zusätzlich erfolgten staatlichen und privaten Hilfsmassnahmen nicht über die unvermeidbare
Beeinträchtigung bei einer derartigen Versorgungskrise hinausgegangen waren (EuGH, EU:C:1978:141,
BP, Ziff. 40/42). Mithin wären aber weitere Einschränkungen
infolge einer Lieferverweigerung, die über eine durch eine Versorgungskrise hervorgerufene unvermeidbare
Beeinträchtigung hinausgehen, als missbräuchlich zu qualifizieren, ohne dass hierfür angesichts
allfällig zu berücksichtigender Hilfsmassnahmen von Seiten des Staats oder privaten Dritten
ein vollständiger Ausschluss vom Markt vorausgesetzt worden wäre.
1188. Auch für eine Beurteilung der notwendigen
Intensivität der Wettbewerbsbeeinträchtigung bei Interoperabilitätsverweigerungen sind
ein Verzicht auf einen Marktausschluss und das Abstellen auf eine blosse Beeinträchtigung des Initiators
angesichts des Fehlens einer bestimmten Erheblichkeitsschwelle (vgl. E. 1146)
sachgerecht. Dies wird durch verschiedene weitere Aspekte bestätigt.
1189. Der Aspekt, ob ein Initiator infolge
einer Verweigerung der Mitteilung von Schnittstelleninformationen vollständig vom Markt verdrängt
wird oder nicht, bildet bereits prinzipiell kein geeignetes Merkmal zur Beurteilung einer Interoperabilitätsverweigerung.
Eine entsprechende Abgrenzung ist für die Sicherstellung eines wirksamen Restwettbewerbs angesichts
des bereits geschwächten Wettbewerbs nicht geeignet, weil sich durch die Anforderung des Marktausschlusses
eines Initiators sogar eine Verstärkung der Stellung des marktbeherrschenden Unternehmens einstellen
würde. Denn hierbei würden zwar jene Drittunternehmen geschützt, die sich ausschliesslich
auf den Absatz von Sekundärprodukten zur Anbindung an das Primärprodukt des marktbeherrschenden
Unternehmens fokussieren, weil sie bei einer Verweigerung der Mitteilung von dessen Schnittstelleninformationen
ihre bestehende wirtschaftliche Betätigung auf dem Markt vollständig einstellen müssten
oder diese erst gar nicht aufnehmen könnten. Demgegenüber würden solche Drittunternehmen
nicht geschützt, welche den Absatz ihrer Sekundärprodukte auch auf eine Anbindung an Primärprodukte
von anderen Herstellern ausrichten - und damit dem Gedanken der Interoperabilität sogar noch
mehr entsprechen -, weil die Verweigerung einer Mitteilung von Schnittstelleninformationen für
das Primärprodukt des marktbeherrschenden Unternehmens angesichts der verbleibenden Möglichkeit
zur wirtschaftlichen Betätigung im Verhältnis zu sonstigen Herstellern von Primärprodukten
nicht zu einem Marktausschluss führen würde. Die Anwendung einer Anforderung des Marktausschlusses
würde demnach dazu führen, dass Drittunternehmen ihre Sekundärprodukte vermehrt auf eine
Anbindung an die Primärprodukte des marktbeherrschenden Unternehmens ausrichten, um ihre wirtschaftliche
Betätigung für den Fall einer fehlenden Vermittlung von Schnittstelleninformationen durch das
marktbeherrschende Unternehmen rechtlich besser abzusichern. Angesichts der sich im Markt dadurch einstellenden
(noch) grösseren Auswahl an kompatiblen Sekundärprodukten für die Primärprodukte
des marktbeherrschenden Unternehmens würde der Anreiz zur Auswahl dieser Primärprodukte für
die jeweiligen Abnehmer aber letztlich sogar (zusätzlich) verstärkt.
1190. Der
Umstand, ob ein bestimmter Initiator infolge einer Ablehnung der Mitteilung von Schnittstelleninformationen
vom Markt vollständig ausgeschlossen oder nur in seiner Geschäftstätigkeit eingeschränkt
wird, stellt letztlich ein singuläres Marktergebnis dar, das sich zufällig in Abhängigkeit
von den wirtschaftlichen Gegebenheiten des betroffenen Initiators und weiterer Aspekte einstellt. Die
Anwendung der Anforderung eines Marktausschlusses würde demzufolge dem grundlegenden Ansatz widersprechen,
dass die Beurteilung eines Marktmissbrauchs auf einer Unterscheidung zwischen zulässigen und unzulässigen
Mitteln eines marktbeherrschenden Unternehmens im Wettbewerb und nicht auf den konkreten Auswirkungen
als singuläre Folgen des Einzelfalls beruht (vgl. Schröter/Bartl,
SJKM-EUWBR, Art. 102 Rn. 25, 170); weshalb z.B. auch dem Aspekt,
ob und inwieweit ein anderer Marktteilnehmer dem durch eine Geschäftsverweigerung entstehenden wirtschaftlichen
Druck standhalten kann, keine Bedeutung zukommt (vgl. E. 1208).
Zudem wäre der Eintritt eines Marktausschlusses von einer Vielzahl von individuellen unterschiedlichen
wirtschaftlichen Parametern des Initiators abhängig, welche dem marktbeherrschenden Unternehmen
nicht bekannt sein können bzw. müssen. Daher wäre die Zurechnung einer entsprechend umfassenden
Kenntnis gegenüber dem marktbeherrschenden Unternehmen bei Anwendung diesear Anforderung problematisch.
1191. Für die Prüfung einer Wettbewerbsverfälschung
ist ausserhalb eines in Bezug auf die konkrete Sachverhaltskonstellation massgeblichen Rechtfertigungsgrunds
auch kein generelles Kriterium für eine sachgerechte Differenzierung ersichtlich, gegenüber
welchem Initiator ein Ausschluss vom Markt zulässig sein sollte und gegenüber welchem potenziellen
Geschäftspartner nicht. Von den Beschwerdefüherinnen wird auch kein entsprechendes Kriterium
vorgebracht. Daher sind ihre Einwände gegenüber dem Fehlen einer entsprechenden Abklärung
bzw. die Anwendung entsprechender Definitionen durch die Vorinstanz (vgl. E. 1072)
unbegründet.
1192. Insgesamt bleibt daher festzuhalten,
dass aus den genannten Gründen der Aspekt eines vollständigen Ausschlusses des Initiators vom
Markt als Voraussetzung einer Interoperabilitätsverweigerung entgegen dem Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1066
ff.) ausscheidet. Vielmehr stellt jede nachteilige Einwirkung auf die wirtschaftliche Betätigung
eines Initiators zur Entwicklung, Herstellung oder den Absatz von konkurrenzierenden oder sonstigen Produkten
durch eine Ablehnung der Mitteilung von Schnittstelleninformationen von Seiten eines marktbeherrschenden
Unternehmens eine ausreichende Wettbewerbsbeeinträchtigung zur Verwirklichung einer Interoperabilitätsverweigerung
dar.
(f)
Subjektive Beweggründe
1193. Die
Beurteilung einer Wettbewerbsverfälschung erfolgt aufgrund einer Betrachtung aus der Sicht eines
objektiven Dritten. Massgebend hierfür ist allein das Handeln des marktbeherrschenden Unternehmens.
1194. Subjektive
Beweggründe einer Zuwiderhandlung auf Seiten des marktbeherrschenden Unternehmens sind für
die Beurteilung nicht masgeblich (vgl. EuGH, EU:C:1979:36, Hoffmann La-Roche,
Ziff. 91; EuG, EU:T:2009:317, Clearstream, Ziff. 140; EuGH, EU:C:2012:221,
Tomra, Ziff. 21; Amstutz/Carron,
BSK-KG, Art. 7 Rn. 39; Borer,
KG, Art. 7 Rn. 9; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 7 Rn. 85; Weber/Volz,
FHB-WBR, Rn. 2.501; Bulst,
LB-EUKR, Art. 102 Rn. 84; Fuchs/Möschel,
IM-EUWBR, Art. 102 Rn. 149; Schröter/Bartl,
SJKM-EUWBR, Art. 102 Rn. 164). Sie weisen allenfalls indikative
Bedeutung auf, bilden aber keine konstitutive Voraussetzung für die Feststellung einer Wettbewerbsverfälschung
(instruktiv EuGH, EU:C:2012:221, Tomra, Ziff. 20).
1195. Die vorstehenden allgemeinen Grundsätze
gelten auch für die Beurteilung einer Interoperabilitätsverweigerung.
1196. Der Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1059
ff.), wonach weder Multipay noch Card Solutions die Intention hatten, die anderen Terminalhersteller
von der Entwicklung von DCC-Terminal zum Anschluss an die Akzeptanz-Plattform von Multipay (dauerhaft)
auszuschliessen, ist daher von vornherein nicht relevant.
(g)
Feststellung einer Wettbewerbsverfälschung
1197. Zwischen den Parteien sind Art und Inhalt
der Feststellung einer Wettbewerbsverfälschung im Hinblick auf eine Geschäftsverweigerung strittig.
Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, dass mangels ausreichender Sachverhaltsabklärungen
durch die Vorinstanz eine genaue Feststellung der tatsächlich eingetretenen Auswirkungen nicht vorgenommen
und demzufolge ein ausreichender Nachweis über die eingetretene Wettbewerbsverfälschung gar
nicht geführt worden sei. Demgegenüber ist die Vorinstanz der Ansicht, dass die von ihr dargelegten
Umstände in ausreichender Weise eine Wettbewerbsverfälschung belegen würden. Daher bedarf
es nachfolgend einer Abklärung, welche Voraussetzungen an die Feststellung einer Wettbewerbsverfälschung
zu stellen sind und ob diese vorliegend nachgewiesen wurden. Hierbei sind verschiedene Sachpunkte zu
beachten.
-i-Charakter
des Tatbestandsmerkmals
1198. Zunächst ist der massgebliche Charakter
des Tatbestandsmerkmals einer Wettbewerbsverfälschung festzulegen. Hierfür ist eine Abgrenzung
vorzunehmen, ob im Sinne eines Gefährungsdelikts bereits die Möglichkeit eines Eintritts nachteiliger
Einwirkungen für die Marktteilnehmer als ausreichend zu qualifizieren ist oder ob im Sinne eines
Erfolgsdelikts tatsächlich verifizierbare Auswirkungen auf Seiten der Marktteilnehmer eingetreten
sein müssen.
1199. Für ein marktmissbräuchliches
Verhalten bestehen unterschiedliche Ansichten darüber, wie im Einzelfall der Nachweis über
das Vorliegen einer Wettbewerbsverfälschung zu führen ist.
1200. In der schweizerischen Literatur wird
für die Feststellung einer Wettbewerbsverfälschung verschiedentlich eine umfassende Untersuchung
und Berücksichtigung aller tatsächlich eingetretenen Auswirkungen verlangt (vgl. David/Jacobs,
WBR, Rn. 718). Teilweise soll zumindest massgebend sein, dass
die Verhaltensweise bereits wohlfahrtsökonomische Kosten ausgelöst habe (vgl. Amstutz/Carron,
BSK-KG, Art. 7 Rn. 40). Nach gegenteiliger Ansicht ist eine potenziell
nachteilige Einwirkung auf den Wettbewerb ausreichend (vgl. Clerc,
CR-Concurrence, Art. 7 Abs. 1 Rn. 89 f., unter Verweis darauf,
dass den Beweisanforderungen eine grössere Bedeutung zukäme; Heinemann
Andreas, Die Erheblichkeit bezweckter und bewirkter Wettbewerbsbeschränkungen, Jusletter
vom 29.6.2015, zit. Erheblichkeit, Rn. 55 f.; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 107 Rn. 81).
1201. In der EU-Wettbewerbspraxis wird die
Missbrauchsvorschrift des Art. 102 AEUV grundsätzlich im Sinne eines Gefährdungstatbestands
qualifiziert und angewendet (vgl. Bulst, LB-EUKR,
Rn. 131; Fuchs/Möschel, IM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 6).
1202. Hierbei ist massgebend, ob das fragliche
Verhalten geeignet ist, eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs oder allenfalls auch eine Beseitigung
des Wettbewerbs herbeizuführen (vgl. EuGH, EU:C:1979:36, Hoffman-La
Roche, Ziff. 127; EuG, EU:T:2009:317, Clearstream, Ziff.
148).
1203. Die notwendige Grundlage hierfür
bildet die Möglichkeit einer nachteiligen Einwirkung auf den Wettbewerb. Ist eine nachteilige Einwirkung
nicht darstellbar, scheidet die Verwirklichung einer Wettbewerbsverfälschung aus (vgl. EuGH, 14.10.2010,
C-280/08P, Deutsche Telekom AG gg. EU-Kom, EU:C:2010:603, zit. Deutsche
Telekom, Ziff. 254; EuGH, EU:C:2011:83, zit. TeliaSonera,
Ziff. 61; EuGH, 6.6.2012, C-457/10, Astra Zeneca AB u.a. gg. EU-Kom, EU:C:2012:770, zit. AstraZeneca,
Ziff. 112). Die nachteilige Einwirkung auf den Wettbewerb darf zudem auch nicht nur rein hypothetischer
Natur sein (vgl. EuGH, EU:C:2015:615, Post Danmark II, Ziff. 65).
1204. Allerdings ist es andererseits nicht
erforderlich, dass auch tatsächlich ein Erfolg oder ein bestimmter Schaden eintritt (vgl. EuGH,
EU:C:2010:603, Deutsche Telekom, Ziff. 254). Vielmehr ist es bereits
ausreichend, dass eine potenziell nachteilige Einwirkung nachgewiesen wird (vgl. EuGH, EU:C:2011:83,
TeliaSonera, Ziff. 64 f.; EuGH, EU:C:2012: 770, AstraZeneca,
Ziff. 112; EuGH, EU:C:2012:221, Tomra, Ziff. 79; EuGH, EU:C:2015:615,
Post Danmark II, Ziff. 66, 67).
1205. Für die Feststellung einer potenziell
nachteiligen Einwirkung wurde es verschiedentlich bereits für ausreichend erachtet, auf den Zweck
der Massnahme zu verweisen (vgl. EuG, EU:T:2003:250, Michelin II,
Ziff. 240; EuG, EU:T:2009:317, Clearstream, Ziff. 144). Soweit
ein Unternehmen unter Anführung von Beweisen die Möglichkeit einer nachteiligen Einwirkung
bestreitet, bedarf es allerdings einer Auseinandersetzung mit dessen Einwänden (vgl. EuGH, EU:C:2017:632,
Intel, Ziff. 138 ff.).
1206. Sinkende
Marktanteile des marktbeherrschenden Unternehmens schliessen die Feststellung einer missbräuchlichen
Verhaltensweise nicht aus (vgl. BGE 139 I 72, Publigroupe, E.
9.3.3.2; EuG, 1.7.2010, T-321/05, AstraZeneca AB u.a. gg. EU-Kom, EU:T:2010:266, Ziff. 288, EuG 17.12.2003,
T-219/99, Britisch Airways plc gg. EU-Kom, EU:T:2003:343, Ziff. 211 ff.). Denn für den Marktmissbrauch
als Gefährdungstatbestand ist es unerheblich, ob sich eine allenfalls intendierte Erhöhung
des Marktanteils für das beherrschende Unternehmen nicht realisiert. Zudem liesse sich regelmässig
nicht ausschliessen, dass der Marktanteil des marktbeherrschenden Unternehmens ohne das missbräuchliche
Verhalten noch mehr oder schneller gesunken wäre (vgl. EuG, 8.10.1996, T-24/93, Compagnie maritime
belge SA gg. EU-Kom, EU:T:1996:132, Ziff. 149; Bulst, LB-EUKR,
Art. 102 Rn. 132). Gleiches gilt auch für betriebswirtschaftliche Aspekte wie negative Betriebsergebnisse
oder Preissenkungen, weil diese gerade auch Ausdruck des intendierten Verhaltens eines marktbeherrschenden
Unternehmens sein können (vgl. EuGH, 3.7.1991, C-62/86, Akzo Chemie BV gg. EU-Kom, EU:C:1991:286,
zit. Akzo, Ziff. 70; EuGH, EU:C:1983:313, Michelin, Ziff. 59;
EuGH, EU:C:1978:22, United Brands, Ziff. 126/128; de
Bronett, W-HdKR, § 22 Rn. 21; Bulst,
LB-EUKR, Art. 102 Rn. 63). Eine konkrete wirtschaftliche Verhaltensweise
muss demnach nicht auf die Erzielung von Gewinnen ausgerichtet oder in sonstiger Weise gewinnbringend
für das marktbeherrschende Unternehmen ausgestaltet sein, um als missbräuchlich qualifiziert
werden zu können (vgl. EU-Kom, 20.7.1999, IV/36.888
- Fussball-Weltmeisterschaft 1998, ABl. 2000 L 55/5, Ziff. 101 f.).
1207. Im Ergebnis folgt aus den vorstehenden
Prämissen jedenfalls, dass für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Wettbewerbsverfälschung
keine tatsächlichen Auswirkungen nachgewiesen werden müssen (vgl. de
Bronett, W-HdKR, § 22 Rn. 48; Fuchs/Möschel,
IM-EUWBR, Art. 102 Rn. 143 ff.; Bulst,
LB-EUKR, Art. 102 Rn. 131; EU-Kom,
Prioritätenmitteilung, Ziff. 19 f., massgeblich ist die Wahrscheinlichkeit
einer Schädigung und nicht der Nachweis einer tatsächlich eingetretenen Schädigung).
1208. Da
die Einschränkung der Wettbewerbsfreiheit eines anderen Unternehmens schon für sich betrachtet
missbräuchlich ist, kommt es auch nicht darauf an, ob dieses dem auf ihn ausgeübten wirtschaftlichen
oder sonstigen Druck standhalten könnte bzw. standhält oder nachgibt (vgl. EuGH, EU:C:1974:18,
Commercial Solvents, Ziff. 26; Fuchs/Möschel,
IM-EUWBR, Art. 102 Rn. 144; Schröter/Bartl,
SJKM-EUWBR, Art. 102 Rn. 177). Aus dem gleichen Grunde stellt
bereits die Androhung einer missbräuchlichen Verhaltensweise ein tatbestandliches Verhalten dar
(vgl. EuGH, EU:C:1991:286, Akzo,
Ziff. 76 ff.; Schröter/Bartl, SJKM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 177; jedenfalls bei der Androhung eines Lieferabbruchs vgl. Dähler/Krauskopf/Strebel,
Machtpositionen, Rn. 8.82; Weber/Volz,
FHB-WBR, Rn. 2.590).
1209. Eine
der EU-Wettbewerbspraxis entsprechende Qualifizierung von Art. 7
KG im Sinne eines Gefährdungstatbestands
ist aus verschiedenen Gründen sachgerecht.
1210. Zum einen muss schon aus verfahrenstechnischen
Gründen die Wettbewerbsbehörde zum Schutz des Ordnungssystems Wettbewerb bereits zu einem Zeitpunkt
einschreiten können, an dem sie Kenntnis von der Durchführung eines wirtschaftlichen Verhaltens
erhält, mit dem eine nachteilige Einwirkung auf den Markt einhergeht. Ansonsten würden die
nachteiligen Einwirkungen auf den Wettbewerb länger andauern und damit einerseits die Beschränkung
der anderen Wettbewerber und andererseits die Stellung des marktbeherrschenden Unternehmens verstärkt
werden. Insbesondere unter Berücksichtigung des Umstands, dass der wirksame Wettbewerb auf dem Markt
durch das Vorhandensein einer marktbeherrschenden Stellung bereits eingeschränkt ist, kann demzufolge
nicht hingenommen werden, dass die Wettbewerbsbehörde erst abwarten muss, bis die jeweilige nachteilige
Einwirkung auch zum Eintritt eines irgendwie gearteten Erfolgs zu Lasten der anderen Marktteilnehmer
geführt hat (vgl. EuG, EU:T:2007:289, Microsoft, Ziff. 561).
1211. Zum
anderen schlägt sich eine nachteilige Einwirkung auf den Wettbewerb nicht zwingend in einer eindeutig
quantifizierbaren und durch die Wettbewerbsbehörden verifizierbaren Schädigung der anderen
Wettbewerber nieder. Denn die anderen Wettbewerbsteilnehmer werden auf eine unangemessene Verhaltensweise
des marktbeherrschenden Unternehmens zumeist nicht mit einem sofortigen Marktaustritt reagieren müssen.
Vielmehr werden sie den Versuch unternehmen, durch geeignete und ihnen mögliche sonstige wirtschaftliche
Massnahmen, die durch die unangemessene Verhaltensweise auftretenden Einschränkungen und den sich
daraus ergebenden geschäftlichen Druck zu umgehen oder zumindest abzufedern. Gerade wenn dies gelingt,
lassen sich die tatsächlichen Auswirkungen eines unangemessenen Verhaltens im Detail nicht einwandfrei
identifizieren, weil sich eine komplexe Gemengelage von verschiedensten ökonomischen Wirkungsgründen
einstellt und sich deshalb ein monokausaler Nachweis des Eintritts von tatsächlichen Auswirkungen
allein aufgrund der unangemessenen Verhaltensweise aus verschiedenen Gründen nicht mehr führen
lässt. Dies bedeutet jedoch offensichtlich nicht, dass dann keine Wettbewerbsverfälschung vorliegt.
Denn ohne die unangemessene Verhaltensweise hätten die anderen Wettbewerber nicht zu den gewählten
sonstigen wirtschaftlichen Massnahmen greifen müssen, sondern sie hätten sich gerade auch im
Bereich der unangemessenen Verhaltensweise konkurrenzierend auf dem Markt betätigen und damit die
Stellung des marktbeherrschenden Unternehmens angreifen können.
1212. Diese Einschätzung wird gerade auch
durch den vorliegenden Sachverhalt bestätigt. Infolge der Informationsverweigerung über die
DCC-Schnittstelle der Akzeptanz-Plattform der SIX-Gruppe mussten die anderen Terminalhersteller sich
bei der Vermarktung ihrer Zahlungskartenterminals gegenüber den Händlern als Abnehmer der Geräte
auf andere Funktionen konzentrieren. Dies bedeutet aber nicht, dass durch die Informationsverweigerung
gar keine Wettbewerbsverfälschung hätte eintreten können. Denn mangels Information konnten
die anderen Terminalhersteller gerade den Händlern mit einem Akzeptanzvertrag der SIX-Gruppe keine
DCC-Terminals anbieten, weshalb sie der SIX-Gruppe in diesem Bereich von vornherein keine Konkurrenz
machen konnten. Eine zumindest potenziell nachteilige Einwirkung auf den Wettbewerb lag demzufolge unzweifelhaft
vor (vgl. E. 1223
ff.).
1213. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen
lässt sich demzufolge mit dem Verweis auf eine mangelnde Abklärung von tatsächlich eingetretenen
Umständen die Unrechtmässigkeit einer kartellrechtlichen Verfügung wegen des Fehlens einer
Wettbewerbsverfälschung nicht begründen. Die entsprechenden Einwände der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1073,
1077,
1078,
1079),
wonach die Vorinstanz verschiedene tatsächliche Aspekte nicht untersucht und festgestellt habe,
sind demzufolge nicht relevant.
-ii-Beweismass
1214. Darüber
hinaus stellt sich für die Feststellung einer Wettbewerbsverfälschung die Frage nach dem Beweismass,
d.h. nach dem Grad der Gewissheit, welcher den Nachweis einer nachteiligen Einwirkung auf den Wettbewerb
im Rahmen von Art. 7
KG erfordert. Hierfür sind mehrere Aspekte zu berücksichtigen.
1215. Weder das Kartellgesetz noch das Verwaltungsverfahrensgesetz
sehen eine allgemeine Regelung des Beweisrechts für ein Kartellverfahren vor. Art. 19
VwVG
verweist hierzu allein auf die Art. 37
, 39
bis 41
und 43
bis 61
BZP. Diese Vorschriften weisen allerdings
keine Regelungen zum anwendbaren Beweismass auf.
1216. Aufgrund
einer Analyse der verschiedenen Arten des Beweismasses ergibt sich, dass für das Kartellverfahren
zwischen einer Anwendung des Überzeugungsbeweises und des Wahrscheinlichkeitsbeweises zu unterscheiden
ist (vgl. grundlegend BGE 139 I 72, Publigroupe,
E. 8.3.2; ausführlich BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E.
155 ff. m.w.H.; nunmehr ebenso BVGer, B-807/2012, Erne, E. 8.4.4.4;
BVGer, B-829/2012, Granella, E. 7.4.3.4).
1217. Als Regelbeweismass qualifiziert die
Praxis grundsätzlich den Überzeugungsbeweis (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 155 ff. mit Verweis auf BGE 140 III 610 E. 4.1; BGE 132 III 715 E. 3.1; BGE 133 III 153
E. 3.3; BGE 130 III 321 E. 3.2; BGE 128 III 271 E. 275; nunmehr BVGer, B-807/2012, Erne,
E. 8.4.4.1; Berger Max B./Nogler Roman, Beweisrecht -
die Last mit dem Beweis(en), recht 2012, zit. Beweisrecht, 171;
Bilger, Verwaltungsverfahren,
305; Brönnimann Jürgen, in: Berner Kommentar,
Schweizerische Zivilprozessordnung, Bd. II, 2012, zit. BK-ZPO,
Art. 157 Rn. 40; Rhinow/Koller/Kiss/Thurnherr/Brühl-Moser,
Prozessrecht, Rn. 999; Staehelin
Adrian/Staehelin Daniel/Grolimund Pascal, Zivilprozessrecht, 2013, zit. ZPO,
§ 18 Rn. 37 f.). Danach ist ein Beweis erbracht, wenn das Gericht nach objektiven
Gesichtspunkten von der Richtigkeit einer Sachbehauptung überzeugt ist. Dabei wird allerdings keine
absolute Gewissheit vorausgesetzt. Denn die Verwirklichung der Tatsache braucht nicht mit Sicherheit
festzustehen; vielmehr ist es ausreichend, wenn das Gericht am Vorliegen der behaupteten Tatsache keine
ernsthaften Zweifel mehr hat oder allenfalls verbleibende Zweifel als leicht erscheinen.
1218. Der Wahrscheinlichkeitsbeweis stützt
sich demgegenüber auf das Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, wobei für die
Richtigkeit der Sachbehauptung nach objektiven Gesichtspunkten derart gewichtige Gründe sprechen,
dass andere denkbare Möglichkeiten vernünftigerweise nicht massgeblich in Betracht fallen (vgl.
BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 155 ff. mit Verweis auf BGE 140
III 610 E. 4.1; BGE 132 III 715 E. 3.1; BGE 130 III 321 E. 3.2; gemäss BGer, 20.10.2009, 9C_717/
2009, K. gg. IV-Stelle Kt. St. Gallen, E. 3.3, ist dies dann der Fall, wenn das Gericht zur Ansicht
gelangt, dass ein bestimmter Sachverhalt den wahrscheinlichsten aller in Betracht fallenden Geschehensabläufe
darstellt). Nach ständiger Rechtsprechung gilt das Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit
etwa für den Nachweis des natürlichen Kausalzusammenhangs oder bei hypothetischen Kausalzusammenhängen
(vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 155 ff., mit Verweis auf
BGE 128 III 271 E. 2b/aa; BGE 121 III 358 E. 5; BGE 107 II 269 E. 1b; für weitere Konstellationen
vgl. Berger/Nogler, Beweisrecht,
171 f.; Staehelin/ Staehelin/Grolimund, ZPO,
§ 18 Rn. 40).
1219. Das
Bundesgericht hat hinsichtlich der Feststellung einer Marktbeherrschung und einer Marktabgrenzung in
grundlegender Weise klargestellt, dass bei komplexen wirtschaftlichen Sachverhalten ein Nachweis auf
der Grundlage der Gewissheit in ausreichender Weise nicht herbeigeführt werden kann und demzufolge
auch nicht erforderlich ist (BGE 139 I 72, Publigroupe,
E. 8.3.2, E. 9.2.3.5, weil ansonsten "eine objektive Berechenbarkeit vorgetäuscht
und das Erfordernis von Werturteilen verdeckt" würde). Diese Einschätzung gilt nicht
nur in Bezug auf die Feststellung der Marktbeherrschung oder der Marktabgrenzung, sondern letztlich für
alle Tatbestandsmerkmale eines wettbewerbswidrigen Verhaltens, soweit im Einzelfall multiple Wirkungszusammenhänge
bestehen und daher eine entsprechende Wettbewerbskomplexität gegeben ist (vgl. BVGer, B-7633/2009,
ADSL II, E. 80). Für einen rechtsgenüglichen Nachweis
von kartellrechtlichen Tatbestandsmerkmalen ist bei Vorliegen der Wettbewerbskomplexität aufgrund
von multiplen Wirkungszusammenhängen demzufolge das Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit
ausreichend und nicht ein Überzeugungsbeweis erforderlich (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 158; BVGer, B-829/2012, Granella, E. 7.4.3.4; BVGer,
B-807/2012, Erne, E. 8.4.4.4). Eine Differenzierung zwischen sanktionsbedrohten
und anderen Tatbeständen ist dabei nicht vorzunehmen, weil sich das Beweismass an den Umständen
der Beweiserhebung und nicht an den Rechtsfolgen auszurichten hat. Auch der strafrechtsähnliche
Charakter der Sanktionen gemäss Art. 49a
KG verlangt nicht nach einer Erhöhung des anwendbaren
Beweismasses (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 158).
1220. Dieses Ergebnis entspricht den Prinzipien
zur Anwendung des Überzeugungsbeweises als Regelbeweismass und den hierzu anerkannten Ausnahmen,
bei denen ein Überzeugungsbeweis nach der Natur der Sache nicht möglich oder nicht zumutbar
ist (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 158 mit Verweis auf
BGE 140 III 610 E. 4.1; BGE 130 III 321 E. 3.2). Denn im Rahmen
einer Prüfung von einzelnen Tatbeständen des Kartellgesetzes sind vielfach Einschätzungen
mit einzubeziehen, die sich auf zukünftige oder alternativ denkbare Ereignisse oder Auswirkungen
beziehen. Dies entspricht einer Berücksichtigung von hypothetischen Kausalzusammenhängen (im
Ergebnis so bereits BGer, 22.2.2007, 2A.327/2006, Weko gg. Berner Zeitung AG/Tamedia AG u.a., publ.
in: RPW 2007/2, 331, zit. 20 Minuten, E. 5.4;
BGer, 2A.430/2006, Buchpreisbindung II, E. 10.4). Des
Weiteren ist es offensichtlich, dass mit zunehmender Komplexität einer Materie auch die Anzahl aller
denkbaren Varianten eines Geschehensablaufs unweigerlich um ein Vielfaches zunimmt. Der Grad und das
Ausmass einer gerichtlichen Überzeugung verändern sich daher notwendigerweise mit zunehmender
Komplexität und den sich daraus ergebenden Interdependenzen einer Materie. Bei Vorliegen von derartigen
Aspekten kann im Einzelfall daher von vornherein keine Gewissheit hergestellt werden, weshalb ein Wahrscheinlicheitsbeweis
für den erforderlichen Nachweis massgebend ist (vgl. BVGer, B-7633/ 2009, ADSL
II, E. 163; BVGer, B-807/2012, Erne, E. 8.4.4.4).
1221. Die jeweils notwendige Überzeugung
kann sowohl beim Wahrscheinlichkeitsbeweis als auch beim Überzeugungsbeweis auch mittels eines Indizienbeweises
erlangt werden (vgl. BGer, 4.8.2009, 6B_332/2009, X gg. StA St. Gallen, E. 2.3 m.w.H.; BVGer, B-829/2012,
Granella, E. 7.4.3.5; BVGer, B-807/2012, Erne,
E. 8.4.4.6). Bei Indizien handelt es sich um Tatsachen, die einen Schluss auf unmittelbar erhebliche
Tatsachen zulassen. Beim Indizienbeweis wird vermutet, dass eine ansonsten nicht bewiesene unmittelbar
erhebliche Tatsache gegeben ist, weil sich diese Schlussfolgerung aus den mittelbar erheblichen Indizien
nach allgemeiner Lebenserfahrung einstellt.
1222. Wie dargestellt sind auch bei der Abschätzung
eines Eintritts von nachteiligen Einwirkungen auf den Wettbewerb im Einzelfall regelmässig eine
Vielzahl von möglichen Wirkungsursachen im Rahmen der vorzunehmenden Beurteilung zu berücksichtigen.
Für die Feststellung einer Wettbewerbsverfälschung gemäss Art. 7
KG findet demnach das
Beweismass des Wahrscheinlichkeitsbeweises Anwendung (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 161 ff.; BVGer, B-829/2012, Granella, E. 7.4.3.5;
BVGer, B-807/2012, Erne, E. 8.4.4.5).
(h)
Sachverhalt
1223. Aufgrund
der eigenen Vorbringen der Beschwerdeführerinnen ist erstellt, dass im relevanten Zeitraum zwischen
Juli 2005 bis Januar 2007 die Händler zum Zweck der aktuellen oder potenziellen Nutzung der Währungsumrechnung
nur ein DCC-Terminal der SIX-Gruppe erwerben konnten, welches an die Akzeptanz-Plattform der SIX-Gruppe
hätte angeschlossen werden können, weil kein anderes DCC-Terminal auf dem Markt vorhanden war,
mit denen die DCC-Währungsumrechnung ordnungsgemäss durchgeführt worden wäre.
1224. Demzufolge
bestand für die anderen Terminalhersteller aufgrund der fehlenen technischen Anbindung unzweifelhaft
von vornherein keine Möglichkeit, ihre eigenen DCC-Terminals an einen Händler zu verkaufen,
(i) der aufgrund eines bestehenden Akzeptanz- und eines DCC-Vertrags an die Akzeptanz-Plattform der SIX-Gruppe
angebunden war und hierfür ein geeignetes DCC-Terminal erwerben wollte, (ii) der aufgrund eines
Akzeptanzvertrags an die Akzeptanz-Plattform der SIX-Gruppe angebunden war und ein geeignetes DCC-Terminal
erwerben wollte, weil er in Erwägung zog, zu einem späteren Zeitpunkt auch die DCC-Währungsumrechnung
gegenüber seinen Kunden anzubieten, (iii) der beabsichtigte, einen Akzeptanzvertrag sowie einen
DCC-Vertrag mit der SIX-Gruppe abzuschliessen und hierfür ein geeignetes DCC-Terminal zu erwerben,
(iv) der beabsichtigte, einen Akzeptanzvertrag mit der SIX-Gruppe abzuschliessen und ein geeignetes DCC-Terminal
zu erwerben, weil er in Erwägung zog, zu einem späteren Zeitpunkt auch die DCC-Währungsumrechnung
gegenüber seinen Kunden anzubieten.
1225. Die verschiedenen Berechnungen der Parteien
zum Absatz von Zahlungskartenerminals belegen, dass neben ep2-Terminals auch DCC-Terminals abgesetzt
wurden und demzufolge im Markt eine Nachfrage für beide Typen von Zahlungskartenterminals bestand.
1226. Die Massnahmen der SIX-Gruppe wurden
vor dem Hintergrund vorgenommen, dass auf Seiten der Händler angesichts der Haftungsverschärfung
bei Kreditkartentransaktionen mit Zahlungskartenterminals ohne neueste Sicherheitsmerkmale (vgl. SV F.f)
ein erhöhter Bedarf hinsichtlich der Anschaffung von neuen Zahlungskartenterminals bestand.
1227. Bei diesem Sachverhalt ist festzustellen,
dass die Massnahmen der SIX-Gruppe geeignet waren, zu Lasten der anderen Terminalhersteller eine nachteilige
Einwirkung auf den Wettbewerb im Markt der Zahlungskartenterminals hervorzurufen, weil vernünftigerweise
davon ausgegangen werden kann, dass dadurch Verkäufe von Zahlungskartenterminals der anderen Terminalhersteller
an die vorstehend bezeichneten Gruppen von Händlern verhindert wurden. Unter Berücksichtigung
des unstrittigen Umstands, dass die Terminalhersteller DCC-Terminals für die Anbindung an die Akzeptanz-Plattformen
der anderen Kartenakquisiteure hergestellt und an Händler abgesetzt haben, liegen keine Gründe
vor, die zu der Feststellung führen würden, dass die Möglichkeit der anderen Terminalhersteller
zum Verkauf von DCC-Terminals an Händler der vorstehend bezeichneten Gruppen von Händlern auch
ohne die Massnahmen der SIX-Gruppe zwingend eingeschränkt gewesen wäre.
1228. Diese
Feststellung wird zudem implizit durch das Vorbringen der Beschwerdeführerinnen bestätigt (vgl.
E. 1080),
wonach die Anzahl der Händler mit einem Akzeptanzvertrag bei der SIX-Gruppe und gleichzeitiger Nutzung
eines Zahlungskartenterminals von einem anderen Terminalhersteller nach der Offenlegung der DCC-Schnittstellen
nicht angewachsen sei. Demnach nutzen auch Händler mit einem Akzeptanzvertrag der SIX-Gruppe ep2-Terminals
von anderen Terminalherstellern. Demzufolge besteht auf Seiten der Händler keine völlige Gleichschaltung
der Anbieter beim Bezug von Kartenakzeptanzvertrag und Zahlungskartenterminal. Es liegt kein Grund vor,
der zur Annahme berechtigten würde, dass Händler mit einem Akzeptanzvertrag der SIX-Gruppe
zwar ep2-Terminals, nicht aber DCC-Terminals von anderen Terminalherstellern benutzt hätten.
1229. Demzufolge hat die SIX-Gruppe durch die
Verweigerung einer Mitteilung der DCC-Schnittstelleninformationen an die anderen Händler das Tatbestandsmerkmal
der Wettbewerbsverfälschung gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. a
KG verwirklicht, weil dieses Verhalten
zu einer zumindest potenziell nachteiligen Einwirkung auf den Markt geführt hat.
1230. Die Einwände der Beschwerdeführerinnen,
die gegen das Vorliegen einer Wettbewerbsverfälschung vorgebracht werden, sind nicht geeignet, ein
anderes Ergebnis zu begründen.
1231. In diesem Zusammenhang ist zu beachten,
dass diese Vorbringen wiederkehrend von den Beschwerdeführerinnen mit der Behauptung versehen werden
(vgl. E. 1069),
die anderen Terminalhersteller hätten nur eine Kopie der DCC-Funktion der SIX-Gruppe herstellen
wollen, um dadurch ohne eigene Leistung im Markt der Zahlungskartenterminals DCC-Terminals absetzen zu
können, wodurch die Innovationsleistung und die Investitionen der SIX-Gruppe beeinträchtigt
worden seien. Wie dargelegt ist diese Argumentation unzutreffend (vgl. E. 638
ff., 769
ff.).
1232. Den zahlreichen Berechnungen der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1087
ff., 1079),
mit denen die Unerheblichkeit der verhinderten Verkäufe von DCC-Terminals durch andere Terminalhersteller
begründet werden soll, kommt von vornherein keine entscheidungsrelevante Bedeutung zu. Denn für
die Anwendung von Art. 7
KG besteht keine Erheblichkeitsschwelle, weil auch eine weitere sukzessive oder
selektive nachteilige Einwirkung auf den Markt durch ein marktbeherrschendes Unternehmen - wie
im vorliegenden Fall die Beschränkung einer Bereitstellung der DCC-Währungsumrechnung durch
die anderen Terminalhersteller - zu unterbinden ist.
1233. Daher kann in diesem Zusammenhang dahingestellt
bleiben, dass die verschiedenen Berechnungen der Beschwerdeführerinnen die oben bezeichnete Gruppe
von Händlern (vgl. E. 1224)
gar nicht vollständig umfassen und daher ungeeignet sind, um geringfügige Auswirkungen zu belegen.
1234. Auch die Berechnungen der Beschwerdeführerinnen
bestätigen jedenfalls, dass zumindest ein mehr oder weniger kleiner Anteil an Verkäufen von
DCC-Terminals an Händler durch andere Terminalhersteller infolge der Massnahmen der SIX-Gruppe verhindert
wurde.
1235. Die Einwände der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1070
ff., 1098),
wonach die Beschaffung von Zahlungskartenterminals allgemein aus Sicht der Händler von individuellen
Präferenzen - wie diverse Produktmerkmale oder Branchentrends - abhängt und im
Hinblick auf verschiedene konkrete Händler nicht von der DCC-Funktion abhängig gemacht worden
war, sind ungeachtet ihrer allfälligen sachlichen Richtigkeit nicht entscheidungsrelevant. Denn
sie sind von vornherein nicht geeignet, die vorstehende Feststellung des Gerichts in Zweifel zu ziehen.
Auch im Rahmen dieser Argumentationen legen die Beschwerdeführerinnen nicht dar, dass die Möglichkeit
ausgeschlossen gewesen war, dass die anderen Terminalhersteller DCC-Terminals an Händler mit einem
Kartenakzeptanzvertrag der SIX-Gruppe verkauft hätten. Eine solche Annahme wäre angesichts
der dargestellten Ausgangslage auch nicht haltbar.
1236. Gleiches gilt auch für den Einwand
der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 1098),
wonach die Zahlungskartenterminals der SIX-Gruppe den Zahlungskartenterminals der Konkurrenz technisch
überlegen seien und daher für den Händler die bessere Lösung darstellen würden.
Da die Beschaffung von Zahlungskartenterminals nach Ansicht der Beschwerdeführerinnen von den individuellen
Präferenzen der Händler abhängen, nimmt die konkrete Auswahl des Zahlungskartenterminals
allein der jeweilige Händler aufgrund seiner Einschätzung, welches Zahlungskartenterminal seiner
Auffassung nach das beste Gerät für seinen Einsatzweck darstellt, vor (vgl. EuG, 1.4.1993,
T-65/89, BPB Industries Plc u.a. gg. EU-Kom, EU:T:1993:31,
Ziff. 72, wonach der Händler die Konsequenzen aus Lieferschwierigkeiten der Konkurrenten zu ziehen
habe). Daher ist die Einschätzung der SIX-Gruppe über die technische Überlegenheit ihrer
Zahlungskartenterminals von vornherein nicht geeignet, die vorstehende Feststellung des Gerichts zu relativieren.
Ungeachtet dessen, dass für diese Behauptung ohnehin kein Nachweis vorliegt, steht dieser Einwand
in Widerspruch zu einem anderen Vorbringen der Beschwerdeführerinnen (vgl. 1080,
1228),
wonach die Anzahl der Händler mit einem Akzeptanzvertrag der SIX-Gruppe und einem DCC-Terminal eines
anderen Terminalherstellers nach Offenlegung der DCC-Schnittstelleninformationen nicht angewachsen sei.
Wenn der Einwand zutreffen würde, hätten zumindest die Händler mit einem Akzeptanzvertrag
bei der SIX-Gruppe überhaupt kein Zahlungskartenterminal von einem anderen Terminalhersteller bezogen.
1237. Im Übrigen ergibt sich auch bei
diesem Einwand ein inhaltlicher Widerspruch zur Argumentation der Beschwerdeführerinnen (vgl. E.
758
ff.), die Verweigerung sei zum Schutz der Investitionen und Innovationen der SIX-Gruppe berechtigt gewesen.
Wenn die Zahlungskartenterminals der anderen Terminalhersteller im Verhältnis zu den Produkten der
SIX-Gruppe so wenig kompetitiv gewesen wären, dass sie aus diesem Grunde von den Händlern nicht
gekauft worden wären, dann hätte die SIX-Gruppe bei der angeblich untergeordenten Bedeutung
der DCC-Funktion entgegen ihrem Vorbringen von vornherein kein Bedürfnis gehabt, eine Schutzfrist
zur Ausnutzung ihrer Innovationen eingeräumt zu erhalten. Die fehlende Herausgabe der Schnittstelleninformationen
belegt im Gegenteil, dass die Beschwerdeführerinnen gerade nicht darauf vertrauen konnten, dass
die angeblich sonst vorhandenen Vorteile und Gründe für den Kauf ihrer Zahlungskartenterminals
wirklich durchschlagend waren.
1238. Auch der Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1078),
wonach bei gewissen Händlern der Aufwand einer Aufrüstung mit der DCC-Währungsumrechnung
einschliesslich DCC-Terminals und Schulung der Mitarbeiter aus wirtschaftlichen Überlegungen nicht
vertretbar gewesen wäre, ist nicht geeignet, eine andere Feststellung zu begründen. Denn auch
diese Einschätzung gilt unstrittig nur für einen Teil und nicht für alle Händler.
Zudem steht die Frage der Wirtschaftlichkeit einer Einführung der DCC-Währungsumrechnung im
Geschäftsbetrieb eines Händlers in keinem Zusammenhang mit dem Aspekt, welcher Terminalhersteller
für das anzuschaffende Zahlungskartenterminal vom Händler ausgewählt wird.
1239. Aus den vorstehend genannten Gründen
sind die Einwände der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 1076
ff.), wonach die Vorinstanz verschiedene bestimmte tatsächliche Aspekte nicht vollständig abgeklärt
habe, weshalb keine ausreichend verifizierte Grundlage für die angefochtene Verfügung bestehe,
nicht entscheidungsrelevant. Massgebend für die Beurteilung der Verwirklichung einer Wettbewerbsverfälschung
ist vielmehr allein die Eignung der Verweigerung einer Mitteilung der DCC-Schnittstelleninformationen
zur Herbeiführung von nachteiligen Einwirkungen auf dem Markt für ep2-Terminals durch die SIX-Gruppe.
Hingegen bedarf es für die Feststellung einer Wettbewerbsverfälschung keines Nachweises, welche
konkreten Auswirkungen auf dem Terminalmarkt auch tatsächlich eingetreten sind.
1240. Die Einwände der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1063
ff., 1067),
wonach der Wettbewerb auf dem Markt der ep2-Terminals, zumindest aber die Wettbewerbsfähigkeit des
einzelnen Initiators hätte beseitigt werden müssen, sind unzutreffend. Denn für die Verwirklichung
einer Wettbewerbsverfälschung ist es wie dargelegt ausreichend, dass sich durch die Verweigerung
einer Bekanntgabe der DCC-Schnittstellen-informationen nachteilige Einwirkungen auf den Wettbewerb zu
Lasten der anderen Terminalhersteller einstellen. Demgegenüber müssen weder alle anderen Terminalhersteller
noch ein einzelner Initiator vollständig von einer Geschäftstätigkeit auf dem Markt der
ep2-Terminals ausgeschlossen werden.
1241. Der Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1059
f.), wonach weder Multipay noch Card Solutions eine Verfälschung des Wettbewerbs beabsichtigt hätten,
ist nicht massgeblich, weil die subjektiven Absichten keine konstitutive Voraussetzung für die Verwirklichung
einer Wettbewerbsverfälschung darstellen.
l)
Entgeltregelung
1242. Im Rahmen der Wettbewerbspraxis ist anerkannt,
dass von einem Initiator für die Eingehung der Geschäftsbeziehung grundsätzlich ein angemessenes
Entgelt durch das marktbeherrschende Unternehmen verlangt werden kann (vgl. BGE 129 II 497, EEF,
E. 6.5.2, 6.5.9; EuGH, 13.11.1975, 26/75, General Motors Continental NV gg. EU-Kom, EU:C:1975:150, Ziff.
20/23, Ausrichtung an den tatsächlichen Kosten; EuGH, EU:C:1986:421, British
Leyland, Ziff. 27, Festlegung nicht außer Verhältnis zum wirtschaftlichen Wert der Leistung;
zu den Modalitäten einer Vergütungsregelung bei standardessentiellen Patenten vgl. EuGH, EU:C:2015:477,
Huawei, Ziff. 63 ff.). Demzufolge ist davon auszugehen, dass ein
Unternehmen auch für die Zurverfügungstellung von Schnittstelleninformationen eine sachlich
gerechtfertigte Gebühr gegenüber dem Initiator beanspruchen kann.
1243. Im vorliegenden Fall kann auf detaillierte
Ausführungen hierzu und auf eine nähere tatsächliche Abklärung verzichtet werden,
weil die Entrichtung einer Gebühr zwischen der SIX-Gruppe und den anderen Terminalherstellern keinen
Gegenstand der Auseinandersetzung bildet.
m)
Sachliche Rechtfertigung
1244. Zur Rechtfertigung der Verweigerung einer
Mitteilung der DCC-Schnittstelleninformationen an die anderen Terminalhersteller macht die SIX-Gruppe
die Aspekte der Notwendigkeit zur Durchführung einer Test- und Re-Zertifizierungsphase, die Verhandlungen
über eine einvernehmliche Regelung sowie der Schutz der Investitions- und Innovationsanreize eines
marktbeherrschenden Unternehmens geltend. Es wurde bereits dargelegt, dass diese Aspekte keine Rechtfertigung
für das Verhalten der SIX-Gruppe darstellen (vgl. E. 686
ff., E. 749
ff., E. 765
ff.).
1245. Darüber hinaus machen die Beschwerdeführerinnen
geltend (vgl. E. 1103),
dass ihr Verhalten zu Effizienzvorteilen geführt habe, weil als Folge einer verfrühten Herausgabe
der DCC-Schnittstelleninformationen erhebliche ökonomische Transaktionskosten für die Beteiligten
angefallen wären.
1246. Die Begründung der Beschwerdeführerinnen
hierzu unterstellt implizit, dass der SIX-Gruppe die Entscheidungsgewalt darüber zustehe, zu welchem
Zeitpunkt die anderen Terminalhersteller die notwendigen Arbeiten zur Anpassung der DCC-Funktion in ihren
Zahlungskartenterminals für eine Anbindung an die Aktzeptanz-Plattform der SIX-Gruppe aus Kostengründen
vorzunehmen haben. Es ist allerdings kein Grund ersichtlich, warum der SIX-Gruppe eine solche Befugnis
zukommen sollte. Vielmehr wurde bereits im Rahmen der Beurteilung der Test- und Re-Zertifizierungsphase
ausgeführt (vgl. E. 722
f.), dass die Entscheidung über die Entwicklung und Anpassung ihrer Terminalsoftware auch unter
Berücksichtigung des Risikos eines erneuten Aufwands infolge einer Anpassung von Schnittstellen
im Rahmen von Zertifizierungs- bzw. Re-Zertifizierungsverfahren in den Geschäftsbereich der anderen
Terminalhersteller fällt. Daher hatten die anderen Terminalhersteller selbst darüber zu entscheiden,
ob sie nach einer Mitteilung der DCC-Schnittstellen-informationen für die Akzeptanz-Plattform der
SIX-Gruppe die Arbeiten zur Anpassung ihrer DCC-Terminals aufgenommen hätten, oder ob sie aufgrund
des Hinweises der SIX-Gruppe, dass noch eine Re-Zertifizierung durchzuführen ist, diese Arbeiten
bis zum Abschluss der Re-Zertifizierung aufgeschoben hätten. Das Verhalten der SIX-Gruppe stellt
demzufolge die Anmassung einer nicht vorhandenen Befugnis zur Ausgestaltung von innerorganisatorischen
Verfahrensabläufen der anderen Terminalhersteller dar.
1247. Auf Seiten der SIX-Gruppe führt
die Notwendigkeit, den anderen Terminalherstellern die DCC-Schnittstelleninformationen zunächst
mit einem Hinweis auf die Re-Zertifizierung als vorläufige Version und nochmals nach Abschluss der
Re-Zertifizierung als finale Version mitzuteilen, zwar zu einem erhöhten Aufwand. Dieser Aufwand
ist jedoch überschaubar und wäre unter Berücksichtigung einer zulässigen Entgeltregelung
vertretbar. Jedenfalls resultieren daraus keine erheblichen ökonomischen Transaktionskosten, wie
von den Beschwerdeführerinnen behauptet. Eine Verweigerung der Mitteilung der DCC-Schnittstelleninformationen
wegen einer Einsparung des Aufwands für eine zusätzliche Kommunikation gegenüber den anderen
Terminalherstellern stellt demzufolge keine verhältnismässige Massnahme dar (vgl. E. 733
f.).
1248. Auch dieser Einwand begründet demnach
keine Rechtfertigung für die Verweigerung der DCC-Schnittstelleninformationen gegenüber den
anderen Terminalherstellern.
1249. Darüber hinaus machen die Beschwerdefüherinnen
geltend, dass die Offenlegung der DCC-Schnittstelleninformationen durch die angefragte Multipay berechtigterweise
habe verweigert werden können, weil es sich hierbei um immaterialgüterrechtlich geschützte
Güter der Card Solutions gehandelt habe. Hierzu wurde bereits dargelegt (vgl. E. 653
ff.), dass dieser Einwand angesichts der Massgeblichkeit der SIX-Gruppe als Kartellrechtssubjekt nicht
entscheidungsrelevant ist.
n)
Zusammenfassung
1250. Als
Ergebnis der Prüfung im Beschwerdeverfahren ist festzustellen, dass die Verweigerung einer Mitteilung
der DCC-Schnittstellen-informationen für die Akzeptanz-Plattform durch die SIX-Gruppe gegenüber
den anderen Terminalherstellern ein wettbewerbswidriges Verhalten in der Missbrauchsform einer Geschäftsverweigerung
gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. a
KG darstellt.
4)
Koppelung gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. f
KG
1251. Die Vorinstanz hat in der angefochtenen
Verfügung die Verwirklichung einer Koppelung gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. f
KG von Seiten der
SIX-Gruppe gegenüber den Händlern durch die Verknüpfung von Akzeptanzgeschäft, Währungsumrechnung
und DCC-Terminal festgestellt, wodurch die Wahlfreiheit der Händler bei der Beschaffung von DCC-Terminals
ausgeschlossen worden sei.
a)
Ausgangslage
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
1252. Die
Beschwerdeführerinnen bestreiten das Vorliegen einer wettbewerbswidrigen Koppelung aus verschiedenen
wettbewerbstheoretischen Gründen.
1253. Zunächst
erheben sie den Einwand, dass der Tatbestand von Art. 7 Abs. 2 lit. f
KG vorliegend bereits aufgrund
von dessen Wortlaut gar nicht habe verwirklicht werden können.
1254. Daneben
wird von ihnen geltend gemacht, dass für die Verwirklichung einer Koppelung im Einzelfall eine Schädigungstheorie
nachgewiesen werden müsse, mit der in ökonomisch ausreichender Weise belegt werde, dass die
entsprechende Koppelung überhaupt problematisch sein könne. Unter Verweis auf die single monopoly-Theorie
der Chicago School - wonach für ein marktbeherrschendes Unternehmen kein Anreiz bestehe,
Marktteilnehmer
auf benachbarten Märkten zu behindern, weil es seinen Monopolgewinn auf dem beherrschten
Markt abschöpfen könne und sich höhere Gewinne im benachbarten Markt negativ auf den Monopolgewinn
im beherrschten Markt auswirken würden - wird in allgemeiner Weise behauptet, dass vorliegend
keine Schädigungstheorie für eine Koppelung gegeben sei.
1255. In
Anküpfung an die single monopoly-Theorie wenden die Beschwerdeführerinnen ein, dass ein marktbeherrschendes
Unternehmen irrational handeln würde, wenn es verschiedene Produkte aus einem beherrschten Markt
und einem nicht beherrschten Markt bündeln würde.
Da es den Monopolgewinn aus dem beherrschten Markt nur einmal vereinnahmen könne, würde eine
Verbindung dieses Produkts mit einem anderen Produkt überhaupt keinen wirtschaftlichen Sinn machen.
Da ein Unternehmen ökonomisch sinnvoll handle, liege demzufolge keine unzulässige Verbindung
von zwei Produkten vor.
1256. Darüber
hinaus machen die Beschwerdeführerinnen geltend, dass eine Marktbeeinträchtigung jedenfalls
nicht durch die von der Vorinstanz angeführten Schädigungstheorien erklärt werden könnten.
Die angefochtene Verfügung führe zwar Fallgestaltungen von antikompetitiven Koppelungen an,
die unter bestimmten Voraussetzungen gegeben seien, ohne jedoch diese Voraussetzungen auch für den
vorliegenden Sachverhalt detailliert zu prüfen oder nachzuweisen.
1257. Zudem gehe die angefochtene Verfügung
von einer wettbewerbswidrigen Übertragung von Marktmacht vom Markt des Akzeptanzgeschäfts auf
den Markt für Zahlungskartenterminals aus. Des Weiteren werde angenommen, dass Akzeptanz-Dienstleistungen
und Terminalleistungen komplementär seien. Unter diesen Bedingungen könne der Gewinn aus der
Marktmacht aber nur einmal abgeschöpft werden, weshalb an der Übertragung von Marktmacht auf
den Terminalmarkt kein Interesse bestehe.
1258. Die
Beschwerdeführerinnen hätten ein wesentlich grösseres Interesse an einer Verbreitung der
Akzeptanzverträge als an der Verbreitung von Zahlungskartenterminals, weil die Einkünfte aus
den Akzeptanzverträgen die Einnahmen aus dem Terminalverkäufen übersteigen würden.
Dieses Interesse schliesse die Annahme einer Koppelung aus.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
1259. Die Vorinstanz stützt sich für
die Begründung einer Koppelung auf die sog. Leverage-Theorie, wonach ein marktbeherrschendes Unternehmen
durch eine Koppelung einen Verdrängungseffekt auf einen anderen, benachbarten, vor- oder nachgelagerten
Markt herbeiführen und dadurch seine Marktmacht vom beherrschten Markt auf den anderen Markt übertragen
könne.
1260. Zur Widerlegung der von den Beschwerdeführerinnen
geltend gemachten wettbewerbstheoretischen Argumentationen verweist die Vor-instanz auf verschiedene
aktuelle Ansichten in der ökonomischen Literatur. Diese würden verschiedene strategische Aspekte
aufzeigen, wonach ein marktbeherrschendes Unternehmen aus profit-maximierenden Gründen Anreize haben
könne, mittels eines Leveraging seine Marktmacht auf einen benachbarten, vor- oder nachgelagerten
Markt auszuweiten. Die dargelegten Modelle würden einen guten Überblick über die hierzu
erforderlichen Voraussetzungen geben, wie z.B. einen komplementären Zusammenhang zwischen zwei Produkten,
Kosten und Risiken des Markteintritts, Grössen- und Verbundvorteile in der Produktion oder ein mögliches
unwiederrufbares Committment über eine Koppelung.
(3)
Würdigung durch das Gericht
1261. Ein Koppelungsgeschäft gemäss
Art. 7 Abs. 2 lit. f
KG liegt vor, wenn durch das marktbeherrschende Unternehmen an den Abschluss von
Verträgen die Bedingung gekoppelt wird, dass ein Vertragspartner zusätzliche Leistungen anzunehmen
oder zu erbringen hat.
1262. Die
Fallgruppe der Koppelung als wettbewerbswidriges Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens wurde
vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil Hallenstadion (BVGer, B-3618/2013,
Hallenstadion, E. 246 ff.) bereits einmal behandelt, wobei aufgrund
der konkreten Sachverhaltskonstellation allerdings keine abschliessende Würdigung vorgenommen werden
musste. Die Wettbewerbskommission hatte sich vor dem relevanten Zeitraum insbesondere in den Fällen
Swisscom-Centrex (Weko,
22.6.1998, RPW 1998/3, 377, Swisscom-Centrex, Ziff. 18 f.), Spitallisten
(Weko, 27.4.1999, RPW 1999/2, 220, Spitallisten bei Halbprivatversicherungen
mit eingeschränkter Spitalwahlfreiheit, Ziff. 125 f.), Lookop
(Weko, ohne Datum, RPW 2002/1, 72, Lookop AG gg. SBB, Ziff.
21 f.), Talk & Surf (Weko,
12.2.2004, RPW 2004/2, 357, Produktebündel "Talk & Surf", Ziff. 69 f.), Corner
Banca (Weko, 1.9.2003, RPW 2004/4, 1002, Cornèr
Banca SA/Telekurs AG, Ziff. 55 f.) mit einer Koppelung befasst.
1263. Das Wettbewerbsrecht der Europäischen
Union weist verschiedene Entscheidungen der Europäischen Gerichte und der Europäischen Kommisson
zur Koppelung auf (vgl. insbesondere EuG, 17.9.2007, T-201/04, Microsoft Corp. gg. EU-Kom, EU:T:2007:289,
zit. Microsoft, Ziff. 1089; damit bestätigt die Entscheidung
der EU-Kom, 24.3.2004, Comp/C-3/37.792, Microsoft Corp.,
ABl. 2004 L 32/23, zit. Microsoft, Ziff. 946, 968; EuGH, 14.11.1996,
C-333/94, Tetra Pak International SA gg. EU-Kom, EU:C:1996:436, zit. Tetra
Pak II, damit bestätigt das Urteil des EuG, 6.10.1994, T-83/91, Tetra Pak International SA
gg. EU-Kom, EU:T:1994:246, zit. Tetra Pak II, damit bestätigt
die Entscheidung der EU-Kom,
24.7.1991, IV/31.043 - Tetra Pak II, 92/163/EWG, ABl. 1992 L 72/1; EuGH, 2.3.1994, C-53/92P, Hilti
AG gg. EU-Kom u.a, Eu:C:1994:77, zit. Hilti; damit bestätigt
Urteil des EuG, 12.12.1991, T-30/89, Hilti gg. EU-Kom, EU:T:1991:70, zit. Hilti;
damit bestätigt die Entscheidung der EU-Kom, 22.12.1987,
88/138/EWG, IV/30787 - Eurofix-Bauco gg. Hilti, ABl. 1988 L 65/19, zit. Hilti,
Ziff. 30-32, 75, 87-95; EU-Kom, 20.12.2012, COMP/39230,
Rio Tinto Alacan, zit. Rio Tinto). Die Europäische Kommission
hat darüber hinaus verschiedene Aspekte zur Beurteilung von bestimmten Konstellationen eines Behinderungsmissbrauchs
einschliesslich von gewissen Koppelungssachverhalten formuliert (vgl. EU-Kom,
Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Art. 82 des EG-Vertrags
auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen, K[2009] 864, ABl. 2009
C 45/7, zit. Prioritätenmitteilung, Ziff. 47 ff.), wobei
dieser Mitteilung allerdings keine Bindungswirkung gegenüber den Europäischen Gerichten zukommt
(vgl. Ziff. 3 Prioritätenmitteilung).
1264. Der
Inhalt eines Koppelungsgeschäfts besteht darin, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen auf Angebots-
oder Nachfrageseite den Abschluss eines Geschäfts über ein bestimmtes Hauptprodukt (auch als
"koppelndes Gut" bezeichnet) von Zugeständnissen für die Abnahme oder die Lieferung
bzw. Leistung eines weiteren Zusatzprodukts (auch als "gekoppeltes Gut" bezeichnet) gegenüber
seinem Geschäftspartner abhängig macht, soweit Haupt- und Zusatzprodukt keine ausreichende
spezifische sachliche Bindung oder keinen sachlichen Grund für eine Verbindung aufweisen (vgl. BVGer,
B-3618/2013, Hallenstadion, E. 248, mit Verweis auf Botschaft
KG 1995, 575; Amstutz/Carron, BSK-KG,
Art. 7 Rn. 468; Borer, KG,
Art. 7 Rn. 27; Clerc/Këllezi, CR-Concurrence,
Art. 7 II Rn. 262; David/Jacobs, WBR,
Rn. 746; Reinert, SHK-KG,
Art. 7 Rn. 37; Stäuble/Schraner, Dike-KG,
Art. 7 Rn. 489; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 2.751; Fuchs/Möschel, IM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 274; Schröter/Bartl, SJKM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 256). Im Gegensatz zu einem wettbewerbsrechtlich zulässigen Kombinationsgeschäft
weist das Koppelungsgeschäft somit eine Verbindung von verschiedenen Produkten ohne angemessene
sachliche Grundlage auf.
1265. Koppelungsgeschäfte
stellen eine Wettbewerbsbeschränkung dar, weil sie verschiedene Varianten einer Wettbewerbsverfälschung
nach sich ziehen. Denn der Absatz des Zusatzprodukts beruht in derartigen Fällen nicht auf dessen
eigenen Leistungsfaktoren, sondern knüpft an den von den jeweiligen Nachfragern bzw. Anbietern angestrebten
Absatz des Hauptprodukts an. Die Wettbewerbsverfälschung tritt dabei prinzipiell in zwei alternativ
oder kumulativ vorliegenden Varianten auf (vgl. BVGer, B-3618/2013, Hallenstadion,
E. 249; Clerc/Këllezi, CR-Concurrence,
Art. 7 II Rn. 263 f.; David/Jacobs, WBR,
Rn. 747; Reinert, SHK-KG,
Rn. 37; Stäuble/Schraner, Dike-KG,
Art. 7 Rn. 491; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 2.753; Fuchs/Möschel, IM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 274; O´Donahue Robert/Padilla Jorge, The
Law and Economics of Article 102 TFEU, 2. Aufl. 2013, zit. Article 102,
598; Schröter/Bartl, SJKM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 255): (i) Eine Benachteiligung der Marktgegenseite des marktbeherrschenden Unternehmens
durch die Aufhebung seiner Handlungsfreiheit infolge der Notwendigkeit zur Abnahme oder Leistung eines
Produkts, welches gar nicht oder jedenfalls nicht unter Anwendung der jeweiligen Modalitäten abgenommen
oder geleistet worden wäre; oder (ii) eine Behinderung von Konkurrenten in Gestalt von deren Verdrängung,
indem diesen die Nachfrager bzw. Anbieter auf dem Markt des Zusatzprodukts entzogen werden.
Durch eine Koppelung kann dabei die Stellung des marktbeherrschenden Unternehmens auf dem Markt des
Hauptprodukts oder auf dem Markt des Zusatzprodukts oder auch auf beiden Märkten gestützt oder
verstärkt werden. Zudem kann im Einzelfall gegebenenfalls sogar die Gefahr bestehen, dass das marktbeherrschende
Unternehmen aufgrund der Hebelwirkung der Koppelung auch auf dem Markt des Zusatzprodukts eine marktbeherrschende
Stellung erlangt.
1266. Bei Koppelungsgeschäften werden
aufgrund der bisherigen Entwicklung einer wettbewerbsrechtlichen Beurteilung verschiedene Unterscheidungen
vorgenommen. Im Hinblick auf den Koppelungstyp, d.h. die Art und Weise, wie die Kombination der jeweiligen
Produkte erfolgt, wird folgende grundlegende Abgrenzung vorgenommen (vgl. BVGer, B-3618/2013, Hallenstadion,
E. 250; Amstutz/Carron, BSK-KG,
Art. 7 Rn. 493 f.; Clerc/Këllezi, CR-Concurrence,
Art. 7 II Rn. 262; Stäuble/ Schraner, Dike-KG,
Art. 7 Rn. 497; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 2.763; Fuchs/Möschel, IM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 284 f.): (i) das "Bündelgeschäft" bzw. die "Bündelung"
(in Anlehnung an den englischen Begriff auch als "bundling" oder "pure bundling"
bezeichnet) umfasst den ausschliesslich gemeinsamen Absatz von Haupt- und Zusatzprodukt aufgrund einer
wechselseitigen Kombination von Haupt- und Zusatzprodukt; (ii) das "Verbundgeschäft"
(in Anlehnung an den englischen Begriff auch als "tying" bezeichnet) umfasst den ausschliesslichen
Absatz des Hauptprodukts zusammen mit dem Zusatzprodukt aufgrund einer (bloss) einseitigen Kombination
des Hauptprodukts mit dem Zusatzprodukt, weshalb das Zusatzprodukt auch alleine verfügbar bleibt;
(iii) das "Anreizgeschäft" (in Anlehnung an den englischen Begriff auch als "mixed
bundling" bezeichnet) umfasst die Sachverhalte, bei denen eine unabhängige Abnahme von Haupt-
und Zusatzprodukt aufgrund einer bloss fakultativen Kombination zwar theoretisch möglich bleibt,
die gleichzeitige Nachfrage aufgrund spezifischer ökonomischer Anreize - wie die Ausgestaltung
von Gesamtpreisen oder die Gewährung von Rabatten und sonstigen Vergünstigungen bei Abnahme
von Haupt- und Zusatzprodukt - aber bei realistischer Betrachtung ganz offensichtlich vorzuziehen
ist.
1267. Im Hinblick auf den Koppelungsgrund,
d.h. die Grundlage für die Verbindung der jeweiligen Produkte, wird eine Unterscheidung vorgenommen
zwischen einer vertraglichen Verküpfung und einer faktischen Verknüpfung (vgl. E. 1328
f.). Während beim Verbundgeschäft als Koppelungsgrund sowohl eine vertragliche Verknüpfung
als auch eine faktische Verknüpfung zur Anwendung gelangen können, beruht das Bündelgeschäft
ausschliesslich auf einer vertraglichen Verknüpfung und das Anreizgeschäft ausschliesslich
auf einer faktischen Verknüpfung.
1268. Ungeachtet der unterschiedlichen Zuordnung
können in allgemeiner Weise grundsätzlich folgende Merkmale als Voraussetzungen einer Koppelung
qualifiziert werden (vgl. BVGer, B-3618/2013, Hallenstadion, E.
253; EuG, EU:T:2007:289, Microsoft, Ziff. 859; Fuchs/Möschel,
IM-EUWBR, Art. 102 Rn. 275): (i) marktbeherrschende Stellung eines
Unternehmens auf dem Markt des Hauptprodukts; (ii) Marktteilnehmer als Vertragspartner; (iii) Vorliegen
separater Produkte; (iii) Verknüpfung eines Hauptprodukts mit einem Zusatzprodukt durch das marktbeherrschende
Unternehmen; (iv) nachteiliger Effekt auf den Wettbewerb; (v) Fehlen einer sachlichen Rechtfertigung
der Verknüpfung.
1269. Angesichts
dieser Ausgangslage ist der Einwand der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 1254
f.), wonach aus ökonomischer Sicht keine Schädigungstheorie für eine Koppelung als missbräuchliches
Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens begründet werden könne, weshalb Produktverbindungen
in jedem Falle zulässig seien, nicht haltbar und daher unbeachtlich.
1270. Mit der ausdrücklichen Statuierung
der Koppelung als Regelbeispiel eines missbräuchlichen Verhaltens hat der schweizerische Gesetzgeber
vielmehr klargestellt, dass jedenfalls mit der Erfüllung des gesetzlichen Tatbestands von Art. 7
Abs. 2 lit. f
KG durch ein marktbeherrschendes Unternehmen eine nachteilige Einwirkung auf den Wettbewerb
gegeben ist, die zudem gemäss Art. 49a
KG ausnahmslos zu sanktionieren ist. Infolgedessen steht
im Rahmen der Rechtsanwendung auf einen konkreten Einzelfall sowohl für die Wettbewerbsbehörden
als auch für die Gerichte als Rechtsmittelinstanzen das Vorliegen einer ausreichenden ökonomischen
Schädigungstheorie ausser Frage. Demnach scheidet eine Erörterung des Aspekts, ob bei einer
Koppelung überhaupt und gegebenenfalls nach welcher bestimmten ökonomischen Theorie tatsächlich
eine nachteilige Einwirkung auf den Wettbewerb angenommen werden kann, von vornherein aus. Im vorliegenden
Fall kommt den Ausführungen der Parteien zur massgeblichen ökonomischen Schädigungstheorie
daher für die Entscheidung in der Sache keine Relevanz zu. Aus diesem Grund geht auch der Einwand
der Beschwerdeführerinnen von vornherein ins Leere, die Vorinstanz hätte die jeweiligen Voraussetzungen
der von ihr aufgezeigten Schädigungstheorien weder abgeklärt noch nachgewiesen.
1271. Da die Beschwerdeführerinnen ihre
Einwände im Hinblick auf die Subsumtion der Tatbestandsvoraussetzungen allerdings jeweils eng mit
ihren allgemeinen Einwänden in Bezug auf das Vorliegen einer ausreichenden Schädigungstheorie
verknüpfen, ist der Vollständigkeit halber bereits an dieser Stelle auf die aufgeworfenen wettbewerbstheoretischen
Einwände einzugehen.
1272. Die
Grundlage des Einwands der Beschwerdeführerinnen wegen des Fehlenes einer ausreichenden Schädigungstheorie
bildet die Berufung auf die single monopoly-Theorie der Chicago-School (vgl. E. 1255),
wonach ein marktbeherschendes Unternehmen die Monopolrente nur einmal abschöpfen könne, weshalb
eine Verbindung des Produkts, für das die marktbeherrschende Stellung bestehe, mit einem anderen
Produkt - unabhängig davon, ob dieses ebenfalls marktbeherrschend ist oder nicht - ökonomisch
keinen Sinn mache. Dieser Ansatz bildet allerdings nur eines von verschiedenen theoretischen ökonomischen
Konzepten, die sich aufgrund modellhafter Überlegungen mit der Koppelung befassen, wobei andere
Konzepte durchaus Schädigungstheorien für Koppelungen nachweisen (vgl. Fumagalli
Chiara/Motta Massimo/Calcag-no Claudio, Exclusionary Practices, 2018, 363 ff. m.w.H.; Carlton
Dennis W./Waldmann Michael, Upgrades, switching costs and the leverage theory of tying, Economic
Journal 2011, 122, 675-706; Whinston Michael, Tying D.,
Foreclosure and Exclusion, American Economic Review, 1990, 80(4), 837-859). Sämtliche Konzepte einschliesslich
der single monopoly-Theorie beruhen dabei jeweils auf bestimmten Vorgaben und Annahmen. Insbesondere
die jeweiligen Vorgaben und Annahmen bilden wiederum die Ansatzpunkte für die Kritik der gegenteiligen
Ansichten, ungeachtet der jeweiligen weiteren Aspekte einer inhaltlichen Ablehnung. Demzufolge kann bereits
von vornherein keines dieser Konzepte eine absolute Geltung für sämtliche möglichen tatsächlich
auftretenden Sachverhaltskonstellationen beanspruchen. Da die jeweiligen Vorgaben und Annahmen zudem
für einen bestimmten Markt regelmässig nicht in reiner Form gegeben sind, lässt sich eine
konkrete Ableitung aus einem ökonomischen Modell im Einzelfall zumeist nicht vornehmen. Die ökonomischen
Modelle weisen demzufolge insbesondere im Rahmen von wettbewerbspolitischen Überlegungen einen Wert
zur grundsätzlichen rechtlichen Erfassung von wirtschaftlichen Verhaltensweisen auf; sie stellen
jedoch keine verbindliche Vorgabe für die rechtliche Beurteilung eines konkreten Sachverhalts im
Einzelfall dar (vgl. E. 1125).
Im Übrigen wird für den Bereich der Koppelungen übereinstimmend festgestellt, dass zwar
theoretische Modellkonzepte, aber keine validierten Studien zur praktischen Umsetzung von Koppelungen
vorliegen. Daher können die Beschwerdeführerinnen entgegen den bestehenden gesetzlichen Vorschriften
keine unmittelbaren Ableitungen aus der single monopoly-Theorie vornehmen.
1273. Auch
der von den Beschwerdeführerinnen vorgebrachte, in Anküpfung an das single monopoly theorem
und auf dem ökonomischen Prinzip aufbauende Einwand (vgl. E. 1255),
wonach ein marktbeherrschendes Unternehmen irrational handeln würde, wenn es eine Verbindung von
verschiedenen Produkten vornähme, die aus einem von ihm beherrschten und einem von ihm nicht beherrschten
Markt stammten, ist inhaltlich unzutreffend und daher unbeachtlich. Denn mit dieser Argumentation stellen
die Beschwerdeführerinnen zugleich die Prämisse auf, dass sich marktbeherrschende Unternehmen
ausnahmslos rein rational und strikt entsprechend einzelner theoretischer ökonomischer Modelle einschliesslich
von deren jeweiligen grundlegenden Annahmen und Vorgaben verhalten würden. Eine derartige Prämisse
ist allerdings weder für die Verbindung von verschiedenen Produkten noch für sonstige missbräuchliche
Verhaltensweisen durch marktbeherrschende Unternehmen vertretbar. Sie wird bereits dadurch widerlegt,
dass in der Vergangenheit sowohl Koppelungssachverhalte als auch sonstige wettbewerbswidige Verhaltensweisen
von Unternehmen festgestellt wurden und sich diese Unternehmen demzufolge nicht rational verhalten haben.
Das ökonomische Prinzip, wonach das Handeln der einzelnen Wirtschaftsteilnehmer zweckrational auf
eine Nutzenmaximierung ausgerichtet ist, kann zwar allgemein dem wirtschaftlichen Verhalten von Wirtschaftsteilnehmern
als plausible Prämisse zu Grunde gelegt werden. Die meisten ökonomischen Modelle stützen
sich daher auch in entsprechender Weise darauf ab. Allerdings ist heute anerkannt, dass in der Praxis
Entscheidungen auf rein rationalen Aspekten aus den verschiedensten Gründen regelmässig zum
einen gar nicht möglich sind und zum anderen ungeachtet einer möglichen Umsetzung dennoch vielfach
nicht vorgenommen werden (vgl. Thaler Richard H., Behavioral
Economies: Past, Present and Future, American Economic Review, 2016, 106(7), 1577-1600 m.w.H.). So wird
die Möglichkeit zu einer ausschliesslich rationalen Entscheidung bereits dadurch eingeschränkt,
dass ein Wirtschaftsteilnehmer keine ausreichenden Informationen über alle entscheidungsrelevanten
Kriterien verfügt. Darüber hinaus haben die Wirtschaftspsychologie und die Entscheidungstheorie
emprisch festgestellt, dass rationale Entscheidungen im Einzelfall oft ausbleiben (vgl. Thaler
Richard, Misbehaving - Was die Verhaltensökonomik über unsere Entscheidungen verrät,
2015/2017, 343 m.w.H.). Daher kann auch nicht einfach vorausgesetzt werden, dass sich die jeweiligen
Entscheidungsträger in einem Unternehmen im konkreten Einzelfall völlig rational entsprechend
einem bestimmten ökonomischen Modell verhalten (haben). Für die Beurteilung von konkreten Entscheidungen
von Wirtschaftsteilnehmern im Einzelfall lässt sich demzufolge aus dem ökonomischen Prinzip
kein zwingender Nachweis für ein rationales Verhalten eines Unternehmens ableiten.
1274. Im Übrigen ist die Argumentation
der Beschwerdeführerinnen auch inhaltlich nicht überzeugend. Selbst wenn unterstellt würde,
dass ein marktbeherrschendes Unternehmen die Monopolrendite nur ein einziges Mal über das marktbeherrschende
Produkt abschöpfen könnte, so stellt dies offensichtlich kein zwingendes Argument gegenüber
dem Bestreben eines marktbeherrschenden Unternehmens dar, seine besondere Stellung auf einem beherrschten
Markt durch Massnahmen, die dem Leistungswettbewerb nicht entsprechen und auch nicht durch einen Rechtfertigungsgrund
abgedeckt sind, zukünftig auf dem Markt des Zusatzprodukts abzusichern.
1275. Die
Behauptungen der Beschwerdeführerinnen zum Fehlen einer ausreichenden Schädigungstheorie stehen
zudem in einem inhaltlichen Widerspruch zu ihren Vorbringen hinsichtlich des Tatbestands der Geschäftsverweigerung
(vgl. E. 810),
wonach die SIX-Gruppe als international kleiner Marktteilnehmer im Markt des Akzeptanzgeschäfts
darauf angewiesen gewesen sei, die DCC-Währungsumrechnung und die Abstimmung mit den ep2-Terminals
der Card Solutions zur Attraktivitätssteigerung der Kartenprodukte von Card Solutions anzubieten,
um durch Qualitätswettbewerb gegenüber anderen Wettbewerbern einen Vorteil zu erlangen. Vor
diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass durch eine Abschottung der DCC-Funktion mittels fehlender
Offenlegung von deren Schnittstelleninformationen ein Vorteil gegenüber anderen Wettbewerbern durch
die SIX-Gruppe erlangt werden sollte. Mithin verweisen die Beschwerdeführerinnen im Rahmen ihres
Vorbringens selbst auf einen möglichen Beweggrund für das von der Vorinstanz als wettbewerbswidrig
qualifizierte Vorgehen. Gleichzeitig widerlegen sie damit selbst, dass eine Verknüpfung von Akzeptanz-Plattform,
DCC-Dienstleistungen und DCC-Terminals in jedem Falle, d.h. unter jeglichen denkbaren Aspekten, als irrational
zu qualifizieren wäre. Im Übrigen ist eine derartige gegensätzliche Argumentation zu zwei
unterschiedlichen Tatbeständen des Art. 7
KG zudem als widersprüchlich zu bewerten.
1276. Die Einwände der Beschwerdeführerinnen
in Bezug auf die möglichen bzw. fehlenden Absichten auf Seiten von Multipay und Card Solutions (vgl.
E. 1258)
sind angesichts der rechtserheblichen Voraussetzungen für die Verwirklichung eines wettbewerbswidrigen
Verhaltens von Art. 7
KG nicht von Bedeutung. Denn die Feststellung eines Marktmachtmissbrauchs
beruht allein auf den objektiven Merkmalen der Marktbeherrschung sowie des jeweiligen wettbewerbswidrigen
Verhaltens und weist kein subjektives Tatbestandsmerkmal auf (vgl. E. 1193
f. m.w.H.; Amstutz/Carron, BSK-KG,
Art. 102 Rn. 17; Borer, KG,
Art. 7 Rn. 9; Stäuble/Schraner, Dike-KG,
Art. 7 Rn. 133; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 2.501). Demzufolge sind die konkreten Beweggründe eines Unternehmens, welche der Durchführung
eines bestimmten wirtschaftlichen Verhaltens zu Grunde liegen, für eine Verwirklichung des Tatbestands
von Art. 7
KG unerheblich; sie können allenfalls zum Nachweis des jeweiligen missbräuchlichen
Verhaltens dienen. Dieses Ergebnis ergibt sich zum einen aus dem Wortlaut von Art. 7
KG bzw. Art. 102
AEUV, die beide gerade kein subjektives Element vorsehen, sowie dem Zweck dieser Vorschriften, eine objektive
Gefährdung des Wettbewerbs auszuschliessen.
1277. Im Übrigen bleibt festzuhalten,
dass eine notwendige Berücksichtigung von Absichten einzelner Konzerngesellschaften, wie dies von
den Beschwerdeführerinnen geltend gemacht wird (vgl. E. 1258),
vorliegend ebenfalls zur Annahme eines wettbewerbswidrigen Verhaltens führen würde, weil ein
Ausschluss der Konkurrenten auf dem Markt der Zahlungskartenterminals durch die fehlende Offenlegung
der DCC-Schnittstelleninformationen offensichtlich im Interesse der Card Solutions gewesen wäre.
b)
Fallgruppen
1278. Das Regelbeispiel des Art. 7 Abs. 2 lit.
f
KG setzt die Kombination eines Hauptprodukts mit einem weiteren (Zusatz-)Produkt als zusätzliche
Leistung in Beziehung zu einer an den "Abschluss von Verträgen gekoppelten Bedingung"
voraus. Im Hinblick auf den Anwendungsbereich dieses Regelbeispiels bleibt festzustellen, ob sämtliche
anerkannten Varianten einer Koppelung hiervon erfasst werden oder ob einzelne dieser Varianten der Generalklausel
zuzuweisen sind. Im Urteil Hallenstadion wurde vom Bundesverwaltungsgericht
eine abschliessende Zuweisung mangels Entscheidungsrelevanz noch offengelassen (BVGer, B-3618/2013, Hallenstadion,
E. 252). Angesichts des von den Beschwerdeführerinnen erhobenen Einwands einer fehlenden Tatbestandsverwirklichung
des Regelbeispiels gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. f
KG (vgl. E. 1253)
ist daher dessen Anwendungsbereich abzuklären.
1279. Im Rahmen des Wettbewerbsrechts der Europäischen
Union werden unterschiedliche Differenzierungen in Bezug auf die Koppelungssachverhalte und damit auch
eine unterschiedliche Zuweisung zum Regelbeispiel in Art. 102 Abs. 2 lit. d AEUV - dessen Wortlaut
allerdings im Detail von Art. 7 Abs. 2 lit. f
KG abweicht - und der Generalklausel des Art. 102
Abs. 1 AEUV vorgenommen. Die jeweiligen Differenzierungen dienen dabei einer unterschiedlichen Behandlung
(i) von Ausbeutungs- und Behinderungssachverhalten (vgl. Eilmannsberger/Bien,
MüK-EuWBR, Art. 102 Rn. 498, wonach nur Ausbeutungssachverhalte
dem Regelbeispiel zuzuordnen seien, während Behinderungssachverhalte unter die Generalklausel fallen),
und (ii) von Koppelungen auf der Nachfrageseite gegenüber Lieferanten und auf der Angebotsseite
gegenüber Kunden des marktbeherrschenden Unternehmens, weil die Vorschrift nach ihrem Wortlaut nur
die Annahme von weiteren Leistungen vorsieht (vgl. Schröter/Bartl,
SJKM-EUWBR, Art. 102 Rn. 255; a.A. Fuchs/
Möschel, IM-EUWBR, Art. 102 Rn. 203; Dirksen
Dirk, in: Langen/Bunte [Hrsg.], Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Bd.
2, 11. Aufl. 2011, zit. LB-EUKR, Art. 102 Rn. 156, wonach dieser
Sachverhalt unter Art. 102 Abs. 2 lit. a oder b oder die Generalklausel zu subsumieren sei), sowie (iii)
zur Berücksichtigung von weiteren als den in der Vorschrift genannten Rechtfertigungsgründen
der sachlichen oder auf einen Handelsbrauch beruhenden Beziehung zwischen den Produkten (vgl. Schröter/Bartl,
SJKM-EUWBR, Art. 102
Rn. 255).
1280. Im Rahmen einer Anwendung des Regelbeispiels
von Art. 7 Abs. 2 lit. f
KG bedarf es der im Europäischen Wettbewerbsrecht vorgenommenen Differenzierungen
in Bezug auf Vertragspartner und Rechtfertigungsgründe aufgrund von dessen anders ausgestaltetem
Wortlaut nicht. Denn angesichts der ausdrücklichen Formulierung werden von der schweizerischen Vorschrift
Koppelungen sowohl auf der Angebotsseite als auch auf Nachfrageseite von der Vorschrift erfasst (vgl.
E. 1304).
Zudem werden in der schweizerischen Vorschrift keine bestimmten Rechtfertigungsgründe bezeichnet;
vielmehr handelt es sich bei der Berücksichtigung von Rechtfertigungsgründen um ein ungeschriebenes
Tatbestandsmerkmal, das im Hinblick auf die erforderliche Abgrenzung zwischen einem zulässigen und
einem wettbewerbswidrigen Verhalten heranzuziehen ist (vgl. E. 1416
f.). Eine Differenzierung hinsichtlich eines Ausbeutungs- und eines Behinderungsmissbrauchs wäre
nur erforderlich, wenn unterschiedliche Voraussetzungen für die Beurteilung heranzuziehen wären.
Für eine entsprechende Differenzierung sind bislang aber keine Gründe ersichtlich.
1281. Für den Anwendungsbereich des Regelbeispiels
von Art. 7 Abs. 2 lit. f
KG ist hingegen massgeblich, welche inhaltliche Bedeutung den Tatbestandselementen
"Bedingung" und "Abschluss von Verträgen" im Rahmen dieser Vorschrift beizumessen
ist.
1282. Der Begriff "Bedingung" weist
verschiedene Begriffsinhalte auf. Bei diesen handelt es sich in einem engeren Sinn um Bedingungen im
Rechtssinne und in einem weiteren Sinn um allgemeine Voraussetzungen und Abhängigkeiten. Darüber
hinaus werden teilweise auch die einzelnen Klauseln eines Vertrags oder eines sonstigen Regelungswerks
als Bedingungen bezeichnet.
1283. Eine Bedingung im Rechtssinne stellt
im Rahmen eines privatrechtlichen Vertrags aufgrund von Art. 151
f. OR eine bestimmte, von den Parteien
vereinbarte Tatsache dar, die auf die Wirksamkeit des Vertrags einwirkt. Dabei hat die aufschiebende
Bedingung zur Folge, dass die Wirksamkeit des Vertrags erst nach Eintritt der Tatsache entsteht, während
bei einer auflösenden Bedingung die Wirksamkeit des Vertrags nach Eintritt der Tatsache wieder entfällt.
Wäre das Tatbestandselement "Bedingung" im Rechtssinne zu verstehen, müsste daher
im Vertrag eine Regelung enthalten sein, wonach die Wirksamkeit des Vertrags vom Eintritt eines spezifischen
Umstands in Gestalt einer Abnahme bzw. Leistung des Zusatzprodukts abhängig sein soll. Bei einem
solchen Verständnis des Tatbestandselements würde das Regelbeispiel allerdings nur Sachverhalte
erfassen, bei denen die Wirksamkeit des Vertrags und damit die Abnahme bzw. die Leistung des Hauptprodukts
ausdrücklich in Abhängigkeit von einer Abnahme bzw. Leistung des Zusatzprodukts geregelt wären.
Bei diesen Fällen würden der gesamte Vertrag sowie damit auch die Abnahme bzw. die Leistung
des Hauptprodukts unwirksam werden, wenn das Zusatzprodukt vom Lieferanten nicht geleistet bzw. vom Abnehmer
nicht abgenommen wird, weil die Abnahme bzw. die Leistung des Zusatzprodukts nach der subjektiven Ansicht
der Parteien einen wesentlichen Bestandteil des Vertrags bildet. Es ist aber aus mehreren Gründen
nicht davon auszugehen, dass dem Tatbestandsmerkmal "Bedingung" ein solcher Bedeutungsgehalt
beizumessen ist. Zum einen ist aus der Sicht des marktbeherrschenden Unternehmens jedenfalls im Regelfall
keine Intention vorhanden, dass der Vertrag über das Hauptprodukt unwirksam wird, wenn der Vertragspartner
das Zusatzprodukt nicht abnimmt bzw. nicht leistet. Denn dadurch stünde die Wirksamkeit des Hauptvertrags
im Belieben des Vertragspartners. Zum anderen bildet die Vorschrift des Art. 7 Abs. 2 lit. f
KG nach
ihrem Sinn und Zweck sowie ihrer systematischen Stellung keine Regelung zur Beurteilung der privatrechtlichen
Wirksamkeit eines Vertrags über die Leistung von Haupt- und Zusatzprodukten, der von einem marktbeherrschenden
Unternehmen abgeschlossen wurde, sondern zur Feststellung der wettbewerbsrechtlichen Unzulässigkeit
eines solchen Vertrags. Denn die privatrechtliche Wirksamkeit eines wettbewerbswidrigen Vertrags ist
angesichts von dessen Gesetzeswidrigkeit anhand von Art. 19
OR zu beurteilen, wobei der Vertrag oder
der Vertragsteil über das Zusatzprodukt ohnehin in jedem Fall als unwirksam anzusehen wäre.
Massgebend für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Bedingung" kann daher nicht die
eingeschränkte Betrachtung sein, ob der Vertrag unter eine Bedingung im Rechtssinne gestellt wurde
oder ob er unabhängig vom Eintritt bestimmter Umstände in jedem Fall wirksam sein soll. Mit
dem Tatbestandselement "Bedingung" in Art. 7 Abs. 2 lit. f
KG ist demzufolge nicht eine Bedingung
im Rechtssinne gemäss Art. 151
f. OR zu verstehen.
1284. Gleiches gilt im Ergebnis für die
Bedeutung, wonach der Begriff "Bedingung" für sämtliche Regelungen des Vertrags
Verwendung finden soll.
1285. Demzufolge handelt es sich beim Tatbestandsmerkmal
"Bedingung" um die umgangssprachliche Formulierung für eine Sachverhaltkonstellation,
bei der ein bestimmter Umstand eine Voraussetzung für einen weiteren Umstand im Sinne einer gewissen
Notwendigkeit oder Abhängigkeit bildet (vgl. Duden,
Online-Wörterbuch, www.duden.de, Wortbedeutung des Begriffs "Bedingung"). Aufgrund dieses
allgemeinen Verständnisses ist das Tatbestandsmerkmal "Bedingung" in einem weiten Sinne
zu verstehen. Demzufolge kann die Voraussetzung entweder ausdrücklich oder stillschweigend gesetzt
werden oder sich auch aus den jeweiligen Umständen des Einzelfalls zwangsläufig ergeben. Mithin
erfasst der Begriff der Bedingung sowohl eine Bedingung im Rechtssinne als auch eine faktische Voraussetzung
aufgrund einer konkreten Ausgestaltung der tatsächlichen Verhältnisse. Das Tatbestandsmerkmal
"Bedingung" in Art. 7 Abs. 2 lit f
KG umfasst demzufolge alle Verbindungen von Produkten,
unabhängig davon, ob sie auf vertraglichen Vereinbarungen oder bestimmten tatsächlichen Umständen
beruhen.
1286. Auch das Tatbestandsmerkmal "Abschluss
von Verträgen" weist unterschiedliche Varianten eines Bedeutungsgehalts auf. Einerseits könnte
es in einem formalen Sinne auf den konkreten Inhalt des Vertrags ausgerichtet sein; in diesem Falle müsste
die Verbindung von Hauptprodukt und Zusatzprodukten im Vertrag angelegt sein und aus den vertraglichen
Regelungen hervorgehen. Als Folge hiervon wäre eine Anwendung des Regelbeispiels auf faktische Koppelungen
wie technologische Verknüpfungen regelmässig ausgeschlossen, weil sich diese nicht aus dem
Vertrag ergeben - wobei diese Bewertung allerdings wiederum für diejenigen Fälle in Frage
steht, in denen unmittelbar im Vertrag oder mittels eines Hinweises auf sonstige Dokumente auf den Umstand
hingewiesen wird, dass sich für das Hauptprodukt aus technischen Gründen eine Bindung an das
Zusatzprodukt ergibt. Andererseits könnte damit in einem zeitlichen Sinne eine Abgrenzung von bestehenden
Verbindungen zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gegenüber sonstigen Massnahmen, mit denen das
marktmächtige Unternehmen nachträglich versucht, zusätzliche Leistungen von einem Lieferanten
zu erhalten bzw. den Kunden zur Abnahme von zusätzlichen Leistungen zu bewegen, vorgenommen werden.
In diesem Fall würde der Regelungsgehalt der Vorschrift sämtliche Varianten einer vertraglichen
oder faktischen Kombination erfassen.
1287. Der Wortlaut der Regelung deutet zunächst
auf eine formale Auslegung des Begriffs hin. Die Ausführungen der Botschaft, wonach "[ein
marktbeherrschendes Unternehmen] den Abschluss eines Geschäfts von Zugeständnissen abhängig
macht, die keinen vernünftigen Bezug zum Grundgeschäft haben" (vgl. Botschaft
KG 1995, 575), sprechen ebenfalls eher für eine formale Auslegung. Denn Zugeständnisse
von Seiten der Vertragspartner des marktbeherrschenden Unternehmens sind eher im Hinblick auf vertragliche
Ausgestaltungen als auf faktische Einschränkungen aufgrund technologischer Umstände zu machen;
zwingend ist ein solches Begriffsverständnis jedoch nicht. Demgegenüber ergibt sich aufgrund
einer systematischen Betrachtung keine Notwendigkeit für eine Abgrenzung von verschiedenen Varianten
an Verknüpfungen. Vielmehr spricht die Regelungssystematik aufgrund allgemeiner Erwägungen
grundsätzlich für eine einheitliche Anwendung der Vorschrift für alle Varianten einer
Koppelung. Gleiches gilt aufgrund von Sinn und Zweck der Vorschrift. Danach wäre es ohne entsprechenden
Anlass für eine unterschiedliche Erfassung von verschiedenen Varianten an Verknüpfungen nicht
zweckdienlich, gewisse Varianten dem Regelbeispiel und andere Varianten der Generalklausel zuzuordnen.
1288. Bei einer gesamthaften Beurteilung ergibt
sich daher kein sachlich ausreichender Grund für eine unterschiedliche Behandlung von vertraglichen
und faktischen Koppelungen.
1289. Daher ist der Einwand der Beschwerdeführerinnen,
wonach die Verwirklichung einer wettbewerbswidrigen Koppelung bereits aufgrund des Wortlauts von Art.
7 Abs. 2 lit. f
KG ausscheide, unzutreffend und unbeachtlich.
1290. Selbst wenn eine technologische oder
sonstige Verknüpfung gegenüber den anderen, von Art. 7 Abs. 2 lit. f
KG erfassten Verknüpfungen
abzugrenzen wäre, würde eine solche Verknüpfung zudem von der Generalklausel in Art. 7
Abs. 1
KG erfasst werden, weil kein Grund ersichtlich ist, warum eine faktische Verknüpfung -
welche vom marktbeherrschenden Unternehmen gegenüber dem Vertragspartner zudem eher verschleiert
werden kann - gegenüber einer vertraglichen Verknüpfung bevorzugt werden sollte. Allein
durch eine Zuweisung zu Regelbeispiel oder Generalklausel würde sich daher für die Beurteilung
von Koppelungssachverhalten kein anderes Ergebnis einstellen.
c)
Marktbeherrschende Stellung und massgebliche Märkte
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
1291. Die
Beschwerdeführerinnen machen geltend, dass die Verwirklichung einer Koppelung ausscheide, weil der
Multipay und der Card Solutions weder auf dem Markt der DCC-Dienstleistungen noch auf dem Markt der Zahlungskartenterminals
eine besondere Stellung zukäme.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
1292. Die Vorinstanz trägt inhaltlich
im Wesentlichen die vom Gericht dargestellten Aspekte vor.
(3)
Würdigung durch das Gericht
1293. Das Verhältnis zwischen dem beherrschten
Markt und im Einzelfall allfällig weiteren involvierten Märkten, auf denen das wirtschaftliche
Verhalten vorgenommen wird und/oder die durch das wirtschaftliche Verhalten beeinflusst werden, bildet
die Grundkonstellation für ein missbräuchliches Verhalten gemäss Art. 7
KG (vgl. E. 813
ff.).
1294. Bei einem Koppelungsgeschäft muss
dem ausführenden Unternehmen regelmässig eine marktbeherrschende Stellung auf dem Markt des
Hauptprodukts zukommen, während eine besondere Stellung auf dem Markt des Zusatzprodukts nicht erforderlich
ist (vgl. BVGer, B-3618/2013, Hallenstadion, E. 254; Amstutz/Carron,
BSK-KG, Art. 7 Rn. 525; Clerc/Këllezi,
CR-Concurrence, Art. 7 II Rn. 273; David/Jacobs,
WBR, Rn. 746; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 7 Rn. 504; Weber/Volz,
FHB-WBR, Rn. 2.754; Eilmannsberger/Bien,
MüK-EUWBR, Art. 102 Rn. 456; Fuchs/Möschel,
IM-EUWBR, Art. 102 Rn. 278; Schröter/Bartl,
SJKM-EUWBR, Art. 102 Rn. 257).
1295. Bei einem Bündelgeschäft kann
die marktbeherrschende Stellung auf einem der jeweiligen Märkte der gebündelten Produkte bestehen
(vgl. BVGer, B-3618/2013, Hallenstadion, E. 254); das Produkt,
für welches eine marktbeherrschende Stellung besteht, ist dann als Hauptprodukt zu qualifizieren.
1296. Soweit einem Unternehmen für mehrere
Produkte eine marktbeherrschende Stellung zukommt, ist die Prüfung eines Koppelungsgeschäfts
grundsätzlich hinsichtlich aller möglichen Varianten einer Kombination von Hauptprodukt und
Zusatzprodukten vorzunehmen.
1297. In Ausnahmefällen kann es allerdings
auch möglich sein, dass dem jeweiligen Unternehmen hinsichtlich der Märkte, auf denen die verbundenen
separaten Produkte gehandelt werden, keine marktbeherrschende Stellung zukommt, wenn einer dieser Märkte
immerhin aufgrund besonderer Umstände in einer besonderen Beziehung zu einem anderen Markt steht,
auf dem das jeweilige Unternehmen über eine marktbeherrschende Stellung verfügt (vgl. hierzu
E. 822
m.w.H., 1355
ff.; vgl. EuGH, EU:C:1996:436, Tetra Pak II, Ziff. 27).
1298. Im vorliegenden Fall ist eine marktbeherrschende
Stellung der SIX-Gruppe auf den verschiedenen Märkten der Zahlungskartenakzeptanz gegeben (vgl.
E. 402
ff., 508).
Daher bilden grundsätzlich die Varianten einer Koppelung des Akzeptanzgeschäfts mit DCC-Dienstleistungen
und/oder Zahlungskartenterminals den massgeblichen Beurteilungsgegenstand.
1299. Die Stellung der SIX-Gruppe auf den Märkten
der Zahlungskartenterminals oder der DCC-Dienstleistungen ist demzufolge für die Beurteilung der
Koppelungsvarianten mit dem Akzeptanzgeschäft als Hauptprodukt entgegen der Einwendung der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1291)
unerheblich.
1300. Das Vorliegen einer marktbeherrschenden
Stellung der SIX-Gruppe auf den Märkten der Zusatzprodukte Zahlungskartenterminals und Währungsumrechnung
hat die Vorinstanz im Hinblick auf das Ergebnis der Überprüfung auf dem Markt des Hauptprodukts
Akzeptanzgeschäfts nicht abgeklärt. Daher bedarf es vorliegend keiner Beurteilung von Koppelungsvarianten,
bei denen Zahlungskartenterminals oder DCC-Dienstleistungen als Hauptprodukt zu betrachten sind. Angesichts
des Ergebnisses der nachfolgend vorgenommenen Beurteilung der Koppelungsvariante mit dem Akzeptanzgeschäft
als Hauptprodukt ist eine entsprechend weitergehende Abklärung auch entbehrlich.
d)
Vertragspartner
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
1301. Die
Beschwerdeführer verweisen darauf, dass als Voraussetzung einer Koppelung die Vertragspartner zusätzliche
Leistungen erbringen oder annehmen müssten. Vorliegend sei jedoch kein anderer Terminalhersteller
gezwungen gewesen, zusätzliche Leistungen von Multipay oder Card Solutions abzunehmen oder zu liefern.
Die angefochtene Verfügung nehme an keiner Stelle Bezug auf andere Marktteilnehmer einschliesslich
der Händler.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
1302. Die Vorinstanz verweist auf die auch
vom Gericht angeführten Gründe.
(3)
Würdigung durch das Gericht
1303. Als
Vertragspartner haben diejenigen Marktteilnehmer zu gelten, die mit dem marktbeherrschenden Unternehmen
eine rechtlich verbindliche Vereinbarung über die Annahme oder Erbringung des Hauptprodukts oder
eines Zusatzprodukts abschliessen bzw. abschliessen wollen.
1304. Dabei
werden aufgrund der ausdrücklich verwendeten Begriffe "annehmen oder erbringen" die
Vertragspartner sowohl auf der Nachfrageseite als auch auf der Angebotsseite vom Gesetz erfasst (vgl.
Botschaft KG 1995, 576; Clerc/Këllezi,
CR-Concurrence, Art. 7 II Rn. 271; Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 7 Rn. 490; Weber/Volz,
FHB-WBR, Rz. 2.752). Eine Koppelung durch ein marktbeherrschendes
Unternehmen kann daher sowohl gegenüber Lieferanten als auch gegenüber Kunden erfolgen.
1305. Im vorliegenden Fall bilden die Händler
als Kunden für die Annahme von Akzeptanz-Dienstleistungen, Zahlungskartenterminals und DCC-Dienstleistungen
die potenziellen Vertragspartner der SIX-Gruppe als marktbeherrschendes Unternehmen.
1306. Demgegenüber stellen die anderen
Terminalhersteller als Konkurrenten der SIX-Gruppe auf dem Markt der Zahlungskartenterminals jedenfalls
in diesem Zusammenhang keine potenziellen Vertragspartner dar, weil sie gegenüber der SIX-Gruppe
weder als Lieferanten noch als Abnehmer von Zahlungskartenterminals, Akzeptanz- oder DCC-Dienstleistungen
auftreten.
1307. Soweit die anderen Terminalhersteller
Vereinbarungen mit der SIX-Gruppe über die Bereitstellung von Schnittstelleninformationen für
den Anschluss ihrer Zahlungskartenterminals an die Akzeptanz-Plattform abgeschlossen haben, sind auch
sie als Vertragspartner im Sinne von Art. 7 Abs. 2 lit. f
KG zu qualifizieren. Da die anderen Terminalhersteller
hierbei soweit ersichtlich allerdings nicht gezwungen waren, sonstige zusätzliche Leistungen von
der SIX-Gruppe abzunehmen, erübrigt sich vorliegend eine weitergehende Abklärung.
1308. Die von den Beschwerdeführerinnen
erhobene Einwendung (vgl. E. 1301),
dass die angefochtene Verfügung die Koppelung ausschliesslich auf die Terminalhersteller und nicht
auf die Händler beziehe, ist tatsachenwidrig und daher unbeachtlich. Die angefochtene Verfügung
bezieht die Koppelung vielmehr eindeutig und unzweifelhaft auf die Händler: (i) "516. [...]
Die Koppelung besteht darin, dass ein Abnehmer (Händler) bei der Wahl einer zusätzlichen Leistung
nicht frei ist. Ihm wird durch das Unternehmen, welches auf dem Markt für das koppelnde Gut marktbeherrschend
ist, vorgegeben, bei wem er die zusätzlichen Leistungen zu beziehen hat"; (ii) "517.
Ein Händler, welcher mit Multipay einen Akzeptanzvertrag abgeschlossen hatte, konnte die DCC-Leistung
bei Multipay nur über ein Terminal der Card Solutions beziehen [...]"; (iii) "527. [...]
Es wurden [...] auch die Händler (Einschränkung der Wahlfreiheit durch Koppelungsgeschäfte)
[...] behindert."
1309. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen
ist das Tatbestandsmerkmal der Vertragspartner demzufolge gegeben.
e)
Separate Produkte
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
1310. Die Beschwerdeführerinnen machen
geltend, dass es sich bei der DCC-Dienstleistung nicht um ein von den Akzeptanz-Dienstleistungen unterscheidbares
Produkt, sondern nur um eine besondere Funktion der Akzeptanz-Dienstleistungen handle.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
1311. Zum Merkmal der separaten Produkte führt
die Vorinstanz aus, bei Dienstleistungen und Waren, die nach einer vertieften Marktanalyse verschiedenen
Märkten zugeordnet würden, könne davon ausgegangen werden, dass es sich um getrennte Güter
handle. Im vorliegenden Fall handle es sich um getrennte Produkte aus den drei unterschiedlichen Märkten
Akzeptanzgeschäft, Zahlungskartenterminals und DCC-Dienst-leistungen, weil keine Notwendigkeit bestehe,
diese gemeinsam zu verkaufen. Auf den drei Märkten seien unterschiedliche Unternehmen tätig,
und es bestehe eine autonome Nachfrage für die drei Leistungen. Es gebe zwar in der Praxis eine
Präferenz der Nachfrage zum Bezug aller Produkte vom gleichen Anbieter, aber gerade die Entwicklung
des Terminalmarkts infolge der ep2-Standardisierung und die damit verbundene Aufgabe proprietärer
Lösungen der Kartenakquisiteure belegten, dass separate Güter vorliegen würden.
(3)
Würdigung durch das Gericht
1312. Separate Produkte liegen dann vor, wenn
das Zusatzprodukt ein vom Hauptprodukt unterscheidbares Wirtschaftsgut darstellt, das auf einem eigenen
Markt gehandelt wird oder zumindest gehandelt werden könnte und aus Sicht der Marktgegenseite Haupt-
und Zusatzprodukt auch tatsächlich unabhängig voneinander nachgefragt bzw. angeboten werden
oder nachgefragt bzw. angeboten werden würden (vgl. BVGer, B-3618/2013, Hallenstadion,
E. 255; Amstutz/Carron, BSK-KG,
Art. 7 Rn. 527 ff. m.w.H.; Clerc/Këllezi, CR-Concurrence,
Art. 7 II Rn. 276; Stäuble/Schraner, Dike-KG,
Art. 7 Rn. 494; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 2.758; Eilmannsberger/Bien, MüK-EuWBR,
Art. 102 Rn. 456; Fuchs/Möschel, IM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 279).
1313. Massgebend für die Beurteilung im
Einzelfall ist regelmässig eine marktorientierte Betrachtung (vgl. BVGer, B-3618/2013, Hallenstadion,
E. 255), bei der eine individuell-typisierte Abgrenzung vorzunehmen ist. Soweit die Beurteilung weitgehend
auf Prognosen beruht, kann ausnahmsweise auch eine auswirkungsbasierte Beurteilung sachgerecht sein (vgl.
BVGer, B-3618/2013, Hallenstadion, E. 255; EU:T:2007:289, Microsoft,
Ziff. 1089; EU-Kom, Comp/C-3/37.792, Microsoft,
Ziff. 946, 968; EuG). Dabei ist insbesondere in Abgrenzung zu Warengesamtheiten (z.B. Kaffeeservice),
zusammengesetzten Produkten (z.B. Pkw) und Produktsystemen sowie zur Unterscheidung von Produkten und
Serviceleistungen zu prüfen, ob eine hinreichende Differenzierbarkeit der Einzelteile bzw. der einzelnen
Leistungen und daraus folgend die Qualifizierung als eigenständige Produkte gegeben ist (vgl. EuG,
EU:T:2007:289, Microsoft, Ziff. 912 ff.; EU-Kom,
Microsoft, Ziff. 800 ff.; Eilmannsberger/Bien,
MüK-EuWBR, Art. 102 Rn. 456; Fuchs/Möschel,
IM-EUWBR, Art. 102 Rn. 280). Für
die entsprechende Beurteilung ist weder auf besondere Sachverhaltskonstellationen einer Verwendung der
Produkte noch auf subjektiv-individuelle Vorstellungen einzelner Nachfrager des marktbeherrschenden Unternehmens
oder der Konkurrenten, sondern allein auf die objektive Sichtweise des Durchschnittskunden in Bezug auf
die übliche Verwendung der jeweiligen Produkte abzustellen (vgl. BVGer, B-3618/ 2013, Hallenstadion,
E. 255).
1314. Bei Haupt- und Zusatzprodukt kann es
sich im Einzelfall jeweils um mehrere Güter oder Dienstleistungen handeln, weshalb auch Koppelungsgeschäfte
mit mehr als zwei Produkten möglich sind (vgl. BVGer, B-3618/2013, Hallenstadion,
E. 255; Amstutz/Carron, BSK-KG,
Art. 7 Rn. 489; Clerc/Këllezi, CR-Concurrence,
Art. 7 II Rn. 262).
1315. Bei den Produkten Akzeptanzgeschäft,
Zahlungskartenterminals und DCC-Leistungen handelt es sich unzweifelhaft um separate Produkte, weil alle
Produkte für einen unterschiedlichen Bedarf konzipiert sind und hierfür jeweils eigene Märkte
mit einer eigenen Nachfrage bestehen (vgl. E. 229
ff., 340,
378,
397).
1316. Der Einwand der Beschwerdefürerinnen,
wonach es sich bei den DCC-Dienstleistungen nicht um ein von den Akzeptanz-Dienstleistungen unterscheidbares
Produkt, sondern nur um eine besondere Funktion der Akzeptanz-Dienstleistungen handle, ist daher unbegründet.
Zur Umsetzung der DCC-Dienstleistungen gegenüber den Händlern greift die SIX-Gruppe -
wie auch die anderen Anbieter von Akzeptanz-Dienstleistungen - auf spezialisierte Drittunternehmen
zurück. Die Währungsumrechnung wird von der SIX-Gruppe wie auch von den anderen Kartenakquisiteuren
als zusätzlicher Service angeboten und durch besondere Verträge mit den Händlern vereinbart.
f)
Verknüpfung
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
1317. Die
Beschwerdeführerinnen bestreiten das von der Vorinstanz behauptete Vorliegen einer technologischen
Koppelung aus mehreren Gründen.
1318. Beim
DCC-System der Beschwerdeführerinnen handle es sich um ein grundsätzlich offenes System, welches
mit Zahlungskartenterminals sämtlicher Anbieter funktionieren könne. Die Card Solutions habe
zu keinem Zeitpunkt den Beschluss gefasst oder Massnahmen vorgenommen, um eine technische Verbindung
grundsätzlich auszuschliessen. Vielmehr sei beabsichtigt gewesen, diese Funktion nach Abschluss
des Zertifizierungsprozesses auch Drittherstellern zur Verfügung zu stellen.
Da DCC-Terminals von Drittlieferanten an die Akzeptanz-Plattform gegenwärtig angeschlossen seien,
könne eine technologische Koppelung schon aus tatbestandlichen Gründen nicht vorliegen.
1319. Zudem
müssten bei einer technologischen Koppelung das koppelnde und das gekoppelte Produkt so verbunden
sein, dass beide nur jeweils zusammen erhältlich seien und bezogen werden könnten.
1320. Überdies
sei der Tatbestand der Koppelung in jedem Fall schon deshalb nicht gegeben, weil die angefochtene Verfügung
zwei Koppelungen konstruiere, die "hintereinander" geschaltet seien. Zum einen solle eine
Koppelung zwischen Akzeptanzvertrag und DCC-Funktion sowie zum anderen zwischen den ep2-Terminals und
der DCC-Funktion bestehen. Aufgrund der Konstellation könne jedoch nur massgebend sein, ob eine
Koppelung zwischen den angeblich marktbeherrschenden Aktivitäten im Akzeptanzgeschäft und den
angeblich betroffenen Aktivitäten bezüglich des ep2-Terminals vorliege. Eine Koppelung zwischen
dem Akzeptanzgeschäft und den ep2-Terminals sei aber nicht gegeben und von der Vorinstanz auch nicht
nachgewiesen. Denn jedem Kunden der Multipay sei es möglich gewesen, mit jedem im Markt verfügbaren
ep2-Terminal an die Akzeptanz-Plattform von Multipay anzudocken. Demzufolge sei mit einer Zwischenschaltung
der DCC-Funktion die für eine Verknüpfung notwendige Kausalkette unterbrochen worden.
1321. In
diesem Zusammenhang weisen die Beschwerdeführerinnen darauf hin, dass der Markt für DCC-Dienstleistungen
gemäss der ausdrücklichen Feststellung in der angefochtenen Verfügung für die kartellrechtliche
Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts keine Rolle gespielt habe. Deshalb sei von der Vorinstanz auch
auf eine Beurteilung der Marktstellung der Beschwerdeführerinnen bezüglich der DCC-Dienstleistungen
verzichtet worden. Der von der Vorinstanz vorgenommenen Koppelung zwischen dem Angebot an DCC-Dienstleistungen
der Multipay und den ep2-Terminals der Card Solutions komme demnach keine kartellrechtliche Relevanz
zu. Bezüglich keiner dieser beiden Märkte sei die Marktbeherrschung der Beschwerdeführerinnen
festgestellt, sodass keine Ausdehnung der diesbezüglichen Marktstellung möglich gewesen sei.
Es sei auch im Hinblick auf die Untersuchungsmaxime bedenklich, wenn im Rahmen des Koppelungsvorwurfs
eine Verbindung zwischen dem Akzeptanzgeschäft und den ep2-Terminals einzig dadurch hergestellt
werde, dass diese über einen gemäss der angefochtenen Verfügung für die kartellrechtliche
Beurteilung irrelevanten Markt begründet werde. Da keine bindende Marktdefinition erstellt worden
sei, sei es fragwürdig, wie nunmehr über diesen Markt eine Koppelung nachgewiesen werde.
1322. Da
viele Kunden von Card Solutions die DCC-Funktion nicht benutzen würden, liege keine entsprechende
Koppelung vor.
1323. Darüber
hinaus habe zu keinem Zeitpunkt für einen Kunden von Multipay die Verpflichtung oder die Notwendigkeit
bestanden, die Akzeptanz-Dienstleistungen von Multipay zusammen mit der DCC-Funktion von Card Solutions
und einem DCC-Terminal von Card Solutions zu nutzen.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
1324. Die Vorinstanz qualifiziert den vorliegenden
Sachverhalt aufgrund einer kurzen Begründung als geschäftsverweigerndes Koppelungsgeschäft.
1325. Ein Händler, welcher mit Multipay
einen Akzeptanzvertrag abgeschlossen habe, hätte die DCC-Dienstleistung bei Multipay nur über
ein Zahlungskartenterminal der Card Solutions beziehen können. Im vorliegenden Fall lägen insofern
zwei Koppelungen vor: Erstens könne ein Händler, welcher mit Multipay einen Akzeptanzvertrag
geschlossen habe, die DCC-Dienstleistungen nicht bei einem unabhängigen Anbieter beziehen, sondern
müsse diese Leistung von Multipay in Anspruch nehmen; und zweitens sei der Händler bis zur
Anpassung des Informationsverhaltens gezwungen gewesen, ein Zahlungskartenterminal von Card Solutions
zu kaufen, weil die Zahlungskartenterminals von Drittherstellern im Hinblick auf die Akzeptanz-Plattform
von Multipay nicht DCC-fähig gewesen seien. Damit habe Multipay das Akzeptanzgeschäft mit der
DCC-Dienstleistung sowie mit dem Kauf des DCC-Zahlungskartenterminals von Card Solutions gekoppelt.
1326. Das koppelnde Gut sei somit das Akzeptanzgeschäft
in Verbindung mit dem Angebot an DCC-Dienstleistungen der Multipay. Das gekoppelte Gut seien die ep2-Zahlungskartenterminals
der Card Solutions.
1327. Es handle sich um eine sog. technologische
Koppelung, welche auf einer technischen Entscheidung gründe, indem die betreffenden Güter technisch
miteinander verbunden würden. Dabei habe die technologische Koppelung so lange bestanden, als mit
Card Solutions konkurrierende Terminalanbieter keine mit der Akzeptanz-Plattform von Multipay kompatiblen
DCC-fähigen ep2-Zahlungskartenterminals hätte entwickeln können.
(3)
Würdigung durch das Gericht
(a)
Allgemeines
1328. Die
Verknüpfung eines Hauptprodukts mit einem Zusatzprodukt liegt vor, wenn diese beiden Produkte vom
marktbeherrschenden Unternehmen in einer Weise angeboten werden, dass für die Marktgegenseite die
Notwendigkeit zur gemeinsamen Abnahme bzw. Leistung von Haupt- und Zusatzprodukt besteht (vgl. BVGer,
B-3618/2013, Hallenstadion, E. 257; Amstutz/Carron,
BSK-KG, Art. 7 Rn. 527 ff. m.w.H.; Clerc/
Këllezi, CR-Concurrence, Art. 7 II Rn. 274; Weber/Volz,
FHB-WBR, Rn. 2.761). Die Notwendigkeit zur Abnahme bzw. Leistung
beider Produkte kann sich dabei sowohl aus der Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen als auch aus bestimmten
faktischen Aspekten ergeben (vgl. BVGer, B-3618/2013, Hallenstadion,
E. 256; Borer, KG,
Art. 7 Rn. 27; Clerc/ Këllezi, CR-Concurrence,
Art. 7 II Rn. 274; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 2.764; Fuchs/Möschel, IM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 284). Die Erfassung von vertraglichen
und faktischen Verbindungen von verschiedenen Produkten macht deutlich, dass von der Missbrauchsform
einer Koppelung gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. f
KG alle Varianten einer Verknüpfung erfasst werden
sollen.
1329. Eine
vertragliche Verknüpfung umfasst die Varianten (i) des singulären Vertragsabschlusses, (ii)
des mehrfachen Vertragsabschlusses, sowie (iii) des verpflichtenden Vertragsabschlusses (vgl. BVGer,
B-3618/ 2013, Hallenstadion, E. 257). Ein singulärer
Vertragsabschluss liegt vor, wenn der Abschluss des Vertrags unmittelbar auf Haupt- und Zusatzprodukt
ausgerichtet ist und diese als Einheit erfasst; der singuläre Vertragsabschluss liegt dem Bündelgeschäft
zu Grunde. Ein mehrfacher Vertragsabschluss liegt vor, wenn gleichzeitig sowohl über das Hauptprodukt
als auch über das Zusatzprodukt ein Vertrag abgeschlossen werden muss. Ein verpflichtender Vertragsabschluss
liegt vor, wenn der Vertrag über das Hauptprodukt eine Verpflichtung zum späteren Abschluss
eines Vertrags über das Zusatzprodukt statuiert.
1330. Eine faktische Verknüpfung kann
sich aufgrund der verschiedensten Umstände einstellen. Sie umfasst insbesondere die Varianten (i)
einer quasi-vertraglichen Verknüpfung, (ii) einer technologischen Verknüpfung und (iii) einer
ökonomischen Verknüpfung (vgl. BVGer, B-3618/2013, Hallenstadion,
E. 258). Eine quasi-vertragliche Verknüpfung liegt vor, wenn die Modalitäten des Hauptgeschäfts
in einer derartigen Weise ausgestaltet sind, dass die Inanspruchnahme bestimmter Ansprüche in Bezug
auf das Hauptprodukt durch die Marktgegenseite nur dann gewährleistet ist, wenn auch das Zusatzprodukt
abgenommen bzw. geleistet wurde. Eine technologische Verknüpfung liegt vor, wenn das Hauptprodukt
so beschaffen ist, dass es nur zusammen mit dem Zusatzprodukt, mit Alternativprodukten aber überhaupt
nicht oder nicht ordnungsgemäss funktioniert. Eine ökonomische Verknüpfung liegt vor,
wenn die gleichzeitige Nachfrage von Haupt- und Zusatzprodukt aufgrund spezifischer ökonomischer
Anreize - wie der Ausgestaltung von Gesamtpreisen oder der Gewährung von Rabatten und sonstigen
Vergünstigungen bei einer gemeinsamen Abnahme bzw. Lieferung von Haupt- und Zusatzprodukt -
für die Marktgegenseite bei realistischer Betrachtung offensichtlich vorzuziehen ist.
1331. Die Notwendigkeit zu einer Abnahme bzw.
Erbringung von verschiedenen separaten Produkten ist immer dann gegeben, wenn sich aufgrund der konkreten
vertraglichen oder faktischen Umstände des Einzelfalls eine Zwangswirkung zum Erwerb oder zur Abgabe
von mindestens zwei Produkten für den potenziellen Geschäftspartner des marktbeherrschenden
Unternehmens einstellt.
1332. In welcher Art und Weise und mit welchen
Mitteln diese Zwangswirkung von Seiten des marktbeherrschenden Unternehmens herbeigeführt wird,
ist dabei unerheblich. Denn es existiert kein numerus clausus an tatbestandsmässigen Varianten einer
Verknüpfung. Hierfür sind weder ein sachlicher Grund noch ein hinreichender Anhaltspunkt im
Wortlaut oder in der Entstehungsgeschichte des Regelbeispiels von Art. 7 Abs. 2 lit. f
KG ersichtlich.
Vielmehr werden wie dargestellt vom Tatbestandsmerkmal der Verknüpfung alle möglichen Varianten
einer rechtlichen oder tatsächlichen Verbindung von Haupt- und Zusatzprodukt erfasst.
1333. Daher
ist es irrelevant, ob das marktbeherrschende Unternehmen die Verbindung z.B. wie bei einer singulären
vertraglichen Verknüpfung mittels eines einzigen Handlungsakts unmittelbar gegenüber den potenziellen
Vertragspartnern vorgibt oder z.B. als Variante einer technologischen Verknüpfung durch mehrere
Handlungsakte mittelbar herbeiführt. Mehrere Handlungsakte können dabei in der Ausführung
verschiedener Massnahmen des marktbeherrschenden Unternehmens und sogar in der Einbeziehung von Dritten
bestehen. Denn mittelbare und unmittelbare Verbindungen von separaten Produkten sind grundsätzlich
nicht anders zu beurteilen, weil sie die gleiche Zwangswirkung entfalten und dadurch die gleichen Beeinträchtigungen
des Wettbewerbs nach sich ziehen. Die weitreichende Erfassung von vertraglichen und faktischen Verknüpfungen
als mögliche Varianten einer Koppelung in Praxis und Literatur spricht auch eindeutig gegen eine
solche Differenzierung.
1334. Eine Verknüpfung setzt demnach nicht
voraus, dass das Zusatzprodukt durch das marktbeherrschende Unternehmen erbracht oder abgenommen wird,
auch wenn dies regelmässig der Fall sein wird (vgl. BVGer, B-3618/2013, Hallenstadion,
E. 259). Das Zusatzprodukt kann auch durch einen Dritten erbracht oder abgenommen werden (vgl. BVGer,
B-3618/2013, Hallenstadion, E. 259; Amstutz/Carron,
BSK-KG, Art. 7 Rn. 492; Fuchs/Möschel,
IM-EUWBR, Art. 102 Rn. 276; Schröter/Bartl,
SJKM-EUWBR, Art. 102 Rn. 257). Hierzu zählt insbesondere
die Sachverhaltskonstellation, dass die Marktgegenseite sich im Rahmen des Vertrags über das Hauptprodukt
gegenüber dem marktbeherrschenden Unternehmen im Sinne einer Koppelung zu Gunsten Dritter verpflichtet,
einen weiteren Vertrag über das Zusatzprodukt mit einem Dritten abzuschliessen.
1335. Für das Vorliegen einer Verknüpfung
ist es nicht erforderlich, dass das marktbeherrschende Unternehmen Zwang gegenüber der Marktgegenseite,
wie beispielsweise in Form einer Androhung von wirtschaftlichen oder sonstigen Nachteilen, von Retorsionsmassnahmen
oder von Repressalien bei einem Verzicht auf den Abschluss des Hauptgeschäfts, ausübt (vgl.
BVGer, B-3618/2013, Hallenstadion, E. 260). Bei einer vertraglichen
Verknüpfung ist bereits ausreichend, dass die Marktgegenseite nicht frei über die Wahl des
Zusatzprodukts entscheiden kann. Eine entsprechende Wahlmöglichkeit fehlt bereits dann, wenn die
Marktgegenseite aufgrund der Ausgestaltung des Angebots durch das marktbeherrschende Unternehmen davon
ausgehen kann, dass eine fehlende Abnahme bzw. Erbringung des Zusatzprodukts zum Scheitern des Hauptgeschäfts
führen wird (vgl. BVGer, B-3618/2013, Hallenstadion, E. 260;
Schröter/Bartl, SJKM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 255). Bei einer faktischen Verknüpfung ergibt sich die Notwendigkeit zur Abnahme bzw.
Erbringung des Zusatzprodukts bereits aus den jeweiligen Umständen der quasi-vertraglichen, technologischen
oder ökonomischen Verbindung von Haupt- und Zusatzprodukt.
1336. Für das Vorliegen einer Verknüpfung
ist es zudem unbeachtlich, ob diese gegenüber der Marktgegenseite vom marktbeherrschenden Unternehmen,
wie z.B. bei einer vertraglichen Verknüpfung, offengelegt wird oder ob die Marktgegenseite, wie
z.B. bei einer technologischen Verknüpfung, erst zu einem späteren Zeitpunkt Kenntnis von der
Notwendigkeit zur Abnahme bzw. Lieferung des Zusatzprodukts erlangt (vgl. BVGer, B-3618/2013, Hallenstadion,
E. 261).
1337. Die objektive Werthaltigkeit von Haupt-
und Zusatzprodukt ist für die Beurteilung der Verknüpfung ebenfalls unbeachtlich. Das Zusatzprodukt
kann sowohl einen geringeren als auch einen höheren Wert als das Hauptprodukt aufweisen.
1338. Demzufolge stellt auch ein Missverhältnis
zwischen einer allfälligen Gegenleistung für das Zusatzprodukt beim Verbundgeschäft oder
der Gegenleistung für das Haupt- und Zusatzprodukt beim Bündelgeschäft keinen relevanten
Aspekt der Verknüpfung dar (vgl. BVGer, B-3618/2013, Hallenstadion,
E. 262). Tritt ein solches Missverhältnis im Einzelfall auf, so ist nicht nur die Missbauchsform
der Koppelung, sondern gegebenenfalls auch das Regelbeispiel einer Erzwingung von unangemessenen Geschäftsbedingungen
gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. c
KG gegeben (vgl. Amstutz/Carron,
BSK-KG, Art. 7 Rn. 285; Clerc/Këllezi,
CR-Concur-rence, Art. 7 II Rn. 270).
1339. Gleichfalls bilden die Vereinbarung eines
spezifischen Entgelts für das Zusatzprodukt oder eine Verpflichtung zur Nutzung des Zusatzprodukts
keine beachtenswerten Aspekte einer Verknüpfung (vgl. BVGer, B-3618/2013, Hallenstadion,
E. 262; Schröter/Bartl, SJKM-EUWBR,
Art. 102 Rn. 256).
(b)
Sachverhalt
1340. Vorliegend
hat die SIX-Gruppe einerseits gegenüber den Händlern im Rahmen des Akzeptanzgeschäfts
die Währungsumrechnung als zusätzliche Dienstleistung angeboten und daneben ihre neuen DCC-Terminals
beworben. Gleichzeitig hat die SIX-Gruppe andererseits gegenüber den anderen Terminalherstellern
die Herausgabe der notwendigen DCC-Schnittstelleninformationen zum Anschluss von deren DCC-Terminals
an ihre Akzeptanz-Plattform verweigert. Die übrigen Terminalhersteller konnten deshalb gegenüber
den Händlern keine DCC-Terminals zum Anschluss an die Akzeptanz-Plattform der SIX-Gruppe entwickeln
und bereitstellen (vgl. E. 1224).
Demzufolge war die Möglichkeit der Händler zur Auswahl eines alternativen DCC-Terminals bei
Vorliegen eines Akzeptanzvertrags mit der SIX-Gruppe im relevanten Zeitraum nicht gegeben; vielmehr war
eine Verwendung von Zahlungskartenterminals der SIX-Gruppe bei Vorliegen eines Akzeptanzvertrags zwingend
vorgegeben.
1341. Soweit ein Händler als Vertragspartner
eines bestehenden oder neu abzuschliessenden Akzeptanzvertrags mit der SIX-Gruppe auch die Währungsumrechnung
gegenüber seinen Kunden in einer seiner Verkaufsstellen anbieten wollte, wurde er demzufolge durch
verschiedene Massnahmen der SIX-Gruppe zur Abnahme weiterer Zusatzprodukte neben dem Akzeptanzvertrag
als Hauptprodukt gezwungen.
1342. Zum einen musste ein Händler die
SIX-Gruppe als Erbringer der Akzeptanz-Dienstleistungen auch mit der Erbringung der DCC-Dienst-leistungen
beauftragen, weil ihm im Rahmen des von der SIX-Gruppe vorgegebenen Akzeptanzvertrags keine Möglichkeit
zur Auswahl eines anderen Dienstleisters für die Währungsumrechnung zustand. Daher musste er
mit der SIX-Gruppe einen zusätzlichen DCC-Vertrag über die Erbringung von DCC-Dienstleistungen
abschliessen (vgl. SV H.k).
Hierbei handelte es sich um eine faktische Verknüpfung, auch wenn ein Vertragsabschluss erfolgte,
weil sich der Zwang zur Akzeptanz der SIX-Gruppe als Dienstleister aus der fehlenden Möglichkeit
zur Auswahl alternativer Anbieter und nicht aufgrund einer vertraglich vorgesehenen Verpflichtung zur
Abnahme von Währungsumrechnungsdienstleistungen der SIX-Gruppe als entsprechenden Dienstleister
ergab.
1343. Um die von ihm beauftragte DCC-Dienstleistung
der SIX-Gruppe in Anspruch nehmen zu können, musste ein Händler zum anderen als Kartenzahlungsgerät
ein DCC-Terminal der SIX-Gruppe erwerben, weil keine alternativen DCC-Terminals verfügbar waren,
die mit der Akzeptanz-Plattform der SIX-Gruppe kompatibel gewesen wären und ordnungsgemäss
zusammengearbeitet hätten. Auch hierzu musste der Händler einen zusätzlichen Vertrag über
den Erwerb eines Zahlungskartenterminals mit der SIX-Gruppe abschliessen. Trotz dieses Vertragsabschlusses
handelte es sich hierbei ebenfalls um eine faktische Verknüpfung, weil sich der Zwang zur Abnahme
der Zahlungskartenterminals der SIX-Gruppe aus der fehlenden Möglichkeit zur Auswahl alternativer
Zahlungskartenterminals und nicht aufgrund einer vertraglich vorgesehenen Verpflichtung zur Abnahme von
bestimmten Zahlungskartenterminals im Akzeptanzvertrag oder im DCC-Vertrag ergab.
1344. Für den Eintritt der vorstehend
beschriebenen Zwangswirkungen zu Lasten der Händler war unerheblich, dass (i) die SIX-Gruppe mehrere
unterschiedliche Massnahmen verschiedener Konzerngesellschaften zur Herbeiführung der Sachlage eingesetzt
hat, (ii) die Implikationen für die Händler nicht offensichtlich erkennbar waren, und (iii)
die SIX-Gruppe keine Zwangsmassnahmen zur Durchsetzung des Bezugs von DCC-Dienstleistungen oder DCC-Terminals
vorgenommen hat, wie auch der Ausgestaltung des Wertverhältnisses von Akzeptanz-Dienstleistungen,
DCC-Dienstleistungen und DCC-Terminals keine Bedeutung beizumessen ist.
1345. Aufgrund
dieser Ausgestaltung ihres Währungsumrechnungssystems ergeben sich mehrere massgebliche Verbindungen,
bei denen die SIX-Gruppe separate Produkte jeweils unmittelbar oder mittelbar zusammengeführt hat:
(1) Akzeptanz-Dienstleistungen
und DCC-Dienstleistungen;
(2)
DCC-Dienstleistungen und DCC-Terminals;
(3)
Akzeptanz-Dienstleistungen und DCC-Terminals.
1346. Durch diese Verbindungen wurde von der
SIX-Gruppe ein einheitlicher Verbund von Haupt- und Zusatzprodukten geschaffen, bestehend aus dem Hauptprodukt
Akzeptanz-Dienstleistungen sowie den Zusatzprodukten DCC-Dienstleistungen und DCC-Zahlungskartenterminals.
1347. Die Beschwerdeführerinnen können
mit den von ihnen vorgebrachten Einwänden gegen das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals der Verknüpfungen
nur teilweise durchdringen.
1348. Der Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1319),
wonach eine Koppelung voraussetze, dass Haupt- und Zusatzprodukt jeweils nur zusammen bezogen werden
könnten, ist im Hinblick auf die allgemeine Anerkennung des Verbundgeschäfts und des Anreizgeschäfts
als Varianten eines Koppelungsgeschäfts nicht zutreffend.
1349. Die Behauptung, beim DCC-System der Beschwerdeführerinnen
handle es sich um ein offenes System und die Card Solutions hätte zu keinem Zeitpunkt den Beschluss
gefasst oder Massnahmen angestellt, um eine technische Verbindung zu Drittherstellern auszuschliessen
(vgl. E. 1318),
ist unbegründet. Auch wenn die Card Solutions die Entwicklung der DCC-Funktion und ihre Implementierung
im Zahlungsabwicklungssystem der SIX-Gruppe übernommen hatte, so wurde die Vermarktung der DCC-Funktion
von ihr unzweifelhaft der Multipay übertragen. Diese hat nachgewiesenermassen mehrfach die Herausgabe
von Schnittstellen gegenüber anderen Terminalherstellern abgelehnt (vgl. E. 909
f.). Die Multipay hatte sogar noch in ihrer ersten Stellungnahme gegenüber der Wettbewerbskommission
am 25. August 2006 eine Herausgabe an andere Terminalhersteller unter Verweis auf immaterialgüterrechtliche
Aspekte und die fehlende Erheblichkeit der Beeinträchtigung abgelehnt (vgl. E. 914).
Da der Multipay bereits am 20. Juni 2005 im Rahmen einer Geschäftsleitungssitzung der Card Solutions
die Verweigerung einer Herausgabe gegenüber Jeronimo bekannt gegeben worden war (vgl. E. 909),
konnte die Card Solutions nicht in Unkenntnis über die Verweigerung der Herausgabe von Schnittstelleninformationen
an Dritthersteller sein. Ungeachtet dessen, dass dieses Verhalten von Multipay (i) zum einen ohnehin
der SIX-Gruppe als massgeblichem Kartellrechtssubjekt zuzurechnen ist (vgl. E. 653
ff.) und (ii) zum anderen allein die Herausgabe der DCC-Schnittstellen der Akzeptanz-Plattform durch
Multipay entscheidungsrelevant ist (vgl. E. 638
ff.), muss sich auch Card Solutions die Ablehnung einer Herausgabe zurechnen lassen, weshalb die von
den Beschwerdeführerinnen konstruierte Abgrenzung von Multipay und Card Solutions und die daraus
abgeleiteten Behauptungen keine Berücksichtigung finden können.
1350. Der von den Beschwerdeführerinnen
geltend gemachte Einwand (vgl. E. 1320),
wonach es der Verbindung von Akzeptanzgeschäft, Währungsumrechnung und Zahlungskartenterminal
an der notwendigen "Kausalität" für eine Verknüpfung fehle, weil die angefochtene
Verfügung ein Konstrukt mit zwei hintereinander geschaltenen Koppelungen schaffe, ist sachlich nicht
haltbar. Massgebend für die Feststellung einer Verknüpfung ist die Zwangswirkung, die sich
aus der Verbindung von verschiedenen Produkten ergibt. Für diese Zwangswirkung ist es unerheblich,
ob sich diese durch die unmittelbare Verknüpfung von Haupt- und Zusatzprodukt oder über die
Zwischenschaltung von weiteren Produkten einstellt (vgl. E. 1333).
Ansonsten könnte ein marktbeherrschendes Unternehmen das Koppelungsverbot dadurch umgehen, dass
es die Verküpfung zwischen Haupt- und Zusatzprodukt nicht unmittelbar, sondern mittelbar über
die Einbindung eines weiteren Zusatzprodukts ausgestaltet.
1351. Dies gilt selbst dann, wenn die infolge
der Einbindung eines Zwischenprodukts entstehende Verknüpfung sachlich angemessen und daher wettbewerbsrechtlich
zu rechtfertigen wäre. Denn für die Notwendigkeit zur Abnahme bzw. Erbringung von separaten
Produkten ist wie dargestellt allein der Eintritt der Zwangswirkung und nicht ein bestimmter Grund hierfür
massgeblich. Und diese Zwangswirkung wird auch nicht durch die Einbindung eines sachlich angemessenen
Zwischenprodukts aufgelöst. Daher ist auch der Einwand der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 1321),
wonach der Aspekt der DCC-Dienstleistungen für die Frage der Verknüpfung keine Berücksichtigung
finden dürfe, nicht relevant.
1352. Auch der Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1322),
wonach die meisten Kunden die DCC-Dienstleistungen und damit die DCC-Funktion nicht genutzt hätten,
ist nicht von Belang. Denn für den Eintritt der Zwangswirkung ist es zum einen unerheblich, ob eine
Verpflichtung zur Nutzung des Zusatzprodukts besteht oder eine tatsächliche Nutzung des Zusatzprodukts
stattfindet. Zum anderen findet bei den Missbrauchsformen des Art. 7
KG keine Erheblichkeitsschwelle
Anwendung (vgl. E. 1147).
1353. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz liegt
allerdings offensichtlich keine zwingende Verbindung zwischen den Akzeptanz-Dienstleistungen als Hauptprodukt
einerseits und der Nutzung eines DCC-Terminals als Zusatzprodukt andererseits vor. Vielmehr ist der Einwand
der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 1323)
zutreffend, wonach die Händler im relevanten Zeitraum einen Akzeptanzvertrag mit der SIX-Gruppe
abschliessen konnten, ohne dabei auch einen DCC-Vertrag mit der SIX-Gruppe abschliessen und/oder ein
DCC-Zahlungskartenterminal der SIX-Gruppe erwerben zu müssen. Vielmehr war das Hauptprodukt der
Akzeptanz-Dienstleistungen auch nach Einführung der DCC-Dienstleistungen und der DCC-Zahlungskartenterminals
durch die SIX-Gruppe für alle Händler weiterhin ohne Verpflichtung zur Abnahme der Zusatzprodukte
DCC-Dienstleistungen und/oder DCC-Zahlungskartenterminals verfügbar. Die Zwangswirkung auf Seiten
der Händler bestand demzufolge aus Sicht der Zusatzprodukte DCC-Dienstleistungen und DCC-Terminals,
nicht aber auch umgekehrt aus der Sicht der Akzeptanz-Dienstleistungen, weshalb das Hauptprodukt auch
ohne die zusätzliche Abnahme von potenziell unerwünschten Zusatzprodukten erworben werden konnte.
1354. Auch
wenn demzufolge zum einen mehrere Verbindungen zwischen verschiedenen Produkten bestanden und zum anderen
dadurch ein Verbund von mehreren Produkten geschaffen wurde, erfüllt der vorliegende Sachverhalt
die Grundkonstellation einer Verknüpfung von Haupt- und Zusatzprodukt nicht (vgl. E. 1328
ff.).
(c)
Sonderfall
1355. Damit
stellt sich die Frage, ob die Verwirklichung einer Koppelung auch dann vorliegen kann, wenn die Verbindung
der Produkte nicht in der Grundkonstellation der Verknüpfung eines Hauptprodukts, auf dessen
Markt das jeweilige Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung aufweist, mit einem oder mehreren Zusatzprodukten,
bei denen die Stellung des jeweiligen Unternehmens auf diesem Markt bzw. diesen Märkten unbeachtlich
ist, besteht.
1356. Der Europäische Gerichtshof hat
im Urteil Tetra Pak II aus dem Jahr 1996 (EuGH, EU:C:1996:436)
anerkannt, dass eine Koppelung auch von einem nicht beherrschten Markt ausgehen könne, wenn zumindest
zwischen diesem Markt und einem beherrschten Markt eine besondere Verbindung bestehe.
1357. Der Entscheidung liegt der Sachverhalt
zu Grunde, dass Tetra Pak zwar auf dem Markt für aseptische Verpackungssysteme eine marktbeherrschende
Stellung aufwies, ihr aber keine solche Stellung auf dem Markt für nicht-aseptische Verpackungssysteme
zukam. Da beide Märkte aber eine enge Verbindung aufwiesen, wurde eine von Tetra Pak auch auf dem
Markt der nicht-aseptischen Verpackungssysteme durchgeführte Verknüpfung von Verpackungsanlagen
und speziellem Karton sowie weiterer Leistungen als missbräuchlich qualifiziert.
1358. Die Feststellung der besonderen Verbindung
zwischen Haupt- und Zusatzmärkten wurden dabei aufgrund folgender Aspekte getroffen (vgl. EuGH,
EU:C:1996:436, Tetra Pak II, Rz. 29): (1) Die Kunden von Tetra
Pak in dem einen Bereich waren auch potenzielle Kunden im anderen Bereich, weil die verschiedenen in
Frage stehenden Materialien zur Verpackung der gleichen flüssigen Grunderzeugnisse verwendet wurden,
und 35% der Kunden bereits in beiden Bereichen Abnehmer waren; (2) angesichts einer fast völligen
Beherrschung des Markts der aseptischen Verpackungssysteme bei einem Marktanteil von 90% konnte Tetra
Pak auch auf eine bevorzugte Stellung auf dem Markt der nicht-aseptischen Verpackungssysteme zählen;
(3) dank ihrer Stellung auf dem Markt der aseptischen Verpackungsanlagen konnte Tetra Pak ihre Bemühungen
auf den Markt der nicht-aseptischen Verpackungssysteme konzentrieren und dabei unabhängig von den
anderen Wirtschaftsteilnehmern agieren.
1359. Zur Begründung wurden vom Europäischen
Gerichtshof die folgenden Aspekte angeführt: Der sachliche Anwendungsbereich der besonderen Verantwortung,
die ein Unternehmen in beherrschender Stellung trage, sei anhand der spezifischen Umstände des jeweiligen
Einzelfalls zu ermitteln, die eine Situation geschwächten Wettbewerbs erkennen liessen. Daher müssten
die jeweiligen Umstände in ihrer Gesamtheit und nicht isoliert gesehen werden, um die Möglichkeit
eines unabhängigen Verhaltens des jeweiligen Unternehmens ungeachtet des Vorliegens oder Fehlens
einer marktbeherrschenden Stellung auf allen relevanten Märkten beurteilen zu können (vgl.
EuGH, EU:C:1996:436, Tetra Pak II, Ziff. 24, 30).
1360. Die Missbrauchsform der Koppelung wurde
demzufolge durch das Urteil Tetra Pak II um diejenigen Sachverhaltskonstellation
mit folgenden abstrakten Merkmalen erweitert: (1) Das Unternehmen weist zwar eine marktbeherrschende
Stellung auf dem Hauptmarkt, nicht aber auf einem Nebenmarkt auf; (2) es besteht eine besondere Verbindung
zwischen Haupt- und Nebenmarkt; (3) das Unternehmen nimmt eine Verbindung von Produkten des Neben- und
eines Folgemarkts vor; (4) eine Verbindung zwischen einem (Haupt-)Produkt des Hauptmarkts und zumindest
einem Zusatzprodukt des Neben- oder des Folgemarkts ist nicht vorhanden; (5) die Produkte auf dem Hauptmarkt
sind unabhängig von den verknüpften Produkten auf dem Neben- und dem Folgemarkt erhältlich.
1361. Im Sinne eines a majore ad minus-Schlusses
lassen sich aus dieser Sachverhaltskonstellation weitere verwandte Varianten einer Koppelung ableiten,
denen aufgrund ihrer entsprechenden Zwangswirkung ein mindestens gleich grosses Potential zur Beeinträchtigung
des wirksamen Wettbewerbs durch ein marktbeherrschendes Unternehmen zukommt.
1362. Der Sachverhaltskonstellation des Falls
Tetra Pak II ist zum einen die Variante gleichzustellen, bei der
das massgebliche Unternehmen eine Verbindung zwischen Produkten aus einem oder mehreren Folgemärkten
vornimmt, wobei nicht nur der Nebenmarkt, sondern auch der Folgemarkt oder die Folgemärkte selbst
jeweils eine besondere Verbindung zum Hauptmarkt aufweist bzw. aufweisen. Denn die Berücksichtigung
der wettbewerbsbeeinträchtigenden Wirkungen ist sogar eher gerechtfertigt, wenn nicht nur zwischen
dem Haupt- und dem Nebenmarkt, sondern auch zwischen dem Hauptmarkt und den Folgemärkten eine besondere
Verbindung besteht.
1363. Der Sachverhaltskonstellation des Falls
Tetra Pak II ist zum anderen auch die Variante der doppelten Konnexität
gleichzustellen, bei der nicht nur eine besondere Verbindung zwischen dem Hauptmarkt und dem Nebenmarkt
bzw. einem Folgemarkt oder mehreren Folgemärkten besteht, sondern darüber hinaus auch eine
Verbindung zwischen dem Hauptprodukt und dem Zusatzprodukt bzw. den Zusatzprodukten auf dem Folgemarkt
bzw. den Folgemärkten gegeben ist. Denn die Berücksichtigung der wettbewerbsbeeinträchtigenden
Wirkungen ist sogar eher gerechtfertigt, weil nicht nur eine besondere Verbindung zwischen dem Haupt-
und dem Nebenmarkt, sondern auch zwischen dem Hauptprodukt und den Zusatzprodukten auf den Folgemärkten
besteht. Angesichts der doppelten Konnexität zwischen den verschiedenen Märkten und den verschiedenen
Produkten können die Anforderungen an die Ausgestaltung der besonderen Verbindung der jeweiligen
Märkte auch geringer angesetzt werden als in der ursprünglichen Sachverhaltskonstellation.
1364. Der vorliegende Sachverhalt erfüllt
unzweifelhaft die Anforderungen der vorstehend aufgeführten Merkmale (1), (3), (4) und (5) in der
Konstellation einer doppelten Konnexität. Der SIX-Gruppe kann auf dem Markt des Akzeptanzgeschäfts,
nicht aber auf den Märkten der DCC-Dienstleistungen und der Zahlungskartenterminals eine marktbeherrschende
Stellung beigemessen werden. Die SIX-Gruppe hat eine Verknüpfung von DCC-Dienstleistungen der SIX-Gruppe
und den DCC-Terminals der SIX-Gruppe vorgenommen. Daneben besteht auch jeweils eine Verknüpfung
zwischen den DCC-Dienstleistungen der SIX-Gruppe und den Akzeptanz-Dienstleistungen der SIX-Gruppe sowie
zwischen den DCC-Terminals der SIX-Gruppe und den Akzeptanz-Dienstleistungen der SIX-Gruppe. Ungeachtet
dieser Kombinationen waren die Akzeptanz-Dienstleistungen der SIX-Gruppe für die Händler auch
weiterhin frei verfügbar (vgl. E. 1345
und 1354).
1365. Einer eingehenderen Abklärung bedarf
daher allein das Merkmal, ob auch eine besondere Verbindung zwischen den Märkten des Akzeptanzgeschäfts,
der DCC-Währungsumrechnung und der DCC-Terminals bestand oder nicht.
1366. Gegen das Vorliegen einer besonderen
Verbindung spricht im Vergleich mit dem Sachverhalt in Sachen Tetra Pak
II allein der Umstand, dass die SIX-Gruppe im Bereich des Akzeptanzgeschäfts nicht über
eine monopolartige Stellung im relevanten Zeitraum verfügte.
1367. Für das Vorliegen einer besonderen
Verbindung spricht im Vergleich mit dem Sachverhalt in Sachen Tetra Pak
II demgegenüber zunächst, dass sich für die DCC-Dienstleistungen aufgrund von deren
unmittelbarer und ausschliesslicher Verknüpfung mit den Akzeptanz-Dienstleistungen unmittelbar ein
vergleichbar hoher Marktanteil wie derjenige auf dem beherrschten Markt ergibt. Zudem sind die Produkte
der Akzeptanzdienstleistungen als Hauptprodukt sowie der DCC-Dienstleistungen und der DCC-Terminals als
Zusatzprodukte unmittelbar aufeinander bezogen, sodass sich auch zwischen den Produkten eine besondere
Verbindung ergibt.
1368. Bei einer Gesamtwürdigung aller
Umstände des vorliegenden Einzelfalls ist davon auszugehen, dass die SIX-Gruppe durch die Verknüpfung
der separaten Produkte zumindest eine Absicherung ihrer Stellung auf dem Markt des Akzeptanzgeschäfts
bewerkstelligen konnte und dadurch dieser Bereich für ein unabhängiges Verhalten vergrössert
wurde.
1369. Aufgrund seiner konkreten Ausgestaltung
verwirklicht der vorliegende Sachverhalt demzufolge als Sonderfall das Tatbestandsmerkmal der Verknüpfung
im Rahmen des Regelbeispiels einer Koppelung.
g)
Nachteiliger Effekt
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
1370. Die Beschwerdeführerinnen bestreiten
das Vorliegen einer Wettbewerbsbehinderung aus den vorstehend behandelten grundsätzlichen Erwägungen
(vgl. E. 1252
ff.) sowie ergänzend aus den nachfolgenden Gründen.
1371. Da
keine technologische Koppelung vorläge, könne auch keine Wettbewerbsbehinderung gegeben sein.
1372. Die
von der Vorinstanz ihrer Beurteilung zu Grunde gelegte Feststellung, wonach durch die Verbindung von
Akzeptanzgeschäft mit Währungsumrechnung und eigenen Zahlungskartenterminals eine Konkurrenzierung
durch interoperable Zahlungskartenterminals von anderen Terminalherstellern ausgeschlossen werde, sei
sachverhaltswidrig. Denn ein von der Vorinstanz zu Grunde gelegter Wettbewerbsausschluss werde weder
begründet noch nachgewiesen.
1373. Eine
Wettbewerbsbehinderung sei tatsächlich nicht vorhanden gewesen, weil lediglich {2-[ - ]-5}%
der Händler im relevanten Zeitraum die DCC-Dienstleistungen in Anspruch genommen und ein DCC-Terminal
erworben hätten. Demzufolge habe das Verhalten der Beschwerdeführerinnen nur einen Bruchteil
der Verkäufe im relevanten Zeitraum betroffen. Die gegenteilige Ansicht der Vorinstanz würde
dazu führen, dass bereits ein einzelner Verkauf eines Zahlungskartenterminals mit einer besonderen
Ausstattung durch ein marktbeherrschendes Unternehmen als missbräuchlich zu qualifizieren wäre.
1374. Der
Umstand, dass eine einzelne Funktion, welche während eines beschränkten Entwicklungszeitraums
Dritten nicht zur Verfügung gestellt worden sei, könne nicht zu einer Wettbewerbsbehinderung
führen, weil ansonsten einem marktbeherrschenden Unternehmen verwehrt wäre, neue Funktionen
für seinen Eigengebrauch oder für den Gebrauch durch einen bestimmten Dritten zu entwickeln,
ohne dies nicht sofort seinen Konkurrenten offenzulegen.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
1375. Hinsichtlich der Wettbewerbsverfälschung
bringt die Vorinstanz vor, das geschäftsverweigernde technologische Koppelungsgeschäft führe
vorliegend dazu, dass Multipay als marktbeherrschendes Unternehmen ihre Marktmacht durch die Koppelung
der Zahlungskartenterminals sowie der Umrechnungsdienstleistungen von Card Solutions an ihr eigenes Akzeptanzgeschäft
auf diese (benachbarten) Märkte habe übertragen können. Eine solche technologische Koppelung
könne Multipay als marktbeherrschendes Unternehmen insbesondere auch dazu verwenden, kompatible
Lösungen der Konkurrenten zu verhindern oder zumindest zu behindern. Die technologische Koppelung
zwischen dem Akzeptanzgeschäft verbunden mit der DCC-Dienstleistung der Multipay und den ep2-zertifizierten
Zahlungskartenterminals der Card Solutions führe dazu, dass die Konkurrenz durch interoperable Zahlungskartenterminals
von Drittherstellern ausgeschlossen worden sei. Das Koppelungsgeschäft habe insofern die gleichen
wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen wie die Geschäftsverweigerung, nämlich die Ausnutzung
der marktbeherrschenden Stellung der Multipay im Akzeptanzgeschäft, um die Marktstellung der Schwestergesellschaft
Card Solutions zu Lasten der Wettbewerber zu verstärken.
(3)
Würdigung durch das Gericht
1376. Angesichts der Vielzahl an möglichen
Konstellationen einer Verbindung von separaten Produkten ist davon auszugehen, dass die konkrete Verknüpfung
der Produkte für den Wettbewerb auf dem Markt des Hauptprodukts oder auf dem Markt des Zusatzprodukts
zu einem nachteiligen Effekt führen muss (vgl. BVGer, B-3618/2013, Hallenstadion,
E. 263), damit auch tatsächlich eine missbräuchliche Verhaltensweise in Form einer Behinderung
von Konkurrenten oder eine Benachteiligung der jeweiligen Marktgegenseite gemäss Art. 7
KG gegeben
ist.
1377. In Praxis und Literatur besteht bislang
allerdings keine Einigkeit über Charakter, Inhalt, Ausmass und Nachweis dieses nachteiligen Effekts.
Dabei steht insbesondere in Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Ausmass die tatsächlichen Auswirkungen
der jeweiligen Kombination von Haupt- und Zusatzprodukt für die Beurteilung der Koppelung zu berücksichtigen
sind.
(a)
Grundlage
1378. Teilweise wird angenommen, dass es sich
bei diesem Element um ein besonderes, ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Missbrauchsform einer Koppelung
handelt.
1379. Nach einer Ansicht muss die Kombination
von Haupt- und Zusatzprodukt eine Wettbewerbsschädigung zur Folge haben (vgl. Amstutz/Carron,
BSK-KG, Art. 7 Rn. 536 f., 539). Darunter soll eine empfindliche
und dauerhafte Schädigung des entsprechenden Markts zu verstehen sein. Für deren Feststellung
sei von der Wettbewerbsbehörde eine umfassende Analyse vorzunehmen, inwieweit ein Verdrängungseffekt
zu Lasten der Konkurrenten oder ein Ausbeutungseffekt zu Lasten der Marktgegenseite vorliege. Hierzu
seien umfangreiche empirische Abklärungen zu einer Vielzahl von Kriterien - wie z.B. Dauer
der Einschränkung, quantitatives Ausmass der Behinderungswirkung, Beherrschungsgrad des Haupt- und
des Zusatzmarkts, Auswirkungen von Skaleneffekten und Netzwerkeffekten, Marktmacht der (potenziellen)
Geschäftspartner, Fähigkeit der Konkurrenten zur Reproduktion von gleichwertigen Koppelungsangeboten,
Grad des Ausschlusses an Konkurrenten - erforderlich.
1380. Teilweise wird angenommen, dass zumindest
bei einer Verknüpfung von nicht komplementären Produkten für das Vorliegen einer Koppelung
eine spezifische Beeinträchtigung des Wettbewerbs vorliegen müsse (vgl. Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 7 Rn. 503 f.; Weber/Volz,
WBR, Rn. 2.769), die sich durch zwei Aspekte auszeichne: (i) Das
marktbeherrschende Unternehmen lege ein Festhalten an der Koppelungsstrategie an den Tag, und (ii) die
Koppelungsstrategie müsse Marktaustritte im gekoppelten Markt zur Folge haben, wodurch sich eine
Wettbewerbsreduktion im gekoppelten Markt einstelle, was insbesondere bei einer Erhöhung der Marktzutrittsschranken
der Fall sei.
1381. Die Europäische Kommission führt
im Rahmen ihrer Prioritätenmitteilung das Element einer wahrscheinlichen
oder tatsächlichen wettbewerbswidrigen Marktverschliessung als Merkmal eines Koppelungsgeschäfts
auf (Ziff. 50, 52 Prioritätenmitteilung). Eine wettbewerbswidrige
Marktverschliessung bezeichnet dabei einen Sachverhalt, bei dem das marktbeherrschende Unternehmen den
Zugang zu Lieferquellen oder Märkten erschwere oder unmöglich mache und als Folge das marktbeherrschende
Unternehmen aller Wahrscheinlichkeit nach in der Lage sei, die Preise zum Nachteil der Benutzer der Produkte
gewinnbringend zu erhöhen (Ziff. 19 Prioritätenmitteilung).
Zur Prüfung einer wettbewerbswidrigen Marktverschliessung sei eine Analyse vorzunehmen, bei der
alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen seien, wobei insbesondere folgende Faktoren
Beachtung verlangen würden (Ziff. 20, 21 Prioritätenmitteilung;
die in Ziff. 53 f. zusätzlich genannten Aspekte stellen eher spezifische Ausprägungen dieser
Faktoren oder Folgen des wettbewerbswidrigen Verhaltens dar): (i) Das Ausmass der Marktbeherrschung durch
das marktbeherrschende Unternehmen; (ii) Bedingungen auf dem relevanten Markt für Markteintritte
und Expansion; (iii) Stellung der Wettbewerber auf dem relevanten Markt zur Vornahme von realistischen,
wirksamen und zeitnahen Gegenstrategien; (iv) Stellung der Anbieter und Abnehmer von Inputs gegenüber
dem marktbeherrschenden Unternehmen; (v) das Ausmass des jeweiligen wirtschaftlichen Verhaltens im Hinblick
auf dessen Dauer und Regelmässigkeit sowie auf den Anteil der jeweiligen Verkäufe auf dem relevanten
Markt; (vi) Beweise für eine tatsächliche Marktverschliessung aufgrund einer länger andauernden
Umsetzung des fraglichen wirtschaftlichen Verhaltens; (vii) unmittelbare Beweise einer Behinderungsstrategie,
insbesondere aufgrund von Unterlagen des marktbeherrschenden Unternehmens. Allerdings enthält die
Prioritätenmitteilung auch eine ausdrückliche Ausnahmeklausel,
nach der die Schädlichkeit im Einzelfall auch ohne eine eingehende Analyse festgestellt werden könne.
Sollte es Anzeichen dafür geben, dass das Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens im Grunde
nur den Wettbewerb behindern kann und keine Effizienzvorteile entstehen, könne unmittelbar auf das
Vorliegen von wettbewerbswidrigen Auswirkungen geschlossen werden (Ziff. 22 Prioritätenmitteilung).
Die Prioritätenmitteilung widerspricht der vorherigen Entscheidungspraxis
der Europäischen Kommission zumindest insoweit, als sie das Regel-Ausnahmeverhältnis umkehrt
(vgl. E. 1383).
1382. Demgegenüber ist nach anderer Ansicht
eine Verknüpfung von Haupt- und Zusatzprodukt immer dann als wettbewerbswidrig zu qualifizieren,
soweit keine Rechtfertigung für eine Verknüpfung der separaten Produkte aufgrund von sachlich
angemessenen Gründe besteht (vgl. Borer, KG,
Art. 7 Rn. 27; Clerc/Këllezi, CR-Concurrence,
Art. 7 II Rn. 278 f.; David/Jacobs, WBR,
Rz. 746; für komplementäre Güter im Ergebnis wohl auch Stäuble/Schraner,
Dike-KG, Art. 7 Rn. 502; Weber/Volz,
FHB-WBR, Rz. 2.765, 2.767). Danach bedürfe es keiner über
die Aspekte der Rechtfertigung hinausgehenden Abklärungen für die Feststellung eines nachteiligen
Effekts, weshalb insbesondere Untersuchungen der tatsächlichen Auswirkungen im Einzelfall nicht
erforderlich seien.
1383. Auch
die bisherige Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission sieht keine Untersuchung der tatsächlichen
Auswirkungen vor. Danach sei bei einem Koppelungsgeschäft per se von einer Ausschlusswirkung auf
dem jeweiligen Markt auszugehen. Demgegenüber wurden im Rahmen der Entscheidung Microsoft
die tatsächlichen Auswirkungen geprüft, weil es sich bei diesem Sachverhalt um eine besondere,
d.h. unübliche Konstellation eines Koppelungsgeschäfts gehandelt haben soll. Dabei wurde allerdings
ausdrücklich festgehalten, dass mit dieser Prüfung keine neue Rechtstheorie geschaffen werde
und nicht von der grundsätzlichen Qualifzierung von Koppelungsgeschäften abgewichen werden
solle (EU-Kom, Comp/C-3/37.792, Microsoft,
Ziff. 841, bestätigt durch EuG, EU:T:2007:289, Microsoft,
Ziff. 1035).
1384. Die EU-Rechtsprechung bezieht ebenfalls
keine Analyse der tatsächlichen Auswirkungen in eine Prüfung des Koppelungsgeschäfts mit
ein (vgl. EuG, EU:T:2007:289, Microsoft, Ziff. 868). Dementsprechend
bildet der Nachweis einer in bestimmter Weise vorliegenden Wettbewerbsschädigung oder einer Wettbewerbsverfälschung
kein notwendiges Tatbestandselement der Koppelung; vielmehr handelt es sich hierbei um die unausweichliche
Folge einer Kombination separater Produkte ohne Vorliegen eines Rechtfertigungsgrunds (vgl. Fuchs/Möschel,
IM-EUWBR, Art. 102 Rn. 287; Schröter/Bartl,
SJKM-EUWBR, Art. 102 Rn. 260, für den im Ausnahmefall bei
Fehlen einer tatsächlich wettbewerbswidrigen Wirkung ein Einschreiten der Wettbewerbsbehörden
aufgrund des Verhältnismässigkeitsprinzips ausgeschlossen sei, weil ein Vorgehen nicht erforderlich
wäre).
1385. Für die Beurteilung des Aspekts,
ob und inwieweit die tatsächlichen Auswirkungen zu untersuchen und notwendigerweise bestimmte qualitative,
quantitative oder temporäre Anwendungsschwellen für die Feststellung eines nachteiligen Effekts
bei Koppelungssachverhalten zu berücksichtigen sind, ist zunächst die Ausgangslage eines marktmissbräuchlichen
Verhaltens gemäss Art. 7
KG in Erinnerung zu rufen (vgl. E. 1116
ff.).
1386. Mit der Statuierung von Art. 7
KG untersagt
der Gesetzgeber zum Schutz des Wettbewerbs bestimmte wirtschaftliche Verhaltensweisen von marktbeherrschenden
Unternehmen, die er nicht-marktbeherrschenden Unternehmen durchaus zugesteht, weil mit dem Bestehen einer
marktbeherrschenden Stellung der wirksame Wettbewerb auf den relevanten Märkten bereits beeinträchtigt
wird. Daraus folgt, dass die Schwächung des Wettbewerbs auf einem Markt aufgrund der Erlangung einer
marktbeherrschenden Stellung durch ein Unternehmen bereits einen Umstand darstellt, der grundsätzlich
keine weiteren Einschränkungen mehr duldet. Art. 7
KG zielt demzufolge darauf ab, einem beherrschenden
Unternehmen zu verbieten, seine eigene Stellung mit anderen Mitteln als denjenigen des reinen Leistungswettbewerbs
zu verbessern (vgl. EuG, EU:T:2007:289, Microsoft, Ziff. 1070,
in Bezug auf Art. 102 AEUV). Die Beurteilung, ob eine durch ein konkretes wirtschaftliches Verhalten
hervorgerufene weitere Einschränkung des Wettbewerbs zu Lasten der jeweiligen Marktgegenseite oder
von Konkurrenten dem Leistungswettbewerb zugeordnet werden kann, ist davon abhänigig zu machen,
ob eine ausreichende sachliche Rechtfertigung für diese Verhaltensweise besteht. Bejahendenfalls
handelt es sich um eine Massnahme des Leistungswettbewerbs, andernfalls um ein wettbewerbswidriges Verhalten
des marktbeherrschenden Unternehmens.
1387. Angesichts dessen, dass mit einer Verknüpfung
von separaten Produkten ausnahmslos die Wahlfreiheit der Marktgegenseite eingeschränkt wird und
damit eine allokatorische Ineffizienz einhergeht, ist für eine Koppelung gemäss Art. 7 Abs.
2 lit. f
KG auch kein Grund ersichtlich, warum sie bei Fehlen einer ausreichenden Rechtfertigung aufgrund
von angemessenen Gründen erst ab dem Erreichen zusätzlicher quantitativer, qualitativer oder
temporärer Anwendungsschwellen als wettbewerbswidrig zu qualifizieren wäre.
1388. Gegen die Anerkennung von bestimmten
quantitativen, qualitativen oder zeitlichen Anwendungsschwellen spricht neben dem Wortlaut des Regelbeispiels
und der Entstehungsgeschichte, die keinerlei Hinweise auf die Anwendung entsprechender Kriterien aufweisen,
insbesondere auch der Sinn und Zweck der Vorschrift.
1389. Gegen ein inhaltliches Verständnis,
wonach für den nachteiligen Effekt eine dauerhafte und ernsthafte Schädigung des Wettbewerbs
bzw. eine Wettbewerbsreduktion infolge von Marktaustritten festgestellt werden müsste, spricht bereits
der Umstand, dass eine sachlich nicht ausreichend gerechtfertigte Verknüpfung von Haupt- und Zusatzprodukt
durch ein Unternehmen, das bereits eine marktbeherrschende Stellung aufweist, nicht auch noch zeitlich
solange umgesetzt werden darf, bis die dadurch eintretende Einwirkung auf den Wettbewerb, der aufgrund
der marktbeherrschenden Stellung ohnehin bereits geschwächt ist, nicht nur zu einer vorübergehenden,
sondern zu einer dauerhaften und damit endgültigen wirtschaftlichen Schädigung der Marktgegenseite
oder der Konkurrenten führt. Wenn der Gesetzgeber das Vorhandensein einer marktbeherrschenden Stellung
als Bedrohung für die Erhaltung eines wirksamen Wettbewerbs qualifiziert und daraus das Verbot von
missbräuchlichen Verhaltensweisen zum Schutz vor einer weiteren Beeinträchtigung des Wettbewerbs
ableitet, dann kann zur Feststellung eines solchen missbräuchlichen Verhaltens nicht in Widerspruch
hierzu auf Umstände abgestellt werden, welche eine weitere nachteilige Beeinträchtigung des
Wettbewerbs gerade voraussetzen. Im Übrigen tritt mit Abwicklung des jeweiligen Geschäfts mit
einer sachlich nicht ausreichend gerechtfertigten Verknüpfung von Haupt- und Zusatzprodukt für
den jeweiligen Vertragspartner des marktbeherrschenden Unternehmens auch eine endgültige wirtschaftliche
Schädigung ein.
1390. Zudem würde durch solch ein inhaltliches
Verständnis des nachteiligen Effekts einem marktbeherrschenden Unternehmen in der Praxis ein Handlungsspielraum
gegenüber seinen Konkurrenten eröffnet, dessen Folgen durch eine nachträgliche Sanktionierung
des marktbeherrschenden Unternehmens zu Lasten der Konkurrenten von vornherein gar nicht mehr beseitigt
werden können. Dies wurde von Seiten der Europäischen Wettbewerbspraxis in ähnlicher Weise
bereits in anderem Zusammenhang festgestellt. Danach erlaubt es das Ziel der Erhaltung eines unverfälschten
Wettbewerbs nicht, ein missbräuchliches Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens lediglich
zu beobachten, um abzuklären, ob und bis wann eine solche Strategie tatsächlich zur Ausschaltung
eines Konkurrenten führt (vgl. EuGH, EU:C:1996:436, Tetra Pak II,
Rz. 44, für die Anwendung von Kampfpreisen).
1391. Die Ansetzung von qualitativen, quantitativen
oder zeitlichen Anforderungsschwellen würde im Ergebnis bedeuten, dass die rechtliche Beurteilung
des Tatbestandsmerkmals einer Verknüpfung von separaten Produkten nicht durch das Verhältnis
der jeweiligen Produkte, sondern letztlich von der wirtschaftlichen Stärke der Konkurrenten des
marktbeherrschenden Unternehmers abhängig wäre. Ein entsprechendes Verhalten des marktbeherrschenden
Unternehmens müsste nämlich umso eher als zulässig erachtet werden, je länger dessen
Konkurrenten diesem Verhalten wirtschaftlich standhalten könnten.
1392. Durch die Zulassung von gewissen Anwendungsschwellen
würde einem marktbeherrschenden Unternehmen die Möglichkeit zu einem taktischen Verhalten im
Sinne einer "Salamitaktik" eröffnet, ein von der Sache her rechtswidriges Verhalten
zulässigerweise wiederholend mit gewissen Pausen umzusetzen, bis die Konkurrenten tatsächlich
dauerhaft geschädigt sind.
1393. Für den Fall, dass die Konkurrenten
eine Möglichkeit finden, dem Wettbewerbsdruck, der durch die Kombinationspraktik des marktbeherrschenden
Unternehmens entsteht, auszuweichen, indem sie etwa den Marktteilnehmern alternative Handlungsmöglichkeiten
auf dem Markt des Zusatzprodukts zugänglich machen, müsste im Rahmen einer Beurteilung sogar
das Vorliegen einer dauerhaften Schädigung des Wettbewerbs verneint werden. Dies würde mit
anderen Worten bedeuten, dass eine aussergewöhnliche Wettbewerbsfähigkeit der Konkurrenten
für das wettbewerbswidrige Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens die eigentlich vorzunehmende
Qualifizierung der Rechtswidrigkeit aufheben und für dessen Zulässigkeit sorgen würde.
Eine solche Interpretation und Anwendung dieses Tatbestandselements würde dem Regelungszweck von
Art. 7
KG widersprechen.
1394. Darüber hinaus ist es nicht angebracht,
die Wettbewerbswidrigkeit vom Ausmass des eingetretenen Schadens abhängig zu machen (vgl. E. 1211,
1190).
Denn das Ausmass des Schadens hängt nicht (nur) vom Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens,
sondern vor allem auch von der Reaktion der Marktgegenseite und der Konkurrenten ab.
1395. Gegen die Durchführung einer umfassenden
Analyse zur Abklärung aller Auswirkungen auf dem Markt sprechen unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit
die Anforderungen an eine ausreichende Vorhersehbarkeit für die Unternehmen, die ungeachtet einer
wünschenswerten Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit ebenfalls gegeben sein muss. Da ein Unternehmen
kaum eine derartige umfassende Marktanalyse durchführen kann, wäre es von vornherein ausgeschlossen,
dass eine ausreichende Vorhersehbarkeit des konkreten wettbewerbswidrigen Verhaltens für das Unternehmen
gegeben wäre.
1396. Angesichts dieser Ausgangslage bedarf
es für die Anerkennung einer wettbewerbswidrigen Koppelung gemäss Art. 7
KG keiner besonderen
quantitativen, qualitativen oder zeitlichen Anwendungsschwellen.
1397. In diesen Zusammenhang ist zu berücksichtigen,
dass die Feststellung einer Wettbewerbsverfälschung einen gewissen Beurteilungsspielraum aufweist,
weil die Grenzlinie zwischen einer nachteiligen und einer unbestimmten Einwirkung auf den Wettbewerb
nur mit einer gewissen Unschärfe gezogen werden kann. Daher überlagert dieser Beurteilungsspielraum
jedenfalls im Bereich geringfügiger Einwirkungen besondere quantitative, qualitative oder zeitliche
Anwendungsschwellen (vgl. E. 1142).
Dieser Aspekt ist auch im Rahmen einer Ausübung des Aufgreifermessens und des Masses einer Sanktionierung
zu berücksichtigen (vgl. E. 1143).
1398. Der Aspekt des nachteiligen Effekts bildet
demzufolge ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal im Sinne eines Ausschlusskriteriums für Sachverhalte,
bei denen der Eintritt einer Wettbewerbsverfälschung entgegen den üblichen Konstellationen
von vornherein mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, weshalb es keiner weiteren Abklärung des
Vorliegens von sachlichen Rechtfertigungsgründen bedarf.
1399. Liegt demzufolge eine Verknüpfung
von separaten Produkten durch ein marktbeherrschendes Unternehmen vor, ist grundsätzlich davon auszugehen,
dass ein für den Wettbewerb negativer Effekt vorliegt, weil der Absatz des Zusatzprodukts in derartigen
Fällen nicht allein auf dessen originären Leistungsfaktoren beruht, sondern zumindest auch
an die Abnahme des Hauptprodukts anknüpft (vgl. BVGer, B-3618/2013, Hallenstadion,
E. 264; vgl. E. 1265).
1400. Demzufolge ist die Wettbewerbsmässigkeit
einer Produkteverbindung regelmässig nur bei Vorliegen einer ausreichenden Rechtfertigung aufgrund
eines sachlich angemessenen Grunds gegeben.
1401. In Ausnahmefällen wird die Feststellung
eines nachteiligen Effekts für eine bestimmte Verknüpfung von separaten Produkten nicht möglich
sein, weshalb dann weder eine Benachteiligung der Marktgegenseite noch eine Behinderung von Konkurrenten
gegeben ist (vgl. Weko, 19.11.2004, RPW 2005/1, 46, TopCard-Angebot
der Bergbahnen Lenzerheide-Valbella, Klosters-Davos und Flims-Laax-Falera, zit. TopCard,
Ziff. 59, 63). Soweit im Einzelfall entsprechende Anhaltspunkte vorliegen, ist eine Abklärung durch
die Wettbewerbsbehörden vorzunehmen.
1402. Für das Anreizgeschäft ist
zu beachten, dass in Abgrenzung zu zulässigen Rabatt- und sonstigen Vergünstigungsregelungen
im Einzelfall die jeweilige Grenzlinie zu bestimmen ist, bei der die zulässige Preisgestaltung infolge
der ökonomischen Zwangswirkung in eine nachteilige Einwirkung auf den Wettbewerb umschlägt.
(b)
Sachverhalt
1403. Vorliegend war im Falle eines Akzeptanzvertrags
mit der SIX-Gruppe aus der Sicht der Händler deren Auswahl bei der Beschaffung eines DCC-Zahlungskartenterminals
auf ein Modell der SIX-Gruppe beschränkt. Die SIX-Gruppe verfügte somit beim Absatz ihrer Geräte
gegenüber den Händlern über eine eindeutig bevorzugte Stellung auf dem Markt der Zahlungskartenterminals.
Umgekehrt ergab sich daraus auf dem Markt für Zahlungskartenterminals für die Händler
eine massive Einschränkung ihrer Auswahlfreiheit und für die anderen Terminalhersteller eine
schwerwiegende Einschränkung ihrer Möglichkeit zu einer konkurrenzierenden Tätigkeit.
Als Folge dieser faktischen Ausgestaltung der Marktsituation durch die SIX-Gruppe trat demzufolge unzweifelhaft
ein nachteiliger Effekt für den Wettbewerb auf dem Markt der Zahlungskartenterminals ein.
1404. Dies gilt entgegen der Einwendung der
Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 1373)
völlig unabhängig davon, in welchem Ausmass der Absatz von DCC-Zahlungskartenterminals durch
die anderen Terminalhersteller infolge dieser Verknüpfung tatsächlich beeinträchtigt wurde.
1405. Denn zum einen setzt auch die Verwirklichung
des Koppelungstatbestands keine Überschreitung einer quantitativen Anwendungsschwelle voraus.
1406. Zum anderen statutiert Art. 7
KG -
wie in Zusammenhang mit der Missbrauchsform der Geschäftsverweigerung bereits dargelegt wurde (vgl.
E. 1115
ff.) - weder die Voraussetzung, dass nachteilige Einwirkungen auf den Wettbewerb tatsächlich
eintreten, noch die Voraussetzung, dass die konkreten tatsächlichen Auswirkungen im Rahmen einer
ex post-Betrachtung zu berücksichtigen seien. Massgebend ist vielmehr allein das Potential des jeweiligen
wirtschaftlichen Verhaltens eines marktbeherrschenden Unternehmens zur Herbeiführung einer weiteren
Beeinträchtigung des Wettbewerbs, der aufgrund der Stellung des marktbeherrschenden Unternehmens
bereits geschwächt ist.
1407. Von Seiten des Gerichts bedarf es daher
auch keiner Abklärung der zwischen den Parteien strittigen Frage nach einer genauen Spezifizierung
der auf die anderen Terminalhersteller entfallenden Absatzeinschränkungen an DCC-Zahlungskartenterminals,
weil diesem Aspekt keine Bedeutung in Zusammenhang mit der Missbrauchsform der Koppelung zukommt.
1408. Dass es sich vorliegend auch nicht um
einen Bagatellfall handeln würde, ergibt sich entgegen dem Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1373)
ganz offensichtlich aus den sachverhaltlichen Feststellungen der Vorinstanz (vgl. 1111
ff., 1147).
Denn auch die Beurteilung eines Bagatellfalls wäre aus objektiver Sicht anhand der Wettbewerbssituation
zu Beginn des jeweiligen wirtschaftlichen Verhaltens vorzunehmen und nicht anhand einer ex post-Betrachtung
aus der Sicht des marktbeherrschenden Unternehmens nach einem längeren Zeitraum der Durchführung
des jeweiligen wirtschaftlichen Verhaltens. Und danach wurde die Möglichkeit der anderen Terminalhersteller
zur Herstellung von DCC-Terminals, die zur Akzeptanz-Plattform der SIX-Gruppe kompatibel sind, von Seiten
der SIX-Gruppe im relevanten Zeitraum unstrittig vollständig ausgeschlossen. Der Verweis auf die
angeblich geringe Anzahl an tatsächlich verkauften DCC-Dienstleistungen und DCC-Terminals durch
die Beschwerdeführerinnen wäre demgegenüber unbeachtlich.
1409. Wie bereits dargelegt wurde (vgl. E.
1269
f.), können die wettbewerbstheoretischen Einwände der Beschwerdeführerinnen die Feststellung
einer Koppelung vorliegend nicht verhindern. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass die Beschwerdeführerinnen
neben rein abstrakten Ausführungen auch keine konkreten Tatsachen und stichhaltigen Ableitungen
vorlegen, weshalb die vorliegende Sachverhaltskonstellation entgegen der vorstehend dargestellten Sachlage
keinen nachteiligen Effekt auf den Wettbewerb im Markt für Zahlungskartenterminals ausgeübt
haben soll. Insbesondere auch der Verweis auf die subjektiven Absichten der Multipay und der Card Solutions
sind unbeachtlich, weil für die Verwirklichung einer Koppelung gemäss Art. 7
KG unerheblich
ist, ob eine marktbeherrschende Stellung auf dem Markt des Zusatzprodukts bereits besteht oder durch
das jeweilige wirtschaftliche Verhalten bewirkt oder zumindest angestrebt wird.
1410. Der Einwand der Beschwerdeführerinnen
auf das angebliche Fehlen einer technischen Koppelung (vgl. E. 1371)
ist angesichts des Nachweises einer Verknüpfung der separaten Produkte unbeachtlich.
1411. Der Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1372),
wonach die Vorinstanz einen zu Grunde gelegten Wettbewerbsausschluss weder begründet noch nachgewiesen
habe, ist konstruiert, weil für die Verwirklichung einer Koppelung kein vollständiger Ausschluss
einer Konkurrenzierung voraussgesetzt wird und die angefochtene Verfügung einen solchen Ausschluss
auch nicht vorsieht. Zudem liegt im Hinblick auf eine Konkurrenzierung der SIX-Gruppe durch andere Terminalhersteller
bei DCC-Terminals während des relevanten Zeitraums offensichtlich ein vollständiger Wettbewerbsausschluss
zu Lasten der Händler vor.
1412. Der Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1374),
wonach einem marktbeherrschenden Unternehmen die Möglichkeit genommen werde, neue Funktionen für
den Eigengebrauch oder für den Gebrauch durch einen bestimmten Dritten zu entwickeln, ist wie dargelegt
unbeachtlich (vgl. E. 638
ff., 765 ff.), weil nicht eine neue Funktion, sondern nur die Schnittstelleninformationen für eine
nicht exklusive Funktion, die auch von Dritten bereitgestellt werden konnte, den Gegenstand der vorliegenden
Angelegenheit bildet.
h)
Fehlen von Rechtfertigungsgründen
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
1413. Zur Rechtfertigung einer allfällig
vorliegenden Verknüpfung von Produkten tragen die Beschwerdeführerinnen vor, dass diese Verhaltensweise
aufgrund der im damaligen Zeitpunkt noch ausstehenden Zertifizierung der DCC-Funktion sachlich gerechtfertigt
gewesen sei.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
1414. Die Auffassung der Vorinstanz stützt
sich inhaltlich im Wesentlichen auf die Aspekte ab, die nachfolgend im Rahmen der Würdigung des
Gerichts dargestellt werden.
(3)
Würdigung durch das Gericht
1415. Eine Verbindung von verschiedenen Produkten
kann anerkanntermassen nicht nur nachteilige Auswirkungen auf die Wahlfreiheit der Vertragspartner des
marktbeherrschenden Unternehmens aufweisen, sondern allenfalls auch wünschenswerte Wirkungen entfalten,
die bei einer gesamthaften Betrachtung des Einzelfalls sogar zu einer positiven Beurteilung der jeweiligen
Verbindung führen. Es bedarf daher einer Abgrenzung von nachteiligen Koppelungsgeschäften gegenüber
vorteilhaften Kombinationsgeschäften.
1416. Eine
Koppelung liegt nicht vor, wenn die jeweilige Verknüpfung von Haupt- und Zusatzprodukten aufgrund
des Vorliegens von angemessenen Sachgründen im Einzelfall gerechtfertigt werden kann.
1417. Die
von den Beschwerdeführerinnen vorgebrachte Argumentation, wonach ihre Vorgehensweise aufgrund der
zum damaligen Zeitpunkt noch ausstehenden Zertifikation der DCC-Funktion angebracht gewesen sei und sich
die DCC-Funktion daher erst in einer Pilotphase befunden habe, ist wie dargelegt (vgl. E. 686
ff.) zur Rechtfertigung einer Verknüpfung von Akzeptanzgeschäft, DCC-Leistungen und DCC-Terminals
untauglich.
1418. Im Hinblick auf eine allfällige
sachliche Rechtfertigung der Verknüpfung der Akzeptanz-Dienstleistungen mit den DCC-Dienstleistungen
haben die Beschwerdeführerinnen keine Vorbringen vorgetragen. Allerdings kann dahingestellt bleiben,
ob eine feste Zusammenarbeit zwischen Kartenakquisiteur und Dienstleister der DCC-Währungsumrechnung
aus sachlichen Gründen zu rechtfertigen wäre. Denn eine entsprechende Feststellung hätte
keinen massgeblichen Einfluss auf die Beurteilung der faktischen Verknüpfung von Akzeptanz-Dienstleistungen
bzw. DCC-Dienstleistungen und DCC-Terminals und deren fehlende Rechtfertigung.
1419. Sonstige Rechtfertigungsgründe für
die Verknüpfung der separaten Produkte sind nicht ersichtlich und werden von den Beschwerdeführerinnen
auch nicht dargelegt.
1420. Eine sachliche Rechtfertigung für
die von der SIX-Gruppe vorgenommene Verknüpfung der separaten Produkte ist demzufolge nicht gegeben.
i)
Ergebnis
1421. Als Ergebnis der Überprüfung
im Beschwerdeverfahren ist daher festzustellen, dass die Verknüpfung von Akzeptanz-Dienstleistungen,
DCC-Dienstleistungen und DCC-Terminals durch die Six-Gruppe ein wettbewerbswidriges Verhalten in der
Missbrauchsform einer Koppelung gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. f
KG darstellt.
5)
Einschränkung der Erzeugung, des Absatzes und der technischen
Entwicklung gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. e
KG
1422. Die Vorinstanz hat in der angefochtenen
Verfügung die Verwirklichung einer Einschränkung der technischen Entwicklung gemäss Art.
7 Abs. 2 lit. e
KG gegenüber den Terminalherstellern durch die Verweigerung der Herausgabe der DCC-Schnittstelleninformationen
für die Akzeptanz-Plattform durch die SIX-Gruppe festgestellt, wodurch die Konkurrenten der SIX-Gruppe
auf dem Markt der ep2-Terminals beeinträchtigt worden seien. Die Verwirklichung dieser Missbrauchsform
wird von den Beschwerdeführerinnen bestritten.
1423. Aufgrund des ausführlichen Nachweises
einer Verwirklichung der Missbrauchsformen einer Geschäftsverweigerung gemäss Art. 7 Abs. 2
lit. a
KG und einer Koppelung gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. f
KG durch das beanstandete Verhalten der
SIX-Gruppe kann auf die Prüfung einer zusätzlichen Verwirklichung dieser weiteren Missbrauchsform
verzichtet werden.
6)
Diskriminierung von Handelspartnern gemäss
Art.
7 Abs. 2 lit. b
KG
1424. Die
Vorinstanz hat in der angefochtenen Verfügung die Verwirklichung einer Diskriminierung von Handelspartnern
gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. e
KG gegenüber den Terminalherstellern durch die Verweigerung der
Herausgabe der DCC-Schnittstelleninformationen für die Akzeptanz-Plattform durch die SIX-Gruppe
festgestellt, wodurch die Konkurrenten der SIX-Gruppe auf dem Markt der ep2-Terminals beeinträchtigt
worden seien. Die Verwirklichung dieser Missbrauchsform wird von den Beschwerdeführerinnen bestritten.
1425. Aufgrund des ausführlichen Nachweises
einer Verwirklichung der Missbrauchsformen einer Geschäftsverweigerung gemäss Art. 7 Abs. 2
lit. a
KG und einer Koppelung gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. f
KG durch das beanstandete Verhalten der
SIX-Gruppe kann auf die Prüfung einer zusätzlichen Verwirklichung dieser weiteren Missbrauchsform
verzichtet werden.
VIII. Sanktionen
1426. Die
Vorinstanz hat wegen des wettbewerbswidrigen Verhaltens gegen die Beschwerdeführerinnen gemäss
Art. 49a Abs. 1
KG einen Betrag in Höhe von 7.029 Mio. CHF als Sanktion ausgesprochen.
1)
Massgebende
Sanktionsvorschriften
1427. Art. 49a Abs. 1
KG sieht vor, dass ein
Unternehmen, das sich nach Art. 7
KG unzulässig verhält, mit einer Sanktion belastet wird.
Das Sanktionsobjekt entspricht dabei dem Kartellrechtssubjekt gemäss Art. 2 Abs. 1
bis
KG. Im vorliegenden Sachverhalt sind jedenfalls die Missbrauchsformen einer Geschäftsverweigerung
und einer Koppelung gegeben.
1428. Die Beschwerdeführerinnen sehen
durch die Sanktionierung ihre Grundrechte verletzt, weil diese als strafrechtliche Massregelung zu qualifizieren
sei und die dadurch bedingten Anforderungen, die sich aus der Anwendung straf- und konventionsrechtlicher
Grundsätze ergeben, nicht beachtet worden seien. Dabei machen sie eine Verletzung des Bestimmtheitsgebots
gemäss Art. 5 Abs. 1
BV und Art. 7
EMRK mangels Vorhersehbarkeit der Tatbestandsmässigkeit
und der damit verbundenen Rechtsfolgen geltend.
a)
Bestimmtheit
der Tatbestandsmässigkeit
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
1429. Gegen eine ausreichende Bestimmtheit
der Tatbestandsmässigkeit erheben die Beschwerdeführerinnen eine Vielzahl von unterschiedlichen
Einwänden.
1430. Der
Tatbestand des Art. 7 Abs. 1
KG sei inhaltlich offen, weil er keine Konkretisierung der als unzulässig
erachteten Verhaltensweisen enthalte. Die zu beurteilenden Verhaltensweisen seien "doppelgesichtig",
weil sie a priori sowohl Ausdruck erwünschten Wettbewerbs als auch einer missbräuchlichen Behinderungs-
oder Benachteiligungsstrategie sein könnten. Diese Unbestimmtheit sei besonders schwerwiegend, weil
aufgrund der Vielfalt der wirtschaftstheoretischen Erklärungsmodelle beinahe jedes Ereignis einer
ökonomischen Rechtfertigung zugänglich sei. Die notwendige Vorhersehbarkeit sei daher nicht
gegeben. Die Formulierung erfülle demnach nicht die rechtsstaatlichen Minimalanforderungen des Legalitätsprinzips.
1431. Auch
der Wortlaut von Art. 7 Abs. 2 lit. a
KG zur Geschäftsverweigerung enthalte keine notwendige Konkretisierung.
Die Bestimmung führe nicht zu einem generellen Kontrahierungszwang für das betreffende Unternehmen.
Der Wortlaut sei derart umfassend, dass jede Geschäftsverweigerung per se schon missbräuchlich
wäre, was weder vom Gesetzgeber gewollt sei noch in Lehre und Praxis verlangt werde. Folglich sei
der Wortlaut wesentlich weiter formuliert, als in der effektiven Anwendung zulässig. Wenn jedoch
eine Reduktion auf das notwendige Mass, d.h. auf die Voraussetzung einer gesetzlichen Kontrahierungspflicht
erfolge, so könne der Wortlaut nicht als ausreichend bestimmt erachtet werden.
1432. Diese
mangelnde Bestimmtheit könne auch nicht durch das Meldeverfahren gemäss Art. 49a Abs. 3 lit.
a
KG beseitigt werden. Es bestehe nach der Lehre kein Anspruch auf entsprechende Beurteilung durch die
Wettbewerbsbehörde, sodass gerade keine Rechtssicherheit gewährt werde.
1433. Darüber hinaus sei die Vorhersehbarkeit
der Wettbewerbswidrigkeit des vorliegenden Verhaltens auch aus anderen Gründen nicht gegeben.
1434. Auch
wenn es für die Vorhersehbarkeit nicht erforderlich sei, dass exakt der betreffende Fall schon einmal
entschieden worden sein müsse, so dürften doch die absolut zentralen Elemente nicht unterschiedlich
sein; ansonsten wäre die Vorhersehbarkeit nicht gegeben.
1435. Hinsichtlich
der Regelbeispiele sei die notwendige Vorhersehbarkeit zudem nur gegeben, wenn eine reichhaltige in-
und ausländische wettbewerbsrechtliche Fallpraxis bestehe.
1436. Ungeachtet
des unbestimmten Wortlauts werde der Anwendungsbereich von Art. 7 Abs. 2 lit. a
KG zur Geschäftsverweigerung
durch die Botschaft KG 1995 dahingehend präzisiert, dass
die Verweigerung von Geschäftsbeziehungen nur dann missbräuchlich sei, wenn die Vorleistung
zur Herstellung von bestimmten Produkten unerlässlich sei und sie die Ausübung der Wettbewerbsfreiheit
verunmögliche. Die Vorhersehbarkeit der Qualifizierung eines wirtschaftlichen Verhaltens als Geschäftsverweigerung
ohne diese beiden Aspekte sei demzufolge nicht gegeben, weshalb vorliegend keine Geschäftsverweigerung
vorliegen könne.
1437. Bislang
bestehe keine einschlägige schweizerische Entscheidpraxis, weil entsprechende Fälle zur Lizenzierung
von Immaterialgüterrechten, zur Geschäftsverweigerung ohne Wettbewerbsbeseitigung und zu Produkten
im Entwicklungsstadium fehlen würden. Zwar seien von der Vorinstanz verschiedene Entscheide angeführt
worden. Diese würden sich jedoch grundlegend vom vorliegenden Sachverhalt unterscheiden, weshalb
sie nicht vergleichbar seien.
1438. So
seien der schweizerischen Fallpraxis keine Beispiele zu entnehmen, wann ein Unternehmen gezwungen sei,
Wettbewerbern seine eigenen, urheberrechtlich geschützten Produktentwicklungen offen zu legen, noch
bevor das Produkt effektiv vollständig entwickelt sei. Sämtliche bekannten Fälle würden
sich auf Produkte beziehen, die als definitive Produkte schon auf dem Markt verfügbar gewesen seien.
1439. Keiner
dieser Fälle würde die Notwendigkeit einer Lizenzierung von Schnittstelleninformationen oder
von Immaterialgüterrechten im Allgemeinen betreffen.
1440. Insbesondere
die in den Entscheiden Valet Parking und EEF
beurteilten Sachverhalte seien nicht einschlägig, weil dort ein nachgelagerter Dienstleistungserbringer
nicht mehr im relevanten Markt hätte tätig sein können bzw. dessen Vertriebsweg vollständig
abgeschnitten worden sei. Vorliegend sei den Wettbewerbern aber nicht verunmöglicht worden, im massgeblichen
Markt ihre Produkte zu verkaufen; demnach sei ihnen der Vertriebsweg nicht vollständig abgeschnitten
geworden.
1441. Die
Vorhersehbarkeit einer Anwendung von Art. 7 Abs. 2 lit. f
KG sei ebenfalls nicht gegeben, weil die Beschwerdeführerinnen
von ihren Vertragspartnern bei Abschluss des Vertrags nicht verlangt hätten, zusätzliche Leistungen
zur Hauptleistung anzunehmen oder zu erbringen. Folglich gehe die von der Vorinstanz angewendete Interpretation
über den Wortlaut der Vorschrift hinaus. Deshalb sei die Vorhersehbarkeit der Wettbewerbswidrigkeit
bezüglich der vorliegenden Verhaltensweise nicht gegeben.
1442. Die
Vorhersehbarkeit könne sich überdies prinzipiell nicht aus der ausländischen Behörden-
und Gerichtspraxis, insbesondere auch nicht aus derjenigen der Europäischen Union, ergeben. Denn
die ausländische Praxis könne nicht zur inhaltlichen Bestimmung von Art. 7
KG herangezogen
werden. Es sei deshalb ausgeschlossen und schlichtweg unzumutbar, dass sich der Schweizer Normadressat
zwecks Klärung der zulässigen Verhaltensweise an beliebigen Entscheidungen ausländischer
Behörden und Gerichte orientieren müsse, um sich nach Schweizer Recht gesetzeskonform zu verhalten.
1443. Nach
einem Entscheid der Vorinstanz in Sachen Hors-Liste Medikamente
vom 2. November 2009 könne sich ein Unternehmen im umgekehrten Fall auch nicht auf die Übereinstimmung
ihrer Verhaltensweise mit dem EU-Wettbewerbsrecht berufen.
1444. Die Vorhersehbarkeit sei insbesondere
auch deshalb nicht gegeben, weil die angefochtene Verfügung von der europäischen Wettbewerbspraxis
in Sachen Magill, IMS Health,
Microsoft und Bronner erheblich abweiche. Da die angefochtene
Verfügung diese Entscheidungen mit keinem Wort erwähne, würde sie ohne Begründung
von der europäischen Wettbewerbspraxis abweichen. Demzufolge habe sich die angefochtene Verfügung
auch nicht mit diesen Entscheidungen auseinandergesetzt.
1445. Die
Entscheidpraxis der europäischen Gerichte sei bezüglich der Vorhersehbarkeit bei der Verweigerung
von Geschäftsbeziehungen eindeutig. Voraussetzung hierfür sei, dass das betreffende Verhalten
geeignet gewesen sei, jeglichen Wettbewerb durch dieses Unternehmen auszuschliessen. Hinsichtlich immaterialgüterrechtlicher
Lizenzen sei ausdrücklich festgestellt worden, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen grundsätzlich
keine Verpflichtung zur Einräumung einer Lizenz treffe und dass im Einzelfall nur aufgrund besonderer
Umstände eine solche Verpflichtung entstehen könne. Als besonderer Umstand sei dabei die Unentbehrlichkeit
der immaterialgüterrechtlichen Leistung für die Vornahme von Marktaktivitäten der Wettbewerber
qualifiziert worden.
1446. Zudem
seien die herangezogenen Entscheidungen der Europäischen Kommission in Sachen Microsoft
und IBM nicht einschlägig, weshalb daraus keine Vorhersehbarkeit
hergeleitet werden könne. Die Entscheidungen hätten vielmehr zum einen Produkte betroffen,
welche im Gegensatz zum vorliegenden Sachverhalt schon länger auf dem Markt allgemein verfügbar
gewesen seien. Zum anderen sei den Unternehmen dabei vorgeworfen worden, die Interoperabilität mit
einem marktbeherrschenden Produkt zu verhindern. Im vorliegenden Fall komme dem Produkt, für welches
die Schnittstellen hätten offengelegt werden sollen, gerade keine marktbeherrschende Stellung zu.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
1447. Die Vorinstanz hält den Tatbestand
des Art. 7
KG unter Verweis auf die bestehende Rechtsprechung für ausreichend bestimmt.
(3)
Würdigung durch das Gericht
1448. Das
Bestimmtheitsgebot bildet einen Teilgehalt des Legalitätsprinzips, welches verfassungs- und konventionsrechtlich
allgemein für alle Rechtsgebiete in Art. 5 Abs. 1
BV und darüber hinaus für den Bereich
des Strafrechts zusätzlich in Art. 7
EMRK verankert ist (vgl. BGE 138 IV 13 E. 4.1). Danach muss
ein Rechtssatz, welcher die Grundlage für eine staatliche Massnahme bildet, hinreichend klar und
bestimmt ausgestaltet sein. Hierzu muss die Norm so präzise formuliert sein, dass der Normadressat
sein Verhalten danach ausrichten und die Folgen eines bestimmten Verhaltens mit einem den Umständen
entsprechenden Grad an Gewissheit erkennen kann (vgl. BGE 138 IV 13 E. 4.1; BGE 119 IV 242 E. 1c; BGE
117 Ia 472 E. 3e; zur Feststellung im Einzelfall vgl. BGE 143 II 162 E. 3.2.1; BGE 141 IV 437 E. 3.2.1;
BGE 140 I 2 E. 10.3; BGE 135 III 433 E. 4.2, wonach das Schuldprinzip keine Anwendung auf privatrechtlich
vereinbarte Konventionalstrafen findet), bzw. dass er erkennen kann, welche Handlungen und Unterlassungen
als Straftat qualifiziert werden und welche Sanktion für die Tat angedroht wird, damit er sein Verhalten
entsprechend anpassen kann (vgl. EGMR, 15.7.2014, 45554/08, Ashlarba gg. Georgien, zit. Ashlarba,
Ziff. 33; EGMR, 12.2.2008, 21906/04, Kafkaris gg. Zypern, zit. Kafkaris,
Ziff. 140). Der Zweck des Bestimmtheitsgebots besteht im Wesentlichen darin, Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit
zu gewährleisten (vgl. BGE 143 II 162 E. 3.2.1; BGE 139 II 243 E. 10; BGE 135 I 169 E. 5.4.1; BGE
132 I 49 E. 6.2; Häfelin/Müller/Uhlmann, Verwaltungsrecht,
Rn. 368 f.; Popp Peter/Berkemeier Anne, in: Niggli/Wiprächtiger
[Hrsg.], Basler Kommentar, Straftrecht I, 3. Aufl. 2013, zit. BSK-StGB
I, Art. 1 Rn. 44; Renzikowski Joachim, in: Pabel/Schmahl
[Hrsg.], Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, 2013, zit. IKEM,
Art. 7 Rn. 52; Stratenwerth Günter, Schweizerisches
Strafrecht, Allgemeiner Teil I: Die Straftat, 4. Aufl. 2011, zit. AT
I, § 4 Rn. 3 f.). Der Grad der erforderlichen Bestimmtheit ist im Einzelfall von der Vielfalt
der zu ordnenden Sachverhalte, von der Komplexität und der Vorhersehbarkeit der im Einzelfall erforderlichen
Entscheidungen, von den Normadressaten, von der Schwere des Eingriffs in die Verfassungsrechte sowie
von der durch die jeweiligen Umstände zu konkretisierenden Sachgerechtigkeit abhängig (BGE
143 II 162 E. 3.2.1; BGE 139 II 243 E. 10; BGE 135 I 169 E. 5.4.1; BGE 132 I 49 E. 6.2). Nach einhelliger
Auffassung bezieht sich das Bestimmtheitsgebot sowohl auf den Tatbestand als auch auf die Rechtsfolgen,
und es bindet nicht nur den Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Norm, sondern auch die Rechtsprechung
bei deren Anwendung.
1449. Die Frage einer ausreichenden Bestimmtheit
der Generalklausel des Art. 7 Abs. 1
KG wurde vom Bundesgericht (vgl. BGE 139 I 72, Publigroupe,
E. 8.2.2) unter Hinweis auf divergierende Ansichten in der Literatur (vgl. bejahend Heinemann
Andreas, Direkte Sanktionen im Kartellrecht, Jusletter 21.6.2010, Sanktionen,
Rn. 24; ablehnend Wildhaber, Wettbewerbsrecht,
Rn. 87) bislang offengelassen, während die ausreichende Bestimmtheit des Regelbeispiels der Diskriminierung
anerkannt wurde (vgl. BGE 139 I 72, Publigroupe, E. 8.2.3).
1450. Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem
jüngeren Entscheid (BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 591 ff.)
in Anknüpfung an die bisherige Rechtsprechung (vgl. BVGer, B-2050/2007, Terminierung
Mobilfunk, E. 4.6) ausführlich dargelegt, dass die Bestimmtheit von Art. 7
KG aufgrund der
Möglichkeit und Notwendigkeit einer richterlichen Interpretation von Rechtsvorschriften und den
hierbei gemäss der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wie
auch des Bundesgerichts zu beachtenden Aspekten grundsätzlich in ausreichender Weise gegeben und
angesichts der wirtschaftswissenschaftlichen Aufbereitung der ökonomischen Grundlagen sowie der
Verpflichtung eines Unternehmens zur rechtlichen Abklärung des intendierten Verhaltens regelmässig
auch zu bestätigen sei (vgl. entsprechend für Wettbewerbsabreden gemäss Art. 5
KG BGE
143 II 297, Gaba, E. 9.5; BVGer, B-807/2012, Erne,
E. 11.1.3; BVGer, B-829/2012, Granella, E. 10.1.3; zur ausreichenden Bestimmtheit von Art. 102 AEUV vgl.
EuGH, EU:C:1979:36, Hoffmann-La Roche, Ziff. 130; allgemein vgl.
BGE 143 II 162 E. 3.2.1; BGE 139 II 243 E. 10; BGE 136 I 87 E. 3.1; BGE 132 I 49 E. 6.2). Insbesondere
ergebe sich weder aus konventions- oder verfassungsrechtlichen noch aus strafrechlichen Vorschriften
ein Verbot der schrittweisen Klärung einer kartellrechtlichen Regelung durch richterliche Auslegung
unter Anwendung aller Auslegungselemente (ebenso BGE 143 II 297, Gaba,
E. 9.3, 9.5 a.E.). Hieran ist festzuhalten, wobei auf eine Wiederholung der dort angeführten Darlegungen
verzichtet werden kann. Danach bleibt im Einzelfall allein zu prüfen, ob das erforderliche Mass
an Bestimmtheit aufgrund der jeweiligen Umstände für das konkrete wirtschaftliche Verhalten
ausnahmsweise nicht gegeben sein sollte.
1451. Demzufolge lässt sich ein Verstoss
gegen das Bestimmtheitsgebot entgegen den Einwänden der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 1430,
1431)
nicht allein aus dem jeweiligen Wortlaut des Art. 7 Abs. 1
KG, des Art. 7 Abs. 2 lit. a
oder des Art.
7 Abs. 2 lit. f
KG ableiten (vgl. BGE 143 II 297, Gaba, E. 9.5
a.E., für die Auslegung von Art. 49a
KG).
1452. Den massgeblichen Aspekt einer einzelfallweisen
Beurteilung der erforderlichen Bestimmtheit bildet im vorliegenden Fall wie dargestellt der Befund, dass
sowohl die Missbrauchsform der Geschäftsverweigerung (vgl. E. 781
f.) als auch diejenige der Koppelung (vgl. E. 1262
f.) Handlungsformen eines wettbewerbswidrigen Verhaltens darstellen und bereits eine lange Historie in
der Wettbewerbspraxis aufweisen. Dementsprechend hat der Gesetzgeber eine ausdrückliche Statuierung
der Geschäftsverweigerung und der Koppelung als Regelbeispiele im Rahmen der Revision des Kartellgesetzes
im Jahr 1994 vorgenommen. Damit hat er klargestellt, dass derartige Verhaltensweisen eines marktbeherrschenden
Unternehmens prinzipiell als wettbewerbswidrig zu qualifizieren sind.
1453. Daraus
ergibt sich ohne Weiteres die Verpflichtung eines Unternehmens, wirtschaftliche Verhaltensweisen, mit
denen Geschäftsbeziehungen zu anderen Wirtschaftsteilnehmern abgelehnt oder im Rahmen einer Geschäftsbeziehung
verschiedene Produkte kombiniert werden, einer genauen rechtlichen Überprüfung auf ihre wettbewerbsrechtliche
Zulässigkeit zu unterziehen. Die Vorhersehbarkeit einer Wettbewerbswidrigkeit ist demzufolge regelmässig
gegeben. Ausnahmen sind nur dann anzuerkennen, wenn angesichts spezifischer Umstände davon auszugehen
wäre, dass auch bei Anwendung der notwendigen Sorgfalt einschliesslich der Einholung von kompetenter
juristischer Beratung eine entsprechende Qualifizierung nicht hätte vorgenommen werden können.
1454. Vor diesem Hintergrund sind die Einwände
der Beschwerdeführerinnen, wonach eine Qualifzierung des in Frage stehenden Verhaltens als wettbewerbswidrig
nicht vorhersehbar gewesen sei, nicht stichhaltig.
1455. Insbesondere der Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1434),
wonach die Vorhersehbarkeit nicht vorliegen könne, wenn ein absolut zentrales Element unterschiedlich
sei, auch wenn der exakt betreffende Fall nicht schon einmal entschieden worden sein müsse, ist
angesichts der massgeblichen Grundsätze einer zulässigen Rechtsfortbildung unbeachtlich. Denn
eine Unterscheidung von "zentralen" und "nicht zentralen" Tatbestandsmerkmalen
ist weder sachdienlich noch in den einzelnen Vorschriften vorgesehen. Vielmehr ist eine Rechtsfortbildung
ungeachtet einer derartigen Differenzierung und dementsprechend auch für "zentrale"
Tatbestandsmerkmale selbst dann zulässig, wenn es sich um den ersten Rechtsfall seiner Art handelt
(vgl. EGMR, 74613/01, Jorgic, Ziff. 109; EGMR, 16.9.2004, 60819/00,
Delbos gg. Frankreich, zit. Delbos, o. Ziff. [S. 12]), soweit
das Ergebnis der Entwicklung mit dem Kern der Vorschrift in Einklang steht und vernünftigerweise
vorherzusehen war (vgl. BGE 138 IV 13 E. 4.1; EGMR, 45554/08, Ashlarba,
Ziff. 34; EGMR, 21906/04, Kafkaris, Ziff. 141; EGMR, 74613/01,
Jorgic, Ziff. 101; EGMR, 7.9.2004, 58753/00, Eurofinacom gg. Frankreich,
zit. Eurofinacom, o. Ziff. [S. 22]; EGMR, 25.9.2001, 34941/97,
Unterguggenberger gg. Österreich, zit. Unterguggenberger,
o. Ziff. [S. 13]; EGMR, 22.3.2001, 34044/96, 35532/97 und 44081/98, Streletz/Kessler/Krenz gg. Deutschland,
Ziff. 50; EGMR, 22.11.1995, 20166/92, S.W. gg. Grossbritannien, Ziff. 36).
1456. Die
Behauptung der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 1435),
eine Vewirklichung der Regelbeispiele des Art. 7 Abs. 2
KG sei nur bei Vorliegen einer reichhaltigen
in- und ausländischen Praxis vorhersehbar, ist offensichtlich verfehlt. Spätestens mit dem
ersten Entscheid ist die Verwirklichung eines Missbrauchstatbestands durch ein entsprechendes Verhalten
unzweifelhaft und ohne Weiteres erkennbar. Im Übrigen ergibt sich ein Widerspruch in der Argumentation
der Beschwerdeführerinnen, weil sie andererseits gerade behaupten, dass die Bestimmtheit einer Norm
nicht durch ausländische Entscheidungen erschlossen werden könne (vgl. E. 1442).
1457. Entgegen dem Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1442),
wonach ausländische Entscheide in Wettbewerbssachen für die Bestimmtheit der schweizerischen
Kartellrechtsvorschriften nicht herangezogen werden könnten, sind die Wettbewerbspraxis der Europäischen
Union und hierbei jedenfalls die Urteile der Europäischen Instanzgerichte durch schweizerische Unternehmen
zu berücksichtigen. Dies ergibt sich wie dargestellt (vgl. E. 512)
bereits daraus, dass der Gesetzgeber die Ausgestaltung der materiellen Kartellrechtsvorschriften -
und hierbei insbesondere Art. 7
KG - ausdrücklich an den Vorschriften des EU-Wettbewerbsrechts
ausgerichtet hat, um die auf europäischer Ebene bereits gewonnenen Erkenntnisse über die Beurteilung
eines bestimmten wirtschaftlichen Verhaltens zur Herstellung von Rechtssicherheit für das schweizerische
Recht zu nutzen (vgl. Botschaft KG 2004, 2041). Wenn aber Art.
7
KG zur Herstellung von Rechtssicherheit an der entsprechenden EU-Vorschrift ausgerichtet wurde, dann
ist es selbstredend notwendig, dass die entsprechende Wettbewerbspraxis, durch welche diese Norm erst
umgesetzt wird, berücksichtigt wird, um eine sachgerechte Beurteilung der als missbräuchlich
zu qualifizierenden Sachverhaltskonstellationen vornehmen zu können. Für diese allgemeine Anforderung
einer Berücksichtigung der EU-Wettbewerbspraxis ist es dabei entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1443)
irrelevant, ob im Einzelfall auch abweichende inhaltliche Entscheide durch die Wettbewerbskommission
ergehen können oder nicht; denn zum einen besteht im Rahmen der rechtsvergleichenden Anwendung keine
zwingende Verpflichtung zur Übernahme (vgl. E. 512)
und zum anderen kann eine Ausnahme lediglich für den jeweiligen Einzelfall Bedeutung erlangen. Die
Einwände der Beschwerdefüherinnen (vgl. E. 1437
f.), wonach keine einschlägige Fallpraxis in der Schweiz vorgelegen habe, sind daher unbeachtlich.
1458. In Tat und Wahrheit stützt sich
die Behauptung der fehlenden Vorhersehbarkeit einer Wettbewerbswidrigkeit durch die Beschwerdeführerinnen
angesichts einer langen Wettbewerbspraxis und der notwendigen Einbeziehung einer Rechtsfortbildung auch
nicht auf eine mangelnde Erkennbarkeit der zu erwartenden Einstufung des konkreten wirtschaftlichen Verhaltens,
sondern auf einer sachlich nicht berechtigten einschränkenden Interpretation der massgeblichen Vorschriften
ab, aus der dann die angeblich mangelnde Erkennbarkeit abgeleitet wird. Denn die Beschwerdefüherinnen
unterstellen ein eingeschränktes, weil objektiv nicht gerechtfertigtes Verständnis des massgeblichen
Sachverhalts und eine objektiv nicht gerechtfertigte eigene Interpretation der massgeblichen Vorschriften
für deren Anwendung.
1459. Wie
dargestellt (vgl. E. 976)
liegt der Missbrauchsvariante einer Geschäftsverweigerung entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1436)
nicht eine in der Botschaft verankerte Absicht des Gesetzgebers zu Grunde, dass die Elemente der Unerlässlichkeit
und der Wettbewerbsbeseitigung die notwendige Voraussetzung hierfür bilden würden. Aus einer
nachträglich vorgetragenen unzutreffenden Behauptung ergibt sich keine Einschränkung der vorgängigen
Vorhersehbarkeit eines wettbewerbswidrigen Verhaltens.
1460. Wie ebenfalls dargestellt (vgl. E. 780,
789
ff.) umfasst die Wettbewerbspraxis zur Geschäftsverweigerung nicht nur Sachverhaltskonstellationen,
an denen am jeweiligen Produkt ein Immaterialgüterrecht zu Gunsten des marktbeherrschenden Unternehmens
besteht, sondern vielmehr ganz unterschiedliche Sachverhaltskonstellationen auch ohne Bestand eines Immaterialgüterrechts
am jeweiligen Produkt. Daher bilden die bei einer Lizenzverweigerung erforderlichen besonderen Tatbestandsmerkmale
auch keine zwingende Voraussetzung für die Qualifizierung von anderen Varianten einer Ablehnung
von Geschäftsbeziehungen als wettbewerbswidrige Geschäftsverweigerung.
1461. Daraus ergibt sich im Hinblick auf die
Vorhersehbarkeit des Normgehalts von Art. 7 Abs. 2 lit. a
KG augenscheinlich die folgende Ausgangslage
für den vorliegenden Sachverhalt: Wenn die Wettbewerbspraxis wie im Fall Microsoft
selbst bei einem EDV-Produkt, an welchem dem marktbeherrschenden Unternehmen ein Immaterialgüterrecht
und damit ein besonderes Ausschliesslichkeitsrecht zusteht, eine Geschäftsverweigerung bejaht hatte,
dann war aufgrund eines a majore ad minus-Schlusses umso mehr davon auszugehen, dass die Wettbewerbspraxis
eine Geschäftsverweigerung bei EDV-Produkten, an denen kein besonderes Ausschliesslichkeitsrecht
in Form eines Immaterialgüterrechts besteht, ebenfalls und ohne Anforderung von besonderen Tatbestandsmerkmalen
anerkennt. Demzufolge sind die Verweise der Beschwerdeführerinnen auf das Fehlen von immaterialgüterrechtlichen
Sachverhalten (vgl. E. 1439)
bzw. umgekehrt auf die bestehenden Fälle einer Lizenzverweigerung und den sich daraus ergebenden
Voraussetzungen einer Lizenzverweigerung (vgl. E. 1445),
aus denen die angeblich mangelnde Vorhersehbarkeit für den vorliegenden Sachverhalt abgeleitet wird,
unbeachtlich.
1462. Die Wettbewerbspraxis zur Geschäftsverweigerung
weist wie dargelegt (vgl. E. 1148
ff.) auch Sachverhaltskonstellationen ohne Wettbewerbsbeseitigung auf. Demzufolge bildet eine vollständige
Beseitigung des Wettbewerbs durch die Ablehnung einer Geschäftsbeziehung auch kein zwingendes Tatbestandsmerkmal
aller Missbrauchsvarianten einer Geschäftsverweigerung. Dementsprechend stellt die Anerkennung einer
blossen Wettbewerbsbeeinträchtigung als Tatbestandsmerkmal einer Interoperabilitätsverweigerung
entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 1437,
1440)
keinen Umstand dar, der bei verständiger objektiver Würdigung nicht vorhersehbar gewesen wäre.
1463. Wie dargestellt (vgl. E. 638
ff., 686
ff., 765
ff.) handelt es sich bei verständiger objektiver Würdigung vorliegend auch nicht, wie von den
Beschwerdeführerinnen oft und in irreführender Weise wiederholt wird (vgl. 1438,
1446),
um ein Produkt im Entwicklungsstadium, dessen urheberrechtlich geschützter Inhalt noch während
der Entwicklungsphase gegenüber den Konkurrenten herauszugeben war. Vielmehr befand sich das Produkt
zum einen bereits in der Vermarktungsphase und zum anderen waren auch nicht der allenfalls urheberrechtlich
geschützte Inhalt des Produkts, sondern lediglich die notwendigen Schnittstelleninformationen für
die Akzeptanz-Plattform herauszugeben. Mithin liegt die von den Beschwerdeführerinnen behauptete
massgebliche Abweichung zu den bestehenden Fällen einer Geschäftsverweigerung aus der Wettbewerbspraxis
gerade nicht vor.
1464. Auch die Behauptung der Beschwerdeführerinnen
(vgl. 1446),
wonach die Verhinderung der Interoperabilität im Gegensatz zu den Fällen IBM
und Microsoft nicht auf ein marktbeherrschendes Produkt ausgerichtet
gewesen sei, ist unzutreffend. Wie dargelegt (vgl. E. 638
ff.) richtete sich das Eingehungsverlangen auf die Schnittstelleninformationen der Akzeptanz-Plattform
der SIX-Gruppe und damit auf das Produkt, bei dem die SIX-Gruppe marktbeherrschend ist.
1465. Auch die Behauptung der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1441),
wonach die Vorhersehbarkeit einer Koppelung nicht gegeben gewesen sei, weil bei Abschluss des Vertrags
nicht die Abnahme einer zusätzlichen Leistung zum Hauptprodukt verlangt worden sei, ignoriert die
massgebliche inhaltliche Bedeutung des Tatbestandsmerkmals der Verknüpfung, die es durch die Wettbewerbspraxis
erfahren hat. Wie dargelegt (vgl. E. 1328
ff.), erfasst eine Koppelung gemäss Art. 2 Abs. 2 lit. f
KG nicht nur vertragliche, sondern auch
faktische Koppelungen, wobei angesichts des Urteils in Sachen Tetra Pak
II bereits bekannt war, dass auch faktische Verknüpfungen von verschiedenen Nebenprodukten
ohne direkten Bezug zum Hauptprodukt das Tatbestandsmerkmal erfüllen. Daher war es bei verständiger
objektiver Würdigung aufgrund eines a majore ad minus-Schlusses vorhersehbar, dass eine Koppelung
von der Wettbewerbspraxis umso eher angenommen werden wird, wenn nicht nur eine enge Verbindung zwischen
den Nebenprodukten, sondern darüber hinaus auch ein direkter Bezug zwischen den einzelnen Nebenprodukten
und dem Hauptprodukt besteht.
1466. Da die Regelbeispiele der Geschäftsverweigerung
und der Koppelung demnach in ausreichender Weise inhaltlich bestimmt sind, ist des Weiteren auch der
Einwand der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 1432),
wonach das Meldeverfahren gemäss Art. 49a Abs. 3 lit. a
KG keine ausreichende Bestimmtheit vermittle,
weil es keine Rechtssicherheit gewähre, unbeachtlich (vgl. BGE 139 II 72, Publigroupe,
E. 8.2.3, zur Möglichkeit einer Einholung von Rechsauskünften im Rahmen des Meldeverfahrens).
1467. Als Ergebnis ist daher festzuhalten,
dass Art. 7
KG eine ausreichende inhaltliche Bestimmtheit des Tatbestands aufweist und die Qualifizierung
des vorliegenden Sachverhalts als wettbewerbswidrig bei einer verständigen objektiven Würdigung
für ein Unternehmen vorhersehbar war.
b)
Bestimmtheit
der Rechtsfolge
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
1468. Die
Rechtsfolge ist nach Ansicht der Beschwerdeführerinnen nicht ausreichend bestimmt, weshalb die Höhe
der zu erwartenden Sanktion nicht absehbar sei. Der abstrakte Bussgeldrahmen liege gemäss Vor-instanz
im vorliegenden Fall zwischen 0 CHF und 343.5 Mio. CHF. Dies stelle eine unglaublich grosse Spanne an
möglichen Bussen dar. Dabei sei die Busse durch keine absolute generelle Obergrenze beschränkt.
Eine Busse ohne entsprechende Obergrenze verletze den Bestimmtheitsgrundsatz. Es sei auch unklar, aufgrund
welcher sachlichen Kriterien die genaue Sanktionshöhe bestimmt werde.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
1469. Die Vorinstanz hält die Sanktionsdrohung
unter Hinweis auf die bestehende Rechtsprechung für ausreichend bestimmt, weil sich aus den Regelungen
des Kartellgesetzes und der KG-Sanktionsverordnung eine konkrete Sanktionsobergrenze ergebe. Die Vorinstanz
habe sich bei der Sanktionsbemessung an die Vorgaben der KG-Sanktionsverordnung gehalten, sodass die
Rechtsfolge auch im konkreten Fall vorhersehbar gewesen sei.
(3)
Würdigung durch das Gericht
1470. Das Bestimmtheitsgebot erstreckt sich
auch auf die Anforderung einer ausreichenden Bestimmtheit der Rechtsfolge einer Vorschrift (vgl. E. 1448).
1471. Sinn und Zweck des Bestimmtheitsgebots
in Bezug auf die Rechtsfolgen besteht zum einen darin, dass die Rechtsunterworfenen erkennen können,
welche Auswirkungen ein rechtswidriges Verhalten nach sich zieht. Zum anderen bietet eine ausreichende
Bestimmtheit die Gewähr, dass den zuständigen Behörden und Gerichten durch den Gesetzgeber
ein Rahmen vorgegeben wird, in dem sich die im Einzelfall verhängten Sanktionen zu bewegen haben,
wodurch die prinzipielle Angemessenheit im Verhältnis zu sonstigen Sachverhalten sichergestellt
und eine Verhängung von völlig willkürlichen Sanktionen verhindert wird.
1472. Die Sanktionierung eines kartellrechtswidrigen
Verhaltens ergibt sich aus Art. 49a
KG sowie den Bestimmungen der Verordnung des Bundesrats
über die Sanktionen bei unzulässigen Wettbewerbsbeschränkungen vom 12. März 2004
(KG-Sanktionsverordnung, SVKG, SR
251.5), welche der Bundesrat gestützt auf die in Art. 60
KG
verankerte Kompetenz zum Erlass von Ausführungsvorschriften erlassen hat. Die Sanktionsvorschriften
beruhen demzufolge auf einer ausreichenden formalen Rechtsgrundlage.
1473. Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem
jüngeren Entscheid (BverwG, B-7633/2009, ADSL II, E. 619
ff.) ausführlich dargelegt, dass die Bestimmtheit der Rechtsfolgen gemäss Art. 49a Abs. 1
KG
i.V.m. den Regelungen der Sanktionsverordnung in ausreichender Weise gegeben ist. Hieran ist ausdrücklich
festzuhalten, wobei auf eine Wiederholung der dort angeführten Darlegungen verzichtet werden kann.
Weder das Bundesgericht noch das Bundesverwaltungsgericht hat in den bislang ergangenen Urteilen zu Sanktionsentscheidungen
der Vorinstanz festgestellt, dass die Rechtsfolge des Art. 49a
KG zu unbestimmt sei (vgl. BGE 139 I 172,
Publigroupe, E. 12.2 und 12.3 [nicht publ.]; BGE 143 II 297, Gaba,
E. 9.7.1; BGer, 2C_63/2016, BMW, E. 6; BVGer, B-807/2012, Erne,
E. 11.1.3 a.E.; BVGer, B-829/2012, Granella, E. 10.1.3c).
1474. Es ist daher festzuhalten, dass die inhaltliche
Bestimmtheit der sich aus Art. 49a
KG ergebenden Rechtsfolgen für ein Unternehmen in ausreichender
Weise gegeben ist. Die von den Beschwerdeführerinnen geltend gemachte Rüge wegen einer mangelnden
Bestimmtheit der Rechtsfolgen (vgl. E. 1468)
ist daher unbegründet.
2)
Verschulden
a)
Sanktionscharakter
des Art. 49a
KG
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
1475. Die
Beschwerdeführerinnen machen geltend, dass es sich bei der Sanktion gemäss Art. 49a
KG um eine
echte Strafe im Sinne des Strafrechts handle. Aufgrund des demzufolge massgeblichen Schuldprinzips dürften
keine verschuldensunabhängigen Strafen verhängt werden, wodurch eine schlichte Erfolgshaftung
ausgeschlossen sei. Die Sanktionierung verletze Art. 333 Abs. 7
StGB, weil sie trotz Fehlens eines rechtsgenüglichen
Vorwerfbarkeitsnachweises ausgesprochen worden sei. Die Vorinstanz habe im vorliegenden Fall gegen das
strafrechtliche Schuldprinzip verstossen.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
1476. Die Vorinstanz stützt sich auf das
Ergebnis ab, das nachfolgend im Rahmen der Würdigung durch das Gericht dargestellt wird.
(3)
Würdigung durch das Gericht
1477. Das
Schuldprinzip besagt, dass in Strafverfahren ein Beschuldigter nur dann verurteilt werden darf, wenn
ein Verschulden und damit eine persönliche Verantwortlichkeit für die Tat gegeben sind (nulla
poena sine culpa). Es wird nach überwiegender Auffassung aus der Unschuldsvermutung in Art. 31 Abs.
2
BV und Art. 6 Abs. 2
EMRK abgeleitet (vgl. Tophinke Esther,
in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2010,
zit. BSK-StPO, Art. 10
Rn. 19). Als Ausprägung des Schuldprinzips
gilt Art. 12
StGB, wonach nur ein vorsätzliches oder allenfalls ein fahrlässiges Handeln eine
Ahndung wegen einer Straftat zulässt. Art. 333 Abs. 7
StGB, auf den sich die Einwände der Beschwerdeführerinnen
abstützen, erweitert diese Regelung auf Taten, die in anderen Bundesgesetzen mit Strafe bedroht
sind, wobei prinzipiell eine fahrlässige neben einer vorsätzlichen Begehung möglich ist.
1478. Im
Hinblick auf die Ausgestaltung der kartellrechtlichen Verantwortlichkeit von juristischen Personen einschliesslich
von Konzerngesellschaften (vgl. E. 1491)
erfordern bestimmte Aspekte des Schuldprinzips besondere Beachtung. Straftatbestände dürfen
durch den Gesetzgeber grundsätzlich nicht in solch einer Weise ausgestaltet werden, dass dadurch
die Notwendigkeit einer Feststellung an persönlicher Verantwortlichkeit des Täters ausgeschlossen
würde. Nicht vereinbar mit dem Schuldprinzip ist es entsprechend den Einwänden der Beschwerdeführerinnen
(vgl. auch E. 1482
ff.) daher, (i) eine schlichte Erfolgshaftung zu statuieren, bei der aus dem blossen Eintritt eines Erfolgs
auf die Schuld des Betroffenen geschlossen wird (vgl. Tophinke,
BSK-StPO, Art. 10 Rn. 22; a.M. Gollwitzer
Walter, Menschenrechte im Srafverfahren, 2005, Art. 6 Rn. 138), (ii) einen blossen Verdacht als
Grundlage für eine Strafbarkeit genügen zu lassen, (iii) im Rahmen eines Tatbestands unwiderlegbare
Vermutungen zu Lasten des Betroffenen vorzusehen, oder (iv) eine Haftung für fremde Schuld zu statuieren.
Allerdings werden auch gewisse Einschränkungen des Schuldprinzips anerkannt, die von den Beschwerdeführerinnen
im Rahmen ihrer Vorbringen nicht berücksichtigt werden. So wird es als zulässig erachtet, die
Strafbarkeit durch abstrakte Gefährdungsdelikte vorzuverlegen (vgl. Tophinke,
BSK-StPO, Art. 10 Rn. 22 m.w.H.). Gesetzliche Rechts- und Tatsachenvermutungen
werden anerkannt, wenn sie sich innerhalb vernünftiger Grenzen halten und die Rechte der Verteidigung
wahren (vgl. EGMR, 7.10.1988, 10519/83, Salabiaku gg. Frankreich, Ziff. 28; EGMR, 25.9.1992, 13191/87,
Pham Hoang gg. Frankreich, Ziff. 33; kritisch Müller/Schefer,
Grundrechte, 984). Aus diesem Grund sind Beweislastumkehrungen
grundsätzlich möglich, wenn sie dem Betroffenen die Möglichkeit eröffnen, den Gegenbeweis
zu erbringen (vgl. EuGH, 21.1.2016, C-74/14, Eturas UAB u.a. gg. Lietuvos Respublikos konkurencijos taryba,
EU:C:2016:124:42, Ziff. 38 ff.). Dies gilt insbesondere für Beweislastverschiebungen bei entlastenden
Tatsachen (vgl. Waser, Grundrechte,
157; Wiprächtiger Hans/Zimmerlin Sven, Kartellrechtliche
Verantwortlichkeit aus der Sicht des Strafrechts und Strafprozessrechts, in: Niggli/Amstutz [Hrsg.],
Verantwortlichkeit im Unternehmen, zivil- und strafrechtliche Perspektiven, 2007, 206, zit. Verantwortlichkeit,
228). Bei schwerwiegenden Sanktionen muss dem Betroffenen jedenfalls die Möglichkeit offenstehen,
durch geeignete Massnahmen den Nachweis zu erbringen, dass die einem Entscheid zu Grunde liegenden Tatsachen
unzutreffend sind (vgl. Waser, Grundrechte,
161; Wiprächtiger/ Zimmerlin, Verantwortlichkeit,
228).
1479. Das
Bundesverwaltungsgericht hat angesichts der im Schrifttum vertretenen unterschiedlichen Ansichten im
Rahmen eines jüngeren Entscheids (BVerG, B-7633/2009, ADSL II,
E. 674 ff. m.w.H.) unter Rückgriff auf die grundlegende bundesgerichtliche Rechtsprechung (vgl.
BGE 139 I 72, Publigroupe, E. 2.2.1, 4.4; BGE 140 II 384, Spielbanken,
E. 3.3.6) ausführlich aufgezeigt, dass ein Verfahren über ein wettbewerbswidriges Verhalten
einerseits ein Verwaltungsverfahren und kein Strafverfahren darstellt und demzufolge bei Kartellsanktionen
strafrechtliche und strafprozessuale Vorschriften grundsätzlich keine Anwendung finden, sondern
strafrechtliche Grundsätze nur insoweit zu berücksichtigen sind, als dies aufgrund höherrangigen
Rechts im Rahmen einer verfassungs- und konventionskonformen Auslegung zwingend geboten ist. Daher scheidet
entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 1475)
die Notwendigkeit eines Rückgriffs auf Art. 333 Abs. 7
StGB aus. Andererseits kommt einer Sanktion
des Art. 49a
KG ein strafrechtsähnlicher Charakter zu, weil sie die für strafrechtliche (Anklage-)Verfahren
im Sinne von Art. 6
EMRK vorausgesetzten Kriterien erfüllt. Dies hat eine analoge Anwendung von
strafrechtlichen Grundsätzen mit verfassungs- und konventionsrechtlichen Bezügen zur Folge.
Dabei können sich angesichts von Anwendungsbereich und Zielsetzung der jeweiligen Tatbestände
im Einzelfall inhaltliche Anpassungen der strafrechtlichen Grundsätze auf verwaltungsrechtliche
Sachverhalte ergeben, soweit dies sachlich gerechtfertigt ist und die jeweiligen strafrechtlichen Grundsätze
nicht vollständig ihres Inhalts beraubt werden. An diesen Feststellungen ist auch unter Berücksichtigung
der neuesten Rechtsprechung ausdrücklich festzuhalten (vgl. BVGer, B-807/2012, Erne,
E. 6.3, 6.5.3.1; BVGer, B-581/2012, Nikon, E. 5.1), wobei auf
eine Wiederholung der entsprechenden Darlegungen verzichtet werden kann.
1480. Im Hinblick auf die Verantwortlichkeit
für ein kartellrechtswidriges Verhalten ist demnach eine völlig verschuldensunabhängige
Verantwortung des jeweiligen Wirtschaftsteilnehmers ausgeschlossen. Dieser Anforderung wird die bisherige
Praxis jedenfalls seit einem Urteil der Rekurskommission für Wettbewerbsfragen im Jahr 2002 (REKO/WEF,
7.3.2002, RPW 2002/2, 386, Rhône-Poulenc S.A./Merck &
Co. Inc. gg. Weko, E. 3.3) mit der Prüfung des subjektiven Verschuldens unter dem Begriff der Vorwerfbarkeit
als Voraussetzung der Sanktionierung eines Kartellrechtsverstosses gemäss Art. 49a
KG gerecht (vgl.
BVerG, B-7633/2009, ADSL II, E. 655; vgl. E. 1488).
Dem entspricht die heute herrschende Ansicht in der Literatur, die ebenfalls eine subjektive Verantwortlichkeit
für die Sanktionierung eines Kartellrechtsverstosses voraussetzt (vgl. Borer,
KG, Art. 49a Rn. 11; David/Jacobs,
WBR, Rn. 769; Hangartner,
Aspekte, 251 ff., 274 ff.; Krauskopf
Patrick L., in: Zäch u.a. [Hrsg.], Kartellgesetz, Kommentar, 2018, zit. Dike-KG,
Art. 49a Abs. 1-2 Rn. 26 f.; Niggli Marcel Alexander/Riedo Christof,
in: Amstutz/ Reinert [Hrsg.], Basler Kommentar, Kartellgesetz, 2010, zit. BSK-KG,
Vor Art. 49a-53 Rn. 105 f.; Spitz Philippe,
Ausgewählte Problemstellungen im Verfahren und bei der praktischen Anwendung des revidierten Kartellgesetzes,
sic! 2004, 553, zit. Problemstellungen, 564 f.; Reinert,
SHK-KG, Art. 49a Rn. 5; Roth,
CR-Concurrence, Rem art. 49a
-53
Rn. 39 ff.; Tagmann
Christoph, Die direkten Sanktionen nach Art. 49a
KG, 2007, zit. Sanktionen,
72; Tagmann/Zierlick, BSK-KG,
Art. 49a Rn. 10; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 3.220).
1481. Da
die inhaltlichen Voraussetzungen und Schranken des Schuldprinzips für das Verhalten natürlicher
Personen entwickelt wurden und ihre vorbehaltlose Übernahme zur konkreten Ausgestaltung des Schuldprinzips
bei einer Anwendung auf juristische Personen, nicht rechtsfähige Rechtsgemeinschaften oder einfache
Wirtschaftsgemeinschaften angesichts von deren anders gelagerten organisatorischen Strukturen und Handlungsmöglichkeiten
ausscheidet, steht demzufolge nur noch in Frage, welche Kriterien und Voraussetzungen des Verschuldens
für die unterschiedlichen Fallgestaltungen einer Verwirklichung von kartellrechtlichen Tatbeständen
zur Anwendung gelangen (vgl. BVerG, B-7633/2009, ADSL II, E. 658).
b)
Nachweis
des Verschuldens
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
1482. Wegen
des von den Beschwerdeführerinnen postulierten strafrechlichen Charakters der Sanktion gemäss
Art. 49a Abs. 1
KG ergibt sich nach ihrer Auffassung gemäss Art. 12 Abs. 3
StGB ein subjektiv-individu-eller
und kein objektiver Sorgfaltsmassstab. Daher könne nicht vom Bestehen eines objektiven Tatbestandsmerkmals
in Gestalt eines Wettbewerbsverstosses ohne Weiteres auf den subjektiven Tatbestand der Unternehmensmitarbeiter
oder auf ein weiteres Organisationsverschulden des Unternehmens gemäss Art. 102
StGB geschlossen
werden. Dies würde zu einer schlichten Erfolgshaftung
und damit zu einer verschuldensunabhängigen Strafbarkeit führen, welche schon aufgrund von
Art. 333 Abs. 7
StGB ausgeschlossen wäre.
1483. Im
Rahmen von Art. 102
StGB könne eine Unternehmensstraftat nur derjenigen Konzerngesellschaft zugerechnet
werden, innerhalb der sie tatsächlich begangen worden sei. Demnach sei eine Konzernmuttergesellschaft
nur haftbar für jene Straftaten, welche in ihr selbst begangen würden, nicht jedoch für
andere, in Konzerntochtergesellschaften begangene Handlungen.
1484. Das
blosse Abstellen auf den kartellrechtlichen Unternehmensbegriff führe zudem zu einer unzulässigen
Gleichsetzung von Mutter- und Tochtergesellschaften in Bezug auf ihre (kartell-)strafrechtliche Verantwortlichkeit.
Unter Ausserachtlassung des kartellrechtlichen Individuums und der juristischen Person führe ein
solcher Ansatz im Ergebnis zu einer Konzernsippenhaftung, nach der Muttergesellschaften faktisch kausal
für das Verhalten sämtlicher Tochtergesellschaften haften würden, unabhängig von
einem eigenen (Organisations-)Verschuldensbeitrag. Dadurch werde der eigentliche Zweck des Kartellbussenrechts,
die Abschreckung, vollkommen verfehlt. Denn der Einbezug in die originäre Verantwortung ohne eigenes
Verschulden bewirke keinerlei zusätzliche Abschreckungswirkung. Eine pauschale Haftungszurechnung
würde die Muttergesellschaft ferner dazu verpflichten, jede einzelne ihrer Tochtergesellschaften
umfassend zu kontrollieren. Hierdurch würde die Organisationsform des Konzerns die Flexibilität
als grössten Vorzug verlieren.
1485. Die Busse sei auch der Beschwerdeführerin
1 vollumfänglich auferlegt worden. Diese sei im Zeitpunkt der vorgeworfenen Verhaltensweise jedoch
noch nicht die Muttergesellschaft der Beschwerdeführerinnen 2 gewesen. Selbst wenn die Existenz
der Beschwerdeführerin 1 vorausgesetzt werden würde, hätte sie im damaligen Zeitpunkt
mangels Kontrolle über die handelnden Gesellschaften deren angeblich tatbestandsmässiges Verhalten
nicht beeinflussen und demzufolge auch nicht verhindern können. Entsprechend könne mit Bezug
auf die SIX-Gruppe auch keine Sorgfaltspflichtverletzung der Beschwerdeführerin 1 festgestellt werden.
Die Beschwerdeführerin 1 werde demnach strafrechtlich verantwortlich gemacht für ein Vergehen,
welches sie im Zeitpunkt der Begehung weder habe kennen noch verhindern können. Die angefochtene
Verfügung beinhalte keine Begründung hierfür. Eine Strafbarkeit trotz fehlender Möglichkeit
einer Verhinderung sei gleichbedeutend mit reinem Erfolgsstrafrecht und damit nicht verschuldensabhängig.
Dies verletze strafrechtliche und verfassungsrechtliche Grundsätze in eklantanter Weise.
1486. Auch
im Rahmen einer kartellrechtlichen Haftungsnachfolge stehe die normative Kategorie der Vorwerfbarkeit
im Vordergrund. Eine spätere Eingliederung in einen anderen Konzern führe deshalb keineswegs
zwangsläufig zur Haftung der anderen Konzernteile. Selbst dann, wenn dem Erwerber bekannt wäre,
dass die erworbenen Unternehmen vor ihrem Erwerb an einer Zuwiderhandlung beteiligt gewesen seien, führe
dies nicht dazu, dass auch ihm die Zuwiderhandlungen zugerechnet werden könnten. Denn grundsätzlich
bleibe ein Unternehmen so lange haftbar, wie es als juristische Person existiere. Bleibe ein Unternehmen,
das den Verstoss unmittelbar begangen habe, auch nach einer Umstrukturierung bestehen, so hafte es grundsätzlich
auch weiterhin. Behalte ein übernommenes Unternehmen seine rechtliche Selbstständigkeit, so
könne die Geldbusse sehr wohl weiterhin gegen das übernommene Unternehmen verhängt werden.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
1487. Die Vorinstanz macht unter Verweis auf
die bisherige Praxis im Wesentlichen geltend, dass für den Nachweis eines Verschuldens dem Unternehmen
zumindest eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung im Sinne der Vorwerfbarkeit angelastet werden können
müsse, was im Ergebnis vorliegend der Fall sei.
(3)
Würdigung durch das Gericht
(a)
Ausgangslage
1488. Aufgrund
der bisherigen Rechtsprechung ist die Vorwerfbarkeit eines wettbewerbswidrigen Verhaltens gemäss
Art. 49a Abs. 1
KG bei einem pflichtwidrigen Fehlverhalten von Mitgliedern der Führungsgremien und
Mitarbeitern des Unternehmens gegeben, welches sowohl eine Sorgfaltspflichtverletzung durch ein aktives
Handeln oder eine Unterlassung als auch einen Sorgfaltsmangel im Sinne eines Organisationsverschuldens
umfasst (vgl. zusammenfassend BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E.
674 f.; BGE 143 II 297, Gaba, E. 9.6.2; BGE 139 I 72,
Publigroupe, E. 12.2.2 [nicht publ.]; BVGer, B-771/2012,
Cellere, E. 9.3.3; BVGer, B-807/2012, Erne,
E. 11.2.1; BVGer, B-581/2012, Nikon, E. 8.2.2; BVGer, B-506/2010,
Gaba, E. 14.3.5; BVGer, B-2977/2007, Publigroupe,
E. 8.2.2.1; BVGer, B-2157/2006, Valet Parking, E. 4.2.6).
1489. Aus diesem Grund ist für die Begründung
der Vorwerfbarkeit das Vorliegen eines Sorgfaltsmangels im Sinne eines Organisationsverschuldens auf
Seiten des Unternehmens ausreichend. Wird ein solches Organisationsverschulden im Einzelfall nachgewiesen,
bedarf es keiner weiteren Abklärungen von Seiten der Wettbewerbsbehörden oder der Gerichte
im Hinblick auf die Verwirklichung des Verschuldens aufgrund eines sonstigen aktiven oder passiven Fehlverhaltens.
Gleichfalls bedarf es keiner Abklärungen im Hinblick auf eine vorsätzliche Begehung, soweit
die Umstände einer fahrlässigen Begehung des wettbewerbswidrigen Verhaltens dargelegt werden.
Zudem kann ohne Weiteres eine Zuordnung des konkreten Verhaltens zum jeweiligen Unternehmen vorgenommen
werden, ungeachtet dessen, ob es in Bezug zu einem aktiven oder passiven Verhalten oder zu einem Organisationsverschulden
gesetzt wird (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 674 f.).
1490. Diese Feststellung der Vorwerfbarkeit
einschliesslich der Zurechnung eines Verhaltens von Mitarbeitern an das massgebliche Kartellrechtssubjekt
oder der Bejahung eines Organisationsverschuldens auf Seiten des Unternehmens führt entgegen der
Ansicht der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 1482)
nicht unzulässigerweise zu einer verschuldensunabhängigen Bestrafung (vgl. BVGer, B-7633/2009,
ADSL II, E. 677). Denn hinsichtlich der Sorgfaltsanforderungen,
denen ein Unternehmen bei seinem wirtschaftlichen Verhalten im Rahmen seiner Teilnahme am Wettbewerb
zu genügen hat, sind verschiedene Aspekte zu beachten.
1491. Den
gesetzlich oder gesellschaftsintern vorgesehenen Mitgliedern der Führungsgremien von Gesellschaften
als juristische Personen einschliesslich von Gruppengesellschaften eines Konzerns kommt im Hinblick auf
die gesamte Geschäftstätigkeit des Unternehmens aufgrund von gesellschaftsrechtlichen Vorschriften
wie etwa Art. 717 Abs. 1
und Art. 812 Abs. 1
OR die Verpflichtung zu, die Geschäftstätigkeit
sorgfaltsgemäss auszugestalten und im laufenden Geschäftsbetrieb umzusetzen, was etwa gemäss
Art. 716a Abs. 1 Ziff. 5
und Art. 810 Abs. 2 Ziff. 4
OR die Beachtung aller einschlägigen gesetzlichen
Bestimmungen einschliesst (vgl. Böckli Peter, Schweizer
Aktienrecht, 4. Aufl. 2009, § 13 Rn. 378 ff., 563 ff.; spezifisch zur Oberaufsichtspflicht
hinsichtlich der Befolgung von Gesetzen im Konzern vgl. Böckli
Peter, Die Stellung des Verwaltungsrates einer in den Konzern eingeordneten Untergesellschaft,
in: Baer Charlotte M. [Hrsg.], Vom Gesellschafts- zum Konzernrecht, 2000, 37 f., 54 f.,
78 f.; Buff Herbert, Compliance, 2000, Rn. 132, 137 f.;
Vogel Alexander, Neuere Tendenzen im Konzern(haftungs)recht,
in: Schweizer/Burkert/Gassser [Hrsg.], Festschrift Jean Nicolas Druey, 2002, 607 ff., 618 f.;
von Büren Roland, Der Konzern - Rechtliche
Aspekte eines wirtschaftlichen Phänomens, in: von Büren/Girsberger/Kra-mer/Sutter-Somm/Tercier/Wiegand
[Hrsg.], Schweizerisches Privatrecht, Bd. VIII/6, 2. Aufl. 2005, 63). Den Verantwortlichen eines
Unternehmens kommt somit die Verpflichtung zu, einen rechtmässigen Geschäftsbetrieb sicherzustellen.
Diese Verpflichtung umfasst auch die Beachtung der Wettbewerbsvorschriften durch die Umsetzung eines
dauerhaft wettbewerbskonformen Verhaltens (vgl. BGE 143 II 297, Gaba,
E. 9.6.2; BVGer, B-807/2012, Erne, E. 11.2.4, 11.2.5 a.E.; BVGer,
B-7633/2009, ADSL II, E. 677; Borer,
KG, Art. 49a Rn. 11 f.; Krauskopf,
Dike-KG, Art. 49a Abs. 1-2 Rn. 27).
1492. Grundsätzlich kann unterstellt werden,
dass ein Unternehmen zur Verfolgung seiner geschäftlichen Aktivitäten auf den jeweiligen Positionen
innerhalb seines Geschäftsbetriebs nur Mitarbeiter einsetzt, welche aufgrund ihrer individuellen
Persönlichkeit, Ausbildung und Erfahrung in der Lage sind, bei Ausübung der entsprechenden
Tätigkeiten jedenfalls diejenige Sorgfalt anzuwenden, die aus objektiver Sicht für eine ordnungsgemässe
Bearbeitung und Behandlung der hierbei regelmässig anfallenden Sachverhalte sachlich notwendig ist
und angesichts der Umstände des Einzelfalls üblicherweise erwartet werden kann. Dabei hat das
Unternehmen durch eine entsprechende Auswahl und Schulung der Mitarbeiter sowie deren Kontrolle sicherzustellen,
dass die jeweiligen Anforderungen erfüllt werden. Wenn dies nicht gewährleistet wäre,
müsste andernfalls davon ausgegangen werden, dass bereits ein Organisationsmangel auf Seiten des
Unternehmens vorläge, weil es Mitarbeiter für Tätigkeiten einsetzen würde, welche
den sich daraus ergebenden Anforderungen an ein rechtmässiges Verhalten nicht gewachsen sind (vgl.
BVGer, B-7633/ 2009, ADSL II, E. 677; BVGer, B-771/2012, Cellere,
E. 9.3.3; BVGer, B-807/2012, Erne, E. 11.2.5 a.E.). Soweit einzelne
Mitarbeiter die jeweilige Sorgfaltspflicht durch ein aktives Handeln oder ein Unterlassen vorsätzlich
oder fahrlässig verletzen, ist zumindest davon auszugehen, dass im Rahmen des Geschäftsbetriebs
eine ausreichende Kontrolle dieser Mitarbeiter nicht stattgefunden hat und ebenfalls ein Organisationsmangel
vorliegt. Darüber hinaus würde die Verpflichtung zu einem gesetzesmässigen Verhalten in
diesen Fällen auch unmittelbar verletzt, weil grundsätzlich unterstellt werden kann, dass ordnungsgemäss
eingesetzte und geschulte Mitarbeiter zur Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen in der Lage sind.
Gleiches gilt ohne Weiteres auch für die Mitglieder der Führungsgremien. Die Verpflichtung
zur Einhaltung von gesetzlichen Anforderungen einschliesslich der kartellrechtlichen Vorschriften bildet
demzufolge den grundlegenden Bezugspunkt der kartellrechtlichen Vorwerfbarkeit eines wettbewerbswidrigen
Verhaltens durch ein Unternehmen.
1493. Diese Sorgfaltsanforderung zur Einhaltung
der kartellrechtlichen Vorschriften wird bei der Verwirklichung eines wettbewerbswidrigen Verhaltens
regelmässig - wenn auch nicht zwingend - unmittelbar oder mittelbar verletzt worden
sein (vgl. BGE 143 II 297, Gaba, E. 9.6.2; BVGer, B-7633/2009,
ADSL II, E. 677; BVGer, B-807/2012, Erne,
E. 11.2.5 a.E.). Soweit keine gegenteiligen Umstände, wie z.B. auf eigene Rechnung arbeitende Mitarbeiter,
für die Wettbewerbsbehörden im Rahmen der Untersuchung ersichtlich oder durch das Unternehmen
belegt werden, hat das Unternehmen für diese Sorgfaltspflichtverletzung einzustehen, weil das Kartellgesetz
keine Zurechenbarkeit gegenüber bestimmten einzelnen natürlichen Personen verlangt, sondern
eine solche gegenüber dem Unternehmen als gesetzlich vorgesehenes Kartellrechtssubjekt ausreichen
lässt (vgl. BGE 139 I 72, Publigroupe, E. 3.2). Diese Zuweisung
von Verantwortlichkeit im Rahmen einer Sanktionierung gemäss Art. 49a Abs. 1
KG entspricht auch
den Anforderungen des Schuldprinzips, weil entsprechende Beweislastverschiebungen zulässig sind
(vgl. E. 1478;
BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 677).
1494. Da
ein Konzern als Unternehmen im Sinne von Art. 2 Abs. 1
bis KG
zu qualifizieren ist (vgl. E. 39
ff.), sind Handlungen und Sorgfaltspflichtverletzungen, die innerhalb des Konzern eintreten, ohne Weiteres
auch diesem als gesetzlich vorgesehenem massgeblichem Kartellrechtssubjekt zuzurechnen (vgl. BVGer, B-7633/2009,
ADSL II, E. 678; im Ergebnis so bereits BGE 139 I 72,
Publigroupe, E. 3.4 [nicht publ.]; siehe auch BVGer, B-807/2012,
Erne, E. 11.2.4).
1495. Die
regelmässig notwendige Einbeziehung der Konzernobergesellschaft in das Kartellverwaltungsverfahren
(vgl. E. 121
ff.) ergibt sich dabei auch aus dem Bezugspunkt, den der Gesetzgeber in Art. 49a Abs. 1
KG für die
Sanktionierung vorgegeben hat. Denn die Sanktionierung ist bei einem Konzern am Konzernumsatz auszurichten
(vgl. E. 1560).
Dies wird auch von den Beschwerdeführerinnen nicht in Frage gestellt. Wenn sich eine Sanktion am
Konzernumsatz ausrichtet, dann muss auch sichergestellt sein, dass das Haftungssubjekt überhaupt
in der Lage ist, diese Sanktion zu erfüllen, weil diese ansonsten von vornherein ins Leere laufen
würde. Da nicht davon ausgegangen werden kann, dass eine einzelne Gruppengesellschaft für eine
am Konzernumsatz ausgerichtete Sanktion aufkommen kann, bedarf es daher eines Einbezugs der Konzernobergesellschaft,
weil nur dann sichergestellt ist, dass die Sanktion auch erfüllt wird. Andernfalls würden sich
den Unternehmen Umgehungsstrategien eröffnen, aufgrund deren ein wettbewerbswidriges Verhalten faktisch
allenfalls gar nicht mehr oder nicht mehr ausreichend sanktioniert werden könnte.
1496. Angesichts dessen stellt auch bei Umstrukturierungen
allein das (weitere) Bestehen einer wettbewerbswidrig handelnden Konzerntochtergesellschaft entgegen
dem Einwand der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 1486)
keinen Grund dar, die Sanktionierung auf diese Konzerntochtergesellschaft zu beschränken.
1497. Auch der Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1484),
wonach der Abschreckungseffekt bei einem Einbezug der Konzernobergesellschaft verloren gehen würde,
vermag nicht zu überzeugen. Vielmehr ergibt sich aus der Einbeziehung der Konzernobergesellschaft
genau das Gegenteil. Zudem kann die Zusammenführung von einzelnen juristischen Personen in einem
Konzern auch nicht dazu führen, dass in diesem Verbund die wettbewerbswidrigen Aktivitäten
delegiert und bei deren späterer Aufdeckung dann lediglich die Konzerntochtergesellschaft in Anspruch
genommen werden könnte. Das gesetzliche Konzept des Unternehmens als massgebliches Kartellrechtssubjekt
verhindert gerade die Umsetzung von Umgehungsstrategien, die sich andernfalls einstellen würden
(zur Umstrukturierung mit Untergang einer wettbewerbswidrig handelnden Konzerntochergesellschaft während
des Beschwerdeverfahrens vgl. BVGer, B-771/2012, Cellere, E. 9.5.5).
1498. Die von den Beschwerdeführerinnen
vorgebrachten Einwände (vgl. E. 1484
f.) beruhen zum einen auf einer rein gesellschaftsrechtlichen Betrachtung unter Anwendung des Trennungsprinzips
für einzelne juristische Personen sowie zum anderen auf einer Ausserachtlassung der massgeblichen
kartellrechtlichen Subjektsstruktur. Sie verkennen damit die Bedeutung der ausdrücklichen Statuierung
eines eigenständigen Rechtssubjekts für das Kartellrecht durch den Gesetzgeber in Art. 2 Abs.
1
bis KG. Dieses Kartellrechtssubjekt orientiert
sich nicht an vorgegebenen Strukturen des Gesellschafts- oder Personenrechts, sondern geht bewusst über
diese hinaus. Das Kartellgesetz weist daher eine eigenständige Subjektstruktur auf (vgl. E. 37).
Daher bildet auch der Konzern als Ganzes das massgebliche Kartellrechtssubjekt und nicht einzelne Konzerngesellschaften.
Bei einem Konzern besteht daher hinsichtlich der Verantwortlichkeit weder die Notwendigkeit noch die
Möglichkeit, entgegen der ausdrücklichen kartellrechtlichen Subjektstruktur auf einzelne gesellschaftsrechtliche
Rechtssubjekte abzustellen. Wie dargelegt (vgl. E. 51),
ist eine Differenzierung innerhalb der Konzerngesellschaften unter Aufrechterhaltung des Konzernprivilegs
gar nicht möglich. Daher ist es im Rahmen des Kartellrechts auch unerheblich, ob die Zurechnung
zur Konzernobergesellschaft aus gesellschaftsrechtlicher Sicht nach Ansicht der Beschwerdeführerinnen
eine "Konzernsippenhaftung" darstellt.
1499. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen,
dass die Rechtsordnung durchaus Durchbrechungen des Trennungsprinzips sowohl bei der Rechtsetzung als
auch im Rahmen der Rechtsanwendung anerkannt hat, mit denen jeweils eine Gesamtbetrachtung des Konzerns
ermöglicht wird (vgl. Kunz Peter V., Konzernhaftungen
in der Schweiz, Der Gesellschafter - GesRZ, 2012/5, 282 ff., zit. Konzernhaftungen,
285 m.w.H.). So hat der Gesetzgeber bei der Rechnungslegung mit Art. 963
OR zur Konzernrechnungslegung,
der Besteuerung mit Art. 61 Abs. 1 lit. d
und Abs. 2
DBG zur Konzernbesteuerung, der Finanzmarktaufsicht
mit den Art. 43 Abs. 3
FINMAG und Art. 18 Abs. 3
NBG zur konsolidierten Aufsicht sowie der Wertpapierverwahrung
mit Art. 33 Abs. 3 lit. b
WEG zur Qualifizierung von Drittverwahrungsstellen besondere Vorschriften zur
einheitlichen Erfassung von Unternehmensgruppen statuiert. Die Rechtsprechung hat unter den Gesichtspunkten
der Durchgriffshaftung (vgl. BGE 137 III 553 E. 2.3.1; BGE 130 III 495 E. 4.2.4; BGE 113 II 31 E. 2c),
der faktischen bzw. materiellen Organschaft (gestützt auf Art. 754
OR; vgl. BGE 141 III 159 E. 2.3;
128 III 92 E. 3a; BGer, 4A_306/2009, E. 7.1.1), der Organhaftung (gestützt auf Art. 722
OR; vgl.
BGE 124 III 297 E. 5a; BGer, 4A_306/2009, E. 7.1.2), sowie des Konzernvertrauens (gestützt auf den
Grundsatz culpa in contrahendo; vgl. BGE 142 III 84 E. 3.3; BGE 120 II 331 E. 5a) besondere Varianten
einer Inanspruchnahme für haftungsrechtliche Forderungen Dritter wegen Verfehlungen einzelner Konzerngesellschaften
anerkannt. Wenn aufgrund der tatsächlichen Entwicklung wirtschaftsrechtlicher Strukturen die Notwendigkeit
entsteht, für bestimmte Sachverhaltskonstellationen Einschränkungen grundlegender gesellschaftsrechtlicher
Grundsätze vorzusehen, so steht dem Gesetzgeber zweifellos auch die Möglichkeit offen, für
einen bestimmten Rechtsbereich wie das Kartellrecht die Geltung des gesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzips
zur sachgerechten Erfassung eines wettbewerbswidrigen Verhaltens einzuschränken.
1500. An der vorstehenden Einschätzung
vermag auch der wiederholte Verweis der Beschwerdeführerinnen auf das Schuldprinzip keine Änderung
zu bewirken. Denn auch das Schuldprinzip findet als strafrechtliches Rechtsprinzip in einem Kartellsanktionsverfahren
als Verwaltungsverfahren nur beschränkt und unter dem Vorbehalt sachgerechter Anpassungen Anwendung
(vgl. E. 1479).
Die Statuierung von Gefährdungstatbeständen und die Ausformung von Beweislastverschiebungen
bilden zudem zulässige Einschränkungen des Schuldprinzips (vgl. E. 1478).
Die Notwendigkeit einer inhaltlichen Anpassung für die vorliegenden Sachfragen ist auch unzweifelhaft
gegeben, weil die Ausgestaltung des Schuldprinzips jedenfalls bislang an der Strafbarkeit von natürlichen
Personen und gerade nicht an der Vorwerfbarkeit von blossen Rechtsfiktionen in Gestalt von juristischen
Personen sowie von komplexen wirtschaftsrechtlichen Strukturen wie Konzernen entwickelt und ausgerichtet
wurde. Eine unbesehene Anwendung von einzelnen Aspekten des Schuldprinzips würde daher zu nicht
sachgerechten Ergebnissen führen (vgl. E. 1481).
1501. Entgegen dem Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1483)
ist für die Beurteilung der Vorwerfbarkeit im Rahmen von Art. 49a Abs. 1
KG als verwaltungsrechtlichem
Verfahren auch nicht auf Art. 102
StGB zurückzugreifen (vgl. E. 1479;
im Ergebnis so auch BVGer, B-807/2012, Erne, E. 6.5.3.6), weshalb
Einschränkungen von dessen Anwendung bei einem Konzern keine Bedeutung für die kartellrechtliche
Beurteilung erlangen.
1502. Die
Qualifizierung des Konzerns als massgebliches Kartellrechtssubjekt verlangt entgegen dem Einwand der
Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 1484
f.) auch bei dessen Umstruktuierung im Laufe eines Kartellverwaltungsverfahrens Beachtung. Dies gilt
insbesondere für strukturerhaltende externe Transaktionen, bei denen von einem Fortbestand des ursprünglichen
Beherrschungsverhältnisses auszugehen ist (vgl. E. 56
ff., 68).
1503. Massgebend hierfür ist eine sinngemässe
Heranziehung des Rechtsprinzips der Universalsukzession, das auch bei der Regelung von Zusammenschlüssen
von Gesellschaften durch den Gesetzgeber Anwendung findet (vgl. Gelzer
Thomas, in: Vischer [Hrsg.], Zürcher Kommentar zum Fusionsgesetz, 2. Aufl. 2012, zit. ZK-FusG,
Art. 22 Rn. 9 ff.; Tschäni Rudolf/Gaberthüel Tino/Erni
Stephan, in: Watter/Vogt/ Tschäni/Daeniker [Hrsg.], Basler Kommentar, Fusionsgesetz, 2. Aufl.
2015, zit. BSK-FusG, Art. 21 Rn. 6 ff.). Danach gehen auf eine
Gesellschaft, welche eine andere Gesellschaft durch eine Absorption übernimmt oder die durch die
Verschmelzung von zwei anderen Gesellschaften entsteht, sämtliche Aktiven und Passiven der anderen
Gesellschaft bzw. der anderen Gesellschaften mit Wirksamkeit der Absorption bzw. der Verschmelzung gemäss
Art. 22 Abs. 1
des Bundesgesetzes über Fusion, Spaltung, Umwandlung und Vermögensübertragung
(Fusionsgesetz, FusG, SR
221.301) über. Dabei ist es für die Anwendung und die Folgen der Universalsukzession
unbeachtlich, ob die übernehmende bzw. neu geschaffene Gesellschaft von den haftungsbegründenden
Sachverhalten Kenntnis hatte oder nicht (vgl. Botschaft zum Bundesgesetz über Fusion, Spaltung,
Umwandlung und Vermögensübertragung vom 13. Juni 2000, AS 2000, 4337, 4421, welche ausdrücklich
auf Verbindlichkeiten aus unerlaubten Handlungen einer übertragenden Gesellschaft bei einer Fusion
verweist; Gelzer, ZK-FusG,
Art. 22 Rn. 10; Tschäni/Gaberthüel/Erni, BSK-FusG,
Art. 21
Rn. 7). Gleiches gilt grundsätzlich gemäss Art. 73 Abs. 2
FusG auch im Rahmen einer
Vermögensübertragung nach Art. 69
FusG, wenn eine Gesellschaft von einer anderen Gesellschaft
deren Geschäftsbetrieb übertragen erhält, weil eine allfällige, nicht offengelegte
kartellrechtliche Haftung als Sachmangel des Geschäftsbetriebs zu qualifizieren wäre (vgl.
Christ Benedict F., in: Vischer [Hrsg.], Zürcher Kommentar
zum Fusionsgesetz, 2. Aufl. 2012, zit. ZK-FusG, Art. 73 Rn. 27,
47; Malacrida Ralph, in: Watter/Vogt/Tschäni/Daeniker
[Hrsg.], Basler Kommentar Funsionsgesetz, 2. Aufl. 2015, zit. BSK-FusG,
Art. 73 Rn. 8, 13). Da dieses Rechtsprinzip zu Lasten einer Gesellschaft bereits im Rahmen des Privat-
und Gesellschaftsrechts Anwendung findet, bestehen mangels einer gegenteiligen Regelung durch den Gesetzgeber
auch keine Gründe gegen eine sinngemässe Heranziehung für den Konzern als massgebliches
Kartellrechtssubjekt im Bereich des Kartellrechts. Soweit eine Gesellschaft als Konzernobergesellschaft
eine andere Gesellschaft als neue Konzerntochtergesellschaft in den Konzern übernimmt oder aus einem
Zusammenschluss von mehreren Gesellschaften als Konzernobergesellschaft hervorgeht, übernimmt sie
im Sinne einer Universalsukzession auch die kartellrechtliche Verantwortung für die Folgen, die
sich durch ein wettbewerbswidriges Verhalten der übernommenen Konzerntochtergesellschaft oder von
in den Zusammenschluss involvierten Konzerntochtergesellschaften bereits eingestellt haben.
1504. Soweit eine Umstrukturierung erst im
Laufe eines Beschwerdeverfahrens vorgenommen wird und bereits ein Entscheid der Wettbewerbskommission
vorliegt, ergibt sich diese Rechtslage ohnehin bereits aufgrund einer Anwendung der vorgenannten Vorschriften,
weil mit Erlass einer kartellrechtlichen Verfügung eine entsprechende Verpflichtung zu Lasten der
jeweils adressierten Konzerngesellschaften statuiert wurde, die im Rahmen der anschliessenden Umstrukturierung
unzweifelhaft übergeht bzw. übernommen wird (vgl. BVGer, B-771/2012, Cellere,
E. 9.5.5).
(b)
Sachverhalt
1505. Für
die Beurteilung der Vorwerfbarkeit sind im vorliegenden Fall die folgenden Aspekte von massgeblicher
Bedeutung.
1506. Nach
den eigenen Angaben der Beschwerdeführerinnen wurde die Herausgabe der DCC-Schnittstelleninformationen
für die Anbindung der Zahlungskartenterminals an die Akzeptanz-Plattform der Multipay gegenüber
den anderen Terminalherstellern zwischen Juli 2005 und Januar 2007 mehrfach verweigert. Dabei war den
Verantwortlichen der Multipay bewusst, dass die DCC-Terminals der anderen Terminalhersteller dadurch
nicht an die Akzeptanz-Plattform der SIX-Gruppe angeschlossen werden konnten. Gleichzeitig wurde gegenüber
den Händlern der Abschluss eines DCC-Vertrags aktiv beworben, wobei die Verantwortlichen der Multipay
wussten, dass nur die eigenen DCC-Terminals der SIX-Gruppe von den Händlern bei einer Inanspruchnahme
der DCC-Leistungen herangezogen werden konnten und deshalb zwischen DCC-Währungs-umrechnung, DCC-Terminals
und Akzeptanz-Plattform der SIX-Gruppe faktisch eine zwingende Verbindung bestand.
1507. Wie von den Beschwerdeführerinnen
selbst vorgetragen (vgl. E. 810),
wurden die Entwicklung eines DCC-Produkts und die Abstimmung dieses Produkts mit den DCC-Terminals der
Card Solutions in der Absicht herbeigeführt, im Rahmen eines Qualitätswettbewerbs zur Attraktivitätssteigerung
der Kartenprodukte von Card Solutions beizutragen, weil die im Kartengeschäft tätigen Gruppengesellschaften
der SIX-Gruppe im internationalen Vergleich kleine Marktteilnehmer seien, weshalb sie dementsprechend
darauf angewiesen wären, die fehlenden, im begrenzten Schweizer Markt nicht erzielbaren Skaleneffekte
durch entsprechenden Qualitätswettbewerb zu kompensieren. Die Beschwerdeführerinnen bestätigen
damit, dass die Herbeiführung des wettbewerbswidrigen Zustands zur Erzielung eines Wettbewerbsvorteils
zu Gunsten der eigenen Gruppengesellschaften von den Verantwortlichen absichtlich herbeigeführt
worden war.
1508. Dieser
Zustand war von den Verantwortlichen der Multipay über einen Zeitraum von insgesamt 19 Monaten aufrechterhalten
worden. Er wurde erst dann und nur deshalb aufgegeben, als bzw. weil die Wettbewerbskommission ein formelles
Kartellverfahren eröffnet hat. Bis dahin war die Herbeiführung und Aufrechterhaltung dieses
Zustands gegenüber der Wettbewerbskommission noch ausdrücklich verteidigt worden, wie im Übrigen
auch noch bis zum Abschluss dieses Verfahrens.
1509. Da die Beschwerdeführerinnen selbst
geltend gemacht haben, dass die Händler mit dem Kauf eines Zahlungskartenterminals bei ihrem bevorzugten
Lieferanten nicht zwei Jahre bis zur Implementierung einer bestimmten Funktion zuwarten würden (vgl.
E. 967),
wurde mit der Verweigerung der Herausgabe der Schnittstelleninformationen sogar angestrebt oder zumindest
aber billigend in Kauf genommen, dass der Absatz der eigenen DCC-Terminals gegenüber denjenigen
der anderen Terminalhändlern sichergestellt werden kann.
1510. Mithin wurde das wettbewerbswidrige Verhalten
sowohl in Bezug auf die Geschäftsverweigerung gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. a
KG als auch die Koppelung
gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. f
KG in vorsätzlicher Weise, d.h. bewusst und willentlich, verwirklicht.
1511. Darüber hinaus sind auch weitere
Aspekte der Vorwerfbarkeit zu Lasten der SIX-Gruppe zu berücksichtigen.
1512. Angesichts einer langen Praxis der Wettbewerbswidrigkeit
einer Geschäftsverweigerung und einer Koppelung ergibt sich die Verpflichtung eines marktbeherrschenden
Unternehmens (vgl. E. 1453),
wirtschaftliche Verhaltensweisen, mit denen Geschäftsbeziehungen zu anderen Wirtschaftsteilnehmern
abgelehnt oder im Rahmen einer Geschäftsbeziehung verschiedene Produkte verbunden werden, einer
genauen rechtlichen Prüfung im Hinblick auf ihre wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit hin zu
unterziehen. Demzufolge hätte sowohl die Ablehnung einer Herausgabe der Schnittstelleninformationen
gegenüber den anderen Terminalherstellern als auch die faktische Verknüpfung von DCC-Währungsumrechnung,
DCC-Terminals und Akzeptanz-Plattform gegenüber den Händlern einer eingehenden Prüfung
unterzogen werden müssen. Bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt wäre durch diese Prüfung
die Wettbewerbswidrigkeit festzustellen gewesen.
1513. Die Beschwerdeführerinnen haben
in Bezug auf die Marktabgrenzung geltend gemacht (vgl. E. 317),
dass ein internationaler Markt unter Einschluss des europäischen Auslands vorliege. Gemäss
ihrem eigenen Vorbringen wäre demgemäss das EU-Wettbewerbsrecht zu beachten gewesen, weil bei
Vorliegen eines europäischen Markts das Verhalten jedenfalls im Bereich des Binnenmarkts dem EU-Wettbewerbsrecht
unterworfen gewesen wäre. Demzufolge hatten die Verantwortlichen auch Kenntnis über die Rechtslage
unter dem EU-Recht einschliesslich des Vorbehalts zu Gunsten der Wettbewerbsregeln bei einem marktmissbräuchlichen
Verhalten in der Software-Richtlinie, der Qualifizierung sowohl von Lizenzverweigerungen als auch anderer
Sachverhaltskonstellationen als wettbewerbswidriges Verhalten sowie der Qualifizierung einer faktischen
Verbindung von blossen Nebenprodukten als Geschäftsverweigerung durch das Urteil des Europäischen
Gerichtshofs in Sachen Tetra Pak II. Jedenfalls hätte diese
Kenntnis bei Anwendung der pflichtgemässen Sorgfalt erlangt werden können und müssen.
1514. Daher läge in jedem Fall eine fahrlässige
Sorgfaltspflichtverletzung von Seiten der Verantwortlichen vor, weil diese tatsächliche oder pflichtwidrig
nicht erlangte Kenntnis nicht zu einem Verzicht auf die Ablehnung der Mitteilung der DCC-Schnittstelleninformationen
der Akezptanz-Platt-form und auf die faktische Verbindung zwischen Akzeptanz-Plattform, DCC-Währungsumrechnung
und DCC-Terminals der SIX-Gruppe geführt hat. Auch eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung
begründet aber im Rahmen von Art. 49a Abs. 1
KG die Vorwerfbarkeit eines wettbewerbswi-drigen Verhaltens
(vgl. E. 1488
f.; BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 677).
1515. Von den Beschwerdeführerinnen wurden
keine besonderen Umstände dargelegt, aufgrund deren es den Verantwortlichen nicht möglich gewesen
wäre, entsprechend der notwendigen Sorgfalt, die sich angesichts des Sachverhalts aufgrund der möglichen
Einsicht ergab, zu handeln.
1516. Die Vorwerfbarkeit des Verhaltens ist
im vorliegenden Fall somit in jedem Fall gegeben.
3)
Sanktionsbemessung
1517. Grundlage der Sanktionierung durch die
Vorinstanz mit einem Betrag in Höhe von 7.029 Mio. CHF bildete der Umsatz in der Schweiz in den
letzten drei Geschäftsjahren vor Erlass der angefochtenen Verfügung in Höhe von {120-[ . ]-150}
Mio. CHF, den die SIX-Gruppe im Bereich der ep2-Terminals durch den Absatz der entsprechenden Zahlungskartenterminals
sowie die Erbringung von Dienstleistungen in Zusammenhang mit den Zahlungskartenterminals ("Terminaldienstleistungen")
erzielt hatte, weshalb sich für die Sanktion ein maximaler Basisbetrag in Höhe von {12-[ . ]-15}
Mio. CHF ergab. Das wettbewerbswidrige Verhalten wurde nach Art und Schwere als mittelschwerer Verstoss
qualifiziert und mit einem Betragskoeffizienten von 5% belegt, woraus ein konkreter Basisbetrag in Höhe
von {6-[ . ]-7.5}
Mio. CHF resultierte. Aufgrund der zeitlichen Dauer der Wettbewerbsbeschränkung von einem Jahr und
fünf Monaten wurde der Basisbetrag um 10% und damit um einen Betrag in Höhe von {600´000-[ ´ ]-750´000}
CHF erhöht. Erschwerende oder mildernde Umstände für eine weitere Anpassung des Basisbetrags
wurden von der Vorinstanz nicht identifiziert. Der festgelegte Sanktionsbetrag lag damit unterhalb des
von der SIX-Gruppe in der Schweiz getätigten Gesamtumsatzes in Höhe von {3´400-[ ´ ]-3´500}
Mio. CHF.
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
1518. Die Beschwerdeführerinnen beanstanden
diese Sanktionsbemessung aus verschiedenen Gründen.
1519. Zunächst erheben sie den Einwand,
dass für die Ermittlung des Basisbetrags von der Vorinstanz auf einen zu weiten wirtschaftlichen
Bereich abgestellt worden sei.
1520. Für
die Berechnung des Basisbetrags sei einzig der Umsatz von Card Solutions durch den Verkauf von ep2-Terminals
relevant, nicht aber auch der Umsatz aus Terminaldienstleistungen. Die Vorinstanz stelle jedoch unzulässigerweise
auf den Gesamtumsatz von Card Solutions aus Geschäften in Zusammenhang mit Zahlungskartenterminals
ab.
1521. Diese
Berechnung verletze den klaren Wortlaut von Art. 3
SVKG, wonach der Basisbetrag anhand des Umsatzes "auf
den relevanten Märkten" zu ermitteln sei. Gemäss den Erläuterungen der Wettbewerbskommission
zum SVKG seien damit die Umsätze mit Produkten gemeint, welche "von der Marktgegenseite hinsichtlich
ihrer Eigenschaften und ihres vorgesehenen Verwendungszwecks als substituierbar angesehen werden".
Die ep2-Terminals und die Terminaldienstleistungen seien aber offensichtlich nicht untereinander substituierbar.
1522. Die Beschwerdeführerinnen behaupten
unter Verweis auf eine bestimmte Formulierung in der angefochtenen Verfügung, dass diese ausschliesslich
auf den Umsatz aus dem Verkauf von ep2-Terminals abstelle. Daher könne der Umsatz für Terminaldienstleistungen
aus der Position "Wartung, Projekte und Services" nicht in die Sanktionsbemessung einfliessen.
1523. Hinsichtlich der Terminaldienstleistungen
bestehe ein eigenständiger Markt mit einer völlig anderen Marktstruktur und anderen Wettbewerbsverhältnissen
als im Markt für ep2-Terminals. Die Wettbewerbsbehörden hätten jedoch hierzu keine notwendigen
Sachverhaltsabklärungen vorgenommen.
1524. Die Wartung der Zahlungskartenterminals
würde auch nicht nur durch die Terminalverkäufer selbst, sondern in erheblichem Ausmass durch
Drittunternehmen erbracht. Diese Drittunternehmen seien auf diese Dienstleistungen spezialisiert und
würden über entsprechende Infrastrukturen und das erforderliche Know-how verfügen. Dies
sei auch im Rahmen der Anhörung bestätigt worden, wonach diverse Kunden der Card Solutions
ihre Anlagen durch Drittunternehmen warten lassen würden. Diese Dienstleistungen könnten von
der SIX-Gruppe nicht konkurrenzfähig erbracht werden. Der Umstand, dass die Wartung in erheblichem
Ausmass durch Drittunternehmen erfolge, sei nach der Praxis der Wettbewerbsbehörden von Relevanz
bei der Beurteilung, ob ein Systemmarkt vorliege.
1525. Auch
die hilfsweise angeführte Begründung der angefochtenen Verfügung, wonach es sich bei den
Terminaldienstleistungen zumindest um einen nachgelagerten Systemmarkt handeln würde, weshalb Umsätze
auf diesem Markt mit einzubeziehen wären, sei sachlich nicht begründet. Die Ausführungen
der Vorinstanz würden vielmehr zeigen, dass es sich vorliegend gerade nicht um einen Systemmarkt
handeln könne.
1526. Ein Systemmarkt wäre nämlich
nur dann anzunehmen, wenn der Verkauf eines Zahlungskartenterminals ausnahmslos und kausal Umsätze
aus Wartungsdienstleistungen bei Card Solutions verursacht hätte. Dies könne vorliegend aber
ausgeschlossen werden.
1527. Beim Kauf eines Zahlungskartenterminals
sei nur von einem vernachlässigbar kleinen Anteil der Kunden ein Wartungsvertrag abgeschlossen worden
(2007: ca. {20-[ ]-30}%; 2008: ca. {10-[ ]-20}%;
2009: ca. {10-[ ]-20}%). Diese geringen Quoten der Abschlüsse
von Terminalverkäufen und Wartungsverträgen im gleichen Zeitpunkt würden darauf hinweisen,
dass die Umsätze mit Wartungsverträgen nicht ohne Weiteres den Umsätzen aus dem Verkauf
von ep2-Terminals zugerechnet werden könnten. Ganz offensichtlich habe eine erhebliche Mehrheit
der Kunden keinen Bedarf an Wartungsdienstleistungen beim Kauf eines Zahlungskartenterminals.
1528. In diesem Zusammenhang seien auch die
Ausführungen in der angefochtenen Verfügung, wonach die seit September 2010 in Kraft getretenen
Verträge der Card Solutions gewisse Optionen des Kunden für Servicepakete vorsehen würden,
nicht relevant, weil sie mangels Bestehens im vorliegend relevanten Zeitraum keine Bedeutung erlangen
könnten. Entscheidungsrelevant wären einzig die Vertragsbedingungen, die im relevanten Zeitraum
zur Anwendung gelangt seien. Die Folgerung der Vorinstanz, dass aufgrund dieser Dokumente ein Systemmarkt
anzunehmen wäre, sei demnach unzulässig.
1529. Würde es sich bei der Wartung nach
dem Kauf um einen Systemmarkt handeln, würden der SIX-Gruppe diese Folgegeschäfte automatisch
zufallen. Dann würde kein Bedarf bestehen, den Bezug dieser Leistungen zusätzlich in den AGB
festzuschreiben. Werde der Bezug daher umgekehrt festgeschrieben, so sei dies ein Indiz, welches gegen
die Annahme der Vorinstanz sprechen würde.
1530. Die
Vorinstanz habe auch nicht nachgewiesen, dass in diesem nachgelagerten Markt eine Behinderung vorgelegen
habe. Insbesondere sei nur ein einziger Konkurrent
mit klaren Verkaufseinbussen betroffen gewesen und nicht, wie von der Vorinstanz behauptet, alle Konkurrenten,
weil diese ihre Marktstellung zumindest annähernd hätten halten können. Die behauptete
Schwere der Wettbewerbsbeschränkung stehe daher nicht in Einklang mit den tatsächlichen Feststellungen,
weshalb die Sanktion angepasst werden müsse.
1531. Demzufolge seien die Umsätze der
Terminaldienstleistungen überhaupt nicht zu berücksichtigen. Vielmehr seien gegenüber
der Sanktionsberechnung in der angefochtenen Verfügung die Umsätze mit Terminaldienstleistungen
in Abzug zu bringen. Aus dem Verkauf von ep2-Terminals ergäbe sich nur ein Umsatz in Höhe von
{60-[ . ]-70}
Mio. CHF (2007: { . }
Mio. CHF; 2008: { . }
Mio. CHF; 2009: { . }
Mio. CHF), der um annähernd die Hälfte geringer ausfiele als von der Vor-instanz angesetzt.
Bei der von der Vorinstanz angesetzten Quote von 5% für Art und Schwere des Wettbewerbsverstosses
wäre demzufolge von einem Basisbetrag in Höhe von {3-[ . ]-3.5}
Mio. CHF auszugehen, woraus unter Berücksichtigung der Verstossdauer ein maximaler Sanktionsbetrag
in Höhe von {3.3-[ . ]-3.85}
Mio. CHF resultieren würde.
1532. Eventualiter
habe das Gericht als Beschwerdeinstanz die notwendigen Sachverhaltsabklärungen vorzunehmen, um festzustellen,
ob effektiv ein Systemmarkt vorliege, welche Wettbewerbsverhältnisse dort herrschten, ob alle Wartungsleistungen
durch den Terminalverkäufer erbracht würden, ob überhaupt eine Behinderung eingetreten
sei und in welchem Umfang Wartungsdienstleistungen durch die SIX-Gruppe tatsächlich erbracht worden
seien. Die Vorinstanz habe diese Gesichtspunkte nicht weiter abgeklärt, weshalb sie bereits ihre
Untersuchungspflicht verletzt habe.
1533. Selbst
wenn der Umsatz mit Terminaldienstleistungen für die Festlegung des Basisbetrags entgegen der Ansicht
der Beschwerdeführerinnen zu berücksichtigen wäre, müsste eine Korrektur des von
der Vor-instanz angesetzten Betrags vorgenommen werden. Die im Verfahren unter der Position "Wartung,
Projekte und Services" aufgeführten und abgehandelten Umsätze der SIX-Gruppe würden
nicht nur den Umsatz mit Terminaldienstleistungen, sondern auch sonstige Umsätze erfassen, welche
in keinerlei Zusammenhang zum Verkauf und der Wartung von ep2-Terminals stünden. Dabei handle es
sich z.B. um Umsätze in Zusammenhang mit der Erarbeitung von Projekten und Dienstleistungen ausserhalb
der Wartung, e-Commerce-Dienstleistungen, Transaktionserträge, Miete, Analysetools etc. Vielmehr
könnten nur die Umsätze, die mit Wartungsverträgen, Hotline Telefonsupport, Service/Reparaturen
etc. generiert worden seien, als Terminaldienstleistungen Berücksichtigung finden.
1534. Im
Hinblick auf die Feststellung der Vorinstanz, wonach ungeachtet des Abschlusses eines Wartungsvertrags
dennoch gewisse zusätzliche Umsätze in Zusammenhang mit der Inbetriebnahme der Zahlungskartenterminals
zu Gunsten der SIX-Gruppe angefallen seien, machen die Beschwerdeführerinnen geltend, dass es sich
hierbei um wesentlich geringfügigere Beträge im Umfang von {20-[ ]
CHF bis [ ]-300 CHF} pro Zahlungskartenterminal
handle, die nicht den behaupteten relevanten Umsatz erreichen würden.
1535. Die Berücksichtigung der Umsätze
mit Wartung "im Anschluss an den Kauf" würde zu einem Umsatz in Höhe von {90-[ . ]-100}
Mio. CHF (2007: { . }
Mio. CHF; 2008: { . }
Mio. CHF; 2009: { . }
Mio. CHF) führen, der nur rund 2/3 des von der Vorinstanz angesetzten Umsatzes betragen würde.
Dies führe zu einem Basisbetrag in Höhe von {4.5-[ . ]-5}
Mio. CHF. Entsprechend dürfte maximal eine Busse in Höhe von ca. {4.95-[ . ]-5.5}
Mio. CHF ausgesprochen werden.
1536. Da
die Beschwerdeführerin 1 erst nach Beendigung des wettbewerbswidrigen Verhaltens als Konzernobergesellschaft
eingesetzt worden sei, könne der gesamte Konzernumsatz der neu gebildeten SIX-Gruppe ohnehin nicht
zur Festlegung der Sanktion herangezogen werden.
1537. Die Beschwerdeführerinnen wenden
zudem ein, dass die Qualifizierung des Wettbewerbsverstosses in der angefochtenen Verfügung als
mittelschwer falsch sei, weil praktisch weder eine Marktauswirkung vorhanden gewesen noch der Wettbewerb
beschränkt worden sei und auch das Verhalten der Anzeigeerstatterin nach Offenlegung der Schnittstellen
auf eine fehlende Unerlässlichkeit der Schnittstelleninformationen habe schliessen lassen.
1538. Darüber
hinaus erheben die Beschwerdeführerinnen den Einwand, dass der Zuschlag in Höhe von 10% für
die Dauer des Wettbewerbsverstosses ungerechtfertigt sei, weil eine Offenlegung in jedem Fall erst nach
der definitiven Zertifizierung der DCC-Terminals angebracht gewesen sei. Eine allfällige unzulässige
Verhaltensweise habe demzufolge weniger als ein Jahr gedauert.
1539. Überdies
sind die Beschwerdeführerinnen der Ansicht, dass es sich bei der ausgesprochenen Sanktion um eine
völlig unverhältnismässige und damit willkürliche Massnahme handle.
1540. Das
Kartellgesetz statuiere in Art. 49a Abs. 1
KG, dass der Gewinn bei der Festlegung der Sanktion angemessen
zu berücksichtigen sei. Diese Vorgabe gelte auch im Falle eines sehr geringen Gewinns, weshalb sich
dadurch eine Reduktion der Sanktion ergäbe. Eine solche Reduktion sei auch bei Behinderungsmissbräuchen
vorzunehmen, weil das Gesetz nicht nach bestimmten Arten von Wettbewerbsbeschränkungen unterscheide.
Die ausdrückliche Nichtberücksichtigung der Gewinnhöhe im Rahmen der Sanktionsberechnung
durch die Vorinstanz sei demnach gesetzeswidrig und angesichts des Rangs des Verhältnismässigkeitsprinzips
auch verfassungswidrig.
1541. Die
Vorinstanz hätte bei Durchführung der entsprechenden Abklärungen feststellen können,
dass der Ertrag der SIX-Gruppe aus dem Verkauf von ep2-Terminals während des als relevant erachteten
Zeitraums sehr gering gewesen sei. Nach Abzug der Serviceleistungen habe sich das Unternehmensergebnis
aus dem Verkauf der ep2-Terminals für diese Zeitperiode auf ca. {1-[ . ]-2}
Mio. CHF belaufen. Der festgelegte Sanktionsbetrag überschreite das Ergebnis für den Verkauf
aller ep2-Terminals um mehr als 500%. Von Card Solutions seien im relevanten Zeitraum maximal {1´700-[ ´ ]-1´800}
DCC-Terminals in Zusammenhang mit dem Abschluss und der Aufschaltung der DCC-Dienstleistung verkauft
worden. Ausgehend von der Gesamtzahl der verkauften ep2-Terminals gemäss der angefochtenen Verfügung
in Höhe von [20´000-[ ´ ]-25´000}
Stück belaufe sich der Gewinn auf lediglich {100´000-[ ´ ]-200´000}
CHF. Der festgelegte Sanktionsbetrag übersteige das Ergebnis für den mit dem behaupteten Verstoss
zusammenhängenden Gewinn um nahezu 6´800%. Selbst bei Ansetzung der von der angefochtenen Verfügung
angenommenen Anzahl von {10´000-[ ´ ]-12´000}
Zahlungskartenterminals, bei denen eine Behinderung behauptet werde, könne ein Gewinn von lediglich
ca. {600´000-[ ´ ]-700´000}
CHF zugemessen werden. Der festgelegte Sanktionsbetrag würde den mit dem behaupteten Verstoss zusammenhängenden
Gewinn immer noch um mehr als 1000% übersteigen.
1542. Sanktionsbeträge, welche den behaupteten
Gewinn 10-fach oder sogar 68-fach abschöpfen würden, seien willkürlich sowie gesetzes-
und verfassungswidrig.
1543. Die
Begründung der Vorinstanz für eine derartige Gewinnabschöpfung mit dem alleinigen Hinweis
auf die präventive Wirkung sei im Übrigen rechtswidrig, weil der Aspekt einer präventiven
Wirkung im Gegensatz zum Aspekt einer Berücksichtigung des Gewinns in Art. 49a Abs. 1
KG nicht ausdrücklich
genannt werde.
1544. Schliesslich
machen die Beschwerdeführerinnen für den Fall, dass das Gericht nicht alle, sondern nur einzelne
der von der Vorinstanz angeführten gesetzlichen Tatbestände als erfüllt qualifiziere,
geltend, dass dies bei der Sanktionsbemessung zu berücksichtigen sei. Denn eine Reduktion im Umfang
des vorgeworfenen missbräuchlichen Verhaltens auf weniger Tatbestände führe zu einer geringfügigeren
Schwere der vorgeworfenen Verhaltensweise und somit zu einer Reduktion der Sanktion.
Dies gelte insbesondere vorliegend, weil die Vorinstanz bei der Festlegung des Koeffizienten für
den Basisbetrag mit 5% die Verwirklichung der verschiedenen Tatbestände sanktionserhöhend berücksichtigt
habe.
1545. Gleiches
wird von den Beschwerdeführerinnen in entsprechender Weise auch für eine anders gelagerte Marktdefinition
geltend gemacht.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
1546. Demgegenüber macht die Vorinstanz
zunächst geltend, dass sie einen Markt für ep2-zertifizierte Zahlungskartenterminals abgegrenzt
habe. Dieser umfasse sowohl den Absatz von ep2-Terminals als auch die Erbringung von Terminaldienstleistungen.
Eine Einschränkung auf den blossen Verkauf solcher Zahlungskartenterminals finde sich in der angefochtenen
Verfügung nicht.
1547. Selbst
wenn von einem eigenständigen Sekundärmarkt auszugehen wäre, d.h. einem Markt für
komplementäre Produkte oder Dienstleistungen, welche im Anschluss an den Kauf eines Primärprodukts
nachgefragt werden, sei daraus nicht zu folgern, dass die entsprechenden Umsätze bei der Sanktionierung
nicht zu berücksichtigen seien. Da grundsätzlich jeder Terminalhersteller diese Dienstleistungen
für seine eigenen Zahlungskartenterminals erbringe, würden ihm mit jedem Zahlungskartenterminal,
welches von einem anderen Terminalanbieter verkauft werde, Umsätze aus den mit diesem Zahlungskartenterminal
verbundenen Dienstleistungen verloren gehen. Daher habe eine Behinderung beim Terminalverkauf auch eine
Behinderung auf dem Sekundärmarkt zur Folge.
1548. Zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen
Verfügung seien die sekundären Dienstleistungen ausdrücklich in "Servicepakete für
Zahlungskartenterminals" integriert gewesen. Es habe dabei eine Pflicht für den Käufer
eines Zahlungskartenterminals bestanden, auch die Servicepakete der Card Solutions zu beziehen. Die Pakete
für die Inbetriebnahme des Zahlungskartenterminals seien sogar Bestandteil des eigentlichen Kaufvertrags
gewesen. Demgegenüber hätten die Terminalkaufverträge in der massgeblichen Periode in
den Jahren 2005 und 2006 zwar noch keine obligatorischen Servicepakete vorgesehen. Ungeachtet dessen
hätten gewisse Services auch dannzumal nur durch den Terminalhersteller erbracht werden können.
Es handle sich beispielsweise um die Umsätze, welche mit der Inbetriebnahme des Zahlungskartenterminals
verbunden oder durch die Inanspruchnahme der Hotline-Dienste angefallen seien. Diese Services seien auch
schon zu diesem Zeitpunkt direkt in den Terminalkaufvertrag eingebunden gewesen. Folglich seien die dazugehörigen
Umsätze bei der Berechnung einzubeziehen.
1549. Des Weiteren seien Umsätze mit Wartungsdienstleistungen
auch dann angefallen, wenn kein Wartungsvertrag abgeschlossen gewesen sei. Deshalb sei es unerheblich,
ob nur eine Minderheit der Kunden bei Erwerb des Zahlungskartenterminals einen Wartungsvertrag abgeschlossen
habe.
1550. Dass die Wartungsdienstleistungen auch
durch unabhängige Dritte erbracht würden, wie es die Beschwerdeführerinnen geltend machen,
sei in den entsprechenden Anhörungen nicht bestätigt worden. Vielmehr hätten diese aufgezeigt,
dass grundsätzlich jeder Terminallieferant diese Dienstleistungen nur für seine Zahlungskartenterminals
erbringe. So habe auch die SIX-Gruppe keine Umsätze mit Dienstleistungen für andere Zahlungskartenterminals
erwirtschaftet.
1551. Des Weiteren sei festgestellt worden,
dass die durch die Beschwerdeführerinnen genannten Drittfirmen als angebliche Konkurrenten nur in
der Lage seien, ein nicht mehr funktionsfähiges Zahlungskartenterminal durch ein anderes Zahlungskartenterminal
zu ersetzen. Folglich sei es nicht gerechtferigt, aufgrund dieser singulären logistischen Dienstleistung
einen eigenständigen Sekundärmarkt abzugrenzen.
1552. Der
vorliegende Kartellrechtsverstoss sei als mittelschwer zu qualifizieren. Es sei ein Musterfall von "Leverage",
indem die marktbeherrschende Stellung auf dem Akzeptanz-Markt dazu benutzt worden sei, den ep2-Terminals
einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil gegenüber den Konkurrenzprodukten der anderen Terminalhersteller
zu verschaffen. Von der Behinderung seien zudem alle Konkurrenten und nicht nur ein einziger Konkurrent
betroffen gewesen. Dabei habe es sich um einen bewussten und strategischen Entscheid der SIX-Gruppe gehandelt.
Schliesslich sei die Behinderung in einer besonders wichtigen Marktphase erfolgt, sodass sie ganz erhebliche
Folgen für die Konkurrenten gezeitigt und die Marktentwicklung massgeblich beeinflusst habe. Gleichzeitig
seien auch die Wahlfreiheit der Händler eingeschränkt und die technische Entwicklung auf dem
Terminalmarkt gebremst worden. Eine Sanktion im unteren Drittel der Bandbreite von 0-10% sei damit
ausgeschlossen. Jedoch habe die Verhaltensweise von Multipay nicht dazu geführt, dass die Zahlungskartenterminals
von Konkurrenten für Händler generell ausgeschlossen gewesen seien. Denn ein gewisser Restwettbewerb
bezüglich der Händler, welche nicht an der DCC-Funktion interessiert gewesen seien, sei bestehen
geblieben. Eine Ansiedlung der Sanktion im oberen Drittel der Bandbreite von 0-10% sei daher nicht
angezeigt gewesen. Folglich sei der Basisbetrag in der Mitte des mittleren Drittels auf 5% des kumulierten
Umsatzes der letzten drei Jahre auf dem relevanten Markt festgesetzt worden.
1553. Erschwerende und mildernde Umstände
gemäss Art. 5
und 6
SVKG seien vorliegend nicht zu berücksichtigen gewesen.
1554. Bei der Bemessung der Sanktion sei weder
bei der Bestimmung des Basisbetrags noch bei den erschwerenden Umständen sanktionserhöhend
berücksichtigt worden, dass das Verhalten vier Tatbestände erfülle. Denn die Beschwerdeführerinnen
hätten durch dieselbe und nicht durch mehrere Verhaltensweisen mehrere Tatbestände des Art.
7 Abs. 2
KG erfüllt.
(3)
Würdigung durch das Gericht
1555. Die Bemessung der Sanktion für ein
wettbewerbswidriges Verhalten gemäss Art. 49a
KG ist unter Berücksichtigung der Regelungen
der Art. 2
bis 7
SVKG vorzunehmen, die vom Bundesrat als Durchführungsbestimmungen gemäss Art.
60
KG erlassen wurden.
(a)
Allgemeines
1556. Art. 49a
KG sieht nicht vor, dass die
Ausfällung von Sanktionen im (Entschliessungs-)Ermessen der Wettbewerbsinstanzen steht (vgl. BGE
137 II 199, Terminierung Mobilfunk, E. 6.2; BGE 139 I 72, Publigroupe,
E. 7.4.5.4; BGE 143 II 297, Gaba, E. 9.7.1; BVGer, B-7633/2009,
ADSL II, E. 709; BVGer, B-807/2012, Erne,
E. 11.5.4.1; Borer, KG,
Art. 49a Rn. 17; David/Jakobs, WBR,
Rn. 765; Krauskopf, Dike-KG,
Art. 49a Abs. 1-2 Rn. 29; Tagmann/Zierlick, BSK-KG,
Art. 49a Rn. 16 f.; Tagmann, Sanktionen,
161, 171 ff., 180 ff.; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 3.209). Gemäss dieser Bestimmung haben die Wettbewerbsinstanzen vielmehr Sanktionen auszusprechen,
wenn die entsprechenden materiellen Kartellrechtstatbestände verwirklicht wurden. Dies gilt in gleicher
Weise für die Berücksichtigung von Dauer sowie Erhöhungs- und Milderungsgründen.
Liegen die entsprechenden Voraussetzungen vor, dann haben die Wettbewerbsinstanzen eine Erhöhung
oder eine Herabsetzung der Sanktion vorzunehmen. Den Wettbewerbsinstanzen kommt aber ein erheblicher
Ermessenspielraum in Bezug auf die konkrete Festlegung der einzelnen Sanktionskomponenten des Basisbetrags,
der Dauer sowie der Erhöhungs- und Milderungsgründe zu (vgl. BGE 139 I 72, Publigroupe,
E. 7.4.5.4; BGE 143 II 297, Gaba, E. 9.7.2; BVGer, B-7633/2009,
ADSL II, E. 709; Borer,
KG, Art. 49a Rn. 17; Krauskopf,
Dike-KG, Art. 49 Abs. 1-2 Rn. 61;
Roth/Bovet, CR-Concurrence, Art. 49a Rn. 17; Weber/Volz,
FHB-WBR, Rn. 3.231). Dieser Ermessensspielraum wird wiederum durch
den Verhältnismässigkeitsgrundsatz und den Gleichheitsgrundsatz eingeschränkt (vgl. BGE
139 I 72, Publigroupe, E. 7.4.5.4; BGE 143 II 297, Gaba,
E. 9.7.2; BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 709; Borer,
KG, Art. 49a Rn. 15; Krauskopf,
Dike-KG, Art. 49 Abs. 1-2 Rn. 61;
Roth/Bovet, CR-Concurrence, Art. 49a Rn. 15, 28 ff.; Weber/
Volz, FHB-WBR, Rn. 3.231). Art. 2 Abs. 2
SVKG sieht denn
auch ausdrücklich vor, dass bei der Festsetzung der Sanktion das Prinzip der Verhältnismässigkeit
zu berücksichtigen ist.
1557. Die Regelungen der Art. 2 Abs. 1
und
Art. 3
f. SVKG stellen dabei bereits eine Ausprägung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes
dar, indem die Art, Schwere und Dauer des wettbewerbswidrigen Verhaltens sowie erschwerende und mildernde
Umstände in eine konkrete Struktur der Ermittlung der massgeblichen Sanktion gefasst werden. Ungeachtet
dessen hat die sanktionierende Instanz im Einzelfall auch bei der konkreten Festlegung der Sanktion im
Rahmen der ihr zustehenden Wertungsspielräume den Verhältnismässigkeitsgrundsatz zu beachten.
Dieser ist allerdings nicht bereits dann verletzt, wenn ein Entscheid keine weiterführenden Erläuterungen
zur Festlegung des Basisbetrags aufweist (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 710).
(b)
Grundlage für die Ermittlung des Umsatzes
1558. Weder Art. 49a Abs. 1
KG - mit
Ausnahme des Hinweises auf den Umsatz bei Banken und Versicherungen - noch Art. 3
SVKG sehen spezifische
Regelungen für die konkrete Ermittlung des Umsatzes im Einzelfall einschliesslich von Konzernsachverhalten
vor. Dies gilt sowohl für den Basisumsatz gemäss Art. 3
SVKG als auch für den Maximalumsatz
gemäss Art. 7
SVKG.
1559. Für Unternehmenszusammenschlüsse
statuieren die Art. 4 und 5 VKU einige grundlegende Bestimmungen zur Ermittlung des massgeblichen Umsatzes.
Grundsätzlich können diese Bestimmungen sinngemäss herangezogen werden, soweit ihr Regelungsgehalt
sachlich auch auf den jeweiligen Missbrauchstatbestand gemäss Art. 7
KG angewendet werden kann (vgl.
BGE 139 I 72, Publigroupe, E. 12.3.2, jedoch ohne nähere
Darlegung; BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 720; Tagmann/Zierlick,
BSK-KG, Art. 49a Rn. 45; Roth/Bovet,
CR-Concurrence, Art. 49 Rn. 26; Mamane
David, Neue EG-Leitlinien zur Festsetzung von Geldbussen bei Wettbewerbsbeschränkungen, in:
Jusletter 17.7.2006, Rn. 10). Ansonsten ist der massgebliche Umsatz unter Berücksichtigung der jeweiligen
konkreten Umstände des Einzelfalls zu bestimmen.
1560. Bei
Konzernsachverhalten ist auch unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 VKU auf den Gesamtumsatz
der Unternehmensgruppe und nicht auf den Umsatz einzelner Gruppenunternehmen abzustellen (vgl. BVGer,
B-7633/2009, ADSL II, E. 721; David/Frick/Kunz/Studer/
von Büren/Zimmerli, in: David/von Büren [Hrsg.], Schweizerisches Immaterialgüter-
und Wettbewerbsrecht, Bd. I/2 - Der Rechtsschutz im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht,
3. Aufl. 2011, zit. SIWR-Rechts-schutz,
Rn. 1328; David/Jacobs, WBR,
Rn. 775; Krauskopf, Dike-KG,
Art. 49 Abs. 1-2 Rn. 38; Roth/Bovet, CR-Concurrence,
Art. 49a Rn. 26; Tagmann/Zirlick, BSK-KG,
Art. 49a Rn. 46; Weber/Volz, FHB-WBR,
Rn. 3.232; a.A. Borer, KG,
Art. 49a Rn. 15; Reinert, SHK-KG,
Art. 49a
Rn. 12), weil der Konzern, und nicht nur eine einzelne Gruppengesellschaft, als Unternehmen
im Sinne von Art. 2 Abs. 1
bis KG und damit
als Kartellrechtssubjekt zu qualifizieren ist (vgl. E. 37).
Dies ist unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Wirtschaftskraft des Konzerns gerade für
die Umsetzung eines missbräuchlichen Verhaltens von entscheidender Bedeutung sein kann, auch unter
sachlichen Gesichtspunkten gerechtfertigt (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 721). Die Berücksichtigung von konzerninternen Umsätzen bzw. deren Abzug ist
dabei von der Struktur der jeweiligen Missbrauchsform abhängig (vgl. BVGer, B-7633/ 2009, ADSL
II, E. 725).
1561. Grundlage für die Feststellung des
massgeblichen Maximalumsatzes bildet in der Regel die jeweilige Jahresrechnung des Unternehmens, aus
der die entsprechenden Daten zu entnehmen oder abzuleiten sind (vgl. BGE 127 II 225 E. 4a). Bei Konzernsachverhalten
ergibt sich der massgebliche Maximalumsatz grundsätzlich aus der Konzernrechnung. Dies gilt auch
für die Feststellung des Basisumsatzes, soweit entsprechende Positionen in der Jahres- bzw. Konzernrechnung
vorhanden sind. Ansonsten ist auf entsprechende Positionen in der Buchhaltung sowie auf besondere Abrechnungen
abzustellen.
1562. Diese Grundsätze finden auch bei
Umstrukturierungen regelmässig Anwendung. Dies gilt jedenfalls für externe strukturerhaltende
Transaktionen wie im vorliegenden Fall (vgl. E. 62,
68).
1563. Bei der Feststellung des Basisumsatzes
ergibt sich bei derartigen Umstrukturierungen nur dann eine Abweichung, wenn durch die Umstrukturierung
Gruppengesellschaften in den Konzern eingebunden würden, die bereits vor der Transaktion auf den
relevanten Märkten tätig waren und deren bisherige Umsätze daher ebenfalls im Rahmen des
Basisumsatzes zu berücksichtigen sind. Denn die Berücksichtigung dieser zusätzlichen Umsätze
ist sachgerecht, weil die Folgewirkung einer Wettbewerbsbeschränkung letztlich der Marktbearbeitung
aller Konzerngesellschaften zu Gute kommt.
1564. Im Hinblick auf den Maximalumsatz ist
die erhöhte Wirtschaftskraft des Konzerns, die sich bei derartigen Umstrukturierungen ergibt, bei
der Sanktionierung gemäss Art. 49a Abs. 1
KG entsprechend dessen Zweck, eine Abschreckung und eine
Abschöpfung der Kartellrendite sicherzustellen (vgl. E. 1605),
zu berücksichtigen. Andernfalls käme der Sanktionierung eines wettbewerbswidrigen Verhaltens
angesichts des Verhältnisses von Wirtschaftskraft und Sanktionsbetrag nicht mehr die gleiche Bedeutung
zu. Diesen Umstand könnten Unternehmen im Vorfeld von Unternehmenszusammenschlüssen ansonsten
sogar zur Umsetzung eines wettbewerbswidrigen Verhaltens nutzen.
1565. Im Übrigen ist es notorisch, dass
Verträge über Unternehmenszusammenschlüsse bei sachgerechter Ausgestaltung kaufpreisrelevante
Klauseln zur Berücksichtigung von allfällig nachträglich auftretenden Sanktionen wegen
eines wettbewerbswidrigen Verhaltens aufweisen. Es handelt sich demzufolge für die jeweilige weiterbestehende
oder neue Konzernobergesellschaft eines Unternehmenszusammenschlusses nicht um ein völlig unbekanntes
und unerwartet auftretendes Problem. Vielmehr werden durch die entsprechenden Klauseln für den Einzelfall
sogar individuelle Lösungen zwischen den beteiligten Parteien vorgesehen.
1566. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1536)
ist daher bei der Bestimmung des Maximalumsatzes unter Berücksichtigung des hierfür heranzuziehenden
Zeitraums (vgl. E. 1583
ff.) auf den Konzernumsatz der SIX-Gruppe und nicht auf den konsolidierten Umsatz der Telekurs Holding
AG abzustellen. Die Erhöhung des Maximalumsatzes führt aber nicht zu einer Verschlechterung,
weil die von der Vorinstanz festgelegte Sanktion nicht einmal den höchst möglichen Wert des
Basisumsatzes erreicht. Zudem wird auch der Basisumsatz dadurch nicht erhöht, weil keine der neuen
Gruppengesellschaften vorgängig auf den gemäss Art. 3
SVKG relevanten Märkten tätig
war.
(c)
Massgeblicher Basisumsatz
1567. Der Basisbetrag ist gemäss Art.
3
SVKG anhand des Umsatzes, den das Unternehmen auf den relevanten Märkten in den letzten drei Geschäftsjahren
erzielt hat, festzulegen. Die Feststellung des Basisumsatzes weist dabei eine sachliche und eine zeitliche
Komponente auf. Dieser Basisumsatz bildet somit den Ausgangspunkt für die Festlegung einer Sanktion
gemäss Art. 49a Abs. 1
KG.
1568. Art. 49a Abs. 1
KG und Art. 3
SVKG sehen
keine gesonderte Regelung zur Bestimmung der relevanten Märkte als sachliche Komponente der Bemessung
einer Sanktionierung vor. Für die Sanktionierung eines Marktmissbrauchs sind diejenigen Märkte
relevant, auf die das marktbeherrschende Unternehmen mit seiner wettbewerbswidrigen Verhaltensweise einwirkt
(vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 723).
1569. Grundsätzlich entspricht der für
die Sanktionierung massgebliche "relevante Markt" dem sachlich, räumlich und zeitlich
relevanten Markt (vgl. E. 229
ff.), weil das wettbewerbswidrige Verhalten nur auf diesen Markt einwirkt. Für die Sanktionsbemessung
bedarf es daher regelmässig keiner erneuten Feststellung des massgeblichen Markts.
1570. Wirkt das marktbeherrschende Unternehmen
mit seiner wettbewerbswidrigen Verhaltensweise im Einzelfall darüber hinaus auf sonstige Märkte
ein, so sind diese ebenfalls in die Sanktionsbemessung mit einzubeziehen (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 723). Massgebend für die Sanktionsbemessung ist daher nicht nur der Markt, auf dem
die marktbeherrschende Stellung des Unternehmens gegeben ist. Vielmehr sind auch Sekundärmärkte
als vor- oder nachgelagerte Märkte sowie sonstige (Tertiär-)Märkte in die Sanktionsbemessung
einzubeziehen. Dies gilt insbesondere für diejenigen Missbrauchsformen des Art. 7
KG, die sich bereits
aufgrund ihrer tatbestandlichen Ausgestaltung auf mehrere Märkte erstrecken. Ansonsten könnte
eine sich auf verschiedenen Märkten einstellende Kartellrendite gar nicht abgeschöpft werden.
1571. Entgegen dem Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1525
ff.) sind daher auch Sekundärmärkte und nicht nur der durch das Unternehmen beherrschte Markt
für die Sanktionsbemessung zu berücksichtigen.
1572. Entgegen dem Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1521)
ergibt sich hierzu auch keine andere Einschätzung aufgrund der Erläuterungen der Wettbewerbskommission
zur Sanktionsverordnung, in deren Rahmen eine Verbindung zum sachlich, räumlich und zeitlich relvanten
Markt vorgenommen wird. Diesen Erläuterungen kommt zum einen keine Bindungswirkung gegenüber
dem Bundesverwaltungsgericht als Rechtsmittelinstanz zu. Zum anderen würde eine entsprechende inhaltliche
Einschränkung bereits dem Wortlaut und dem Regelungszweck von Art. 49a Abs. 1
KG, der sich im Wortlaut
von Art. 3
SVKG widerspiegelt, widersprechen.
1573. Aus der Formulierung in Art. 3
SVKG,
die sprachlich nicht auf einen sachlich, räumlich und zeitlich relevanten Markt, sondern auf die
relevanten Märkte abstellt, ergibt sich bereits, dass damit nicht allein der einzelne Markt adressiert
wird, auf dem das Unternehmen seine beherrschende Stellung innehat. Denn eine funktionelle Austauschbarkeit
in Bezug auf einen massgeblichen sachlich, räumlich und zeitlich "relevanten Markt"
ist immer nur hinsichtlich eines einzigen bestimmten Markts gegeben und kann nicht in Bezug auf mehrere
Märkte festgestellt werden (vgl. E. 229
f., 256
f.). Der Begriff "relevante Märkte" ist vielmehr auf eine Erfassung aller derjenigen
Märkte ausgerichtet, auf denen sich eine nachteilige Einwirkung des wettbewerbswidrigen Verhaltens
feststellen lässt. Dabei kann es sich sowohl um den Markt, auf dem das Unternehmen seine marktbeherrschende
Stellung innehat, als auch weitere Sekundär- oder Tertiärmärkte handeln, die in das konkrete
wirtschaftliche Verhalten eingebunden sind. Dies entspricht dem gesetzgeberischen Regelungszweck von
Art. 49a Abs. 1
KG, nach dem mit einer Sanktionierung eine möglichst vollständige Erfassung
der für das Unternehmen infolge des wettbewerbswidrigen Verhaltens anfallenden Vorteile erreicht
werden soll (vgl. E. 1605).
Eine systematische Betrachtung führt zu keinem anderen Ergebnis, weil Art. 49a Abs. 1
KG als massgebliche
Sanktionsvorschrift noch nicht einmal auf den Begriff "Markt" abstellt.
1574. Demzufolge bedarf es auch keiner weiteren
rechtlichen Qualifizierung eines Sekundärmarkts. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1525
ff.) kommt dem Umstand, ob es sich hierbei um einen besonderen Systemmarkt oder um einen sonstigen nachgeordneten
Sekundärmarkt handelt, keine Bedeutung zu, weil die jeweilige Einwirkung mittels des wettbewerbswidrigen
Verhaltens durch das marktbeherrschende Unternehmen auf diesen Markt nicht von dessen Qualifizierung
abhängt.
1575. Vorliegend wären daher die Märkte
der verschiedenen Akzeptanzgeschäfte, der DCC-Währungsumrechnung und der ep2-Terminals als
relevante Märkte gemäss Art. 3
SVKG zu qualifizieren, weil das wettbewerbswidrige Verhalten
auf alle diese Märkte nachteilig eingewirkt hat. Der Markt für ep2-Terminals ist in diesem
Sinne relevant, weil infolge der Ablehnung einer Herausgabe der massgeblichen DCC-Schnittstellen-informationen
die anderen Terminalhersteller keine DCC-Terminals an die Händler absetzen konnten. Die Märkte
der verschiedenen Akzeptanzgeschäfte sind deshalb relevant, weil durch den Verbund der verschiedenen
Produkte die jeweilige Marktstellung der SIX-Gruppe weiter gestützt und die anderen Zahlungskartenakquisiteure
beeinträchtigt wurden. Gleiches gilt in entsprechender Weise für den Markt der DCC-Währungs-umrechnung.
Denn auf beiden Märkten wurde die Möglichkeit eines Produktabsatzes gegenüber den Händlern
infolge des Produkteverbunds zu Lasten der konkurrienden Leistungserbringer erhöht (vgl. E. 1224).
1576. Art.
3
SVKG statuiert zudem als Bemessungsgrundlage des Basisbetrags den gesamten Umsatz, den das betreffende
Unternehmen auf den jeweils relevanten Märkten erzielt hat, und nicht nur den Umsatz, der ausschliesslich
mit dem wettbewerbswidrigen Verhalten auf den jeweils relevanten Märkten erzielt wurde (vgl. BVGer,
B-7633/2009, ADSL II, E. 722). Vorliegend wären demnach die
gesamten Umsätze der SIX-Gruppe auf den Märkten der verschiedenen Akzeptanzgeschäfte,
der DCC-Währungsumrechnung und der DCC-Terminals als Basisumsatz zu berücksichtigen.
1577. Angesichts der vorstehenden Erläuterungen
ist der Einwand der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 1520
ff.), wonach lediglich der Umsatz aus dem Verkauf von ep2-Terminals, nicht aber der Umsatz aus sonstigen
Terminaldienstleistungen zur Sanktionsbemessung herangezogen werden könnte, unbegründet. Dies
gilt unabhängig davon, ob die Terminaldienstleistungen dem Markt der Zahlungskartenterminals zuzurechnen
oder als eigenständiger Markt bzw. als mehrere eigenständige Märkte zu qualifizieren sind.
Denn mit der fehlenden Möglichkeit zum Absatz von Zahlungskartenterminals wurde notwendigerweise
auch die Möglichkeit zur Erbringung von Terminaldienstleistungen durch die anderen Terminalhersteller
beeinträchtigt. Entgegen dem Einwand der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 1530)
wäre demnach auch im letzteren Fall eine Behinderung auf einem eigenständigen Markt der Terminaldienstleistungen
gegeben.
1578. Gegen eine Heranziehung des Umsatzes,
den die SIX-Gruppe mit dem Absatz von ep2-Terminals und der Erbringung von Terminaldienstleistungen erzielt
hat, bestehen daher keine Bedenken. Die Vorinstanz hat vielmehr zu Gunsten der Beschwerdeführerinnen
entgegen ihren eigenen Feststellungen zur Festlegung des massgeblichen Umsatzes (vgl. E. 1547)
sogar davon abgesehen, die Umsätze aus dem Akzeptanzgeschäft und der DCC-Währungsumrechnung,
die aufgrund ihrer Einbeziehung in das wettbewerbswidrige Verhalten im vorliegenden Fall ebenfalls als
relevant zu qualifizieren gewesen wären, der Sanktionsbemessung ebenfalls zu Grunde zu legen.
1579. Darüber hinaus ist auch der Einwand
der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 1533
ff.), wonach nicht alle Umsätze aus Terminaldienstleistungen mit dem Terminalmarkt in Verbindung
stehen würden und daher auch nicht in die Sanktionsbemessung einbezogen werden könnten, nicht
begründet, weil er zumindest nicht ausreichend substantiiert dargelegt wurde.
1580. Die Beschwerdeführerinnen haben
im Rahmen des Kartellverwaltungsverfahrens bei ihren Eingaben sowohl den Umsatz von Card Solutions auf
dem Terminalmarkt als auch den Umsatz von Card Solutions mit DCC-Terminals in aggregierter Form angegeben,
wobei diese Umsätze ab 2005 deckungsgleich waren, weil alle Zahlungskartenterminals DCC-fähig
gewesen seien. Der Umsatz mit DCC-Terminals wurde dabei ausdrücklich unter Einschluss der Position
"Wartung, Projekte und Services" ausgewiesen. Demzufolge haben die Beschwerdeführerinnen
selbst den Umsatz aus der Position "Wartung, Projekte und Services" dem Umsatz aus Geschäften
mit Zahlungskartenterminals und damit dem Terminalmarkt zugeordnet. Erst in der Stellungnahme zum Antrag
des Sekretariats wurde die Zuordnung der Position "Wartung, Projekte, Services" zum Umsatz
auf dem Terminalmarkt von den Beschwerdeführerinnen unter Hinweis auf den geringen Anteil des Umsatzes
aus Wartung, die andere Wettbewerbsstruktur bei den Terminaldienstleistungen sowie den Einschluss von
"weiteren Projekten, Reparaturen etc." bemängelt. Im Rahmen des gerichtlichen
Verfahrens haben die Beschwerdeführerinnen dann geltend gemacht, dass lediglich die Umsätze
aus Wartungsverträgen, Hotline Support, Service/Reparaturen etc., nicht aber die anderen in der
Position "Wartung, Projekte und Services" zusammengefassten Umsätze hinzugerechnet werden
könnten, weshalb die Umsätze aus einer Vermietung von Zahlungskartenterminals, aus der Vermarktung
von Analysetools für Terminaltransaktionen, aus Transaktionserträgen, aus Projekten und Dienstleistungen
ausserhalb der Wartung von Zahlungskartenterminals sowie aus e-commerce-Dienstleistungen herauszurechnen
seien. Gegenüber dem von der Vorinstanz aufgrund von Nachforschungen ermittelten Ergebnis, wonach
die SIX-Gruppe auch Umsätze in Zusammenhang mit der Inbetriebnahme der ep2-Terminals erzielt habe,
wenden die Beschwerdeführerinnen ein, dass es sich hierbei nur um geringe Beträge in Höhe
von {20-[ ] CHF bis [ ]-300
CHF} pro ep2-Terminal gehandelt habe.
1581. Dieser
Einwand ist bereits in sich widersprüchlich. Denn prinzipiell ist davon auszugehen, dass Umsätze
aus Tätigkeiten, die in einer Buchhaltungsposition zusammengefasst und dem Umsatz aus dem Geschäft
mit Zahlungskartenterminals zugeordnet werden, auch in einem sachlichen Zusammenhang mit dem Terminalmarkt
stehen. Zudem konstruieren die Beschwerdeführerinnen zur Abgrezung der zu berücksichtigenden
und nicht zu berücksichtigenden Umsätze aus Terminaldienstleistungen eine besondere Zwischenposition
in Form eines angeblich notwendigen Zusammenhangs mit der Wartung der verkauften Zahlungskartenterminals.
Diesem Aspekt ist allerdings keine Relevanz beizumessen. Massgebend sind vielmehr alle Terminaldienstleistungen,
die in Zusammenhang mit den Zahlungskartenterminals stehen, unabhängig davon, ob dieser Zusammenhang
seine Grundlage in der Wartung oder einem anderen Aspekt eines Zahlungskartenterminals findet. Zudem
haben die Beschwerdefüherinnnen aufgrund der Nachforschungen der Vorinstanz auch eingestanden, dass
sie in Zusammenhang mit der Inbetriebnahme der Zahlungskartenterminals und damit ausserhalb der Wartung
der verkauften Zahlungskartenterminals besondere Einkünfte erzielt hatten (vgl. E. 1534),
die sie im Rahmen ihrer Stellungnahmen zunächst verschleiert haben. Dabei ist es unerheblich, in
welcher Höhe diese Umsätze tatsächlich angefallen sind. Darüber hinaus wird auch
durch das Vorbringen der Beschwerdeführerinnen ein Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit
auf dem Markt für Zahlungskartenterminals gar nicht ausgeschlossen. Die Umsätze aus einer Vermietung
von Zahlungskartenterminals sowie der Vermarktung von Analysetools für Terminaltransaktionen und
aus Transaktionserträgen stehen jedenfalls in einem Zusammenhang mit Zahlungskartenterminals. Und
die Behauptung der Beschwerdeführerinnen, wonach es sich bei den Umsätzen für die Erarbeitung
von Projekten und Dienstleistungen um solche ausserhalb der Wartung von verkauften Zahlungskartenterminals
handle, bedeutet nicht, dass sie gar keinen Zusammenhang zu den Zahlungskartenterminals aufweisen. Gleiches
gilt auch für die Umsätze aus e-commerce-Dienstleistungen. Der Einwand der Beschwerdeführerinnen
ist aus diesen Gründen daher insgesamt nicht zu berücksichtigen.
1582. Entgegen dem Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1532)
bedurfte es daher auch keiner weiteren Sachverhaltsabklärungen im Hinblick auf das Bestehen eines
Systemmarkts, dessen Wettbewerbsverhältnisse und allfällige Behinderungswirkungen sowie den
Umfang von erbrachten und potenziellen Wartungsdienstleistungen. Dementsprechend ergibt sich aus dem
Unterlassen entsprechender Massnahmen auch kein Verstoss gegen den Untersuchungsgrundsatz durch die Vorinstanz.
Gleiches gilt auch für das vorliegende Beschwerdeverfahren.
1583. In
zeitlicher Hinsicht werden gemäss Art. 49a Abs. 1
KG die letzten drei Geschäftsjahre als massgeblich
für die Ermittlung des Basisbetrags statuiert. Der Zeitraum wurde durch den Gesetzgeber mit drei
Geschäftsjahren festgelegt, um zu verhindern, dass Unternehmen mittels geeigneter Massnahmen kurzfristig
den Umsatz verringern, um in den Genuss einer geringeren Sanktion zu gelangen (vgl. BVGer, B-7633/2009,
ADSL II, E. 726, mit Verweis auf Botschaft
KG 1995, 2037; Dähler/Krauskopf/ Strebel, Marktpositionen,
Rn. 8.119).
1584. Weder das Kartellgesetz noch die Sanktionsverordnung
sehen allerdings eine ausdrückliche Regelung über den Anknüpfungspunkt der massgeblichen
Geschäftsjahre vor. Gemäss einem Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts ist dabei prinzipiell
auf den Zeitpunkt der Beendigung des wettbewerbswidrigen Verhaltens abzustellen und nicht auf den Zeitpukt
der Einleitung oder den Abschluss eines Kartellverwaltungsverfahrens durch die Wettbewerbsbehörden,
soweit die wettbewerbswidrige Verhaltensweise noch vor oder während der Durchführung eines
Kartellverwaltungsverfahrens durch ein Unternehmen vollständig beendet wurde (vgl. BVGer, B-7633/2009,
ADSL II, E. 727; zustimmend Krauskopf,
Dike-KG, Art. 49 Abs. 1-2 Rn. 45; a.A. Reinert,
SHK-KG, Art. 49a Rn. 10;
Tagmann/Zierlick, BSK-KG, Art. 49a Rn. 48; Weber/Volz,
FHB-WBR, Rn. 3.233).
1585. Auf andere Zeiträume ist dann abzustellen,
wenn die besonderen Umstände des Einzelfalls dies nahelegen (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 728). So wäre der Abschluss des Beschwerdeverfahrens als massgeblicher Zeitpunkt zu
qualifizieren, wenn ein Unternehmen angesichts der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde das wettbewerbswidrige
Verhalten während des Beschwerdeverfahrens fortgeführt hat, um die sich aus der wettbewerbswidrigen
Verhaltensweise ergebenden Vorteile maximal auszunutzen. Zeiträume nach Beendigung des wettbewerbswidrigen
Verhaltens wären etwa dann zu berücksichtigen, soweit einem Unternehmen in den Folgejahren
durch das frühere wettbewerbswidrige Verhalten auch weiterhin dokumentierte umsatzrelevante Vorteile
in gesteigertem Ausmass zukommen.
1586. Da die Beendigung eines wettbewerbswidrigen
Verhaltens nicht zwangsläufig mit dem Ende eines kalendarischen oder statutarischen Geschäftsjahres
zusammenfällt, ist zur Ermittlung des massgeblichen Umsatzes entweder der Jahresabschluss, in dem
das wettbewerbswidrige Verhalten beendet wurde, oder der Jahresabschluss des vorhergehenden Jahres heranzuziehen,
je nach dem, welcher Abschluss einen engeren Zusammenhang zwischen wettbewerbswidrigem Verhalten und
dem im Abschluss ausgewiesenen Umsatz aufweist (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 729). Soweit der Umsatz im Beendigungsjahr heranzuziehen ist, kann bei Abschluss des Kartellverfahrens
vor Jahresende entsprechend Art. 4 Abs. 2 VKU auch eine Hochrechnung auf Durchschittswerten für
das ganze Jahr vorgenommen werden.
1587. Im vorliegenden Fall wurde das wettbewerbswidrige
Verhalten durch die SIX-Gruppe während des laufenden Kartellverwaltungsverfahrens im Januar 2007
beendet. Demzufolge wäre grundsätzlich auf den Gesamtumsatz der Jahre 2004 bis 2006 abzustellen
gewesen. Angesichts des Umstands, dass das wettbewerbswidrige Verhalten auf den Zeitpunkt ausgerichtet
wurde, zu dem aufgrund technologischer Verbesserungen der Zahlungskarten eine Änderung des Haftungsregimes
in den Zahlungskartensystemen durch die jeweiligen Kartenlizenzgeber vorgenommen wurde - worauf
in der angefochtenen Verfügung ausdrücklich Bezug genommen wird -, ergab sich für
die Händler eine gewisse Notwendigkeit zum Austausch der Zahlungskartenterminals, um eine verschärfte
eigene Haftung im Rahmen des neuen Haftungsregimes zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund ist daher nicht
zu beanstanden, wenn die Vorinstanz zur Sanktionsbemessung die jeweiligen Umsätze der SIX-Gruppe
aus dem Zeitraum von 2007 bis 2009 herangezogen hat. Das Abstellen auf diesen Zeitraum wurde von den
Beschwerdeführerinnen auch nicht grundsätzlich in Frage gestellt.
1588. Die Umsätze für den Zeitraum
von 2007 bis 2009 belaufen sich demnach entsprechend den Feststellungen der Vorinstanz auf einen Betrag
in Höhe von {120-[ . ]-150}
Mio. CHF, der als massgeblicher Basisumsatz anzusetzen ist.
(d)
Festlegung des Basisbetrags
1589. Gemäss Art. 3
SVKG ist der Basisbetrag
als Koeffizient des massgeblichen Basisumsatzes aufgrund der Art und Schwere des Verstosses festzulegen,
wobei die Obergrenze des Basisbetrags 10% des massgeblichen Basisumsatzes beträgt. Da bestimmte
Aspekte als erschwerende oder mildernde Umstände gemäss Art. 5
oder Art. 6
SVKG qualifiziert
werden müssen, bedarf es einer Abgrenzung, welche Aspekte im Rahmen von Art. 3
SVKG und welche im
Rahmen von Art. 5
SVKG bzw. Art. 6
SVKG zu berücksichtigen sind.
1590. Weder das Kartellgesetz noch die KG-Sanktionsverordnung
enthalten nähere Regelungen dazu, welche Aspekte unter die Kriterien "Art und Schwere des
Verstosses" zu subsumieren sind. Hierzu bestehen auch noch keine konsolidierten Ansichten und dementsprechend
keine gefestigte Praxis (vgl. BGE 143 II 297, Gaba, E. 9.7; BVGer,
B-829/2012, Granella, E. 10.5.6.1; BVGer, B-807/2012, Erne,
E. 11.5.6.1; BVGer, B-7633/ 2009, ADSL II, E. 743; Krauskopf,
Dike-KG, Art. 49 Abs. 1-2 Rn. 41 f.; Reinert,
SHK-KG, Art. 49a Rn. 14;
Roth/Bovet, CR-Concurrence, Art. 49a Rn. 27 ff.; Tagmann/Zierlick,
BSK-KG, Art. 49a Rn. 50 f.; Weber/
Volz, FHB-WBR, Rn. 3.236).
1591. Da es sich bei Art. 49a
KG um eine Vorschrift
mit strafrechtsähnlichem Charakter, nicht aber um eine strafrechtliche Vorschrift handelt (vgl.
E. 1479),
findet Art. 47
StGB jedenfalls keine Anwendung (BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 742).
1592. Mit dem Verweis auf die Art des Verstosses
wird der Gegenstand des wettbewerbswidrigen Verhaltens angesprochen. Dabei handelt es sich insbesondere
um die konkrete Form der Wettbewerbsbeschränkung und ihr abstraktes Gefährdungspotential. Der
Verweis auf die Schwere des Verstosses bezieht sich zunächt auf die grundlegenden objektiven Modalitäten
des wettbewerbswidrigen Verhaltens. Dabei werden im Rahmen des Basisbetrags die üblichen Umstände
und Auswirkungen, die mit einer entsprechenden Wettbewerbsbeeinträchtigung einhergehen, unterstellt
und anhand ihres jeweiligen Bedeutungsgehalts gewertet. Soweit die Ausführung aussergewöhnliche
Umstände und Auswirkungen umfasst, welche insbesondere die nachteilige Einwirkung verstärken
oder abfedern, sind diese als erschwerende Umstände gemäss Art. 5
SVKG oder als mildernde Umstände
gemäss Art. 6
SVKG zu qualifizieren. Mit dem Verweis auf die Schwere des Verstosses werden darüber
hinaus das Verschulden und damit die subjektive Komponente eines wettbewerbswidrigen Verhaltens angesprochen.
Dadurch wird eine differenzierte Berücksichtigung von Fahrlässigkeit und Vorsatz vorgegeben
(vgl. Häfelin/Müller/Uhlmann, Verwaltungsrecht,
Rn. 1179; a.A. Dähler/Kraus-kopf/Stebler, Marktpositionen,
Rn. 8.122, wonach die subjektiven Aspekte als erschwerende Umstände zu berücksichtigen seien).
Mit der Einbeziehung der objektiven Modalitäten und der subjektiven Komponente wird bei Kartellsanktionsverfahren
dem Grundsatz entsprochen, dass verwaltungsrechtliche Sanktionen der objektiven und subjektiven Schwere
der Pflichtverletzung entsprechend angemessen und aus Präventionsgründen gerechtfertigt sein
müssen (vgl. BGE 108 Ib 162 E. 5b).
1593. Den Wettbewerbsbehörden steht bei
der Gewichtung der verschiedenen Kriterien zur Festlegung des Basisbetrags allerdings ein erheblicher
Ermessensspielraum zu. Wenn selbst dem Strafrichter im Rahmen der Strafzumessung eines strafrechtlichen
Verfahrens ein solcher Entscheidungsspielraum zukommt (vgl. BGE 118 IV 342 E. 2a), dann besteht kein
Grund, die Wettbewerbsbehörden in einem verwaltungsrechtlichen Kartellsanktionsverfahren mit strafrechtsähnlichem
Charakter einem engeren Entscheidungsspielraum zu unterstellen (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 744).
1594. Im vorliegenden Fall wurde der Koeffizient
des Basisbetrags mit einem Wert von 5% angesetzt. Der Sanktionsrahmen wurde durch die Vor-instanz demnach
bei weitem nicht ausgeschöpft.
1595. Vorliegend
ist zu berücksichtigen, dass das wettbewerbswidrige Verhalten von Seiten der SIX-Gruppe vorsätzlich
begangen und durch das Zusammenwirken verschiedener Massnahmen planvoll umgesetzt wurde (vgl. E. 1505
ff.). Dabei wurden eine technische Übergangsphase am Markt und damit eine Marktphase, in denen für
die anderen Terminalhersteller sowie die Händler eine objektive Zwangswirkung aufgrund der technischen
Anforderungen gegeben war, gegenüber den anderen Terminalherstellern und den Händlern ausgenutzt.
Das Verhalten richtete sich dabei gegen einen Grossteil aller anderen Marktteilnehmer. Denn zum einen
wurde die Offenlegung der DCC-Schnittstelleninformationen für die Akzeptanz-Plattform gegenüber
allen anderen Terminalherstellern verweigert. Zum anderen stand allen Händlern, soweit sie einen
Akzeptanzvertrag mit der SIX-Gruppe abgeschlossen hatten oder hätten abschliessen wollen, nur eine
DCC-Lösung der SIX-Gruppe zur Verfügung (vgl. E. 1223
ff.). Es handelt sich somit um eine schwerwiegendere, und keinesfalls um eine geringfügigere Einwirkung
auf den Wettbewerb. Angesichts dieser Sachlage liegt die vorinstanzliche Festlegung des Koeffizienten
mit 5% unter Berücksichtigung der von der Vorinstanz vorgebrachten Aspekte (vgl. E. 1552)
am unteren Rand einer sachlich gerechtfertigten Festsetzung des Basisbetrags, was sich jedenfalls zu
Gunsten der Beschwerdeführerinnen auswirkt.
1596. Die Einreden der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1530,
1536),
wonach diese Ansetzung wegen des Fehlens von beachtenswerten Marktauswirkungen falsch sei, ist daher
unbegründet.
1597. Im Übrigen stützen die Beschwerdeführerinnen
diesen Einwand darauf ab, dass tatsächlich nur eine nach ihrer Ansicht geringe Anzahl an DCC-Terminals
im relevanten Zeitraum abgesetzt worden sei. Da es sich bei Art. 7
KG aber nicht um ein Erfolgsdelikt
handelt (vgl. E. 1209
ff.), ist die Menge der tatsächlich abgesetzten DCC-Terminals für die Beurteilung der Schwere
des wettbewerbswidrigen Verhaltens nicht relevant. Die Beschwerdeführerinnen legen hingegen nicht
ausreichend dar, dass das marktmissbräuchliche Verhalten aufgrund seiner konkreten Ausgestaltung
in jedem Fall nur geringe nachteilige Einwirkungen hätte aufweisen können. Dies gilt insbesondere
unter Berücksichtigung des Umstands, dass in diesem Zusammenhang nicht nur die Anzahl der tatsächlich
abgesetzten DCC-Terminals zu berücksichtigen ist, sondern auch die Anzahl der potenziell abgesetzten
DCC-Terminals angesichts der Notwendigkeit zum Bezug von DCC-Terminals der SIX-Gruppe für Händler
mit einem Akzeptanz-Vertrag der SIX-Gruppe. Darüber hinaus widerspricht diese Argumentation auch
den Feststellungen zur allgemeinen Bewerbung der DCC-Funktion und der DCC-Terminals durch die SIX-Gruppe
(vgl. E. 701
ff.).
1598. Der Basisbetrag ist demzufolge entsprechend
der Festlegung der Vorinstanz mit einem Wert in Höhe von {6-[ . ]-7.5}
Mio. CH zu veranschlagen.
(e)
Dauer des wettbewerbswidrigen Verhaltens
1599. Gemäss Art. 49a Abs. 1
KG bemisst
sich die Sanktion auch nach der Dauer des unzulässigen Verhaltens. Art. 4
SVKG konkretisiert diese
Erhöhung dahingehend, dass der Basisbetrag bei einer Dauer zwischen einem und fünf Jahren um
bis zu 50% und bei einer Dauer von mehr als fünf Jahren für jedes weitere angefangene Jahr
um bis zu 10% zu erhöhen ist.
1600. Über die zur Verfügung stehende
Ausgestaltung des zeitlichen Erhöhungsgrunds für die ersten fünf Jahre bestehen in Rechtsprechung
und Literatur unterschiedliche Ansichten (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 754 f. m.w.H.). Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem jüngeren Urteil unter Anwendung
des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes darauf abgestellt, dass bei einem Wettbewerbsverstoss
mit Dauercharakter, dem beim Fehlen von besonderen Umständen von Anfang an im Wesentlichen die gleichen
Wirkungen über die jeweilige Zeitdauer zuzusprechen sind, während der ersten fünf Jahre
grundsätzliche eine stufenweise Erhöhung um 0,8333% je angefangenem Monat, seit dem das wettbewerbswidrige
Verhalten durchgeführt wurde, vorzunehmen sei. Soweit die nachteiligen Einwirkungen im Einzelfall
nach Art und Inhalt der Wettbewerbsbeschränkung allerdings nicht gleichmässig über die
gesamte Zeitdauer, sondern verstärkt während bestimmter Phasen auftreten würden, bestünde
auch die Möglichkeit zu einer variablen Ansetzung der Erhöhung (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 755). Demgegenüber wurde von Seiten des Bundesgerichts unter Berücksichtigung
eines gewissen zulässigen Schematismus die stufenweise Erhöhung um 10% pro Jahr bereits in
den ersten fünf Jahren nicht für bundesrechtswidrig qualifiziert (vgl. BGE 139 II 72, Publigroupe,
E. 12.3.4 [nicht publ.]).
1601. Vorliegend wurde das wettbewerbswidrige
Verhalten von der SIX-Gruppe während eines Zeitraums von 19 Monaten zwischen Juli 2005 und Januar
2007 durchgeführt (vgl. E. 921).
Daher ist der Einwand der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 1538),
wonach eine Erhöhung wegen der Dauer des wettbewerbswidrigen Verhaltens nicht zulässig sei,
weil ein wettbewerbswidriges Verhaltens allenfalls während des kurzen Zeitraums zwischen der definitiven
Zertifizierung im Mai 2006 und dem Beginn der Verhandlungen mit den anderen Terminalherstellern im Dezember
2006 vorgelegen haben könne, unbegründet.
1602. Die von der Vorinstanz vor Erlass der
vorstehend erwähnten Urteile festgelegte pauschale Erhöhung um 10% entspricht dem vom Bundesgericht
für zulässig erachteten Schematismus und weicht von einer strikt verhältnismässigen
Erhöhung um 15,83% entsprechend der Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts nicht wesentlich ab,
weshalb die vorgenommene Erhöhung ungeachtet der unterschiedlichen Auffassungen jedenfalls nicht
zu beanstanden ist.
1603. Wegen der Dauer des wettbewerbswidrigen
Verhaltens ist der Basisbetrag demzufolge um den Betrag in Höhe von {600´000-[ ´ ]-700´000}
CHF zu erhöhen.
(f)
Berücksichtigung des mutmasslichen Gewinns
1604. Gemäss Art. 49a Abs. 1
Satz 4 KG
und Art. 2 Abs. 1
SVKG, der diese Bestimmung wiederholt, ist im Rahmen einer Sanktionierung der mutmassliche
Gewinn, den das Unternehmen erzielt hat, angemessen zu berücksichtigen. Gegebenenfalls ist der Basisbetrag
gemäss Art. 5
SVKG entsprechend zu erhöhen.
1605. Aufgrund
der ausdrücklichen Formulierung dieser Vorschriften ist ersichtlich, dass eine genaue Ermittlung
des tatsächlich erzielten wettbewerbswidrigen Gewinns für dessen Berücksichtigung nicht
erforderlich ist (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 768). Vielmehr
ist es ausreichend, dass die Grössenordnung des unrechtmässigen Gewinns abgeschätzt werden
kann (vgl. Botschaft KG 2004, 2037). Dies entspricht den Ausgangshypothesen
des Gesetzgebers, wonach zum einen (i) die Kartellrendite abzuschöpfen ist, um eine ausreichend
abschreckende Wirkung zu erzielen (vgl. Botschaft KG 2004, 2033,
2037: "Wettbewerbswidrige Verhaltensweisen dürfen sich nicht lohnen. Deshalb muss der Sanktionsrahmen
so weit gefasst sein, dass die Berechung des Netto-Nutzens für die Unternehmen [...] negativ ausfällt";
BGE 143 II 297, Gaba, E. 9.7.2; BVGer, B-807/2012, Erne,
E. 11.5.8.7; BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 680 f.; Borer,
KG, Art. 49a Rn. 15; Dähler/Krauskopf/Strebel,
Marktpositionen, Rn. 8.119; David/Frick/Kunz/Studer/Zimmerli,
SIWR-Rechtsschutz, Rn. 1335; Krauskopf,
Dike-KG, Art. 49 Abs. 1-2 Rn. 61; Reinert,
SHK-KG, Art. 49a Rn. 16; Tagmann/
Zierlick, BSK-KG, Art. 49a Rn. 11; Wiprächtiger/Zimmerlin,
Veranwortlichkeit, 211), und zum anderen (ii) der Umsatz als Bemessungsgrundlage
für die Sanktionierung heranzuziehen ist, weil der wettbewerbswidrige Gewinn in den allermeisten
Fällen gar nicht eindeutig bestimmt werden kann und die Präventionswirkung der direkten Sanktionen
nicht durch Beweisschwierigkeiten in Frage gestellt werden darf (vgl. Botschaft
KG 2004, 2037). Da die Sanktionierung mittels eines prozentualen Koeffizienten an den Umsatz anknüpft,
bedarf es auch keiner exakten Ermittlung des wettbewerbswidrigen Gewinns, weil dieser Betrag gar nicht
unmittelbar in eine Sanktion einfliesst. Ungeachtet dieser Erleichterung ist es für einen Nachweis
des wettbewerbswidrigen Gewinns als Voraussetzung für dessen Berücksichtigung im Rahmen der
Sanktionsbemessung erforderlich, dass die jeweilige Feststellung aufgrund objektiver Anhaltspunkte erfolgt.
Eine blosse Schätzung ins Blaue hinein bildet daher keine ausreichende Grundlage für eine Erhöhung
der Sanktion. Die in Art. 5 Abs. 1 lit. b
SVKG verwendete Formulierung einer "objektiven Ermittlung"
ist in diesem Sinne zu verstehen (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL II,
E. 630).
1606. Soweit eine objektivierte Abschätzung
des mutmasslichen Gewinns möglich ist, haben die Wettbewerbsbehörden den entsprechenden Betrag
in die Berechnung der Sanktion einfliessen zu lassen. Ihnen kommt diesbezüglich kein Entschliessungsermessen
zu; allein in Bezug auf die Festlegung des Koeffizienten für die Erhöhung des Basisbetrags
steht ihnen aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls ein Ermessensspielraum zu (vgl. BVGer,
B-7633/2009, ADSL II, E. 769).
1607. Dabei ist im Einzelfall durch eine Erhöhung
des Basisbetrags sicherzustellen, dass der festgestellte oder abgeschätzte wettbewerbswidrige Gewinn
durch die Sanktionierung auch vollständig abgeschöpft wird (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 770), weil er für diesen Fall ein wesentliches Bemessungskriterium für die Sanktion
darstellt (vgl. Botschaft KG 2004, 2037). Aufgrund des Regelungszwecks
einer vollständigen Abschöpfung ist es dabei angesichts der eindeutigen gesetzgeberischen Intention
entgegen dem Wortlauf von Art. 5 Abs. 1
SVKG unerheblich, ob es sich beim wettbewerbswidrigen Gewinn
in absoluten Zahlen, im Verhältnis zum Umsatz oder in Bezug auf sonstige Kriterien um einen besonders
hohen, normalen oder niedrigen Betrag handelt (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 770).
1608. Entgegen dem Einwand der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1543)
ist es dabei unerheblich, ob der Aspekt einer Prävention ausdrücklich in Art. 49a
KG als Bemessungsgrundlage
aufgeführt wird oder nicht, weil sich die Zwecke der Präventionswirkung und der Gewinnabschöpfung
unzweifelhaft aus der Botschaft KG 2004 ergeben und bereits von
der Statuierung einer formalen Gewinnberücksichtigung ohne Weiteres eine präventive Wirkung
ausgeht.
1609. Die Beschwerdeführerinnen machen
geltend, dass vorliegend lediglich ein sehr geringer Gewinn angefallen sei. Die Vorinstanz hat demgegenüber
nicht dargelegt, dass der mutmassliche Gewinn durch die vorgesehene Sanktion auf der Grundlage des festgelegten
Basisbetrags nicht abgeschöpft werde. Entsprechend konkrete Anhaltspunkte für eine objektive
Abschätzung lassen sich auch durch das Gericht nicht identifizieren. Daher ist davon auszugehen,
dass ein allfälliger mutmasslicher Gewinn durch den vorgesehenen Basisbetrag ausreichend abgeschöpft
wird. Der Basisbetrag ist daher wegen des durch das wettbewerbswidrige Verhalten erzielten mutmasslichen
Gewinns nicht zu erhöhen.
1610. Im vorliegenden Fall ergibt sich entgegen
den Einwänden der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 1539
ff.) allerdings umgekehrt auch kein Grund für eine Reduzierung des Sanktionsbetrags aufgrund eines
sehr geringen tatsächlich oder mutmasslich angefallenen Gewinns.
1611. Im Rahmen der Sanktionsbemessung bestehen
für die Wettbewerbsbehörden und die Instanzgerichte weder eine Verpflichtung zu einer zwingenden
Berücksichtigung noch eine Verpflichtung zu einer verhältnismässigen Ausrichtung des Sanktionsbetrags
am jeweiligen Gewinn, der durch das wettbewerbswidrige Verhalten erzielt oder mutmasslich erzielt wurde
(im Ergebnis so auch BVGer, B-807/2012, Erne, E. 11.5.6.5).
1612. Einer
entsprechenden Anforderung steht zunächst bereits der Umstand entgegen, dass es sich bei Art. 7
KG nicht um ein Erfolgsdelikt handelt, sondern bereits eine potenziell nachteilige Einwirkung auf den
Wettbewerb für die Verwirklichung eines tatbestandlichen wettbewerbswidrigen Verhaltens ausreichend
ist (vgl. E. 1209
ff.). Eine entsprechende Ausgestaltung ist auch bei verwaltungsrechtlichen Tatbeständen mit einer
strafrechtsähnlichen Sanktionierung zulässig (vgl. E. 1478).
Die Festlegung der Höhe des Geldbetrags im Rahmen einer sanktionsmässigen Beurteilung des wettbewerbswidrigen
Verhaltens kann demzufolge nicht von der Höhe des tatsächlich oder mutmasslich angefallenen
Gewinns des Unternehmens abhängig gemacht werden. Zudem ist die Höhe des anfallenden Gewinns
im Einzelfall von weiteren Aspekten abhängig, die nicht in Zusammenhang mit der Art und Schwere
des wettbewerbswidrigen Verhaltens stehen. Ansonsten würde dadurch faktisch die tatsächliche
Durchsetzung des wettbewerbswidrigen Verhaltens am Markt gegenüber den jeweiligen Marktteilnehmern
und damit dessen Erfolg zum entscheidenden Kriterium für eine Sanktionierung aufgewertet werden.
1613. Des Weiteren ist eine zwingende Berücksichtigung
des tatsächlich oder mutmasslich angefallenen Gewinns auch deshalb ausgeschlossen, weil bestimmte
Varianten eines marktmissbräuchlichen Verhaltens nicht notwendigerweise auf die Erzielung einer
gewissen Kartellrendite ausgerichtet, sondern unabhängig von bestimmten Renditeüberlegungen
ausschliesslich auf eine nachteilige Einwirkung auf die Geschäftstätigkeit von anderen Marktteilnehmern
ausgerichtet sein kann. So dient eine Anwendung von Kampfpreisen ganz offensichtlich nicht zur Erzielung
besonderer Kartellrenditen, sondern zur Verdrängung von Konkurrenten auf dem jeweiligen Markt. Selbst
eine Koppelung muss nicht auf die Erzielung von zusätzlichen Gewinnen durch den Absatz des Zusatzprodukts
ausgerichtet sein, sondern kann ausschliesslich zur Erlangung höherer Marktanteile auf dem Markt
des Zusatzprodukts und in der Absicht einer Ausdehnung der Marktbeherrschung vorgenommen werden. Die
Berücksichtigung eines nicht vorhandenen, weil vom wettbewerbswidrig handelnden Unternehmen nicht
intendierten Gewinns ist von vornherein nicht möglich und daher ausgeschlossen.
1614. Gleiches gilt in entsprechender Weise
auch für die Sachverhaltskonstellationen, in denen sich weder ein tatsächlich erzielter Gewinn
nachweisen noch ein mutmasslich angefallener Gewinn aus den wettbewerbswidrigen Geschäften mit ausreichender
Sicherheit abschätzen lässt, was regelmässig der Fall sein dürfte.
1615. Angesichts der Unmöglichkeit, die
Berücksichtigung eines tatsächlich oder mutmasslich angefallenen Gewinns in jedem Fall sicherstellen
zu können, umfasst der Begriff "angemessen" in Art. 49a Abs. 1
KG nach Sinn und Zweck
der Regelung jedenfalls nicht die Notwendigkeit zu einer zwingenden Berücksichtigung.
1616. Da die Beschwerdeführerinnen zur
Begründung ihrer Behauptung darauf abstellen (vgl. E. 1540),
dass Art. 49a Abs. 1
KG keine Differenzierung zwischen den verschiedenen Formen eines Marktmissbrauchs
vorsehe, ergibt sich bereits nach ihrer eigenen Gesetzesinterpretation, dass die fehlende Möglichkeit
zur Berücksichtigung eines geringen tatsächlich oder mutmasslich angefallenen Gewinns alle
Missbrauchsformen erfasst.
1617. Der Regelungszweck von Art. 49a Abs.
1
Satz 4 KG besteht auch nicht in einer verhältnismässigen Ausrichtung des Sanktionsbetrags
am tatsächlich oder mutmasslich angefallenen Gewinn aus dem wettbewerbswidrigen Verhalten. Dies
ergibt sich bereits aus der Formulierung, weil diese auf den mutmasslichen Gewinn abstellt und den tatsächlich
eingetretenen Gewinn gerade nicht einbezieht. Vielmehr wurde mit dieser Formulierung allein die Intention
des Gesetzgebers zum Ausdruck gebracht, dass nach Möglichkeit eine allfällige erzielte Kartellrendite
durch den Sanktionsbetrag in möglichst grossem Umfang abgeschöpft werden sollte (vgl. BVGer,
B-7633/2009, ADSL II, E. 632). Die Regelung stellt daher lediglich
einen Bezug zu einem zumindest mutmasslich hohen Gewinn her und ist nicht umgekehrt auf eine verhältnismässige
Berücksichtigung von tatsächlichen oder mutmasslichen geringen Gewinnen ausgerichtet.
1618. Eine entsprechende Anforderung widerspricht
überdies auch dem Regelungszweck der Sanktionierung, präventiv auf die Marktteilnehmer einzuwirken,
um sie von vornherein zu veranlassen, ein wettbewerbswidriges Verhalten zu unterlassen (vgl. E. 1605).
Vielmehr würden sich aus der Herstellung einer linearen Korrelation zwischen der Höhe des Gewinns
aus einem wettbewerbswidrigen Verhalten und der Höhe des Sanktionsbetrags umgekehrt sogar zusätzliche
Anreize zur Umsetzung eines wettbewerbswidrigen Verhaltens einstellen.
1619. Zum einen könnten die zusätzlichen
finanziellen Belastungen einer Sanktionierung durch die strategische Ausgestaltung des wettbewerbswidrigen
Verhaltens hinsichtlich eines fehlenden oder geringen Gewinns in einem überschaubaren Rahmen gehalten
werden. Letztlich würde dies dazu führen, dass ein Unternehmen das Ausmass seiner Sanktionierung
für ein wettbewerbswidriges Verhalten faktisch selbst bestimmen könnte.
1620. Zum anderen würden die niedrigeren
Produktpreise, die sich aus solch einer Strategie ergäben, die Umsetzung eines marktbeherrschenden
Verhaltens sogar noch unterstützen. Jedenfalls für finanzstarke marktbeherrschende Unternehmen
würden sich dadurch verlockende Möglichkeiten zu einem wettbewerbswidrigen Verhalten eröffnen.
So wäre es einem marktbeherrschenden Unternehmen dann z.B. möglich, eine Erschliessung von
Sekundärmärkten mit einem eigenen Podukt durch eine Niedrigpreisstrategie in Angriff zu nehmen
und dabei noch von einer Reduktion der kartellrechtlichen Sanktionen aufgrund eines gänzlich fehlenden
oder marginalen Gewinns zu profitieren.
1621. Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber
die Grenzen einer Sanktionierung auch nicht an den tatsächlich oder mutmasslich angefallenen Gewinn
angeknüpft, sondern gemäss Art. 49a Abs. 1
KG an den Maximalwert des Umsatz-Koeffizienten,
welcher das primäre Berechnungsinstrument der Wettbewerbsbehörde für eine Festlegung der
Sanktionen bildet. Aufgrund der Ausgestaltung der Sanktionsermittlung durch die Sanktionsverordnung des
Bundesrats wurde die Begrenzung dabei in zweifacher Weise zum einen gemäss Art. 3
SVKG an den Umsatz-Koeffizienten
für den Basisumsatz auf den relevanten Märkten in der Schweiz sowie gemäss Art. 7
SVKG
an den Umsatz-Koeffizienten für den Gesamtumsatz des Unternehmens in der Schweiz geknüpft.
1622. Der Gesetzgeber hat demzufolge eine Umsetzung
der Sanktionierung auf der Grundlage des vom Unternehmen erzielten Umsatzes vorgegeben. Auch deshalb
erfordert der Aspekt des tatsächlich oder mutmasslich angefallenen Gewinns keine verhältnismässige
Berücksichtigung im Rahmen der Sanktionsbemessung. Dies gilt umso mehr, als sich die Sanktionierung
in der Schweiz im Gegensatz zu anderen Wettbewerbsordnungen ausschliesslich auf die im Inland getätigten
Umsätze bezieht (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E. 632).
Denn dadurch wird die tatsächlich vorhandene Wirtschaftkraft eines Unternehmens, der ein direkter
Einfluss auf die Durchführung eines wettbewerbswidrigen Verhaltens zukommt, nicht vollumfänglich
erfasst.
1623. Die vorstehenden Prämissen schliessen
allerdings nicht aus, dass im Einzelfall bei Berücksichtigung der Gesamtumstände von einer
bloss geringfügigen Einwirkung auf den Wettbewerb auszugehen ist, wofür wiederum ein tatsächlich
oder mutmasslich angefallener geringer Gewinn zusätzlich als Beleg dienen kann (im Ergebnis ebenso
BVGer, B-807/2012, Erne, E. 11.5.9). In diesem Falle wäre
dann eine Reduktion der Sankion aufgrund des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes vorzunehmen.
1624. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1540)
stellt die fehlende Berücksichtigung eines allfällig niedrigen tatsächlich angefallenen
Gewinns jedenfalls keine unverhältnismässige und damit keine gesetzes- oder verfassungswidrige
Anwendung von Art. 49a Abs. 1
KG durch die Vorinstanz im Rahmen der angefochtenen Verfügung dar.
1625. Angesichts
dieser Ausgangslage ist es unerheblich, dass die Beschwerdefüherinnen den Nachweis für einen
tatsächlich vorliegenden geringen Gewinn nicht in ausreichender Weise substantiiert vorgetragen
haben. Hierzu wäre angesichts der Beweislast die Vorlage einer detaillierten Margen- und Gewinnberechnung
des Unternehmens erforderlich, aus der sich schlüssig und zweifelsfrei der angefallene Gesamtgewinn
für den relevanten Zeitraum nachvollziehen liesse. Nicht ausreichend ist hingegen die blosse Behauptung
oder eine rudimentäre Darstellung, die sich nicht schlüssig nachvollziehen lässt; hierbei
handelt es sich letztlich nur um eine nicht substantiierte Behauptung. Im Übrigen handelt es
sich bei der konkreten Beeinträchtigung des Wettbewerbs auch nicht um eine geringfügige Einwirkung
(vgl. E. 1147,
1595).
(g)
Sonstige Erhöhungs- oder Milderungsgründe
1626. Art 5
SVKG sieht vor, dass bei Vorliegen
von erschwerenden Umständen eine Erhöhung der Sanktion vorzunehmen ist.
1627. Vorliegend ergeben sich keine Hinweise
auf besondere Aspekte, aufgrund derer erschwerende Umstände des konkreten wettbewerbswidrigen Verhaltens
entgegen der Qualifizierung durch die Vorinstanz anzunehmen wären.
1628. Art. 6
SVKG sieht vor, dass beim Vorliegen
von mildernden Umständen eine Verminderung der Sanktion vorzunehmen ist, wobei die Vorschrift verschiedene
Aspekte ausdrücklich anführt. Im Hinblick auf die entsprechenden Umstände ist zu beachten,
dass es sich hierbei nicht um Aspekte handeln kann, die bereits im Hinblick auf die Festlegung des Basisbetrags
zu berücksichtigen sind (vgl. BVGer, B-7633/2009, ADSL II,
E. 778).
1629. Vorliegend ergeben sich keine Hinweise
auf besondere Aspekte, aufgrund von derer das konkrete wettbewerbswidrige Verhalten entgegen der Qualifizierung
durch die Vorinstanz als weniger schwerwiegend zu qualifizieren wäre, und die über solche Gründe
hinausgehen, die bereits im Rahmen der Festlegung des Basisbetrags zu berücksichtigen gewesen wären.
Insbesondere hat die SIX-Gruppe das wettbewerbswidrige Verhalten auch nach Eröffnung der Untersuchung
durch die Wettbewerbsbehörden noch fortgeführt. Ein allenfalls tatsächlich oder mutmasslich
angefallener geringer Gewinn vermag vorliegend auch keinen Nachweis für eine geringe Schwere der
nachteiligen Einwirkung auf den Wettbewerb durch das konkrete wirtschaftliche Verhalten darzustellen.
Eine Milderung aufgrund der Möglichkeit einer bloss gerinfügigen Einwirkung auf den Wettbewerb
scheidet deshalb aus.
1630. Der von den Beschwerdeführerinnen
geltend gemachte Aspekt (vgl. E. 1536),
wonach das Verhalten der Anzeigeerstatterin nach Offenlegung der Schnittstellen auf eine fehlende Unerlässlichkeit
der Schnittstelleninformationen habe schliessen lassen, ist wie dargelegt (vgl. E. 1028
f.) unbegründet, unabhängig davon, ob er als Merkmal des objektiven Tatbestands im Rahmen der
Sanktionsbemessung überhaupt einer Berücksichtigung zugänglich wäre.
1631. Der von den Beschwerdeführerinnen
vorsorglich erhobene Einwand (vgl. E. 1544),
wonach eine Feststellung von gegenüber der angefochtenen Verfügung geringeren Anzahl von Missbrauchsformen
durch das Gericht zwingend zu einer Reduzierung der vorinstanzlichen Sanktion führen müsse,
ist schon deshalb unbeachtlich, weil das Gericht nicht an die Feststellungen der Vorinstanz gebunden
ist. Daher kann das Gericht zum einen nach der Feststellung eines einschlägigen Missbrauchstatbestands
ohne Weiteres auf eine Überprüfung von weiteren, durch die Vorinstanz festgestellten Missbrauchsformen
verzichten. Zum anderen hat das Gericht eine eigene Einschätzung der Rechtmässigkeit der vorgesehenen
Sanktionen bei deren Überprüfung vorzunehmen. Eine gerichtliche Reduzierung der vorinstanzlichen
Sanktion könnte sich demzufolge nur dann ergeben, wenn deren Höhe massgeblich durch den Aspekt
einer Verwirklichung von mehreren Tatbeständen beeinflusst wurde und der Wegfall eines Tatbestands
bei ordnungsgemässer Ausübung des Ermessens eine Reduzierung notwendigerweise nach sich zieht.
Vorliegend ist eine Reduktion der vorinstanzlichen Sanktion angesichts einer Feststellung von weniger
Missbrauchsformen durch das Gericht aber von vornherein ausgeschlossen, weil der Basisbetrag nicht wegen
einer Erfüllung von mehreren Missbrauchsformen erhöht wurde bzw. wird. Insoweit ist zu Gunsten
der Beschwerdeführerinnen die implizite Annahme der Vorinstanz, wonach dem Verhalten eine Handlungseinheit
zu Grunde liegt, zu berücksichtigen. Auch die Festlegung des Basisbetrags selbst beruht nicht auf
einer Berücksichtigung von mehreren Tatbestandsvarianten (vgl. E. 1595).
Selbst wenn eine Verwirklichung verschiedener Tatbestandsvarianten als zusätzliches Bewertungselement
Eingang in die vorinstanzliche Sanktionsbemessung gefunden hätte, stellt die konkrete Festlegung
des Basisbetrags-Koeffizienten im vorliegenden Fall aus den genannten Gründen die untere Grenze
einer sachgerechten Sanktionierung dar, weshalb für eine zusätzliche Reduktion kein Raum verbleibt.
1632. Der von den Beschwerdeführerinnen
geltend gemachte vorsorgliche Einwand (vgl. E. 1545),
wonach für die Feststellung einer gegenüber der angefochtenen Verfügung anders gelagerten
Marktdefinition durch das Gericht eine Reduktion der Sanktion vorzunehmen wäre, ist ebenfalls unbeachtlich,
weil die Sanktionierung sich auf den massgeblichen Umsatz auf den relevanten Märkten abstützt
und nicht auf einen bestimmten relevanten Markt abstellt. Daher hat eine gerichtliche Anpassung des relevanten
Markts gegenüber der angefochtenen Verfügung nicht automatisch eine sanktionsreduzierende Auswirkung.
Vielmehr ergibt sich eine Sanktionsanpassung allein aufgrund einer Reduzierung oder auch Erhöhung
der massgeblichen Umsätze auf den angepassten relevanten Märkten.
(h)
Maximalsanktion
1633. Gemäss Art. 49a Abs. 1
KG und Art.
7
SVKG ist die Belastung in jedem Fall auf 10% des Gesamtumsatzes, den das Unternehmen in den letzten
drei Geschäftsjahren in der Schweiz erzielt hat, als Maximalsanktion zu begrenzen.
1634. Die SIX-Gruppe hat gemäss Geschäftsberichten
und Zusammenschlussbericht für den relevanten Zeitraum unstrittig einen kumulierten konsolidierten
Konzernumsatz in der Schweiz in Höhe von {3´000-[ ´ ]-3´500}
Mio. CHF erzielt. Die zulässige Maximalsanktion ist daher auf diesen Betrag beschränkt.
1635. Der von der Vorinstanz festgelegte Sanktionsbetrag
liegt unterhalb dieser Maximalsanktion.
(i)
Ergebnis
1636. Die von der Vorinstanz festgelegte Sanktion
für das wettbewerbswidrige Verhalten der SIX-Gruppe ist aufgrund der Prüfung der einschlägigen
Sanktionsaspekte durch das Bundesverwaltungsgericht in vollem Umfang zu bestätigen.
4)
Berücksichtigung langer Verfahrensdauer
1637.
Im Hinblick auf eine Sanktionierung ist das Gebot der fristgemässen Beurteilung in angemessener
Frist zu beachten.
(1)
Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
1638.
Die Beschwerdeführerinnen machen einen Verstoss gegen das Gebot der fristgemässen Beurteilung
geltend.
1639.
Eine Verfahrensdauer von über zehn Jahren werde vom Europäischen Gerichshof für
Menschenrechte als grundsätzlich unangemessen bewertet. Werde diese Grenze von zehn Jahren ohne
ersichtlichen Grund überschritten, könne ohne Weiteres von einer verfassungswidrigen bzw. EMRK-widrigen
Verfahrensdauer ausgegangen werden.
1640.
Die Überschreitung der Verfahrensdauer führe zu einem Freispruch oder sogar zu einer
Entschädigungsleistung.
1641. Ohne Berücksichtigung der Dauer
der Vorabklärung habe das vorliegende, noch nicht abgeschlossene kartellrechtliche Verfahren insgesamt
bereits mehr als 11,5 Jahre gedauert. Spezifische Gründe für diese sehr lange Verfahrensdauer
seien nicht ersichtlich.
1642.
Die Beschwerdeführerinnen beantragen daher die vorbehaltlose Einstellung des Verfahrens wegen
einer übermässig langen Verfahrensdauer.
(2)
Vorbringen der Vorinstanz
1643.
Die Vorinstanz hat auf eine Stellungnahme hierzu verzichtet.
(3)
Würdigung durch das Gericht
1644. Art.
29 Abs. 1
BV statuiert die Garantie, dass in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen eine Beurteilung
innerhalb angemessener Frist erfolgt. Dieses Gebot der fristgemässen Beurteilung oder Beschleunigungsgebot
gilt in allgemeiner Weise für sämtliche Sachbereiche und alle Verfahren vor Gerichten und Verwaltungsbehörden
(vgl. BGE 130 I 269 E. 2.2; BGE 130 I 312 E. 5.2; Müller/Schefer,
Grundrechte, 836 f.; Rhinow
René, Grundzüge des Schweizerischen Verfassungsrechts, 2003, 481;
Rhinow/Koller/Kiss/Thurnherr/Brühl-Moser, Prozessrecht,
Rn. 120 f., 288 f.; Schott, FHB-VerwR,
Rn. 24.59; Steinmann gerold, in: Ehrenzeller/Schindler/Schweizer/Vallender
[Hrsg.], Die schweizerische Bundesverfassung, 3. Aufl. 2014, zit.
SGK-BV, Art. 29 Rn. 22 f.). Für Verfahren in straf-
und zivilrechtlichen Angelegenheiten wird ein entsprechender Anspruch durch Art. 6 Abs. 1
EMRK und Art.
14 Abs. 3 lit. c
UNO-Pakt II begründet (vgl. Meyer-Ladewig,
EMRK, Art. 6 Rn. 188 f.), der auch für die strafrechtsähnlichen Kartellsanktionsverfahren Anwendung
findet. Das Schutzniveau von Art. 6 Abs. 1
EMRK geht allerdings nicht grundsätzlich über dasjenige
von Art. 29 Abs. 1
BV hinaus (vgl. BGE 130 I 269 E. 2.2; Müller/Schefer,
Grundrechte, 836 f.).
1645. Nach der ständigen Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wie auch des Bundesgerichts finden für
eine Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer keine vorgegebenen Zeiträume Anwendung.
Vielmehr ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die tatsächliche Dauer sich unter den konkreten
Umständen rechtfertigen lässt (vgl. EGMR, 9.7.2015, 8824/09 und 42836/12, El Khoury gg. Deutschland,
zit. El Khoury, Ziff. 82; EGMR, 4.9.2014, 68919/10, Peter gg.
Deutschland, zit. Peter, Ziff. 37 ff.; EGMR, 2.12.2014, 53339/09,
Siermi sky gg. Polen, zit. Sierminsky, Ziff. 63 f.; EGMR,
10.9.2010, 31333/06, McFarland gg. Irland, zit. McFarland, Ziff.
140 ff.; EGMR, 16.12.2003, 42083/98, Mianowski gg. Polen, zit. Mianowski,
Ziff. 46; BGE 130 I 312 E. 5 sowie BGE 135 I 265 E. 4.4; BGE 134 I 229 E. 2.3; BGE 125 V 373 E. 2b; Villiger
Mark E., Handbuch der europäischen Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 1999, zit. EMRK,
Rn. 468; Meyer-Ladewig, EMRK,
Art. 6 Rn. 207). Im Einzelfall ist ein Verfahren demzufolge selbst bei einer unüblich langen Verfahrensdauer
nicht zwingend als unangemessen zu qualifizieren (vgl. EGMR, 68919/10, Peter,
Ziff. 47).
1646. Für eine Beurteilung sind die folgenden
spezifischen Aspekte zu beachten (vgl. allgemein BGE 135 I 265 E. 4.4; BGE 130 I 312 E. 5.1; Frowein/
Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 251 f.;
Fuchs Claudia, Verfahrensgrundrechte im Eingriffs- und Schrankenmodell?, Überlegungen zur
Struktur grundrechtlicher Verfahrensgarantien, ZöR [Zeitschrift für öffentliches Recht]
2012, 537, 549 f.; Grabenwarter/Pabel, EMRK,
§ 24 Rn. 70; Haefliger/Schürmann, EMRK,
201 ff.; Meyer-Ladewig, EMRK,
Art. 6 Rn. 200 f.; Müller/Schefer, Grundrechte,
840 f.; Steinmann, SGK-BV,
Art. 29 Rn. 25): (i) Umfang und Komplexität der aufgeworfenen Sach- und Rechtsfragen - wobei
grundsätzlich anerkannt ist, dass komplexe Wirtschaftssachen jeweils unter Berücksichtigung
der Anzahl an Beteiligten und Betroffenen, der Verarbeitung umfangreicher Geschäftsunterlagen, der
Einholung von Zeugenaussagen und Sachverständigengutachten sowie der Durchführung internationaler
Ermittlungen einen erhöhten Aufwand erfordern (vgl. EGMR, 8824/09 und 42836/12, El
Khoury, Ziff. 82; EGMR, 68919/10, Peter, Ziff. 37; EGMR,
4.2.2010, 13791/06, Gromzig gg. Deutschland, zit. Gromzig, Ziff,
82 f.; EGMR, 42083/98, Mianowski, Ziff. 47; EGMR, 27.11.2008,
8416/05, Potzmader gg. Österreich, o. Ziff. [S. 5]; EGMR, 30.9.2004, 41171/98, Zaprianov gg. Bulgarien,
zit. Zaprianov, Ziff. 80; EGMR, 31.5.2001, 37591/97, Metzger gg.
Deutschland, Ziff. 39; Frowein/Peukert, EMRK,
Art. 6 Rn. 252; Grabenwarter/Pabel, EMRK,
§ 24 Rn. 70; Meyer-Ladewig, EMRK,
Art. 6 Rn. 200); (ii) die Sachgerechtigkeit des Vorgehens der zuständigen Behörden oder Gerichte
einschliesslich von Art und Umfang der durchzuführenden Untersuchungshandlungen und Ermittlungsmassnahmen
sowie der objektiven Dringlichkeit der Angelegenheit, wobei insbesondere längere, nicht gerechtfertigte
Perioden der Untätigkeit von Behörden oder Gerichten zur Unangemessenheit führen können,
selbst wenn die Dauer als solche nicht unverhältnismässig gewesen wäre (vgl. EGMR, 8824/09
und 42836/12, El Khoury, Ziff. 82; EGMR, 68919/10, Peter,
Ziff. 37; EGMR, 13791/06, Gromzig, Ziff, 82; EGMR, 31333/06,
McFarland, Ziff. 151 f.; EGMR, 5.2.2015, 2834/09, Kücher gg. Österreich, Ziff. 28: viereinhalbjährige
Untätigkeit des Gerichts; EGMR, 13.10.2007, 4983/04, Gjashta gg. Griechenland, Ziff. 16: Dauer von
rund dreieinhalb Jahren nicht übermässig, aber mit über zwei Jahren zu lange Phase der
Untätigkeit); (iii) das Verhalten der betroffenen Personen einschliesslich des Stellens von Verfahrensanträgen
und der dadurch bedingten Auswirkungen im Hinblick auf eine Förderung oder Verzögerung des
Verfahrensganges (vgl. EGMR, 8824/09 und 42836/12, El Khoury,
Ziff. 82; EGMR, 68919/10, Peter, Ziff. 37; EGMR, 13791/06, Gromzig,
Ziff, 82 f.; EGMR, 31333/06, McFarland, Ziff. 148 f.); (iv) die
Bedeutung der Angelegenheit für die betroffene Person einschliesslich der Schwere eines mit der
Durchführung des Verfahrens bedingten (Schuld-)Vorwurfs sowie ihrer finanziellen und sonstigen Interessen
(vgl. EGMR, 8824/09 und 42836/12, El Khoury, Ziff. 82; EGMR, 68919/10,
Peter, Ziff. 37; EGMR, 13791/06, Gromzig,
Ziff, 82 f.; EGMR, 13.1.2015, 35632/13, Hoholm gg. Slowakei, zit. Hoholm,
Ziff. 44 f.).
1647. Des
Weiteren sind verschiedene allgemeine Aspekte zu berücksichtigen. Bei Entscheidungen zu Grundsatzfragen
ist es von Seiten der Behörden und Gerichte zulässig, bei der Abwicklung des jeweiligen Verfahrens
das Bedürfnis nach einer Koordination mit anderen Verfahren zu berücksichtigen (vgl. EGMR,
68919/10, Peter, Ziff. 46; EGMR, 16.9.2010, 16386/07, Breiler
gg. Deutschland, Ziff. 31; EKMR, 24.2.1995, 19822/92, S.L.O. gg. Schweiz, Ziff. 2b a.E.; Grabenwarter/Pabel,
EMRK, § 24 Rn. 71; Meyer-Ladewig
EMRK, Art. 6 Rn. 203). Ein befristeter
personaler oder sonstiger Engpass bei Behörden oder Gerichten kann eine Verlängerung des Verfahrens
für eine gewisse Zeit rechtfertigen, nicht aber eine chronische Überlastung der zuständigen
Stellen und strukturelle Mängel des Verfahrens (vgl. EGMR, 25.2.2000, 29357/95, Gast/Popp gg. Deutschland,
Ziff. 78; EGMR, 26.10.2000, 33379/96; Klein gg. Deutschland, Ziff. 43; EGMR, 35632/13, Hoholm,
Ziff. 49; Grabenwarter/Pabel, EMRK,
§ 24 Rn. 72; Meyer-Ladewig EMRK,
Art. 6 Rn. 202; vgl. auch BGE 130 I 312 E. 5.2). Dauerte ein Verfahren in der ersten Instanz bereits
sehr lange, besteht für die zweite Instanz eine Verpflichtung, das Verfahren möglichst kurz
zu gestalten (vgl. EGMR, 41171/98, Zaprianov, Ziff. 81; EGMR,
25.2.2010, 36395/07, Müller gg. Deutschland, Ziff. 44). Ab einer bestimmten Dauer kann im Einzelfall
allein aufgrund der insgesamt abgelaufenen Zeit eine Beurteilung vorgenommen werden, ohne dass es einer
detaillierten Analyse der Unangemessenheit bezüglich aller Kriterien oder Instanzen bedarf (vgl.
EGMR, 53339/09, Sierminsky, Ziff. 66; EGMR, 42083/98, Mianowski,
Ziff. 47; Frowein/Peukert, EMRK,
Art. 6 Rn. 250; Grabenwarter/Pabel, EMRK,
§ 24 Rn. 71). Doch bestehen auch hierfür keine vorgegebenen festen Zeiträume. Gegebenenfalls
kann es notwendig sein, einen sachlich geeigneten Zwischenentscheid zu erlassen und darauf einzutreten,
wenn eine Verweisung auf die Anfechtung eines Endentscheids für die beteiligten Parteien in zeitlicher
Hinsicht nicht zumutbar wäre (vgl. BGE 136 II 165 E. 1.2.1 m.w.H.).
1648. Die
Anforderungen an die zeitliche Durchführung des Verfahrens aufgrund des Gebots der fristgemässen
Beurteilung sind bei strafrechtlichen Verfahren aufgrund des damit verbundenen Schuldvorwurfs am höchsten.
Allerdings sind die für Strafverfahren entwickelten Anforderungen nicht unbesehen auf andere Sachgebiete
zu übertragen (vgl. BGE 130 I 269 E. 3.1). Vielmehr bedarf es einer gesonderten Beurteilung von
zivilprozessualen Verfahren und Verwaltungsgerichtsverfahren. Bei Verwaltungsgerichtsverfahren, bei denen
eine vorgängige Sanktionsentscheidung durch ein Gericht mit voller Kognition zu überprüfen
ist, ist die Angemessenheit der Verfahrensdauer gesamthaft im Hinblick auf das administrative Verwaltungsverfahren
und das gerichtliche Kontrollverfahren zu beurteilen (vgl. EGMR, 53339/09, Sierminsky,
Ziff. 64 m.w.H.; Grabenwarter/Pabel, EMRK,
§ 24 Rn. 69 m.w.H.; Meyer-Ladewig, EMRK,
Art. 6 Rn. 193, 194 m.w.H.).
1649. Auf das Gebot der fristgemässen
Beurteilung können sich nicht nur natürliche und juristische Personen (vgl.
Auer Andreas/Malinverni Giorgio/Hottelier Michel, Droit constitutionnel suisse, Vol. II, Les droits
fondamentaux, 3. Aufl. 2013, Rn. 114; Steinmann, SGK-BV,
Art. 29 Rn. 15; Kiener/Brütsche/Kuhn, Verfahrensrecht,
Rn. 188, 563 f.; Kiener/ Walter, Grundrechte, 2. Aufl. 2013,
zit. Grundrechte, 481 f.; Müller/
Schefer, Grundrechte, 848 f.;
Rhinow/Koller/Kiss/Thurnherr/Bühl-Moser, Prozessrecht,
Rn. 264 f.), sondern auch nicht rechtsfähige Rechtsgemeinschaften und einfache Wirtschaftsgemeinschaften
berufen. Denn der Zweck des Beschleunigungsgebots zur Sicherstellung eines fairen Verwaltungs- oder Justizverfahrens
und das subjektive Interesse am Abschluss eines solchen Verfahrens innerhalb einer angemessenen Zeitdauer
erfordern keine personale Differenzierung.
1650. Auch
im Rahmen eines kartellrechtlichen Sanktionsverfahrens ist das Gebot der fristgemässen Beurteilung
von den Wettbewerbsbehörden und der Beschwerdeinstanz zu beachten. Dabei ist es unerheblich, ob
diese Verpflichtung auf Art. 29 Abs. 1
BV abgestützt wird, weil es sich um ein Verwaltungsverfahren
handelt, dem ein strafrechtsähnlicher Charakter beizumessen ist (vgl. E. 1479),
oder auf Art. 6 Abs. 1
EMRK, weil es sich um eine strafrechtsähnliche Anklage im Sinne dieser Vorschrift
handelt, weil die inhaltlichen Anforderungen der Vorschriften sich grundsätzlich nicht unterscheiden.
Denn bei Anwendung von Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention auf andere als Kernbereiche
des Strafrechts können sachgerechte Anpassungen vorgenommen werden (vgl. E. 1479),
weshalb bei Verwaltungsverfahren ungeachtet eines diesen beizumessenden Sanktionscharakters nicht zwingend
und ausnahmslos die strengen Anforderungen an Strafverfahren vollumfänglich zu berücksichtigen
sind (vgl. E. 1648).
1651. Für
die Beurteilung der Dauer von Kartellrechtsverfahren ist zu berücksichtigen, dass es sich hierbei
im Regelfall sowohl hinsichtlich ihres sachlichen Umfangs als auch der jeweils zu erreichenden Abklärungstiefe
um äusserst komplexe Sachverhalte handelt. So bedarf es einer Durchdringung und Abgrenzung von Märkten
sowie vielfach einer Einarbeitung in die Besonderheiten des jeweiligen technischen Sachgebiets. Hinzu
kommt, dass eine sachliche Abklärung zur Feststellung der tatsächlichen Marktverhältnisse
die Einbeziehung von weiteren Wirtschaftsteilnehmern vorsehen muss, weshalb die Wettbewerbsbehörden
in mehreren Etappen durch eine alternierende Befragung von betroffenem Unternehmen und sonstigen Wirtschaftsteilnehmern
den Sachverhalt aufbereiten müssen. Dabei ist eine Unmenge an Informationen zu verarbeiten, auch
wenn vielfach nur ein geringer Teil hiervon letztlich entscheidungserheblich sein kann. In rechtlicher
Hinsicht stellen sich angesichts der sachlichen Komplexität durchaus neue und schwierige Rechtsfragen,
die einer gewissenhaften Bearbeitung und Durchdringung bedürfen. Angesichts der Präzedenzwirkung
einer entsprechenden Entscheidung für den gesamten Wirtschaftsverkehr sowie der mit einer Sanktionierung
üblicherweise verbundenen negativen Publizität für das betroffene Unternehmen ist es zudem
erforderlich, dass sämtliche Massnahmen einschliesslich der Entscheidung in der Sache mit äusserster
Sorgfalt vorgenommen werden. Zwar ergibt sich aus Art und Gegenstand eines Kartellverfahrens in der Regel
keine besondere Dringlichkeit; allerdings besteht angesichts der erwähnten Präzedenzwirkung
und einer allfälligen Fortführung des in Frage stehenden wirtschaftlichen Verhaltens durch
das betroffene Unternehmen während der Untersuchung auch kein Grund zu einem gemächlichen Vorgehen
seitens der Wettbewerbsbehörden oder der Rechtsmittelgerichte. Insgesamt kann unter Berücksichtigung
der vorstehenden Aspekte demzufolge festgestellt werden, dass die Bearbeitung von komplexen Kartellverfahren
regelmässig einen überaus grossen Aufwand erfordert, der ohne Weiteres auch zu einer langjährigen
Bearbeitungsdauer auf Seiten der Wettbewerbsebehörden und Rechtsmittelgerichte führen kann.
Dies wird auch durch vergleichbare Verfahren in anderen Ländern und in der Europäischen Union
bestätigt.
1652. Das vorliegende Kartellverwaltungsverfahren
dauerte von der Eröffnung der Untersuchung im Januar 2007 (vgl. J.d)
bis zum Erlass der angefochtenen Verfügung im November 2010 (vgl. J.l)
insgesamt 46 Monate. In der Zeit vom August 2007 bis April 2009 war das Verfahren für 20 Monate
unterbrochen. Grund hierfür war der Umstand, dass die Beschwerdeführerinnen erfolglos versucht
hatten, ein Begehren auf Wiederholung bestimmter vorheriger Verfahrenshandlungen von einer Zwischenverfügung
der Wettbewerbskommission über einen Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts bis zum rechtskräftigen
Urteil des Bundesgerichts verfahrensrechtlich durchzusetzen (vgl. SV J.h).
Zwischen November 2008 und Juni 2009 wurden auf Veranlassung der Beschwerdeführerinnen Verhandlungen
über den Abschluss einer einvernehmlichen Regelung geführt (vgl. SV J.k).
Nach Abzug der Dauer der Unterbrechung sowie unter Berücksichtigung des zusätzlichen Zeitraums
der Verhandlungen über eine einvernehmliche Regelung ergibt sich demzufolge kein Zeitraum, bei dem
unter Berücksichtigung der notwendigen sachlichen Abklärungen zur Begründung und Ahndung
eines wettbewerbswidrigen Verhaltens von einer unzulässig langen Dauer des Kartellverwaltungsverfahrens
auszugehen wäre.
1653. Das vorliegende Beschwerdeverfahren dauerte
seit Einreichung der Beschwerde im Januar 2011 bis zum Erlass des Urteils im Dezember 2018 mehr als sieben
Jahre. Für die Beurteilung dieser Bearbeitungsdauer sind jedoch verschiedene Aspekte zu berücksichtigen.
1654. Angesichts der grundsätzlichen
Rügen der Beschwerdeführerinnen zur Verfassungsmässigkeit des Kartellverwaltungsverfahrens
und der Sanktionierbarkeit von Unternehmen durch die Wettbewerbskommission musste das Verfahren entsprechend
dem Vorgehen in weiteren parallelen Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf die zu
erwartenden präjudiziellen Urteile des Bundesgerichts in Sachen Terminierung
Mobilfunk (BGE 137 II 199) und Publigroupe (BGE 139 I 72)
abgestimmt werden, wobei die Veröffentlichung des Urteils in letzterer Angelegenheit im Februar
2013 erfolgte. Im Hinblick auf die entscheidungserheblichen Fragen des massgeblichen Kartellrechtssubjekts
und der tatbestandlichen Ausgestaltung einer Koppelung musste eine Abstimmung mit den Verfahren in Sachen
ADSL II (BVGer, B-7633/2009) und Hallenstadion
(BVGer, B-3618/2013) vorgenommen werden, wobei die Urteile in diesen Verfahren im Jahre 2015 bzw. 2016
erlassen worden waren.
1655. Die Beschwerdeführer haben insgesamt
mehrere hundert Einwände gegenüber der umfangreichen angefochtenen Verfügung erhoben.
Die Beurteilung dieser Vorbringen erforderte zum einen weitreichende und anspruchsvolle technische und
ökonomische Abklärungen. Zum anderen mussten zahlreiche rechtliche Aspekte aus einer Vielzahl
von Rechtsgebieten beachtet werden. Die rechtliche Bearbeitung umfasste denn auch insgesamt über
60 wesentliche Rechtsfragen. Hierbei handelte es sich um über 20 präjudizielle Rechtsfragen
des Wettbewerbsrechts sowie weitere spezifische Rechtsfragen von grundsätzlicher inhaltlicher Bedeutung.
1656. Zudem haben die Beschwerdeführerinnen
durch ihr eigenes Verhalten zu einer aufwendigen und äusserst zeitintensiven Bearbeitung der Angelegenheit
in ganz erheblichem Masse beigetragen. Bereits die Rechtsschriften der Beschwerdeführerinnen umfassen
mehrere hundert Seiten. Dabei wurde zur Begründung auch auf umfangreiche nationale und internationale
juristische und ökonomische Literatur verwiesen. Überdies haben die Beschwerdeführerinnen
eigene Sachverständigengutachten zur Unterstützung der von ihnen vertretenen Ansichten eingereicht.
Inhaltlich wurde von ihnen nahezu jeder denkbare faktische oder rechtliche Einwand gegen die Feststellungen
der Wettbewerbsbehörden vorgebracht, obwohl sie in Widerspruch hierzu in anderem Zusammenhang ausdrücklich
hervorgehoben haben, dass es sich beim Sekretariat der Wettbewerbskommission um eine Wettbewerbsbehörde
mit einem erheblichen technischen, ökonomischen und rechtlichen Fachwissen handle (vgl. E. 741).
1657. Besondere Bedeutung erlangt in diesem
Zusammenhang auch der Umstand, dass die Beschwerdeführerinnen durch eine Vielzahl von unbeachtlichen,
irreführenden und mitunter sogar widersprüchlichen Vorbringen (vgl. allein zu Letzterem z.B.
E. 72,
266,
267,
268,
312,
654,
660,
756,
843,
888,
1028,
1275,
1456,
1459,
1581)
selber dazu beigetragen haben, dass der Aufwand für die Bearbeitung durch das Gericht erheblich
vergrössert wurde. So wurde von Seiten der Beschwerdeführerinnen z.B. nach Hinweis des Gerichts
auf den Abschluss des Verfahrens sogar im September 2018 erstmalig geltend gemacht, dass eine Verjährung
vorliege, die bereits im Jahr 2010 bzw. 2011 eingetreten sei, weshalb auch zum Aspekt der allgemeinen
kartellrechtlichen Verjährung im Urteil ausdrücklich detailliert Stellung genommen werden musste.
Eine derartige Prozessführung durch eine Partei führt letztlich dazu, ein Verfahren zusätzlich
zu verzögern und zu verlängern.
1658.
Auch wenn die Dauer des vorliegenden Kartellverfahrens zweifellos als sehr lang qualifiziert werden
muss, liegt unter Berücksichtigung der vorstehend dargestellten Normen und Grundsätze zur Beurteilung
der Verfahrensdauer sowie der konkreten Umstände der vorliegenden, äusserst komplexen und vielschichtigen
Angelegenheit mit zahlreichen neuen Fragestellungen und Rechtsfragen weder im Hinblick auf das Kartellverwaltungsverfahren
oder das Beschwerdeverfahren noch in Bezug auf die gesamte Dauer beider Verfahren ein Verstoss gegen
das Gebot der fristgemässen Beurteilung vor.
1659.
Entgegen dem Antrag der Beschwerdeführerinnen besteht daher kein Grund zu einer Reduzierung
der Sanktion oder gar zu einer Einstellung des Verfahrens.
IX.
Verjährung
(1)
Beschwerdeführerinnen
1660. Die Beschwerdeführerinnen machen
geltend, dass angesichts der Verfahrensdauer die Verjährung eingetreten und das Verfahren daher
vorbehaltlos einzustellen sei. Zur Begründung führen sie verschiedene Aspekte an.
1661. Eine Unverjährbarkeit von kartellrechtlichen
Sanktionen könne nicht mittels eines Umkehrschlusses aus Art. 49 Abs. 3 lit. b
KG abgeleitet werden,
denn die Unverjährbarkeit wäre im Strafrecht eine rechtsstaatlich unerträgliche Situation.
1662. Mit
der Qualifizierung der Kartellsanktion als strafrechtlich oder quasi-strafrechtlich durch das Bundesgericht
im Urteil Publigroupe ergäbe sich ohne Weiteres eine Verjährung
in Anwendung von Art. 11
VStrR in Verbindung mit Art. 333 Abs. 6 lit. b
StGB bzw. Art. 109
StGB.
1663. Auch bei Unterstellung des in der angefochtenen
Verfügung zu Grunde gelegten Sachverhalts hätten die Beschwerdeführerinnen das angeblich
rechtswidrige Verhalten im Januar 2007 aufgegeben.
1664. Selbst bei einer Unterstellung der Gleichwertigkeit
des kartellverwaltungsrechtlichen Verfahrens mit einem strafrechtlichen erstinstanzlichen Verfahren -
was wegen der fehlenden Trennung von Untersuchungs- und Entscheidfunktion bei der Wettbewerbskommission
gerade nicht der Fall sei - wäre die dreijährige Verjährung von Art. 109
StGB
im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung durch die Vorinstanz bereits am 29. November
2010 eingetreten gewesen.
1665. Da
einzig das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht den Anforderungen an ein erstinstanzliches Strafverfahren
im Sinne der Bundesverfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention entspreche, sei in jedem
Falle spätestens im Januar 2011 die vierjährige Verjährung gemäss Art. 11
VStrR i.V.m.
Art. 333 Abs. 6 lit. b
StGB eingetreten gewesen.
(2)
Vorinstanz
1666. Die
Vorinstanz hat zum Vorbringen der Beschwerdeführerinnen nicht mehr detailliert Stellung genommen.
Sie geht wie in anderen Verfahren auch von der grundsätzlichen Unverjährbarkeit von Wettbewerbsbeschränkungen
aus.
(3)
Würdigung durch das Gericht
1667. Die Verjährung einer Verfolgung
von wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen ist angesichts der Geltung des Untersuchungsgrundsatzes jedenfalls
im Hinblick auf die Sanktionierung eines Unternehmens gemäss Art. 49a
KG nicht nur auf Antrag, sondern
von Amtes wegen zu berücksichtigen.
(a)
Ausgangslage
1668. Angesichts der Ausgestaltung des Kartellgesetzes
sind für eine Verjährung der Verfolgung von wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen sowohl verschiedene
Handlungen als auch verschiedene Verfolgungssubjekte zu unterscheiden. Danach stehen sich die Verfolgung
von unzulässigen Verhaltensweisen einzelner natürlicher Personen in Form von Widerhandlungen,
die vom Gesetz als Strafsanktionen bezeichnet werden, sowie die Verfolgung von unzulässigen Verhaltensweisen
eines Unternehmens, die vom Gesetz als Verwaltungssanktionen bezeichnet werden, gegenüber. Innerhalb
der Verwaltungssanktionen sind wiederum verschiedene wettbewerbswidrige Verhaltensweisen abzugrenzen,
die nachfolgend als einfache und qualifizierte Wettbewerbsverstösse sowie Missachtungen bezeichnet
werden. Dadurch ergeben sich die nachfolgend aufgeführten Varianten, für welche die massgebliche
Verjährung zu bestimmen ist.
1669. Bei Widerhandlungen gemäss Art.
54
ff. KG handelt es sich um eine vorsätzliche Nicht-Befolgung von Verpflichtungen eines Unternehmens,
die sich entweder aus behördlichen Verfügungen, gerichtlichen Entscheiden und einvernehmlichen
Regelungen ergeben oder hinsichtlich einer Auskunftserteilung und der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen
bestehen, durch eine natürliche Person als Verantwortlicher des Unternehmens. Für die Sanktionierung
von Widerhandlungen hat der Gesetzgeber mit Art. 56
KG eine ausdrückliche Verjährungsregelung
statuiert. Danach werden fünf bzw. zwei Jahre als Verjährungsfristen für Widerhandlungen
gegen einvernehmliche Regelungen und behördliche Anordnungen bzw. sonstige Widerhandlungen statuiert.
Einzelfragen der Verjährung sind gemäss Art. 57
KG ergänzend durch die Heranziehung des
Verwaltungsstrafrechts zu beantworten.
1670. Bei Missachtungen gemäss Art. 50
bis 52
KG handelt es sich um ein Nicht-Befolgen von Verpflichtungen eines Unternehmens, die sich entweder
aus behördlichen Verfügungen, gerichtlichen Entscheiden und einvernehmlichen Regelungen ergeben
oder in Bezug auf eine Auskunftserteilung und auf eine Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen
bestehen, durch das Unternehmen selbst. Für solche Missachtungen sieht das Kartellgesetz keine Regelung
zur Verjährung vor. Die Botschaft KG 1995 verweist für
die Verjährung aber ausdrücklich auf die üblichen verwaltungsrechtlichen Grundsätze,
weshalb auf eine spezielle Regelung verzichtet werden könne (Botschaft
KG 1995, 622, unter Hinweis auf Imboden Max/Rhinow René,
Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 1. Teil, 6. Aufl. 1986, Nr. 34, welche dort die Aspekte der
Verjährung und Verwirkung öffentlich-rechtlicher Rechte und Pflichten darlegen, einschliesslich
der vom Bundesgericht aufgestellten Grundsätze zur Bestimmung der massgeblichen Verjährungsregelung
bei Fehlen einer Regelung; vgl. E. 1679).
Der Aspekt der Verjährung wurde im Gesetzgebungsverfahren nicht mehr weiter thematisiert. Gleiches
gilt ungeachtet der Einführung von zusätzlichen Regelungen zur direkten Sanktionierung von
qualifizierten Wettbewerbsverstössen gemäss Art. 49a
KG als Verwaltungssanktion auch für
die Revison des Kartellgesetzes im Jahr 2004.
1671. Abgeschlossene qualifizierte Wettbewerbsverstösse
umfassen sowohl die in Art. 5 Abs. 3
und 4
KG aufgeführten Wettbewerbsabreden als auch Marktmissbräuche
gemäss Art. 7
KG, soweit sie jeweils zum Zeitpunkt der Eröffnung einer Untersuchung bereits
seit mehr als fünf Jahren nicht mehr ausgeübt wurden. Gemäss Art. 49a Abs. 3 lit. b
KG
entfällt mit Ablauf des Zeitraums von fünf Jahren die Belastung mit einem Sanktionsbetrag gemäss
Art. 49a Abs. 1
KG. Diese Entfallfrist wurde mit der Einführung der direkten Sanktionen durch die
Revision des Kartellgesetzes 2004 statuiert. Aus der Botschaft KG 2004
sowie dem Gesetzgebungsverfahren ergeben sich allerdings keine näheren Hinweise auf den Rechtscharakter
oder die inhaltliche Ausgestaltung der Vorschrift. Diese Vorschrift enthält deshalb keine Aussage
über die Verjährung entsprechender Verhaltensweisen.
1672. Bei fortwirkenden qualifizierten Wettbewerbsverstössen
handelt es sich dementsprechend um die in Art. 5 Abs. 3
und 4
KG aufgeführten Wettbewerbsabreden
und Marktmissbräuche gemäss Art. 7
KG, die jeweils zum Zeitpunkt der Eröffnung einer Untersuchung
durch die Wettbewerbsbehörden andauern oder deren Ausübung noch nicht länger als fünf
Jahre abgeschlossen wurde. Für fortwirkende qualifizierte Wettbewerbsverstösse sieht weder
das Kartellgesetz eine ausdrückliche Vorschrift zur Verjährung vor noch weist die Botschaft
KG 2004 einen ausdrücklichen Hinweis hierzu auf.
1673. Einfache Wettbewerbsverstösse umfassen
alle sonstigen Varianten eines wettbewerbswidrigen Verhaltens. Dabei handelt es sich im Wesentlichen
um andere als die in Art. 5 Abs. 3
und 4
genannten Wettbewerbsabreden, welche nicht mit einer Sanktion
gemäss Art. 49a Abs. 1
KG geahndet werden. Da auch bei derartigen Wettbewerbsverstössen Massnahmen
von Seiten der Wettbewerbsbehörden gemäss Art. 30
KG getroffen werden können, sind sie
für die Beurteilung einer Verjährung den Verwaltungssanktionen zuzuordnen. Für einfache
Wettbewerbsverstösse sieht allerdings weder das Kartellgesetz eine ausdrückliche Vorschrift
zur Verjährung vor noch weisen die Botschaft KG 1995 und
die Botschaft KG 2004 einen ausdrücklichen Hinweis hierzu
auf.
1674. Damit stellt sich die für den vorliegenden
Sachverhalt relevante Frage, welche konkrete Verjährungsregelung für qualifizierte Wettbewerbsverstösse
zur Anwendung gelangt. Dabei ist zwischen der Verjährung im Hinblick auf das Kartellverwaltungsverfahren
durch die Wettbewerbsbehörden (nachfolgend: Untersuchungsverjährung) und die Verjährung
während des Laufs eines Kartellrechtsmittelverfahrens und nach Erlass eines rechtsverbindlichen
Entscheids (nachfolgend: Vollzugsverjährung) zu unterscheiden.
1675. Zur Bestimmung der massgeblichen Verjährungsregelungen
sind verschiedene allgemeine Aspekte zu berücksichtigen.
1676. Die Rechtsprechung anerkennt als allgemeinen
Rechtsgrundsatz, dass auch die öffentlich-rechtlichen Rechte und Pflichten grundsätzlich der
Verjährung unterliegen (vgl. BGE 126 II 49 E. 2a; BGE 125 V 396 E. 3a; BGE 124 I 247 E. 5; Tschannen
Pierre/Zimmerli Ulrich/Müller markus, Allgemeines Verwaltungsrecht,
115 f.; Häfelin/Müller/Uhl-mann, Allgemeines
Verwaltungsrecht, Rn. 153, 767 f.). Dies wurde vom Bundesgericht in Sachen Spielbanken
für die Verhängung von Geldbeträgen mit pönalem Charakter erneut bestätigt (BGE
140 II 384 E. 4.2).
1677. Allerdings werden auch Ausnahmen von
diesem Rechtsgrundsatz anerkannt, weshalb auch unverjährbare verwaltungsrechtliche Rechte und Pflichten
denkbar sind. Entsprechende Ausnahmen bestehen insbesondere im Bereich der Polizeigüter. Deshalb
unterliegen grundlegende Pflichten, die sich aus polizeilichen Rechtsnormen ergeben, keiner Verjährung
(vgl. BGE 105 Ib 265, 268; Häfelin/Müller/Uhlmann,
Verwaltungsrecht, Rn. 771).
1678. Der allgemeine Rechtsgrundsatz der Verjährbarkeit
erlangt immer dann Bedeutung, wenn der Gesetzgeber für bestimmte verwaltungsrechtliche Rechte und
Pflichten keine spezifischen gesetzlichen Verjährungsregelungen festgelegt hat.
1679. Nach
der Praxis des Bundesgerichts finden dabei die folgenden Grundsätze für die Bestimmung von
Verjährungsregelungen im öffentlichen Recht Anwendung (vgl. BGE 140 II 384, Spielbanken,
E. 4.3.1; BGE 131 V 55 E. 3.1; BGE 119 Ib 311 E. 4b; BGE 112 Ia 260 E. 5e; Häfelin/
Müller/Uhlmann, Verwaltungsrecht, Rn. 777; Wiederkehr
René/ Richli Paul, Praxis des allgemeinen Verwaltungsrechts, Bd. I, 2012, Rn. 706): (i) Primär
ist auf gesetzlich statuierte Regeln für verwandte Tatbestände im öffentlichen Recht abzustellen;
(ii) mangels entsprechender Regelungen sind die allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätze über
die Verjährung analog anzuwenden. Zur Bestimmung der Verjährung öffentlich-rechtlicher
Rechte und Pflichten stellt das Bundesgericht demzufolge auf die allgemeinen Verjährungsregelungen
des Obligationenrechts ab, soweit nicht eine spezifische Verjährungsregelung von verwandten, d.h.
thematisch vergleichbaren und inhaltlich sachgerechten anderen öffentlich-rechtlichen Rechten und
Pflichten herangezogen werden kann.
(b)
Unverjährbarkeit
1680. Eine (Untersuchungs-)Verjährung
der Verwaltungssanktionen kann nur eintreten, falls es sich bei einfachen und qualifizierten Wettbewerbsverstössen
sowie Missachtungen nicht um unverjährbare Verpflichtungen der Unternehmen handelt (vgl. Borer,
KG, Art. 49a Rn. 31; Spitz,
Problemstellungen, 564; Tagmann/Zirlick,
BSK-KG, Art. 49a Rn. 239 ff.; Weber/Volz,
FHB-WBR, Rn. 3.315; diese Autoren sehen jeweils keine allgemeine Verjährung vor und verweisen teilweise
lediglich auf eine Einschränkung der Sanktionierung unter dem Grundsatz der überlangen Verfahrensdauer;
siehe auch Art. 4
SVKG, der keine Obergrenze für die Dauer der Sanktionierung vorsieht).
1681. Für
die Annahme der Unverjährbarkeit spricht der Umstand, dass einer Einhaltung der Wettbewerbsvorschriften
eine zentrale Bedeutung in einem marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystem zukommt und Wettbewerbsvorschriften
für die Ausübung der Wirtschaftsfreiheit der einzelnen Wirtschaftsteilnehmer unabdingbar sind.
Daher ist es notwendig, gegen Wettbewerbspositionen, die in unzulässiger Weise erlangt wurden, vorzugehen,
weil der Wettbewerb zum Nachteil der Marktteilnehmer verfälscht wird und demzufolge seine Funktion
nicht mehr korrekt ausüben kann. Dabei ist es aus Gründen der Präventionswirkung (vgl.
E. 1605)
notwendig, auch gegen länger zurückliegende Wettbewerbspositionen vorgehen zu können.
1682. Gegen eine Annahme der Unverjährbarkeit
spricht zunächst der systematische Aspekt, dass der Gesetzgeber die Unverjährbarkeit von kartellrechtlichen
Verpflichtungen durch seinen Hinweis auf die Anwendung der üblichen verwaltungsrechtlichen Verjährung
für die Verwaltungssanktionen in der Botschaft KG 1995 implizit
ausgeschlossen hat. Dieser Ansicht entsprechend hat der Gesetzgeber für abgeschlossene qualifizierte
Wettbewerbsverstösse mit Art. 49 Abs. 3 lit. b
KG zumindest eine Entfallfrist für die Sanktionierung
des jeweiligen Verhaltens vorgesehen. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass Wettbewerb als System
definitionsgemäss auch die Erosion von einmal erreichten Wettbewerbspositionen umfasst. Daher wird
jedenfalls bei hinreichend langen Zeiträumen eine einmal erreichte Wettbewerbsposition infolge der
Wettbewerbsprozesse auch wieder geschwächt. Dies gilt unabhängig davon, ob die jeweilige Wettbewerbsposition
mittels eines wettbewerbsgemässen oder eines wettbewerbswidrigen Verhaltens durch ein Unternehmen
erlangt wurde. Die Unverjährbarkeit von Verwaltungssanktionen ist demzufolge auch nach Sinn und
Zweck der Wettbewerbsvorschriften nicht erforderlich. Überdies ist der Schutz des Wettbewerbs nicht
denjenigen hochrangigen Rechtsgütern gleichzusetzen, für die eine Unverjährbarkeit von
Verletzungshandlungen anerkannt wird.
1683. Die Bedeutung des Wettbewerbs und dessen
notwendiger Schutz verlangen daher nur nach einer ausreichend langen Verjährungsfrist, nicht aber
nach einem vollständigen Ausschluss der Verjährung.
1684. Aus diesen Gründen ist die Ansicht
der Vorinstanz einer Unverjährbarkeit von Wettbewerbsbeschränkungen (vgl. E. 1666)
nicht zu berücksichtigen.
(c)
Massgebliche Untersuchungsverjährung
1685. Das Kartellgesetz sieht wie dargelegt
keine konkrete Vorschrift als allgemeine kartellrechtliche Verjährungsregelung für die Verfolgung
von einfachen und qualifizierten Wettbewerbsverstössen sowie Missachtungen vor. Allerdings ergibt
sich aus dem ausdrücklichen Hinweis in der Botschaft KG 1995 auf
die Anwendung der üblichen verwaltungsrechtlichen Grundsätze unzweifelhaft die Intention des
Gesetzgebers, dass eine durch die üblichen verwaltungsrechtlichen Grundsätze bestimmte Verjährung
(nachfolgend: übliche verwaltungsrechtliche Verjährung) - die zur Heranziehung einer
allgemeinen Verjährungsregelung des Obligationenrechts führt, soweit keine Verjährungsregelung
für verwandte öffentlich-rechtliche Sachverhalte besteht - mangels einer anderen gesetzlichen
Festlegung auch für die Verjährung dieser Verwaltungssanktionen zur Anwendung gelangen soll.
1686. Diese Feststellung verliert ihre Berechtigung
auch nicht wegen einer Erweiterung der Verwaltungssanktionen um direkte Sanktionen für qualifizierte
Wettbewerbsverstösse gemäss Art. 49a
KG durch die Revision des Kartellgesetzes im Jahr 2004.
Denn der Gesetzgeber hat diese Erweiterung in Kenntnis des Aspekts der Verjährung und damit auch
im Wissen um den Verweis auf die Anwendbarkeit der üblichen verwaltungsrechtlichen Verjährung
in der Botschaft KG 1995 vorgenommen, ohne eine andere Verjährungsregelung
festzulegen. Dies wird auch durch die Statuierung von Art. 49a Abs. 3 lit. b
KG bestätigt, der als
Spezialregelung für eine besondere Sachverhaltskonstellation die allgemeine kartellrechtliche Verjährungsfrist
für die Verhängung von Sanktionen verkürzt (vgl. E. 1694).
Hätte der Gesetzgeber aufgrund der Einführung von weiteren Wettbewerbsverstössen und direkten
Sanktionen eine Änderung an der Massgeblichkeit der üblichen verwaltungsrechtlichen Verjährung
herbeiführen wollen, hätte er nicht nur eine Spezialregelung für eine besondere Sachverhaltskonstellation,
sondern unmittelbar eine umfassende Verjährungsregelung statuiert. Die blosse Verankerung einer
spezifischen Einzelfallregelung im Rahmen der Revision bestätigt deshalb, dass der Gesetzgeber auch
zu diesem Zeitpunkt vom Bestand einer allgemeinen kartellrechtlichen Verjährungsregelung ausgegangen
ist.
1687. Damit stellt sich für die weitere
Beurteilung der Verjährung zunächst die Frage, ob es sich bei der formal fehlenden Regelung
um eine Gesetzeslücke handelt oder ob vielmehr ein qualifiziertes Schweigen aufgrund der ausdrücklichen
gesetzgeberischen Wertung vorliegt.
1688. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
besteht immer dann eine vom Gericht zu füllende Gesetzeslücke, wenn sich eine Regelung als
unvollständig erweist, weil sie jede Antwort auf die sich stellende Rechtsfrage schuldig bleibt.
Dies setzt voraus, dass der Gesetzgeber etwas zu regeln unterlassen hat, was er hätte regeln sollen,
und dem Gesetz diesbezüglich weder nach seinem Wortlaut noch nach dem durch Auslegung zu ermittelnden
Inhalt eine Regelung entnommen werden kann (vgl. BGE 144 IV 97 E. 3.1.2; BGE 141 IV 298 E. 1.3.1; BGE
140 III 636 E. 2.1; BGE 140 III 206 E. 3.5.1; BGE 134 IV 15 E. 2.3.1). Es besteht dann in einem solche
Falle eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes (vgl. BGE 140 III 206 E. 3.7; BGE 131 V 233
E. 4.1; BGE 129 II 438 E. 4.1.2; BGE 123 II 69 E. 3c; BVGE 2013/22 E. 4.2.2; Häfelin/Uhlmann/Müller,
Verwaltungsrecht, Rn. 213 ff. m.w.H.; einer allfälligen Abgrenzung von echten zu unechten Lücken
kommt vorliegend keine Bedeutung zu). Bei der Ergänzung einer Gesetzeslücke gelten als Massstab
die dem Gesetz selbst zu Grunde liegenden Zielsetzungen und Werte (vgl. BGE 144 IV 97 E. 3.1.2; BGE 141
IV 298 E. 1.3.1; BGE 140 III 636 E. 2.2; BGE 129 II 401 E. 2.3). Demgegenüber liegt nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung keine Gesetzeslücke, sondern ein qualifiziertes Schweigen vor, wenn der Gesetzgeber
eine Rechtsfrage nicht übersehen, sondern stillschweigend mitentschieden hat. In diesem Falle ist
eine Lückenfüllung durch ein Gericht ausgeschlossen (vgl. BGE 144 IV 97 E. 3.1.2; BGE 141 IV
298 E. 1.3.1; BGE 140 III 636 E. 2.1; BGE 140 III 206 E. 3.5.3). Die Abgrenzung, ob eine Gesetzeslücke
oder ein qualifiziertes Schweigen vorliegt, ist im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BGE
144 IV 97 E. 3.1.2; BGE 143 IV 49 E. 1.4.2; BGE 141 IV 298 E. 1.3.2; BGE 140 III 206 E. 3.5.4). Hierbei
ist die historische Auslegung angesichts des grundsätzlich anzuwendenden hierarchiefreien Methodenpluralismus
zwar nicht unmittelbar entscheidend. Allerdings ist sie insoweit von besonderer Bedeutung, als nur sie
die Regelungsabsicht des Gesetzgebers, die sich insbesondere aus den Materialien ergibt, positiv aufzuzeigen
vermag (vgl. BGE 140 III 206 E. 3.5.2; BGE 138 III 359 E. 6.2; BGE 137 V 13 E. 5.1). Eine negative Anordnung
des Gesetzgebers kann sich daneben auch aus einer systematischen und/oder teleologischen Interpretation
ergeben (vgl. BGE 140 III 206 E. 3.5.3, 3.5.5). Die gesetzgeberische Regelungsabsicht zusammen mit den
zu ihrer Verfolgung getroffenen Wertentscheidungen bildet die massgebliche Richtschnur des auslegenden
Gerichts (vgl. BGE 140 III 206 E. 3.5.2; BGE 138 III 359 E. 6.2; BGE 137 V 13 E. 5.1; BGE 129 I 12 E.
3.3; BGE 125 V 355 E. 1). Aufgrund der Unergiebigkeit der Wortlautinterpretation bilden die Materialien
daher in der Praxis regelmässig den Ausgangspunkt der Auslegung zur Ermittlung eines qualifizierten
Schweigens oder der Schliessung einer Regelgungslücke (vgl. BGE 144 IV 97 E. 3.2.3; BGE 141 IV 298
E. 1.5.3; BGE 140 III 636 E. 3.3; BGE 140 III 206 E. 3.6; BGE 134 IV 15 E. 2.3.4; BGE 129 II 401 E. 2.3;
BGE 122 V 185 E. 3b; BGE 99 V 19 E. 2; BGE 98 IV 199 E. 1).
1689. Im vorliegenden Fall hat der Gesetzgeber
auf eine besondere Regelung der Verjährung für die Verwaltungssanktionen im Kartellrecht unter
Verweis auf die übliche verwaltungsrechtliche Verjährung ausdrücklich verzichtet. Nach
der bundesgerichtlichen Rechtsprechung wäre demzufolge von einem qualifizierten Schweigen auszugehen.
Denn der gesetzgeberische Regelungswille ergibt sich nicht nur stillschweigend aus sonstigen Umständen,
weil die Materialien selbst keine entsprechende Ableitung zulassen, sondern er wurde in der Botschaft
KG 1995 sogar ausdrücklich kundgetan und im Rahmen der Botschaft
KG 2004 implizit bestätigt. Demzufolge würde einerseits keine planwidrige Unvollständigkeit
vorliegen, weil das Kartellgesetz bereits bei einer Konsultation der Gesetzgebungsgeschichte nicht jede
Antwort auf die sich stellende Verjährungsfrage schuldig bleibt. Allerdings führt der gesetzgeberische
Verweis auf die übliche verwaltungsrechtliche Verjährung andererseits nicht ohne Weiteres zur
Anwendung einer konkreten Verjährungsfrist. Denn die übliche verwaltungsrechtliche Verjährung
ist kein inhaltlich feststehender Zeitraum, der generell auf jeden Einzelfall angewendet werden könnte,
sondern sie ergibt sich aufgrund einer spezifischen Handlungsanweisung für eine Auslegung anhand
der vom Bundesgericht vorgesehenen Grundsätze zur Verjährungsbestimmung im öffentlichen
Recht. Eine vorgängige Auslegung der bestehenden kartellrechtlichen Vorschriften wäre allerdings
auch für die Feststellung einer Gesetzeslücke erforderlich, weil deren Vorhandensein nur aufgrund
eines entsprechenden Ergebnisses der Auslegung überhaupt bejaht werden könnte. Hierbei wären
im Rahmen der Auslegung die erkennbaren gesetzgeberischen Intentionen und die Grundsätze des Bundesgerichts
zur Verjährungsbestimmung im öffentlichen Recht in gleicher Weise zu berücksichtigen.
Im Übrigen müsste selbst dann, wenn von einer Gesetzeslücke auszugehen wäre, im Rahmen
der richterlichen Lückenfüllung ebenfalls eine wertende Ergänzung unter Berücksichtigung
der erkennbaren gesetzgeberischen Intentionen sowie der vom Bundesgericht vorgegebenen Grundsätze
zur Verjährungsbestimmung im öffentlichen Recht vorgenommen werden. Daher ist in jedem Fall
eine systematische, historische und teleologische Betrachtung zur Festlegung einer sachgerechten Verjährungsregelung
für Verwaltungssanktionen durchzuführen, bei der die nachfolgend aufgeführten massgeblichen
Aspekte zu berücksichtigen sind. Aus diesem Grund ist für die vorliegende Regelungskonstellation
eine abschliessende Feststellung des Vorliegens einer Gesetzeslücke oder eines qualifizierten Schweigens
nicht von Belang und kann letztlich offenbleiben.
1690. Im Rahmen der im vorliegenden Fall durchzuführenden
Auslegung sind demzufolge die Grundsätze des Bundesgerichts zur Bestimmung von Verjährungsregelungen
im öffentlichen Recht zu berücksichtigen, wonach primär auf gesetzlich statuierte Regeln
für verwandte Tatbestände im öffentlichen Recht abzustellen ist und subsidiär, soweit
keine solchen Regeln bestehen, die allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätze analog anzuwenden sind
(vgl. E. 1679).
Den allgemeinen Verjährungsregelungen des Obligationenrechts als generelle Ersatzregelungen kommt
demnach am ehesten die Qualifizierung als übliche verwaltungsrechtliche Verjährung zu.
1691. Vor diesem Hintergrund ist die massgebliche
Verjährungsfrist für Verwaltungssanktionen als allgemeine kartellrechtliche Verjährungsregelung
festzulegen.
1692. Hierbei
ist zunächst aufgrund einer systematischen Betrachtung aus der Statuierung von Art. 49a Abs. 3 lit.
b
KG durch den Gesetzgeber der folgende wesentliche generelle Aspekt für die weitere Bestimmung
der allgemeinen kartellrechtlichen Verjährung abzuleiten. Wenn bei qualifizierten Wettbewerbsverstössen
die Möglichkeit von deren Sanktionierung mit einem Geldbetrag nach Ablauf einer Frist von fünf
Jahren zwischen Beendigung des wettbewerbswidrigen Verhaltens und der Einleitung eines Kartellverwaltungsverfahrens
ausdrücklich ausgeschlossen wird, muss die Frist für die allgemeine kartellrechtliche Verjährung
in jedem Fall mehr als fünf Jahre betragen. Denn ansonsten würde die Verjährung des wettbewerbswidrigen
Verhaltens insgesamt eintreten, bevor der Wegfall der Sanktionsmöglichkeit mit einem Geldbetrag
überhaupt wirksam werden könnte, weshalb der Ausschlussregelung dann überhaupt keine Bedeutung
zukäme. Hiervon ist jedoch nicht auszugehen, weil dem Gesetzgeber nicht die Intention unterstellt
werden kann, dass er eine besondere Fristenregelung statuiert hat, die wegen einer Anwendungskonkurrenz
zur allgemeinen Regelung von vornherein gar keine Berücksichtigung finden könnte.
1693. Eine allgemeine kartellrechtliche Verjährungsregelung
kann aus verschiedenen Gründen nicht aus einer analogen Anwendung von Art. 49a Abs. 3 lit.
b
KG abgeleitet werden.
1694. Gegen
eine solche analoge Anwendung spricht neben dem vorstehend dargestellten generellen Aspekt einer allgemeinen
kartellrechtlichen Verjährung von mehr als fünf Jahren (vgl. E. 1692)
zunächst der Umstand, dass der Wortlaut der Vorschrift nicht auf die Verjährung der Verfolgung
eines wettbewerbswidrigen Verhaltens, sondern ausschliesslich auf den Wegfall des Sanktionsbetrags ausgerichtet
ist und damit eine Feststellung der Wettbewerbswidrigkeit des Verhaltens nicht ausgeschlossen wird. In
systematischer Hinsicht ergibt sich deshalb, dass die Vorschrift aufgrund von Formulierung, Stellung
und Zweck vom Gesetzgeber offensichtlich als Spezialregelung für eine bestimmte Sachverhaltskonstellation
konzipiert wurde und sie daher darüber hinaus gerade nicht in allgemeiner Weise Verwendung finden
soll. Wäre eine entsprechende Anwendung vom Gesetzgeber intendiert gewesen, hätte er die in
Art. 49a Abs. 3 lit. b
KG statuierte Regelung ohne Weiteres unmittelbar als allgemeine Verjährungsregelung
für alle Wettbewerbsverstösse und Missachtungen vorsehen können. Des Weiteren lässt
sich aufgrund der genannten Umstände ableiten, dass die Vorschrift nicht eine frühzeitige Herbeiführung
der Verjährung eines beliebigen wettbewerbswidrigen Verhaltens bezweckt, sondern lediglich den Erlass
des Sanktionsbetrags, den der Gesetzgeber ohnehin nur selektiv für die qualifizierten Wettbewerbsverstösse
vorgesehen hat. Eine darüber hinausgehende Funktion kann der Vorschrift überdies aus teleologischen
Gründen nicht zugewiesen werden, weil auch nach Ablauf der Entfallfrist ein berechtigtes Bedürfnis
der Wettbewerbsbehörden besteht, die Rechtswidrigkeit des jeweiligen Verhaltens feststellen und
gegebenenfalls Anordnungen treffen zu können, damit eine zukünftige Wiederholung dieses Verhaltens
zumindest unter Berücksichtigung der Sanktionsmöglichkeit gemäss Art. 53
KG als Missachtung
geahndet werden kann. Andernfalls würde den Unternehmen die Möglichkeit eröffnet, qualifizierte
Wettbewerbsverstösse jeweils mit einem Unterbruch von fünf Jahren zu wiederholen und dafür
weder gemäss Art. 49a Abs. 1
KG noch gemäss Art. 53
KG sanktioniert werden zu können.
Schliesslich handelt es sich bei der Regelung des Art. 49 Abs. 3 lit. b
KG um eine von drei Regelungen
zum Wegfall eines Geldbetrags als Sanktionsmöglichkeit bei qualifizierten Wettbewerbsverstössen,
was gegen den Regelungszweck einer allgemeinen Verjährungsregelung spricht. Ungeachtet dessen, ob
Art. 49a Abs. 3 lit. b
KG als eine besondere Verjährungsfrist (vgl. BGE 140 II 438, Spielbanken,
E. 4.3.1, wonach die Vorschrift allerdings ohne Begründung als Regelung über die Verjährung
bezeichnet wird; Dähler/Krauskopf/Strebel, Marktpositionen,
Rn. 8.129; Uhlmann Felix, in: Zäch u.a. [Hrsg.], Kartellgesetz,
Kommentar, 2018, zit. Dike-KG,
Art. 49a Abs. 3 Rn. 31; Weber/Volz,
FHB-WBR, Rn. 3.314) oder als eine spezifische Verwirkungsfrist (vgl. Borer,
KG, Art. 49a Rn 31; Kuster
Richard, in: Baker & Mckenzie [Hrsg.], Kartellgesetz, 2007, zit. KG,
Art. 53 Rn. 6; Spitz, Problemstellungen,
564; Tagmann/Zirlick, BSK-KG,
Art. 49a Rn. 241) oder als Sanktionsausschlussgrund (vgl. Niggli/Riedo,
BSK-KG, VorArt. 49a, Rn. 163) zu qualifizieren ist, stellt
sie bei sachgerechter Interpretation aufgrund ihres Regelungsgehalts jedenfalls keine Grundlage für
eine allgemeine Verjährungsregelung für die Verfolgung von Wettbewerbsverstössen und Missachtungen
dar (im Ergebnis ebenso Borer, KG,
Art. 49a Rn. 31; Dähler/Krauskopf/Strebel, Marktpositionen,
Rn. 8.129; Niggli/Riedo, BSK-KG,
VorArt. 49a, Rn. 170; Spitz, Problemstellungen,
564; Tagmann/Zierlick, BSK-KG,
Art. 49a Rn. 240; Uhlmann, Dike-KG,
Art. 49a Abs. 3 Rn. 21; a.A. Kuster, KG,
Art. 53 Rn. 6; Moreillon Laurent, in: Martenet/Bovet/Tercier
[Hrsg.], Commentaire Romand, Droit de la Concurrence, 2. Aufl. 2013; zit. CR-Concurrence,
Art. 53
Rn. 17; Tschudin Michael, in: Zäch u.a. [Hrsg.],
Kartellgesetz, 2018, zit. Dike-KG,
Art. 53 Rn. 24 ff.).
1695. Eine allgemeine kartellrechtliche Verjährungsregelung
kann auch nicht aus einer analogen Anwendung der Verjährung von Widerhandlungen gemäss Art.
56
KG und einem allfälligen Rückgriff auf weitere verwaltungsstrafrechtliche Regelungen hergeleitet
werden.
1696. Gegen eine entsprechende Herleitung spricht
bereits der ausdrückliche Verweis des Gesetzgebers in der Botschaft
KG 1995 auf die zur Anwendung gelangende übliche verwaltungsrechtliche Verjährung bei
Verwaltungssanktionen sowie die Abgrenzung der Verwaltungssanktionen und der Widerhandlungen in getrennten
Abschnitten des Kartellgesetzes. Hätte der Gesetzgeber die Anwendung des Art. 56
KG unter Rückgriff
auf weitere verwaltungsstrafrechtliche Verjährungsregelungen vorsehen wollen, hätte er die
Verwaltungssanktionen direkt der Verjährungsregelung von Art. 56
KG unterstellen können. Es
ist daher offensichtlich, dass die übliche verwaltungsrechtliche Verjährung von der Verjährung
von Widerhandlungen gemäss Art. 56
KG abzugrenzen ist. Zudem statuiert Art. 56
KG Verjährungsfristen
von zwei und fünf Jahren. Diese Fristen werden angesichts der durch den Gesetzgeber in Art. 49a
Abs. 3 lit. b
KG verankerten Spezialregelung mit einer Frist von fünf Jahren von einer Anwendung
als allgemeine kartellrechtliche Verjährungsfrist von vornherein ausgeschlossen (vgl. E. 1692).
1697. Eine allgemeine kartellrechtliche Verjährungsregelung
kann ebensowenig aus einer analogen Anwendung der Verjährungsvorschriften des Verwaltungsstrafrechts
hergeleitet werden.
1698. Gegen eine derartige Anwendung spricht
bereits der Umstand, dass der Gesetzgeber mit der Abgrenzung eigener Abschnitte im Kartellgesetz für
Verwaltungs- und Strafsanktionen sowie durch die Zuordnung der Widerhandlungen zum Verwaltungsstrafrecht
zum Ausdruck gebracht hat, dass diese Handlungen einer besonderen Ordnung unterworfen sind. Die Sanktionierung
und Verjährung der Widerhandlungen bilden demzufolge einen eigenständigen Bereich des Kartellrechts,
weshalb sie gegenüber dem kartellverwaltungsrechtlichen Vorgehen wegen einfacher und qualifizierter
Wettbewerbsverstösse sowie Missachtungen abzugrenzen sind. Andernfalls hätte der Gesetzgeber
ohne Weiteres bei den Verwaltungssanktionen auf die verwaltungsstrafrechtlichen Verjährungsregelungen
verweisen können, wie er dies bereits bei Art. 56
KG getan hat.
Demzufolge kann
es sich aus Sicht des Gesetzgebers bei der üblichen verwaltungsrechtlichen Verjährung nicht
um verwaltungsstrafrechtliche Verjährungsregelungen handeln. Darüber hinaus werden die verwaltungsstrafrechtlichen
Verjährungsregelungen weder in der Rechtspraxis noch in der Literatur (vgl. Häfelin/Müller/Uhlmann,
Verwaltungsrecht, Rn. 777) als übliche verwaltungsrechtliche
Verjährung qualifiziert. Zudem ist die notwendige Vergleichbarkeit zwischen Wettbewerbsverstössen
und Missachtungen einerseits sowie bestimmten verwaltungsstrafrechtlichen Tatbeständen andererseits
weder ersichtlich noch wurde sie in der Literatur bislang aufgezeigt. Und auch die Beschwerdeführer
haben keine entsprechenden Hinweise vorgetragen. Deshalb scheidet eine Heranziehung von verwaltungsstrafrechtlichen
Verjährungsregelungen auch nach den bundesgerichtlichen Grundsätzen der Verjährungsbestimmung
aus.
1699. Es
besteht daher kein Grund, die allgemeine verwaltungsstrafrechtliche Verjährungsregelung des Art.
11 Abs. 1
VStrR zur Anwendung zu bringen (im Ergebnis so bereits BGE 140 II 378, Spielbanken,
E. 4.3.2; a.A. Niggli/Riedo, BSK-KG,
VorArt. 49a, Rn. 171, alternativ zur Anwendung der strafrechtlichen Verjährungsregelung von Art.
109
StGB). Zudem hat der Gesetzgeber die Verwaltungssanktionen einschliesslich der direkten Sanktionen
gemäss Art. 49a
KG nicht als Strafen bzw. Strafsanktionen im Sinne des Verwaltungsstrafrechts oder
des Strafrechts qualifiziert (vgl. E. 1479;
BVGer, B-7633/2009, ADSL II, E.
649 ff. m.w.H.; Hangartner, Aspekte des Verwaltungsverfahrensrechts
nach dem revidierten Kartellgesetz von 2003, in: Stoffel/Zäch [Hrsg.], Kartellgesetzrevision 2003,
2004, zit. Aspekte, 277; Heine
Günter/Roth Robert, Rechtsgutachten zur Sanktionierung natürlicher Personen/Unternehmen
im Zuge der Schweizer Kartellgesetzrevision, 2010/2011, zit. Sanktionen,
14; Weber/Volz, FHB-WB,
Rn. 3.218). Demzufolge ist eine Anwendung von Art. 11
VStrR über Art. 333 Abs. 6
StGB von vornherein
ausgeschlossen, weil der "Betrag" gemäss Art. 49a Abs. 1
KG nach Ansicht des Gesetzgebers
keine Strafe im Sinne von Art. 333 Abs. 1
StGB darstellt. Überdies ist auch die weitere Voraussetzung
des Art. 333 Abs. 1
StGB einer "fehlenden Bestimmung" nicht gegeben, weil mit dem Hinweis
des Gesetzgebers auf die übliche verwaltungsrechtliche Verjährung für Art 49a Abs. 1
KG
eine ausdrückliche Handlungsanweisung zur Ausgestaltung der Verjährung vorliegt.
1700. Darüber hinaus ist eine Heranziehung
von Art. 11
VStrR i.V.m. Art. 333 Abs. 6 lit. b
StGB als allgemeine kartellrechtliche Verjährungsregelung
bereits aus systematischen Gründen ausgeschlossen. Aufgrund der Statuierung einer Sonderregelung
für abgeschlossene qualifizierte Wettbewerbsverstösse mit einer Entfallfrist von fünf
Jahren durch den Gesetzgeber wäre die Heranziehung einer kürzeren verwaltungsstrafrechtlichen
Verjährungsfrist von drei oder vier Jahren sachwidrig (vgl. E. 1692;
im Ergebnis so bereits BVGer, B-771/2012, Cellere, E. 9.2.4).
1701. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1662
ff.) ist demzufolge eine Anwendung von Art. 11
VStrR ausgeschlossen.
1702. Eine allgemeine kartellrechtliche Verjährungsregelung
kann ebenfalls nicht aus einer analogen Anwendung von strafrechtlichen Verjährungsvorschriften hergeleitet
werden.
1703. Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber
für die Verjährung der Verwaltungssanktionen auf die übliche verwaltungsrechtliche Verjährung
und nicht auf das für kartellrechtliche Strafsanktionen gegenüber natürlichen Personen
ergänzend anzuwendende Verwaltungsstrafrecht verwiesen hat, ergibt sich zunächst a majore ad
minus, dass eine Heranziehung von strafrechtlichen Verjährungsregelungen für die kartellrechtlichen
Verwaltungssanktionen erst recht ausgeschlossen ist. Einer entsprechenden Herleitung steht darüber
hinaus der Umstand entgegen, dass die strafrechtlichen Verjährungsvorschriften weder von Rechtspechung
noch Literatur (vgl. Häfelin/Müller/Uhlmann, Verwaltungsrecht,
Rn. 777) als übliche verwaltungsrechtliche Verjährung qualifiziert werden. Zudem ist die notwendige
Vergleichbarkeit zwischen Wettbewerbsverstössen und Missachtungen einerseits sowie bestimmten strafrechtlichen
Tatbeständen andererseits weder ersichtlich noch wurde sie in der Literatur bislang aufgezeigt oder
von den Beschwerdeführerinnen detailliert vorgetragen, weshalb eine Heranziehung von strafrechtlichen
Verjährungsregelungen auch nach den bundesgerichtlichen Grundsätzen der Verjährungsbestimmung
ausscheidet. Dem stünde auch die Wertung des Gesetzgebers gegenüber, der die direkten Sanktionen
ausdrücklich in Abgrenzung zu strafrechlichen Sanktionen als Verwaltungssanktionen qualifiziert
hat (vgl. E. 1699).
Demzufolge finden die allgemeinen strafrechtlichen Verjährungsregelungen keine analoge Anwendung
(a.A. Zurkinden Philipp/ Trueb Hans Rudolf, Das neue Kartellgesetz,
2004, zit. KG, Art. 53
Rn. 3). Dies gilt auch für Art. 109
StGB (im Ergebnis so bereits BGE 140 II 378, Spielbanken, E. 4.3.2;
a.A. Niggli/Riedo, BSK-KG,
VorArt. 49a, Rn. 171, alternativ zur Anwendung der verwaltungsstrafrechtlichen Verjährungsregelungen).
1704. Darüber hinaus ist eine Heranziehung
von Art. 109
StGB als allgemeine kartellrechtliche Verjährungsregelung auch bereits aus systematischen
Gründen ausgeschlossen. Aufgrund der Statuierung einer Sonderregelung für abgeschlossene qualifizierte
Wettbewerbsverstösse mit einer Entfallfrist von fünf Jahren durch den Gesetzgeber wäre
die Heranziehung einer kürzeren strafrechtlichen Verjährungsfrist von drei oder vier Jahren
sachwidrig (vgl. E. 1692;
im Ergebnis so bereits BVGer, B-771/2012, Cellere, E. 9.2.4).
1705. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen
(vgl. E. 1662
ff.) kommt demzufolge Art. 109
StGB vorliegend ebenfalls keine Bedeutung zu.
1706. Diese Einschätzung zur Heranziehung
von verwaltungs- oder strafrechtlichen Verjährungsregelungen verliert ihre Gültigkeit entgegen
der Ansicht der Beschwerdeführerinnen auch nicht deshalb, weil es sich bei den direkten Sanktionen
gemäss Art. 49a Abs. 1
KG entsprechend der Rechtsprechung von Bundesgericht und Bundesverwaltungsgericht
um strafrechtsähnliche Sanktionen im Sinne von Art. 6
EMRK handelt. Kartellsanktionsverfahren sind
auch nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte selbst bei einer Möglichkeit
zur Verhängung von hohen Geldbussen nicht dem Kernbereich des Strafrechts zuzuordnen. Daher ist
auch die Ausgestaltung eines erstinstanzlichen Kartellsanktionsverfahrens als Verwaltungsverfahren zulässig
(vgl. E. 98
f.), soweit im anschliessenden Rechtsmittelverfahren ein Gericht mit voller Entscheidungsbefugnis eine
Überprüfung der behördlichen Entscheidung vornehmen kann. Demzufolge besteht kein Grund,
von einer zwingenden Anwendung von strafrechtlichen Verfahrensvorschriften einschliesslich von Verjährungsnormen
auszugehen. Vielmehr sind inhaltliche Anpassungen der strafrechtlichen Grundsätze zulässig,
soweit dies unter Berücksichtigung der jeweiligen verwaltungsrechtlichen Anforderungen sachlich
gerechtfertigt ist und die strafrechtliche Grundsätze nicht vollständig ihres Inhalts beraubt
wird (vgl. E. 1479).
Darüber hinaus statuiert die Europäische Menschenrechtskonvention auch keine zwingenden Vorschriften
zur Verjährung. Deshalb besteht letztlich auch keine Notwendigkeit zur Beachtung einer bestimmten
strafrechtlichen Verjährungsregelung.
1707. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung
des Umstands, dass nicht nur strafrechtsähnliche, sondern auch rein verwaltungsrechtliche Kartelltatbestände
einer Verfolgung bedürfen, ist es ohne Weiteres zulässig, dass der Gesetzgeber die Untersuchungsverjährung
im Rahmen des Kartellverwaltungsverfahrens einheitlich für einfache und qualifizierte Wettbewerbsverstösse
sowie Missachtungen an eine verwaltungsrechtliche und nicht an eine strafrechtliche Regelung anknüpft.
1708. Im Übrigen ist es letztlich unerheblich,
ob die massgebliche Untersuchungsverjährung im Kartellrecht an eine strafrechtliche oder an eine
verwaltungsrechtliche Verjährungsregelung anknüpft bzw. daran angeknüpft wird. Da dem
Gesetzgeber unstreitig ein weites Ermessen bei der Ausgestaltung der Verjährung für einzelne
Rechtsbereiche zukommt, ist allein deren festgelegter oder intendierter Sachgehalt von Bedeutung und
nicht der Rechtscharakter der Anknüpfungsnorm. Daher spielt es für die Anwendung der massgeblichen
allgemeinen kartellrechtlichen Verjährung keine Rolle, ob der Gesetzgeber die entsprechenden Verjährungsregelungen
als strafrechtliche Normen in strafrechtlichen Erlassen oder als verwaltungsrechtliche Normen in verwaltungsrechtlichen
Erlassen statuiert. Selbst wenn der Gesetzgeber als strafrechtlich bezeichnete Tatbestände im Kartellgesetz
statuiert hätte, wäre es ihm unbenommen geblieben, deren Verjährung an die konkreten Regelungen
einer verwaltungsrechtlichen Verjährungsregelung für sonstige Verwaltungssanktionen anzuknüpfen.
Daher kann entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen (vgl. E. 1662)
auch nicht in umgekehrter Weise aus dem strafrechtlichen oder verwaltungsstrafrechtlichen Rechtscharakter
einer bestimmten Verjährungsregelung deren zwingende Anwendung auf die Verfolgung eines kartellrechtlichen
Tatbestands mit einem strafrechtsähnlichen Charakter hergeleitet werden, wenn der Gesetzgeber für
diese Verjährung ausdrücklich eine verwaltungsrechtliche Verjährungsregelung vorgesehen
hat.
1709. Eine allgemeine kartellrechtliche Verjährungsregelung
kann auch nicht aus sonstigen verwandten verwaltungsrechtlichen Vorschriften hergeleitet werden. Entsprechend
vergleichbare und sachgerechte Vorschriften zu öffentlich-rechtlichen Tatbeständen sind nicht
ersichtlich und werden in der Literatur nicht aufgezeigt und von den Beschwerdeführerinnen auch
nicht vorgetragen.
1710. Aufgrund des Fehlens einer adäquaten
sonstigen verwaltungsrechtlichen Verjährungsregelung ist aufgrund der Grundsätze des Bundesgerichts
zur Verjährungsbestimmung im öffentlichen Recht deshalb für die Verjährung von Verwaltungssanktionen
auf die Verjährungsregelungen des Obligationenrechts abzustellen.
1711. Aufgrund der Heranziehung der privatrechtlichen
Verjährungsregelungen für das kartellverwaltungsrechtliche Verfahren ergibt sich für die
Verjährung auch eine Kohärenz zu den kartellprivatrechtlichen Ansprüchen eines Unternehmens
gemäss den Art. 12
ff. KG.
1712. Die besondere privatrechtliche Verjährungsvorschrift
des Art. 128
OR weist keine Regelungen auf, die für Wettbewerbsverhältnisse sachgerechte Anwendung
finden könnte. Wettbewerbsverhältnisse beschränken sich weder auf die in Art. 128
OR genannten
Branchen noch auf Rechtsverhältnisse mit periodisch wiederkehrenden Leistungen. Eine Heranziehung
ist zudem wie dargestellt (vgl. E. 1692)
aus systematischen Gründen schon deshalb ausgeschlossen, weil die statuierte Verjährungsfrist
von fünf Jahren nicht sachgerecht wäre.
1713. Demgegenüber entspricht die allgemeine
privatrechtliche Verjährungsregelung für Forderungen gemäss Art. 127 f. mit einer Verjährungsfrist
von zehn Jahren den systematischen Anforderungen an eine analoge Anwendung im Wettbewerbsrecht. Dass
sich eine privatrechtliche Forderung und ein wettbewerbswidriges Verhalten aber nach ihrem Gegenstand
unterscheiden, wird im Hinblick auf die Anknüpfungspunkte dieser Verjährung deutlich. Danach
fällt der Beginn der Verjährungsfrist gemäss Art. 130
und 131
OR jeweils auf den Zeitpunkt
der Fälligkeit der Forderung bzw. der ersten Fälligkeit von rückständigen Teilleistungen
oder der ersten Möglichkeit zur Kündigung der jeweiligen Forderung. Diese Anknüpfungspunkte
finden aber keine unmittelbare Entsprechung bei allen Wettbewerbsverhältnissen, weshalb im Kartellverwaltungsverfahren
nicht darauf abgestellt werden könnte.
1714. Das Obligationenrecht sieht allerdings
auch besondere privatrechtliche Verjährungsvorschriften für Ansprüche aus unerlaubten
Handlungen gemäss Art. 60
OR vor, welche im Hinblick auf den Gegenstand einem wettbewerbswidrigen
Verhalten am ehesten entsprechen. Dabei werden eine relative Verjährungsfrist von einem Jahr seit
Kenntnis von Handlung und Schaden, eine absolute Verjährungsfrist von zehn Jahren seit Begehung
der Handlung sowie eine besondere Verjährungsfrist als Verweis auf einschlägige längere
strafrechtliche Verjährungsregelungen statuiert. Eine analoge Anwendung der relativen Verjährungsfrist
scheidet aufgrund ihrer kurzen Dauer bereits aus systematischen Gründen aus; im Übrigen wurde
ihre analoge Anwendung bei öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnissen aufgrund eines sich daraus
ergebenden Überraschungseffekts prinzipiell abgelehnt (vgl. BGE 126 II 61 E. 7). Gleiches gilt angesichts
der ausgeschlossenen Verweisung auf das Strafrecht auch für die besondere Verjährungsfrist.
Zudem wäre ein Rückgriff auf längere strafrechtliche Verjährungsfristen unter teleologischen
Gesichtspunkten nicht notwendig. Die absolute Verjährungsfrist entspricht hingegen den systematischen
Anforderungen an eine analoge Anwendung im Wettbewerbsrecht. Zudem bietet sie mit der Heranziehung von
Handlung und Schaden adäquate Anknüpfungspunkte zur Übertragung auf ein wettbewerbswidriges
Verhalten und einer damit einhergehenden Wettbewerbsbeschränkung. Daher ist im Kartellverwaltungsverfahren
diese Verjährungsregelung analog heranzuziehen.
1715. Sowohl eine analoge Heranziehung der
absoluten Verjährungsfrist bei unerlaubten Handlungen als auch ein Abstellen auf die allgemeine
Verjährungsfrist bei Forderungen führt demnach zu einer Verjährungsfrist von zehn Jahren
als allgemeine kartellrechtliche Verjährung.
1716. Eine solche Verjährungsfrist wird
unter teleologischen Gesichtspunkten auch den Anforderungen an eine ausreichende Dauer für die Verfolgung
eines wettbewerbswidrigen Verhaltens gerecht (vgl. E. 1681
ff.).
1717. Der Bundesrat ist angesichts der in Betracht
zu ziehenden allgemeinen privatrechtlichen Verjährungsregelungen offensichtlich ebenfalls von der
Geltung einer mindestens zehnjährigen Dauer der allgemeinen kartellrechtlichen Verjährungsfrist
ausgegangen. Denn im Rahmen der Sanktionsverordnung hat er gemäss Art. 4
SVKG eine differenzierte
Regelung zur Erhöhung des Geldbetrags in Abhängigkeit von der Dauer des wettbewerbswidrigen
Verhaltens statuiert, die zunächst einen Zeitrahmen von fünf Jahren und danach einen weiteren
unbegrenzten Zeitraum vorsieht. Diese Sanktionsregelung kann überhaupt nur dann Anwendung finden,
wenn ein entsprechender Wettbewerbsverstoss grundsätzlich nicht vor Ablauf einer ein- oder fünfjährigen
Frist verjährt.
1718. Der Beginn der Verjährung bei Ansprüchen
aus unerlaubter Handlung fällt gemäss Art. 60 Abs. 1 OR auf den Tag der schädigenden Handlung.
Mit diesem Anknüpfungspunkt der Verjährung kann auch ein wettbewerbswidriges Verhalten bei
dessen Ausübung angemessen erfasst werden. Dabei ist auf die Beendigung des jeweiligen Verhaltens
abzustellen, um auch wiederholte oder dauernde Einwirkungen auf den Wettbewerb sachgerecht zu erfassen.
1719. Eine Unterbrechung der Verjährung
von Ansprüchen aus unerlaubter Handlung richtet sich wie diejenige der allgemeinen Verjährung
von Forderungen nach den allgemeinen Vorschriften der Art. 135 ff. OR. Die Verjährungsfrist wird
danach gemäss Art. 130
OR neben einer Anerkennung zu dem Zeitpunkt unterbrochen, an dem die Einreichung
einer Klage oder eines Schlichtungsgesuchs, die Eintragung einer Betreibung oder die Eingabe im Konkurs
durch eine Partei erfolgt. Massgebend für die Unterbrechung ist demnach der Zeitpunkt der erstmaligen,
gerichtlich bzw. behördlich dokumentierten Geltendmachung und nicht erst der Zeitpunkt, in dem das
jeweils eingeleitete Verfahren mit einer verbindlichen Entscheidung über den Anspruch abgeschlossen
wird (vgl. Däppen Robert K., in: Honsell/Vogt/Wiegand
[Hrsg.], Basler Kommentar Obligationenrecht I, 6. Aufl., 2015, zit. BSK-OR
I, 135 Rn. 1; Schwenzer Ingeborg, Schweizerisches
Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 7. Aufl. 2016, Rn. 84.26).
1720. Diesem Zeitpunkt entspricht im Hinblick
auf eine kartellrechtliche Sanktionierung die Einleitung einer Untersuchung gemäss Art. 27 KG durch
die Wettbewerbsbehörden. Damit wird erstmalig und eindeutig dokumentiert, dass die Rechtmässigkeit
eines wirtschaftlichen Verhaltens zweifelhaft ist. Dies wird durch die besondere Regelung des Art. 28
KG bestätigt, der ausdrücklich die allgemeine Bekanntmachung der Eröffnung einer Untersuchung
durch amtliche Publikation vorsieht.
1721. Dass die Einleitung des Untersuchungsverfahrens
durch die Wettbewerbsbehörden für die Unterbrechung der allgemeinen kartellrechtlichen Verjährung
massgebend ist, ergibt sich zudem aus systematischer Sicht bei einem Vergleich mit anderen Vorschriften
des Wettbewerbsrechts. Auch für den Wegfall der Sanktionsmöglichkeit mit einem Geldbetrag gemäss
Art. 49a Abs. 3 lit. b
KG hat der Gesetzgeber den Zeitpunkt der Einleitung und nicht den Abschluss des
Untersuchungsverfahrens als massgeblich qualifiziert. Wenn die Erhöhungsregelung für die Sanktionierung
mit einem Geldbetrag gemäss Art. 4
SVKG einen zehnjährigen Zeitrahmen vorsieht, dann muss die
Verjährung bereits mit der Einleitung und nicht erst mit dem Abschluss des Kartellverwaltungsverfahrens
unterbrochen werden, weil dieser Zeitrahmen bei einer zehnjährigen Verjährungsfrist aufgrund
der notwendigen Dauer zur Durchführung eines Kartellverwaltungsverfahrens ansonsten keine Anwendung
finden würde.
1722. Für die Verfolgung von qualifizierten
Wettbewerbsverstössen findet somit die allgemeine kartellrechtliche Untersuchungsverjährung
Anwendung. Dabei ergeben sich die folgenden wesentlichen Aspekte: Der Beginn der Untersuchungsverjährung
fällt auf den Zeitpunkt der Beendigung einer Ausübung des jeweiligen wettbewerbswidrigen Verhaltens
durch das Unternehmen. Die Untersuchungsverjährung tritt nach Ablauf einer Dauer von zehn Jahren
seit ihrem Beginn ein. Die Untersuchungsverjährung wird zu dem Zeitpunkt unterbrochen, in dem die
Wettbewerbsbehörden eine Untersuchung gemäss Art. 27 KG einleiten. Soweit es sich bei dem wettbewerbswidrigen
Verhalten um einen abgeschlossenen qualifizierten Wettbewerbsverstoss handelt, dessen Ausübung im
Zeitpunkt der Einleitung einer Untersuchung bereits seit mehr als fünf Jahren eingestellt worden
war, entfällt im Rahmen von dessen Verfolgung allerdings eine Sanktionierung mit einem Geldbetrag.
(d)
Massgebliche Vollzugsverjährung
1723. Vorliegend stellt sich zudem die Frage,
ob auch von den Wettbewerbsbehörden oder den Rechtsmittelinstanzen eine Vollzugsverjährungsfrist
im Sinne einer absoluten Frist zu beachten ist.
1724. Für die Bestimmung der kartellrechtlichen
Vollzugsverjährung gelten die vorstehenden Ausführungen zur allgemeinen kartellrechtlichen
Untersuchungsverjährung im Ergebnis in gleicher Weise, weshalb die obligationenrechtlichen Verjährungsregelungen
entsprechend Anwendung finden.
1725. Während der Durchführung eines
in Art. 138 bezeichneten Gerichtsverfahrens findet eine privatrechtliche Verjährung nicht statt,
weil sie infolge der Klageeinreichung gemäss Art. 138 Abs. 1 OR unterbrochen und ihr erneuter Lauf
mit vollständiger Frist erst mit Abschluss des jeweiligen Verfahrens vor der befassten Instanz erneut
in Gang gesetzt wird. Der Begriff "Klage" bezieht sich dabei auch auf das Rechtsmittelverfahren
(vgl. Berti Stephen, in: Zürcher Kommentar zum Obligationenrecht,
Bd. V/1h/1 - Art 127-142 Das Erlöschen der Obligation, 3. Aufl. 2002, zit. ZK-OR,
Art. 138 Rn. 33; Däppen, BSK-OR
I, Art. 138 Rn. 2). Die Verjährungsfrist beginnt demnach zwar mit Erlass eines Urteils erneut
zu laufen; sie wird allerdings durch die Einlegung eines Rechtsmittels sofort wieder unterbrochen. Die
privatrechtliche Verjährung kann somit erst nach Erlass eines rechtskräftigen Urteils eintreten.
Somit findet keine Verjährung in privatrechtlichen Gerichtsverfahren oder in Verfahren vor Rechtsmittelinstanzen
statt. Bei Feststellung einer Forderung mittels Urteils beträgt die neue Verjährungsfrist gemäss
Art. 137 Abs. 2 OR in jedem Fall zehn Jahre, ansonsten gilt die bisherige Verjährungsfrist.
1726. Das Gleiche gilt im Übrigen für
verwaltungsstrafrechtliche bzw. strafrechtliche Verfahren. Die Verfolgungsverjährung endet gemäss
Art. 333 Abs. 6 lit. d bzw. Art. 97 Abs. 3 StGB nach Erlass eines erstinstanzlichen Urteils. Die Vollstreckungsverjährung
beginnt gemäss Art. 2 VStrR i.V.m. Art. 100 StGB oder gemäss Art. 100 StGB erst mit einem formell
rechtskräftigen Urteil. Zwischen einem erstinstanzlichen Urteil und einem allenfalls letztinstanzlichen,
rechtskräftigen Urteil kann eine Verjährung in verwaltungsstrafrechtlichen Verfahren bzw. strafrechtlichen
Verfahren daher ebenfalls nicht eintreten (vgl. Zurbügg Matthias,
in: Niggli/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Schweizerisches Strafgesetzbuch, 4. Aufl. 2018,
BSK-StGB, Art. 100 Rn. 2 ff.).
1727. Vor diesem Hintergrund besteht in jedem
Fall kein Grund, auf kartellrechtliche Verwaltungs- und Rechtsmittelverfahren eine Verjährungsfrist
anzuwenden.
1728. Aus diesem Grund beginnt der Lauf der
Vollzugsverjährung erst mit Eintritt der Rechtskraft eines Entscheids der Wettbewerbskommission
oder des Bundesverwaltungsgerichts bzw. des Bundesgerichts als Rechtsmittelinstanz. Die Frist der Vollzugsverjährung
beträgt dabei ebenfalls zehn Jahre.
(e)
Sachverhalt
1729. Die Beschwerdeführerinnen haben
das wettbewerbswidrige Verhalten im Januar 2007 beendet. Das Untersuchungsverfahren wurde bereits kurz
davor ebenfalls im Januar 2007 eröffnet (vgl. SV J.d).
Demnach wurde damit der Lauf der Verjährung unmitttelbar unterbrochen.
1730. Mit Abschluss des Kartellverwaltungsverfahrens
durch Erlass der angefochtenen Verfügung am 29. November 2010 (vgl. SV J.l)
begann die Verjährungsfrist erneut zu laufen. Mit Einreichung der Beschwerde durch die Beschwerdeführerinnen
beim Bundesverwaltungsgericht am 31. Januar 2011 (vgl. SV K.a
) wurde die Verjährung erneut unterbrochen. Während der Dauer des Beschwerdeverfahrens vor
dem Bundesverwaltungsgericht läuft keine Verjährungsfrist, weshalb eine Verjährung der
von der Wettbewerbskommission angeordneten Sanktionen nicht stattfindet.
1731. Eine Verjährung des wettbewerbswidrigen
Verhaltens oder dessen Sanktionierung ist daher entgegen den Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
nicht eingetreten.
X.
Vorinstanzliche Verfahrenskosten
1732. Die
Beschwerdeführerinnen haben keinen spezifischen Einwand im Hinblick auf die Auferlegung der Kosten
für das Kartellverwaltungsverfahren erhoben.
1733. Angesichts der inhaltlichen Bestätigung
der angefochtenen Verfügung und der sich daraus ergebenden Abweisung der Beschwerde bedarf die Kostenentscheidung
im vorinstanzlichen Verfahren keiner Anpassung.
1734. Da die Beschwerdeführerinnen die
Ziff. 7 des Dispositivs der angefochtenen Verfügung, mit der allein der Beschwerdeführerin
1 die Kosten des vorinstanzlichen Verfahrens auferlegt wurden, im Rahmen der Beschwerde nicht angefochten
haben, bedarf diese spezifische Festlegung der Vorinstanz keiner Korrektur.
XI.
Gesamtbeurteilung der Beschwerde
1735. Die Beschwerdeführerinnen haben
eine Einstellung des Verfahrens oder ersatzweise eine Aufhebung der angefochtenen Verfügung der
Vor-instanz sowie hilfsweise immerhin eine Herabsetzung der Sanktion oder zumindest die Entfernung der
Beschwerdeführerin 1 als Verfügungsadressatin unter Anpassung des Dispositivs der angefochtenen
Verfügung beantragt. Mit dem vorliegenden Urteil werden diese Begehren abgewiesen, auch wenn mehrere
Änderungen am Dispositiv der angefochtenen Verfügung vorzunehmen sind. Denn der Vorwurf des
durch die angefochtene Verfügung festgestellten wettbewerbswidrigen Verhaltens wird durch das vorliegende
Urteil vollumfänglich bestätigt.
1736. Die selbständige Feststellung einer
marktbeherrschenden Stellung in der angefochtenen Verfügung ist angesichts der im Laufe des Verfahrens
ergangenen Urteile des Bundesgerichts unter Berücksichtigung der Feststellungen zum wettbewerbswidrigen
Verhalten gemäss Art. 7
KG in den entsprechenden Ziffern des Dispositivs nicht erforderlich (vgl.
E. 410
ff.). Ziff. 1 des Dispositivs der angefochtenen Verfügung ist demzufolge aufzuheben. Die Aufhebung
erlangt im vorliegenden Verfahren allerdings keine selbstständige inhaltliche Bedeutung.
1737. Die Feststellung eines wettbewerbswidrigen
Verhaltens in Form einer Geschäftsverweigerung gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. a
KG sowie einer Koppelung
gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. f
KG ist auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des
Bundesgerichts sachlich angemessen (vgl. E. 410
ff.). Ziff. 2 und 5 des Dispositivs der angefochtenen Verfügung bleiben daher bestehen.
1738. Die Feststellung eines wettbewerbswidrigen
Verhaltens in Form einer Beschränkung der technischen Entwicklung gemäss Art. 7 Abs. 2 lit.
e
KG und einer Diskriminierung gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. b
KG bedarf angesichts der Bestätigung
einer Geschäftsverweigerung und einer Koppelung keiner Überprüfung von Seiten des Gerichts.
Die Ziff. 3 und 4 des Dispotivs der angefochtenen Verfügung sind daher aufzuheben. Diese Aufhebung
erlangt im vorliegenden Verfahren allerdings keine selbstständige inhaltliche Bedeutung.
1739. Der für den Wettbewerbsverstoss
festzusetzende Sanktionsbetrag wird in vollem Umfang bestätigt. Ziff. 6 des Dispositivs der angefochtenen
Verfügung bleibt somit bestehen.
1740. Das vorliegende Urteil hat keine Auswirkung
auf die vorgenommene Verlegung der vorinstanzlichen Verfahrenskosten (vgl. E. 1732
f.). Ziff. 7 des Dispositivs der angefochtenen Verfügung bleibt demzufolge bestehen.
1741. Der Vollständigkeit halber wird
angemerkt, dass die Rechtsmittelbelehrung nicht in das Dispositiv aufzunehmen ist, weil sie durch eine
Beschwerdeentscheidung weder aufgehoben noch bestätigt werden muss und sie daher kein Bestandteil
der Entscheidformel ist. Auf eine Aufhebung der Ziff. 8 des Dispositivs der angefochtenen Verfügung
wird allerdings verzichtet, weil dieser Umstand im vorliegenden Verfahren keine selbstständige inhaltliche
Bedeutung erlangt und die Beschwerdeführerinnen keinen entsprechenden Antrag gestellt haben.
1742. Gleiches gilt für die in Ziff. 9
des Dispositivs enthaltene Eröffnungsformel.
1743. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Beschwerdeführerinnen
mit ihrer Beschwerde trotz der Anpassung des Dispositivs aus formellen Gründen vollumfänglich
unterliegen.
XII. Verfahrenskosten
und Parteientschädigung
1744. Die
Auferlegung der Verfahrenskosten, die sich aus Gerichtsgebühr und Auslagen zusammensetzen, sowie
die Zusprechung einer Parteientschädigung richten sich nach den Bestimmungen des Reglements des
Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem
Bundesverwaltungsgericht (VGKE, SR
173.320.2) sowie den allgemeinen Bestimmungen von Art. 63 und 64
VwVG.
1745. Gemäss Art. 2 Abs. 1
VGKE bemisst
sich die Gerichtsgebühr nach Umfang und Schwere der Streitigkeit, der Art der Prozessführung
und der finanziellen Lage der Parteien, wobei die Art. 3
und 4
VGKE Rahmengebühren für bestimmte
Angelegenheiten vorgeben. Gemäss Art. 2 Abs. 2
VGKE kann das Gericht über die Höchstbeträge
der Rahmengebühren hinausgehen, wenn besondere Gründe, namentlich eine mutwillige Prozessführung
oder ein ausserordentlicher Aufwand, eine Erhöhung rechtfertigen. Vorliegend ist davon auszugehen,
dass eine besondere Angelegenheit nach Umfang und Schwere vorlag, die einen ausserordentlichen Aufwand
für ihre sachgerechte Bearbeitung erforderte. Allerdings kann der in Art. 63 Abs. 4
bis
VwVG festgesetzte Höchstbetrag von 50'000.-CHF in keinem Fall überschritten werden (vgl.
Kiener/Rütsche/Kuhn, Verfahrensrecht,
Rn. 1567; Moser/Beusch/Kneubühler, Prozessieren,
Rn. 4.22a). Die Gerichtsgebühr ist demzufolge entsprechend dem Höchstbetrag der Rahmengebühr
für vermögensrechtliche Streitigkeiten mit einem Streitwert von mehr als 5 Mio. CHF gemäss
Art. 3 Abs. 2
VGKE mit einem Betrag in Höhe von 50'000.- CHF festzusetzen.
1746. Gemäss Art. 63 Abs. 1
VwVG hat das
Bundesverwaltungsgericht die Verfahrenskosten entsprechend dem Unterliegerprinzip der unterliegenden
Partei aufzuerlegen. Unterliegt eine Partei nur teilweise, so werden die Verfahrenskosten ermässigt.
In diesem Falle sind die Kosten aufgrund eines allgemeinen prozessualen Grundsatzes im Verhältnis
des Obsiegens und Unterliegens zu verteilen (vgl. BGE 132 II 47 E. 3.3; BVGer, B-7633/2009, ADSL
II, E. 802).
1747. Die Beschwerdeführerinnen unterliegen
mit ihrer Beschwerde trotz der formellen Anpassung des Dispositivs in vollem Umfang, weshalb die volle
Gerichtsgebühr gegen sie festzusetzen ist.
1748. Gemäss Art. 64 Abs.1
VwVG ist einer
ganz oder teilweise obsiegenden Partei von Amtes wegen oder auf Begehren hin eine Entschädigung
für die ihr erwachsenen notwendigen und verhältnismässig hohen Kosten zuzusprechen (vgl.
BVGE 2010/14 E. 8.2.1). Ausgenommen hiervon sind Bundesbehörden, denen gemäss Art. 7 Abs. 3
VGKE kein Anspruch auf eine Parteientschädigung zusteht.
1749. Eine Parteientschädigung ist vorliegend
weder den Beschwerdeführerinnen mangels Obsiegens noch der Vorinstanz mangels rechtlichem Erstattungsanspruch
zuzusprechen.
Versand: 21. Mai 2019