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Abteilung IV

D-6635/2017

 

 

 

 

 

Urteil vom 5. März 2018

Besetzung

 

Einzelrichter Simon Thurnheer,

mit Zustimmung von Richterin Regula Schenker Senn;

Gerichtsschreiber Philipp Reimann.

 

 

 

Parteien

 

A._______, geboren am (...),

Irak,

vertreten durch dipl.-jur. Tilla Jacomet,

HEKS Rechtsberatungsstelle für Asylsuchende SG/AI/AR,

Beschwerdeführer,

 

 

 

gegen

 

 

Staatssekretariat für Migration (SEM),

Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

 

 

 

Gegenstand

 

Asyl und Wegweisung;

Verfügung des SEM vom 24. Oktober 2017 / N (...).

 

 

 


Sachverhalt:

A. 
Der Beschwerdeführer - ein ethnischer Kurde aus B._______ - verliess den Irak eigenen Angaben zufolge am 24. Dezember 2016 und gelangte nach einem längeren Aufenthalt in der Türkei von dort aus in einem LKW versteckt via ihm unbekannte Länder am 30. Juli 2017 illegal in die Schweiz, wo er am 1. August 2017 um Asyl nachsuchte. Am 7. August 2017 befragte ihn das SEM im Empfangs- und Verfahrenszentrum (EVZ) C._______ zur Person und hörte ihn am 24. August 2017 einlässlich zu seinen Asylgründen an. Dabei machte der Beschwerdeführer zu seiner Situation im Heimatland sowie zur Begründung seines Asylgesuches im Wesentlichen geltend, in B._______ gemeinsam mit drei ledigen Schwestern im Elternhaus gelebt zu haben. Die vom Islam geprägte Gesellschaft seiner Heimat habe er gehasst und sich mit dem Gedanken beschäftigt, zum Christentum überzutreten. Ausserdem habe er im Alter von etwa 40 Jahren realisiert, homosexuell zu sein. Seine Geschwister hätten zumindest vermutet, dass er homosexuell sei, da er sich früher immer wieder einer Heirat verweigert habe. Seine drei streng religiösen Schwestern hätten ihn aufgrund seiner Abkehr vom Islam und wegen seiner sexuellen Neigungen ungefähr drei bis vier Jahre vor seiner Ausreise sozial auszugrenzen begonnen, indem sie sich beispielsweise geweigert hätten, ihm ein Glas Wasser zu reichen oder gemeinsam mit ihm zu essen. Ausserdem hätten sie angefangen, überall herumzuerzählen, dass er dem Christentum zuneige und homosexuell sei. Gleichfalls drei bis vier Jahre vor seiner Ausreise hätten Unbekannte damit begonnen, ihn in der Nacht telefonisch zu bedrohen. Die Anrufe seien von verschiedenen Personen ausgegangen, da verschiedene Telefonnummern verwendet worden seien. Er vermute, dass es sich bei den Unbekannten um Salafisten gehandelt habe. In diesem Zusammenhang sei er mindestens fünfzehn Male bei der Polizei vorstellig geworden und habe Anzeige erstattet. Die polizeilichen Recherchen hätten indessen zu keinen Ergebnissen geführt. Die Polizei habe ihn in der Folge auch als Verrückten bezeichnet und ausgelacht. Ungefähr im März des Jahres 2014 hätten mutmasslich ebenfalls Salafisten erstmals versucht, ihn mit einem Auto zu überfahren. Ein weiterer solcher Versuch habe zirka im Juli 2014 stattgefunden. Ausserdem hätten Unbekannte wiederholt durch Steinwürfe Fensterscheiben seines Elternhauses zertrümmert. Aus diesen Gründen habe er sich zeitweise auch nicht mehr zuhause, sondern bei Freunden aufgehalten. Schliesslich habe er diese Situation nicht mehr ausgehalten, weshalb er an Weihnachten des Jahres 2016 aus seiner Heimat ausgereist sei.

In Bezug auf seine gesundheitliche Verfassung machte der Beschwerdeführer geltend, er leide an Schmerzen in seinem rechten Arm sowie gelegentlich an Bauchschmerzen.

Mit Zwischenverfügung vom 22. September 2017 wies das SEM den Beschwerdeführer für die Dauer des Asylverfahrens dem Kanton D._______ zu.

Der Beschwerdeführer reichte im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens keinerlei Dokumente, insbesondere auch keine Identitätspapiere, ein.

B.   

B.a  Mit Schreiben vom 25. August 2017 forderte das SEM den Beschwerdeführer erstmals auf, bis zum 14. September 2017 einen ärztlichen Bericht einzureichen, um sich hinsichtlich seines Gesundheitszustandes ein Urteil bilden zu können. Der Beschwerdeführer leistete dieser Aufforderung keine Folge.

B.b  Mit Schreiben vom 27. September 2017 ersuchte die Vorinstanz den Beschwerdeführer ein zweites Mal um Zusendung eines ärztlichen Berichts bis zum 18. Oktober 2017. In der Folge sandte der Beschwerdeführer dem SEM mit Begleitschreiben vom 17. Oktober 2017 einen ärztlichen Bericht von Dr. med. E._______ vom 13. Oktober 2017 zu.

C. 
Mit Verfügung vom 24. Oktober 2017 - eröffnet am 25. Oktober 2017 - stellte das SEM fest, der Beschwerdeführer erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht, lehnte sein Asylgesuch ab, verfügte die Wegweisung aus der Schweiz und ordnete den Vollzug an.

D. 
Mit Eingabe vom 23. November 2017 reichte der Beschwerdeführer gegen diese Verfügung mittels seiner Rechtsvertreterin Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht ein. Dabei beantragte er, die angefochtene Verfügung sei vollständig aufzuheben und ihm in Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft Asyl zu gewähren. Eventualiter sei der Vollzug der Wegweisung wegen Unzulässigkeit beziehungsweise wegen Unzumutbarkeit auszusetzen und ihm die vorläufige Aufnahme zu gewähren. Subeventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. In prozessualer Hinsicht beantragte er, es sei ihm die unentgeltliche Prozessführung zu gewähren, auf die Erhebung eines Kostenvorschusses zu verzichten und ihm in der Person seiner Rechtsvertreterin ein amtlicher Rechtsbeistand zu bestellen.

Er fügte der Rechtsmitteleingabe die UNHCR-Richtlinien zum internationalen Schutz: Geschlechtsspezifische Verfolgung im Zusammenhang mit Artikel 1 A (2) des Abkommens von 1951 beziehungsweise des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Genf, 2002 S. 6, einen Bericht von Alexandra Geiser mit dem Titel "Irak: Gefährdung von Homosexuellen/ Sexuelle Übergriffe" (Auskunft der SFH-Länderanalyse, Bern, 2009 S. 2), die UNHCR Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Iraq vom 31. Mai 2012 S. 28, eine Anfragebeantwortung des Australian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (ACCORD) zum Irak mit dem Titel "Bestrafung bei Abfall vom Islam und Konversion zum Christentum" aus dem Jahr 2016, einen Bericht der BetaGenese Klinik GmbH über das Chronische Schmerzsyndrom: Therapie und Behandlungsmöglichkeiten, Bonn, 2017 sowie eine Fürsorgeabhängigkeitsbestätigung vom 23. November 2017 bei.

E. 
Mit Schreiben vom 24. November 2017 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht den Eingang der Beschwerde.

F. 
Mit Schreiben vom 31. Januar 2018 ersuchte das Migrationsamt des Kantons D._______ um prioritäre Behandlung der vorliegenden Beschwerde.

 

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.   

1.1  Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das SEM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls endgültig, ausser bei Vorliegen eines Auslieferungsersuchens des Staates, vor welchem die beschwerdeführende Person Schutz sucht (Art. 105 AsylG [SR 142.31]; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG). Eine solche Ausnahme im Sinne von Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG liegt nicht vor, weshalb das Bundesverwaltungsgericht endgültig entscheidet.

1.2  Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht. Der Beschwerdeführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Er ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 und 108 Abs. 1 AsylG; Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 Abs. 1 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2. 
Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen richten sich im Asylbereich nach Art. 106 Abs. 1 AsylG, im Bereich des Ausländerrechts nach Art. 49 VwVG (vgl. BVGE 2014/26 E. 5).

3.   

3.1  Über offensichtlich unbegründete Beschwerden wird in einzelrichterlicher Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters beziehungsweise einer zweiten Richterin entschieden (Art. 111 Bst. e AsylG). Wie nachstehend aufgezeigt, handelt es sich vorliegend um eine solche, weshalb der Beschwerdeentscheid nur summarisch zu begründen ist (Art. 111a Abs. 2 AsylG).

3.2  Gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG wurde vorliegend auf einen Schriftenwechsel verzichtet.

4.   

4.1  Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz Flüchtlingen grundsätzlich Asyl. Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden (Art. 3 Abs. 1 AsylG). Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken (Art. 3 Abs. 2 AsylG).

4.2  Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachweisen oder zumindest glaubhaft machen. Diese ist glaubhaft gemacht, wenn die Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für gegeben hält. Unglaubhaft sind insbesondere Vorbringen, die in wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich widersprüchlich sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden (Art. 7 AsylG).

5.   

5.1  Der Beschwerdeführer begründete seine Ausreise im Wesentlichen damit, die Salafisten hätten ihn während drei bis vier Jahren nachts telefonisch bedroht, weil er eine islamkritische Haltung habe und homosexuell sei. Darüber hinaus hätten diese im März sowie im Juli des Jahres 2014 versucht, ihn mit einem Auto zu überfahren.

5.1.1  Einleitend bleibt festzuhalten, dass die Schilderungen des Beschwerdeführers beider Vorfälle im März beziehungsweise im Juli 2014 keineswegs den Eindruck vermitteln, der Beschwerdeführer habe einen Attentatsversuch nur glückhaft unbeschadet überstanden. So führte er hinsichtlich des Geschehnisses vom März 2014 anlässlich der Anhörung vom 24. August 2017 unter anderem Folgendes aus: "Das Auto wendete dann und fuhr in meine Richtung. Ich war auf dem Trottoir, ich lief ganz normal weiter, plötzlich ging es etwas bergauf und plötzlich fuhr das Auto in meine Richtung auf das Trottoir. Es gab weitere Passanten auf der Strasse, viele rannten sogar weg, und das Auto fuhr einfach in meine Richtung und fuhr fast in den Laden hinein. In jenem Zeitpunkt habe ich überraschenderweise wirklich das Nummernschild fotografiert - fragen Sie mich nicht, weshalb ich das gemacht habe, es war eine Reaktion. Also fotografiert, tut mir leid, nicht mit einem Gerät, sondern ich habe mir einfach die Nummer gemerkt. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Ich hatte aber eben die Erfahrung gemacht, dass ich schon einmal bei der Polizei eine Anzeige erstattet habe wegen dieser Telefonnummer" (vgl. act. A10/20 S. 6 F31). Die soeben zitierten Sinneseindrücke vermitteln aus Sicht des Gerichts den Anschein, als habe der Beschwerdeführer gleichsam als neutraler Beobachter ein Geschehnis kommentiert, ohne selbst Teil desselben gewesen zu sein. So erstaunt es insbesondere, dass er zwar konstatierte, dass viele Passanten auf der Strasse vor dem nahenden Auto davongerannt seien und dieses beinahe in ein Geschäft hineingefahren sei, ohne aber seine eigentliche Befindlichkeit hinsichtlich dieses Geschehnisses plastisch zum Ausdruck bringen zu können. Es entsteht vielmehr der Eindruck, der Beschwerdeführer schildere einen Vorfall, den er zwar möglicherweise selbst erlebt hat, der aber keinen direkten Bezug zu seiner Person aufwies und auch nicht ersichtlich ein Gefahrenmoment für ihn darstellte. Auch seine Darstellung des zweiten Vorfalls vom Juli 2014 lässt nicht an einen gezielt gegen ihn gerichteten Attentatsversuch, sondern eher an die Schaffung eines Gefahrenzustandes durch eigenes Fehlverhalten denken: "Ich wollte die Strasse überqueren, plötzlich hielt ein Auto vor mir an. Ich musste sogar einen Schritt zurücklaufen. Ich weiss nicht, ob der Fahrer mich schon vorher bemerkte und mich verfolgte. Als ich mir das Auto anschaute, war es ein Taxi. Der Fahrer schaute mich an und sagte mir dann schlimme Wörter. Das Einzige, was ich noch im Kopf habe, war, als er mir sagte: ,Weisst Du nicht, wie man läuft und eine Strasse überquert!?' Er war sehr wütend und fuhr wieder weg" (vgl. act. A10/20 S. 7 F35). Nach dem Gesagten gelangt das Bundesverwaltungsgericht zum Schluss, dass die vorstehenden Schilderungen des Beschwerdeführers keine Hinweise auf ein gezielt gegen ihn gerichtetes Attentat enthalten. Seine Behauptung, man habe im Jahr 2014 zweimal vorsätzlich versucht, ihn mit einem Auto zu überfahren, erweist sich demnach als unglaubhaft.

5.1.2  Der Beschwerdeführer behauptet weiter, die Salafisten hätten ihn drei bis vier Jahre lang nachts telefonisch bedroht. Angesichts der notorischen Unduldsamkeit der Islamisten gegenüber jeglicher Kritik an ihrer Religion mutet es indessen realitätsfremd an, dass diese den Beschwerdeführer über Jahre einfach nur mündlich verwarnt hätten, ohne ihn für seine angeblich anhaltende Neigung zum Christentum persönlich zur Rechenschaft zu ziehen.

5.1.3  Gegen die Glaubhaftigkeit eines nachhaltigen Interesses der Salafisten an seiner Person spricht im Ergebnis auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer keinerlei Belege beigebracht hat, die seine Schwierigkeiten mit ihnen veranschaulichen könnten. So hat der Beschwerdeführer beispielsweise keine Dokumente vorgelegt, die belegen könnten, dass er im Zusammenhang mit den angeblichen telefonischen Drohanrufen Anzeige bei der Polizei erstattet hätte, wiewohl er in diesem Zusammenhang mindestens 15 Male bei der örtlichen Polizei vorstellig geworden sein will (vgl. act. A10/20 S. 10 F52).

5.1.4  Der Beschwerdeführer behauptete weiter, seine drei ledigen und sehr religiösen Schwestern, die gemeinsam mit ihm in einem Haushalt gelebt hätten, hätten überall herumerzählt, dass er zum Christentum konvertieren wolle und homosexuell sei. In der Folge hätten die telefonischen Drohungen begonnen. Da seine Telefonnummer nur seinen Familienangehörigen bekannt gewesen sei, sei er gewiss, dass seine Schwestern den Islamisten auch seine Telefonnummer bekanntgegeben hätten (vgl. act. A6/13 S. 7 Ziff. 7.01).

Wie das SEM in seiner Verfügung vom 24. Oktober 2017 indessen zu Recht vermerkt hat, standen die drei ledigen Schwestern des Beschwerdeführers angesichts der muslimisch-patriarchalischen Gesellschaftsordnung in dessen Heimat in einem grossen Abhängigkeitsverhältnis zum Beschwerdeführer, lebte er doch nach seinen Angaben als einziger Mann in ihrem Haushalt (vgl. act. A6/13 S. 4 Ziff. 2.01 i.V.m. S. 5 Ziff. 3.01 und act. A10/20 S. 4 F15 bis 17). Der Beschwerdeführer betonte in diesem Zusammenhang auch, er habe sich für seine drei ledigen Schwestern verantwortlich gefühlt und diese im Einklang mit der gesellschaftlichen Werteordnung seiner Heimat beschützen wollen (vgl. act. A10/20 S. 4 F15 f.). Vor diesem Hintergrund erscheint dessen Behauptung, seine drei Schwestern hätten ihn öffentlich diffamiert, als realitätsfremd. Der Erklärungsversuch in der Beschwerde, die drei Schwestern hätten ihre "Ehrenrettung" an die streng salafistischen Kreise "delegiert" und dabei erhofft, durch ihre Distanzierung zu ihrem Bruder eine gesellschaftliche Rehabilitation zu erfahren (a.a.O. S. 8 oben), vermag das Gericht nicht zu überzeugen. Auch der Hinweis in der Beschwerde, die Tatsache, dass der Beschwerdeführer nie geheiratet habe, habe für seine jüngeren Schwestern ein Erschwernis gebildet, selber eine Ehe einzugehen (a.a.O. S. 5), erweist sich als nicht stichhaltig, zumal die drei jüngsten Schwestern des Beschwerdeführers allem Anschein nach alle verheiratet sind (vgl. act. A6/13 S. 5 Ziff. 3.01). Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer selbst deutlich zum Ausdruck gebracht, nur seinen engsten Freunden anvertraut zu haben, homosexuell zu sein und zum Christentum konvertieren zu wollen (vgl. act. A10/20 S. 12 F64 bis 66). Seiner Familie gegenüber habe er dementiert, zum Christentum übertreten zu wollen (vgl. act. A10/20 S. 12 F66). Im Übrigen machte der Beschwerdeführer auch klar, dass er effektiv nicht zum Christentum konvertiert sei (vgl. act. A6/13 S. 7 Ziff. 7.01 und S. 8 Ziff. 7.02 sowie act. A10/20 S. 4 F14). Ausserdem spricht nichts in den Akten dafür, dass er seine Homosexualität offen ausgelebt hätte, betonte er doch wiederholt, der gegen ihn gerichtete Verdacht, homosexuell zu sein, gründe letztlich einzig darin, dass er sich der eigenen Heirat mehrmals widersetzt habe (vgl. act. A6/13 S. 8 Ziff. 7.02 und act. A10/20 S. 3 F13 und S. 12 f. F67). Den Akten zufolge hat der Beschwerdeführer sich somit nach aussen weder als homosexuell noch als islamkritisch geoutet. Somit hätten seine Schwestern den Ruf ihrer ganzen Familie geschädigt, wenn sie ihn ohne Not an die Salafisten denunziert hätten. All diese Überlegungen führen im Ergebnis zum Schluss, dass die angeblichen Übergriffe der Salafisten auf den Beschwerdeführer und auch seine angebliche innerfamiliäre Ausgrenzung unglaubhaft sind.

5.2  Zusammenfassend ist deshalb festzuhalten, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen ist, eine asylrechtlich relevante Verfolgungssituation nachzuweisen beziehungsweise glaubhaft zu machen. Es erübrigt sich, auf weitere Vorbringen in der Beschwerde einzugehen, da sie am Ergebnis nichts ändern können. Das SEM hat sein Asylgesuch demnach im Ergebnis zu Recht und mit zutreffender Begründung abgelehnt.

6.   

6.1  Lehnt das Staatssekretariat das Asylgesuch ab oder tritt es darauf nicht ein, so verfügt es in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz und ordnet den Vollzug an; es berücksichtigt dabei den Grundsatz der Einheit der Familie (Art. 44 AsylG).

6.2  Der Beschwerdeführer verfügt weder über eine ausländerrechtliche Aufenthaltsbewilligung noch über einen Anspruch auf Erteilung einer solchen. Die Wegweisung wurde demnach zu Recht angeordnet (Art. 44 AsylG; vgl. BVGE 2013/37 E. 4.4; 2009/50 E. 9, je m.w.H.).

7.   

7.1  Ist der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig, nicht zumutbar oder nicht möglich, so regelt das Staatssekretariat das Anwesenheitsverhältnis nach den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme (Art. 44 AsylG; Art. 83 Abs. 1 AuG [SR 142.20]).

Beim Geltendmachen von Wegweisungsvollzugshindernissen gilt gemäss Praxis des Bundesverwaltungsgerichts der gleiche Beweisstandard wie bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft; das heisst, sie sind zu beweisen, wenn der strikte Beweis möglich ist, und andernfalls wenigstens glaubhaft zu machen (vgl. BVGE 2011/24 E. 10.2 m.w.H.).

7.2  Nach Art. 83 Abs. 3 AuG ist der Vollzug nicht zulässig, wenn völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz einer Weiterreise der Ausländerin oder des Ausländers in den Heimat-, Herkunfts- oder einen Drittstaat entgegenstehen. Da der Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft nicht erfüllt, ist das flüchtlingsrechtliche Rückschiebungsverbot von Art. 33 Abs. 1 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK, SR 0.142.30) und Art. 5 AsylG nicht anwendbar. Die Zulässigkeit des Vollzuges beurteilt sich vielmehr nach den allgemeinen verfassungs- und völkerrechtlichen Bestimmungen (Art. 25 Abs. 3 BV; Art. 3 des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe [FoK, SR 0.105]; Art. 3 EMRK).

Weder aus den Akten noch aus der Beschwerde ergeben sich konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer für den Fall einer Ausschaffung in den Irak dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer nach Art. 3 EMRK oder Art. 1 FoK verbotenen Strafe oder Behandlung ausgesetzt wäre. Der Vollzug der Wegweisung ist zulässig.

7.3   

7.3.1  Der Vollzug der Wegweisung kann nach Art. 83 Abs. 4 AuG unzumutbar sein, wenn der Ausländer oder die Ausländerin im Heimat- oder Herkunftsstaat auf Grund von Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt und medizinischer Notlage konkret gefährdet ist. Wird eine konkrete Gefährdung festgestellt, ist - unter Vorbehalt von Art. 83 Abs. 7 AuG - die vorläufige Aufnahme zu gewähren (vgl. Botschaft zum Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer vom 8. März 2002 BBl 2002 3818).

Nach konstanter Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann dann auf Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs geschlossen werden, wenn eine notwendige medizinische Behandlung im Heimatland nicht zur Verfügung steht und die Rückkehr zu einer raschen und lebensgefährdenden Beeinträchtigung des Gesundheitszustands der betroffenen Person führt. Als wesentlich wird die allgemeine und dringende medizinische Behandlung erachtet, die zur Gewährleistung einer menschenwürdigen Behandlung absolut notwendig ist, wobei Unzumutbarkeit jedenfalls noch nicht vorliegt, wenn im Heimatstaat eine nicht dem schweizerischen Standard entsprechende medizinische Behandlung möglich ist (vgl. BVGE 2009/2 E. 9.3.2).

7.3.2  Der Beschwerdeführer leidet dem ärztlichen Bericht von Dr. med. E._______ vom 13. Oktober 2017 an einem chronischen Schmerzsyndrom. Weiter geht aus besagtem ärztlichem Bericht hervor, dass der Beschwerdeführer sich in diesem Zusammenhang seit Anfang Oktober 2017 in physiotherapeutischer Behandlung befindet. Ausserdem finde seit Anfang Oktober 2017 eine ambulante Spitalabklärung bezüglich der Schmerzmedikation statt. In Bezug auf diese Erkrankung wird in der Beschwerde unter anderem ausgeführt, nach den heutigen Erkenntnissen der Forschung gebe es unterschiedliche Ursachen für die Entstehung eines chronischen Schmerzsyndroms. So könnten chronische Schmerzen etwa Ausdruck einer primär psychischen Erkrankung sein. Sie würden vor allem bei Depressionen, posttraumatischen Belastungsstörungen oder Angststörungen auftreten. Die Behandlung des Schmerzsyndroms sei hochkomplex (a.a.O. S. 12 Ziff. 3.2.2).

Die Vorinstanz hat in ihrer Verfügung darauf hingewiesen, eine adäquate medizinische Behandlung des chronischen Schmerzsyndroms könne auch in der Heimat des Beschwerdeführers erfolgen, zumal davon ausgegangen werden dürfe, dass auch dort die einschlägig bekannten Schmerzmedikamente erhältlich seien. Aus diesem Grunde erweise sich der Wegweisungsvollzug des Beschwerdeführers aus medizinischer Sicht als zumutbar. Das Bundesverwaltungsgericht teilt diese Einschätzung und weist den Beschwerdeführer überdies darauf hin, dass er im Rahmen der individuellen Rückkehrhilfe die Möglichkeit hat, zusätzliche medizinische Hilfeleistungen zu beantragen (vgl. Art. 75 der Asylverordnung 2 vom 11. August 1999 (AsylV 2, SR 142.312). Insgesamt liegt somit keine medizinische Notlage im Sinne der Rechtsprechung vor, welche den Vollzug der Wegweisung als nicht zumutbar erscheinen liesse.

7.3.3  Die Vorinstanz stellt im Weiteren fest, dass sich die Konfliktlage im Irak durch grosse Dynamik und Volatilität auszeichne, womit allgemeine Aussagen über die Sicherheits- und Menschenrechtslage rasch ihre Gültigkeit verlieren würden. Die Gewalt konzentriere sich jedoch auf den Zentral- und Südirak. Trotz grosser Flüchtlingswelle in die irakischen Nordprovinzen sei dort die Sicherheits- und Versorgungslage für Einheimische nicht derart gravierend, dass generell von einer konkreten Gefährdung im Sinne von Art. 83 Abs. 4 AuG gesprochen werden könne. Die Auseinandersetzungen würden sich auf Distrikte in der Provinz Ninawa um Mossul, Zumar, Sindschar sowie südlich von Kirkuk auf die Provinzen Salah ad-Din und Diyala konzentrieren. In den vier Provinzen der Autonomen Region Kurdistan herrsche hingegen keine Situation allgemeiner Gewalt. Der Wegweisungsvollzug sei deshalb nach wie vor grundsätzlich zumutbar, was im Einklang mit der Wegweisungspraxis des Bundesverwaltungsgerichts stehe. Ebenfalls würden keine individuellen Gründe gegen die Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs sprechen. So sei davon auszugehen, dass er in seiner Heimat über ein tragfähiges soziales Beziehungsnetz - Verwandte und Freunde - verfüge, da seine Vorbringen, seine Verwandten hätten ihn verstossen, nicht glaubhaft seien. Zudem habe er einen Hochschulabschluss als Bauarchitekt und verfüge über eine langjährige Berufserfahrung. Sollte die Auftragslage ungenügend sein, könnte er auch auf die Hilfe seiner Verwandtschaft zählen, zumal drei seiner Brüder in F._______, G._______ beziehungsweise H._______ lebten. Demzufolge seien aus den Akten keine individuellen Gründe ersichtlich, die gegen die Rückkehr in seine Heimat sprechen würden (vgl. angefochtene Verfügung, S. 6).

Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil E-3737/2015 vom 14. Dezember 2015 (als Referenzurteil publiziert) festgestellt, dass in den vier Provinzen der Autonomen Kurdischen Region (das KRG-Gebiet wird seit Anfang 2015 durch die Provinzen Dohuk, Erbil, Sulaimaniya sowie Halabja gebildet) heute nach wie vor nicht von einer Situation allgemeiner Gewalt im Sinne von Art. 83 Abs. 4 AuG auszugehen ist und keine konkreten Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, dies werde sich in absehbarer Zeit
massgeblich verändern. An dieser Sichtweise wird weiterhin festgehalten (vgl. Urteile des BVGer D-3405/2016 vom 14. September 2016,
E-3354/2016 vom 23. Juni 2016 und D-6975/2015 vom 16. Juni 2016). In Übereinstimmung mit den vorinstanzlichen Erwägungen ist vorliegend von der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs auszugehen.

7.4  Nach Art. 83 Abs. 2 AuG ist der Vollzug auch als möglich zu bezeichnen, weil es dem Beschwerdeführer obliegt, sich die für eine Rückkehr notwendigen Reisedokumente bei der zuständigen Vertretung seines Heimatstaats zu beschaffen (Art. 8 Abs. 4 AsylG und dazu BVGE 2008/34 E. 12).

7.5  Zusammenfassend hat die Vorinstanz den Wegweisungsvollzug zu Recht als zulässig, zumutbar und möglich bezeichnet. Eine Anordnung der vorläufigen Aufnahme fällt somit ausser Betracht (Art. 83 Abs. 1-4 AuG).

8. 
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung Bundesrecht nicht verletzt, den rechtserheblichen Sachverhalt richtig sowie vollständig feststellt (Art. 106 Abs. 1 AsylG) und - soweit diesbezüglich überprüfbar - angemessen ist. Die Beschwerde ist folglich abzuweisen.

9.   

9.1  Aufgrund der angestellten Erwägungen hat sich die Beschwerde als aussichtslos erwiesen. Somit sind die Gesuche um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im Sinne von Art. 65 Abs. 1 VwVG und um Beiordnung eines amtlichen Rechtsbeistands gemäss Art. 110a AsylG abzuweisen.

9.2  Als Folge der Abweisung der Beschwerde sind die Kosten des Verfahrens dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 und 5 VwVG). Die Kosten sind auf Fr. 750.- festzusetzen (Art. 1-3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2] i.V.m. Art. 16 Abs. 1 Bst. a VGG).

 

(Dispositiv nächste Seite)


Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gesuche um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und um Beiordnung eines amtlichen Rechtsbeistandes werden abgewiesen.

3. 
Die Verfahrenskosten von Fr. 750.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zu Gunsten der Gerichtskasse zu überweisen.

4. 
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die zuständige kantonale Behörde.

 

Der Einzelrichter:

Der Gerichtsschreiber:

 

 

Simon Thurnheer

Philipp Reimann

 

 

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